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Beweismittel Ag47

von

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Malfoy


 

21. Dezember 2005

03:27 Uhr

Geraldine Road Nr. 47; Kaminzimmer

Borough of Wandsworth

London

 

 

 
 

Constable Abercrombie war ein Auror vom Typ „Gryffindor – Abschlussjahrgang 2000irgendwas“ und sah einer Eule viel zu ähnlich.

Vielleicht waren es seine Augen – weit aufgerissen, mit großen Pupillen – die diese Wirkung erzeugten, vielleicht auch die dunklen Locken, die nicht nur beachtliche Segelohren verdeckten, sondern auch seinen Kopf umrahmten, als hätte man ihn durch einen Sturm gescheucht. In jedem Fall komplettierte seine Nase, die ein Klatscher in Form gebrochen haben musste, das Bild.

Dracos Blick huschte zu der Uhr auf dem Kamin.

Drei Uhr siebenundzwanzig.

Er wusste nicht, wer in den letzten Jahren für Slytherin gespielt hatte, aber Draco hoffte, Abercrombies Nase ging auf das Konto eines seiner Treiber.

Wenn er etwas mehr hasste, als Auroren, die ihre neugierigen Fratzen durch seinen Kamin steckten, dann waren es Auroren, die das mitten in der Nacht taten.

Abercrombie jedoch schien sich keiner Grenzübertretung bewusst. Stattdessen starrte er aus dem Flohfeuer, als habe er noch nie ein Kaminzimmer gesehen. Argwöhnisch beobachtete Draco ihn dabei, wie er die dunklen Kommoden zu seiner Linken musterte, die beiden Sessel am anderen Ende des Raumes und die James Baker Pyne-Gemälde, die Astoria so mochte. Sein Blick flackerte im Takt der alten Uhr.

Draco musste die Aufputschtränke nicht riechen, um zu wissen, dass Abercrombie so voll damit war, dass sie ihm beinahe zu den Ohren wieder hinausliefen. Ein leises Knarren unterbrach ihn, bevor Draco den ungebetenen Gast aus seinem Kamin werfen konnte.

„Liebling?“, hörte er Astorias verschlafene Stimme von der Tür. „Was ist los?“

Draco stöhnte nicht, obwohl der Auror es verdient hätte. Stattdessen schloss er die Augen und zählte langsam bis zehn. Das Bedürfnis, Abercrombie durch die Kamine der nächsten dutzend Nachbarn zu hexen, verringerte es nicht, doch es dämpfte zumindest die Versuchung, es tatsächlich zu tun.

Zu dem Klang leiser Schritte auf Holzdielen öffnete Draco die Augen und starrte in den Kamin.

„Nichts, Tori“, antwortete er, nur um Astorias Willen um einen neutralen Tonfall bemüht. „Constable Abercrombie wollte gerade gehen, nicht wahr?“

Abercrombie öffnete den Mund, doch nur ein klägliches „Ähm … ich … ähm- Guten Abend, Mrs Malfoy!“ kam heraus. Gerne hätte Draco ihn dafür ge-guten-Abend-Mr-Abercrombie-t, doch Toris sehr wissender Blick, der in seinem Nacken ruhte, hielt ihn davon ab. Einen Augenblick später legten sich Toris Hände auf seine Schultern. Er spürte ihren Bauch in seinem Rücken.

Siebter Monat und keine gute Prognose, dachte er finster. Und du Vollidiot hast nichts besseres zu tun, als sie zu wecken.

„Sind es wieder Junkies in Peckham?“, fragte Astoria, über seine Schulter hinweg.

Im Kamin konnte Draco den Auror schlucken sehen. Abercrombies Blick huschte zu Astoria, zu Draco, zu den Aquarellen, schließlich zurück zu einem Punkt zwei Hand breit unter Dracos Kinn.

„Nein, Mrs Malfoy!“, beteuerte er hastig. „Das Ministerium würde Ihren Mann niemals wegen Drogendelikten wecken!“

Hätte sein Kopf Hände gehabt, Draco war sich sicher, er hätte damit gewedelt, doch Abercrombies Arme waren hunderte von Kaminen entfernt. Vermutlich stützten sie sich gerade vor einem der Notfeuer der Aurorenzentrale ab, damit zumindest Abercrombies Hintern blieb, wo er war.

Hoffentlich versengtem ihm ein paar Funken ob der Lüge die Uniform.

Die Wahrheit war: Niemals hatte allein in den letzten zwei Wochen drei Mal stattgefunden.

Es war ein simples Dilemma. Jeder Heiler des St.-Mungo-Hospitals leistete zu Beginn seiner Ausbildung den Eid, nur dann Behandlungen an Patienten vorzunehmen, insofern sie für deren Überleben notwendig waren oder zumindest das volle Einverständnis des jeweiligen Patienten oder seiner Angehörigen vorlag. Bei den Drogenabhängigen, die sich in Peckham, Hackney oder der Nockturn Alley mit MES und getrockneten Amanita odinea zudröhnten, traf in der Regel beides nicht zu. Und selbst in dem Fall, in dem einer der Junkies medizinische Hilfe benötigte, die über einen Aufenthalt in einer Ausnüchterungszelle hinaus ging, gab es immer noch einen wirklich unleidlichen Verschwiegenheitsfluch, an dem sich noch jeder Auror die Zähne ausgebissen hatte.

Beides, Eid und Fluch, konnte nur mit der offiziellen Anordnung eines Gamotrichters aufgehoben werden und an eine solche zu kommen – gerade mitten in der Nacht – war eine Aufgabe für sich. Soweit Draco wusste, beinhaltete sie ein halbes Dutzend Formulare, die vorauszufüllen waren. Das und die Notwendigkeit, einen Vertreter von Recht, Ordnung und neun Stunden richterlichen Schönheitsschlafs aus dem Bett zu holen, der in der Ministeriumshackordnung zehn Gehaltsklassen über einem stand.

Kurzum: Kein Mitglied der magischen Strafverfolgung, das noch ganz bei Trost war, kam auf die Idee, einen Heiler um Hilfe zu bitten, wenn er einen Junkie einbuchten wollte. Nicht, wenn er auf dem Flur gegenüber ein paar nette Kollegen von der Rechtsmagie hatte, die die gleichen Zauber beherrschten, ganz ohne Eid, Fluch und Gesetzesdrachen.

Moralisch fragwürdig? Ja, natürlich.

Illegal? Nein.

Für die Deppen von der Strafverfolgungspatrouille war es ein Segen – für Draco nicht.

Gut, Constable Abercrombie in seinem Kamin zu haben, war auch keiner. Für Draco nicht und für seine Tori auch nicht. Er konnte es nicht sehen, doch er spürte förmlich, wie Astoria hinter ihm die Lippen zusammenpresste.

„Wenn es keine MES-Dealer sind“, fragte er schließlich, „was ist es dann?“

„Inspector Graves benötigt einen Rechtsmagier in Dartmoor.“

Dartmoor.

Das war ja förmlich um die Ecke.

Nicht.

„Was ist mit dem Bereitschaftsdienst? Warum wecken Sie nicht den? Tripe brennt sicher förmlich darauf, nachts um halb Vier durch ein Moor zu stapfen.“

Einen Moment lang starrte Abercrombie ihn an, wie Dobby es in seiner Kindheit immer getan hatte. Er blinzelte dabei sogar wie der Hauself. Und wirkte ähnlich panisch. Flüchtig leckte er sich über die Lippen – etwas, von dem man besser absah, wenn der Kopf in einem Feuer steckte. Das Husten ließ nicht lange auf sich warten. Es wirbelte feine, grün leuchtende Aschepartikel aus seinem Kamin. Draco sah den Funken nach, die auf den Holzdielen vor ihm verglommen. Seine Laune sank, wenn möglich, weiter.

„Graves-“, Abercrombie hustete und eine neue Woge Funken folgte, „-ich meine, Inspektor Graves hat-“ noch mehr Funken „-Sie persönlich angefordert. Er sagt, Sie sollen den weißen Umhang mitbringen. Den imprägnierten.“

Spätestens jetzt spürte Draco das Pochen, das sich langsam hinter seiner Schläfe ausbreitete. Wenn er etwas mehr hasste, als Junkies in Hackney, dann waren es Auroren, die ihn in voller Montur anforderten.

Sie bedeuteten nie etwas Gutes.

Er spähte über seine Schulter zu Astoria, die seinen Blick unbegeistert erwiderte. Sie kannte den weißen Umhang auch. Den und die Frettchen-Witze.

„Fein. Fein, meinetwegen, Constable. Adresse?“

Alles Husten war vergessen. Abercrombies Gesicht hellte sich schneller auf, als bei einem Magier mit normaler Reaktionsfähigkeit möglich sein sollte. Das grüne Licht des Flohfeuers gab seinen aufgerissenen Augen einen wahnsinnigen Glanz.

„Silversteen Farm“, verkündete er, „North Borvey, Newton Abbot, Devon, England, Sir!“

Adressen, befand er, sollte ein Auror nicht trällern. Schon gar nicht mit einem Tonfall, der klang, als täte er ihm gerade einen lebensnotwendigen Gefallen.

Es war kein Gefallen, da war Draco sich sicher. Irgendetwas klingelte bei der Adresse in seinem Hinterkopf. Eine Erinnerung. Eine, bei der er sich sicher war, dass es einen guten Grund gab, um sie zu vergessen.

„Ich erwarte Sie in einer Viertelstunde am Haupteingang, Sir!“

Bereits während er sprach, begannen die Flammen zu flimmern.

„Besorg mir Tee!“, rief Draco ihm noch nach, doch da war Abercrombies Kopf bereits verschwunden.

Draco quittierte es mit einem entnervten Stöhnen.

Hinter sich hörte er Stoff rascheln, dann legten sich Astorias Hände auf seine Schultern. Geschickt rieb sie mit ihren Daumen über die Muskeln, die sich während des Gesprächs verkrampft hatten, doch die Verspannungen wollten nicht weichen.

„Er ist sicher noch ein Trainee“, erklärte sie seinem Nacken.

Träge folgte er dem Druck von Astorias Daumen und senkte den Kopf, Abercrombies Eulengesicht noch immer vor Augen.

„Erinnere mich daran, dass ich ihn auf die Liste setze“, murmelte er.

„Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist, damit anzufangen, Auroren den Kaminzugang zu verwehren, Liebling.“

Draco seufzte leise, nicht vor Frustration, dieses Mal.

„Ich finde, es ist die beste Idee, die ich seit langem hatte.“

Leises Lachen antwortete ihm.

Einen Augenblick lang standen sie so da, Bauch an Rücken, Daumen auf Haut, und genossen die Stille.

„Schaffst du es bis zum Frühstück zurück?“

Statt sofort zu antworten, schloss Draco die Augen. Der knappe Faktencheck, den er in Gedanken durchging, ließ nichts gutes erahnen – die fehlenden Details, die Forderung nach der Ausrüstung, der Umstand, dass Graves explizit ihn angefordert hatte und nicht einfach den Bereitschaftsmagier.

Verdammt, er wusste nicht einmal, welcher Graves ihn angefordert hatte.

Die Graves waren eine alte Familie, wenn auch nicht halb so reinblütig, wie sie es hätten sein können. Die Arbeit für die Strafverfolgungsbehörde war für sie so etwas, wie eine Familientradition. Bereits sein Vater hatte mehr Graves gekannt, als gut für einen Malfoy mit zwielichtigen Absichten gewesen war. Draco hingegen hatte es sich zwar mit keinem von ihnen verscherzt – noch nicht – doch er hatte irgendwann nach dem Gamotrichter aufgehört, den Stammbaum weiter verfolgen zu wollen.

Das Bedürfnis, Abercrombie in ein unbewachtes Zaubertrankset laufen zu lassen, wurde stärker – Nein.

Es brachte nichts, jetzt aus der Haut zu fahren. Ohnehin würde es viel befriedigender sein, den kleinen Gryffindortroll bei nächstbester Gelegenheit auflaufen zu lassen. Bevorzugt genau dann, wenn es richtig weh tat.

Die ersten, vagen Pläne bereits im Hinterkopf, drehte er sich um. Astoria lächelte, doch in ihren Augen spiegelte sich bereits die Antwort, die er ihr geben musste.

„Ich versuche es, Tori. Ich versuche es.“

Sie nickte ergeben. Längst kannten sie beide die Nächte viel zu gut, die Draco bis zum Morgen, manchmal bis zum Dienstbeginn der Spätschicht, damit verbrachte, getrocknete Pilze zu analysieren, Zauberstäbe auf ihre letzten Zauber zu kontrollieren und die sterblichen Überreste des letzten, schwarzmagischen Duells aus einer dunklen Seitengasse zu kratzen. (Und das beinhaltete noch nicht die drei Mumien, die sie vor ein paar Monaten von Zachary Rosiers Dachboden geholten hatten.)

Einen Moment lang zögerte er, dann hob er die Hand. Behutsam strich er die Falten, die Astorias Nachthemd auf ihrem Oberarm warf, glatt. Er bemühte sich um ein Lächeln.

„Wenn ich es nicht schaffe, bringe ich dir dein Lieblingslamm vom Kroaten zum Mittag mit. Ist das ein Deal?“

Ihre Blicke trafen sich. Es war keine bessere Laune, die in Astorias Augen funkelte, doch es war so nah dran, wie es nach einem Aurorenbesuch sein konnte.

„Nur, wenn du auch Čupavci mitbringst.“

Abercrombie


 

21. Dezember 2005

03:53 Uhr

Silversteen Farm; Apparationsplattform

North Bovey

Devon

 

 

Die Apparationsweiche war ein neuartiger Zauber, entwickelt und veröffentlicht von einer gewissen Seraphine Straightway. Ihre Funktionsweise glich insofern der einer Apparationsbarriere, indem sie Magier aufspürte, die an einen bestimmten Ort zu apparieren versuchten. Statt jedoch den Versuch abzublocken, zwang die Weiche dem Magier einen festgelegten Zielplatz auf. Dadurch erlaubte sie nicht nur, das Apparieren für bislang unzugängliche Areale (Hogwarts, die Winkelgasse, das Schlafzimmer des amtierenden Zaubereiministers, etc.) freizugeben – er sorgte auch für ein paar der fulminantesten Zersplinterungen des neuen Jahrtausends.

Kurzum:

Die Betreiber der Winkelgasse liebten die Weiche.

Das Ministerium liebte die Weiche.

Und die Silversteenfarm tat es auch.

Die Weiche der Farm erwischte ihn eiskalt. Noch bevor Draco sich auf dem Farmgelände materialisieren konnte, spürte er das Kribbeln der fremden Magie.

Dann griff der Zauber nach ihm, dirigierte erst sanft, zerrte, als er sich wehrte-

Sein Sog war so stark, dass es ihm den Magen umdrehte. Für ein Abbrechen der Apparation war es da längst zu spät, Draco konnte sich nur auf die Lippen beißen und hoffen. Hoffen, nicht auf Abercrombie zu landen. Hoffen, sich nicht zu zersplintern. Hoffen, nicht zu kotzen.

Der feste Boden unter seinen Füßen kam so unvermittelt, wie die Apparationsweiche selbst. Der Aufprall jagte ihm einen stechenden Schmerz bis hoch in die Knie und ließ ihn taumeln. Einen Augenblick lang rang Draco mit seinem hastig heruntergeschlungenen Toast, dann war er sich zumindest sicher, dass sein Magen noch war, wo er hingehörte.

Ein paar sehr gequälte Atemzüge später wusste Draco wieder, warum er der guten Seraphine eine Teufelsschlinge für ihren Zengarten schenken wollte.

Immer noch schwer atmend wischte er sich über den Mund.

Er musste nicht aufsehen, um zu wissen, wo er gelandet war. Irgendwo zwischen dem Beinahe-Verlust seines rechten Nasenflügels und den Steinfliesen des Apparationsplatzes war die Galleone gefallen.

Trotzdem sah er auf – und tatsächlich.

Keine zehn Meter vor ihm türmte sich über dem Eingang der Farm das Logo auf, das sich seit der Weihnachtsfeier der Strafverfolgungsbehörde in Dracos Erinnerung gebrannt hatte.

Was während der Öffnungszeiten in allen Farben des Regenbogens funkelte, wirkte jetzt, mitten in der Nacht, abgegriffen und fahl. Die Lettern über dem Tor, jede einzelne von ihnen mehrere Fuß hoch und aus massivem Eisen, glommen wie sterbende Muggelleuchtröhren. Einige der Buchstaben, die, bei denen die Leuchtzauber stärker nachgelassen hatten, flackerten gegen den finsteren Himmel, andere fehlten ganz. Kombiniert mit Dreck, Rost und letzten Fetzen magischen Nebels machten sie aus einem familienfreundlichen Namen etwas, das sich wie i ce‘s c ards – M icals Breasts n Ente aint men las.

Draco fand es eigentlich ganz passend.

Passend zumindest für das, was diese dumme Farm verdient hatte. Eigentlich, das wusste Draco, hätte es ihm schon wie Drachenschuppen von den Augen fallen müssen, als der Auror die Adresse ausgespuckt hatte.

Eine Muggel-Adresse.

Mitten in Dartmoor.

Pah.

Nichts als Hügel, Moore und magische Spielereien, auf die Draco dankend verzichtet hätte, hätte man ihm die Wahl gelassen. Da waren das Stadium der 422. Quidditch-Weltmeisterschaft, in dem es mittlerweile spukte, das Monument von Elisabeth Smudgling, unter dem alle sieben Jahre der Duellwettstreit von 1379 nachgestellt wurde, und diverse Tümpel voller Kelpies.

Und die Silversteen Farm? Nichts geringeres, als der einzige Vergnügungspark mit Zoo und drei Werwolfwelpen von ganz Magisch-England.

Circe‘s Backyards – Magical Beasts and Entertainment.

Pah.

Magical Beasts and Entertainment ihn mal am Hippogreifhintern.

Das unbeaufsichtigte Zaubertrankset, so schwor Draco sich, während er die ersten wackeligen Schritte von der Apparationsplattform machte, war noch viel zu gut für Abercrombie.

Der kleine, miese Flubberwurm hatte ihn gelinkt.

Ihn ohne Vorwarnung in eine Apparationsweiche laufen zu lassen, dafür verdiente er keinen explodierenden Trank. Dafür verdiente er mindestens ein Pergament am großen Zeh und einen Aufenthalt in einer von Tripes Kühlk-

Draco stockte.

Dort, wo eben nur ein massives Eisengitter zu sehen gewesen war, stand plötzlich eine Gestalt, groß und dunkel.

Sie winkte.

In der Dunkelheit erkannte Draco sein Eulengesicht nicht, doch er wusste auch so, dass es Abercrombie war, der dort auf ihn wartete – und das nicht nur, weil er sich angekündigt hatte. Der Überschwang in seinen Bewegungen sprach für sich.

Aufputschtränke.

Es war nicht mal eine Frage, dafür kannte Draco die Anzeichen mittlerweile gut genug. Der unruhige Blick, schon in seinem Kamin in Wandsworth, die überschüssige Energie, die ihn nicht einmal bei fünf Grad unter Null still stehen ließ.

Betont langsam und mit so viel Würde, wie er nach der Apparationsweiche aufbringen konnte, trat Draco schließlich auf den Auroren zu – und erhobenen Hauptes an ihm vorbei.

Im Augenwinkel spähte er nach weiteren Anzeichen für den Substanzmissbrauch, doch der Leuchtzauber des Logos über ihm war zu schwach, um die charakteristischen Schweißausbrüche auf Stirn und Wangen ausmachen zu können.

Anschwärzen würde er ihn trotzdem.

„Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Apparation, Mr Malfoy?“

Oh und wie er ihn anschwärzen würde.

Nur kurz warf Draco dem Auroren einen knappen Blick zu. Abschätzig, missbilligend, ganz so, wie er es von seiner Mutter gelernt hatte. Ohne weiter auf die Floskel zu reagieren – und mehr als eine Floskel war es nicht, denn für einen Gryffindor wie Abercrombie war Draco immer noch so etwas wie ein Erzfeind, auch wenn der Auror ihn gerade anstrahlte wie eine Fee am Weihnachtsbaum – schritt Draco weiter.

Den Weg verfehlen konnte er, auch ohne Abercrombie, nicht – es gab nur einen. Zwischen saftig grün gehexten Wiesen schlängelte er sich an den Kassenhäuschen vorbei und weiter auf das eigentliche Gelände der Backyards.

Hinter ihm hörte er, wie Abercrombie sich in Bewegung setzte.

„Warten Sie auf mich, Mr Malfoy!“, rief er ihm nach, während unter jedem seiner Schritte Schotter knirschte. „Das hier ist ein Tatort!“

„Das hier sind Kassenhäuschen, Constable“, antwortete Draco unwirsch.

Und sehr gewöhnliche obendrein, wenn man von dem Getränkeautomaten, der auch mitten in der Nacht im Circe's Backyards-Design leuchtete, absah. Schwer beschäftigte Auroren bemerkte Draco jedenfalls nicht. Er sah ja nicht einmal Flatterband.

„Ich meine Circe's Backyards an sich, Mr Malfoy“, verbesserte sich Abercrombie, der mittlerweile zu ihm aufgeschlossen hatte. „Hier hat ein schwarzmagisches Verbrechen stattgefunden. Der Täter könnte immer noch vor Ort sein. Meine Kollegen durchsuchen gerade jeden Winkel des Geländes-“

„Sicher, dass sie nicht nur die Restbestände von der Weihnachtsfeier suchen?“

Der Einwurf brachte Abercrombie, zumindest kurzzeitig, aus dem Konzept. Wenn er cleverer war, als Draco ihm gerade zugestand, fragte er sich vermutlich, welche Restbestände Draco meinte. Die Weihnachtsfeiern der Strafverfolgungsbehörde waren beinahe so berüchtigt dafür, keine Restbestände übrig zu lassen, wie sie es für besonders abenteuerliche Zersplinterungen, Flohpulverunfälle aller Art und illegale Duelle auf dem Damenklo waren.

„Meine Kollegen gehen gewissenhaft ihrer Arbeit nach“, antwortete der Auror schließlich. Endlich hörte Draco die Empörung in seiner Stimme, die er bereits seit Abercrombies Auftauchen in seinem Kamin erwartete. „Keiner von ihnen sucht hier nach Alkohol!“

„Haben Sie das bereits geprüft?“

„Mit allem Respekt, Mr Malfoy, so etwas muss man nicht prüfen!“

„Die Aurorenprüfungen laufen nicht so gut, oder?“

In seinem Augenwinkel öffnete Abercrombie den Mund. Kein Ton kam heraus. Draco konnte der Empörung förmlich dabei zusehen, wie sie verpuffte.

Möglichst desinteressiert – und äußerst zufrieden mit sich selbst – blickte Draco fort, zu dem Gehege, das sie gerade linker Hand passierten. Düster erinnerte er sich daran. Tagsüber weideten auf den Wiesen hinter dem Zaun Einhörner. Während der letzten Weihnachtsfeier hatte Michael Corner dem sprichwörtlich Regenbögen kotzenden Einhorn ganz neue Bedeutungen verliehen.

Draco erlaubte sich ein dünnes Lächeln, nicht wegen der Kotze.

„Also, Constable“, fuhr er fort, bevor Abercrombie seine Geste mit fadenscheinigen Ausreden relativieren konnte. „Wo ist Graves?“

„Ich-“, Abercrombie stockte, während er den erneuten Themenwechsel verarbeitete, „Ich werde Sie zum Tatort führen, Mr Malfoy.“

Missbilligend blickte Draco über seine Schulter.

„Ich wiederhole mich ungern, Constable, aber: Wo ist Graves?“

„Wie ich Ihnen bereits erläutert habe, ist nicht auszuschließen, dass der Täter sich noch auf dem Gelände befindet. Es wäre unverantwortlich, Sie nicht zu begleiten, Sir-“

Erneut sah Draco zu dem Auror, lang genug dieses Mal, damit dieser seinen Blick nicht nur wahrnahm, sondern ihn auch als ätzend empfand. Als er sich sicher war, dass er die gewünschte Aufmerksamkeit hatte, seufzte er, möglichst theatralisch.

„Constable, sagen Sie“, fragte er schleppend, „haben Ihre Kollegen Ihnen eigentlich je erzählt, dass einer Ihrer Vorgänger mich einmal in die Trainingshalle ihrer Abteilung gesperrt hat? Sie wissen schon, diese Halle, durch die man Sie jeden Morgen jagt, um sie auf Ihr Leben als Fluchschädenfutter vorzubereiten? Die mit dem Hindernisparcours, den Flüchen aus dem Hinterhalt und den Möbeln, die Sie in einen Koala verwandeln, wenn Sie sie berühren?“

Abercrombie erwiderte seinen Blick. Draco konnte förmlich sehen, wie er nach dem Haken an der Frage suchte.

„Nein“, gestand der Auror schließlich. „Aber ich verstehe Sie nicht. Was hat das mit der aktuellen Situation zu tun?“

„Nun, ich“, er legte sich die Hand auf die Brust, „bin noch hier. Ihr Vorgänger ist es nicht. Also, wo ist Graves?“

Abercrombie starrte ihn einen Moment lang an, dann verstand er die Botschaft – und hoffentlich auch die Warnung, es dem unglückseligen Trainee niemals nachzutun. Die Ausbildung zum Alchemisten mochte Draco nicht nur zu einem herausragenden Zaubertrankbrauer gemacht haben, sondern auch zu einem deutlich besseren Duellanten, aber auf einen zweiten Überraschungsausflug in diese verdammte Halle konnte er getrost verzichten.

„Bei den Golden Caves, Mr Malfoy.“

Graves


 

21. Dezember 2005

04:11 Uhr

Circe‘s Backyards; bei den Golden Caves

North Bovey

Devon

 

 

 

Bei den Golden Caves handelte es sich um eine Reihe von Gehegen, eingebettet in einen magisch konstruierten Miniaturberg. Während der Öffnungszeiten glänzten und funkelten die einzelnen Caves wie magisches Gold, doch in der Nacht glommen sie nicht einmal.

Wie erwartet sah Draco sie dennoch bereits von Weitem.

Insofern keine äußerste Geheimhaltung von Nöten war, neigten die Angestellten der Magischen Strafverfolgungsbehörde dazu, nächtliche Tatorte bis in den letzten Winkel auszuleuchten, und Auroren waren keine Ausnahme.

Auch bei den Golden Caves hatte längst jemand seine Leuchtzauber gesprochen. Das gesamte Areal strahlte heller als der Tower bei Nacht. Der magische Schnee, der Circe's Backyards bereits seit Anfang Dezember in ein Winterwunderland verwandelte, verstärkte den Effekt noch. Wie ein weiter, weißer Spiegel reflektierte er die Leuchtzauber in jede noch so entlegene Ecke.

Selbst wenn Draco gewollt hätte, er hätte sich nicht in den Schatten zu den Caves schleichen können. Es gab schlicht keine Schatten.

Um den Lichtkreis schlängelte sich das typische, violett und weiß gestreifte Flatterband der Strafverfolgungsbehörde. In dem perfekten Kreis, das es um die Anlage bildete, konnte er die ersten echten Auroren ausmachen. Auf Anhieb zählte Draco fünf von ihnen. Zwei Magier in der offiziellen Uniform der Aurorenzentrale untersuchten gerade etwas, das ein Mitarbeitereingang sein musste. Etwas weiter links, bei einer der Bänke, von denen die Besucher tagsüber irgendwelche niedlichen Tierwesen beobachten konnten, redete eine Gruppe von Magiern miteinander, doch nur zwei von ihnen waren uniformiert. Ein letzter Auror, vermutlich ein Trainee, hetzte schließlich einem kleinen, schwarzen Fleck hinterher.

Leider schrie keiner von ihnen bereits auf zwanzig Metern Entfernung: „Hallo, ich bin ein Graves!“

Gut, den Vermutlich-Trainee konnte er sicher ausschließen – und das nicht nur, weil der Vorsprung des Flecks immer großer wurde. Trotzdem wäre ihm wohler gewesen, hätte er die zierliche Silhouette von Valeska Graves bei dem Bank-Grüppchen gesehen. Selbst mit Nenad Graves – soweit er wusste Valeskas jüngerer Bruder und kein Freund seiner verblichenen Tante Bellatrix – hätte er sich arrangieren können. Irgendwie.

Doch ein Graves, den er nicht kannte? Das bedeutete selten etwas Gutes.

Vor allem nicht, wenn besagter Graves seinen Namen und seine Anstellung gut genug kannte, um ihn an einem Mittwochmorgen um halb vier aus dem Bett werfen zu lassen. Wallace Graves, der diese Nummer bereits vor drei Jahren abgezogen hatte, war ein Albtraum für sich gewesen. Das er Richter beim Gamot war, machte es nicht besser.

Doch auch ihn konnte er nicht unter den anwesenden Gestalten ausmachen.

Dracos Stimmung, die sich dank der letzten Sticheleien deutlich gebessert hatte, sank zurück Richtung Gefrierpunkt. Unbegeistert ließ er Abercrombie den Vortritt, als sie das Flatterband erreichten. Das jedoch gab dem Auroren, der nach dem letzten Seitenhieb auffällig interessiert an den Gehegen am Wegesrand und auffällig uninteressiert an weiterem Smalltalk geworden war, offenbar die gute Laune zurück.

„Hier entlang, Sir!“

Mit mehr Elan, als um vier Uhr nachts angemessen war, hob er das Flatterband hoch genug, damit sie beide bequem darunter hindurch gehen konnten.

Draco spürte die Magie des Bandes wie einen kalten Schauer auf seiner Haut, kaum, dass er unter dem Band hinweg trat. Er hasste dieses Gefühl, hatte es schon seit seinem ersten Tag bei der Strafverfolgung gehasst, doch Abercrombie ließ es völlig kalt. Unbeirrt steuerte er auf das Trüppchen bei der Bank zu und Draco blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
 

 
 

* * *

 

Inspector Graves, so stellte sich heraus, war ein Mann um die Dreißig und ging Draco vielleicht bis zum Kinn. Er trug sein dunkles Haar kurz, seine Uniform eher praktisch als offiziell und seinen Zauberstab in einer Halterung unter dem linken Ärmel.

Leider stellte Inspector Graves sich auch als ein bekanntes Gesicht heraus. Also bekannt wie in Eigentlich hatte ich nach der letzten Weihnachtsfeier gehofft, dir nie im Dienst zu begegnen-bekannt.

Allein der Blick, den der Auror ihm über seine Schulter hinweg zuwarf, genügte, um Erinnerungen an eben jene Feier wachzurütteln. Erinnerungen an Gawain Robards Jahresrückblick, an Butterbierphilosophien, Shacklebolt-Witze und die Flucht vor Harry Ich-vermehre-mich-schneller-als-ein-Wiesel Potter. Erinnerungen an die Wette mit Michael Corner und alles, was dadurch den Regenbogen runter gegangen war.

Gerne hätte Draco sie alle dem nächstbesten Einhorn in den Rachen gestopft, doch das war genauso unmöglich, wie es das Ausweichen auf einen anderen Gesprächspartner war. Die einzige andere Aurorin der Gruppe war ausgerechnet Romilda Vane, für die Draco standardmäßig nicht einmal den Elan aufbrachte, sie Constable zu nennen. Bei den anderen beiden Anwesenden handelte es sich um Teenager: Ein Junge mit grünen Haaren und coolem Lederumhang und ein Mädchen mit Muggeljeans und safrangelbem Hijab. Beide waren eindeutig Zivilisten.

Alle drei waren eindeutig keine Alternative.

„Morgan“, würgte Draco schließlich hervor, das Gewieher von Einhörnern wieder halb im Ohr und den Geschmack von Irdessa‘s Best Rainbow Liqueur auf der Zunge.

Erst jetzt drehte Graves – Morgan – sich um. Die Bewegung gab den Blick frei auf einen Becherhalter, den er auf seiner rechten Hand balancierte. In zwei der vier Halterungen steckten Pappbecher mit Circe's Backyards-Logo. Zwei weitere Becher entdeckte er in den Händen der beiden Teenager, Vane hatte auch einen. Die düstere Erinnerung an die Getränkeautomaten, die der Betreiber der Backyards an jeder Ecke aufgestellt hatte und an denen die Besucher ein paar Sickel gegen abstruse Heißgetränke eintauschen konnten, nagte an ihm, doch Draco fragte nicht nach, erwiderte nur Graves Blick.

Einen Moment lang taxierten sie einander, beide auf der Suche nach dem Status Quo. Dracos Suche endete bei ihrer Begegnung auf dem Herrenklo und bei Fragen, die er besser nicht gestellt hätte. Ob Morgans Suche bei der gleichen Begegnung endete, war schwer zu sagen – in seinen braunen Augen funkelte es unheilverkündend.

„Draco“, erwiderte er schließlich. „Du bist schneller, als ich erwartet hätte. Und ganz in weiß, wunderbar.“

Draco verkniff sich das theatralische Seufzen. Stattdessen breitete er die Arme aus, um seinen Umhang zu präsentieren. Angesichts der Leuchtzauber wirkte er in dem Ding sicher blendend. Er hoffte, es tat weh.

„Genau wie bestellt“, antwortete er, ließ dann aber die Arme sinken. „Wenn du Albinowitze machen willst, tu es gleich.“

Morgan zog die Augenbrauen hoch.

„Albinos? Ich dachte, die Pfaue deines Vaters sind keine Albinos? Auch wenn der Rest passt – weiß und bissig, das waren sie doch, oder?“

Vage war Draco sich der Blicke der übrigen Anwesenden bewusst. In seinem Augenwinkel stellte Vane ihren Pappbecher ab. Abercrombie senkte seinen Zauberstabarm. Die beiden Teenager starrten sie an, als würde zumindest einer von ihnen jeden Augenblick explodieren.

Tatsächlich dachte Draco nicht daran, ihnen den Gefallen zu tun – er erkannte ein Friedensangebot, wenn man vor seiner Nase damit herumwedelte. Darauf zu verzichten, ihn ein Frettchen zu nennen, war eines.

„Sie beißen nicht, sie picken.“

„Ist mir einerlei, solang sie nachtaktiv sind.“

„Sind sie nicht“, gab Draco zurück, auch wenn er eigentlich keine Ahnung vom Tagesrhythmus eines Pfaus hatte. „Sie haben Spätschicht und können nachts nur auf Koffeinbasis existieren.“

„Wenn das so ist-“ Unzeremoniell hielt Morgan ihm den Becherhalter mitsamt Circe's Backyards-Albtraum entgegen. „Nimm dir einen. Vane, sag White, sie soll unsere Zeugen in die Zentrale bringen. Abercrombie, hilf Harper mit den Viechern. Oh und wenn die Presse hier auftaucht … sorgt dafür, dass sie nicht hier auftaucht, verstanden?“

Vane murmelte etwas, das nur entfernt wie „Ja … Sir“ klang. Sich in ihr Schicksal fügend griff sie nach ihrem Pappbecher und dirigierte die beiden Teenager in die Richtung, in der sich ihre Kollegin befinden mochte, davon.

Abercrombie hingegen blieb stehen, wo er war. Draco sah ihm und dem Blicktausch mit seinem Vorgesetzten nur nicht zu, weil er immer noch die beiden Pappbecher in Morgans Hand anstarrte.

„Ja, Abercrombie?“, hörte er Morgan fragen, während er in Gedanken die Angebotsliste der Getränkeautomaten durchging.

„Ich- Ist es nicht Aufgabe der Beast Division, sich um die entkommen Tierwesen zu kümmern?“

Stille antwortete ihm. Sie war zum Schneiden dick und so düster, das Draco davon absah, einen spitzen Seitenhieb bezüglich Morgans Heißgetränkewahl dazwischen zu werfen. Abercrombie war nicht so clever. Todesmutig, wie der Gryffindor, der er war, plapperte er weiter.

„Meine Ausbildung ist fast abgeschlossen, Sir. Sollte ich Sie nicht begleiten? Ich meine, ich könnte-“

Mit jedem Wort aus Abercrombies Mund verfinstere Morgans Blick sich weiter. Draco kannte sein Hogwartshaus nicht, doch bei dem Gewitter, das sich hinter seiner stoischen Miene zusammenbraute, blieben nicht viele Möglichkeiten. Entweder, entschied er, war er ein ehemaliger Slytherin oder aber ein sehr, sehr verärgerter Hufflepuff.

Als Morgan dem Trainee schließlich ins Wort fiel, hob er seine Stimme nicht. Es war auch gar nicht notwendig – die Drohung klang leise deutlich wirkungsvoller, als sie es gebrüllt je hätte tun können.

„Du kannst Potter begleiten, wenn er wieder etwas hört. Bis dahin wirst du diesen Zoo zusammentreiben, wenn du nicht willst, dass der Snitchnip dort drüben mit dir den Platz tauscht. Haben wir uns verstanden, oder muss ich mich auf Troll wiederholen?“

Abercrombie öffnete den Mund, doch der Protest blieb aus. Ohne ein weiteres Wort hastete er davon.

Sie sahen ihm beide nach.

„Und was ist mit dir?“, hörte er Morgan schließlich fragen. „Nimmst du dir jetzt einen?“

Auffordernd hob er den Becherhalter noch etwas weiter an. Einer der beiden Becher kam Draco dabei nah genug, dass er schielen musste, wenn er auf das Logo sehen wollte. Wollte er nicht. Skeptisch blickte er über den Deckel des Gefäßes.

„Was ist da drin?“, fragte er, während er nach dem Becher griff.

„Schwarzer Tee.“

„Und was sonst noch?“

„Lass dich überraschen?“

Wider besseren Wissens löste Draco den Becher aus seiner Halterung. Skeptisch schnüffelte er an der kleinen Öffnung, durch die er den Tee hätte trinken können. Er roch vieles, aber sicher keinen harmlosen Schwarztee. Ein fruchtiges Aroma kroch ihm in die Nase und er war sich sicher, Zimt zu riechen.

Langsam ließ er den Becher sinken.

„Er hat mehr Aufputschtränke intus, als die Ravenclaws meines Jahrgangs bei ihren OWL zusammen.“

Ohne noch einmal in die Richtung zu blicken, in die Abercrombie verschwunden war, setzte Morgan sich in Bewegung. Trotz ihres Größenunterschieds, der eindeutig zu Dracos Gunsten ausfiel, hatte er Probleme, mit dem Auroren mitzuhalten.

„Du weißt das. Ich weiß das …“, antwortete Morgan, während er auf den nächsten Personaleingang zusteuerte. Er klang nicht sonderlich beeindruckt. „Selbst Vane weiß das …“

„Aber?“

Morgan zuckte mit den Achseln. „Er ist Potters Trainee.“

„Wo ist dann Potter?“

„Auf dem Konzert meines Bruder, Merton. Das große Weihnachts-Benefizkonzert, blah, blah, blah. Gerüchten zufolge hat er noch kein Weihnachtsgeschenk für seine reizende Gattin und sie fliegt auf die Weird Sisters.“

Draco öffnete den Mund, verkniff sich den Kommentar dann doch. Er wusste nicht, was ihn mehr irritierte – dass Morgan nicht nur gefühlt mit der halben Strafverfolgungsbehörde verwandt war, sondern auch mit Cellist der angesagtesten Wizard Rock-Band Englands, oder das Potter seine Position in der Aurorenzentrale ausnutzte, um sich Autogramme und Merchandise zu erschleichen.

Wobei, nein, letzteres irritierte ihn mehr.

„Wenn Potter seine Nachtschicht gerade damit verbringt, so zu tun, als hätte er Backstage-Pässe, warum ist sein Trainee dann hier?“

Morgan machte ein Geräusch, das sich verdächtig wie ein Tsk anhörte.

„Es ist sein drittes Jahr. Du weißt schon-“ Mit einer knappen Bewegung löste Morgan den letzten Becher aus der Papphalterung. Ohne ihr weitere Beachtung zu schenken, warf er die Halterung in den nächstbesten Mülleimer, den sie passierten. Es war kein sonderlich sauberer Wurf und wäre sicher daneben gegangen, hätte der Mülleimer nicht just in diesem Moment eine lange, grüne Zunge ausgestreckt. Geschickt fischte sie die Pappe aus der Luft, schmatzte, dann schloss sich die Öffnung des Eimers.

Über die langsam leiser werdenden Kaugeräusche hinweg fuhr Morgan fort: „Es ist sein letztes Jahr. Das Jahr, in dem man die herausragend ausgebildeten, neuen Kräfte der Zentrale in die weite, britische Welt hinaus schickt, damit sie Erfahrungen machen, echte Schwarzmagier sehen und lernen, welchen Vorgesetzten sie den guten Assam bringen.“

Erneut schnüffelte Draco an seinem Tee. Nein, das war kein Assam – und erst recht kein Guter.

„Das heißt, entweder, er lernt jetzt schwimmen und wird Auror oder-“

„Er geht unter wie ein Stein.“

Hinter ihnen rülpste der Mülleimer zufrieden.
 

 
 

* * *

 

Der Teebecher, den Morgan ihm aufgenötigt hatte, war verhext. Draco spürte es erst, als sie das erste Gehege nah genug passierten, um die Feen darin erkennen zu können, die auf ein paar halb kahlen Ästen hockten und träge mit den Flügeln schlugen. Zu Beginn war es nur ein leichter Impuls, kaum mehr als ein Ziehen in der Hand. Nur die Idee, das Bedürfnis, es Morgan gleich tun und an seinem zu Tee nippen. Ein paar Schritte später kam die Gewissheit hinzu, dass der Tee ihm schmecken würde.

Als sie das nächste Gehege erreichten, war er sicher, zu wissen, welcher Zauber dahinter steckte. Eigentlich nur ein plumpes Stück Magie, das Verkäufer gern verwendeten, um Kunden zum Kauf zu animieren, und natürlich illegal. Und obwohl er es wusste, brachte Draco es da schon nicht mehr über sich, den Becher einfach in den Schnee zu stellen und zu tun, als habe er nie existiert.

Missmutig starrte Draco in die Gehege zu seiner Linken, auch wenn ihn weder Snitchnips noch Pixies sonderlich interessierten. Er stellte lediglich fest, dass der goldene Glanz fehlte, in denen die einzelnen Caves während der Öffnungszeiten erstrahlten. Und nicht nur der Glanz fehlte – aus dem Nifflergehege hatte man auch die Münzen entfernt, die die Besucher tagsüber durch einen Schlitz im Glas ins Gehege werfen konnten.

Alles in allem passte das, befand er. Nicht nur zu dem Bild, das Draco von Circe's Backyards hatte, sondern auch zu dem Schweigen, das sich zwischen ihm und seinen Begleiter ausgebreitet hatte.

Jetzt, da alles über Abercrombie gesagt war, was gesagt werden musste, war auch die Gewissheit wieder da, das er ihren neuen Status Quo nach der Sache auf der Herrentoilette noch immer nicht kannte. Es ließ seine Gedanken wandern – zu den Gesprächen vor der Wette, zu seinen dummen Fragen, zu Tee-

Zu spät ertappte er sich dabei, wie er nippte. Flüssigkeit ran über seine Lippen, dann über seine Zunge. Vage spürte er Morgans Blick auf sich – dann schmeckte er. Zuerst war da Sahne, viel zu viel davon, und viel zu süß. Schwach folgte das Aroma von Tee, darunter Gewürze, noch mehr Sahne und dann – Orange. Beinahe, als hätte er statt an Tee an Saft genippt und zwar an dem Billigzeug aus dem Muggelsupermarkt. Draco tat das erste, das seinen Geschmacksknospen einfiel – er spuckte.

Orangensafttee sprühte über seine Kleidung und über die Glasscheibe des Geheges. Nur von seinem Umhang perlte das Zeug ab. Hinter sich hörte er Morgan lachen.

Draco ignorierte den Blick. Ohne weiter auf die Spritzer auf seinem Ärmel zu achten, wischte er sich über den Mund.

„Du bist immer noch sauer“, stellte er fest, den Blick nicht auf Morgan gerichtet, sondern auf den Niffler hinter der Scheibe. Das Tier lag auf einem der Felsen, die man in seinem Gehege arrangiert hatte und wirkte ohne die Münzen, in denen es normalerweise spielte, seltsam verloren. Als es die hellen Spritzer bemerkte, die auf der Gehegescheibe glitzerten, sah es auf.

Hinter sich hörte er Schritte im Schnee. In der Spiegelung der Scheibe konnte Draco nur erahnen, wie Morgan hinter ihm die Arme vor der Brust verschränkte. Vor ihm war der Niffler von seinem Felsen gekrochen und patschte mit seinen Pfoten nach den glitzernden Tropfen.

„Wenn du kein Stillschweigen bewahrst“, verkündete er, „werde ich dich in einen Niffler verwandeln, dir ein buntes Schleifchen umbinden und dich den Weasleys zu Weihnachten schenken.“

Jetzt drehte Draco sich doch um, entgeistert. Er suchte nach einem Anzeichen dafür, dass Morgan seine Worte nicht ernst meinte, doch der war Auror – seine Mimik verriet nichts.

„Bitte … was?“

Zur Antwort schüttelte Morgan den Kopf. Als er schließlich aufsah, war das Funkeln von vorhin zurück.

„Das wollte ich dir sagen, nachdem du sämtliche Bitte nicht stören-Zauber ignoriert hast und in diese dämliche Klo geplatzt bist.“

Draco öffnete den Mund. Es gab viele Dinge, das er in diesem Moment sagen wollte. 'Es tut mir Leid' war eins davon, 'Das ganze Gelände war voller Magier, die alle möglichen Türen versperrt haben, ich konnte doch nicht ahnen, dass diese eine Tür ernst gemeint war!' ein anderes.

„Also wirklich, was erwartest du denn? Ich hatte Regenbogenkotze auf meinem besten Umhang! Das Zeug ist überall durchgesifft. Selbst meine Unterhose hat immer noch bunte Streifen!“ gehörte nicht dazu, machte aber trotzdem das Rennen.

Einen Augenblick lang starrten sie einander an.

Morgans Mundwinkel zuckten. Das Amüsement spiegelte sich in seinen Augen.

„Sag nicht, du trägst das Ding immer noch.“

Draco spürte, wie er rot wurde.

„Nein, tue ich nicht“, murrte er. Um den Umhang war es immer noch schade, doch Draco hatte nicht vor, dieses Thema weiter zu vertiefen. Er ahnte, dass er seinem Gegenüber damit nur noch mehr Munition geben würde.

„Du weißt“, sagte er stattdessen, „dass Mafalda Hopkirk sieben verschiedene Tränke schluckt, um in ihrem Alter noch Mal schwanger zu werden und dass Phoebus Penrose sich neuerdings mit Alihotsywurzeln einreibt, damit er besser bei den Hexen im Büro nebenan ankommt? Oder Dawlish sich Doxykot ins Haar schmiert, weil er glaubt, das würde gegen seine Geheimratsecken helfen?“

Morgans Blick sprach Bände – zumindest, was den Doxykot anbelangte.

„Ich weiß es“, fuhr Draco ungerührt fort. „Und weißt du, woher ich das weiß? Ich rieche es.“

Natürlich war das nur ein Teil der Wahrheit. Wenn man darauf angewiesen war, die Stimmung der Menschen in seinem Umfeld zu kennen, bevor sie einen an den Karren pissten, schnappte man irgendwann einfach Dinge auf.

Fakt war aber auch: Wenn man lange genug in der Rechtsmagie arbeitete, magische Objekte analysierte und Tränke braute, machte das irgendwann spannende Dinge mit einem. Mortimer Tripe, das wusste Draco von Priam Scamander, hatte nach zu vielen Doppelschichten im Tranklabor seinen Geschmackssinn komplett verloren. Priam selbst sah bestimmte Aromen neuerdings als Farben. Und Draco … allen schlechten Frettchenwitzen seiner Kollegen zum Trotz roch Draco Dinge.

Morgan sah ihn in etwa so entgeistert an, wie Draco seinerzeit die halb verblassten Narben auf Morgans Brust. Im Gegensatz zu Draco stellte er keine unangemessenen Fragen.

„Ich meine das wörtlich“, fuhr Draco fort, vielleicht um ihm doch noch die Chance zu geben, sich zu revanchieren, vielleicht auch nur, um sich selbst zu rechtfertigen. „Ich rieche dein Testosteron, ich rieche Hopkirks Aphrodisiaka und bei Merlin, ich rieche diese Doxyscheiße.“

„Okay“, verkündete Morgan schließlich, „Du hast gewonnen.“

Das Geständnis fühlte sich an, wie ein erster Schritt auf festen Boden. Draco gönnte sich ein zufriedenes Lächeln.

„Ich bin nicht auf Tierwesen spezialisiert, aber das weißt du sicher“, wechselte er das Thema, bevor einer von ihnen die Gelegenheit nutzen konnte, den Status Quo erneut zu kippen. „Also, warum bin ich hier?“

„Oh, ich weiß nicht.“ Morgan grinste unheilvoll. „Sag du es mir.“

Silversteen


 

21. Dezember 2005

04:22 Uhr

Circe‘s Backyards; in den Golden Caves

North Bovey

Devon

 

 

Niemand hatte sich getraut, in dem Lagerraum ganz am Ende des Personalflures auch nur einen Lichtzauber zu sprechen, der heller war, als ein Lumos. Der ganze Raum stank. Der Geruch von schwelendem Holz kroch ihm in die Nase, noch bevor Morgan ihm die Tür geöffnet hatte, gefolgt von Schwefel, verbrannten Kräutern und angesengter Baumschlangenhaut. Doch all das ging einen Moment später, als er den Raum betrat, in einem ganz anderen Aroma unter – Tierkot. Es war bestialisch. Drei Schritte in den Raum genügten, um ihm den Atem zu nehmen, drei weitere, um seine Augen tränen zu lassen.

Im kläglichen Licht ihrer Zauberstäbe flackerten die Schatten an den Wänden. Erst auf den zweiten Blick sah Draco die Käfige, die sich an der gegenüberliegenden Wand stapelten. Leere Käfige. Käfige voll mit Stroh, das selbst im Lumoslicht fleckig wirkte. Käfige, deren Gitter unter grober Gewalteinwirkung geborsten sein mussten. Und Käfige voller schwarzer Knäuel – nein.

Kein Stoff, berichtigte sein Verstand automatisch, als er das erste Paar Augen im Licht seines Zauberstabs leuchten sah.

Niffler.

Dutzende Niffler.

Und sie stanken zur Hölle.

Was auch immer sich der Besitzer der Backyards dabei dachte – Newt Scamander hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

Draco tat das nicht – er war zu beschäftigt damit, sich den Ärmel übers Gesicht zu halten und flach zu atmen, während das Augenpaar sich in seine Erinnerung brannte. Lethargisch. Apathisch. Nicht zu vergleichen mit den Nifflern, die sie in der vierten Klasse nach Leprechaun-Gold hatten graben lassen...

Er wandte den Blick ab, zwang sich stattdessen dazu, sich im Raum umsehen. Zu seiner Linken befand sich etwas, das ein Labortisch gewesen sein musste, bevor irgendjemand – irgendetwas – ihn zerfetzt hatte. Der Zutatenschrank dahinter sah nicht besser aus. Überall lagen Münzen: Sickel, Galleonen, Handtellergroße Scheiben aus Gold, die Draco keiner Währung zuordnen konnte.

Dass es keine Tierwesen waren, die hier gewütet hatten, akzeptierte Draco erst, als er beinahe in der Leiche stand.

Eine Explosion, befand er, während sein Verstand fachmännisch kategorisierte, was er sah, und sein Magen überlegte, ob es sich zu rebellieren lohnte. Männlich. Leichter Hang zum Übergewicht. Magierumhang. Muggelturnschuhe. Zu wenig Finger. Nur noch ein halber Oberkörper. Kein Gesicht.

Ob die Ursache ein Zaubertrank gewesen war oder ein Fluch, konnte er noch nicht sagen.

„Und?“, hörte er Morgan hinter sich fragen. „Ist es dein Spezialgebiet?“

Draco nahm sich Zeit, um zu antworten. Zeit, um den Anblick zu erfassen, der sich ihm bot. Zeit, den Würgereflex, der in seinem Rachen brannte, hinunterzuschlucken. Obwohl er seit Jahren für die Rechtsmagie des Ministeriums arbeitete, sah er nur selten Opfer von Explosionszaubern, auch wenn sie hin und wieder vorkamen. Die meisten Fälle, die, bei denen man hoffte, noch etwas retten zu können, landeten im St. Mungo's und blieben dort. Der Rest waren meist die Folge irgendwelche Duelle – und damit Tripe's Job.

Natürlich war ihm trotzdem klar, warum Morgan ihn hatte rufen lassen.

„Wenn du wissen willst, ob er sich selbst gesprengt hat oder jemand anderes das für ihn erledigt hat, muss ich dich enttäuschen. Dafür brauche ich Zeit.“

Zeit, sein Labor und genug Luft, um wieder klar denken zu können.

„In erster Linie will ich wissen“, hörte er Morgan antworten und merkte erst jetzt, wie erstickt selbiger klang, „ob das hier schwarzmagisch ist, oder ob ich die Schnarchnase von der Strafverfolgungspatrouille wecken kann.“

„Was wäre dir lieber?“

Noch während er sprach, griff Draco in seine Tasche. Routiniert fischte er den Koffer mit seinen Utensilien hervor, hob den Minimierungszauber auf und klemmte sich anschließend den Zauberstab in den Gürtel. In seinem Augenwinkel huschte ein dunkler Schatten in die nächste, unbeleuchtete Ecke. Er sah ihm nur lang genug nach, um ihn als vierbeinig und nifflergroß zu identifizieren, bevor er sich neben den Koffer kniete. Solang sie nicht über seine Leiche rannten, hatte er für flüchtende Niffler keine Zeit. Sollte sich die Tierwesenabteilung darum kümmern. Oder, noch besser, Abercrombie.

Er fasste nach den Kofferschnallen. Ohne Morgan darum bitten zu müssen, hob dieser den Zauberstab, damit mehr Licht auf seine Hände fiel.

„Nun“, antwortete Morgan, während er ihm leuchtete, „um Sechs ist Schichtwechsel. Was glaubst du?“

Jedes Schloss klickte leise, als Draco die Verschlüsse löste. Einen Augenblick später gab der Koffer den Blick auf die oberste Lage Utensilien frei: weiße Drachenlederhandschuhe, Leuchtkristalle und eine Packung regulärer Muggel-Gefrierbeutel mit Zippverschluss.

„Ich denke, dass du dein Schichtende vergessen kannst.“

Morgan stöhnte, nicht sonderlich begeistert.

„Ich hatte befürchtet, dass du das sagst.“

„Ich auch.“

Draco zog die Handschuhe aus ihrer Halterung und legte sie sich auf die Knie. Kurz besah er sich die beiden Ringe, die er an der linken Hand trug, dann griff er nach dem klobigeren davon.

„Wisst ihr schon, wer das hier ist?“, fragte er, während er den malfoyschen Siegelring von seinem Mittelfinger zog.

„Nicht offiziell, solang uns die vollständige Angestelltenliste fehlt und du das Identifikationsformular noch nicht unterschrieben hast.“ Morgans Lichtkreis wackelte, als er mit den Schultern zuckte. „Bis dahin wette ich auf den Betreiber dieses Schuppens.“

„Silversteen?“

„Seine beiden Söhne können wir ausschließen, aber ihn selbst erreichen wir nicht.“

Draco nickte knapp. Wenn man bedachte, dass die Silversteens in einem Prunkbau im Zentrum der Backyards residierten, war das kein gutes Zeichen. Vermutlich hatten Morgans Kollegen die Familie längst aus den Betten geholt und durchgezählt – aber Draco fragte nicht weiter nach.

„Wenn wir seinen Zauberstab finden, dann bestätige ich dir das zum Schichtende.“

Vorausgesetzt, es war tatsächlich Samuel Silversteen.

Das Ministerium führte zwar keine Kartei über die Zauberstabbesitzer seines Hoheitsgebietes, aber im Amt für magische Immigration sammelte und katalogisierte man dafür Kopien aller Dokumente, die ein Einwanderer mit sich brachte. Und Silversteen war ein Einwanderer, das wusste Draco aus den Frühstückgesprächen mit seinem Vater und aus einer langen Beschwerde darüber, dass dieses neureiche Pack hierher kam, um den ehrwürdigen, reinblütigen Magiern Englands das Geld aus den Taschen zu hexen.

Wenn dieser Mann eine Zauberstablizenz hatte – und die besaß Silversteen als der Amerikaner, der er war, ganz sicher – würde Lucinda Talky Talkalot sie für ihn finden.

Umständlich löste Draco den Verschluss der Kette, die er unter seinem Umhang trug. Genauso umständlich fädelte er den Siegelring auf das dünne, goldene Band.

„Was ist mit den beiden Teenagern von vorhin?“, fragte er, während er die Kette hob, um sie sich wieder anzulegen. „Soll ich ihre Zauberstäbe auch-“

Draco kam nicht dazu, seine Frage zu beenden.

Es passierte so plötzlich, das vielleicht ein Auror darauf hätte reagieren können, aber Draco war kein Auror. Mit zwei großen Sätzen sprang der schwarze Schatten aus der Ecke, in der er bislang gekauert hatte. Einen weiteren Sprung später streifte er Dracos Taille, hüpfte nochmal-

Dann rissen Zwei Pfund Lebendgewicht an seinem Siegelring.

Es war dumm, loszulassen. Seine Finger gaben trotzdem nach, als die Kette in seine Gelenke schnitt. Das Gold klimperte, als es auf dem Boden landete. Fluchend griff Draco nach seinem Schmuck, klatschte dabei selbst auf den Estrich, erwischte aber nur noch die Kette.

Von Nahem stank der Boden noch schlimmer.

Über sich hörte er Morgan lachen.

„Tu was!“, fauchte er, dann setzte er dem Niffler nach.

Der pelzige Dieb war schneller. Einen Zoll von Dracos Hand entfernt, schlug er einen Haken, setzte über die Leiche hinweg und schlitterte, Blut unter den Pfoten, bis zu den Käfigen.

Einen Augenblick lang starrten Draco und Niffler einander an. Nur die Gewissheit, dass er nicht einfach durch seine Beweismittel springen konnte, ohne es später zu bereuen, hielt ihn davon ab. Es reichte, dass der Niffler das getan hatte.

Er hob den Zauberstab-

Der Niffler rannte.

Magie schoss an ihm vorbei, bevor er den Accio beenden konnte, erfasste den Niffler und stieß das Tier in den nächstbesten Käfig. Der Siegelring klimperte über den Metallboden. Der Niffler taumelte. Klirrend schlug die Käfigtür ins Schloss.

Halb dankbar, halb immer noch sauer wegen dem Lachen, blickte Draco über seine Schulter. Morgan grinste.

„Aurorenreflexe“, flötete er. „Und jetzt sammel ihn ein, bevor hier noch einer durch unseren Tatort rennt. Die Viecher sind hier überall.“

Das allerdings musste Morgan ihm nicht zweimal sagen. In einem großen Bogen trat er um die Leiche und alles, was vielleicht mit ihr in Berührung gekommen war herum. Gerade, als er den richtigen Käfig erreichte, kam der Niffler wieder zur Besinnung. Er schüttelte sich kurz, blickte zu Draco – dann sah er den Ring.

Unzeremoniell warf sich Draco vor dem Käfig auf die Knie, streckte seine Hand in den Käfig, griff zu –

Seine Hände erwischten nur verfilztes Fell. Wie in Zeitlupe blickte der Niffler zu ihm, ignorant ob des Griffes, beinahe schadenfroh. Ohne, das Draco etwas hätte tun können, öffnete er sein Maul. Kurz schimmerte der Siegelring noch in den rosafarbenen Pfoten-

„Oh nein, das wirst du nicht-!“

Der Ring wirbelte durch den Käfig, in einer beeindruckenden Parabel stieg er höher, funkelte, als er den Höhepunkt seiner Bahn erreichte – und fiel.

Rosafarbene Lippen schlossen sich.

Der Niffler schluckte.

„-tun.“

Nur die Gitterstäbe hielten Draco davon ab, dem Quälgeist hier und jetzt den Hals umzudrehen. Er ließ den Kopf auf seinen Oberarm fallen.

„Ich zieh dir das Fell über die Ohren“, knurrte er, doch da war keine Energie in seinen Worten.

Dieser Einsatz war sowas von am Uranus.

Shafiq


 

21. Dezember 2005

13:37 Uhr

Whitehall; Britisches Zaubereiministerium; Flur

City of Westminster

London

 

 

 

Neun Stunden, ein Treffen mit seiner reizenden Schwägerin und eine große Portion Čupavci später war der Einsatz nach wie vor am Uranus.

Er hatte nicht geschlafen. Lucinda Talky Talkalots sehr charmante und sehr wortreiche Abfuhr, die sich auf 'Komm wieder, wenn dir ein Gamotrichter Antrag A38 unterschrieben hat, in Schönschrift, bitte' reduzieren ließ, klingelte ihm wie ein Celestina Warbeck-Schlager in den Ohren. Sein höchst magischer, reinweißer, alles abweisender Schutzumhang stand vor Dreck und das Aroma von Nifflerexkrementen folgte ihm überall hin.

Frisch gewaschen, umgezogen und immer noch müffelnd war er vor Daphne und drei Dutzend Hundewelpenfotos in die Spätschicht geflohen. Was ein kluger Schachzug hätte sein sollen, erwies sich als ein weiterer Eintrag für seine Liste der kompletten Reinfälle des Tages.

Gut, es war für seine Stimmung selten zuträglich, wenn auf jedem Flur und in jedem Fahrstuhl des Ministeriums Weihnachtslieder in Dauerschleife dudelten – und in jedem ein anderes. Schon vor Wochen hatte das – seiner Meinung nach viel zu fleißige – Ministeriumspersonal die Musikzauber in den Räumen festgehext. Draco hätte sie dafür zwar nicht nur heute erschlagen können, aber heute war das Bedürfnis, einem der Facility-Magier den Hals umzudrehen, besonders groß. Schon das Atrium hatte ihn mit Jingle Bells in der Alle-Sprachen-dieser-Welt-und-in-Troll-Version vergrätzt und der Fahrstuhl machte es mit The Twelve Days of Christmas keinen Deut besser.

Selbst, als er den zweiten Stock (und die „elven Pipers piping“) erreichte, besserte sich seine Laune nicht. Gut – seine Laune besserte sich nie, wenn das erste, was er nach Verlassen des Fahrstuhls sah, irgendwelche Zivilisten waren, die vor dem Eingang zur Rechtsmagie darauf lauerten, sich auf den nächstbesten Angestellten zu stürzen und ihn einmal kräftig zu schütteln. Und schütteln wollten die meisten. Nur die Anlässe variierten. Gelegentlich.

Dieses Mal waren sie zu zweit, beides Hexen. Die Größere von Beiden trug ihr wallendes, schwarzbraunes Haar offen über den Rücken und neigte zu gewichtigen Gesten. Gerade deutete sie mit bebender Hand in Dracos allgemeine Richtung. Sie bemerkte ihn nur nicht, weil sie viel zu beschäftigt damit war, zu schimpfen wie ein Jarvey.

„Unverantwortlich!“, hörte er sie zetern, „Wann verstehst du endlich, dass deine Unvernunft dich noch ins Grab – oder schlimmer! Nach Azkaban! – bringen wird? Als würde es nicht genügen, dass dieser dahergelaufene Kerl dir Flausen in den Kopf setzt!“

Mit jedem Wort sackte ihre Gesprächspartnerin, die Arme vor der Brust verschränkt und die Lippen zusammengepresst, weiter in sich zusammen. Draco konnte es ihr nicht einmal verübeln – seitdem er seinen Eltern Astoria vorgestellt hatte, kannte er diese Predigten besser, als ihm lieb war.

„Lennon setzt mir keine Flausen in den Kopf!“

„Nein? Und wie kommst du dann auf die glorreiche Idee, dich bei diesem Bruchbude in der Le-Fay-Road herumzutreiben?“

„Diese Bruchbude in der Le-Fay-Road ist eine Suppenküche!“

„Erzähl mir nichts! Bruchbude ist Bruchbude!“

„Wir versorgen dort die Opfer der Schreckensherrschaft mit warmen Mahlzeiten-“

„Opfern? Werwölfe und Kleinkriminelle! Irgendwann wird einer von ihnen dich anfallen und dann? Warum setzt du dich diesem Gesindel aus?“

Draco sah, wie sie hilfesuchend den Gang hinab spähte. In dem Moment, in dem sich ihre Blicke trafen, erkannte er sie – es war die Zivilistin von den Caves. Sie trug noch immer ihr Hijab, doch ein stahlblauer Umhang verbarg mittlerweile die Muggeljeans. Als sie verstand, dass er ihr nicht beispringen würde, reckte sie das Kinn.

„Weil es meine Pflicht ist, Khalilah.“

„Pflicht?“ Khalilah warf die Hände in die Höhe. „Kalima, du siehst das als deine Pflicht? War es auch deine Pflicht, diese abstrusen Flugblätter in der Winkelgasse zu verteilen? Und die Eulerei in Hogwarts zu beschmieren? Unseren Hauselfen freizulassen?“

„Ja.“

Es war nur ein Wort, doch es ließ Khalilah schweigen. Vielleicht brachte es sie auch einfach nur zu sehr aus der Fassung, um ihren Ärger artikulieren zu können. Letztendlich war es Draco auch egal. Er nutzte den Moment, um den Kopf zu senken und an den beiden Frauen vorbeizumarschieren.

War es feige, sich ihnen nicht als Mitarbeiter der Rechtsmagie zu offenbaren? Ziemlich sicher. Aber es war auch bedeutend einfacher.

Erst, als er den Getränkeautomaten erreichte, den sonst nur die Auroren frequentierten, blieb er stehen.

 

„Unsere Eltern sind nicht dafür gestorben, damit du dich in Gefahr bringst!“, hörte er Khalilah sagen, selbst einen Gang weiter noch laut genug, um jedes Wort zu verstehen. Spätestens bei dem Wort Eltern wusste er, dass er nicht weiter hinhören sollte.

„Unsere Eltern sind dafür gestorben, damit diese Gesellschaft lebenswert bleibt! Lebenswert wird. Auch wenn sie in Hogwarts keine Schüler mehr foltern, sind wir noch lange nicht da, wo wir sein sollten- nein, Aber Kalima! mich nicht, Schwester! Du erinnerst dich an dieses Jahr genauso gut wie ich!“

Dracos Mund wurde trocken. Er konnte nicht sagen, ob Khalilah sich an dieses Jahr erinnerte. 

Er tat es.

„Ich … Kalima-“

Draco hörte sich das Aber Kalima! nicht an. Er las die Angebotsliste des Getränkeautomaten, so lange bis sie vor seinen Augen schwamm. Kaffee. Café au Lait. Cappuccino. Eggnog Latte. Assam. Darjeeling. Ceylon. English Breakfast. Masala Chai. Schwarztee mit Sahne. Schwarztee mit Rosenblüten. Schwarztee mit Gurdyrootschalen. Schwarztee mit Schokofroscharoma-
 

 

* * *
 

 

„Mister, Ihr Tee wird kalt.“

Draco schreckte so sehr zusammen, er hätte beinahe auf drei Tee-Knöpfe gleichzeitig gedrückt.

„Was- Wie?“

Grelle, weiße Schrift folgte seinem Blick – Masala Chai – Schwarztee mit Schokofroscharoma -

Er blinzelte.

Grüner Tee mit Apfelaroma wurde zu einer jungen Frau mit safrangelbem Hijab.

Draco blinzelte noch einmal, schaute zu ihr und zurück zum Getränkeautomaten. Tatsächlich – im Ausgabefach stand ein Becher, ohne, dass er sich daran erinnerte, ihn tatsächlich bestellt zu haben. Er hatte English Breakfast gewollt, mit Milch und wenig Zucker, das wusste er noch. Langsam griff er nach dem Pappbecher.

„Ich, ähm- Ich war abgelenkt“, gestand er, während er sein Getränk aus der Automatenhalterung zog.

Sie – Kalima, wie sein Kurzzeitgedächtnis ihm nach einem Moment des Grübelns hilfsbereit mitteilte – lachte leise.

„Ja. Ich fürchte, meine Schwester und ich sind so. Aber Sie können aufhören, sich zu verstecken. Der Nundu ist in seine Höhle zurückgekehrt.“

„Nundu?“ Draco hörte auf, an seinem Tee schnüffeln – Erdbeeraroma. Igitt! – und ließ den Becher sinken. „Dieser Vergleich ist … nicht sonderlich schmeichelhaft. Wenn ich das sagen darf.“

Kalima winkte ab.

„Selbst Großmutter nennt sie so“, verkündete sie, als sei es das normalste der Welt. „Und es ist nicht so, als hätten Sie sich keinen Gefallen getan, Mister. Nachdem sie gehört hat, dass die Aurorenzentrale mich und Lennon festgenommen hat, war sie außer sich. Sie hat die Hälfte ihrer Mittagspause damit verbracht, Inspector Graves anzuschreien. Oder zumindest so lange, bis er ihr lang genug ins Wort fallen konnte, um ihr zu verklickern, dass ich a) auf freiem Fuß bin und b) die Rechtsmagie meinen Zauberstab hat. Seitdem hat sie hier darauf gelauert, dass ihr jemand die Tür aufmacht und-“

„Sich schütteln lässt.“

„Ich fürchte, ja.“ Während sie sprach, zupfte sie an einer Franse ihres Kopftuchs. „Sie sind Draco Malfoy, richtig? Mein Name ist Kalima Shafiq.“

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Shafiq.“

Ja, es war nur eine Floskel – aber er war auch noch dabei, Ihren Nachnamen richtig einzuordnen. Draco wusste, dass die Shafiqs eine altehrwürdige, reinblütige Familie waren. Eine der Unantastbaren Achtundzwanzig, wenn er sich noch richtig an das Reinblutverzeichnis erinnerte und …

Nein.

An mehr erinnerte er sich nicht. Keine herausragenden Forscher, keine großen Namen im Ministerium. Sicher hätte selbst sein Vater nur ihren Blutstatus zu loben gewusst, wenn auch nicht ihr Kopftuch-

Er verwarf den Gedanken und nickte stattdessen.

„Und ja, ich bin Draco Malfoy. Ich fürchte, ich bin der furchtbare Rechtsmagier, der Ihren Zauberstab hat, Miss.“

„Kalima genügt. Ich- Meine Schwester erwartet von mir, dass ich Sie bedränge, bis Sie ihn mir wiedergeben. Aber ich weiß, dass Sie nur Ihren Job machen. Khalilah will das nicht hören, aber letztendlich helfen Sie damit auch mir.“

Draco warf ihr einen Blick unter hochgezogenen Augenbrauen zu. So dankbar er auch dafür war, dass sie ihn nicht schüttelte, er kannte auch diese Taktik. Er gönnte sich ein schiefes Lächeln.

„Sie wären nur dankbar dafür, wenn ich ihn schnell erledige, oder, Kalima?“

„Nun… erwischt. Ja.“

Erneut an der gelben Franse zupfend, erwiderte sie das Lächeln dünn.

„Es ist ein unangenehmes Gefühl, keinen Zauberstab zu haben, während alle um einen herum wutschen und wedeln und sogar ihre Schuhe mit Magie schnüren.“

Ja. Düster erinnerte er sich noch an die Zeit nach der Schlacht, während Shacklebolts Gamot darüber nachgedacht hatte, ob es ihn und seine Familie freisprechen oder doch lieber in Askabans tiefstes Loch werfen sollte. Wenn Draco in dieser Zeit etwas gelernt hatte – also abgesehen davon, dass es eine beschissene Idee war, sich einem nasenlosen Terroristen anzuschließen und anschließend den von selbigem angezettelten Bürgerkrieg zu verlieren – dann war es das Binden seiner Schuhe.

Er schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben.

„Es ist eine Routineuntersuchung“, erklärte er, auch, um sich selbst zu beruhigen. „Wenn ich feststelle, dass Sie mit ihrem Zauberstab in den letzten Tagen keinen schlimmeren Zauber gesprochen haben, als einen Alohomora auf das geheime Süßigkeitenversteck Ihrer Schwester, haben Sie ihn vor Dienstende wieder.“

„Und wenn Sie feststellen, dass ich schlimmere Zauber gesprochen habe, als den Alohomora, habe ich ganz andere Probleme, ich weiß.“ Trotz ihrer Worte – und ihrer Situation – grinste sie. Vermutlich konnte sie sich das erlauben. Hätte Morgan in ihr tatsächlich eine Gefahr gesehen, sie säße längst in Zelle D. „Ich wäre Ihnen allerdings sehr verbunden, wenn Sie diesen Alohomora weder gegenüber Khalilah, noch gegenüber Nasirah erwähnen würden.“

Amüsiert hob er eine Augenbraue.

„Nasirah? Noch ein Nundu?“

„Nein, nein, nicht doch“, antwortete Kalima hastig, doch in ihren Augen glitzerte Schalk. „Nur ein Erumpent.“

„Klingt charmant.“

„Eher explosiv.“

„Liegt in der Familie, huh?“

Einen Augenblick lang starrte Kalima ihn an. Entrüstet öffnete sie den Mund, doch der Protest blieb aus. Stattdessen prustete sie. Selbst hinter der Hand, die sie sich vor's Gesicht hielt, sah Draco, wie sie rot anlief.

„Ich- Nein, also ... Vielleicht ein wenig“, gab sie zu. „Khalilah meckert bei jeder sich bietenden Gelegenheit, Nasirah hat einen richtig fiesen Furunkelfluch drauf und ich … eventuell neige ich dazu, mir Schlachten auszusuchen, die nicht ganz ungefährlich sind. Oder legal …“

„Sie müssen bei mir nicht beichten, Kalima.“

Kalima nickte. Einen Moment lang sah sie aus, als würde sie tatsächlich schweigen, dann sprach sie doch.

„Wir wollten Flugblätter an die Scheiben hexen“, gestand sie. „Man sieht es Circe's Backyards unter all dem Gefunkel und Geglitzer nicht an, aber die Haltungsbedingungen sind katastrophal. Das Futter ist nicht artgerecht. Die Ställe werden nicht gereinigt. Es heißt, den letzten Veterinärmagier, den das Ministerium geschickt hat, haben sie mit einem Confundus belegt. Er hat die Anlagen nie gesehen.“

Draco sagte nichts. Nachts in einen Vergnügungspark einzubrechen, und sei es, um auf desaströse Haltungsbedingungen aufmerksam zu machen, war nichts, was er unterstützen sollte. Doch ihr zu sagen, dass sie im Unrecht war, konnte er nach der letzten Nacht nicht mehr. Er hatte es ja selbst gesehen. Die trostlosen Gehege. Den Rost. Den Dreck. Die Nifflersch-

„Silversteen … er ist einer von Flamels Erben. Seine Söhne auch. Seine Frau – keine Ahnung.“

„Flamels Erben, huh?“, echote Draco leise. In Gedanken kaute er auf den Worten herum. Draco kannte die Erben – jeder Alchemist tat das. Sie waren ein loser Zusammenschluss von Magiern, die die ganze Innung in Verruf brachten. Schwarzmagier, alle miteinander.

Auch wenn Kalima es nicht wusste, nicht wissen konnte, fügten sich für ihn gerade Puzzleteile zusammen. Das Zaubertranklabor in den Caves, die Niffler, das herumliegende Gold. All das stank nach illegaler Forschung und wenn die Silversteens tatsächlich zu Flamels Erben gehörten, dann wusste er auch, wonach sie suchten.

„Sie betreiben den Park nur, um Geld für ihre Forschung aufzutreiben. Und die Tierwesen – die haben sie nur wegen ihrer Hörner und ihrer Haare und was auch immer sie in ihre Tränke tun. Vermutlich experimentieren sie auch an ihnen, aber das kann ihnen bislang niemand beweisen … Die Tierwesen sind ihnen egal, genauso wie die Sicherheit der Besucher.“

Draco nickte, in Gedanken bereits bei den Zaubern, die er prüfen wollte. Nachdenklich nippte er an seinem Tee – und bereute es einen Augenblick später. Aroma, das nicht in einen ordentlichen Tee gehörte, flutete seinen Mund. Fruchtig und süß und-

Einen Moment lang wollte er spucken, schluckte dann doch und hustete.

„Mr Malfoy?“, hörte er Kalima neben sich. „Haben Sie sich verschluckt?“

Er konnte nur krächzen.

„Schlimmer … Erdbeergeschmack.“

Li


 

21. Dezember 2005

14:03 Uhr

Whitehall; Britisches Zaubereiministerium; Abteilung für Rechtsmagie

City of Westminster

London

 

 

 

Als er die Tür zum Flur der Rechtsmagie hinter sich schloss, verstummten die Weihnachtslieder mit einem leisen Klick. Statt Morgen kommt der Hippogreif begrüßte ihn das so sehnsuchtsvolle wie altbekannte Schmachten von Eason Chang. Getragen von sehnsüchtigen Violinenklängen und schwermütigem Pianogeklimper drang die Ballade aus einem der Labore und besserte Dracos Laune nur bedingt.

Draco musste den Text nicht verstehen, um zu wissen, was schmalziger Cantopop für die Abteilung der Rechtsmagie bedeutete: Der letzte, alte Vogel war in den Süden geflogen. Ein Blick auf den Wochenplan, der im Eingangsbereich hing, bestätigte seinen Verdacht.

Natürlich, drei Personen mussten fehlen. Hazel hatte die diesjährige Urlaubslotterie der Abteilung gewonnen und war mit ihren Schwestern in den wohlverdienten Skiurlaub verschwunden, Priams Ältester hatte sich in der Charmschool ausgerechnet die Drachenpocken eingefangen und die alte Cinderford … nun, sie trug den Spitznamen Aber-ich-habe-Familie-!!! nicht umsonst. Wie jedes Jahr hatte sie bei der Urlaubsverteilung auf den Weihnachtsfeiertagen gegluckt, wie ein dickes, fettes Huhn auf einem Nest voller Ostereier und wie jedes Jahr hatte sie ihren Willen bekommen, auch wenn die Kinder längst aus dem Haus waren. Wie jedes Jahr war Draco eigentlich froh, sie los zu sein.

Dennoch hätten sie zu viert sein sollen.

 

Li, Sue – F

Malfoy, Draco – S

Brown, Lazarus – F

 

Das waren nur drei.

Und tatsächlich, neben Tripe, dort wo B für Bereitschaft hätte stehen sollen, standen die drei magischen Buchstaben: Krk.

Krank.

Pünktlich wie eine Eulenexpresslieferung hatte den alten Morty auch dieses Jahr eine fürchterliche Seuche ereilt. Plumpuddingitis, vermutlich. Oder Eggnogfieber.

Draco wünschte ihm, er möge an beidem ersticken.

Im Vorbeigehen warf er einen Blick in den abteilungseigenen Teekessel, doch als ihm ausgerechnet Grüntee entgegen starrte, verwarf er sämtliche Bedürfnisse, sich eine Tasse einzugießen. Der halbe Erdbeersaft von eben hatte ihm gereicht und bei Sue wusste er nie, welche Aromen in ihrem Tee schwammen.

Bei der Labortür, an die jemand ein XXL-Poster von Leo Ku – den Draco nur erkannte, weil es drauf stand – festgehext hatte, blieb er stehen. Mit dem gebührenden Respekt, den man spätestens dann entwickelte, wenn man einmal zu oft in die Reichweite eines explosiven Testzaubertranks getreten war, stieß er die Tür auf und spähte hindurch.

„Heute ist ein Qiuyue-Tag, nehme ich an?“

Am anderen Ende des Raumes hob Sue den Kopf.

Sue, eine ehemalige Ravenclaw aus seinem Jahrgang, war vor etwa vier Jahren in den Dienst der Rechtsmagie getreten und hörte die Hälfte der Zeit vorzugsweise auf ihren chinesischen Vornamen.

Sie war damit nicht nur ähnlich eigenwillig, wie der Rest der Abteilung, sondern auch seine uneingeschränkte Lieblingskollegin – und das nicht nur, weil die Auswahl in der Rechtsmagie recht dürftig war.

Trotzdem sah sie ihn an, als würde sie ihn beim nächsten falschen Wort in einen Flubberwurm verwandeln.

„Schlimmer“, verkündete sie, während er die Ringe unter ihren Augen musterte. „Heute ist ein Holen-wir-Sue-um-halb-eins-aus-dem-Bett-und-lassen-sie-halb-Manchester-auf-die-üblichen-Pilze-testen-Tag.“

„Nicht Shoreditch? Warum Manchester?“

„Weird Sisters.“

Richtig. Das Konzert.

Leider ergab das erschreckend viel Sinn. So sehr Tori die Weird Sisters auch mochte und so gut ihre Musik auch war – irgendwer hatte bei ihren Konzerten immer illegales Zeug dabei.

„Weißt du“, fuhr sie fort, ohne, dass er etwas gesagt hätte, „dass es unter der Würde der Aurorenzentrale ist, Wachcrup für ein paar nichtsnutzige, übertrieben gehypte, nicht singen könnende Möchtegernstars zu spielen?“

„Nun…“, sagte er, „Ja?“

Hinter ihrem Labortisch schnalzte Sue mit der Zunge.

„Findet Dawlish auch. Abgesehen von unseren Pubabenden habe ich noch nie so viele Beleidigungen in Verbindungen mit dem Held der Zaubererwelt gehört, wie letzte Nacht.“

Versuchsweise öffnete er die Tür etwas weiter. Als kein Zauber in seine allgemeine Richtung flog, trat er ein.

„Er hat wirklich versucht, ein Autogramm zu bekommen, oder?“

„Nach allem, was ich aus Dawlish herausbekommen habe, war es die Idee seines Kumpels.“

„Weasley? Ich weiß, du willst es nicht hören, aber …“

„Es klingt nach ihm, ich weiß.“

Draco nickte. Einen Augenblick lang stellte er sich vor, wie Potter versuchte, sich an Fans, Managern und Kollegen, die ihre Arbeit wichtiger nahmen als er, vorbeizukommen. Mit Weasley in der Gleichung machte es mehr Sinn. Aber was erwartete er auch von einem Auror, der den Job ohne einen einzigen NEWT erhalten hatte?

Sue indes seufzte schwer.

„Jedenfalls – irgendwann wurde es Dawlish zu langweilig und er hat angefangen, einfach jeden festzunehmen, der auch nur nach einer Überdosis Alihotsywurzeln aussah. Und das ist das Ergebnis!“

Als würde es alles erklären, breitete sie die Arme über dem Labortisch aus. Neugierig blickte er zu den Phiolen, die vor ihr standen – Bluttests. Unmengen davon.

Ja – das sagte alles. Oder zumindest genug, um zu wissen, dass ihr Tag genauso beschissen war, wie seiner.

„Ich schwöre dir“, murrte sie und wedelte mit einer der Phiolen vor seiner Nase herum, „nichts ist besser, als mitten in der Nacht aus dem Bett geworfen und auf die Frage 'Und was ist mit Tripe?' mit 'zu viel Gänsebraten' abgespeist zu werden. Seit um Drei mache ich nichts anderes mehr, als das hier!“

Mit mehr Schwung, als unbedingt nötig gewesen wäre, kippte Sue die Testlösung in eine der Phiolen. Die beiden Flüssigkeiten reagierten mit genauso viel Schwung: Es blubberte, es schäumte, chinesische Schimpfworte, deren Bedeutung Draco nicht kennen wollte, fielen, dann sprangen sie beide.

Rosa Schaum ergoss sich über den Tisch und ätzte sich ins Holz.

Positiv, eindeutig.

Erst, als er sich sicher war, dass das Zeug nicht bis zu seinen teuren Drachenlederschuhen blubbern würde, sah Draco auf.

„Alles in Ordnung?“

Sue schüttelte die rechte Hand. Rosa Schaum spritzt in alle Richtungen davon.

„Nein! Ich hasse das!“

Noch während sie wieder zurück ins Gossenchinesisch verfiel, riss sie mit der unverletzten Hand die Tür der Notfallapotheke auf. Gegengifte, Diptam, ein Bezoar – alles, was Sue gerade nicht brauchte – landeten auf dem nächstbesten Tisch. Das Wenigste davon sanft.

Gerne hätte Draco ihr seine Hilfe angeboten, doch er wusste es besser, als sich jetzt zwischen seine Kollegin und ihre Laune zu werfen. Er war ja kein Gryffindor. Trotzdem beobachtete er sie mit gerunzelter Stirn, bis sie fand, was sie suchte. Ein Korken flog unzeremoniell in Richtung Mülleimer, dann hörte er das Gluckern des Heiltranks.

Einen Moment warteten sie beide.

„Ich hasse das“, verkündete Sue schließlich.

Während sie erneut den Apothekenschrank durchsuchte – sorgfältiger, dieses Mal und ohne die nicht benötigten Inhalte zu werfen – griff er nach seinem Zauberstab. Einen zielgerichteten Schlenker später verschwand die immer noch blubbernde Brühe ins Nichts – oder vielleicht auf Dawlish's Schreibtisch, er zielte da nicht so genau.

„Dann mach Pause“, antwortete Draco ihr, während er sich über den Tisch beugte, um den Schaden zu begutachten. „Die Tests laufen dir nicht weg.“

Sich eine Bandage um die Hand wickelnd, folgte Sue ihm zum Labortisch. Sie lachte bitter.

„Du weißt, dass das Problem ist, oder?“

Draco prustete.

„Du könntest Brown fragen, oder?“

Das waren die falschen Worte.

„Der spielt mit deiner Leiche!“

Sue schlug mit beiden Händen auf den Tisch, nur darauf bedacht, nicht das verätzte Holz zu berühren. Phiolen klirrten, dann fluchte sie lautstark.

„Verdammte Drachenmist! Ich versteh es echt nicht.“ Sie wedelte mit der verletzten Hand, so, als könne das den Schmerz lindern. „Warum kriegst du die Leichen? Warum kann ich nicht die Leichen kriegen?“

„Weil Dawlish schneller war, als Abercrombie“, antwortete er und griff nach einer der Phiolen auf dem Tisch, bevor das flatternde Ende der Bandage sie erwischen konnte. „Und du willst meine Leiche nicht. Niemand will meine Leiche. Sie stinkt nach Nifflerkacke. Alles aus dem Caves stinkt nach Nifflerkacke.“

„Ach, das riecht hier so?“

„Ha ha ha, Sue. Ha. Ha. Also, welcher Sisters-Fan kriegt heute keinen Positiven Pilztest?“

Routiniert griff er nach einer der Fläschchen mit Testlösung. Sue beäugte ihn argwöhnisch.

„Hätte ich mir das etwa aufschreiben sollen?“

Granger-Weasley


 

21. Dezember 2005

15:42 Uhr

Whitehall; Britisches Zaubereiministerium; Abteilung für Rechtsmagie

City of Westminster

London

 

 

Achtundsechzig Phiolen später hatte Draco nicht nur ein halbes Dutzend Blasen an den Fingern, ein paar fette Pluspunkte auf seinem Karmakonto und genug Material, um die Hälfte aller Magier im Alter zwischen zwanzig und fünfunddreißig zu erpressen, sondern auch einen Deal mit Sue.

Sie durfte in ihrer nächsten Frühschicht an seiner Leiche herumspielen und all die extravaganten Untersuchungen machen, die sie als Einmaleins der Heilerausbildung gelernt hatte – und die er nur aus Rechtsmagie für Fortgeschrittene kannte – und er bekam ihre Ergebnisse. Gratis.

Hätte er jetzt noch Brown dazu bequatschen können, die Proben von den Caves für ihn zu analysieren, es hätte eine erholsame Spätschicht für ihn werden können. Leider war der Job als Browns Ausbilder nicht Priam oder Hazel zugefallen, sondern ausgerechnet Mortimer Tripe. Entsprechend war das erste Prinzip, das Brown seit seiner Einstellung im September 2004 verinnerlicht hatte, nicht etwa Hilfsbereitschaft, Ordnung am Arbeitsplatz oder perfekt gebrauter English Breaktfast, sondern die Kunst des pünktlichen Feierabends.

Insofern überraschte es Draco nicht, dass ihn, als er endlich die Tür zum Untersuchungszimmer öffnete, nur gähnende Leere erwartete.

Wobei – das war nicht ganz korrekt. Ihn erwartete einiges, als er die Tür öffnete: Quer über seinen Schreibtisch verteilte Pergamentbögen, ein Kessel, aus dem Mangoaroma aufstieg, überall im Raum herumliegende Bücher, eine Leiche, deren Schubfach nicht richtig in der Kühlkammer steckte, und ein Niffler in einem Glaskasten.

Nur halt nicht Lazarus Brown.

Seufzend zog Draco die Tür hinter sich ins Schloss und griff nach dem Zauberstab, um das zu tun, was er immer tat, wenn der Trainee gewütet hatte: Er räumte auf.

Während er durch den Raum marschierte, richtete er seinen Stab nacheinander auf die Bücher der näheren Umgebung, bis die Luft vor tausendseitigen Wälzern schwirrte wie ein Bienenschwarm. Mit mehr Schwung als nötig klatschte der erste Band von Die Grundlagen der Rechtsmagie zurück in sein Regal. Der Anatomieatlas folgte. Unter Zaubertrankexplosionen und was sie bewirken duckte er sich hinweg, dann spähte Draco durch den offenen Spalt der Kühlkammer. Er konnte kaum mehr sehen, als die Zehen seiner Leiche und den Pergamentstreifen, den Brown kunstvoll an einen davon gebunden hatte, doch der kühle Windzug, der ihm entgegen blies, genügte, um zumindest diese Sorgen zu vertreiben. Er versetzte dem Schubfach einen stoß. Blieb noch-

Draco blickte zu seinem Schreibtisch.

Der Niffler blickte zurück. Brown hatte ihn in einen ranzigen Glaskasten gesperrt, der verdächtige Ähnlichkeit mit dem Aquarium hatte, das vor Ewigkeiten einer der Notfallheiler der Aurorenzentrale gespendet hatte. An den Scheiben klebte noch – ganz authentisch – ein dünner Algenfilm. Es hatte sogar diese Fisch-Abziehbildchen, die vor drei Monaten der Hexenwoche beigelegen und von dort ihren Weg an die Glasscheiben gefunden hatten.

Draco nahm sich vor, zu leugnen, je ein Aquarium gesehen zu haben. Missmutig schaute er zu dem Insassen des hoffentlich unzerbrechbar gehexten Kastens. Es war definitiv der Niffler aus den Caves: An seinen Pfoten klebte immer noch Blut. Ansonsten wirkte er deutlich agiler, als all seine Kameraden – vielleicht wegen der Münzen, die Brown ihm in sein Gefängnis geworfen hatte und die stark nach Mittagsmarken der Kantine aussahen.

Eigentlich, das wusste Draco noch aus dem Pflege magischer Geschöpfe-Unterricht, waren Niffler friedliche Wesen, die niedlich guckten und alles mochten, was glitzerte.

An diesem Niffler war rein gar nichts friedfertig. Sein Blick war verschlagener, als der eines Kobolds beim Kreditverleih. Er starrte Draco an, als wisse er ganz genau, dass da noch ein Goldring zu holen war. Den Blick starr auf Draco gerichtet, nicht zuckend, nicht einmal blinzelnd, griff der Niffler nach einer der Mittagsmarken. Betont langsam zog er die Münze zu sich. Schließlich reckte er die Schnauze in die Höhe-

Blitzartig stopfte er die Münze in seine Bauchtasche.

Draco ballte die linke Hand zur Faust und biss die Zähne aufeinander. Ohne den sich immer noch sortierenden Büchern Beachtung zu schenken, ohne dem Niffler weiter Beachtung zu schenken, marschierte er durch den Raum und griff nach dem ersten Bogen Pergament, den er zu fassen bekam.

Pah.

Er würde sich ganz sicher nicht von einem lebenden Pelzkragen bedrohen lassen.

 

 
 

* * *

 

 

Eines musste man Brown lassen: Er mochte kein Genie sein, was Ordnung am Arbeitsplatz anbelangte, dafür erledigte er seine Arbeit – zumindest, sofern sie ihn interessierte – umfassender, als es seinem Ausbilder überhaupt in den Sinn gekommen wäre.

Sein Kollege hatte nicht nur sämtliche Beweismittel, die er hatte finden können, eingetütet und (und das war wichtig) lesbar beschriftet, er hatte auch alle seine Untersuchungen dokumentiert, katalogisiert und in einem Aktenordner abgeheftet.

Gut.

Er hatte vergessen, den Aktenordner zu beschriften und Draco hatte eine halbe Stunde und drei weitere Drohgebärden seines pelzigen Gastes damit verbracht, sich durch zwei Wochen alte Fälle zu wühlen, aber als er endlich den richtigen Ordner fand, war er positiv überrascht. Gleich ganz vorn in der Akte fand er den Sichtbefund. Der brachte ihm zwar kaum neue Erkenntnisse, aber es war gut, sich bestätigt zu sehen. Eine Explosion hatte dem Opfer das Gesicht und die Brust weggesprengt und die Hände in Mitleidenschaft gezogen. Es fehlten Finger.

Blah.

Draco nippte an Browns Mango-Gesöff, dass er sicher nicht Tee nennen würde, und blätterte um. Die Kleidungsliste überflog er grob. Das seine Leiche billige Muggelsneaker trug, wusste er schon, also blätterte er weiter-

Er stockte.

Statt einer weiteren Aufzählung dessen, was seine Leiche hatte, nicht hatte oder hätte haben können, leuchtete ihm etwas ganz anderes entgegen: Eine amerikanische Zauberstablizenz.

Ausgestellt auf Mister Samuel Jorah Silversteen.

Draco jubelte, oder zumindest wollte er jubeln und sicher hätte er es auch getan, hätte er nicht gerade Mangoirgendwas im Mund gehabt und hätte es nicht just in diesem Moment an der Tür geklopft. Sein triumphales „Hah!“ endete als ersticktes Husten. Das „Herein!“ verkniff er sich ganz, aber es war auch gar nicht notwendig – sein Gast fand die Türklinge auch ohne Aufforderung.

Und es war auch noch niemand geringeres als Mrs Hermione Ich-störe-wirklich-immer Granger. Weasley. Granger-Weasley. Egal.

Draco hustete einfach noch ein wenig weiter. Allein aus Prinzip.

„Guten Abend, Mr Tripe“, verkündete sie, in der Art, in der sie es immer tat, wenn sie jemandem auf die Nerven gehen wollte, „es tut mir wirklich leid, Sie so spät noch zu stören, aber die Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe benötigt ihre dringende Zuar-“

Mit jedem Wort, das aus ihrem Mund sprudelte, und mit jeder Sekunde, die sie Draco länger anstarrte, war sie leiser geworden, dann erstickte ihre Frage ganz.

„Malfoy?“, stammelte sie, statt ihm lang und breit zu erklären, was Tripe am besten schon vorgestern hätte tun sollten. „Was machst du hier?“

Draco ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen, bis sein Kopf gegen die Rückenlehne stieß. Er warf ihr einen Blick zu, der selbst Professor Snape hätte erblassen lassen.

„Granger-Weasley“, stöhnte er, so theatralisch, wie es das Kratzen in seinem Hals zuließ. „Wonach sieht es aus? Ich schlage gerade Weihnachtsgeschenke für die Hauselfen, die ich deinetwegen nicht habe, in glitzerndes Einhorngeschenkpapier ein. Entweder das oder ich arbeite. Was willst du?“

„Ich, ähm-“ Sie leckte sich über die Lippen. Selbst im Augenwinkel sah er, wie ihr Blick suchend durch den Raum huschte. Erst, als sie sich sicher war, dass keine Tripe-förmige Rettung hinter dem Obduktionstisch hervorspringen würde, fuhr sie fort. „Ich suche Mr Mortimer Tripe. Hast du ihn vielleicht gesehen?“

Zufriedener, als er es hätte sein sollen, stellte er fest, dass sie ein bisschen so klang, als würde sie sich lieber die Zunge abbeißen, als ausgerechnet Draco Ich-hasse-dich-und-deinen-Ehemann-und-deine-Katze-auch Malfoy um Hilfe zu bitten. Mit einem Ruck setzte er sich wieder auf und breitete die Arme aus. Zur Krönung der Geste gönnte Draco sich ein süffisantes Grinsen.

„Sitzt vor dir, Granger-Weasley.“

Wir erwartet fand Granger das alles andere als lustig. In typischer Du-gehst-mir-auf-die-Nerven-Manier verschränkte sie die Arme vor der Brust.

„Ha ha, Malfoy. Ich bin nicht zum Spaß hier. Ich weiß, dass Mr Tripe der Bereitschaftsmagier der Abteilung und damit für mein Anliegen zuständig ist. Also sag mir einfach, wo er sich befindet und ich lasse dich in Ruhe. Zufrieden?“

Zur Antwort schenkte Draco ihr eines seiner besten Augenrollen.

„Zuhause.“

„Wie zuhause? Er ist doch nicht etwa krank?“

„Wie man’s nimmt. Hat die Feiertagsseuche. Den siehst du vor Anfang Januar nicht wieder, Granger-Weasley. Also: Entweder, du spuckst endlich aus, was du willst, oder du gehst zurück Werwölfe streicheln oder was auch immer-“

„Ich streichle keine Werwöl-“ Sie stockte mitten im Wort. „Malfoy, ist das ein Niffler in einem Aquarium?“

Kurz blickte auch Draco zu dem kleinen Quälgeist in dem Glaskasten, der sicher nicht das Aquarium der Aurorenzentrale war. Erfreut stellte er fest, dass die kleine Ratte zur Abwechslung nicht seinen sondern Grangers Ehering anstarrte, wie ein besonders leckeres Häppchen.

„Granger-Weasley, ich denke, die korrekte Bezeichnung lautet Terrarium.“

Sie wirkte nicht überzeugt. Natürlich nicht. Ein Malfoy konnte schließlich kein recht haben.

„Da kleben Algen dran, Malfoy.“

„Da ist kein Wasser drin, Granger-Weasley“, schnarrte er. „Und dieser Niffler ist auch kein Fisch. Es kann also kein Aquarium sein.“

Es überraschte ihn ja beinahe ein wenig, wie einfach es immer noch war, ihr Temperament von ‚Ih, ein Malfoy!‘ auf Schallgeschwindigkeit zu beschleunigen. Nicht, dass er sich darüber beschwert hätte – es war fast so gut wie Astorias geliebtes Muggelkino.

„Es kleben Fischsticker an der Glasscheibe“, verkündete sie, die Stimme deutlich lauter als notwendig. „Ich bin mir sicher, dass es bis vor kurzem ein Aquarium war. Und warum hast du überhaupt einen Niffler auf deinem Schreibtisch? Es ist gegen die Hausregeln des Zaubereiministeriums, seine Haustiere mit an den Arbeitsplatz zu bringen!“

Draco schlug sich, nicht nur des Effekts wegen, vor die Stirn.

„Das ist kein Haustier, Granger-Weasley. Wäre es ein Haustier, hätte es einen Namen.“

„Es gibt auch Zauberer, die ihren Haustieren keine Namen geben!“

„Und ich gehöre nicht dazu“, erwiderte er. „Also merk es dir: Dieser. Niffler. Ist. Nicht. Mein. Haustier.“

Einen Moment lang presste sie die Lippen aufeinander und starrte ihn an, wie einen besonders unartigen knallrümpfigen Kröter.

„Hiermit weise ich dich pro forma darauf hin, dass es illegal ist, einen Niffler zu entführen, Malfoy-“

Langsam wurde ihm das, trotz aller Unterhaltung, die sie ihm bescherte, zu dumm.

„Hiermit weise ich dich pro forma darauf hin, dass es sich bei diesem Niffler um Beweismittel Ag47 handelt, Granger-Weasley.“

„Beweismittel?“ Sie lachte auf. „Mach dich nicht lächerlich, Malfoy. Wenn überhaupt, ist dieser Niffler ein Zeuge, kein Beweismittel! Und auch das gibt dir nicht das Recht, ihn in ein Aquarium einzusperren! Diese ganze Sache stinkt zum Himmel!“

„Und du stinkst schwanger.“

Gemein? Ja.

Niveaulos? Vermutlich.

Wahr? Natürlich nicht. Dracos Geruchssinn war gut, aber nicht so gut. Nein, er roch nichts oder zumindest nichts, was über das Parfüm, das Weasley ihr zu ihrem Geburtstag hinaus ging.

Schwanger war sie trotzdem.

Er kannte mittlerweile genug Frauen, die vor kurzem schwanger gewesen waren, gerade schwanger waren oder die beabsichtigten, demnächst schwanger zu sein, um Umstandsumhänge zu erkennen, wenn er sie sah. Außerdem war das kleine Mom's Magic Fit-Label auf ihrem Kragen ein unmissverständlicher Hinweis darauf, wo sie gerade shoppen ging – und Madame Malkins war es nicht.

Wirkte es? Selbstredend.

Granger öffnete den Mund, doch kein Ton kam heraus. Er sah, wie sich neues Unheil hinter ihrer Stirn zusammenbraute: Ärger darüber, dass ausgerechnet er es bemerkt hatte (und Weasley möglicherweise nicht), Furcht davor, dass er es breit treten würde, wenn sie ihm nur die Gelegenheit dazu ließ, oder noch schlimmer: Ihr die Überraschung verdarb – Draco hatte keine Ahnung. Er hatte allerdings auch kein Interesse daran, ihr die Gelegenheit zu geben, das Unheil zu artikulieren.

„Also, Granger-Weasley“, schnarrte er, „Zurück zum Thema. Was willst du von Tripe?“

Einen Moment noch sah sie ihn an wie ein bissiger Nundu (danke für den Vergleich, Kalima!), dann sackte sie sichtbar in sich zusammen. Energisch griff sie in eine ihrer Umhangtaschen und beförderte eine Muggelplastiktüte hervor.

„Wir wurden darüber informiert, dass in Circe's Backyards Tierwesen entflohen sind und haben sie wieder eingefangen. Das hier haben wir in einem der … Niffler gefunden.“

Draco ahnte, dass die Nervensäge vor ihm gerade zu der Nervensäge neben ihm starrte – und mit Pech eins und eins zusammenzählte – doch er selbst war zu sehr mit Starren beschäftigt.

Das hier war ein Finger. Etwas musste ihn unsauber vom Gelenk gerissen haben, doch abgesehen davon, dass ihm die Hand fehlte, wirkte er relativ intakt, genau wie der goldene Ring, der noch immer auf ihm steckte.

Draco musste nicht fragen, wem der Finger gehörte.

Er musste auch nicht fragen, was der Ring bedeutete. Das Wappen war so klobig, dass er es sogar durch die Tüte erkennen konnte. Flamels Erben.

Auffordernd streckte er die Hand aus, doch Granger machte keine Anstalten, ihm das Beweismittel – oder den Zeugen? Nein, Draco würde nicht fragen – auszuhändigen.

„Es wäre mir wirklich lieber, würde sich Mr Tripe selbst darum kümmern, Malfoy.“

„Mr Tripe kümmert sich in den nächsten Tagen höchstens um seine Weihnachtsgans, Granger.“

„Aber-“

„Du weißt, dass ich den Besitzer von dem da in der Kühlkammer habe, richtig? Würde ich eine Leiche schänden wollen, was glaubst du, würde mir mehr bringen? Silversteen oder sein Mittelfinger?“

Hätten Blicke töten können, vermutlich wäre er in Flammen aufgegangen. So aber starrte Granger ihn einfach nur nieder. Dann langsam – ganz langsam – reichte sie ihm die Tüte.

Ihr Griff indes löste sich nicht.

„Ich benötige darüber einen Bericht.“

„Wird Brown dir vorbeibringen, wenn er dein Büro findet.“

„Persönlich.“

„Darf ich ihn diktieren?“

„Malfoy.“

Statt zu antworten, zupfte er an der Tüte. Einen Moment noch starrten sie einander an, dann ließ Granger los. Erhobenen Hauptes drehte sie sich um und marschierte zur Tür. Vermutlich war es nur die anerzogene Höflichkeit – oder das Bedürfnis, ihm weiter auf die Nerven zu gehen – die sie noch einmal innehalten ließ.

„Brauchst du noch weitere Informationen?“

Das Nein lag ihm schon auf der Zunge – dann fiel sein Blick auf das Aquarium.

„Nun … da wäre tatsächlich etwas“, gab er zu. Es behagte ihm nicht, sie als Lexikon zu verwenden, so wie Potter es sonst immer tat, aber es würde ihn mit Glück einen Ausflug in die Bibliothek der Tierwesenabteilung ersparen – und er hasste die Tierwesenabteilung. Da liefen Viecher rum. Und Leute wie Granger.

„Ja?“

„Was fressen Niffler?“

Einen Augenblick lang starrte sie ihn an, als habe er gerade ein Drachenei gelegt. Er wollte gar nicht wissen, warum. Am Ende erwartete sie noch, dass er in Pflege magischer Geschöpfe aufgepasst hatte. Entweder das, oder sie hielt Beweismittel Ag47 immer noch für ein Haustier.

„Nichts ungewöhnliches. Insekten, Würmer und Edelmetalle. Warum?“

„Nur … so.“

Sein Blick glitt zu seinem Schreibtisch.

In seinem Aquarium rülpste der Niffler, satt und zufrieden.

 

Beweismittel Ag47


 

23. Dezember 2005

22:10 Uhr

Whitehall; Britisches Zaubereiministerium; Abteilung für Rechtsmagie

City of Westminster

London

 

 

„Bitte was?“

Morgan zog ein Gesicht, als hätte Draco ihm gerade eine tote Katze zu Weihnachten geschenkt. Gut – irgendwie hatte er das auch.

Sie saßen an seinem Schreibtisch in der Rechtsmagie, die Akten zum Fall Silversteen, zwei Becher mit Salted Caramel-Schwarztee und einen Niffler in einem Aquarium zwischen sich.

„Ich möchte“, wiederholte Draco mit aller Geduld, die er vierzig Minuten nach Feierabend aufbringen konnte, „dass du den Fall weiterverfolgst.“

„Du hast mir eben gerade gesagt, dass die Explosion ein Unfall war!“

Draco schüttelte den Kopf.

„Ich habe gesagt, ich weiß, woran er gestorben ist. Einen Unfall würde ich es nicht nennen, eher ein – wie sagt man? – allgemeines Arbeitsrisiko.“

„Draco, du bist nicht die Chinesin deiner Abteilung.“

„Bin ich nicht, stimmt. Aber ich weiß, wo Sue ihre Cantopop-Sammlung hat, wenn dir der Sinn danach steht?“

Einen Moment lang funkelten sie einander an – Draco Morgan, Morgan Draco und der Niffler ihre im Kerzenlicht glänzenden Armbanduhren – dann knickte Draco ein. Seufzend.

„Schon gut, ich zeig es dir. Hier.“

Mit einer knappen Handbewegung schlug Draco die Silversteen-Akte beim Marker 'Photographien' auf. Er überblätterte die Bilder von der Leiche und die von ihrem Finger, bis er das Bild des Ringes fand. Auffordernd schob er die Akte über den Tisch.

Morgans Miene verdüsterte sich augenblicklich.

„Flamels Erben“, murrte er. Bereits sein Tonfall ließ erahnen, dass er die Gruppierung nicht nur vom Hörensagen kannte. „Die Söhne haben ähnliche Ringe. Aber deren Besitz ist nicht verboten.“

„Der nicht“, gab Draco zu. „Aber ich kenne mittlerweile das Süppchen, das Daddy in den Caves geköchelt hat.“

Ohne eine weitere Aufforderung zu benötigen, blätterte Draco erneut durch die Akte, weiter nach vorn, dieses Mal, bis er die Tabelle fand, die er suchte. Sein Blick huschte nur kurz über die Zeilen, dann tippte er auf die linke Spalte.

„Ich habe vor Ort Proben genommen und im Nachgang auf mögliche Zaubertränke überprüft. Die gute Nachricht ist: Du musst keine weiteren Zauberstäbe auf Sprengzauber überprüfen. Die Schlechte: Das hier sind die Inhaltsstoffe, die ich dabei gefunden habe.“

„Moonseed … Nifflers Fancy … Erumpentpulver … Einhornblut …“, las Morgan vor und übersprang dabei noch die Hälfte von dem Zeug, das selbst Draco flau im Magen werden ließ. Bei jedem Wort zog er die Augenbrauen weiter zusammen. Schließlich pfiff er anerkennend. „Das ist nicht unbedingt die Standard-Einkaufsliste deines 08/15-Hobbybrauers.“

Draco nickte düster.

„Exakt. Und das ist noch nicht alles. Nach den Analysen habe ich überprüft, ob es Zaubertränke gibt, in denen diese Zutaten gemeinsam verwendet werden.“

„Nichts legales, nehme ich an?“

„Nichts legales“, stimmte Draco zu.

Sie tauschten einen Blick, dann sah Morgan zurück zu der Akte und der aufgeschlagenen Tabelle.

„Aber?“

Draco wies, eher wahllos, auf eine der hinteren Spalten.

„Es gab in der Vergangenheit immer wieder Magier, die mit diesen Sachen experimentiert haben. Nicholas Flamel, falls dir der Name was sagt?“

Morgan stöhnte. Er rieb sich die Schläfen, auch wenn Draco bezweifelte, dass das viel brachte – sehr ähnliche Kopfschmerzen verfolgten ihn, seit er einen ersten, kritischen Blick auf die Zutatenliste geworfen hatte.

„Der Stein der Weisen.“

„Und Gold“, stimmte Draco zu. „Vor allem Gold. Ich würde gerne behaupten, dass Silversteen das Zeug nicht alles in einen Kessel geworfen und kräftig gerührt hat, aber die Magiespuren der Explosion sind ziemlich charakteristisch. Außerdem habe ich Spuren der Zutaten da drin gefunden.“

Er griff nach einem Plastiktütchen, das er ebenfalls für dieses Gespräch bereit gelegt hatte. Ohne den Inhalt zu mustern – denn ehrlich, er konnte das Zeug nicht mehr sehen – warf er Morgan die Tüte zu. Diese beäugte sie kurz und lief dann, als er erkannte, was er da gerade fest drückte, grün an.

„Ist das-?“

Draco schenkte ihm ein dreckiges Grinsen.

„Genau das, was du glaubst, dass es ist, ja. Bitte mach sie nicht auf.“

Der Geschwindigkeit nach zu urteilen, mit der Morgan das Tütchen fallen ließ, hatte er das – Merlin sei dank – nicht vor.

„Du stocherst echt in …“

„Nifflerscheiße?“ Draco lächelte böse. „Willkommen in meinem Job.“

Auf der anderen Seite des Tisches schluckte Morgan heftig, den Blick abwechselnd auf das Tütchen und auf den Niffler gerichtet. Vermutlich dankte er Merlin gerade für seine Berufswahl. Nicht, dass Auror Dracos Meinung nach viel ekelfreier gewesen wäre.

„Jedenfalls verdaut unser Beweismittel hier“, fuhr er fort und klopfte mit seinen Fingerknöcheln gegen das Aquarium, „so halbwegs alles. Insekten. Würmer. Das Übliche. Edelmetalle fressen sie auch, verdauen aber nur so viel, wie sie benötigen. Der Rest gibt ihrem Kot den charakteristischen Glanz. Was das Zeug von unserer Liste anbelangt – eher nicht. Das zersetzt sein Magen in seine Einzelbestandteile und scheidet es anschließend wieder aus. Was vorn an falschem Gold reingeht, kommt hinten in dunkelbraunen Kötteln wieder raus.“

„Das heißt“, griff Morgan den Faden auf, während er die Zutatenliste anstarrte, als könne sie ihn vor den Nifflerkötteln retten, „Silversteen hat nicht nur illegale Zaubertränke gebraut, sondern sie auch an seine Niffler verfüttert.“

„Bingo. Und wenn deine Zeugin recht hat, mit dem was sie sagt, werden seine Söhne dort weitermachen, wo ihr Vater versehentlich BOOM! gegangen ist.“

Morgan nickte langsam. Gedankenverloren griff er jetzt doch wieder nach dem Tütchen zwischen ihnen. Einen Moment lang starrte er es an, als wäre es Schuld an allem. Draco konnte ihm förmlich dabei zusehen, wie er sich von der Vorstellung, Weihnachten bei Ente und Plumpudding zu verbringen, verabschiedete. Er ließ ihm die Zeit, denn er kannte den Prozess – eine sehr ähnliche Erkenntnis ereilte Draco jedes Jahr aufs Neue, immer dann, wenn er feststellte, dass der von ihm beantragte Urlaub zugunsten der alten Cinderford abgelehnt worden war.

„Nur eines verstehe ich nicht“, murmelte Morgan irgendwann. „Wenn dieser Niffler nur falsches Gold zu fressen bekommen hat … warum sind dann goldene Flecken in seiner … Kacke?“

Draco biss die Zähne aufeinander. Er hatte mit vielen Fragen gerechnet. Einige hatte er sogar erwartet. Diese jedoch hatte er eigentlich nicht hören wollen.

„Weil … Beweismittel Ag47 hier“, er warf dem Niffler einen finsteren Blick zu, „im Gegensatz zu seinen Kameraden nicht nur falsches Gold gefressen hat.“

„Was hat er-“ Morgan beendete die Frage nicht. Draco musste ihm zugutehalten, dass er nicht lachte, als er verstand, was dort den natürlichen Weg gegangen war. „Oh.“

Er nickte.

„Mein Vater ist außer sich. Ich habe mir heute früh drei Stunden lang anhören dürfen, wie unverantwortlich es von mir sei, den ach so wichtigen Siegelring meiner Familie zu verlieren, was für eine Schande ich wäre und das das alles Astorias Schuld sei.“

Tatsächlich klingelte die Empörung, auch jetzt noch in seinen Ohren. Leider half dagegen – und das hatte Draco schon zu Zeiten seiner Verlobung hinreichend ausprobiert – nicht einmal schnulziger Cantopop.

Morgans Blick glitt indes von ihm zurück zu Beweismittel Ag47.

„Und dann lebt er noch?“

Draco erlaubte sich ein dünnes Lächeln.

„Natürlich. Mein Vater beklagt schon seit Jahren, dass seine Pfaue immer nach ihm picken. Ich dachte, ich schenke ihm ein neues Haustier.“

 



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Kommentare zu dieser Fanfic (13)

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Von:  Lost_Time
2018-11-26T19:51:18+00:00 26.11.2018 20:51
*Finger knacks*
Also zu allererst: Draco gefällt mir (bis auf eine Ausnahme) ziemlich gut. Immer noch ernst, mürrisch, aber dennoch menschlich und sehr ehrgeizig. (Aber irgendwie ist er verdammt pingelig bei Getränken, arme Tori! ._.) Eine Seite, die man in den Büchern nicht immer wirklich gesehen hat. Er ist mir in der FF zumindest sehr symphatisch geworden. Niffler und er wären ein absolutes Dreamteam, wenn er dem Kleinem beibringt verschiedene Zipbeutel in seine Bauchtasche zu stopfen und Beweismittel in diese einzutüten. Und für jedes Glitzerding, am Tatort, was er nicht frisst, gibt's ne bisschen Geld oder Schmuck von Narzissa. Je nachdem was grade halt da ist. Kurz um, da wäre Potenzial da. Generell habe ich die Stellen gefeiert mit dem Niffler. Zum einen muss man sagen, er weiß, dass da überall Niffler sind, er hat die Reaktion vom Niffler gesehen bei dem Getränk und dennoch ist er (verzeih) so dumm und werkelt mit seinem Ring rum! Das war so mein Hand meets Stirn Moment in der FF. Niffler muss sich im Käfig, beim Fressen des Ringes, auch gedacht haben: Was für'n Amateur/Idiot, der kann ja gar nichts. Graves, wo haste den denn aufgegabelt?
Und im Labor war es auch cool mit der Münze, die er langsam nimmt und dann futtert, ganz nach dem Motto: Ey du Genie, guck mal, ich zeig dir nochmal ganz langsam wie es geht, damit 'ne Blondine wie du es auch kapierst. :P
Mega gute Stellen. Tori fand ich sehr süß dargestellt und weniger Slytherin artig, evt. falsches Haus damals? Auf jeden Fall würde mich interessieren, was die Malfoys an ihr so stört. Nja.
Der Kriminialfall ist auf jeden Fall sehr gut gelungen, auch das Ende ist gut geworden und mein Gott ich würde auch zahlen für Plätze für das Stück: Wie viele Schätze hat Malfoy und findet sie Niffler schneller als er selbst? XD

Die einzige Stelle, die mir nicht so zu sagte, war die mit Hermine. Ich war von Draco und ihr enttäuscht. Gut von Draco kann man wohl nichts anderes erwarten, von ihr schon. Mir fehlte da ein wenig die Professionalität, die sie eigentlich an den Tag legen müsste. Ich meine, Draco ist nicht seit gestern in der Rechtsmagieabteilung und es ist bestimmt nicht das erste Mal, dass die Beiden da alleine oder generell im Ministerium mal alleine aufeinander treffen. Die Stelle fand ich... ein wenig doof, aber gut.
Hält mich nicht davon ab, mir zu überlegen wie ich alles vertone und aussprechen werde. ;)
NIFFLERPOWER!!!!
Antwort von: Arcturus
26.11.2018 21:01
Danke für deinen Kommentar. :D

Ja, bei der Niffler-Sache war Draco nicht sehr Pflege-magischer-Geschöpfe-sicher. Er hat aber zumindest draus gelernt. xD

Das Tori mit den Dracos Eltern nicht klar kommt, hat Rowling so festgelegt. Sie ist ihnen wohl zu Muggelfreundlich.

Können wir uns bei Hermione und Draco darauf einigen, dass ihnen beiden die Niffler in den Knochen stecken? Ich meine, Draco hat in ihrer Scheiße gewühlt, Hermione ist ihnen vermutlich ewig hinterhergerannt und die Nerven liegen bei beiden blank. Ich bin mir sicher, die beiden können auch anders.

Und ja. Nifflerpower! Immer!
Von:  _Delacroix_
2017-02-19T20:09:10+00:00 19.02.2017 21:09
*lol*
Oh, da wird Lucius ordentlich zu tun haben, wenn die kleine Landplage merkt, was im Haus der Familie Malfoy alles an verdaubarem Zeug in irgendwelchen Ecken versteckt liegt. Ich kenne diverse Charas, die würden Eintrittsgeld zahlen um den Gockel bei seinen Rettungsversuchen zu sehen.
Antwort von: Arcturus
19.02.2017 21:20
Ich auch. Ich auch.
Da reihen sich einige Charas aneinander. Also fast alle, bis auf Draco und Tori. Die laden sich einfach zum Tee ein.
Antwort von:  _Delacroix_
19.02.2017 21:23
Ja, und Narcissa. Wobei deren Schmuck vermutlich nur einmal in den Diebespfoten landet.
Von:  _Delacroix_
2017-02-19T20:00:05+00:00 19.02.2017 21:00
Also es mag Gewohnheitssache sein, aber dieser Doppelname geht echt nicht gut über die Zunge. Ich weiß Rowling wollte damit ein Statement setzen, aber gerade im Gespräch finde ich ihn fürchterlich klobig und sehr schwergängig. (Hat vielleicht was mit dem Mango-Tee gemeinsam, der auf der Zunge sicher auch was hinterlässt, was ihr nicht gefällt.)
 
Ansonsten heißt es jetzt wohl: Bye, Bye für den Ring. Also eigentlich hieß es das schon länger, vermutlich isser inzwischen gut anverdaut, aber ich fürchte rauskommen tut da gewiss nichts mehr. (Außer er scheißt versehentlich einen hübschen Schmuckstein wieder aus.^^)
Antwort von: Arcturus
19.02.2017 21:19
Natürlich ist der Name im Gespräch klobig - deswegen verwendet Draco ihn ja. Immer und immer und immer wieder.

Und ja, Bye, Bye Ring. Und Schmuckstein ... eher Schmuckkacke.
Antwort von:  _Delacroix_
19.02.2017 21:23
Das war klar, aber wenn ich mir vorstelle, dass das auch x Kollegen machen, tut mir Hermione fast ein bisschen leid. Die Entscheidung war sicher nicht ihre klügste.
Von:  _Delacroix_
2017-02-19T19:42:33+00:00 19.02.2017 20:42
Okay, Pilstests klingen auch nicht unbedingt verlockend, vor allem dann nicht, wenn Harry Potter da zur Hälfte mit drin steckt. Wobei die Geschichte von ihm und Ron auf dem Konzert sicherlich auch ganz interessant wäre. Könnte man doch sicher drüber lachen, oder?^^
Antwort von: Arcturus
19.02.2017 21:18
Nicht Harry und Ron. Harry und Dawlish. |D
Und ob ich das wirklich schreiben möchte - Dawlish sagt ja: Nochmal macht er das nicht.
Aber, wenns hilft: Morgan hat im Nachgang noch Autogramme verteilt, so, an fast alle. Er sitzt ja an der Quelle.
Von:  _Delacroix_
2017-02-19T19:19:56+00:00 19.02.2017 20:19
Also Draco muss wirklich lernen, dass man nicht den Inhalt jedes Bechers in den Mund nehmen sollte, egal wo man gerade mit den Gedanken ist. Sonst könnte das noch einmal böse mit ihm enden. Hätte Ronald das gewusst, er hätte ihm vermutlich schon vor Jahren einen Becher mit Nevilles Zaubertrankresultaten drin untergejubelt.
Antwort von: Arcturus
19.02.2017 21:16
Ich glaube, den Braten hätte er selbst damals schon gerochen. Zumal Ron ja nicht die subtilste Kerze im Leuchter ist...
Antwort von:  _Delacroix_
19.02.2017 21:18
Und mit Pech hätte er sie dann trotzdem in sich reingegossen, weil ihn die Tirade über das Wiesel abgelenkt hätte. Ich sage doch, die Angewohnheit ist gefährlich. XD
Von:  _Delacroix_
2017-02-19T19:04:29+00:00 19.02.2017 20:04
Oh man.
*lach*
Auf der Liste der Dinge, die einem in einer Nacht an unangenehmen Sachen passieren können, steht das garantiert nicht weit unter "In die Luft gejagt werden". Scheint ein bisschen als wollte der arme Draco einen neuen Rekord aufstellen.
Antwort von: Arcturus
19.02.2017 21:15
Er nicht, aber seine Umgebung vielleicht.
Von:  _Delacroix_
2017-02-19T18:53:40+00:00 19.02.2017 19:53
Also dieser Getränkezauber ist böse, vor allem bei so einer Becherfüllung.
Orangentee und Sahne. Igitt, Igitt! Das klingt schon, als wollte man das nicht unbedingt probieren.
Armer Draco.
 
Aber die Frettchenwitze kann ich bei 'nem weißen Umhang leider nachvollziehen.^^
Antwort von: Arcturus
19.02.2017 21:15
Britische Magier, nicht wahr? :D

Er war ja auch ein weißes Frettchen. Wenn auch ein sehr niedliches.
Antwort von:  _Delacroix_
19.02.2017 21:16
Ich glaube da möchte er widersprechen. Vermutlich vehement. XD
Von:  _Delacroix_
2017-02-19T18:24:44+00:00 19.02.2017 19:24
"Die mit dem Hindernisparcours, den Flüchen aus dem Hinterhalt und den Möbeln, die Sie in einen Koala verwandeln, wenn Sie sie berühren?" - Irgendwie ahne ich woher diese Möbel das haben und das ist ein bisschen beängstigend.
Hoffentlich hat der Koala wenigstens noch die Originalfarbe.
Antwort von: Arcturus
19.02.2017 21:14
Ich garantiere für nichts. Und ja, die Befürchtungen sind berechtigt...
Von:  _Delacroix_
2017-02-19T18:01:18+00:00 19.02.2017 19:01
Ah, die Kapitel sind alle da, dann kann ich ja zu lesen anfangen.^^
Draco tut mir tatsächlich etwas leid. Es muss hart sein, wenn man ständig wegen solchen Sachen aus dem Bett geholt wird und mit Tori ist es ja sicher auch nicht ganz einfach, zur Zeit. 


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