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Creepypasta Extra: Umbra

Schatten einer Tragödie
von

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Kleine Fortschritte

„Nun komm schon Anthony, du schaffst das schon. Es kann dir rein gar nichts passieren.“

„Grey hat Recht. Wir sind ja bei dir!“

Doch Anthony traute dem Braten nicht und so befand er sich immer noch in der abgedunkelten Ecke, welche den einzig dunklen Bereich des Zimmers darstellte. Die Fenster, die mit einer Spezialfolie beschichtet waren und zwar Licht, aber keine UV-Strahlen durchließen, ließen das Tageslicht hinein und neben ihn warteten geduldig Vincent und Viola. Da die beiden momentan nichts Besseres zu tun hatten, machten sie es sich zur Aufgabe, Anthonys Photophobie, also seine panische Angst vor Licht zu behandeln und ihm zu helfen, sich ans Tageslicht zu gewöhnen. Das war leider nicht so einfach wie es sich anhörte, denn Anthony hatte nicht die besten Erfahrungen mit Licht gemacht. Aufgrund eines äußerst seltenen Gendefektes litt Anthony an einer Lichtallergie. War er zu lange Sonnenlicht oder künstlichem Licht ausgesetzt, bekam er schmerzhafte Ausschläge und Verbrennungen, zudem fühlte er sich dann, als würde er von innen verbrennen. Darum vermied er alles, was Licht ausstrahlte. Die einzigen Lichtquellen, die er ertragen konnte, waren Kerzenschein und Kaminfeuer. Nun, da er nach all der Zeit seinen besten Freund Vincent wiedergetroffen hatte und nun auch die kleine Viola bei ihm wohnte, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, seine Angst zu bekämpfen und etwas zu unternehmen. Der erste Schritt war die Spezialfolie und langsame Gewöhnung ans Licht. Inzwischen schaffte es Anthony, wenigstens die Vorhänge bei Sonnenuntergang oder stark bewölktem Himmel zu öffnen, ohne gleich Angst zu bekommen. Doch der jetzige Schritt, nämlich helles Tageslicht, war für ihn immer noch eine viel zu große Herausforderung. Schon jetzt spürte er die Angst in sich aufsteigen, die er vor den anderen zu verbergen versuchte. Sein Herz raste förmlich und der kalte Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Ihm war schlecht und schwindelig, er wollte nur noch so schnell wie möglich raus, um dieses beklemmende Gefühl loszuwerden. Langsam taumelte er zurück und stützte sich an der Wand ab. Viola nahm seine Hand. „Hab keine Angst, wir sind ja bei dir. Wir können das jederzeit abbrechen, wenn es zu viel wird. Aber du solltest es trotzdem mal versuchen.“ Sie hat ja Recht, dachte Anthony, schloss die Augen und atmete tief durch. Solange die Fenster mit der Folie beschichtet waren, konnte er sich problemlos im Licht aufhalten. Aber sein Kopf sagte ihm was anderes. „Eigentlich hättest du dieses Problem nicht, wenn du die Angst in deinem Unterbewusstsein abschalten würdest.“

„Du weißt, warum ich das nicht tue. Wenn ich an meinem eigenen Verstand herumfummle, gibt das nur psychische Spätfolgen und ich werde entweder verrückt oder mein Langzeitgedächtnis wird geschädigt. Man kann nicht alles mit dieser Gabe lösen. Ich muss es aus eigener Kraft schaffen, okay?“ Anthony atmete noch ein Mal tief durch, dann trat er langsam und vorsichtig aus seiner dunklen Nische heraus und näherte sich dem Lichteinstrahl des Fensters. Sein Unterbewusstsein stellte sich vollkommen quer und machte ihm jeden Schritt zur Tortur. Knapp ein paar Schritte vom Lichteinstrahl blieb er entfernt, seine Angst war unbeschreiblich und alles in seinem Kopf schrie danach, in die Dunkelheit zurückzugehen. Er schaffte das nicht, niemals. Das war zu viel. Er ging zurück in die Nische und lehnte sich gegen die Wand. Verdammt, das konnte doch nicht wahr sein. Warum nur war es so unsagbar schwer, seine tiefste Angst zu bekämpfen? Vincent klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und band ihm ein Tuch um die Augen, um seine Sicht zu verdecken. „Versuchen wir es doch erst mal damit. Ich führe dich und du wirst feststellen, dass alles in Ordnung ist.“ Anthony nickte und hielt sich an Vincents Arm fest. Langsam gingen sie vorwärts, trotzdem blieb die Angst, weil er wusste, was gleich kommen würde. Aber so schnell wollte er nicht aufgeben. Langsam gingen sie weiter, bis Vincent stehen blieb und Anthony ein wenig drehte. „So, jetzt bleib einfach mal eine Weile stehen und lass die Augenbinde drauf. Lass es ganz in Ruhe auf dich wirken.“ Damit ließ er ihn los, blieb aber dicht bei ihm. Anthony stand da und spürte die Wärme auf seiner Haut. Sie war angenehm, sie schmerzte nicht wie sonst. Sonst hatte er in Sonnenlicht nichts anderes als Schmerzen empfunden. Ein paar Sekunden blieb Anthony so stehen und hatte für einen Moment lang seine Angst vergessen. Aber nur für einen Moment. Denn schon bald wurde ihm wieder ganz unbehaglich zumute. Mit einem Male war die Panik wieder zurück, er fühlte sich, als wäre er in einen winzigen Raum eingesperrt und als würden sich die Wände auf ihn zu bewegen. Seine Brust schnürte sich augenblicklich zusammen und er bekam Schwierigkeiten, zu atmen. „Vincent, ich… ich muss zurück.“

„Okay, kein Problem. Aber hey, du hast es ganze 20 Sekunden ausgehalten. Das ist doch ein toller Fortschritt. Letztes Mal hast du dich schon nach drei Sekunden zurückgezogen.“ Vincent führte seinen besten Freund zurück und nahm ihm die Augenbinde ab. Die Anspannung fiel langsam ab, doch dem Lichtscheuen wurde kurz schwarz vor Augen und die Beine gaben nach. „Ich habe das Gefühl, ich werde mich niemals an das Licht gewöhnen. Das ist doch wirklich beschämend. Welcher normale Mensch hat bitteschön Angst vor Licht? Ich bin doch echt eine Lachnummer.“

„Sag so was doch nicht. Jeder hat irgendetwas, wovor er Angst hat. Niemand lacht dich deswegen aus. Du machst großartige Fortschritte und wenn du es ganz alleine ohne deine Gabe schaffen willst, dann musst du eben akzeptieren, dass es länger dauert, eine Phobie zu bekämpfen.“ Vincent reichte ihm die Sonnenbrille, die Anthony tagsüber trug, wenn im Haus die halbdunklen Vorhänge zugezogen waren. Zuvor hatten schwere und dunkle Vorhänge sämtliches Licht aus dem Haus ferngehalten und alles finster gehalten. Lange Zeit hatte er es so arrangiert, dass er tagsüber schlief, während sein treues Hausmädchen Jenna, das sich auch so liebevoll um seinen Garten kümmerte, um diese Zeit die Hausarbeit erledigte. Einzige Ausnahmen waren die Tage, an denen er Kunden hatte. Dann wurde alles abgedunkelt und Jenna bereitete den Salon vor, indem sie die Kerzen anzündete und das Kaminfeuer schürte. Vorsichtig trat das Dienstmädchen herein und fragte „Sir, soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen? Sie sehen sehr blass aus.“

„Danke Jenna, das wäre sehr nett. Und bring den anderen doch auch etwas.“

„Sehr wohl.“ Mit einer leichten Verbeugung ging das Mädchen und Anthony setzte sich erst einmal auf einen Stuhl, während Viola die halbdunklen Vorhänge zuzog. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie schrecklich es sein musste, Angst vor Tageslicht zu haben. Unfähig, das Haus bei Tage zu verlassen und ganz isoliert von der Außenwelt leben zu müssen, musste wirklich schlimm sein. Anthony musste ein sehr einsames Leben geführt haben und das eine so lange Zeit. „Geht es wieder?“ fragte Vincent und betrachtete seinen Freund besorgt. „Ein bisschen, es ist nur der Kreislauf, der mir Probleme bereitet. Gleich geht es wieder.“ Wenig später kam Jenna mit den Getränken und nachdem Anthony wieder aufstehen konnte, verließen sie das Zimmer und gingen in den Salon. Dort waren die Vorhänge zugezogen und ein Feuer brannte im Kamin. Ein Zeichen dafür, dass der Hypnotherapeut einen Klienten erwartete. Viola setzte sich vor den Kamin und betrachtete die tanzenden Flammen. Anthony begann auf dem Schallplattenspieler Musik zu spielen, aber es war kein Swing, wie er es gerne zu hören pflegte, sondern eine sehr melancholische und leicht düstere Melodie, die Viola überhaupt nicht gefiel und die sie als unheimlich bezeichnete. „Was ist das denn für eine Musik?“

„Ist von einem ungarischen Komponisten, ein sehr umstrittenes Lied. Ich hab es die letzten Tage ein wenig unter die Lupe genommen und vergessen, sie wieder wegzulegen. Entschuldigung. Hast du einen Musikwunsch, Viola?“

„Keine Ahnung… Irgendwas Lustiges!“ Also wurde eine Schallplatte mit Tanzmusik der 40er Jahre gespielt. Viola bewegte dabei leicht den Kopf hin und her und begann, sie mitzusummen. Anthony lehnte sich in seinem Sessel zurück und seufzte laut. „Ich hatte echt gehofft gehabt, dass es heute besser laufen würde, aber ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Mich lässt diese Sache einfach nicht los.“

„Was für eine Sache?“

„Ich bekomme in der letzten Zeit immer wieder Besuch von Klienten, die allesamt das Gleiche träumen und sich bedroht und verfolgt fühlen. Hast du schon von einem Wesen namens Umbra gehört?“

„Nur flüchtig.“

„Diese Kreatur treibt offenbar schon seit einiger Zeit sein Unwesen. Es erscheint seinen Opfern zuerst im Schlaf und verfolgt sie dann in der Realität. Und dann absorbiert Umbra seine Opfer oder Teile von ihnen, wenn sie schlafen. Das Ganze ist ziemlich bizarr. Alle beschreiben Umbra gleich: Ein menschenähnliches Wesen mit jeweils vier ungewöhnlich langen Fingern, welches immer einen Parka trägt und offenbar darunter kein Gesicht besitzt. Zumindest kann niemand ein Gesicht erkennen.“

„Dann ist Umbra so etwas wie der kopflose Reiter von Sleepy Hollow?“

„Viola, wie oft hab ich dir gesagt, du sollst die Finger von meiner Horrorfilmsammlung lassen?“ Das Mädchen schaute verlegen weg und Anthony schüttelte den Kopf. „Soweit ich richtig verstanden habe, sagten alle, dass unter der Kapuze rabenschwarze Leere war. Und immer versucht Umbra, den Kopf seiner Opfer unter seine Kapuze zu ziehen. Wenn das geschieht, wachen sie schreiend auf und träumen seitdem ununterbrochen von diesem Wesen. Ich will ja keine schlafenden Hunde wecken, aber für mich klingt das ein wenig danach, als würde Umbra mit dem Dream Weaver in Verbindung stehen.“

„Glaubst du, er ist so etwas Ähnliches wie der Traumfresser, den Viola getötet hat?“

„Ich bin mir nicht sicher. Es könnte auch ein gescheitertes Experiment meines Halbbruders sein. Zuzutrauen wäre es ihm alle Male. Er hat es ja schon immer verstanden, dem schlechten Ruf meiner Familie alle Ehre zu machen.“ In seiner Stimme war ein bitterer Ton des Vorwurfs zu hören und man sah ihm an, dass er für seine Familie nichts als Verachtung empfand. Tatsache war, dass Anthonys Familie in den 30ern und 40er Jahren engagierte Mitglieder der NSDAP waren. Anthony, der damals noch Anton Friedrich Helmstedter hieß, war der jüngste Halbbruder des berüchtigten KZ-Arztes Johann Hinrich Helmstedter, der unzählige grausame Experimente an Menschen durchführte, auch an Kindern. Anthony amerikanisierte seinen ersten Vornamen und nahm den Mädchennamen seiner englischstämmigen Mutter an, die ihn zu seinem Vater abschob, weil sie keine Kinder haben wollte. Anthony fiel der Experimentierfreudigkeit seines Halbbruders ebenfalls zum Opfer und wurde zu einem Konstrukteur gemacht, genauso wie Vincent. Dadurch war er in der Lage, das Unterbewusstsein seiner Mitmenschen zu manipulieren, aber auch sein eigenes. Diese Fähigkeit beruhte allein auf der Tatsache, dass die Konstrukteure in der Lage waren, nicht nur auf 5 bis 10% sondern auf 100% ihres Gehirns bewusst zugreifen zu können. Und da das Gehirn „Funksignale“ aussandte und die Konstrukteure sich auf diese Weise mit dem Unterbewusstsein anderer Menschen verbinden konnten, waren sie in der Lage, andere Menschen genauso zu beeinflussen. Natürlich war die Fähigkeit begrenzt. Eine Bewusstseins- und Gedankenkontrolle war nicht möglich, dafür aber waren sie in der Lage, Bewegungen zu steuern, die für die Menschen Routine waren und unterbewusst erledigt werden konnten. Anthony hatte sich sehr intensiv mit dem Experiment und der Unterbewusstseinsforschung beschäftigt. Er hatte erfahren, dass das Gehirn von Geburt an einen Filter besitzt, um das Bewusstsein nicht zu überlasten. Viele Reize und Sinneseindrücke wurden ins Unterbewusstsein „aussortiert“ und Bewegungen und Tätigkeiten, die ganz nebenbei erledigt werden konnten (wie z.B. Laufen, Fahrrad fahren, Atmen), wurden dort ebenfalls abgelegt. Auch war es Tatsache, dass das Gehirn niemals Erinnerungen vergaß. Sie wurden einfach in ein mentales Archiv verstaut und auf die meisten konnte man nicht mehr bewusst zugreifen, weil die Erinnerungen quasi komprimiert worden waren, um Speicherplatz zu gewinnen. Das Gehirn war wie eine gewaltige und leistungsstarke Festplatte, die regelmäßig routinierte Handlungen herausfilterte, damit der Mensch sich auf noch mehr Tätigkeiten konzentrieren konnte, ohne überfordert zu werden. Die Konstrukteure konnten diese ganzen gespeicherten Daten einlesen, indem sie den Verstand „hackten“ und konnten diese löschen oder umschreiben. Alle Konstrukteure besaßen die gleichen Fähigkeiten, stachen aber deutlich aufgrund einer besonderen Begabung heraus, die sie einzigartig machte. So war es Vincents Spezialität, Erinnerungen, Fantasien, Ideen und andere Dinge im Verstand komplett zu löschen. Darum nannte man ihn auch kurz und knapp „Eraser“. Anthony wurde allgemein als „Trickster“ bezeichnet. Das lag vor allem daran, dass er das ungewöhnliche Talent besaß, mit dem kleinsten Aufwand große Veränderungen herbeizurufen, allein durch seine Fähigkeit. Schließlich hatte er durch seine Forschungen und seine Anstrengungen eine Technik entwickeln können, um die Menschen nach seinem Willen zu steuern, als könne er auch das Bewusstsein beherrschen: Er versetzte seine Opfer mittels Hypnose in Trance und konnte sie zu Dingen zwingen, die sie im normalen Leben niemals tun würden. Aber er wandte sie hauptsächlich nur für seine Arbeit als Hypnotherapeut an, weil er niemals so werden wollte wie der Rest seiner Familie. Die Tatsache, dass seine Familie aus Verbrechern bestand, hatte ihn sehr geprägt und deshalb war er bemüht, so gut es ging ein aufrichtiger Mensch zu sein. Auch wenn das nicht immer einfach war. Ganz anders als Mary Lane, die er damals zusammen mit Vincent und den anderen Kindern aus dem Institut befreit hatte. Ihre Fähigkeiten waren beängstigend und sie hatte keine Skrupel, Menschen zu manipulieren oder sie zu töten, wenn sie ihr im Wege standen. Die Folgen waren, dass sie aggressiv, psychisch labil und wahnsinnig wurde. Sie schreckte nicht einmal davor zurück, jene zu töten, die sie liebte. Diese gefährliche Kraft, die sie, Vincent und Anthony besaßen, barg große Risiken. Es konnten bei einer Überbeanspruchung Schäden am Gehirn entstehen, das Langzeitgedächtnis wurde in Mitleidenschaft gezogen und schwere Gedächtnisprobleme oder Amnesie und sogar Gehirnblutungen konnten die Folge sein. Die geistige Reifung blieb aus, sodass Mary Lane nach über sechzig Jahren immer noch das Verhalten eines Kindes hatte, obwohl sie äußerlich erwachsen war. Das Gehirn konnte manche Dinge nicht mehr richtig einsortieren, sodass das Bewusstsein völlig überfordert wurde und Symptome von Schizophrenie, Paranoia und anderen Krankheiten auftraten. Man konnte wirklich sagen, dass man für diese Fähigkeiten einen hohen Preis zahlte. Und genau das hielten sich Vincent und Anthony immer vor Augen.
 

„Hey Anthony, wann kommt denn dein nächster Kunde?“

„In einer halben Stunde. Könntest du mir einen Gefallen tun und mit Viola vielleicht irgendwo hingehen, zum Beispiel ins Kino? Ich habe einen recht prominenten Klienten und ich habe Diskretion versprochen.“

„Wer ist das denn? Ein berühmter Schauspieler oder ein Sänger?“ Anthony erklärte Viola, dass er die Namen seiner Kunden nicht verraten dürfe, aber er versicherte ihr, dass sie vielleicht schon mal von ihm gehört habe. Und weil es keinen Skandal oder irgendwelchen Klatsch und Tratsch geben sollte, wollte er verhindern, dass mehr Menschen als unbedingt nötig mit seinen Kunden in Kontakt kamen. Vincent hatte vollstes Verständnis und besprach sich mit Viola, die inzwischen wie eine kleine Schwester für ihn war, wohin sie gehen wollten. Sie würden ins Einkaufszentrum fahren, da Viola unbedingt ein neues Kleid haben wollte. Anthony gab den beiden Geld mit, da Vincent noch in der Ausbildung war und er noch kein Geld verdiente. „Macht euch einen schönen Nachmittag. Ich denke nicht, dass ich stundenlang brauchen werde.“ Das kleine Mädchen war ganz aus dem Häuschen und freute sich auf den bevorstehenden Einkauf. Sie sprang auf, umarmte Anthony und dankte ihm. Dann lief sie zu Vincent und bettelte förmlich, dass sie doch gleich losgehen mögen. Vincent streichelte ihr lächelnd den Kopf und verabschiedete sich von seinem besten Freund. Damit ließen sie Anthony allein, der nun damit begann, alles für seinen Kunden vorzubereiten. Er ließ das Dienstmädchen einen Tee vorbereiten und richtete den Salon her. Etwa eine Viertelstunde oder vielleicht auch fünf Minuten später ertönte die Glocke an der Tür und Anthony ging hin, um zu öffnen. Als er sie öffnete, erwarte ihn ein hübsches Mädchen von vielleicht 20 bis 25 Jahren mit feuerrotem Haar und wunderschönen Augen. Sie trug eine rote Jacke und darunter eine weiße Bluse, dazu eine passende Goldkette. „Miss Christine Cunnings?“ Das Mädchen nickte und ließ sich von Anthony hereinführen. Sie war der prominente Gast, von dem Anthony zuvor gesprochen hatte. Eine aufsteigende Schauspielerin, die in ihrer Freizeit gerne an Autos bastelte. Anthony führte sie in den Salon und ließ den Tee bringen, während er Christine den Mantel abnahm. „Sie haben es sehr schön hier“, bemerkte sie bewundernd, als sie den Blick durch den Salon streifen ließ. „Ich hätte nicht gedacht, dass man als Hypnotherapeut gut verdient.“

„Es kommt ganz auf die Kundschaft an.“

„Wie viel verlangen Sie denn für Ihre Therapiesitzungen?“

„Von Ihnen ein kleines Vermögen.“

„Klingt nach Halsabschneiderei.“

„Wenn Sie nicht zufrieden sind, brauchen Sie nicht zu zahlen.“

„Verlangen Sie von anderen auch ein Vermögen?“

„Kommt drauf an, weshalb sie zu mir kommen.“ Diese Frau war wirklich interessant. Sie schien einen sehr spitzfindigen Charakter zu besitzen und ließ sich nicht so schnell die Butter vom Brot nehmen. Sie gefiel Anthony auf Anhieb. „Und weshalb sind Sie zu mir gekommen?“

„Ich bin letzte Nacht in meiner Hotelsuite aufgewacht und konnte mich an rein gar nichts mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich in einer Bar mit ein paar Freunden und Kollegen gefeiert habe und dann bekam ich einen Filmriss. Als ich aufwachte, wusste ich zuerst nicht wo ich war und geriet in Panik.“

„Klingt verdächtig danach, als hätte jemand Ihnen etwas in den Drink getan.“ Christine nickte und fuhr sich mit ihren zierlichen Fingern durchs Haar. „Ich will wissen, was passiert ist und ob… nun… Sie können sich ja denken, worauf ich hinaus will. Meinen Sie, es ist möglich?“ Christine sah besorgt und unruhig aus. Anthony konnte sich gut vorstellen, dass sie Angst haben musste, jemand hätte ihren berauschten Zustand schamlos ausgenutzt. Er trank seinen Tee aus und begann die Vorgehensweise zu erklären. „Ich werde Sie in Hypnose versetzen und dann versuchen, den fehlenden Teil Ihres Gedächtnisses wachzurufen. Sie müssen wissen, dass unser Gehirn niemals etwas vergisst. Sämtliche Erinnerungen sind in unserem Unterbewusstsein abgespeichert und können auch wieder abgerufen werden. Wichtig ist aber auch, dass Sie sich darauf einlassen und mir Ihr Vertrauen schenken. Und je nachdem was es für Erinnerungen sind, kann es entweder schnell gehen, oder länger dauern. Ihr Unterbewusstsein muss sich darauf einlassen. Wenn es sich gegen meinen Eingriff wehrt und mir sozusagen den Zugriff verweigert, könnte es vielleicht etwas dauern. Das heißt aber keinesfalls, dass es unmöglich ist, Miss Cunnings, machen Sie sich da keine Sorgen.“

„Funktioniert Hypnose überhaupt? Ich dachte, so etwas wäre totaler Quatsch.“

„Sie funktioniert bei jedem unterschiedlich. Bei manchen funktioniert es glatt auf Anhieb, andere wiederum brauchen ihre Zeit und manchmal funktioniert es gar nicht. Ein Hypnotherapeut ist auch kein Wunderwirker.“

„Aber Sie sind berühmt dafür, dass Sie selbst das Unmögliche schaffen können.“

„Die Menschen neigen manchmal zu übertreiben.“ Anthony räusperte sich und bat Christine, sich hinzulegen, damit sie sich besser entspannen konnte. Dies war sehr wichtig, wenn er eine risikofreie Hypnose durchführen wollte. Er hatte mit den Jahren herausgefunden, dass er problemlos das Unterbewusstsein anderer Menschen beeinflussen konnte, wenn er sie hypnotisierte. Somit konnte er seine Gabe einsetzen, ohne Angst zu haben, dass er selbst Schäden davontrug. Langsam versetzte er Christine in Hypnose und sie fiel in eine tiefe Trance. Jetzt war alles soweit. Nun konnte er damit beginnen, die verlorenen Erinnerungen aufzurufen und sie in den Speicher der abrufbaren Erinnerungen zu verschieben, sodass sich Christine von selbst wieder erinnern konnte. Konzentriert schloss er die Augen und atmete tief durch. Er spürte die Resonanz, die von Christines Kopf ausströmte. Alles im Hirn bestand aus elektrischen Impulsen, die kodierte Signale waren mit Daten eines Computers vergleichbar. Jetzt, da Anthony seinen Verstand mit Christines verbunden hatte, konnte er diese „Daten“ einlesen, verschieben oder verändern. Immer tiefer drang er ein und hatte nun den Teil der Erinnerungen erreicht. Jetzt musste er nur noch die wieder aufrufen, die durch die Drogen unzugänglich waren. Gerade wollte er noch weiter suchen, da reagierte plötzlich etwas in Christines Verstand. Tausende von Bildern strömten auf ihn ein und zogen an seinen Augen vorbei. Rasend schnell spielten sich Dinge vor ihm ab, die kaum ertragbar waren. Sein Verstand wurde überflutet mit Erinnerungen, die er nicht aufzuhalten vermochte. Er sah Städte, Bilder von Ruinen, Flammen und Zerstörung und Wiederaufbau. Sein Kopf begann zu dröhnen. Er war nicht in der Lage, diesen Strom aufzuhalten. Das alles war zu viel für ihn, wenn es nicht endlich aufhörte, würde er noch den Verstand verlieren. Das Dröhnen in seinem Kopf wurde immer schlimmer und schließlich wurde ihm schwarz vor Augen. Er brach auf dem Boden zusammen und hörte nur noch, wie Christine flüsterte „Tut mir Leid, aber es ging einfach nicht anders.“



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