Zum Inhalt der Seite

Wege des Lebens

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Der Gang war nur spärlich beleuchtet. Das Auftreten der schnellen Schritte hallte laut wieder. Der weiße Umhang flatterte im Laufwind und das kurzatmige Hecheln verdeutlichte die Anstrengung. Nur noch ein paar Meter. Wenige Schritte trennten die Gestalt, gekleidet in einem weißen Anzug und mit einem Zylinder auf dem Kopf, von seinem Ziel. Am Ende des Ganges konnte er schon die Tür sehen. Dahinter würde er ihn bestimmt finden. Dieses Mal musste er es sein. Und wenn er ihn endlich in den Händen hielt wollte er aufhören. Sein Schicksal hätte sich besiegelt. Er hatte es geschworen. Am Grab seines Vaters hatte er bei sich geschworen ihn zu finden und zu zerstören. Und seinen Eid brach er nicht. Sonst wäre er nicht der berühmte Meisterdieb Kaitou Kid. Er biss die Zähne zusammen und spurtete noch schneller und endlich erreichte er sein Ziel. Vor der verschlossenen Tür blieb er stehen und atmete nochmals kräftig durch. Sein Puls raste durch den Sprint und er wusste dass ihm nicht viel Zeit blieb. Die Polizisten verfolgten ihn bereits und hatten ihn bald eingeholt. Er wusste, dass er in einen Hinterhalt geriet, doch ihm bleib keine andere Möglichkeit. Entschlossen griff eine, im weißen Handschuh gehüllte, Hand nach der Türklinke und drehte den Knauf. Die Tür war nicht abgeschlossen.

Knarrend schwang sie auf. Dahinter befand sich ein Raum, der in ein tiefes schwarz gehüllt war. Aufmerksam blickte sich Kaitou Kid um, während er eintrat. Es war stockdunkel und er konzentrierte sich voll und ganz auf seine Umgebung.

Schritt für Schritt ging er voran. Immer weiter drang er in die Dunkelheit hinein, doch inzwischen hatten sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt und er konnte einzelne Umrisse wahrnehmen. Ihm gegenüber befand sich ein großer Schreibtisch und ein Büroschrank, dahinter hing ein großes Bild an der Wand. Zu seiner rechten Seite war ein Vorhang zugezogen, dahinter verbarg sich das Fenster, welches tagsüber den Raum erhellte. Und zu seiner linken Seite befand sich das Objekt seiner Begierde. Der Dieb behielt die Umgebung im Auge, doch blieb er plötzlich stehen und drehte sich linksum. Vor ihm erkannte er die Umrisse einer Glasvitrine. In ihr befand sich ein rosafarbener Edelstein in der Größe eines Golfballs.

Niemand war in diesem Raum zur Wache abgestellt, hatten sie wirklich geglaubt ihn vorher fest zu nehmen? Wie töricht diese Polizisten doch waren.

Kaitou Kid, gekleidet in einem weißen Smoking und ein blaues Hemd mit roter Krawatte, trug ein Monokel vor seinem rechten Auge.

Schnell holte der Dieb einen Glasschneider aus seiner Hosentasche und machte sich an die Arbeit den Edelstein aus seinem Glasgefängnis zu befreien. Mit wenigen Handgriffen konnte er eine runde ausgeschnittene Glasplatte wegnehmen und vorsichtig zur Seite legen. Mit einem siegreichen Lächeln auf den Lippen und flinken Fingern hielt er den wertvollen Edlestein in seinen Händen.

Ein Zischen zog durch die Luft und direkt an Kaitou Kids Ohr vorbei. Erschrocken betrachtete er die Wand vor sich und entdeckte etwas in der Wand stecken. Überrascht zwinkerte er ein paar Mal bis er eine weibliche Stimme neben sich vernahm. „Ich bin überrascht, dass du bis hier her gekommen bist.“

Kaitou Kid senkte seinen Kopf und grinste vor sich hin. Er hatte gemerkt dass er verfolgt wurde, doch hatte er allen ernstes mit Kommissar Nakamori gerechnet. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass sein Verfolger viel besser war als der Kommissar.

Der Meisterdieb drehte sich zu seinem Gegner und in dem Moment, in dem er aufblickte, hatte er sein Pokerface aufgesetzt. Man sah ihm die Überraschung nicht an, doch innerlich erstarrte er verblüfft. In der Tür stand eine Silhouette. Sie trug ein hautenges Kostüm. Es brachte ihre schlanke Figur und die schönen Rundungen ihrer Brust wie auch des Hintern gut zum Vorschein. Um ihre Hüfte hing ein Tuch und die langen Haare trug sie offen über den Rücken. Allerdings konnte er nichts genaueres Erkennen. Ihr Gesicht war in der Dunkelheit verhüllt.

Kaitou Kid grinste übers ganze Gesicht, doch wusste er nicht wer diese Frau war. „Und das sagt mir wer?“, konterte er spitzbübisch. Den Stein hielt er fest in seinen Händen.

Die Frau trat ein paar Schritte auf ihn zu. „Das geht dich nichts an!“ Ihre Stimme hatte einen erotischen Klang und wie sie sich bewegte haute Kid glatt um. Sie war eine taffe Frau, die wusste was sie wollte. Und es schien als ständen sie nicht auf der gleichen Seite.

Der Meisterdieb beobachtete sie aufmerksam. Plötzlich blieb sie stehen und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Sie war immer darauf bedacht, dass er ihr nicht ins Gesicht sehen konnte. „Du hast etwas das mir gehört!“

Kaitou Kid hob seine Hand und warf einen schnellen Blick darauf. „Ich hab gar nicht gesehen, dass dein Name drauf steht“, konterte er belustigt.

„Lass den Quatsch“, fauchte sie ungehalten. „Wir haben nicht ewig Zeit! Das Schlafgas wirkt nicht mehr lange!“

Schlafgas, schoss dem Meisterdieb durch den Kopf. Die Frau war äußerst gerissen. Wenn er nur wüsste wer ihm gegenüberstand. Neugierig betrachtete er die Fremde und beschloss sie noch ein wenig zu necken.

„Schlafgas, also…“, er tat als müsse er überlegen, doch schon bemerkte er zynisch: „Ich hab solche Mittel nicht nötig. Wo bleibt denn sonst der Spaß?“

„Der Spaß wird zum Ernst, wenn wir hier weiter diskutieren. Gib mir den Stein der Rose!“

Kid kniff seine Augen zu kleinen Schlitzen zusammen und versteckte seine Hand hinter seinem Rücken. „Tut mir leid, aber ich brauche ihn eher als du!“

Die Frau ballte ihre Hände zu Fäusten und drohte ihm. „Du hast keine Ahnung was du da sagst!“

Im Gang hinter ihnen hallten Schritte und mehrere Stimmen riefen wild durcheinander. Eine unter ihnen war jedoch unverkennbar. Kommissar Nakamori schimpfte wie ein Rohrspatz und fluchte immer wieder vor sich hin.

„Verzeihung, Gnädigste, aber ich habe noch etwas zu erledigen.“ Kid verneigte sich höflich und warf eine Rauchbombe, doch seine Gegnerin ahnte bereits wo er hinwollte. Sein einziger Fluchtweg war auch der ihrige und das war einzig und allein das Fenster.

Der pinkfarbene Rauch breitete sich schnell im Raum aus und hüllte alles ein.

Die Fensterscheibe klirrte laut und schon erreichten auch die Polizisten den Raum. Hustenanfälle plagten die Männer bis der Nebel sich löste.

Einer der Polizisten schaltete das Licht ein und Kommissar Nakamoris Blick glitt zum Fenster. Der Vorhang war zur Hälfte herunter gerissen. Die Glasscheibe zerbrochen und vereinzelte Scherben hingen noch im Fensterrahmen. Mit großen Schritten stand der Kommissar am Fenster und lehnte sich etwas hinaus. In der Menschenmenge auf der Straße, die sich seit Kids Auftauchen dort gesammelt hatte, jubelten die Leute und feierten den Meisterdieb wie einen Helden. Sie pfiffen, jubelten und hielten Fanplakate hoch und riefen immer wieder Kids Namen.

Kommissar Nakamori nervten diese Menschenaufläufe und er wandte seinen Blick von der Masse hinauf auf das nächste Haus. Dort entdeckte Nakamori den Dieb auf dem Nachbardach in Begleitung einer weiteren Person, doch er sah ein, dass sie nicht mehr einzuholen waren.

Herzklopfen

Aoko Nakamori lief lachend mit ihren Freundinnen in Richtung Stadt, als sie an einem Cafe vorbeikamen, das seit einem Jahr geschlossen hatte. Eigentlich war das nichts besonderes, wenn ihr nicht das ‚Offen’ Schild in der Türe aufgefallen wäre. Nun blieb sie überrascht stehen und blickte durch die Glasscheiben hinein. Tatsächlich saßen auch Leute verschiedenen Alters in dem Cafe.

„Hey, Aoko, was ist los?“, fragte Keiko ihre beste Freundin.

„Ist dir die kühle Meeresluft nicht gut bekommen?“, hakte auch Yoko ein, wobei sie ihre Freundin und gleichzeitig auch Mitschülerin nur aufziehen wollte.

Aoko schüttelte den Kopf und blickte ihre Freundinnen an. „Seit wann hat das Cafe wieder geöffnet?“

„Vor kurzem erst. Die Inhaber sind seit einem Monat wieder aus Europa zurück“, erklärte Keiko und Yoko nickte. „Wollen wir hier einen Kaffee trinken gehen? Dann müssen wir nicht bis in die Stadt laufen.“

„Das ist eine gute Idee“, stimmte Keiko zu und gemeinsam betraten sie das Cafe mit Aoko. Es war ein großer, heller Raum, denn durch die gesamte Glasfront fiel viel Tageslicht herein. An den Fenstern standen die Tische mit Bänken und Stühlen. Gegenüber der Fensterfront war eine lange Theke, hinter der eine wunderschöne Frau stand. Sie trug eine Schürze mit dem Logo des Kaffees und kümmerte sich um die Bestellungen der Kunden. Sie lächelte freundlich, als die Mädchen eintraten und sich an einen Tisch setzten. Im nächsten Moment trat eine andere sehr schöne Frau auf sie zu und begrüßte sie freundlich. „Willkommen im Cafe ‚Katzenauge’.“ Sie reichte den Mädchen die Karte und ging zum nächsten Tisch.

Aoko betrachtete die beiden Frauen und staunte. „Sie sind so hübsch“, stellte sie fest.

„Hattest du nicht gesagt, dass sie in Europa waren?“ Yoko blickte zu Keiko, die neben ihr saß.

„Ja, da waren sie auch. Man sagt, dass sie Verwandte in Europa haben, sie sind aber selbst Japanerinnen. Das Cafe befindet sich schon seit Jahrzehnten im Familienbesitz“, informierte Keiko, die selbst die Informationen von ihren Eltern hatte. Sie kannten Bekannte von Freunden der ursprünglichen Besitzer des Cafes.

Die freundliche Frau kam wieder und lächelte. „Habt ihr euch schon entschieden?“

Die Mädchen gaben ihre Bestellung auf und reichten der Bedienung die Karte wieder. Schon verschwand die Frau.

„Und nun erzähl, Aoko. Wie war es bei deiner Oma?“, bohrte Keiko neugierig nach.

„Schön und ruhig. Es waren erholsame Ferien am Strand“, antwortete sie.

„Hast du jemanden kennen gelernt?“, bohrte Yoko neugierig nach.

Eine unerklärliche Röte stieg ihr auf die Wangen.

„Wie kommst du denn da drauf?“, mischte sich eine männliche Stimme ein. „Wer sollte Aoko schon kennen lernen wollen?“, spottete der junge Mann weiter, der plötzlich bei ihnen am Tisch aufgetaucht war.

Aoko ballte wütend ihre Hände zu Fäusten. Sie drehte sich ruckartig um und fauchte ihn an. „Kaito Kuroba! Willst du damit sagen, ich bin nicht attraktiv?“

Der junge Mann mit seinem braunhaarigen Wuschelkopf stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte und beugte sich zu ihr vor. Nach einem kurzen Blick in ihre blauen Augen wurde sein Grinsen breiter. „Ein bisschen zugelegt hast du in den letzten Wochen schon.“ Schon löste er eine Hand und piekste sie mit dem Zeigefinger in den Bauch um seine folgenden Worte zu verdeutlichen. „Hier zeigt sich schon eine Rolle.“

Aoko wurde wütend, richtig wütend.

Die Bedienung kam mit drei Tassen zurück an den Tisch und blickte den Jungen an, der dazu gestoßen war. „Darf ich dir auch etwas bringen?“

„Eine Cola, bitte. Ich sitze dort hinten“, nickte er zu und deutete mit seinem Finger in eine Richtung. Keiko und Yoko folgten seinem Fingerzeig und sie sahen an einem Tisch mehrere Jungs aus ihrer Klasse sitzen. Ihnen waren die Klassenkameraden gar nicht aufgefallen.

Wieder grinste der Junge. „Ihr seid blind an uns vorbei gelaufen“, antwortete er wissend auf ihre irritierten Gesichter. Er richtete sich wieder auf und zwinkerte. „Wir sehen uns.“ Schon drehte er sich amüsiert um und kehrte an den Tisch seiner Kumpels zurück.

„So ein Blödmann“, schimpfte Aoko leise vor sich hin.

Keiko und Yoko wandten ihre Aufmerksamkeit wieder der Freundin zu. „Ist etwas zwischen euch passiert?“

Die braunhaarige Aoko blickte überrascht auf. „Nein, wieso?“

Keikos Augen wanderten wieder zu dem Tisch der Jungs, an dem Kaito saß, der immer wieder mal zu ihnen auffällig unauffällig linste. Schon blickte sie ihre beste Freundin an. „Er war doch noch nie zuvor so fies zu dir gewesen.“

Das angesprochene Mädchen winkte ab und blickte zum Fenster hinaus auf die Straße. „Wahrscheinlich ist er nur sauer, weil ich ihn noch nicht angerufen habe.“

„Wieso hast du ihn noch nicht angerufen?“, hakte Yoko nach. Ihr entging nicht der abwesende Gesichtausdruck. „Du bist doch schon vor zwei Tagen zurückgekommen.“

Aoko seufzte, antwortete aber nicht. Wie sollte sie es auch erklären? Im Urlaub wurde sie sich erst richtig klar, wie sehr sie ihn vermisste und was er ihr bedeutete. Diese Gefühle waren so vollkommen neu und auch gefährlich. Sie kannte ihn schon ihr ganzes Leben. Sie waren Freunde von klein auf. Er war ihr bester Freund. Und was tat sie? Sie brachte ihre Freundschaft in Gefahr, weil sie sich in ihren besten Freund verliebt hatte und sie nicht einmal mehr wusste, wann das überhaupt geschah. „Ist doch auch egal“, wich sie aus. „Was habt ihr gemacht?“

Erst begann Keiko zu erzählen, danach Yoko. Sie unterhielten sich noch lange, doch letztendlich mussten sie irgendwann nach Hause gehen. Sie bezahlten bei der hübschen Bedienung und verließen wenig später das Cafe. Langsam dämmerte es. Überrascht, dass sie doch den ganzen Nachmittag zusammen saßen, verabschiedeten sie sich voneinander und Keiko und Yoko gingen gemeinsam nach Hause. Aoko wohnte nicht auf der Strecke, sondern hatte einen anderen Heimweg. Sie ging ein paar Schritte bis ertönte. „Na, endlich. Das ihr Weiber aber auch immer so viel zu erzählen habt.“ Sie blieb stehen und drehte sich um. Hinter ihr stand Kaito und sofort beschleunigte sich ihr Herzschlag. „Was machst du denn noch hier?“

Kaito wurde doch tatsächlich leicht rot um die Nase und hielt sich eine Hand an den Hinterkopf. Verlegen antwortete er. „Ich habe auf dich gewartet.“

Auch Aoko trat die Röte ins Gesicht. Um ihre Reaktion auf ihn zu überspielen konterte sie schnippisch. „Das hättest du nicht tun müssen.“ Schon drehte sie sich wieder in die ursprünglich gewählte Richtung und ging davon.

Kaito hatte sie schnell eingeholt und ging neben ihr her. „Ich weiß, aber wann hätte ich denn sonst mal Gelegenheit mit dir zu reden?“, brummte er. Auf ihren irritierten Blick hin fügte er hinzu. „Seit wann bist du wieder hier?“

Aoko wandte schnell den Kopf ab. „Ist doch egal.“

Der Junge blickte sie an. „Sag schon“, drängte er.

„Zwei Tage“, nuschelte sie leise, dennoch hatte er sie verstanden. Wütend blitzten seine blauen Augen auf. „Seit zwei Tagen und du hast dich noch nicht bei mir gemeldet?“ Er war beleidigt. Sie war seine beste Freundin und sagte ihm nicht mal, dass sie wieder zu Hause war.

„Ich hätte es schon noch gemacht“, erwiderte sie borstig.

Der Junge hingegen stopfte seine Hände in die Hosentasche und blickte starr auf den Boden. Er nahm ihr immer noch übel, dass sie sich nicht gemeldet hatte. „Wann? Wenn die Schule wieder beginnt?“ Er betrachtete sie kurz von der Seite. Ihre braunen Haare fielen ihr offen über die Schultern. Sie war einen Kopf kleiner als er, starrte auf den Boden und hatte ihre Hände zu den Seiten als Fäuste geballt. Sie wirkte irgendwie ertappt. Sollte das heißen, dass sie wirklich nicht vor gehabt hatte sich zu melden? Grübelnd blickte er wieder geradeaus. Ein wenig friedlicher fügte er hinzu. „Ich dachte, du bist noch bei deiner Oma, stattdessen tauchst du plötzlich mit deinen Freundinnen im Cafe auf.“ Er überlegte. „Sind wir keine Freunde mehr?“

Eine ernst gemeinte Frage und Aoko gestand sich selbst ein, dass sie es nicht wusste. Natürlich war er nach wie vor ihr Freund, aber sie wünschte sich mehr als das. Wenn sie es ihm sagen würde und er ihre Gefühle nicht erwiderte, könnte sie ihm nie wieder unter die Augen treten. Dann war es das mit der Freundschaft. Sie riss sich zusammen und blickte zu ihm auf. Mit festem Blick und einer noch festeren Stimme antwortete sie: „Red doch keinen Quatsch, Kaito. Natürlich sind wir Freunde.“ Im nächsten Moment erwiderte er ihren Blick und sie drohte in seinen blauen Augen zu versinken. Sie schüttelte innerlich den Gedanken ab. „Es tut mir leid, dass ich mich nicht eher gemeldet hab.“ Sie richtete ihre Augen wieder auf den Weg. Auch Kaito wandte sich ab. „Als ich ankam, wollte ich erstmal Zeit mit meinem Vater verbringen, gestern hab ich dann erstmal ausgepackt und Wäsche gemacht. Die Wohnung musste ich wieder auf Vordermann bringen. Du weißt gar nicht wie es aussah.“ Ihr Blick verfinsterte sich. „Mein Vater sagte, dass Kaitou Kid in letzter Zeit häufig und oft hintereinander zuschlug. Papa hat schon fast auf dem Revier gewohnt und zu Hause war er nur zum Schlafen.“

Kaito lauschte ihren Worten und verkniff sich ein Grinsen. Ja, er war der berühmte Kaitou Kid, der Kommissar Nakamori so auf Trab hielt. Er war der berühmtberüchtigte Meisterdieb 1412 und er war in den letzten Wochen wirklich oft auf Streifzug. Immerhin musste er die Zeit nutzen, solange Aoko nicht in der Stadt war. Nun würde er sich wieder ein wenig zurückhalten und nicht mehr allzu oft auf der Jagd nach Juwelen sein, denn er wollte wieder mehr Zeit mit ihr verbringen. „Und war er wenigstens erfolgreich?“ Natürlich nicht, denn sonst würde er nicht neben ihr gehen.

„Nein, wie immer konnte dieser Dieb jedes Mal entkommen. Aber nun bin ich ja da und werde meinen Vater tatkräftig unterstützen.“

Ihre blauen Augen funkelten regelrecht und ihr verbissener Gesichtsausdruck ließ sein Herz weich werden. Wieder mal ruhten seine Augen auf ihr und ein stetiges Kribbeln spürte er seit er sie im Cafe wieder sah. Er liebte ihre Hartnäckigkeit. Er liebte sie. Als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss wurde er wieder rot. Um sich von seinen Gefühlen abzulenken, griff er nach ihrem Handgelenk, blieb stehen und hielt sie auch zum Stehen an.

Überrascht spürte sie seine Finger auf ihrer Haut und drehte sich ihm zu. Ihr Herz pochte aufgeregt in ihrer Brust.

„Ich möchte nicht, dass du dich in Gefahr begibst.“

Wenn es möglich war, schlug ihr Herz bei seinen Worten noch schneller. Ihre Augen versanken in seinen, sie war wie gefesselt.

„Aoko Nakamori“, rief ein Mann nach ihr und erst jetzt realisierte sie, dass sie vor ihrem Haus standen.

Sie sah ihren Vater in der Tür stehen, der eine große Einkaufstüte in der Hand hielt und winkte ihm zu. „Gleich, Papa.“ Er nickte und verschwand im Haus. Die Tür lehnte er an. Wieder richtete sie ihre Augen auf Kaitos Gesicht, immer noch nicht ganz glaubend, was er gesagt hatte.

Kaito schluckte. „Ich hab dich vermisst“, gestand er leise. „Sehen wir uns morgen?“

Aoko zu überwältigt von seinem Geständnis, fühlte sich nur fähig zu nicken.

„Gut, ich bin morgen Mittag bei dir“, fügte er hinzu und ließ ihre Hand los. Schon ging er weiter um selbst nach Hause zu gehen.

Bis morgen, wollte sie ihm noch nachrufen, aber ihre Stimme verweigerte den Dienst. Ihr Herz sprang regelrecht auf und ab in ihrer Brust, ihr Magen kribbelte und ihre Gefühlwelt stand Kopf. Langsam ging sie ins Haus, wo ihr Vater bereits wartete. „Also du und Kaito…“, begann er, kaum dass die Tür ins Schloss fiel.

„…sind Freunde, Papa. Das weißt du doch“, beendete sie sofort.

Herr Nakamori nickte geistesabwesend. „Das ist gut, denn du bist doch noch so jung. Lass dir mit deinem ersten Freund ruhig noch ein bisschen Zeit.“

„Papa, ich bin siebzehn! Ich bin kein kleines Mädchen mehr“, brüllte sie wütend.

Er kam auf sie zu und schloss sie in seine Arme. „Für mich wirst du das aber immer bleiben.“

Sie erwiderte kurz die Umarmung und ging in die Küche. „Ich koche uns was Feines.“ Schon verschwand sie in die Küche und begann die Einkäufe zu verräumen und anschließend an ein Abendessen für sich und ihren Vater zu kochen.
 

Kaitos Handy piepste. Er wusste, wer ihm da eine Nachricht geschrieben hatte und er ahnte bereits auch was drin stand. Als er sich von Aoko verabschiedet hatte, war er wieder so in Gedanken vertieft, dass er erst an seinem Haus vorbei gelaufen war. Nun lag er auf seinem Bett, seine Hände hinter dem Kopf verschränkt und starrte trübsinnig die Decke an. Worauf hatte er sich da bloß eingelassen? Er könnte sich selbst verfluchen und wusste immer noch nicht was ihn da mal wieder geritten hatte. Genervt griff er nach seinem Handy, das neben ihm auf dem Bett lag und öffnete die eingegangene Nachricht. „Die Zeit läuft“, las er. Verärgert ließ er sein Handy neben sich fallen und drehte sich auf die Seite. Sein Blick fiel nun auf ein Foto auf seinem Nachttisch. Es zeigte ihn und Aoko, als sie beide noch kleine Kinder und auf einer Zaubershow seines Vaters waren. Sie strahlten in die Kamera, wobei Kaito Aoko Eselsohren zeigte. Damals war alles einfach und klar. Sie waren Freunde. Doch nun war sie mehr für ihn. Er liebte dieses aufbrausende, starrköpfige Mädchen, das von Tag zu Tag schöner wurde. Ihm entging nichts in Bezug auf ihr. Nur über ihre Gefühle brachte er nichts in Erfahrung. In diesem Punkt konnte er nichts erkennen. Sonst war es ihm ein leichtes in ihr zu lesen, wie in einem Buch. Wie sollte er es nur herausfinden, ob sie das gleiche für ihn fühlte, ohne ihre Freundschaft zu zerstören? Fakt war, dass er ihr nicht mehr unter die Augen treten könnte, wenn sie seine Gefühle für ihn nicht erwiderte.

Die Zeit läuft.

Verdammter Mist. Wie konnte er auch nur so blöd sein und sich darauf einlassen. Es war doch von Anfang an Schwachsinn. Eine ganz blöde Idee, aber nein, er fühlte sich in seinem Stolz verletzt, in seiner Ehre gekränkt und dann machte man eben Dummheiten. Dummheiten wie diese, die Freundschaften zerstören konnte. Er hielt inne. Plötzlich richtete sich Kaito in seinem Bett auf und ballte wütend die Hand zur Faust. Natürlich, das war es. Er hatte sich die Folgen schon in seinem Kopf ausgemalt, dieser verdammte Idiot von Detektiv. Wütend griff er nach dem Handy und wählte eine Nummer. Freizeichen.

„Na, wie läufts?“, spottete eine Stimme durch den Hörer.

„Du, Idiot“, fauchte Kaito wütend. „Du hast gewusst wie das ausgehen könnte.“

Ein Lachen, dann kehrte für einen kurzen Moment Stille ein. „Ja, Kaito, das habe ich. Ich habe mir sämtliche Szenarien ausgemalt und wenn ich richtig liege, dann hab ich am Ende freie Bahn.“

Knurrend ballte Kaito seine Hand nun fester zusammen. Die Fingerknöchel traten weiß hervor.

„Also, Deal ist Deal“, drang es ernst durchs Telefon. „Du hast sie heute Mittag gesehen. Bis morgen Abend hast du Zeit, wenn nicht hältst du dich in Zukunft fern von ihr.“

„Hakuba“, knurrte Kaito ins Telefon, aber schon wurde aufgelegt. Er hob seine Hand und holte zum Wurf aus, doch entschied sich dann dagegen. Sein Handy konnte für seine eigene Dummheit überhaupt nichts. Wie konnte er auch nur so blöd sein und sich auf diese hirnrissige Wette einlassen?

Wieder ließ er sich aufs Bett fallen und starrte die Decke an. Er war Kaitou Kid, er war Zauberer, ein Meister der Magie. Es würde doch ein Klacks für ihn werden Aoko seine Gefühle zu gestehen. Laut seufzte er auf und mit Aoko als letzten Gedanken schlief er ein.
 

***
 

Als er am nächsten Vormittag aufwachte, war er immer noch nicht schlauer. Er wusste nicht, wie er Aoko gegenüber treten sollte. Das einzige was sonnenklar war, er würde sie nicht aufgeben und schon gar nicht wegen diesem blöden Möchtegern-Detektiv. Langsam stand er auf und ging zuerst unter die Dusche. Danach zog er sich eine Jeans an und ein weißes Shirt über. Sein Blick streifte die Uhr. Kurz fuhr er sich noch mit der Haarbürste durch die Haare, aber das änderte auch nichts an seiner Frisur. Wie immer fielen seine braunen Haare wie sie es wollten, da konnte er sie noch so sehr stylen. Darum beließ er es einfach nur beim Kämmen und verließ das Haus. Im Moment wohnte er alleine in dem Haus seiner Eltern. Seine Mutter war seit einigen Wochen bei einer Freundin im Ausland, sein Haushälter hatte ebenfalls ein paar Tage frei und sein Vater war vor acht Jahren ermordet worden. Aus diesem Grund verkleidete er sich als Kaitou Kid um die Mörder seines Vaters aus ihrem Versteck zu locken. Er würde sich an ihnen rächen. Langsam ging er durch die Straßen zum Haus der Nakamoris.

Als er endlich vor der Haustüre stand und klingelte, öffnete Aokos Vater, sein persönlicher Lieblingsgegner Kommissar Ginzo Nakamori, die Türe. Er trat beiseite und ließ den jungen Oberschüler eintreten. „Hallo, Kaito“, begrüßte er den Freund seiner Tochter. „Aoko ist noch nicht fertig, aber sie kommt gleich.“ Er musterte den jungen Mann. Ihm behagte nicht, dass seine Tochter immer noch mit diesem Jungen befreundet war. Damals waren sie noch Kinder, aber inzwischen sind sie Teenager. Hormongesteuerte Teenager, fast erwachsen. „Ich möchte dir noch etwas sagen“, startete Nakamori ein ernstes Thema.

Kaito zuckte überrascht zusammen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Aokos Vater noch mit ihm reden wollte. Als er in sein Gesicht blickte, wurde ihm reichlich unwohl. Ein Gefühl sagte ihm, dass es unangenehm werden würde.

„Wenn du dich mit meiner Tochter triffst ist das in Ordnung. Aber solltest du meine Tochter schwängern, dann kannst du was erleben.“ Bedrohlich kam der Kommissar näher und hatte seine zur Faust geballte Hand erhoben.

Kaito schluckte und wich vor ihm zurück. Er wurde rot wie eine Tomate, als er das Wort schwängern hörte. Nicht das er so etwas mit ihr vorhatte. Also noch nicht … Wenn überhaupt würde er sie erst heiraten, da er sich sicher war, dass Aoko dies so wollte. Sie würde sich nie einfach so jemanden hingeben, dafür war sie einfach nicht der Typ. Er wusste nicht was er darauf sagen sollte.

„Papa“, ertönte wütend hinter Nakamori und Kaito schielte an dem Polizisten vorbei. Dort stand sie in einem hübschen Sommerkleid gekleidet, das sich bis zur Hüfte hinab um ihre schlanke Figur hüllte und dann weit ausfiel und kurz vor dem Knie endete. Ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre blauen Augen blitzten wütend. Da sie ein ebenso rotes Gesicht hatte, wurde sie wohl Zeuge ihres Gespräches.

„Mäuschen“, zog Ginzo Nakamori den Kopf ein und drehte sich seiner Tochter zu.

Diese trat auf ihn zu. „Erstens geht dich das alles gar nichts an und zweitens hatte ich nicht vor in den nächsten Jahren ein Kind zu bekommen.“ Schon stapfte sie an ihrem Vater vorbei, schnappte sich ihren Sandkastenfreund und zog ihn mit sich. Kurz darauf verließen sie das Haus und traten auf die Straße. Gemeinsam gingen sie in die Stadt. „Es tut mir leid“, entschuldigte sich Aoko für das Benehmen ihres Vaters.

Kaito betrachtete sie von der Seite und zwinkerte. „Ist doch nichts passiert.“

„Doch, das war so peinlich.“

Übermütig legte er seinen Arm um die Schultern seiner besten Freundin und beugte sich leicht zu ihr. „Hör auf dir darüber einen Kopf zu machen. Wir machen uns heute einen schönen Tag.“

Errötet und mit stark klopfendem Herz spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter. Sie war so verwirrt über seine plötzliche Nähe, dass sie gar nicht richtig mitbekam, was sie unternehmen wollten. „Wo gehen wir denn jetzt hin?“, fragte sie deshalb nach.

„Zuerst gehen wir in den Park und holen uns ein Eis. Dann könnten wir ins Kino gehen. In der Nachmittagsvorstellung läuft ein neuer Actionfilm.“ Immer noch hatte er seinen Arm um das Mädchen gelegt und machte auch keine Anstalten ihn wieder von ihr zu nehmen. Wenn er ihr seine Liebe gestehen wollte, war es an der Zeit ihr auch näher zu kommen. Zudem er auch nicht den Eindruck gewann, dass es ihr unangenehm war.

Aoko nickte zustimmend. Das war ein guter Plan. Da sie ihren besten Freund schon seit Wochen nicht mehr gesehen hatte, informierte sie sich bei ihm über seine Ferien. „Was hast du alles gemacht, während ich nicht hier war?“

Ich war als Kaitou Kid unterwegs und habe deinen Vater an der Nase herumgeführt, dachte er bei sich, sagte aber: „Nicht viel. Ich war mit den Jungs unterwegs. Wir waren Fußballspielen, schwimmen, solche Sachen eben.“ Er blickte zu ihr hinab. „Und wie war es bei deiner Oma?“

„Super“, antwortete Aoko. „Ich war viel am Meer und mit ihr unterwegs. Es war entspannend.“

„Du siehst auch sehr erholt aus“, stimmte Kaito zu und führte sie in den Park. Vielleicht sollte er auch mal Urlaub bei ihrer Oma machen. Ein bisschen Entspannung nach den vielen Diebstählen in den letzten Wochen würde ihm auch gut tun.

Sie kamen in den Park und spazierten ein wenig darin herum, bis sie zur Eisdiele kamen. Kaito zog seinen Arm zurück und blickte Aoko aufmerksam an. „Schoko und Erdbeere?“

Aoko nickte. Natürlich kannte sie die Lieblingseissorten ihres Kindheitsfreundes auswendig, aber dass er sich ihre gemerkt hatte, überraschte sie leicht. Normalerweise vergaß er alles. Tja, selbst Verabredungen mit ihr hatte er schon mal vergessen. Umso mehr ein Grund sich zu wundern. Sie sah ihm nach, wie er sich in die Schlange anstellte. Die Braunhaarige blickte sich um und entdeckte eine unbesetzte Bank. Mit wenigen Schritten näherte sie sich dem Objekt und setzte sich. Ihre Augen betrachteten die vielen Menschen, die durch den Park spazierten. Es waren überwiegend Pärchen, die Arm in Arm herumschlenderten. Sie stellte sich vor wie es wäre so mit Kaito zu gehen. Der Oberschüler hatte sie heute im Arm gehalten, dennoch glaubte sie nicht, dass er diese Geste wiederholen würde, auch wenn sie sich nichts sehnlicher als das wünschte.

Unbemerkt war der Zauberer wieder an sie herangetreten und hielt ihr das Eis vor die Nase.

Dankbar nahm sie es und sie sah, wie er sich neben sie setzte. Schweigend saßen sie nebeneinander, aßen ihr Eis und beobachteten die vorbeigehenden Leute.

Kaitos Blick streifte die Uhr an seinem Handgelenk. Es war schon früher Nachmittag. Es blieb ihm nicht mehr viel Zeit. Verlegen linste er zu seiner Begleitung. Wie um alles in der Welt sagte man einem Mädchen, das man es liebte? Ich liebe dich, fiel ihm zuerst ein, nur er konnte doch nicht einfach so mit der Tür ins Haus fallen. Außerdem zweifelte er, dass er die drei kleinen, dennoch sehr bedeuteten Worte über seine Lippen brachte. Auch wenn es das war, was er empfand. Sich darüber klar zu werden war das eine, es aber auszusprechen ganz was anderes. Er beobachtete sie, während sie an ihrem Eis schleckte. Als ihm klar wurde wie sie ihr Eis aß, wurde ihm mit einem Mal unendlich heiß. Er verdrängte sofort die Gedanken an diese Zweideutigkeit und konzentrierte sich auf sein eigenes Eis.

Er war so still. Aoko fragte sich, ob etwas nicht stimmte. Sie hatten beide ihr Eis gegessen und saßen nach wie vor schweigend nebeneinander. Gerade fasste sie ihren Mut um ihn anzusprechen, da unterbrach der junge Mann die Stille.

„Ich muss dir etwas sagen, Aoko.“ Er drehte sich ihr zu. „Du bist meine beste Freundin. Wir kennen uns schon so lange“, er hielt inne. Definitiv war das der falsche Ansatz. Er wollte ihr seine Liebe gestehen und nicht gleich einen Heiratsantrag machen.

Aoko zog überrascht ihre Augenbrauen hoch und ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihr aus. Was wollte er ihr damit sagen? Sie war seine beste Freundin und was? Würde auch nie mehr als das werden, oder sollte dies ein Geständnis werden, dass er eine Freundin hatte und sie ihr nun vorstellen wollte? Egal welche der beiden Optionen er ansprach, sie würde bei beiden nicht die Kraft haben stark zu bleiben.

„Nur hat sich da etwas verändert“, fügte er leiser hinzu.

Das Gefühl verstärkte sich. Sie nervte ihn doch nicht, oder doch? Wollte er ihre Freundschaft beenden? Aoko schluckte um den dicken Kloß, der sich mit einem Mal gebildet hatte, hinunter zu schlucken.

Er suchte ihre Augen und versank in diesem wunderschönen Blau. Man, das war schwieriger als gedacht. Wieso schafften andere es und er stellte sich an wie der letzte Trottel? Wieder schluckte er. „Ich hab mich verliebt, Aoko“, gestand er ihr.

Was?! Ihr Herz krampfte. Unbewusst ballte sie ihre Hände zu Fäusten und versuchte seinen Blick zu erwidern. Sie konnte ihm nicht lange in die Augen sehen. Schmerzerfüllt wandte sie ihren Blick ab und starrte auf den Boden. Sie musste etwas sagen. Irgendwas musste sie sagen. „Wie lange schon?“ Ihre Stimme klang fester, als sie annahm.

„Schon eine ganze Weile“, antwortete er. Verwirrt verfolgte er ihre Reaktionen und wusste nicht so recht zuzuordnen, was dies bedeutete. Ließ sie ihn gerade abblitzen, oder wieso verhielt sie sich so komisch. Eigentlich ging er davon aus, dass ihr Verhalten sich anders zeigen würde.

„Wir hatten eine Abmachung, Kaito“, hielt sie ihm plötzlich wütend vor. Sie blickte wieder zu ihm auf. „Weißt du noch, wie wir abgemacht hatten, dass wir einander erzählen, wenn jemand in unser Leben tritt?“ Ihre Augen blitzten wütend und verletzt auf.

Kaito saß ihr gegenüber und wusste nicht zu reagieren. Irgendwas lief gerade gewaltig schief. Er nickte. Natürlich erinnerte er sich an ihre Abmachung, aber bisher gestand er sich seine Gefühle für sie nicht ein. Grübelnd was hier vor sich ging betrachtete er das Mädchen, dem sein Herz gehörte. „In wen?“, kam die nächste Frage und nun stand Kaito komplett auf dem Schlauch. Er hatte definitiv etwas nicht mitbekommen.

Aoko blickte ihn an, auch wenn es ihr mit jeder Sekunde schwerer fiel. Sie musste es aber wissen und nur deswegen hielt sie den Blickkontakt aufrecht. „Wer ist sie?“ Sie wiederholte ihre Frage, da er ihr keine Antwort gab.

„Du!“, erklang es plötzlich wie aus der Pistole geschossen. Hatte er sich vorhin so unverständlich ausgedrückt? „Du bist es“, fügte er hinzu und legte sanft eine seiner Hände auf ihre.

Im nächsten Moment schlug sie seine Hand weg und sprang wütend auf. „Darüber macht man keine Scherze, du Idiot“, fauchte sie. Wie konnte er nur so mit ihren Gefühlen spielen.

Kaito sprang auch auf. „Ich mache keine Scherze“, widersprach er. Langsam wurde er wirklich sauer. Er gestand ihr seine tiefsten Gefühle und sie glaubte ihm nicht. Er ballte seine Hand zur Faust, fuhr mit seiner anderen Hand um die Faust herum und im nächsten Moment öffnete er seine Hand und hielt ihr eine rote Rose unter die Nase. „Ich hab mich in dich verliebt, Aoko Nakamori.“

Aokos Herz schlug Purzelbäume. Ihre Gefühle fuhren Achterbahn. Sie blickte von der Rose in seiner Hand in sein Gesicht. Seine blauen Augen blickten tief in ihre, als wolle er ihre Seele ergründen. „Ich… ich hab mich auch in dich verliebt“, stammelte sie und nahm die Rose entgegen. Schüchtern blickte sie zu ihm auf, während sie den Duft der Rose einatmete.

Ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus und im nächsten Moment schloss er sie fest in seine Arme. Die Wette hatte er gewonnen und er war in diesem Moment der glücklichste Oberschüler der Welt. Er verschwendete noch einen kurzen, letzten Gedanken an Hakuba, da hatte er ihn auch schon wieder verdrängt. Er hatte es getan und Aoko liebte ihn auch. Oh, was für ein wundervoller Tag.

Aoko genoss seine Umarmung und kuschelte sich an seine Brust. Es würde noch eine Weile dauern, bis ihr wirklich bewusst wurde, dass er sie liebte. Sie… wirklich… liebte.

Wieder ging sein Blick zur Uhr und er löste sich von seiner Freundin. „Wir sollten langsam los, wenn wir noch ins Kino wollen.“

Aoko nickte lächelnd und gemeinsam Arm in Arm, wie alle Pärchen, gingen sie weiter. Wenig später verließen sie den Park und nach einem langen Fußmarsch erreichten sie die Innenstadt und das Kino. Kaito zahlte auch den Eintritt und die beiden ergatterten sich einen Platz in der letzten Reihe. Bevor der Film losging, zog Kaito sein Handy hervor, tippte kurz etwas ein und schaltete dann das Mobiltelefon aus. Er wusste, dass Saguru Hakuba sich in diesem Moment grün und blau ärgern würde. Und das sorgte bei ihm für ein breites Grinsen.

Das Licht ging aus und der Film begann. Kaito legte seinen Arm um seine beste Freundin und zog sie näher an sich. So gut es ging kuschelte sie sich an ihren Freund und eine Weile verfolgten sie den Film. Doch die Tatsache was sich zwischen ihnen ereignet hatte, lenkte sie ab und so kam es, wie es sollte. Kaito blickte sie stumm an, auch Aoko sah zu ihm auf und langsam kamen sich ihre Gesichter näher. Aoko schloss ihre Augen und im nächsten Moment spürte sie die warmen, weichen Lippen des Sandkastenfreundes. Auch er schloss seine Augen sie gaben sich einfach dem fremden, neuen Gefühl hin, das ihre beiden Herzen höher schlagen ließ. Vom Film bekamen sie nichts mehr mit, aber das war ihnen egal. Sie wussten was sie für einander empfanden und nur das zählte.

Die fremde Diebin

Zwei Wochen waren zwischenzeitlich vergangen. Die Sommerferien waren schon so gut wie vorbei denn in zwei Tagen begann wieder die Schule. Aoko und Kaito verbrachten jede freie Minute zusammen, allerdings ging ihre Beziehung nicht über Händchen haltend und ein paar Küsschen hinaus. Für beide war diese Situation noch sehr neu und so verfielen sie schnell wieder in ihr altes Verhaltensmuster. Der Zauberer ärgerte seine Freundin am laufenden Band und sie gab ihm in einer Tour Kontra. Niemals würde sie ihm das letzte Wort lassen. Das war früher nicht ihre Art und in ihrer Beziehung würde sie es sich jetzt nicht angewöhnen.

Um Kaitou Kid war es in den vergangenen beiden Wochen sehr still geworden. Gerade Nakamori machte sich dazu Gedanken ob dem Dieb etwas zugestoßen war, denn am Anfang der Ferien, war er fast jeden Tag hinter dem Meisterdieb her, da dieser einen Raubzug nach dem anderen geplant hatte. Umso überraschter reagierte er, als die Ankündigung gestern eintraf.

Die Spezialisten der Polizei saßen bereits an dem Rätsel und auch Saguru Hakuba, Schülerdetektiv und der Sohn eines Polizeichefs, versuchte des Rätsels Lösung zu finden. Seit er vor fast einem Monat aus England zurückgekehrt war, half er der Sonderkommission Kid um endlich diesen Dieb gefangen zu nehmen, erfolglos. Verbissen las sich der blonde Oberschüler immer wieder die Nachricht durch, doch er konnte sich kaum darauf konzentrieren. Vor zwei Wochen erreichte ihn die erschütternde Nachricht, dass Kaito und Aoko, seine Klassenkameraden, nun ein Pärchen waren. Ihm gefiel das ganz und gar nicht. Sie hatte etwas Besseres verdient, als diesen Klassenclown, der sie ständig aufzog und sich über sie lustig machte. Aus diesem Grund kam er auch auf die Wette. Er war sich sicher, dass Aoko wirklich nur Freundschaft für den Aushilfszauberer empfand. Nur hatte er sich vollkommen geirrt und sich selbst ins Abseits befördert. Er würde sich an seinem Klassenkollegen rächen. Er wusste schon lange, dass dieser der berühmte und meistgesuchte Dieb Kaitou Kid ist, nur konnte er ihm nie etwas beweisen. Aber er schwor sich Rache zu nehmen und Kaito festzunehmen. Aoko würde diesen Dieb dann hassen und sich in seine Arme flüchten. So wie alles ursprünglich geplant war.

Er blickte zum Fenster hinaus, öffnete dieses und ließ frische Luft ins Zimmer. Tief atmete er ein und wieder aus. Wesentlich konzentrierter setzte er sich wieder an die Nachricht.
 

Kaito stand vor dem Hause der Nakamoris und wartete. Die Tür öffnete sich und Aoko erschien. Sofort sah er ihr trauriges Gesicht und trat einen Schritt auf sie zu. „Was ist los?“ Besorgt schloss er sie in die Arme und drückte ihr ein Küsschen auf die Stirn.

Aoko kuschelte sich an seine Brust. „Dieser blöde Dieb!“, knurrte sie enttäuscht.

Ihm fuhr ein kleiner Stich ins Herz. Wenn sie wüsste, dass er dieser blöde Dieb war… Nicht auszudenken. Sie hasste Kid, der ein Teil von ihm war. Fragend löste er sich von ihr und sah ihr in die Augen.

„Es war so schön still und nun muss er wieder auftauchen. Meinen Vater hab ich schon wieder seit Tagen nicht gesehen. Er kommt nur zum Schlafen nach Hause.“ Sie ging ins Haus und betrat die Küche.

Kaito folgte ihr schweigend. Er war schuld, dass sie sich so einsam fühlte. Aber es musste sein, auch wenn sie darunter litt. Sobald er die Mörder überführt hatte, würde er seine zweite Identität begraben. Ob sie das noch aushielt? Immerhin wusste er nicht einmal wie lange das ganze noch gehen könnte.

Aoko packte eine Tüte zusammen und drehte sich lächelnd zu ihrem Freund. „Wollen wir einen Abstecher zum Revier machen? Dann kann ich ihm sein Mittagessen vorbeibringen.“

Der junge Magier nickte. Vielleicht erzählte der Kommissar auch wieder von seinen Plänen, was es ihm wieder um einiges leichter machte. Gemeinsam verließen sie das Haus und gingen die Straße nebeneinander her.

Aoko blickte zu ihrem Freund auf. „Kommst du morgen zur Vorstellung?“

„Natürlich“, grinste der Wuschelkopf. Immerhin war er ja der Grund weswegen sich alle morgen, vor der Villa der Suzukis, versammelten. „Und du?“

„Ich wollte auch hin. Mich sozusagen Reinschleichen“, antwortete die Braunhaarige.

Besorgt betrachtete er seine Freundin. Ihm gefiel es gar nicht, dass sie auch kommen wollte. Nicht nur, weil sie seine Freundin war und er sich sowieso schon rund um die Uhr um sie sorgte, nein, es könnte sogar richtig gefährlich werden, sollten diese Männer ausgerechnet morgen Abend erscheinen. Ausreden konnte er es ihr nicht und bevor sie ihn auch noch bat mit ihr zuhause zu sitzen… Jii, sein Haushälter war noch nicht zurück. Er könnte ihn nicht einmal bitten für ihn einzuspringen, wenn Aoko wirklich Verdacht schöpfte. „Versprich mir, dass du keine Dummheiten machst.“

Aoko blickte auf und lächelte. „Versprochen. Ich werde mich nicht einmischen, nur zusehen.“ Sie wandte ihren Blick wieder ab und erkannte bereits das Ionary-Revier, welches sich gegenüber dem Cafe Cat’s Eye befand. „Hoffentlich schafft es mein Vater diesen Dieb einzufangen.“

Kaito grinste wieder und konnte sich eine Spitze nicht verkneifen. „Du weißt schon, dass er ein Meister der Magie ist. Der hat Tricks drauf, da kann ja nicht mal ich mithalten.“ Natürlich konnte er das und das auch bei weitem. Nur an seinen Vater, der Kaitou Kid vor zwanzig Jahren ins Leben rief, kam er noch lange nicht heran. Dennoch würde er das Werk seines Vaters beenden.

Aoko funkelte ihn böse an. „Ich weiß, dass du ihn toll findest. Dennoch ist er ein Verbrecher und gehört eingesperrt.“

„Aber er bringt die Edelsteine immer wieder zurück zu ihren Besitzern.“

Wütend ballte sie ihre Hände zu Fäusten. „Das ist ja das, was mich so ärgert!“ Sie blickte ihrem Freund in die Augen. „Warum veranstaltet er so etwas? Wegen diesem…“, ihr fiel keine passende Beleidigung ein. „Mein Vater ist tagelang mit seiner Ankündigung beschäftigt, um den Diebstahl zu verhindern und der Idiot behält das Diebesgut nicht einmal. Macht der das aus Spaß?“

Kaito beobachtete sie aufmerksam. Ein verletzter Ausdruck trat in seine Augen, jedoch wahrte er sich sein Pokerface. Es war die Grundregel, die ihm sein Vater von klein auf beigebracht hatte. „Aoko“, hauchte er und schloss seine Freundin in eine Umarmung. Nicht aus Spaß… Es war ernster, als sie annahm. Es tut mir so leid, fügte er in Gedanken hinzu.

Wenig später betraten sie das Revier und gingen auf das Büro des Kommissars zu. Sie klopften und traten ein. Er saß über der Nachricht und grübelte. Erst das Erscheinen seiner Tochter und ihrem Freund ließ ihn aus den Gedanken auffahren. „Hallo, ihr beiden“, begrüßte er sie fröhlich.

„Hallo, Papa“, lächelte Aoko und ging zum Schreibtisch. „Ich hab dir Essen mitgebracht.“

„Das ist lieb von dir.“ Er öffnete die Tüte und holte die vielen Leckereien heraus. „Ich bin hier so eingespannt, dass ich glatt vergessen habe zu Essen.“ Hungrig stürzte er sich auf sein Mittagessen.

„Wie läuft es denn?“, fragte Aoko besorgt.

„Wir wissen jetzt, wann er kommt und was er stehlen möchte“, mampfte er.

„Ach ja?“, hakte Aoko nach.

„Der Stein der Rose befindet sich in der Villa der Suzukis“, antwortete Nakamori kauend. „Dieses Mal bin ich mir sicher, dass wir ihn schnappen!“ Er blickte seine Tochter und ihren Mitschüler an. „Was habt ihr heute noch geplant?“

„Wir gehen in den Zoo“, verkündete Kaito und Aoko sah überrascht auf. Davon wusste sie ja noch gar nichts. „Und wir sollten jetzt los“, nickte er ihr zu.

Die beiden verabschiedeten sich und verließen wenig später das Polizeirevier.

„Wir gehen in den Zoo?“

Kaito lachte. „Ja, außer ins Aquarium. Da bekommst du mich nicht rein!“

Seine Freundin blickte ihn an und lächelte sanft. „Du bist bisher der einzige Mensch den ich kenne, der Angst vor Fischen hat.“

„Dann bin ich ja etwas besonderes“, erwiderte er, wobei ihm diese Schwäche überhaupt nicht gefiel. Er mochte keine Schwächen. Sie waren Fehler, die einen zum Stürzen bringen konnten.

Sie nickte und blickte ihm in die blauen Augen. „Das bist du doch sowieso.“

Ihr zärtliches Lächeln ließ sein Herz sofort schneller klopfen. Sanft drückte er ihr ein Küsschen auf die Wange und ging mit ihr weiter.
 

***
 

„Ladies und Gentleman“, begrüßte Kaitou Kid seine Fans pünktlich zum Showbeginn. Die Menge auf der Straße jubelte mit einem Mal und die Polizisten versuchten den Überblick zu behalten. „Genießen Sie die Show“, fügte er noch überheblich grinsend hinzu und verschwand auf dem Grundstück der Suzukis.

Es war ihm ein leichtes den Polizisten und Wachmännern auszuweichen und in die Villa einzudringen, dennoch spürte er genau, dass er verfolgt wurde. Der Gang war nur spärlich beleuchtet. Das Auftreten seiner schnellen Schritte hallte laut wieder. Der weiße Umhang flatterte im Laufwind und das kurzatmige Hecheln verdeutlichte die Anstrengung. Nur noch ein paar Meter. Wenige Schritte trennten die Gestalt, gekleidet in einem weißen Anzug und mit einem Zylinder auf dem Kopf, von seinem Ziel. Am Ende des Ganges konnte er schon die Tür sehen. Dahinter würde er ihn bestimmt finden. Dieses Mal musste er es sein. Und wenn er ihn endlich in den Händen hielt wollte er aufhören. Sein Schicksal hätte sich besiegelt. Er hatte es geschworen. Am Grab seines Vaters hatte er bei sich geschworen ihn zu finden und zu zerstören. Und seinen Eid brach er nicht. Sonst wäre er nicht der berühmte Phantomdieb Kaitou Kid. Er biss die Zähne zusammen und spurtete noch schneller und endlich erreichte er sein Ziel. Vor der verschlossenen Tür blieb er stehen und atmete nochmals kräftig durch. Sein Puls raste durch den Sprint und er wusste dass ihm nicht viel Zeit blieb. Die Polizisten verfolgten ihn bereits und hatten ihn bald eingeholt. Er wusste, dass er in einen Hinterhalt geriet, doch ihm bleib keine andere Möglichkeit. Entschlossen griff seine, im weißen Handschuh gehüllte Hand, nach der Türklinke und drehte den Knauf.

Die Tür war nicht abgeschlossen.

Knarrend schwang die Tür auf. Dahinter befand sich ein Raum, der in ein tiefes schwarz gehüllt war. Aufmerksam blickte sich Kaitou Kid um, während er eintrat. Es war stockdunkel und er konzentrierte sich voll und ganz auf seine Umgebung.

Schritt für Schritt ging er voran. Immer weiter drang er in die Dunkelheit hinein, doch inzwischen hatten sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt und er konnte einzelne Umrisse wahrnehmen. Ihm gegenüber befand sich ein großer Schreibtisch und ein Büroschrank, dahinter hing ein großes Bild an der Wand. Zu seiner rechten Seite war ein Vorhang zugezogen, dahinter verbarg sich das Fenster, welches tagsüber den Raum erhellte. Und zu seiner linken Seite befand sich das Objekt seiner Begierde. Der Dieb behielt die Umgebung im Auge, doch blieb er plötzlich stehen und drehte sich linksum. Vor ihm erkannte er die Umrisse einer Glasvitrine. In ihr befand sich ein rosafarbener Edelstein in der Größe eines Golfballs.

Niemand war in diesem Raum zur Wache abgestellt, hatten sie wirklich geglaubt ihn vorher fest zu nehmen? Wie töricht diese Polizisten doch waren.

Kaitou Kid, gekleidet in einem weißen Smoking und ein blaues Hemd mit roter Krawatte, trug ein Monokel vor seinem rechten Auge.

Schnell holte der Dieb einen Glasschneider aus seiner Hosentasche und machte sich an die Arbeit den Edelstein aus seinem Glasgefängnis zu befreien. Mit wenigen Handgriffen konnte er eine runde ausgeschnittene Glasplatte wegnehmen und vorsichtig zur Seite legen. Mit einem siegreichen Lächeln auf den Lippen und flinken Fingern hielt er den wertvollen Edlestein in seinen Händen.

Ein Zischen zog durch die Luft und direkt an Kaitou Kids Ohr vorbei. Erschrocken betrachtete er die Wand vor sich und entdeckte etwas darin stecken. Überrascht zwinkerte er ein paar Mal bis er eine weibliche Stimme neben sich vernahm. „Ich bin überrascht, dass du bis hier her gekommen bist.“

Kaitou Kid senkte seinen Kopf und grinste vor sich hin. Er hatte gemerkt dass er verfolgt wurde, doch hatte er allen ernstes mit Kommissar Nakamori gerechnet. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass sein Verfolger viel besser war als der Kommissar.

Der Meisterdieb drehte sich zu seinem Gegner und in dem Moment, in dem er aufblickte, hatte er sein Pokerface aufgesetzt. Man sah ihm die Überraschung nicht an, doch innerlich erstarrte er verblüfft. In der Tür stand eine Silhouette. Sie trug ein hautenges Kostüm. Es brachte ihre schlanke Figur und die schönen Rundungen ihrer Brust wie auch des Hintern gut zum Vorschein. Um ihre Hüfte hing ein Tuch und die langen Haare trug sie offen über den Rücken. Allerdings konnte er nichts genaueres Erkennen. Ihr Gesicht war in der Dunkelheit verhüllt.

Kaitou Kid grinste übers ganze Gesicht, doch wusste er nicht wer diese Frau war. „Und das sagt mir wer?“, konterte er spitzbübisch. Den Stein hielt er fest in seinen Händen.

Die Frau trat ein paar Schritte auf ihn zu. „Das geht dich nichts an!“ Ihre Stimme hatte einen erotischen Klang und wie sie sich bewegte haute Kid glatt um. Sie war eine taffe Frau, die wusste was sie wollte. Und es schien als ständen sie nicht auf der gleichen Seite.

Der Meisterdieb beobachtete sie aufmerksam. Plötzlich blieb sie stehen und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Sie war immer darauf bedacht, dass er ihr nicht ins Gesicht sehen konnte. „Du hast etwas das mir gehört!“

Kaitou Kid hob seine Hand und warf einen schnellen Blick darauf. „Ich hab gar nicht gesehen, dass dein Name drauf steht“, konterte er belustigt.

„Lass den Quatsch“, fauchte sie ungehalten. „Wir haben nicht ewig Zeit! Das Schlafgas wirkt nicht mehr lange!“

Schlafgas, schoss dem Meisterdieb durch den Kopf. Die Frau war äußerst gerissen. Wenn er nur wüsste wer ihm gegenüberstand. Neugierig betrachtete er die Fremde und beschloss sie noch ein wenig zu necken.

„Schlafgas, also…“, er tat als müsse er überlegen, doch schon bemerkte er zynisch: „Ich hab solche Mittel nicht nötig. Wo bleibt denn sonst der Spaß?“

„Der Spaß wird zum Ernst, wenn wir hier weiter diskutieren. Gib mir den Stein der Rose!“

Kid kniff seine Augen zu kleinen Schlitzen zusammen und versteckte seine Hand hinter seinem Rücken. „Tut mir leid, aber ich brauche ihn eher als du!“

Die Frau ballte ihre Hände zu Fäusten und drohte ihm. „Du hast keine Ahnung was du da sagst!“

Im Gang hinter ihnen hallten Schritte und mehrere Stimmen riefen wild durcheinander. Eine unter ihnen war jedoch unverkennbar. Kommissar Nakamori schimpfte wie ein Rohrspatz und fluchte immer wieder vor sich hin.

„Verzeihung, Gnädigste, aber ich habe noch etwas zu erledigen.“ Kid verneigte sich höflich und warf eine Rauchbombe, doch seine Gegnerin ahnte bereits wo er hinwollte. Sein einziger Fluchtweg war auch der ihrige und das war einzig und allein das Fenster.

Der pinkfarbene Rauch breitete sich schnell im Raum aus und hüllte alles ein.

Die Fensterscheibe klirrte laut und schon erreichten auch die Polizisten den Raum. Hustenanfälle plagten die Männer bis der Nebel sich löste.

Einer der Polizisten schaltete das Licht ein und Kommissar Nakamoris Blick glitt zum Fenster. Der Vorhang war zur Hälfte herunter gerissen. Die Glasscheibe zerbrochen und vereinzelte Scherben hingen noch im Fensterrahmen. Mit großen Schritten stand der Kommissar am Fenster und lehnte sich etwas hinaus. In der Menschenmenge auf der Straße, die sich seit Kids Auftauchen dort gesammelt hatte, jubelten die Leute und feierten den Meisterdieb wie einen Helden. Sie pfiffen, jubelten und hielten Fanplakate hoch und riefen immer wieder Kids Namen.

Kommissar Nakamori nervten diese Menschenaufläufe und er wandte seinen Blick von der Masse hinauf auf das nächste Haus. Dort entdeckte Nakamori den Dieb auf dem Nachbardach in Begleitung einer weiteren Person, doch er sah ein, dass sie nicht mehr einzuholen waren.

Seit wann hatte Kid Verstärkung? Das war für den Kommissar eine unglaubliche Vorstellung.

Toshi Utsumi, ein junger Mann, der erst vor kurzem seine Polizeiausbildung abgeschlossen hatte und nun unter Nakamoris Befehl stand, trat auf die Vitrine zu und griff nach einer kleinen Karte, die in der Wand steckte. An und für sich war das ja nichts neues, denn Kaitou Kid hinterließ immer seine Visitenkarte nach einem Diebstahl, doch dieses Mal war das anders. „Kommissar, ich hab eine Karte!“

Ohne sich umzudrehen knurrte der Polizeikommissar: „Was steht dieses Mal drauf?“ Er war bereits sehr wütend. Nicht nur, dass er nach acht Jahren Ruhe Kaitou Kid seit einem halben Jahr wieder jagte, dieser ständig entwischte, nein, der Dieb machte sich auch ständig über sein Versagen lustig. Immer wieder erreichte ihn eine neue bodenlose freche Nachricht des Naseweises.

Der neue Polizist war reichlich verunsichert durch die knurrende Art des Kommissars. Mit leiser Stimme bemerkte er: „Gar nichts!“

Mit einem Ruck drehte sich Kommissar Nakamori um und eilte auf den Polizisten zu. Schon hatte er ihm die Karte aus der Hand gerissen und betrachtete sie aufmerksam. „Das ist nicht Kaitou Kids Karte“, stellte er überrascht fest.
 

Der Himmel war mit Wolken bedeckt. Man könnte meinen es finge jeden Moment zum Regnen an.

Kaitou Kid rannte und sprang über die Flachdächer. Die fremde Frau folgte ihm. Sie hatte eine gute Kondition, das musste er neidlos anerkennen. Immer wieder warf er einen Blick auf seine Verfolgerin und ein hämisches Grinsen trat ihm trotz der Anstrengung ins Gesicht. Ihre Hartnäckigkeit und Schlagfertigkeit gefiel ihm. Es war etwas Neues und brachte Abwechslung in seine normalen Raubzüge. Es wurde mit ihr interessanter, auch wenn er sich fragte, wer sie war oder warum sie den Stein der Rose wollte. Kid sprang gerade wieder von einem Dach zum anderen, als sich eine Wolke verzog und für einen kurzen Moment der Vollmond die Stadt erhellte. In diesem Moment blieb er stehen und hielt den Edelstein in das Licht des Mondes. Er schüttelte lächelnd seinen Kopf und drehte sich um.

Auch die fremde Frau war plötzlich stehen geblieben.

Er blickte zu ihrer Silhouette und warf so unverwandt wie auch vorsichtig den Stein zu ihr hinüber. Überrascht fing sie den Stein auf und verharrte reglos. Kaitou Kid konnte sich vorstellen wie sie ihn anstarrte und so verbeugte er sich höflichst vor ihr. „Es war mir ein Vergnügen.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand in die Nacht hinaus.

„Warte“, rief die fremde Frau ihm nach, doch er hörte sie schon längst nicht mehr. Sie blieb noch eine Weile auf dem Dach stehen und betrachtete den Edelstein in ihrer Hand.
 

Aoko stand mit Keiko in der Masse vor der Villa und hielt ihr Anti-Kid-Plakat in den Händen. Suchend blickte sie sich um. „Sag mal, hast du Kaito irgendwo gesehen?“

Keiko schüttelte ihren Kopf. „Nein, wollte er denn auch kommen?“

„Ja, er lässt sich doch keine Show seines Lieblingsdiebes entgehen“, antwortete Aoko und suchte weiterhin ihre nähere Umgebung nach dem bekannten Gesicht ab.

Plötzlich tauchte Kaito neben den Mädchen auf. „Hier seid ihr“, begrüßte er die beiden und zwinkerte Aoko zu. „War ganz schön schwierig euch in der Menge zu finden.“

Aoko nickte und Keiko begann zu gähnen. Langsam löste sich die Menschenmasse auf. „Kid konnte mal wieder entkommen“, sagte sie. „Lasst uns auch heimgehen.“

Die Mitschüler nickten und gemeinsam gingen sie zu Keiko, erst dann brachte Kaito seine Freundin nach Hause. Es war spät und er würde sie ungern allein durch die Nacht laufen lassen, auch wenn er von Keiko zu Aoko noch einen kleinen Umweg lief.

„Hast du deinen Helden auch sehen können?“

„Ja, ich stand in der Nähe der Mauer, über die er hinweg ist“, flunkerte Kaito und legte seinen Arm um die Tochter des Kommissars. Seine Augen betrachteten das Plakat. „Du bist echt die einzige, die Kid nicht ausstehen kann.“

„Weil er meinen Vater immer wieder an der Nase herumführt“, erwiderte die Braunhaarige stur.

Sie kamen vor dem Haus der Nakamoris an. Kaito drehte sie zu sich und legte seine Hände auf ihre Schultern. Schon beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie zärtlich auf die Lippen. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste er sich wieder und lächelte. „Schlaf gut, kleine Aoko!“

Eine unerklärliche Röte stieg ihr auf die Wangen. Sie war zu überrascht von seiner Gestik, dass ihr vollkommen entging, was er zu ihr gesagt hatte. Sie nickte kurz, hauchte ihm ebenfalls ein ‚Gute Nacht’ zu und beeilte sich ins Haus zu kommen.

Kaito wartete bis sie sich immer Haus war und ging dann lächelnd weiter. Dieser Abend war ein voller Erfolg gewesen. Er hatte die Polizei ausgetrickst, seine Tricks haben alle geklappt, nur Pandora hatte er mal wieder nicht gefunden, aber gut, dann beim nächsten Mal.

Vor seinem Haus angekommen trug er immer noch ein diebisches Lächeln auf seinen Lippen. Er öffnete die Haustür und betrat die Wohnung. Ein älterer, kleiner Herr mit Glatze und einer Brille auf der Nase trat auf ihn zu. „Master Kaito, willkommen zurück!“

„Hallo, Jii, du bist wieder hier?“, begrüßte der junge Mann.

„Ja“, antwortete der Haushälter und deutete auf die Uhr. „Es ist schon spät.“

Kaito nickte und unterdrückte ein Gähnen. Zuerst verschwand er unter die Dusche. Er war ein Junge mit gerade mal siebzehn Jahren. Niemals hätte man angenommen einen so jungen Dieb zu jagen. Die Polizei rechnete mit einem Mann mittleren Alters, da Kaitou Kid vor fast zwanzig Jahren ins Rampenlicht trat. Doch die meisten wussten nichts von dem Tod des richtigen Kids und ihm, als selbst ernannten Nachfolger.

Immer noch verarbeitete er seinen Raubzug und wieder kehrten seine Gedanken zu seiner Gegnerin zurück. Donnerwetter, die sah unglaublich aus stellte er zum erneuten Mal lächelnd fest. Es hatte Spaß gemacht und er hoffte, dass er sie bald wieder auf einem Raubzug traf.

Als er ins Bett verschwand war es bereits weit nach Mitternacht. Zum Glück waren noch zwei Tage Sommerferien und mit diesem Gedanken schlief er in dieser Nacht schnell ein.

Neue Schülerin

Aoko stand pünktlich vor der Haustüre der Kurobas und wartete auf Kaito. Schon wurde die Tür aufgerissen und ihr Klassenkamerad trat heraus. Erfreut begrüßte er sie mit einem Küsschen auf die Wange und gemeinsam gingen sie den Weg zu ihrer Schule. „Und wie lautet die Verteidigung deines Vater, weil Kid entkommen konnte?“, bohrte der Junge sofort neugierig nach.

„Kid hatte Hilfe“, erwiderte Aoko.

„Hilfe?“ Kaito blickte Aoko an. Nein, er hatte keine Hilfe.

„Mein Vater sah, dass er in Begleitung war.“

Kaito richtete seinen Blick in den trüben Himmel. Das meinte sie also. Eine zarte Röte zeigte sich um seine Nase, als er an die hübsche Frau zurück dachte. Zu gern hätte er ihr Gesicht gesehen. Ob sie so schön war, wie er es sich vorstellte?

„Hörst du mir überhaupt zu?“, riss Aoko ihn aus seinen Gedanken.

Verlegen richtete er seinen Blick auf seine Freundin und legte sich eine Hand an den Hinterkopf.

Sie kamen in der Schule an und ließen sich an ihren Plätzen im Klassenzimmer nieder. Sofort waren die beiden von ihren Freunden umringt und sie erzählten sich was sie noch die letzten Tage erlebten. Bis ihre Freundinnen begannen, wie toll doch Kids Auftritt war und wie gut er wieder aussah. Aoko sprang wütend auf. „Bin ich hier die einzige, die der Meinung ist, dass er hinter Gitter gehört?“

Keiko und Yoko zogen ihre Köpfe ein, selbst die anderen Mitschüler richteten ihr Augenmerk auf die Nakamori.

„Bist du“, stimmte Kaito lässig zu und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Du willst einfach nicht einsehen, dass dein alter Herr keine Chance gegen den Meister aller Diebe hat.“

Blitzartig drehte sie sich ihm, stützte ihre Hände auf der Tischplatte und beugte sich vor. Böse funkelte sie ihn an. „Dieser Idiot hält sich für so großartig, aber im Grunde ist er doch nichts weiter als ein kleiner, mieser Langfinger.“

Kaito grinste und fügte hinzu. „Der alles wieder zurück gibt.“

„Es ist trotzdem unrecht“, begehrte sie auf.

Ein Lächeln zierte seine Lippen. Ihr Gerechtigkeitssinn würde niemals auch nur die kleinste Untat akzeptieren. Sein Herz klopfte schneller und er grinste sie nur an.

Sein Grinsen provozierte sie nur und sie lehnte sich noch ein Stückchen vor.

Keinem in der Klasse entging wie nah sie einander waren und keiner aus der Klasse wusste, dass sie ein Paar waren. Sie zeigten es einfach nicht und hatten auch darüber noch kein Wort verloren.

Auch er beugte sich vor und hielt den Blickkontakt. „Akzeptier es einfach, oder willst du nur deine Gefühle gegenüber Kid verbergen?“ Herausfordernd blickte er sie an.

Die Braunhaarige kam ihm noch ein Stückchen näher. Ihre Gesichter trennten nur wenige Zentimeter. „Ich hasse ihn!“ Sie betonte jede einzelne Silbe und blickte Kaito finster in die blauen Augen. Sie verstand nicht, warum er es herausforderte. Er wusste doch, was sie für ihn empfand. Wieso provozierte er es nun?

Kaito versank in ihren Augen und nickte leicht. Als ihr Freund hieß er ihre Reaktion gut, als Kid akzeptierte er es nicht. Und da er beides in einem verkörperte stellte ihm sich nun eine Frage. Konnte Aoko wirklich ihm gegenüber solch eine Hassliebe empfinden?

Saguru Hakuba trat auf den Tisch zu und stellte sich vor die beiden hin. Seine Arme verschränkte er vor der Brust. „Ist das Traumpaar wieder am streiten?“

Aoko und Kaito fuhren auseinander. Sie hatten ihre Umgebung für einen Moment komplett vergessen.

Grinsend stand der Magier auf. „Eifersüchtig?“

Der Detektiv ging an ihm vorbei und drohte leise, dass nur sein Rivale ihn hören konnte: „Sollte sie jemals wegen dir weinen, bekommst du Ärger mit mir!“

„Das wird sie nicht“, antwortete der Braunhaarige überzeugt und ebenso leise zurück.

Zum Unterrichtsbeginn betrat die Lehrerin das Klassenzimmer, hinter ihr ein Mädchen. Schnell setzten sich alle Mitschüler auf ihre Plätze. „Wir haben eine neue Mitschülerin. Stell dich bitte kurz vor.“

Ein schlankes Mädchen mit kurzen, braunen Haaren und braunen Augen stand neben dem Lehrerpult und verbeugte sich vor der Klasse. Als sie sich wieder aufrichtete, lächelte sie: „Mein Name ist Ai Kisugi. Ich lebte ein Jahr in Europa und bin nun wieder in meine Heimatstadt zurückgezogen. Ich freue mich hier sein zu dürfen.“ Erneut verbeugte sie sich kurz und blickte in die Klasse, wobei viele neugierige Blicke auf ihr lagen.

„Willkommen, Ai, setz dich auf den freien Platz neben Saguru.“

Aoko und Kaito beobachteten die neue Mitschülerin aufmerksam, ehe die Lehrerin mit ihrem Unterricht begann.

Die Schulstunden gingen nur schleppend voran, aber kaum läutete es zur Pause war die neue Mitschülerin umringt von den Klassenkameraden, die sie über ihr Leben aushorchten.

Keiko, Yoko, Aoko und Kaito standen etwas abseits, ebenso auch Hakuba, der aus einem der Fenster blickte.

Besorgt betrachtete Aoko den Klassenkameraden, der auf sie traurig wirkte. „Wisst ihr, was Saguru bedrückt?“

Kaito blickte auf. „Wieso?“

„Er scheint nicht glücklich zu sein“, stellte Aoko fest, wobei Akako hinter ihr erschien. Ihre Klassenkameradin war eine Hexe und zauberte mit dunkler Magie. Sie war das schönste Mädchen der Klasse und hielt ihre Arme hinter dem Rücken verschränkt. Geheimnisvoll flüsterte sie. „Er ist unglücklich verliebt.“

„Wirklich?“ Die Braunhaarige drehte sich dem hübschen Mädchen zu.

„Ja“, hauchte Akako. „Das Mädchen bemerkt ihn einfach nicht.“

Kaito funkelte sie wütend an. „Ist ja interessant“, höhnte er.

„Der Arme“, bemerkte die Polizistentochter jedoch mitfühlend.

Akako hingegen grinste hämisch und warf Kaito einen viel sagenden Blick zu. Dessen Gesichtsausdruck hingegen verfinsterte sich.

Keiko und Yoko sahen sich ebenfalls an. „Wer ist nicht unglücklich verliebt?“

„In wen seid ihr zwei denn bitte unglücklich verliebt?“, hakte Aoko plötzlich nach. Schon galt ihre Aufmerksamkeit ihren besten Freundinnen.

„Kaitou Kid“, ertönte es gleichzeitig quietschend.

Kaito fiel fast vom Stuhl und grinste sich einen ab, während Akako zu ihrem Platz zurückkehrte und Aoko schnippisch die Arme vor der Brust verschränkte. „Wie konnte ich auch etwas anderes erwarten?!“

Die Pause war zu Ende und alle Schüler fanden sich wieder auf ihren Plätzen ein.

So ging der Schultag langsam auf sein Ende zu.
 

Im Ionary Revier war eine Besprechung einberufen worden. Der Chef eines der Polizeireviere in Tokio hatte etwas Wichtiges zu sagen und die komplette Besatzung fand sich in dem großen Versammlungsraum ein.

Der Chef hatte eine Glatze, trug eine Brille auf der Nase und ging auf die sechzig Jahre zu. Seit Jahren verfolgte er Kaitou Kid, hatte er diesen doch schon vor zwanzig Jahren verfolgt bis der Dieb untergetaucht war und erst vor kurzem wieder erschienen war. Es war eine schlimme Zeit für den Chef gewesen, da damals sein Vater das Kommando über die Abteilung der Sonderkommission Kaitou Kid hatte und das Ionary Revier inklusive den Chef nach den vielen Misserfolgen sehr unter Verruf stand. Der Chef verband nur schlechte Erinnerungen mit dem Meisterdieb 1412, wie man ihn auch noch nannte. Durch diesen Halunken nahmen die Medien seinen Vater so sehr auseinander, dass dieser seinen Dienst quittierte und sich vorzeitig zur Ruhe setzte. Ab diesem Moment erhielt er die Leitung über die Abteilung Kaitou Kid und ihm unterstand auch Kommissar Nakamori, der damals noch nicht den Dienstrang Kommissar trug, und für die Verhaftung Kids nun zuständig war. Seitdem Rücktritt seines Vaters ging er dieser Aufgabe, ungerührt der Aussagen der Medien, nach und verbuchte mindestens so viele Misserfolge wie damals unter der Leitung seines Vaters.

Doch aus diesem Grund hatte der Chef diese Versammlung nicht einberufen. Nein, das waren seine ganz privaten Erinnerungen und Erfahrungen, die gingen niemanden auf diesem Revier etwas an. Er stand auf, richtete sich sein blaues Jackett und rückte sich die Brille auf seiner Nase zurecht, ehe er das Wort ergriff.

Abwartend hatte das gesamte Revier still verharrt. Niemand konnte sich vorstellen, was so eine wichtige Besprechung hervorrufen könnte.

Der Chef räusperte sich kurz, ehe seine dunkle Stimme den Raum erfüllte. „Der Grund für diese Besprechung ist eine ebenso überraschende wie auch bedenkliche Tatsache. Vor wenigen Tagen erreichte uns eine Nachricht von Kaitou Kid, dass er sich den Stein der Rose holen würde.“

Ginzo Nakamori grummelte leise vor sich hin, während er sich wütend zurücklehnte und ein Bein über das andere schlug. Auch die anderen Kollegen wurden unruhiger.

Wieder räusperte sich der Chef kurz. „Der Meisterdieb 1412 hat seinen Raubzug erfolgreich durchgeführt, doch er war dieses Mal nicht alleine.“

Entrüstetes wie auch überraschtes Stöhnen glitt durch den Raum. Der Chef ließ seine Worte kurz sacken, ehe er weiter sprach. „Wir fanden diese Karte am Tatort“, er ließ seinen Blick über all seine Angestellten schweifen und nickte einem Kollegen zu, der an einem Projektor stand und auf Kommando das Gerät einschaltete.

Die Leinwand, die an der Wand hinter dem Chef gespannt war, wurde hell angestrahlt doch schon erblickten die Männer der Polizei eine Visitenkarte. Sie war weiß und hatte nur einen linken in rot gehaltenen Rand. Der Rand erinnerte an ein kleines Katzenköpfchen und zeigte auf dem Rot ein weißes kleines Emblem, das ein Auge darstellen könnte.

Wieder drang ein lautes Raunen durch die Reihen der Männer und Frauen des Ionary Reviers.

Der Chef ergriff wieder das Wort: „Privatdetektiv Kogoro Mori hat für mich herausgefunden, was diese Karte bedeutet und von wem sie stammt.“

Wütend schnaubte Ginzo Nakamori über die Worte seines Chefs. Privatdetektiv Mori war unfähig und überteuert. Er selbst hatte nur schlechtes über diesen Mann erfahren und würde sich bestimmt nicht auf Informationen, jeglicher Art diesen Mannes, verlassen.

„Er hat herausgefunden, dass diese Karte in Europa sehr oft aufgetaucht war. Eine kleine Gruppe weiblicher Diebinnen, sie nennen sich Katzenauge, schicken durch diese Karten ihre Ankündigung, ähnlich wie auch Kaitou Kid, und verkünden damit welches Diebesgut sie als nächstes stehlen wollen. Leider sind sie in allen Ländern Europas ebenso ungefasst geblieben, wie der Meisterdieb 1412 hier in Japan. Meine Damen und Herren wir müssen damit rechnen, dass diese Diebinnen nun in Japan ihr Unwesen treiben werden.“

Toshi Utsumi stand auf und meldete sich zu Wort. „Was wollen diese Diebinnen denn in Japan?“ Wieder ging ein Murmeln durch die Sitzreihen, die Angestellten wurden wieder sehr unruhig.

„Das ist eine gute Frage, Utsumi. Anders als bei Kaitou Kid gibt es hier keine klaren Anzeichen was genau sie stehlen. Während Kid nur Edelsteine klaut, hat Katzenauge kein spezielles Ziel. Sie stehlen alles von Edlesteinen bis hin zu Gemälden, ohne ein klares Muster zu zeigen.“

Utsomi setzte sich wieder, dafür meldete sich jetzt Kommissar Nakamori zu Wort. „Und wie stellen Sie sich das vor, Chef? Sollen wir Kid und zeitgleich auch Katzenauge verhaften? Was machen wir, wenn beide am gleichen Tag an zwei verschiedenen Orten zuschlagen? Unsere Abteilung ist nicht so groß um an zwei Orten präsent zu sein.“ Bei seinen Worten hatte Nakamori nicht einmal seine Augen geöffnet. Er saß auf seinem Stuhl, hielt seine Arme vor der Brust verschränkt und lauschte den Worten seines Chefs.

Wieder wurde es lauter im Versammlungsraum, doch der Chef übertönte mit seiner Stimme jede andere. „Sie haben es erfasst, Kommissar!“ Langsam kehrte wieder Ruhe ein. „Die Abteilung Kid kann sich mit Katzenauge nicht zusätzlich beschäftigen, da stimme ich Ihnen zu. Aus diesem Grund werden wir eine Spezialabteilung gründen, die Katzenauge verfolgt.“

Erneut drang ein Raunen durch die Gruppe.

„Ich habe mich bereits um Verstärkung gekümmert, bis diese aber bei uns eintrifft entziehe ich Ihnen, Kommissar Nakamori, ein paar Männer.“

„Was?“ Empört und ungläubig riss der Leiter der Soko Kid seine Augen auf und brauste auch gleich auf. „Ich brauche aber meine volle Einheit für die Verhaftung Kids!“

„Ich weiß“, erwiderte der Chef, dennoch beharrte er auf seine Entscheidung. „Aber ich möchte Sie daran erinnern, dass wir im Moment nicht für zwei Spezialabteilungen besetzt sind. Aus diesem Grund werde ich Ihnen ein paar Männer abziehen. Dafür aber bekommen Sie natürlich anderweitige Unterstützung.“

„Ach ja?“, brummte Nakamori. Ihm gefiel diese Idee nicht und er fragte sich was sein Chef wohl noch alles plante.

„Wie Sie wissen, Kommissar, sind die Sommerferien zu Ende und Saguru Hakuba, der Schülerdetektiv, ist bereits aus England zurückgekehrt. Meinen Informationen zufolge hat er dort einen schweren und kniffligen Fall gelöst und hat uns auch schon im Fall Stein der Rose geholfen. Zudem hat sich Privatdetektiv Mori bereit erklärt Sie zu unterstützen. Sie bekommen also sehr guten Ersatz, Kommissar Nakamori!“

Aokos Vater fiel die Kinnlade hinunter. Er glaubte sich verhört zu haben. Seiner Abteilung wurden gute Männer abgezogen und zum Tausch erhielt er Unterstützung von einem eingebildeten und aufmüpfigen Schülerdetektiv und dem unfähigen Privatdetektiv?! War das denn zu glauben? Gerade wollte er erneut auffahren, als aber Toshi Utsumi wieder das Wort ergriff, ehe sein Abteilungsleiter etwas sagen konnte. „Und wer wird die Spezialabteilung Katzenauge leiten?“

„Gut mitgedacht, Detective Utsumi. Ich dachte, dass können Sie übernehmen.“ Während Toshi blass anlief und fast in Ohnmacht gefallen wäre wegen seiner eben passierten Beförderung, grinste Nakamori vor sich hin. Wenigstens würde er den jungen Polizisten loswerden. So nett das junge Kerlchen auch war, mit Tollpatschigkeit und Unbeholfenheit war er ihm nie eine große Hilfe gegen Kid gewesen.

„Dann ist das also beschlossene Sache. Utsumi, ich möchte Sie morgen früh um neun Uhr bei mir im Büro sehen. Dort werde ich Ihnen Ihr Team zuteilen und Sie eingehend über ihren neuen Tätigkeitsbereich informieren. Wenn sonst keine Fragen sind, dann können Sie jetzt wieder Ihrer Tätigkeit nachgehen. Danke schön!“ Mit diesen Worten beendete der Chef seine Sitzung und verließ als erster den Versammlungsraum.

Kaum hatte der Kommissar den Sitzungsraum verlassen, eilte ein Kollege zu ihm und winkte mit einer Karte in seiner Hand. „Kommissar, hier ist eine neue Nachricht von Kid!“

Ginzo Nakamori nahm die Karte entgegen und las sie vor. „Zu schade, dass uns das Schlafgas in die Quere kam und wir keine Zeit für ein Schwätzchen hatten. Aber hier kommt mein kleines Rätsel: Er hat soviel Karat wie eine Ziffer der Uhr und glänzt wie die Sonne im Schatten der Nacht. Gerade hinein, von unten herauf, der Tag beginnt mit einem Morgenplausch. Wir sehen uns Herr Kommissar, Kaitou Kid!“

Aokos Vater musste all seine Wut zügeln. Dieser… dieser… ihm fiel in diesem Moment kein passendes Schimpfwort ein, doch er verfluchte Kid ein weiteres Mal. „Dieser verdammte Dieb!“

„Herr Nakamori, sollen wir uns sofort an die Nachricht setzen?“, mischte sich der Kollege ein.

„Natürlich“, schrie der Leiter der Soko Kid zustimmend, zog sich allerdings zuvor noch eine Kopie. Er würde jetzt nach Hause gehen, vielleicht erreichte ihn die Weisheit dort eher, als hier im Büro.

Wenig später begab er sich auf dem Heimweg. Nach einer viertel Stunde Fußmarsch erreichte er sein Haus.

Am Briefkasten hielt er noch kurz an und holte seine Post heraus. Doch schon befand er sich auf dem Weg durch den kleinen Vorgarten zur Haustür. Immer wieder ging ihm dieses neue Rätsel durch den Kopf.
 

Aoko trat in Begleitung ihres Freundes aus dem Schulgebäude und sah wie ihre neue Mitschülerin wenige Schritte vor ihnen lief. „Komm mit“, drängte sie Kaito und holte ihre Kollegin ein. „Hallo Ai, ich bin Aoko Nakamori und das ist Kaito Kuroba.“

Ai lächelte die beiden an. Sie erkannte sie als Mitschüler und nickte. „Freut mich euch kennen zu lernen.“

Sie traten aus dem Schultor und schlugen die gleiche Richtung an. „Wo wohnst du denn?“

Die Kurzhaarige blickte das gleichaltrige Mädchen freundlich an. „Ich wohne über dem Cafe Cat’s Eye.“

„Das ist ja schön. Dann laufen wir ein Stück des Weges gemeinsam.“

„Du warst für ein Jahr in Europa?“, mischte sich jetzt auch Kaito in das Gespräch ein.

„Ja, wir haben in Paris gelebt. Meine Schwestern vermissten aber die Heimat und so kehrten wir wieder zurück und eröffneten wieder das Cafe.“

„Deine Schwestern?“ Aoko erinnerte sich an die zwei wunderschönen Frauen in dem Cafe.

Sie nickte.

„Wenn ihr nur für ein Jahr in Frankreich gewesen seid, auf welcher Schule warst du denn in Tokio?“

Ai blickte ihn lange an. „Ich war auf einer Schule am anderen Ende der Stadt und musste immer mit der Bahn fahren. Nachdem meine Schwestern entschieden, dass wir Japan verlassen und in Frankleich leben würden wollte ich dort die Schule beenden. Nun schmissen sie wieder die Pläne um und ich entschied mich auf eine Schule in der Nähe zu gehen.“

Kaito nickte und auch Aoko schien sich mit den Antworten zufrieden zu geben.

Ai lächelte die beiden an. Sie fand sie sehr sympathisch. An der nächsten Kreuzung allerdings trennten sich ihre Wege. „Ich muss jetzt hier entlang. Wir sehen uns morgen.“

„Ja, bis morgen“, verabschiedete sich auch Kaito und Aoko winkte ihr zu.

Ai winkte zurück und folgte ihrem Weg.

Auch die Sandkastenfreunde gingen weiter und blieben ein paar Straßen später vor dem Haus der Kurobas stehen.

„Und was machen wir heute noch?“

So gern er Aoko auch hatte, er müsse sich auf einen neuen Coup vorbereiten. Kaito hatte bereits wieder ein Schmuckstück vor Augen, das Pandora sein könnte. Die Ankündigung sollte Jii dem Kommissar auch schon zugesteckt haben. „Ich kann heut leider nichts unternehmen“, entschuldigte er sich.

„Was hast du denn vor?“, fragte die Freundin sofort nach, aber er wich ihr aus. „Ich muss mal wieder den Haushalt auf Vordermann bringen. Meine Mutter kommt in den nächsten Tagen zurück. Wir sehen uns morgen.“ Ihm tat es leid, dass er sie immer wieder anlog, aber die Wahrheit konnte er ihr nicht erzählen. Er hing an ihrem hübschen Gesicht und widerstand nicht dem Drang ihren süßen Mund zu küssen. Er wollte es. Nur war er sich nicht sicher, ob das mit ihnen nicht etwas zu schnell ging. Sie waren beste Freunde und auch wenn er ein Verlangen nach ihr fühlte, so hielt er sich zurück. Er war ihr erster Freund. Sie war seine erste Freundin. Sie hatten viel Zeit und mussten nichts überstürzen. Im nächsten Moment beugte er sich zu ihr hinab und drückte seine Lippen auf ihre. Sanft und leicht berührten sie sich.

Aoko seufzte leicht, als er sich wieder von ihr löste. Auch wenn sie ein Paar waren, hatte sich nicht viel zwischen ihnen verändert. Sie stritten sich tag ein und tag aus. Sie verbrachten viel Zeit miteinander, was sie auch früher getan hatten. Wenn sie nebeneinander gingen nahmen sie sich an den Händen oder er legte den Arm um sie, aber seltsamerweise tat er es nie auf dem Hin- und Rückweg zur Schule. Sie war siebzehn, ihr bester Freund war nun ihr fester Freund. Sie wollte Momente mit ihm teilen, die keine andere mit ihm teilen würde. Sie wollte ihm nahe sein, ihn richtig küssen und irgendwann dann auch den Schritt in intimere Bereiche wagen. Nur Kaito machte keine Anstalten und versuchte nicht einmal ihr näher zu kommen und sie selbst war zu schüchtern um in diesem Fall die Eigeninitiative zu ergreifen.

Kaito lächelte. „Bis morgen“, verabschiedete er sich und strich ihr noch eine Haarsträhne hinter das Ohr. Dann ging er ins Haus und Aoko trat den weiteren Heimweg alleine an.

Ein paar Straßen weiter schloss sie ihre Haustüre auf und entdeckte ihren Vater auf der Couch sitzen. „Papa? Du bist schon zu Hause?“

Er blickte über seine Schulter und lächelte die Oberschülerin an. „Hallo, Kleines.“ Wieder richteten sich seine Augen auf das Schreiben. Er fand einfach keine Lösung auf das Rätsel.

„Was liest du denn da?“ Neugierig trat sie zu ihrem Vater und setzte sich auf die Couch. Er gab ihr die Ankündigung und sie las diese aufmerksam durch.

Derweil stand Herr Nakamori auf und ging zum Fenster.

Aoko las die Worte immer und immer wieder, aber sie verstand den Sinn dahinter nicht. „Was bedeutet das?“

„Das muss ich noch herausfinden.“ Er drehte sich zu seiner Tochter und nahm ihr die Ankündigung ab. „Ich muss noch mal ins Büro. Warte nicht mit dem Essen.“ Im nächsten Moment verließ er das Haus und kehrte an seinen Arbeitsplatz zurück. Er wollte sich erkundigen ob seine Kollegen schon eine Lösung für das Rätsel fanden, denn er selbst hatte noch nicht herausgefunden was Kid als nächstes stehlen wollte.

Als er die Tür öffnete und eintrat, blieb er erschrocken stehen. Sein Chef stand inmitten des Raumes und bei ihm befanden sich ein Mann in Nakamoris Alter, ein kleiner Junge, mit braunem Haar und einer Brille, und ein braunhaariges Mädchen, das ihm den Rücken zugewandt hatte.

„Ah, da ist er ja auch“, begrüßte der Chef den Kommissar und auf Kommando drehten sich die anderen drei um.

Nun konnte Nakamori in deren Gesichter sehen. Der ältere Mann trug einen Schnauzer, der kleine Junge steckte eine Hand in die Hosentasche und das Mädchen sah aus wie…

„Aoko“, entfuhr ihm überrascht.

„Aoko?“, wiederholte das Mädchen verwirrt, doch der Chef des Ionary Reviers winkte lachend ab. „Nichts für ungut, Fräulein Ran. Sie sehen nur der Tochter unseres Kommissar etwas ähnlich.“

Nakamori war nun noch verwirrter. Wieso sah dieses Mädchen seiner Tochter so ähnlich?

„Kommissar Nakamori, wollen sie noch länger in der Tür stehen bleiben? Kommen Sie doch herein, dann kann ich Ihnen Privatdetektiv Kogoro Mori vorstellen.“

Ginzo Nakamori war so verdattert, dass er die Anspielung, sein eigenes Büro betreten zu dürfen, nicht verstand. Er trat ein, schloss die Tür hinter sich und kam auf die kleine Gruppe zu.

Kogoro Mori stellte die beiden Kinder vor. Wobei das Wort Kinder schon an eine Beleidigung für die junge Frau grenzte. „Herr Kommissar Nakamori, ich bin erfreut Sie kennen zu lernen. Darf ich Ihnen meine Tochter Ran vorstellen. Der Zwerg heißt Conan.“

„Ja, sehr erfreut“, faselte Nakamori. Hatte der Chef nicht gesagt, dass die neue Abteilung noch etwas warten würde? Wieso, um alles in der Welt, war dieser hirnlose Privatdetektiv jetzt schon da?

„Herr Mori wird Ihnen beim Entschlüsseln der Nachricht behilflich sein und mit ihnen zusammen die notwendigen Schritte zur Verhaftung Kids einleiten“, erklärte der Chef und ging an seinem Angestellten vorbei. Er öffnete die Tür und trat hinaus.

„Dann zeigen Sie mir doch mal die Botschaft, Kommissar“, bat Mori und hielt Ginzo Nakamori fordernd seine Hand hin.

Der Mann Anfang vierzig zog die Karte heraus und überreichte sie dem Privatdetektiv. Nun war er gespannt, ob dieser diese Botschaft entschlüsseln konnte.

Kogoro Mori las die Nachricht vor. Ran blickte fragend ihren Vater an, doch Conan drängte, dass er die Nachricht auch mal sehen wollte. Grummelnd, weil genervt, reichte er dem Naseweis die Nachricht damit dieser Zwerg endlich Ruhe gab.

Conans Augen überflogen die Worte, aber einen Sinn erkannte er nicht dahinter, noch nicht!

Es klopfte erneut und ein blonder Oberschüler trat in das Büro ein.

Nakamori erkannte den jungen Mann und kniff verärgert die Augen zusammen.

„Guten Nachmittag“, begrüßte der Oberschüler. „Mein Vater sagte mir, dass ich Ihnen im Falle Kid bis auf weiteres helfen soll, Herr Nakamori.“ Er schloss die Türe hinter sich und ging auf die ihm noch unbekannten drei Besucher zu. Er reichte dem älteren Mann die Hand.

„Mori, Privatdetektiv“, stellte sich der Ältere vor.

„Wer bist du?“, hakte Conan misstrauisch nach. Wer war dieser Oberschüler, der nicht viel älter war als er selbst.

„Mein Name ist Saguru Hakuba“, stellte er sich vor und betrachtete die kleine Rotznase. „Ich bin Schülerdetektiv.“

Conan riss die Augen auf und betrachtete den jungen Mann aufmerksam. Der war Schülerdetektiv? Warum hatte er noch nie etwas von ihm gehört? Hakuba… der Name sagte ihm etwas.

„Saguru ist der Sohn von Polizeichef Hakuba“, stellte Nakamori den Mitschüler seiner Tochter vor.

Dieser wandte aber nun den Blick zu dem Mädchen und musterte sie erstaunt. Sie sah aus wie Aoko, aber wie konnte das sein?

„Ran Mori“, stellte diese sich auch schon vor und reichte ihm die Hand.

„Freut mich“, antwortete Hakuba lächelnd, wandte aber nicht eine Sekunde den Blick ab.

Conan behielt ihn ebenfalls misstrauisch im Auge. Wieso starrte er Ran an?

„Conan, gib ihm die Nachricht von Kid“, forderte Ran ihren kleinen Freund auf und dieser reichte dem Oberschüler die Karte.

„Wie kommt es, dass ich noch nie etwas von dir gehört habe?“

Saguru nahm die Nachricht entgegen, blickte den Kleinen aber überrascht an. „Was meinst du?“

„Ich kenne Shinichi Kudo, aber von deinem Namen habe ich noch nie vorher gehört.“ Die Antwort klang beiläufig, doch all seine Sinne waren auf den blonden Oberschüler gerichtet. Auch wenn er im Körper eines Grundschülers steckte und sich zur Tarnung den Namen Conan Edogawa gab, so war sein Verstand nach wie vor der eines siebzehnjährigen Oberschülers und er war selbst der bekannte Meisterdetektiv Shinichi Kudo.

„Ich war lange im Ausland. Hier hatte ich noch nicht allzu viele Fälle zu lösen. Aber Kids Fall werde ich auflösen und ihn hinter Gitter bringen“, antwortete der Schülerdetektiv und dachte an den verhassten Rivalen Kaito Kuroba.

Nun wandte er sich der Nachricht zu und überlegte.

Kogoro Mori begann derweil zu rätseln. „Er kommt im Sonnenuntergang und wird die Treppe benutzen… oder aber doch den Lift.“

Conan schüttelte seinen Kopf. Auch er kam noch nicht drauf, was Kid meinte, aber sein Onkelchen, wie er ihn nannte, lag da nicht richtig. Es musste etwas anderes bedeuten.

Der blonde Detektiv betrachtete die Nachricht und wandte dann seinen Kopf ab. Seine Augen blickten zum Fenster hinaus. Er sah direkt auf das Cafe Cat’s Eye, welches auf der anderen Straßenseite war. Seine Augen betrachteten den Schriftzug, während seine Gedanken arbeiteten.

Conan überlegte auch.

„Wenn ich doch nur wüsste, worauf er es abgesehen hat“, durchbrach Nakamori grübelnd die Stille.

„Auf den Goldenen Kristall“, informierte Hakuba. Er war soeben auf die Lösung gekommen.

Bei den Worten kam auch Conan die Erleuchtung. Natürlich, der Goldene Kristall würde Freitagmorgen vom Besitzer im Frühstücksfernsehen vorgestellt. Um die Mittagszeit wird er ausgestellt und enthüllt werden und bis Sonntagabend bleibt er im Beika-Museum. Montag reiste dann der Besitzer mit dem Kristall in die nächste Stadt. Er wird um acht Uhr abends zugreifen, da dieser Kristall acht Karat Gold enthält. Nur wird er wirklich über das Dach kommen und fliehen?

„Und wie kommst du darauf?“, hakte Ran neugierig nach. Mit dieser Frage unterbrach sie Conans Gedankengänge.

Saguru drehte sich ihr zu und lächelte selbstgefällig. „Ist doch ganz einfach. Karat deutet auf einen Goldanteil hin. Das bedeutet, es handelt sich um ein Wertobjekt das aus Gold besteht. Es gibt acht, neun, vierzehn, achtzehn bis hin zu vierundzwanzig Karat. Die Karat Zahl weist auf das Gewichtsprozent des Goldes hin. Wenn wir wissen wie viel Karat der Kristall hat, dann wissen wir die Uhrzeit um die Kaitou Kid kommen wird. Zudem wird der Goldene Kristall am Freitag im Frühstücksfernsehen von seinem Besitzer präsentiert, ehe er Mittag im Beika Museum bis Sonntagabend ausgestellt wird. Die Bezeichnung: glänzt wie die Sonne im Schatten der Nacht, bedeutet, dass Kid den Strom kappen wird, aber der Kristall wird seine Ausstrahlung nicht verlieren.“

„Und was bedeutet gerade hinein, von unten herauf?“, hakte Kogoro neugierig nach.

Saguru antwortete: „Er kommt übers Dach hinein und verschwindet darüber wieder, da der Stein im ersten Obergeschoss ausgestellt wird und das Beika-Museum drei Etagen hat.“

„Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wie viel Karat der Goldene Kristall hat“, bemerkte Kogoro nickend. Für ihn ergab das alles einen Sinn.

„Er hat die Kennzeichnung 333“, antwortete Conan und erntete überraschte Blicke. Verlegen fasste er sich an den Hinterkopf. „Das stand in der Zeitung.“

„Also schlägt er um acht Uhr abends zu, da ein Goldanteil die Ziffer 333 einen Goldanteil von 33,33 Prozent hat. Das sind acht Karat sind“, löste der Oberschüler auch noch den letzten offenen Punkt des Rätsels.

Er ist wirklich schlau, dachte Conan und wie schnell er das alles gelöst hat. Misstrauisch beobachtete er ihn weiterhin.

„Dann lasst uns alles vorbereiten“, stimmte Nakamori zu und trommelte seine Mannschaft zusammen, die ihm noch über geblieben ist.

Conan vs. Kid

Halb acht. Die letzten Besucher gingen und die Polizisten kontrollierten, dass keine Außenstehenden Personen mehr im Gebäude waren.

Aufmerksam betrachteten Conan und Ran den Goldenen Kristall. Er war atemberaubend schön. „Ich verstehe nicht was Kid damit will“, bemerkte Ran und blickte zu Conan hinab. „Er gibt doch alles, was er gestohlen hat, wieder zurück. Wieso macht er das dann überhaupt?“

Conan blickte sich um. Der Raum war gefüllt mit sieben Polizisten, Herrn Takabu, dem Besitzer des Kristalls, Kogoro, Ran und ihm, der Oberschüler Hakuba und Kommissar Nakamori. Einer der Polizisten schien die rechte Hand des Leiters der Soko Kid zu sein, denn er blieb in der Nähe des Goldenen Kristalls stehen, während die anderen die Türe absicherten. Insgesamt führten drei Türen aus dem Raum, wobei eine offen stand.

Saguru trat neben Conan und betrachtete das Wertobjekt. „Er hat ein enorm großes Ego und er liebt es vor großem Publikum zu stehen. Es scheint fast so als müsse er sich selbst immer wieder etwas beweisen.“

Der Schülerdetektiv im Körper des Grundschülers blickte misstrauisch auf und zog seine Augenbrauen zusammen. Ihm kam dieser blonde Oberschüler verdächtig vor.

Ran blickte den blonden Jungen aufmerksam an. „Klingt fast so, als würdest du Kid kennen.“

In dem Moment erschrak Hakuba. „Nein, ich kenne ihn nicht. Es ergibt sich einfach nur der Eindruck“, erklärte er. „Immerhin kündigt er sein Auftreten an und es versammeln sich immer viele Menschen um ihn anzufeuern und ihm zujubeln.“ Er konnte doch nicht ohne Beweise behaupten, dass er seinen Klassenkamerad verdächtigte. Verdammt, er musste besser aufpassen.

Kommissar Nakamori trat heran. „Es dauert nicht mehr lange“, informierte er die Anwesenden. Er führte Ran und Conan ein wenig zur Seite. „Es ist besser wenn ihr hier stehen bleibt, sollte Kid tatsächlich bis in diesen Raum vordringen.

Conan stand neben Ran und verschränkte seine Arme vor der Brust. Irgendwas hatten sie übersehen, nur er kam nicht drauf. Und er freute sich schon darauf dem Meister aller Diebe zu begegnen. Er hatte bereits einmal das Vergnügen gehabt gegen den Meisterdieb 1412 anzutreten. Damals war er mit Inspektor Megure im Hubschrauber, als Kid den Glockenturm stehlen wollte. Eigentlich bezog sich sein Diebstahl auf die Edelsteine im Minutenzeiger. Da diese aber eine Fälschung waren, verschwand er in der Masse ohne etwas mitgenommen zu haben. Conan war sich sicher, dass diese Aktion nur einen einzigen wahren Grund hatte: Er wollte den Glockenturm an Ort und Stelle erhalten, denn die Besitzer hätten ihn versetzen lassen. Durch die Fälschungen im Zeiger konnte die Stadt den Turm günstig kaufen und ließ ihn stehen. Bis heute stand der alte Turm und läutete jede neue Stunde an. Dieser Turm hatte eine ganz besondere Bedeutung in Kids Leben, sonst hätte er sich nicht so um ihn bemüht.

Gerade hinein, von unten herauf… Conan kam die Lösung. Hier lag der Fehler. Kid würde nicht über das Dach kommen und er würde auch nicht über das Dach fliehen.

Plötzlich ging das Licht aus.

Ein Lachen ertönte.

„Das ist Kid“, rief Nakamori. „Schaltet den Notstrom ein. Nun macht schon!“

„Es hat mich gefreut, Herr Kommissar, aber Ihre Bemühungen helfen auch dieses Mal nicht.“

Conan stand neben der Tür, die offen war. Es war nur ein Schritt nach rechts. Er begann sich zu bewegen, spürte einen winzigen Windhauch, als auch schon der Notstrom anlief.

Der Raum wurde nur spärlich beleuchtet.

Herr Nakamori eilte zur Vitrine, aber der Goldene Kristall war verschwunden. „Verdammter Kid! Schnell, sucht ihn! Sofort“, brüllte Nakamori durchs Funkgerät, obwohl ihn jeder auch so verstanden hätte.

Conan nutzte die Chance der Unruhe und rannte davon. Er lief die spärlich beleuchteten Gänge entlang. Er sah wie die Luke zu einem Lüftungsschacht offen stand. Dennoch rannte er daran vorbei. Kommissar Nakamori hingegen erteilte den Befehl alle Ausgänge des Lüftungsschachtes zu bewachen, dann fügte er noch hinzu: „Aufs Dach, Männer. Er wird übers Dach verschwinden!“

Das wird er nicht, dachte sich Conan und betrat das Treppenhaus. Schnell nahm er die Treppe hinab und stieß eine Tür auf. Er befand sich in der Tiefgarage des Museums. Außer ein paar parkenden Polizeiwägen war es hier leer. Tatsächlich stand der Meisterdieb dort am offenen Tor. Seine Erscheinung in einem weißen Anzug gekleidet. Ein weißer Zylinder auf dem Kopf und der Umhang um die Schulter. Dieser wog leicht im aufkommenden Nachtwind.

„Hab ich dich, Kid!“

Der Dieb lächelte und senkte langsam die Hand in der er den Goldenen Kristall hielt. Diese Stimme kannte er noch nicht. Es war also nicht Nakamori und schon gar nicht Hakuba, der hinter ihm erschienen war. Langsam drehte er sich um. Nun war er neugierig geworden. Sein Pokerface bewahrte er sich, auch wenn er umso erstaunter war, als er einem kleinen Jungen im Grundschulalter gegenüberstand. „Was macht denn ein kleiner Junge noch so spät hier draußen? Solltest du nicht längst im Bett sein?“

Conan funkelte ihn wütend an. So ein arroganter Kerl. In seiner Stimme ließ er sich seine Wut nicht anmerken. „Meisterdieb 1412… Ich hab deinen Trick durchschaut.“

„Ach ja?“ Immer noch klang Spott in der Stimme mit. Sein Grinsen verging ihm nicht.

„Du hast dich unter die Besucher gemischt. Bevor die Polizei das Museum geräumt hat, hast du dich schon unter uns befunden. Die gesamte Zeit über warst du mit uns im Raum.“

Der Kleine war wirklich gut. Er hatte den Eintritt bezahlt, sich den Goldenen Kristall angeschaut und sich danach auf die Toilette verzogen. Dann überwältigte er einen Polizisten und nahm dessen Identität an. Es war ein leichtes das Licht zu manipulieren und mit Hilfe eines Zeitschalters würde alles nach Plan verlaufen. Als das Museum schloss, stand er bereits neben Nakamori und wartete.

„Du hast dich als ein Polizist ausgegeben und in dem Moment den Kristall geklaut, als das Licht ausging. Das Licht hast du vorher präpariert und mit einem Zeitschalter versehen. Dann musstest du aus der einzig offenen Türe fliehen. Als Polizist konntest du in der Unruhe unentdeckt entkommen.“

„Woher wusstest du, dass ich durch diese Tür geflohen bin und nicht durch eine andere“, hakte Kid neugierig nach. Er war wirklich verblüfft von der kleinen Schnüffelnase.

„Ich habe einen Windhauch direkt neben mir gespürt“, antwortete Conan. „Wir sind davon ausgegangen, dass dein Fluchtweg übers Dach gehen würde. Von unten herauf war wirklich zweideutig, doch dann fiel mir die Tiefgarage ein. Wenn du über den normalen Eingang hereingekommen bist, wieso die Mühe machen und über das Dach fliehen? So könntest du ungesehen in der Masse da draußen verschwinden“, beendete der Meisterdetektiv im Miniformat.

„Ich bin wirklich überrascht“, erkannte Kid neidlos an. „Für einen kleinen Zwerg war das gar nicht schlecht.“

„Gib mir den Goldenen Kristall, Kid“, forderte Conan.

Kid richtete seine Augen kurz auf das Wertobjekt in seiner rechten Hand und lächelte. „Fang! Es ist nicht das wonach ich suche“, sagte er letztendlich, denn er hatte keine Verwendung mehr dafür. Dieser Kristall war nicht Pandora. Er warf Conan den Kristall zu und dieser fing ihn sicher auf.

„Bis zum nächsten Mal“, verabschiedete sich Kaitou Kid. Rauch stieg hinter ihm auf und er verschwand ungesehen, als Kaito Kuroba, durch das Tor hinaus.

Conan rannte zum Tor, hatte aber den Dieb bereits aus den Augen verloren. „Das nächste Mal krieg ich dich“, murmelte Conan selbstbewusst. Dieser Meisterdieb war mit allen Wassern gewaschen. Er freute sich bereits auf die nächste Begegnung.

„Hier bist du“, rief Ran nach ihm, die gefolgt von Hakuba, Kommissar Nakamori und dem Besitzer des Kristalls in die Tiefgarage trat.

„Ich habe Kid im Flur rennen sehen und bin ihm gefolgt“, erklärte Conan sofort. „Den Goldenen Kristall hat er verloren, als er durch das Tor fliehen wollte. Leider konnte ich seine Flucht nicht verhindern.“ Er reichte das Wertobjekt dem Besitzer.

Dieser nahm seinen Kristall an sich und seufzte erleichtert: „Gott sei dank!“
 

Kaito stand unter der Dusche und fühlte das Wasser auf seinen Körper rieseln. Es tat gut, sich nach einem anstrengenden Auftritt zu erfrischen. Seine Gedanken verarbeiteten den Abend und wieder mal staunte er über dieses Kind. So schlau konnte kein normaler Junge dieses Alters sein. Er war höchsten neun Jahre alt, wenn nicht sogar noch etwas jünger. Irgendwas stimmte mit dem Jungen nicht.

Etwas war generell nicht so wie sonst. Der Kommissar hatte nur halb so viele Leute postiert wie sonst, dafür waren zwei Detektive, ein Mädchen und diese kleine Schnüffelnase anwesend.

Hakuba kannte er bereits. Mit ihm ging er schon seit einem Jahr in die gleiche Klasse. Er grübelte über den anderen Detektiv, aber er kannte ihn nicht. Das Mädchen kannte er auch nicht. Ihm war nur aufgefallen, dass sie Aoko sehr ähnlich sah. Zuerst hatte er wirklich geglaubt, dass seine Freundin anwesend war. Aber der Zwerg hatte sie mit Ran angesprochen. Zufälle gab es. Es hieß ja immer, dass jeder irgendwo auf der Welt einen Doppelgänger hat. Aokos Doppelgängerin war sogar in der gleichen Stadt.

Er stellte das Wasser ab, schnappte sich sein Handtuch und wickelte es sich um die Hüfte.

Jemand hatte ihm heute gefehlt. Die fremde Frau, mit der er sich das letzte Mal gemessen hatte, war heute nicht mit von der Partie. Zu gern wüsste er wer sie war und welches Ziel sie verfolgte.

Er ging in sein Zimmer zurück, zog sich eine Boxershort an und ein Shirt über. Dann legte er sich ins Bett, verschränkte die Arme hinter den Kopf und starrte die Decke an. So viele Fragen und keine Antworten. Aber er würde das alles noch herausfinden.

Sein Blick fiel auf sein Handy, dann auf die Uhr. Es war noch nicht so spät, erst kurz vor Elf. Ob Aoko noch wach war? Er würde es probieren. So griff er nach seinem Handy und wählte Aokos Nummer. Es dauerte nicht lange, da hob sie auch ab.

„Hey, Aoko, ich bin es“, begrüßte er sie und richtete sich auf. Seine Beine kreuzte er zum Schneidersitz.

„Kaito, ist etwas passiert?“ Ihre Stimme klang ganz besorgt. Sie hatte wohl gerade die Uhrzeit gesehen.

„Nein, es ist alles in Ordnung. Ich wollte fragen, ob wir morgen ins Tropical Land gehen wollen.“

„Das wäre toll“, hörte er die Begeisterung.

„Ich hole dich um neun ab. Wollen wir Ai fragen, ob sie auch noch mitkommt?“ Die neue Mitschülerin würde sich bestimmt freuen, wenn sie in dieser Klasse Freunde fand. Er glaubte nicht, dass sie noch Kontakt zu den alten Freunden der anderen Schule hatte.

„Ja, das ist eine gute Idee“, stimmte Aoko zu. „Dann schreib ich ihr noch kurz eine Nachricht, bevor ich schlafen gehe.“

„Mach das. Bis morgen“, verabschiedete Kaito sich und nachdem sie seinen Gruß wiederholt hatte, legte er auf. Er stellte sich den Wecker und schlief kurz darauf ein.

Aoko hingegen tippte noch eine Nachricht und sendete diese an Ai. Erst heute Morgen hatten sie Handynummern getauscht, schon kam ihr dies zugute. Unerwartetherweise kam sogar sofort die Antwort. Sie würde mitkommen und freute sich schon drauf, die beiden morgen zu treffen. Nun konnte Aoko auch endlich schlafen.
 

An einem anderen Ort dieser Stadt traf Ai ein tadelnder Blick und sie schaltete das Handy aus. Schnell packte sie es in ihren Ausschnitt zurück. Sie trug einen hautengen, orangefarbenen Ganzkörperanzug mit weißem Kragen. Ein rotes Band hing locker um ihre Taille. Ihre Haare standen ihr in alle Richtungen ab und neckisch streckte sie ihrer Schwester die Zunge raus.

„Du musst besser aufpassen. Durch solch dumme Aktionen bringst du uns in Gefahr“, schimpfte die Frau neben ihr leise.

„Es kommt nicht wieder vor, Hitomi“, erwiderte sie.

Über Funkspruch meldete sich eine weitere Frauenstimme. Beide hatten einen Knopf im Ohr. „Hört auf zu streiten und konzentriert euch!“

„Kannst du schon etwas sehen, Schwesterchen?“ Hitomi kniete auf dem Ast eines Baumes und beobachtete das Haus. Alles lag in Dunkelheit vor ihr.

„Im Garten rund um das Haus sind etwa zwanzig Polizisten, vor dem Raum stehen drei und im Raum selbst sind fünf Polizisten und natürlich unser Detective.“

„Okay, Nami“, bestätigte Hitomi durch das kleine Headset. „Love, du lenkst sie ab und ich schleiche mich hinein und hole das Gemälde“, gab sie weitere Anweisungen.

Spaßeshalber salutierte die jüngste der Schwestern, setzte sich auf den Ast und ließ ein Bein baumeln. Schon hob sie die Hand, in der sie eine Fernsteuerung hielt. Sie schaltete das Gerät an und ließ einen Spielzeughubschrauber starten. Konzentriert flog sie den Hubschrauber, immer darauf bedacht unentdeckt zu bleiben.

Das leise Surren des Gerätes zog die Aufmerksamkeit der Polizisten auf sich und sie folgten dem Geräusch. Der Hubschrauber hielt sich immer im Schatten und kreiste in großen Achtern in einiger Entfernung vom Eingang.

Hitomi stellte sich hin. Auch sie trug einen engen, blauen Ganzkörperanzug, nur war ihr Dekolletee nicht von weißem Stoff mit Kragen verdeckt. Ein gelbes Band war um ihre Taille gebunden. Und sie trug ihre Haare lang, bis über die Schulterblätter, und offen. Als die Polizisten abgelenkt waren und die Gegend nach dem verursachenden Geräusch absuchten, sprang Hitomi vom Ast des großen Laubbaumes, der ihnen Schutz bot, und landete leise auf dem Boden wie eine Katze. Grazil, wendig und geräuschlos näherte sie sich dem Eingang und huschte durch die Tür in das Gebäude. Sie folgte ihrem Weg in der Dunkelheit und hielt plötzlich an. Sie erkannte die drei Polizisten im Gang stehen. Schnell zog sie sich ein Tuch heraus und hielt es sich vor Mund und Nase. Dann warf sie eine Kapsel zu den Füßen der Polizisten.

Das leise Geräusch, als die Kapsel auf dem Boden aufkam und noch ein wenig weiterrollte, sorgte dafür dass die Polizisten verwundert zu Boden blickten. Im nächsten Moment teilte sich die Kapsel und ein Qualm stieg auf. Sie stand in sicherer Entfernung und sah wie die Männer zu Boden fielen. „Gute Nacht“, stellte sie kichernd fest und näherte sich lautlos der Tür. Sie spähte durch das Schlüsselloch. „Nami? Der Raum ist hell erleuchtet“, sagte sie flüsternd.

„Ich erledige das“, antwortete die Frauenstimme und Hitomi hörte, wie die Frau auf verschiedene Tasten drückte. „Mach dich bereit“, kam das Kommando und sie zählte runter. „Drei, zwei, eins, Licht aus!“

Hitomi riss zeitgleich die Tür auf und stand nun in der schwarzen Finsternis.

Sie hörte einen lauten Aufschrei und im nächsten Moment gingen mehrere Taschenlampen an. So ein Mist, schoss es Hitomi durch den Kopf. Die Strahlen leuchteten zur Türe, aber sie konnte mit einem geschickten Sprung zur Seite weichen und verschwand in der Dunkelheit.

Sie überschaute die fünf Lichtkegel. Es würde zwar etwas Zeit kosten, aber es war nicht unmöglich. Hitomi griff an und überwältigte einen Mann. Sofort richteten die anderen ihre Taschenlampen in die Richtung des Aufstöhnens, als dieser zu Boden ging, doch Hitomi schlug den nächsten bereits zu Boden. Nacheinander fielen die Männer durch gezielte Schläge in den Nacken in die Bewusstlosigkeit.

„Hitomi“, meldete sich Love übers Headset. „Ich kann sie nicht mehr lange ablenken. Sie scheinen zu merken, dass etwas nicht stimmt.“

Die mittlere der Schwestern brachte gerade den letzten der Fünf zu Fall und näherte sich dem Gemälde. Sie stand davor, blickte es an und lächelte. Das Blumenmädchen. Sie hatte es gefunden. Hitomi löste es vorsichtig von der Wand, als hinter ihr eine männliche Stimme erklang.

„So, Katzenauge, jetzt hab ich dich.“ Ein Lichtstrahl erschien hinter ihr und ihr Schatten wurde um einiges Größer an die Wand projiziert. Sie hörte wie er langsam näher kam. „Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass du mich so leicht austricksen kannst“, höhnte der Mann hinter ihr.

Hitomi lächelte über seine Selbstsicherheit. Sie kannte ihn schon so lange. Sie waren schon gemeinsam in die Grundschule gegangen. Er war schon immer von sich überzeugt gewesen, auch wenn er der größte Tollpatsch war, den sie kannte.

Love meldete sich gehetzt über das Headset: „Schlechte Nachrichten.“ Die Jüngste saß immer noch auf dem Ast mit der Fernbedienung in der Hand und konnte nur noch zusehen, wie ihr kleiner Hubschrauber von einem Polizisten geschnappt wurde und verärgert auf den Boden geworfen wurde. Nun waren alle aufgeschreckt und liefen zur Eingangstür des Gebäudes. Sie hatten sofort durchschaut, dass Katzenauge sie abgelenkt hatte. „Sie kommen jetzt rein!“

Hitomi spürte die Anspannung. Gegen zwanzig Polizisten hatte sie niemals eine Chance. Sie spürte, dass der Detective sich erneut näherte. Leicht schielte sie über ihre Schulter, aber das Licht blendete sie zu stark. Fest umspannten ihre Finger das Gemälde.

„Jetzt hab ich dich“, rief der Mann hinter ihr aus. Er machte einen Satz nach vorne und wollte sie ergreifen.

Sie aber sprang in die Luft, vollführte einen Salto rückwärts und landete hinter ihm. Hitomi sah noch, wie er über seine Füße stolperte und vorne über kippte. Unsanft schlug er auf dem Boden auf, richtete sich aber schon wieder auf.

Schritte hallten durch den Gang und näherten sich rasch.

Der Detective stand wieder, als etwas zischend an seinem linken Ohr vorbeisauste.

Die Polizisten stürmten in den Raum, bewaffnet waren sie mit leuchteten Taschenlampen.

Einen Vorteil hatte das ganze ja, durch das Licht erkannte sie ein Fenster. Sie sprintete los, rannte zum Fenster und schützte ihr Gesicht. Als ihr Körper auf den glasigen Widerstand stieß, zersprang das Glas in viele Scherben und sie landete lautlos und unverletzt auf der Wiese. Der Detective rannte ihr sofort nach und sprang ebenso hinaus in den Garten. Die ersten Polizisten folgten ihm sofort.

Love sprang vom Ast hinunter, als niemand mehr zu sehen war und lief eiligst zu ihrem Hubschrauber. „Diese Banausen“, schimpfte sie, als sie ihr zerbeultes Spielzeug aufhob. Hinter ihr klirrte eine Fensterscheibe und sie sah ihre Schwester in den Garten rennen. Sie hielt die Funksteuerung und den Hubschrauber fest in den Armen und lief ihrer Schwester entgegen, die das Bild unter ihren Arm geklemmt hatte. Gemeinsam rannten sie auf die Straße hinaus.

Dicht gefolgt von den Polizisten. „Gleich haben wir euch“, schrie der Detective.

Im Schatten lehnten zwei Bretter. Jede von ihnen schnappte sich eines, warf es auf den Boden vor sich und sprang hinauf. Schnell hatten sie auf ihren Skateboards Fahrt aufgenommen.

Hitomi blickte über ihre Schulter zurück und lächelte. „Tut mir leid, Toshi“, murmelte sie vor sich hin.

Der Abstand zu ihren Verfolgern wurde größer und größer und als sie um eine der Straßenecken gebogen waren, spürten sie endlich die Sicherheit.

Ein Auto parkte in der Dunkelheit und eine schlanke Frau lehnte an dem Wagen. Ihre Haare waren lang, wellig und fielen ihr über die Schultern. Auch sie trug einen hautengen Ganzkörperanzug wie Hitomi, nur war die Farbe dunkelviolett und das Band türkisfarben, welches ihr locker um die Taille hing.

Auf Knopfdruck öffnete sich der Kofferraum. Die beiden Frauen verstauten ihre Skateboards. Hitomi zog ein weißes Laken hervor und wickelte das Gemälde vorsichtig ein. Als das Päckchen ebenso sicher verstaut war, schloss sie die Haube wieder.

„Nami“, begrüßte Hitomi ihre Schwester. Diese nickte ihren Schwestern zu und sie stiegen ins Auto.

Nami nahm hinter dem Steuer platz, Hitomi stieg auf die Beifahrerseite ein und Love setzte sich auf die Rückbank. Immer noch hielt sie ihren kostbaren Hubschrauber im Arm. Sie legte die Funksteuerung neben sich auf die Rückbank, wo auch ein Laptop lag und betrachtete sich den Schaden ihres Spielzeugs genau.

Nami startete den Motor und fuhr die Straße entlang. Hitomi drehte sich zu ihrer Schwester um und fragte: „Na, kannst du ihn reparieren?“

„Ja, das wird zwar ein wenig dauern, aber es wird kein Problem sein. In ein paar Tagen ist er wieder einsatzfähig“, lachte die Kurzhaarige und blickte zum Fenster hinaus. Sie begann zu gähnen. Viel Schlaf bekäme sie diese Nacht nicht mehr, denn Aoko und Kaito würden sie um kurz nach neun Uhr morgens abholen und mit ihr ins Tropical Land gehen. Sie fand die beiden sehr nett und freute sich, dass sie daran dachten zu fragen, ob sie mitkommen wollte.

Als könnte sie Gedanken lesen, hakte Hitomi wieder nach. „Und was war vorhin so wichtig?“

„Nur Freunde. Wir gehen morgen ins Tropical Land.“

„Das ist aber nett. Vielleicht sollte ich Toshi morgen auch fragen, ob er mit mir dorthin geht“, kicherte Hitomi.

„Das würde ihn zumindest von dieser Schmach heute Nacht ablenken“, lachte auch Nami. Nach einiger Fahrzeit kamen sie zu Hause an und parkten das Auto in der angrenzenden Garage.

Cafe Cat's Eye

Der Tag im Cafe Cat’s Eye begann wie jeden Morgen. Um neun Uhr öffnete das Cafe seine Türen und keine paar Minuten später füllte sich das Cafe. Viele Besucher kamen wie jeden Tag um sich erst einmal mit einem guten Frühstück zu stärken, ehe sie dann weiter in die Stadt zogen um dort ihrer Einkaufslust zu frönen oder in die Arbeit zu gehen.

So sollte der Tag also auch an diesem Morgen wieder beginnen.

Die älteste Schwester, namens Nami, war wie immer die erste die aufstand, sich anzog und zu guter letzt in das Cafe ging. Es war halb neun. Sie band sich ihre Schürze um und wischte über die Tische. Ihre langen, welligen Haare fielen ihr über die Schulter. Sie war eine schöne Frau und hatte links am Kinn ein kleines Muttermal, welches sie keineswegs entstellte, sondern sie noch schöner wirken ließ. Sie wischte gerade über den letzten Tisch, als sie ein lautes poltern vernahm. Ein kurzer Aufschrei folgte, dann begann eine Schimpftirade vom Feinsten.

„Mensch, Love, lass doch nicht immer überall dein Spielzeug liegen. Verdammt, aua, das tat weh!“

Die Älteste hörte die aufgebrachte Stimme und ordnete sie ihrer jüngeren Schwester Hitomi zu. Sie war die mittlere von den insgesamt drei Schwestern.

„Ich weiß nicht was du von mir willst“, gähnte in dem Moment zurück. Sie konnte sich genau vorstellen, wie ihre jüngste Schwester, namens Ai, verschlafen in ihrer kurzen Hose und einem knappen Shirt ins angrenzende Wohnzimmer trat und sich erstmal müde streckte. Ihre blauen Augen richtete sie auf den Wischlappen in ihrer Hand und lächelte. Die beiden würden auch nie erwachsen werden. Immerzu stritten sie sich.

„Ich will dass du hier endlich mal aufräumst. Lass deine Sachen nicht überall herumliegen“, keifte Hitomi wieder. „Du bist siebzehn. So langsam solltest du lernen Ordnung zu halten.“

„Reg dich nicht so auf. In meinem Zimmer ist es ordentlich.“

„Dein Zimmer ist das reinste Chaos“, erwiderte die Mittlere immer noch aufgebracht.

„Ich kenn mich aus und weiß wo ich meine Sachen finde“, konterte die Jüngste wieder. „Wie viel Uhr ist es eigentlich?“ Kurze Pause, dann ein Aufschrei. „Was?! So spät schon? Oh man, ich muss mich beeilen!“ Eine Tür flog ins Schloss, dann kehrte Ruhe ein.

Nami, die sich in der Zwischenzeit dem Tresen zugewandt hatte und auch hier noch einmal drüber wischte, lächelte. Es war doch jeden Tag dasselbe.

Die Tür hinter der Theke, auf der groß ‚Privat’ stand, wurde geöffnet. Hitomi trat kopfschüttelnd ins Cafe und schloss die Türe wieder. „Immer das gleiche mit ihr“, grummelte sie und hatte ihre Hände seitlich an die Hüfte gestemmt.

„Meinst du nicht, du bist manchmal ein wenig zu streng?“ Nami ließ die Bemerkung fallen.

„Du bist dafür nicht streng genug“, fauchte Hitomi. „Sie muss endlich erwachsen werden. Sonst haben wir sie noch in zehn Jahren an unserem Rockzipfel hängen.“

Nami kicherte. „So erwachsen wie du bist?“

Hitomi plusterte ihre Backen auf, wandte dann empört den Blick ab und verschränkte beleidigt ihre Arme vor der Brust.

„Love ist siebzehn und du bist vierundzwanzig. Bedenke das bitte“, erklärte die Älteste milde lächelnd.

In dem Moment ging die Türe auf und ein sehr deprimierter und übermüdeter Mann trat ein. „Guten Morgen, habt ihr schon offen?“ Sein Blick streifte kurz die Uhr an der Wand. Es war viertel vor neun, also hatten sie noch geschlossen. Trotzdem ging er zur Theke und ließ sich auf einen Hocker fallen.

Nami legte den Lappen weg, wusch sich die Hände und kochte schon mal den Kaffee.

Hitomi hingegen setzte sich auf den Stuhl neben ihm und musterte ihn besorgt. „Toshi, ist alles in Ordnung?“

„Nichts ist in Ordnung“, begehrte er wütend auf. Er krempelte sich die Hemdärmel rauf und lockerte seine schwarze Krawatte. „Seit einer Woche bin ich Detective. Gestern war mein erster Einsatz als leitender Polizist gegen Katzenauge und ich habe kläglich versagt.“

Nami stellte ihm die Tasse Kaffee hin und hörte dem Gespräch zu.

„Das Blumenmädchen ist verschwunden, mein Chef ist natürlich bester Laune und Kommissar Nakamori zeigt deutlich wie froh er ist mich los zu sein.“

„Ach, Toshi, aller Anfang ist schwer“, versuchte Hitomi den jungen Mann aufzuheitern.

„Immerhin hab ich es der Katze nicht leicht gemacht“, sprach er plötzlich wieder selbstsicherer. „Sie hat den Strom gekappt, aber durch die vielen Einsätze mit Kaitou Kid war ich darauf vorbereitet. Die Männer hatten alle Taschenlampen.“ Während er erzählte, entging ihm wie Nami und Hitomi einen Blick tauschten.

„Mit deiner Erfahrung und deinem Können, wirst du sie beim nächsten Mal bestimmt erwischen.“

Er blickte auf und in die Richtung aus der die Stimme kam. Zuerst sah er direkt in Hitomis braune Augen und aufmunterndes Gesicht, ehe er weiter schweifte und in ein grinsendes Gesicht blickte. Ebenso braune Augen funkelten ihn an. „Guten Morgen, Ai.“ Er betrachtete sie. Sie trug eine Jeans und ein Shirt, und hatte sich eine Tasche umgehängt. „Hast du noch etwas vor?“

„Ja, ich gehe gleich mit Klassenkameraden ins Tropical Land.“

„Das ist ja schön“, antwortete Toshi und nickte.

„Love, wann wirst du denn abgeholt?“, hakte Nami nach. Es war kurz nach neun und die ersten Gäste traten ein und setzten sich an die freien Tische. Sie ging zu den Tischen und begrüßte die Besucher. Dann reichte sie ihnen die Frühstückskarte.

„Sie wollten um kurz nach neun kommen. Also jeden Moment“, antwortete die Jüngste.

„Love?“, blickte Toshi die Schwestern neben sich fragend an.

„Ja, das ist mein Spitzname. Den haben sie mir in Europa aufgedrückt“, erklärte Ai und kicherte. „Aber das stört mich nicht. Mein Name bedeutet im Japanischen wie auch auf Englisch Liebe und da ist es doch egal wie man ihn letztendlich ausspricht.“

Wieder traten Gäste ein. Das Cafe füllte sich langsam. Hitomi stand auf, ging hinter die Theke und band sich auch ihre Schürze um. „Wenn ich Feierabend habe, könnten wir doch auch etwas unternehmen“, schlug sie nebenbei vor. Aufmerksam betrachtete sie den jungen Mann und sah wie er errötete. Es war schon seltsam. Jetzt kannten sie sich fast ihr ganzes Leben und dennoch schaffte sie es den Freund so in Verlegenheit zu bringen.

„Gerne“, antwortete Toshi. Er trank seinen Kaffee aus und stand auf. Schon zog er einen Schein aus der Tasche und legte ihn auf den Tresen. „Ich muss nur noch mal ins Revier. Ich schau dann später noch mal vorbei.“

Er verließ das Cafe. Kaum fiel die Tür ins Schloss, ging sie wieder auf und zwei Teenager traten ein. Der Junge trug eine Jeans und ein Shirt und hatte eine Kappe auf. Das Mädchen trug ein Sommerkleid und ein Jäckchen darüber. Ihren Kopf zierte ein niedlicher Hut.

„Hallo“, begrüßte Nami die beiden eintretenden Oberschüler, wobei Ai schon herbei eilte. „Hallo ihr beiden. Darf ich euch meine Schwestern vorstellen?“ Sie deutete erst auf die Älteste: „Das ist Nami und dort ist Hitomi.“ Sie blickte ihre Schwestern an. „Und das sind Aoko Nakamori und Kaito Kuroba und gehen mit mir in die gleiche Klasse.“

Die vier begrüßten sich und dann drängte Ai zum Aufbruch. „Lasst uns gehen.“ Nach einem Wort der Verabschiedung gingen die drei siebzehnjährigen Oberschüler hinaus.

„Es ist sehr nett von euch mich mitzunehmen“, begann Ai und lachte die beiden an. Sie gingen nebeneinander auf dem Gehsteig zur nächsten Bahn. Dort würden sie mit dem Zug bis zum Freizeitpark am Stadtrand fahren.

„Das ist doch selbstverständlich“, antwortete Kaito, der seine Hände in den Hosentaschen versteckt hatte.

Aoko lächelte. „Ich war überrascht, dass du sofort geantwortet hast.“

„Ach, ich konnte nicht einschlafen“, wich Ai auf die Feststellung aus und guckte auf den Weg vor sich.

„Das glaube ich. Bestimmt bist du gestern auch vor dem Beika Museum gewesen.“

Überrascht richtete die neue Mitschülerin ihre Augen auf Aoko. „Was meinst du?“

„Kid hatte gestern seinen großen Auftritt. Hast du das nicht mitbekommen?“ Kaito blickte sie überrascht an. Er wunderte sich warum sie ihn so fragend anblickte. Ihm kam der Verdacht, dass sie noch nie etwas von Kaitou Kid gehört hatte. „Kennst du Kaitou Kid?“

Ai schüttelte unwissend den Kopf. Den Namen hatte sie wirklich noch nie gehört.

Die Kommissarstochter klärte sie auf. „Er wird auch Meisterdieb 1412 genannt.“

Den Namen kannte sie. Er war vor langer Zeit auch mal in Europa tätig gewesen, doch dann beschränkte er sich nur noch auf Japan. Dennoch verstand sie nicht, was sie da gestern hätte tun sollen. „Hab schon mal von ihm gehört“, gestand sie leise. „Aber warum Museum?“

„Gestern hat er versucht den Goldenen Kristall zu stehlen. Ist aber erfolglos geblieben, da er ihn auf seiner Flucht verloren hatte“, informierte Aoko erfreut über den missglückten Diebstahl.

Kaito hingegen blickte in die Luft. Es ärgerte ihn, dass die Presse schrieb er hätte ihn verloren. Das war gelogen, als wäre er so unachtsam und ein Anfänger. Er hatte den Kristall der kleinen Schnüffelnase überlassen, da dieser nicht der Edelstein war, den er suchte. Dieses Kind hatte komplett die Tatsachen verdreht.

„Und wieso freut dich das so?“ Ai entging nicht, dass die Schulkollegin ein schadenfrohes Lächeln auf den Lippen trug.

„Mein Vater jagt Kid schon seit Jahren und jedes Mal führte dieser Hochstapler ihn an der Nase herum. Gestern hat mein Papa gesiegt“, erklärte Aoko stolz.

Kaito stöhnte innerlich auf. Dieser Trottel von Kommissar hätte den Kristall heute noch nicht, wenn nicht dieser kleine Junge gewesen wäre. Der konnte doch nicht einmal sich selbst fangen, geschweige denn ein Wertobjekt beschützen.

„Aha“, nickte Ai zu. „Und warum hätte ich nun jetzt dort sein sollen? Immerhin ist er doch ein Dieb.“

„Kid hat ganz viele Fans“, mischte sich Kaito wieder ein. „Besonders viele weibliche Fans“, fügte er noch schief grinsend hinzu. Ja, er war bei den Frauen sehr beliebt.

Aoko blickte ihn kurz an, wandte sich aber dann auch Ai zu. „Seine Fangemeinde versammelt sich immer am Ort des Geschehens. Sie möchten alle dabei sein, wenn er wieder einen Raub durchführen will.“

Ai nickte langsam. Jetzt wurde ihr so einiges klar. Dieser Kaitou Kid schien ein Volksheld zu sein und das obwohl er Verbrechen begeht. Natürlich hatte sie davon noch nichts mitbekommen. Sie und ihre Schwestern waren erst vor kurzem angekommen, hatten genug mit dem Cafe um die Ohren und mussten sich selbst noch um ihre nächtliche Aufgabe kümmern. Ihre Gedanken schweiften zum Vorabend. Sie waren selbst zu beschäftigt gewesen, als das sie den Rummel vor dem Beika Museum mitbekommen hätten. Sie blickte in den Himmel, der wolkenlos blau strahlte. Die Sonne schien, es wurde noch einmal angenehm warm. Der Herbst stand vor der Türe, trotzdem zeigte sich der Sommer noch einmal von seiner schönsten Seite.

Nach einem längeren Fußmarsch erreichten sie den Bahnhof und stiegen in den nächsten Zug. Sie ergatterten einen Sitzplatz und unterhielten sich weiter um sich besser kennen zulernen.

Im Park angekommen zahlten sie den Eintritt und gingen zum ersten Fahrgeschäft. Noch war früher Vormittag, also noch nicht so viel los, aber je später es wurde, desto mehr Besucher stürmten den Park. Viele Menschen nutzten mit Freunden und Familie das letzte herrliche Sommerwetter.

Viele Fahrgeschäfte später suchten die drei Klassenkameraden sich einen Imbissstand und kauften was zum Essen. Sie unterhielten sich und verstanden sich prächtig.

Zwei Oberschülerinnen näherten sich. „Hallo Aoko und Kaito. Ihr seid auch hier?“

Aoko blickte auf und erkannte ihre besten Freundinnen. „Keiko, Yoko“, erfreut sprang sie auf und schloss die Mädchen in eine feste Umarmung. Dann rutschte sie auf der Bank und deutete den beiden sich zu setzen.

Kaito saß neben Ai auf der anderen Seite des Tisches. Die Freundinnen betrachteten aufmerksam die neue Mitschülerin und wunderten sich ein wenig, wie Aoko und Kaito mit ihr zusammen kamen, sagten aber nichts. Stattdessen stellten sie sich vor und Ai begrüßte die beiden. In dieser Woche hatte sie noch kein Wort mit den beiden gewechselt. Es hatte sich bisher einfach nicht ergeben.

„Genießt ihr auch den schönen Tag? Es soll der letzte für dieses Jahr sein.“

Kaito enthielt sich. Er konnte mit Aokos Freundinnen nicht so viel anfangen, auch wenn er sie nett fand.

Ai nickte und die kleine Nakamori stimmte zu. „Ja, diesen Tag muss man einfach noch nutzen. Der Winter beginnt immer viel zu früh und dauert viel zu lange.“

„Ja, das ist echt schade.“

Sie aßen noch auf. Dann aber ergab sich die Frage: „Was wollt ihr denn jetzt machen?“

„Wir haben den westlichen Teil des Parks noch nicht gesehen“, antwortete Ai.

Yoko und Keiko nickten. „Wir auch nicht. Dann könnten wir doch zusammen gehen?“ Gesagt und beschlossen. Gemeinsam gingen sie weiter durch den Vergnügungspark und genossen den schönen Tag zusammen.

Als sie eine Achterbahn verließen, entdeckte Kaito das Spukschloss. „Da geh ich rein, wer kommt mit?“ Sein Finger zeigte klar und deutlich was er meinte.

Yoko schüttelte ihren Kopf, auch Keiko zierte sich. Aoko sah ihren Freund entgeistert an. Er wusste, dass sie Geisterhäuser hasste. „Bestimmt nicht“, antwortete sie entschlossen und der einzige Junge in der Runde seufzte. Dann würde er eben allein gehen. Er ging schon los zur Kasse, als Ai ihm hinterher eilte. „Ich komme mit. Ich liebe diese Gruselschuppen.“

Er lächelte sie an und gemeinsam gingen sie wenig später in das Spukschloss.

Aoko wartete mit ihren Freundinnen davor. Keiko blickte sie unsicher an und der Nakamori entging dieser Blick keineswegs. Auch Yoko wippte unbehaglich von einem Bein aufs andere. „Was ist los mit euch?“

„Du lässt ihn mit ihr allein?“

Die Braunhaarige blickte ihre Freundinnen verwirrt an. „Ja, klar. Wieso?“

„Na, da drin ist es dunkel und gruselig“, bemerkte Yoko.

Keiko nickte und fügte hinzu. „Du weißt doch, dass Spukhäuser sehr beliebt bei Pärchen sind.“

Aoko sah von einer zur anderen, dann schüttelte sie den Kopf. Ai war viel zu selbstbewusst und Kaito würde sich der neuen Mitschülerin nicht auf diese Art und Weise nähern. Sie kannte ihn bereits ihr ganzes Leben und vertraute ihm blind. Nein, er würde nichts tun, was sie verletzte. „Hört doch auf.“

Sie warteten noch ein paar Minuten, dann kamen auch schon Kaito und Ai lachend aus dem Spukhaus heraus. Er fand es schade, dass Aoko nicht mit wollte, denn er hätte sie gerne beschützt. Aber zwingen konnte er sie auch nicht.

„Das war so schlecht gemacht, dass es schon wieder gut war“, lachte Ai immer noch.

„Alles war so durchschaubar“, stimmte Kaito zu. Er sah sich in der Gegend um und entdeckte jemanden, von dem er nicht dachte ihn so schnell wieder zu sehen. Nicht weit von den Freundinnen ging eine kleine Gruppe ihren Weg. Ein Junge in seinem Alter mit dunklerem Teint. Neben ihm ging ein Mädchen mit Pferdeschwanz. Die beiden wurden von dieser Ran begleitet und natürlich war auch dieser kleine Schlaumeier dabei. Gemeinsam verbrachten sie ihren Tag wohl auch hier. Am liebsten würde er sich jetzt von den Mädchen trennen und der anderen Gruppe folgen, doch er riss sich zusammen und begleitete Aoko und ihre Freundinnen. Er würde den Zwerg sowieso bald wieder sehen.

„Kaito, ist alles in Ordnung?“, fragte seine Kindheitsfreundin besorgt nach, doch er lächelte sie beruhigend an. „Alles in Ordnung, lasst uns weiter gehen.“ Zusammen erkundeten sie den Rest des Parks.

Der Tag ging langsam zu Ende und sie wollten sich noch auf eine Tasse warmen Kakao im Cafe zusammensetzen.
 

***
 

„Aoko, Kaito, wollt ihr beide noch mit zu mir kommen?“ Ai rief das ihren Klassenkameraden nach und holte die beiden schnell ein. „Wir können bei uns im Café die Hausaufgaben machen und noch ein wenig reden.“

Aoko nickte lächelnd zu. Jetzt war Ai erst seit eineinhalb Wochen in ihrer Klasse und sie hatte bereits die neue Mitschülerin in ihr Herz geschlossen. „Gerne Ai! Ich könnte uns auch etwas kochen, wenn du damit einverstanden bist!“

„Du kannst kochen?“ Mit großen Augen blickte die Kurzhaarige zu der Mitschülerin. Kochen konnte sie nicht, dafür hatte sie ja schließlich Schwestern.

„Ja, wenn du möchtest, kann ich dir helfen es zu lernen! Kaito kam schon öfters in den Genuss meine Gerichte zu probieren!“, erklärte Aoko stolz und blickte erwartungsvoll den Jungen neben sich an.

Der einzige Junge in der Runde hörte eher desinteressiert zu. Diese Mädchengespräche interessierten ihn nicht wirklich. Stattdessen überlegte er, ob die Polizei schon seine Nachricht erhalten hatte. Bisher hatte Aoko noch nichts zu den Plänen und über Vorbereitungen ihres Vaters gesprochen. War denn sein Rätsel dieses Mal so schwer? Sein Name erklang und nun entschied er sich doch einmal zuzuhören. Nach einem Blick in das hübsche Mädchengesicht wurde ihm bewusst, dass sie eine Antwort erwartete. Worüber hatte sie gesprochen? Vage erinnerte er sich, dass es ums Essen ging. „Ja“, stimmte er zu. Egal was es war, ein Ja war nie verkehrt, besonders dann wenn es in der Verbindung mit Nahrung bestand.

„Siehst du? Ich hab es dir gesagt“, mit einem strahlenden Lächeln wandte die Braunhaarige sich wieder an Ai.

Das eher burschikose Mädchen lachte nun auch. „Na, dann bin ich mal gespannt.“

Wenig später standen sie vor dem Cafe Cat`s Eye. Zum ersten Mal fiel Aoko auf, dass der Schriftzug in geschwungenen Buchstaben über den Fenstern an der Hauswand stand. Auch die Eingangsglastür war nochmals mit dem Schriftzug verziert.

Ai trat zuerst ein und eine Glocke verkündete den Eintritt. Ihr folgten die Freunde aus der Schule.

Hitomi stand hinter dem Tresen, ihre Kleidung unter in einer Schürze versteckt. Ihre langen braunen Haare fielen ihr offen über den Rücken und ihre braunen Augen blickten neckisch auf. „Hallo, kleine Schwester. Aoko und Kaito, richtig?“

„Hallo, Hitomi“, grüßte Ai zurück. Die beiden Mitschüler nickten und erwiderten den Gruß.

„Möchtet ihr etwas trinken?“

„Nein, danke“, lehnte Kaito ab, doch Aoko bestellte ein kleines Wasser. Die drei setzten sich an einen der vielen Tische und die Mädchen packten ihre Schultaschen aus. Kaito hingegen weigerte sich Hausaufgaben zu machen. Stattdessen zog er die Tageszeitung hervor und blätterte darin herum.

„Hitomi, Aoko möchte mir beibringen zu kochen. Können wir nachher in die Küche?“ Ai beobachtete ihre Schwester, die einen warnenden Gesichtausdruck bekam. Alarmiert blinzelte die Jüngere und wartete auf die Antwort.

„Heute geht es leider nicht. Nami bereitet bereits das Abendessen vor, da wir heute noch Besuch bekommen. Ein andermal, okay?“

Ai blickte zu Aoko und lächelte. „Vielleicht können wir mal bei dir kochen?“

„Ja, wieso nicht“, nickte die Schulfreundin zu und widmete sich ihren Aufgaben. Ein kurzer Blick zu ihrem Freund und schon ärgerte sie sich, dass Kaito seine Aufgaben nicht löste. Aber sie wusste auch, dass jedes Wort in diese Richtung Luftverschwendung war.

Hitomi brachte Aoko das Wasser an den Tisch, als die Tür aufging und eine kleine Gruppe junger Leute das Cafe betrat und sich auf die andere Seite der Türe an einen Tisch setzte.

Ai konnte sie gut sehen, während Kaito und Aoko mit dem Rücken zu ihnen saßen.

„Steht Osaka noch?“

„Natürlich, Ran, was dachtest du denn?“, gab ein Junge zurück.

Kaito blickte in seine Zeitung, stutzte aber bei der Erwähnung des Namens. Es gab nicht viele Mädchen, die so hießen. Er tat so als würde er weiter lesen, doch seine Sinne waren auf das Gespräch gerichtet.

„Mit dir als Meisterdetektiv weiß man ja nie“, lachte Ran und er erkannte ihre Stimme wieder. Das war die Aoko-Doppelgängerin. Es gab keinen Zweifel mehr. Doch dann schoss ihm das Wort Meisterdetektiv durch den Kopf. Scheinbar gab es die wie Sand am Meer. Hielt sich jetzt jeder für einen Meisterdetektiv, der Detektiv spielte? Er ließ sich nach wie vor nicht anmerken, dass er lauschte.

„Heiji glaubt immer alles zu wissen, aber in Wirklichkeit hat er keine Ahnung“, stichelte ein anderes Mädchen.

Deren Stimme kannte er bisher noch nicht. Aber so wie sie sprach, schien sie den Jungen sehr gut zu kennen.

„Woher willst du wissen, ob ich Ahnung hab oder nicht?!“

Dieser Heiji reagierte aufbrausend. So wie er mit diesem Mädchen sprach, könnte dass ihr normaler Umgangston untereinander zu sein. Vermutlich stritten sie den ganzen Tag und waren trotzdem befreundet.

„Ich kenn dich seit wir im Sandkasten gespielt haben“, erwiderte das Mädchen und Kaito schielte unbewusst zu Aoko, die neben ihm saß und ihre Aufgaben löste. Ja, auch sie waren Sandkastenfreunde und ihre Freundschaft hielt immer noch. Selbst nach so vielen Jahren, waren sie unzertrennlich. Inzwischen hatte er ihr sogar seine Liebe gestanden. Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen. Er hatte die beiden durchschaut und das nur anhand ihrer Worte. War er jetzt auch ein Meisterdetektiv? Wobei der Titel Meisterdieb ihm voll und ganz ausreichte. Man musste ja bescheiden bleiben.

„Und hat dein Vater schon herausgefunden, was Kaitou Kids Ziel ist?“, warf Heiji seine Frage wesentlich leiser ein.

Kaito blätterte die Seite seiner Zeitung um und lauschte dann weiter. Ein kurzer Blick zu Aoko und er wusste, dass sie auch nicht mehr so konzentriert auf ihre Aufgaben war.

„Nein“, antwortete Ran. „Paps, sieht einfach kein Muster hinter den ganzen Aktionen, die er so startet.“

„Vielleicht liegt es daran, dass er ein Dieb ist?“ Wütend warf diesen Satz das andere Mädchen ein, doch der Junge verneinte: „Nein, Kazuha, jeder Dieb hat ein Muster, nur ist ihm bisher noch niemand auf die Schliche gekommen.“

„Wenn es nur Kaitou Kid wäre“, seufzte Ran. „Jetzt haben wir noch mehr Diebe in dieser Stadt. Katzenauge ist neu aufgetaucht! Auch hier hat noch niemand ein Muster herausfinden können! Das was bekannt ist, ist die Information, dass sie Weltweit gesucht werden. In Europa trieben sie auch schon ihr Unwesen.“

Ai zuckte unmerklich und schielte zu Hitomi. Diese trocknete gerade das Geschirr ab, aber ihre Ohren waren auch auf das Gespräch der drei Jugendlichen gerichtet.

Katzenauge, war das seine Gegnerin gewesen? Kaito überlegte. Wenn er ihr wieder begegnete, würde er sie ansprechen.

„Noch mehr Diebe? Wenn ich euch helfen soll, dann sagt es“, bot Heiji an. „Ich werde dann öfters nach Tokio kommen um euch hier zu unterstützen.“

„Danke, Heiji, das ist lieb von dir“, lächelte Ran.

Zum ersten Mal erklang eine vierte Stimme. „Wir werden schon herausfinden, wer diese Diebe sind, aber dennoch ist es gut zu wissen, dass du uns unterstützen würdest.“

Diese Stimme wusste er sofort zuzuordnen. Das war er eindeutig. Diese kleine Spürnase. Wieso enthielt er sich denn die gesamte Zeit dem Gespräch. Er hatte ihn, Kaitou Kid, gestellt, hatte das Rätsel richtig gedeutet und war ihm auf die Schliche gekommen. Dieser Junge war kein normaler Junge. Er war für sein Alter viel zu schlau. Der Teilzeitdieb bekam das Gefühl, dass dieser Junge sich in das Gespräch der Großen einmischen wollte, tat aber nichts dergleichen. Etwas hinderte ihn daran, nur was?

Das Mädchen, Kazuha, wechselte das Thema. „Hast du etwas von Shinichi gehört?“ Eindeutig war diese Frage an Ran gerichtet.

„Nein“, antwortete die Angesprochene traurig. „Er hat sich schon seit zwei Monaten nicht mehr gemeldet.“

Heiji versuchte sie wieder aufzumuntern. „Kudo meldet sich schon wieder. Keine Sorge, Ran. Er vergisst dich schon nicht!“

Shinichi… Kudo… Shinichi Kudo… Die redeten über den bekannten Meisterdetektiv Ostjapans. Er stand bis vor einem Jahr regelmäßig in der Zeitung. Es gab keinen Fall den dieser Oberschüler nicht lösen konnte. Wieso hörte man eigentlich nichts mehr von dem Jungen, war doch seltsam… Kaitos graue Zellen arbeiteten auf Hochtouren.

In diesem Moment erklang wieder die Glocke und ein weiterer Gast betrat das Café. Der eintretende Mann trug eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte und setzte sich an den Tresen.

„Hallo, Toshi“, begrüßte Hitomi ihren Jugendfreund und kochte ihm einen Kaffee.

Aus den Augenwinkeln musterte Kaito den Mann. Dieser Mann sagte ihm überhaupt nichts. Er hatte ihn noch nie vorher gesehen.

„Hallo, Hitomi!“ Matt ließ er sich an die Theke auf einen Hocker nieder und ließ den Kopf hängen. „Ich werde noch verrückt. Seit diese Katzen sich hier in der Stadt herumtreiben, haben wir nicht nur mit Kaitou Kid Probleme. Ich muss sie unbedingt zur Strecke bringen, ehe sie noch mehr Diebstähle begehen“, verkündete der Polizist und ließ seinem Unmut freien Lauf. Vor zwei Tagen hatten die Diebinnen wieder zugeschlagen und wieder mal war die Polizei erfolglos und das Gemälde gestohlen. Ihn, als leitenden Detective, machten sie einen Kopf kürzer.

Die Gruppe am anderen Tisch verstummte plötzlich.

Ai blickte auf und legte ihren Stift auf den Tisch. Dann stand sie auf und stellte sich zu Toshi. Sie mochte den netten Kerl, der immer über seine Probleme im Cafe redete. „Aber Toshi, dann musst du dich ranhalten. Die Katzen scheinen sehr gerissen zu sein. Außerdem treibt Kid sein Unwesen schon länger. Wieso hast du ihn noch nicht geschnappt?“

Der Polizist nahm einen großen Schluck des heißen Kaffees und verbrannte sich prompt die Zunge. Das junge Mädchen klopfte ihm lachend auf die Schulter, während Hitomi ihm schnell ein Glas Wasser reichte. Toshi nahm es dankend an und leerte es in einem Zug.

„Alles wieder okay, Toshi?“ Hitomis braune Augen musterten den Polizist besorgt.

Leicht errötet blickte er auf und winkte lachend ab. „Ja, ja, alles okay, Hitomi!“

Wieder erklang die Glocke des Cafés und weitere Gäste traten ein. Zwei Männer setzten sich an die Theke und bestellten ebenfalls Kaffee. Den Kollegen, der ein paar Stühle weiter saß, nahmen sie gar nicht wahr.

„Dieser Kid“, schimpfte der Mann Anfang vierzig laut los. „Ich werde ihn zur Strecke bringen.“

„Ich verstehe immer noch nicht was er genau mit dieser Ankündigung meint“, bemerkte der andere ruhiger, dafür lauter als gedacht.

Kaito begann zu grinsen. Seine Vermutung war richtig, als er die Stimmen vernommen hatte. Sein Lieblingsgegner, Kommissar Nakamori, schimpfte mal wieder über ihn. Und die andere Stimme gehörte diesem komischen Privatdetektiv Mori. Ja, er hatte ihn im Beika Museum gesehen. Sein Eindruck von diesem Mann hielt sich in Grenzen. Dieser Mori hatte keine Ahnung und schimpfte sich Detektiv. Nach dieser Aussage war ihm nun endgültig klar, dass der keine Leuchte in seinem Gebiet war.

Als Aoko die Stimme des ersten Mannes erkannte, sprang sie auf und drehte sich zu den Herren an der Theke. Auch Ran erging es so und sprang ebenfalls zeitgleich auf. Auch drang beiden Mädchen zeitgleich und wie aus einem Mund: „Papa?!“

Überrascht blickten alle die beiden Mädchen an, die sich selbst erschrocken ansahen. Es kam ihnen so vor, als würden sie in ihr jeweiliges Spiegelbild sehen.

Doch jetzt antworteten die Väter. „Ran“, antwortete Herr Mori und wollte soeben fragen, was sie hier machte, als er ihre Freunde sah. „Was macht der hier?!“, brummte er knurrend, als er den Sohn des Polizeipräsidenten erkannte.

„Wir sind hier mit Freunden“, erwiderte Ran und sprach für sich und Conan. Dabei ballte sie ihre Hand zur Faust. Wieso konnte ihr Vater sich nicht einmal mit unfreundlichen Kommentaren zurückhalten.

„Freut mich auch, Herr Mori!“, bemerkte Heiji ungerührt.

Herr Nakamori stand auf und ging auf seine Tochter zu. „Hallo Aoko, was machst du hier?“

„Wir machen Hausaufgaben!“

Er nickte und begrüßte auch den langjährigen Freund seiner Tochter. „Hallo Kaito.“ Der Zauberer nahm seine Zeitung herunter und grüßte ebenfalls kurz.

„Gibt es wieder eine neue Ankündigung von Kid?“, hakte Aoko sofort nach.

Ihr Vater kratzte sich verlegen am Kinn und nickte. „Ja, die gibt es. Wir sind bereits dran diese Nachricht zu lösen. Dann werden wir ihn schnappen.“

Aoko nickte. „Du schaffst das, Papa.“

„Ja, klar“, murmelte Kaito höhnisch und wandte sich wieder der Zeitung zu. Niemand schien die Anmerkung gehört zu haben. Er war gespannt, denn Samstag fand das große Ereignis statt und heute war schon Mittwoch. Viel Zeit blieb den Herren der Polizei nicht mehr.

Ai musterte die Gäste des Cafes neugierig. Dieser Heiji hatte einen dunklen Teint, war groß und schlank. Das Mädchen neben ihm, bei der sie auf Kazuha tippte, trug ihre braunen Haare zu einem Pferdeschwanz. Bei den beiden stand noch ein kleiner Junge mit braunen Haare und einer Brille auf der Nase. Er schien sie und ihre Klassenkameraden ebenso zu mustern.

Ja, es war schon von Vorteil, wenn man die erste Anlaufstelle der Polizei war. In der Pause waren die Freunde und Helfer immer so gesprächig. Das war wirklich von Vorteil. Zudem sie nun auch wusste, dass dieser Kaitou Kid seine Raubzüge ebenfalls ankündigte, wie auch sie, Katzenauge, es immer taten.

Treffen der Diebe

Wenn die Glocke zehn Mal schlägt,

trifft Japan auf Frankreich.

Des Lebens Elixier

in Dunkelheit bewahrt und geschützt

geht in meinen Besitz.

Gruß, Kaitou Kid
 

***
 

„Vergessen Sie nicht am Sonntagmorgen einzuschalten. Dieses Ereignis gab es noch nie zuvor. Unsere Nationalmannschaft hat es tatsächlich geschafft in das große Finale zu kommen. Das kommende Finalspiel geht in die Geschichte des japanischen Fußballs ein. Unsere Nationalelf konnte sich gegen diverse Gegner wie Saudi Arabien, Rumänien und Polen durchsetzen. Zudem besiegten sie die Mannschaften von der Türkei und von England, normalerweise Topfavorit in den Fußballnationen. Das Wunder begann, als unsere Mannschaft im Halbfinale auf Brasilien traf. Diese Mannschaft ist weltklasse, aber unsere schaffte es überraschenderweise auch hier zu gewinnen. Ich wiederhole: Unsere Mannschaft hat Brasilien besiegt. Unser Gegner im Finale ist Frankreich. Und nun findet das Finalspiel in Paris statt. Das Spiel wird am Samstag um 20:30 Uhr Ortszeit übertragen. Frankreich liegt zehn Stunden hinter unserer Zeit. Darum denken Sie daran Sonntagmorgen um halb sieben hier einzuschalten. Wir werden das Spiel live übertragen. Das gab es noch nie zuvor im japanischen Fußball und geht bereits jetzt in die Geschichte ein. Sie sehen Kanal Eins – Ihre Nummer Eins am Morgen. Weiter geht’s mit dem Programm.“ Schon verschwand der Mann im grauen Anzug und Schlips und die Werbung wurde eingeblendet.

Zeitgleich schaltete Ran den Fernseher aus. Sie setzte sich an den Frühstückstisch, wo bereits ihr Vater und Conan saßen.

Kogoro Mori las in einer Zeitung. Conan biss in ein Honigbrötchen, während Ran sich ebenfalls ein Brot schmierte. „Es ist schon unglaublich. Noch nie hat Japan das Viertelfinale erreicht, geschweige denn das Finale.“

„Darf ich mir das Spiel am Sonntag ansehen?“, hakte Conan nach. Er sah aus wie ein kleines Kind, also musste er um Erlaubnis fragen auch wenn es ihn bereits sehr in den Fingern juckte. Er liebte Fußball und war auch gar nicht mal so schlecht in dieser Sportart.

„Wenn du dir den Wecker stellst, darfst du“, gestatte Ran. Sie beugte sich zu ihm rüber und hob den Zeigefinger. „Aber ich wecke dich nicht. Du musst von alleine aufstehen.“

Als wäre er ein kleines Kind, schoss ihm durch den Kopf. Ein schiefes Lächeln trat dem Grundschüler auf die Lippen. Er wandte sich von Ran ab und blickte zu ihrem Vater. „Onkelchen, weißt du jetzt schon was das Rätsel bedeutet?“

„Tja“, kratzte sich Mori am Kopf und faltete die Tageszeitung zusammen. „Er schlägt um zehn Uhr abends zu.“

Conan wartete, aber der ältere Mann fügte nichts mehr hinzu. „Und weiter?“ Das war das einfachste an dem Rätsel.

„Mehr hab ich noch nicht herausgefunden.“

Der Grundschüler verzog das Gesicht. Na, toll. Onkelchen hatte mal wieder gar keine Ahnung. Wie er es schaffte überhaupt als Detektiv anerkannt worden zu sein, blieb selbst ihm noch ein Rätsel, und er, Shinichi Kudo, war bekannt dafür, dass er jedes Rätsel lösen konnte.

In Gedanken ging er das Rätsel noch einmal durch. Es war wirklich schwierig auf eine Lösung zu kommen. Dieser Kaitou Kid war ein schlaues Kerlchen, aber anders würde er niemals mit seinen Raubzügen Erfolg haben. Ja, es gehörte schon eine beachtliche Intelligenz und eine Menge Selbstsicherheit dazu um die Polizei so dreist an der Nase herumzuführen. Er blickte auf die Uhr. Heute war Donnerstag. Wieder mal war die Woche schnell vergangen und das Wochenende stand vor der Tür. Am Samstag war er noch mit Ran, Heiji und Kazuha im Tropical Land gewesen. Dort wo seine Geschichte vor fast einem Jahr begann. Er erinnerte sich an den Tag, als wäre es erst gestern geschehen.

Er war mit Ran im Freizeitpark, als dort plötzlich ein Mord stattfand. Natürlich überführte er den Täter sofort. Danach belauschte er diese zwei finsteren Typen in Schwarz. Blöderweise hatten sie ihn entdeckt und ihm ein Zellgift verabreicht, das ihn töten sollte. Stattdessen führte dieses Gift aber zu einer Verjüngung seines Körpers und er befand sich im Körper eines sieben Jährigen. Zu diesem Gift, auch genannt APTX 4869, gab es noch kein Gegengift, aber er würde sich an diesen Typen und ihrer Organisation rächen. Im Laufe des Jahres fand er heraus, dass die beiden Typen aus dem Park, Gin und Vodka genannt, für die schwarze Organisation arbeiteten. Für ihn waren es die Männer in Schwarz.

Schon bald war ein Jahr vergangen und er steckte immer noch in diesem nervigen Kinderkörper fest. Das schlimme daran: Es gab einfach kein Gegenmittel. Seine Freundin Ai Haibara arbeitete seit Monaten an einem Gegenmittel. Sie selbst wurde von dem Gift geschrumpft. Sie gehörte mal zu der schwarzen Organisation und hieß dort Sherry. Ihr richtiger Name war Shiho Miyano. Niemand von den Männern in Schwarz wusste, dass das Zellgift Körper schrumpfte und so galten Shiho und Shinichi offiziell als tot. Sollte die Organisation erfahren, dass sie beide noch lebten, wären Ran und ihr Vater in großer Gefahr. Das musste er unter allen Umständen verhindern.

„Conan, was ist los?“, fragte Ran nach, als ihr der abwesende Blick des kleinen Freundes auffiel. „Du musst dich beeilen. Wir müssen zur Schule.“

Diese Worte rissen den kleinen Detektiv aus seinen Gedanken und er beeilte sich.

Gemeinsam traten sie wenig später auf die Straße und Ran brachte ihn zur Grundschule. Es nervte ihn wieder zur Grundschule gehen zu müssen, aber ihm blieb nichts anderes übrig. Seine Freundin Ai wartete bereits auf ihn und die erste Frage, die er jeden Morgen stellte, war: „Hast du das Gegenmittel?“

Und die erste Antwort, die er jeden Morgen erhielt, war: „Nein, gedulde dich!“

Dann kamen auch schon seine Freunde, die Detective Boys hinzu. Die kleine Gruppe Detektive bestehend aus Genta, Ayumi und Mitsuhiko. Sie waren wirklich zu Freunden geworden. Auch wenn die Kleinen einem manchmal ganz schön auf die Nerven gehen konnten.

Gemeinsam ging die Gruppe in ihren Klassenraum der Grundschule und sie setzten sich artig auf ihre Plätze. Der Schultag begann und zog sich wie immer in die Länge, da Shinichi alias Conan den gesamten Unterrichtsstoff schon konnte. Es langweilte ihn und trotzdem musste er so tun, als könne und wisse er das noch nicht.

Da er aber auch einer der besten Schüler der Klasse war, ließ die Lehrerin ihn auch in Ruhe. So konnte er ungehindert seinen Gedanken nachhängen.

Diese rotierten um das Rätsel des Meisterdiebes. Sein Überfall wird um zehn Uhr abends stattfinden, das war so sicher wie die Erde rund war. Trifft Japan auf Frankreich… Konnte er damit auf das Fußballspiel in Frankreich hinweisen? Diesen Gedanken behielt er im Hinterkopf. Des Lebens Elixier war der Sauerstoff. Ohne Sauerstoff konnte kein Leben existieren.

Die letzte Stunde begann und die Lehrerin verkündete: „Wir haben jetzt Biologie und nehmen heute den Körper des Menschen durch.“

Conan vernahm ihre Worte, schenkte dem aber keine beachtliche Aufmerksamkeit. Doch dann wurde es ihm klar. Kid meinte nicht den Sauerstoff. Er bezog Leben auf die Anatomie. In Dunkelheit bewahrt und geschützt könnte bedeuten, dass der Körper etwas barg und somit etwas für den Betrachter nicht ersichtlich war. Wenn sich das Elixier auf das was die Menschen am Leben hielt bezog, dann handelte es sich um Blut und Wasser. Ohne dies konnte kein Mensch leben. Was wollte Kid also damit sagen… Er überlegte. Wasser im Körper… Blut… Aber ihm wollte einfach nicht einfallen, in welchem Zusammenhang Wasser und Blut stehen sollten.
 

Am Nachmittag besuchten Ran und Conan mit Kogoro das Ionary Revier. Der Detektiv hatte einen Termin beim Kommissar. Gemeinsam betraten sie das Gebäude und gingen den Gang entlang zur Tür. Dort öffnete bereits der Oberschüler Saguru Hakuba die Türe und trat in das Büro ein. Kurz nach ihm folgten auch die Moris mit Conan. Gemeinsam standen sie in dem Büro des Kommissars und suchten nach der Lösung. Sie tappten bisher im Dunkeln und keiner hatte auch nur die geringste Ahnung wann und wo der Raub stattfand.

Kogoro setzte sich an den Tisch gegenüber dem Kommissar und wechselte das Thema. „Sehen Sie sich auch das Fußballspiel am Sonntag an?“

Kommissar Nakamori nickte. Ihm tat es ganz gut seine Gedanken abzulenken. Die Nachricht lag nach wie vor ungelöst bei ihm auf dem Schreitisch.

Saguru Hakuba hingegen stoppte den sich anbahnenden Themenwechsel. „Ich finde, es ist wichtiger sich auf Kid zu konzentrieren, als auf Fußball.“ Er selbst war kein Fußball Fan, sondern stand wie die Mehrheit der Japaner auf Baseball. Er wandte sich wieder dem Fenster zu und blickte hinaus auf die Straße. Seine Gedanken rotierten, aber er fand keine Logik hinter den Worten von Kid. „Könnte der Dieb auf das Spiel deuten?“

Conan überlegte. Das Spiel fand am Samstag statt, wurde aber in Tokio durch die Zeitverschiebung erst am Sonntag in der Früh ausgestrahlt. Er bezog sich auf Japan gegen Frankreich. Er konnte niemals wissen, dass Japan gegen Frankreich im Finale stehen würde. Die Ankündigung erhielten sie schon am Sonntag, jetzt war Donnerstag. Nein, dieser Hinweis deutete auf etwas anderes hin. Japan könnte für ihn stehen, Kaitou Kid. Frankreich musste auch eine andere Bedeutung haben, als nur das Land. Dann hatte er noch Blut und Wasser. Kaitou Kid stahl nur Edelsteine. Blut könnte etwas Rotes bedeuten. Ein roter Rubin vielleicht. Wasser… vielleicht sah der Edelstein einem Wassertropfen ähnlich. Ein Edelstein würde normalerweise ausgestellt werden. Frankreich… Natürlich, wie konnte er nur so blind sein! Seine blauen Augen sahen von Ran, die seitlich an der Tür stand und sich unauffällig verhielt. Ihrem Gesichtsausdruck entnahm er, dass sie an Shinichi dachte. Er nahm sich vor sie am Wochenende wieder anzurufen, auch wenn die Gefahr dadurch größer wurde erwischt zu werden.

Nun beobachtete er die anderen. Der Schülerdetektiv Hakuba blickte Gedankenverloren zum Fenster hinaus und grübelte über die Lösung. Der Kommissar hingegen, saß in seinem Stuhl zurückgelehnt, hatte ein Bein über das andere gelegt und hielt die Nachricht vors Gesicht. Kogoro saß dem Kommissar gegenüber. Das war gut, denn niemand achtete auf ihn. Es war die einzige Möglichkeit die Lösung des Rätsels bekannt zu geben und er hatte es schon öfters getan. Er zog sein Narkosechronometer mit dem Betäubungsmittel hervor und legte mit einem gezielten Treffer den Privatdetektiv schlafen. Im nächsten Moment durchwühlte er seine Hosentaschen und spürte eine Murmel, die ihm Ayumi heute in der Schule geschenkt hatte. Schnell holte er die Murmel hervor und tat so als würde er diese verlieren. Sie kullerte zum Schreibtisch. Er folgte ihr, während Kogoros Augen zufielen und er wie ein nasser Sack auf dem Stuhl hing. Unter dem Tisch angekommen schnappte sich Conan seinen Stimmentransposer und sprach in Kogoro Moris Stimmlage. „Ich habe die Lösung gefunden.“

Alle Augen richteten sich auf den im Stuhl sitzenden Mori, der die Augen geschlossen hatte.

„Ich weiß jetzt wann und wo Kaitou Kid zuschlägt. Er kommt am Samstagabend um zehn Uhr ins Murauchi Art Museum. Dieses ist ein französisches Kunstmuseum und stellt hauptsächlich Gemälde französischer Maler aus. Doch der Besitzer hat einen Edelstein, der sehr wertvoll ist. Er wird blutige Träne genannt. Kids Ziel ist dieser rote Rubin, der einem Wassertropfen ähnelt.“

Hakuba lauschte aufmerksam, doch dann begann er zu hinterfragen: „Wieso sollte Kid ausgerechnet am Samstag zuschlagen und dann in diesem Museum? Es gibt mehrere Museen mit französischen Ausstellungsstücken.“

„Berechtigte Frage, Herr Detektiv“, antwortete Conan mit der Stimme von Mori.

„Die Bezeichnung Japan trifft auf Frankreich hat zwei Bedeutungen. Zum einen spielt er wirklich auf Fußball an. Nicht aber auf das Finalspiel, denn dass unsere Mannschaft im Finale steht ist reiner Zufall. Sondern hier bezieht er sich darauf, dass Japan sich in Frankreich aufhält. Wenn man zwischen den Zeilen liest, betitelt er sich selbst als Japan und das Murauchi Art Museum ist das bekannteste Museum französischen Ursprungs. Hier spielt er auf die zweite wirkliche Bedeutung an: Er, als Japaner, ist in Frankreich, dem Museum. Des Lebens Elixier in Dunkelheit bewahrt und geschützt, umschreibt den roten Rubin. Hier bezieht er sich auf Blut und Wasser – die blutige Träne.“

Die Wirkung der Betäubung ließ nach.

„Klingt einleuchtend“, stimmte Kommissar Nakamori erstaunt zu. Niemals hätte er dem Privatdetektiv solch eine Logik zugetraut. „Lassen Sie uns sofort losfahren. Wir statten Herrn Gerardieux einen Besuch ab.“

Kogoro stand auf und nickte zustimmend. „Genau das wollte ich auch vorschlagen.“

Saguru beobachtete ihn misstrauisch. Irgendwas stimmte da nicht, aber er würde schon noch dahinter kommen. Er folgte den beiden Männern zur Tür, als er Rans Stimme hörte. „Conan, kommst du?“

„Ja, gleich, ich suche noch meine Murmel. Sie ist vorhin hinunter gefallen.“ Conan krabbelte über den Boden. Ihm war keineswegs entgangen, wie misstrauisch der Oberschüler Onkelchen angesehen hatte. Nun stand er auf und zeigte Ran die Hand in der er seine Murmel hielt. „Hab sie. Wir können los.“

Gemeinsam folgten die drei den Erwachsenen.
 

***
 

Heute um 22 Uhr holen wir uns die Saint Antoinette

aus dem Murauchi Art Museum.

Katzenauge
 

***
 

„Diese verdammten Katzen“, schimpfte Toshi und schnappte sich seine Tasse Kaffee. „Reicht es denn nicht schon wenn Kid heute in dem Museum was stehlen will, muss sich heute Morgen auch noch Katzenauge melden.“

„Kid?“, wiederholte Hitomi verwirrt.

„Ja, Meisterdieb 1412 oder auch Kaitou Kid genannt“, informierte Toshi die Frau, die er schon fast so lange kannte, wie sich selbst. „Hab vorhin erfahren, dass Nakamori mit seinen Leuten im Murauchi Art Museum ist und dort Vorkehrungen für Kids Ankunft trifft.“ Sein Blick fiel auf die Uhr. „Oh nein, ich müsste auch schon längst dort sein.“ Er trank seine Tasse aus, zog einen Schein aus der Tasche und reichte diesen ihr. „Der Rest ist Trinkgeld“, zwinkerte er und eilte aus dem Cafe hinaus, dabei rief er noch: „Wir sehen uns morgen.“

Es war Samstagmittag und der große Ansturm vom Vormittag war längst abgeflaut. Toshi war der einzige Gast bis eben noch gewesen. Dies kam den drei Schwestern allerdings sehr gelegen.

Nami stand hinter dem Tresen, Hitomi saß immer noch auf einem Hocker an der Theke und Ai spielte mit ihrem Haustier, einem kleinen Kätzchen, wobei sie an einem Tisch seitlich saß.

„Kaitou Kid nennt er sich hier“, wiederholte Hitomi geistesabwesend.

„Du hast ihn doch schon mal getroffen, oder?“ Ai stellte diese Frage und Hitomi nickte. „Ja, er hat den Stein der Rose gestohlen und mir dann auf dem Dach überlassen.“

„Dann begegnen wir ihm heute wieder.“ Namis Stimme klang nicht sonderlich begeistert.

„Bisher hat der Meisterdieb immer nur Edelsteine gestohlen. Was sollte er in einem Kunstmuseum wollen?“

„Das ist genau das, was ich nicht verstehe, Hitomi.“ Die älteste Schwester verschränkte ihre Arme vor der Brust.

„Darf ich dieses Mal auch mit?“

„Ich weiß nicht, Love“, wich Hitomi aus.

„Bitte, ich würde zu gerne mal diesen Meisterdieb sehen.“

„Aber wir dürfen uns unter keinen Umständen ablenken lassen. Unser Ziel ist die Saint Antoinette“, nickte Hitomi zu und Nami meinte: „Du musst Love auf heute Abend vorbereiten.“

Gemeinsam gingen die jüngeren Schwestern ins angrenzende Wohnzimmer und zogen die Pläne des Museums hervor. Hitomi wies ihre kleinere Schwester in die gesamte Vorgehensweise ein. Nami selbst hatte mit Hitomi alles geplant und wusste um ihre Aufgaben. Sie hielt derweil die Stellung im Cafe.
 

Aufgrund des bevorstehenden Diebstahls, ließ Herr Gerardieux das Museum für diesen Tag geschlossen. Er wollte unter keinen Umständen, dass Kaitou Kid sich verkleidet einschlich. Die Empfangshalle befand sich im Erdgeschoss. Sie war groß und wirkte gespenstisch. Ein Aufzug und eine Treppe, gegenüber der Eingangstür, verbanden die insgesamt vier Etagen des Museums. Rechts und links führte je ein Durchgang zu zwei großen Räumen, die man locker in vier normal große Zimmer einer Wohnung teilen könnte.

Ran sah sich mit großen Augen um. Sie war noch nie zuvor in diesem Museum gewesen, hatte auch noch nie zuvor davon gehört. Sie nahm sich ganz fest vor mit Shinichi einmal her zu kommen um sich die Ausstellung anzusehen.

Herr Gerardieux stieg die Stufen der Treppe hinauf, gefolgt von Kogoro Mori und dem Kommissar. Saguru Hakuba wartete auf der ersten Treppenstufe auf das braunhaarige Mädchen. Conan hingegen folgte schon den Erwachsenen.

Ran schloss schnell auf und die beiden Oberschüler erklommen die Treppe in den ersten Stock. Die Treppe führte weiter hinauf, ebenso auch der Aufzug. Ran und Saguru traten in einen kleinen Flur von dem rechts und vor ihnen ein Durchgang zur Ausstellung führte. Es ähnelte einem Rundgang. Links stand eine Massivholztüre offen. Die Erwachsenen standen in diesem Raum und die beiden siebzehnjährigen traten hinzu.

Sie fanden sich in einem abgetrennten Raum wieder. Ihnen gegenüber führte eine weitere Türe aus dem Zimmer und rechts von ihnen war ein großes Fenster, durch das Licht herein drang und den Raum erhellte. Links war eine Wand.

„In der zweiten und dritten Etage führt der Rundgang durch vier große Ausstellungsräume. In dieser Etage allerdings haben wir nur drei Ausstellungsräume als Rundgang eingerichtet“, erklärte gerade der Inhaber. Auf die fragenden Blicke antwortete er: „Denn hinter dieser Tür“, er zeigte auf die gegenüberliegende geschlossene Tür, „befindet sich meine Wohnung.“

Der Zwischenraum, in dem sie gerade standen, trennte die Privaträume zum Museum und beinhaltete den wertvollen Rubin. Dieser lag auf einem Samtkissen, das wiederum auf eine alte, reichlich verzierte Säule gebettet war.

„Wir müssen hier Polizisten zur Bewachung aufstellen“, bemerkte Kommissar Nakamori und plante bereits gedanklich seine immer noch nur zur Hälfte besetzte Mannschaft.

„Das wird nicht nötig sein, Herr Nakamori.“ Aufgrund der überraschenden Blicke trat der Museumsinhaber zum einzigen Fenster des Raumes und zog die schweren Vorhänge zu. Danach führte Herr Gerardieux die Anwesenden aus dem Raum und drückte einen Handsender, den er eben aus seiner Hosentasche gezogen hatte. Er drückte einen Knopf. Nebenbei zog er eine Spezialbrille hervor und hielt sie Nakamori hin. Als dieser hindurch blickte zeigten sich in der Dunkelheit rote Laserstrahlen, die kaum ein Durchkommen ermöglichten. „Das sind Lichtsensoren.“

Die Brille ging zu seinem Besitzer zurück. „Diese Sensoren stehen unter Strom. Sollte Kid wirklich in diesen Raum eindringen, dann wird er von den Elektroschocks niedergestreckt.“

„Das ist beeindruckend“, nickte Herr Mori.

„Dann postieren wir uns zur Sicherheit vor allen Ausgängen“, sprach der Kommissar.

Ein Herr eilte die Treppe herauf, gefolgt von einem jungen schwarzhaarigen Mann. „Herr Gerardieux. Herr Detective Utsomi vom Ionary Revier ist angekommen. Er möchte die Sicherheitsvorkehrungen treffen.“

Der Museumsinhaber begrüßte den jungen Mann mit einem Kopfnicken. „Auch die Gemälde sind mit diesen Laserstrahlen gesichert. Es gibt kein Durchkommen in keinem der Räume.“ Nun schaltete er die Laser wieder ab und der fremde Mann betrat den Raum. Sein nächster Weg ging zum Fenster und er zog die Vorhänge beiseite. „Das ist mein Sicherheitschef, Herr Makato. Sie können den Abend über bei ihm bleiben. Wir werden die Räume im Überwachungsraum beobachten. Ihre Mitarbeiter können sie auf den Fluren postieren, doch ich denke nicht, dass das nötig ist.“

„Wir möchten einfach nur sicher gehen“, nickte Kommissar Nakamori und sprach auch für den Detective.

Herr Gerardieux nickte und ging voraus zur Treppe. „Dann zeige ich Ihnen noch die Saint Antoinette, auf die es Katzenauge abgesehen hat.“

Conan horchte auf. Katzenauge würde heute also auch kommen. Er war gespannt. Immerhin galten diese Diebinnen als flink und schnell. Sie konnten bisher immer entkommen obwohl sie ihre Vorhaben auch immer ankündigten.

Sie betraten im zweiten Stock den Raum rechts. Er trat an den verschiedensten Gemälden vorbei und blieb vor einem Bild stehen. „Das ist Saint Antoinette“, erklärte Herr Gerardieux.

Ran war zu fasziniert von der Ausstellung und betrachtete das Gemälde einer wunderschönen Frau mit langem blonden Haar. Ihre Augen so blau, wie der Ozean, die lange schmale Nase und die schönen, vollen Lippen zu einem Lächeln geformt. Ihr Kopf lag leicht schief. Die Oberschülerin konnte sich richtig vorstellen, wie diese Frau Model saß und von einem Maler, vielleicht auch ihr Liebhaber, als Porträt gezeichnet wurde.

„Was weiß man über dieses Gemälde?“, fragte Hakuba plötzlich.

Der Inhaber schien überrascht, dass diese Frage ein Schüler stellte, dennoch antwortete er: „Der Maler dieses Bildes ist namentlich nicht bekannt, aber er war in der Lehre von Dubuffet, einem bekannten Maler Frankreichs.“ Er pausierte kurz und blickte die Polizisten an. „Das erkennen Sie am Zeichenstil. Nur dieser Maler hatte solch eine Fingerfertigkeit.“

„Und darauf schließen sie, dass dieser Künstler ein Lehrling war“, nickte Saguru.

„Er war es bestimmt. Und sie war seine Freundin“, mischte sich plötzlich Ran ein, die immer noch verträumt auf das Gemälde blickte.

Conan sah irritiert auf und Saguru drehte sich zu ihr. Auch die erwachsenen Männer stutzten über diese Aussage. „Wie kommst du darauf, Mausebein?“, hakte schon ihr Vater nach.

„Seht euch doch nur mal ihr Gesicht an. Sie lächelt auf eine so bezaubernde Art und ihre Augen funkeln regelrecht“, klärte Ran auf und seufzte. „Sie muss diesen Mann geliebt haben. Und er sie auch, sonst hätte er es niemals geschafft ihre verzaubernde Art so wieder zu geben.“

Aufmerksamer und mit anderen Augen betrachtete die Männer das Bild.

Für den Abend planten die Einsatzleiter ihre Polizisten ein und diese bezogen Stellung. Und kurz vor der angekündigten Zeit fanden sich die Detektive, Ran, Conan, Nakamori und Toshi mit dem Inhaber im Überwachungsraum ein. Gespannt richteten sie ihre Augen auf die Bildschirme, wobei auf zwei Räume das Hauptaugenmerk gerichtet war.
 

21:59. Der Raum war still und verlassen. Beide Türen waren geschlossen. Durch das Fenster drang nur ein schwacher Schein des Mondes, ansonsten herrschte absolute Dunkelheit. An der Decke hing der Lüftungsschacht und in diesem lag Kaito, in seinem zweiten Ich gekleidet, und löste soeben eine Bodenplatte. Vorsichtig legte er diese Platte vor sich hin und zog eine Brille hervor. Durch diese Gläser sah er die Lasersensoren.

Diese füllten den gesamten Raum aus, aber würden ihn nicht an seinem Vorhaben hindern.

Noch ein kurzer Blick auf die Uhr. In wenigen Sekunden war es soweit.

Er zog ein kleines metallenes Stäbchen hervor. Er platzierte das Stäbchen zwischen zwei Strahlen. Nebenbei beobachtete er die Uhr. Er hatte sich für zweiundzwanzig Uhr angekündigt und keine Sekunde früher. Er hielt sich an seinen Zeitplan.

Noch drei, zwei, eins und langsam verlängerte sich dieses dünne Stäbchen. Kid brauchte eine sehr ruhige Hand, denn nur wenige Millimeter um das Stäbchen herum, waren die Lichtschranken.

Der Stab wurde länger und länger und schob sich zwischen den Sensoren hindurch. Kurz vor dem roten Rubin stoppte das Metall und an der Spitze teilte sich der Stab.

Ein Grinsen trat Kaitou Kid auf die Lippen. „So, und jetzt werde ich dich holen“, murmelte er selbstbewusst.

Konzentriert blieb er bei seiner Arbeit.

Die zwei Spitzen legten sich um den Edelstein und ergriffen diesen wie eine Zange. Im nächsten Moment schob sich der Stab wieder Stück für Stück zusammen, bis er wieder im Lüftungsschacht in seiner Originalgröße angekommen war. Kaito entnahm der Zange den Edelstein und steckte ihn in seine Jackentasche. Das Stäbchen verschwand auch wieder und er schloss die Bodenluke.

Ein kurzer Blick auf die Uhr. Es hatte ihn einige Minuten gekostet, aber das war in Ordnung.

Dann kroch er weiter durch den Lüftungsschacht und erreichte das Ende. Im hell beleuchteten Flur standen die Polizisten.

Dann konnte die Show jetzt beginnen. Er öffnete das Gitter und während er hinab sprang, sprühte er mit seinem Schlafgas herum. Er selbst hielt sich ein Tuch vor Mund und Nase. Im nächsten Moment rannte er zur Treppe und diese hinauf, als plötzlich das Licht ausging und ein paar Polizisten vor ihm auftauchten. Er erkannte gerade noch wie jemand die ersten Treppenstufen in Angriff nahm. „Guten Abend“, begrüßte Kid die Herren vor ihm, die vor Schreck stehen blieben und sich zu ihm umdrehten.

Das stellte sich sogleich als Fehler heraus, als er ihnen sein Schlafgas ins Gesicht sprühte. Er selbst wich den umfallenden Beamten aus und sprintete die Treppe hinauf. Nicht weit vor ihm lief eine Frau mit langem, braunem Haar.
 

21:59. Hitomi löste eine Hand aus dem Saugnapf, griff in den Beutel, der ihr über die Schulter hing, und nahm sich ihr Hilfswerkszeug heraus. Sie positionierte es am Fenster in der Nähe des Griffs. Schon setzte sie den Glasschneider an und schnitt ein Faustgroßes Loch hinein. „Nami, ich bin soweit“, gab sie das Einsatzzeichen.

„So, dann wollen wir mal die Herren der Polizei austricksen“, hörte sie das Grinsen aus der Tonlage ihrer älteren Schwester heraus. „Hitomi, du kannst jetzt rein.“

Schnell war das Fenster mit einem Handgriff geöffnet. Sie stellte sich aufs Fensterbrett und zog eine Brille heraus, die sie sogleich aufsetzte. Aufmerksam blickte sie in den Raum und sah die vielen Lichtschranken.

Sie zog noch eine Mütze aus dem Beutel, ehe sie die Saugnäpfe von ihren Schienbeinen und Handgelenken löste und diese in die Tasche packte. Sie reichte die Umhängetasche ihrer Schwester, die neben ihr an der Hauswand hing.

Love löste eine Hand aus dem Saugnapf, nahm die Tasche entgegen und hing sie sich um. Dann deutete sie ihrer Schwester mit dem Daumen hoch, dass sie fest an Hitomi glaubte und verband ihre Hand wieder mit dem Saugnapf. Schon kletterte sie das Museum an der Außenseite weiter empor.

Hitomi stellte sich an die Wand neben dem Fenster und schloss es wieder. Die Sensoren sicherten einen schmalen Bereich des Fensters nicht ab, aus diesem Grund konnte sie unbemerkt eindringen und sich erst einen Überblick verschaffen.

Auf dem ersten Blick gab es kein Durchkommen. Die Laserstrahlen gingen kreuz und quer durch den Raum und füllten diesen fast komplett aus.

Sie öffnete ihre Hand und setzte sich eine Mütze auf und verbarg die langen Haare darunter. Erneut blickte sie sich um und entdeckte die Schlupflöcher. Geschickt und wendig überwand sie das Hindernis aus Lichtschranken. Teilweise musste sie die Luft anhalten, dann wiederum bot ihr ein Zwischenraum genug Platz sich auch umzudrehen.

Sie durchbrach das Labyrinth der Sensoren und stand wenig später vor der Saint Antoinette. Ihre braunen Augen hingen an der hübschen jungen Frau. „Mutter“, hauchte Hitomi mit einem sanften Lächeln und löste das Bild aus dem Rahmen. Dann rollte sie es vorsichtig ein und fixierte es mit einer langen Klammer. „Nami, ich hab es!“

„Gut, Hitomi, dann musst du dich beeilen. Du hast ab jetzt nur zwei Minuten.“

Wieder verschaffte sie sich einen Überblick, aber nun war der Weg nicht mehr so lang, da das Gemälde nahe der Türe hing. Sie konzentrierte sich auf die Laserstrahlen und hörte dann auch schon, wie ihre Schwester den Countdown zählte.

Hitomi hatte noch eine Barriere vor sich. Sie schob das Gemälde auf dem Boden unter einer Lichtschranke hindurch zur Türe. Sie selbst bog ihren Rücken durch zu einer Brücke und setzte ihre Hände auf. Erst hob sie ein Bein an, dann folgte das zweite und sie kam zu einem Handstand zum Stehen. Akrobatisch löste sie eine Hand und schnappte sich das Gemälde. Sie wartete: „Drei, zwei, eins!“ Schon trat sie die Türe auf, als auf dem Flur das Licht ausging. Geschickt stieß Hitomi sich mit ihrer Hand vom Boden ab und landete souverän auf beiden Beinen im dunklen Flur, der nur von der Notbeleuchtung erhellt wurde.

Die Polizisten setzten vor um sie festzuhalten, aber Hitomi konnte ihnen geschickt ausweichen. Sie ließ eine Kapsel gefüllt mit Schlafgas fallen und rannte im nächsten Moment davon.

Einige der Polizisten nahmen sofort die Verfolgung auf und konnten dem Schlafgas damit entkommen. Andere fielen bereits ins Reich der Träume.

Hitomi flüchtete mit der Gemälderolle in der Hand ins Treppenhaus. Die Polizisten verfolgten sie. Sie nahm die ersten Stufen in Angriff, als sie ein ‚Guten Abend“ hinter sich hörte. Ein kurzer Blick über die Schulter und sie sah Kaitou Kid im Gang stehen, der die Polizisten soeben mit etwas einsprühte. Nachdem die Beamten umfielen, tippte sie auf Schlafgas. Doch das sollte sie nun nicht ablenken. Sie rannte die Treppen hinauf und fühlte Kids Blicke in ihrem Rücken, der ebenso das Dach anvisierte, wie sie.
 

21:59. Die Bilder der Überwachungskameras zeigten keine Regung. Nichts tat sich. Aufmerksam ruhten alle Blicke auf die vielen Fernseher in diesem Raum. Der Sicherheitschef saß vor dem großen Steuerpult. Zwei Bildschirme zeigten immer das gleiche Bild. Es waren die Räume, in denen die Tatobjekte aufbewahrt waren. Die anderen Bildschirme wechselten die Perspektiven. Überall standen die Polizisten und warteten darauf, dass etwas passierte.

Conan blickte auf seine Armbanduhr. Nur noch wenige Sekunden, dann begann die nächste Stunde. Kid war immer pünktlich. Sein Blick wechselte zwischen der Uhr am Handgelenk zu dem Bildschirm, der den Raum des roten Rubins zeigte. Immer noch tat sich nichts. Es vergingen die Sekunden und die erste Minute war zu Ende, aber der Raum lag still und ruhig da, nichts schloss darauf, dass Kid vor Ort war.

Kurz flackerte das Bild auf dem anderen Bildschirm, aber dann zeigte auch hier nichts von einem Eindringen der Katzen.

Die Minuten vergingen und der Detective wurde unruhig. Eine merkliche Anspannung baute sich im Überwachungsraum auf. Conan trat näher auf das Steuerpult und betrachtete den Raum des roten Rubins. Eine Bewegung… Wenn auch kaum wahrnehmbar, war da eine Bewegung. „Tut sich da was?“, fragte er naiv nach, während es in seinem Kopf arbeitete. Wenn Kid wusste, dass er gegen die Lichtschranken keine Chance hatte, dann müsste er einen Weg finden den Edelstein herauszuholen, ohne selbst in Erscheinung zu treten.

Toshi trat heran und presste seine Nase gegen den Bildschirm. Auch er erkannte nun, das Kid bereits da war und Erfolg zu haben schien. Sein Blick wich zu dem anderen Bildschirm, aber im Raum der Saint Antoinette tat sich immer noch nichts. „Verdammt, sie haben uns ausgetrickst“, fluchte er plötzlich, rannte zur Türe und riss diese auf. Schnell führte sein Weg ihn zum Treppenhaus und die ersten Stufen hinauf.

Kommissar Nakamori verstand noch nicht so ganz worauf der Detective hinaus wollte, doch als sein Blick über die anderen Bildschirme streifte, sah er wie sich eine Wolke in den Gängen ausbreitete und die Polizisten der Reiche nach zu Boden gingen. „So ein Mist! Dieser verdammte Kaitou Kid“, brüllte er nun wütend und rannte ebenso hinaus.

Auch Saguru folgte dem Kommissar und der Rest blieb zurück. Conan wollte zu gerne auch hinaus, aber Ran hielt ihn besorgt fest, als würde sie erahnen was er vorhatte. Der Inhaber war kalkweiß geworden, während der Sicherheitschef seine Angestellten anwies, sich zum Dach zu begeben. Im nächsten Moment flackerte das Licht und alle saßen in der Dunkelheit. Alle Bildschirme waren schwarz.

Die Flure wurden vom Notstrom beleuchtet, der Rest war finster.

Nach dem die Diebe in Richtung Treppenhaus flohen, konnte es nur die Richtung hinauf geben. Herr Gerardieux hatte sich so auf seine Technik verlassen, doch die Diebe konnten das Hindernis überwinden.
 

Die Tür flog auf und Hitomi rannte zu ihren Schwestern. Love, die den Beutel immer noch geschultert hatte, hielt ihrer Schwester eine Rolle hin. Schnell war das Gemälde eingepackt und verschlossen. Nami stand mit einem Rucksack auf den Schultern am Dachrand und hielt eine Armbrust in ihren Händen.

Kid trat heraus und schloss die Türe hinter sich. „Heute zu dritt, Katzenauge?“, konfrontierte er seine Gegnerinnen. Wobei sie verschiedene Objekte geklaut hatten.

Hitomi drehte sich ihm zu, da sie und ihre Schwestern aber im Schatten standen, erkannte er ihre Gesichter nicht. „Wie schon beim letzten Mal, das geht dich nichts an!“

„Nichts für ungut“, winkte Kaitou Kid ab und beobachtete die Bewegungen der Frauen.

Nami kniete sich hin und schoss mit einer Armbrust zum gegenüberliegenden Gebäude. Dort verhakte sich der eingelegte Enterhaken mit dem Geländer und spannte ein massives Seil zwischen dem Museum und dem Nachbargebäude. Im nächsten Moment zog sie eine Seilrutsche heraus. Sie platzierte diese auf dem Seil, nahm Schwung und rutsche damit zum Nachbargebäude.

Love, die den Meisterdieb 1412 genauestens betrachtet hatte, reichte Hitomi das kleine Hilfsmittel und folgte schon der großen Schwester und rutschte mit ihrer eigenen Seilrutsche hinab.

Hitomi band sich die Rolle, in der das Gemälde sicher verstaut war, über die Schulter und spannte ihre Seilrutsche ebenfalls fest. „Man sieht sich“, verabschiedete sie sich von dem in weiß gehüllten Dieb und nahm ebenfalls Schwung.

Kid blieb staunend stehen. Doch dann hörte er neben sich die Türe aufspringen.

Toshi, Nakamori und Hakuba, gefolgt von dem Sicherheitspersonal des Museums, sprinteten aufs Dach. Zu ihrer linken sahen sie die Katzen an einem Seil davon rutschen. Zu ihrer rechten Seite stand der Meisterdieb mit einem selbstherrlichen Lächeln im Gesicht. Er hatte beide Hände in die Hosentaschen gesteckt, während er seine Feinde, unter dem leicht gesenkten Zylinder, musterte. „Hat mich wie immer gefreut, Herr Kommissar.“ Schon drehte sich Kid um, rannte und sprang vom Dach des Museums. Im nächsten Moment öffnete sich sein Gleiter und er flog davon. Unter ihm jubelte die Masse an Menschen, die sich vor dem Museum eingefunden hatte. Sie hielten ihre Fanplakate hoch und feierten ihn wie einen Helden.

Zu Hause hielt Kaito den Stein gegen den Mond. Auch er war nicht Pandora und Jii würde mal wieder dafür sorgen, dass der rote Rubin zu seinem Besitzer zurück fand.

Aoko ist krank

Aoko schniefte zum wiederholten Male. Sie war ganz blass und sah mit glasigem Blick zur Tafel. Besorgt betrachtete Kaito seine Freundin. „Du solltest besser nach Hause gehen und dich hinlegen.“

Sie schüttelte den Kopf und schrieb weiter von der Tafel ab.

„Aber dir geht es nicht gut.“

„Ich möchte aber hier bleiben und dann heute Abend mit euch ins Kino gehen. Wir haben das doch schon vor Tagen ausgemacht. Diese blöde Erkältung hält mich nicht davon ab.“ Sie begann zu niesen und hielt sich im nächsten Moment den Kopf, da dieser anfing zu dröhnen.

„Fräulein Nakamori“, stand plötzlich die Lehrerin besorgt vor ihr. „Du siehst aus, als hättest du Fieber. Geh nach Hause und kurier dich aus.“

Aoko sah ein, dass sie gegen die Lehrerin keine Chance hatte und packte langsam ihre Schulsachen zusammen.

„Wir gehen ein anderes mal ins Kino, ja?“, munterte Kaito sie noch einmal auf, doch die Braunhaarige ging nicht darauf ein. Traurig und erschöpft verließ sie das Klassenzimmer, meldete sich im Sekretariat ab und ging nach Hause.

Dort angekommen legte sie sich auf ihr Bett und schlief total erschöpft ein.
 

Nach der Schule verließen Ai und Kaito das Schulgebäude. „Arme Aoko, hoffentlich wird sie bald wieder gesund.“

Kaito nickte. „Das hoffe ich auch.“ Er wollte sie noch kurz besuchen, entschied sich aber dann dagegen. Wenn er bei ihr noch vorbeischaute würde er sie wecken und sie brauchte ganz dringend die Ruhe.

Ai betrachtete aufmerksam ihre Füße. „Dann wird das wohl heute nichts mit Kino.“ Es war eine Feststellung. Sie konnten nicht ohne die Freundin gehen. Es war ausgemacht, dass sie diesen Film zusammen ansehen werden.

Kaito nickte leicht, doch dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf das kurzhaarige Mädchen neben sich. „Wir könnten aber einen anderen Film ansehen.“

Überrascht blickte sie ihn mit ihren großen, braunen Augen an. „Ich weiß nicht“, wich sie aus. Es war nicht fair von ihr mit Kaito ins Kino zu gehen, während Aoko sich mit einer Erkältung plagte.

Kaito hatte wenig Lust den Nachmittag alleine zu verbringen. Aus diesem Grund schlug er einen anderen Film vor. Aoko würde auch nichts dagegen haben, immerhin waren sie drei befreundet. Und er mochte Ai gerne. Sie war ein Mädchen mit dem man richtig Spaß haben konnte. Im Gegensatz zu Yoko und Keiko, die zwar nett, aber niemals so vorlaut, offenherzig und hitzköpfig waren. Vor zwei Monaten kam Ai an ihre Schule und sie verstanden sich von Tag zu Tag besser. Er selbst hätte nicht von sich aus viel mit ihr unternommen, aber Aoko freundete sich schnell mit ihr an. Dass auch zwischen ihnen eine Freundschaft entstand, hätte er anfangs nicht gedacht. „Wir werden den Film mit Aoko ansehen. Aber es spricht doch nichts dagegen trotzdem ins Kino zu gehen.“ Zu Hause würde er sich langweilen. Er hatte seine nächste Ankündigung verschickt und war auch schon sehr gut vorbereitet. Ob er dieses Mal Katzenauge wieder sehen würde? Seit dem Treffen im Murauchi Museum war er ihnen nicht mehr begegnet. Aus der Zeitung erfuhr er allerdings, dass sie in den letzten Wochen genauso oft tätig waren wie er.

Ai zögerte noch etwas. Sie hatte bemerkt, dass Aoko und Kaito mehr waren als nur Freunde. Auch wenn die beiden es nie in der Öffentlichkeit zeigten, so waren ihr die Blicke aufgefallen, die sie tauschten. „Du hintergehst damit deine Freundin“, erklärte die Klassenkameradin.

Kaito verharrte für einen Moment, doch dann grinste er breit: „Aoko ist nicht eifersüchtig. Sie weiß, dass wir nur Freunde sind und hat bestimmt nichts dagegen.“

„Ich möchte einfach nicht, dass ihr euch in die Haare bekommt“, versicherte sich die Kurzhaarige erneut.

„Das wird nicht passieren“, antwortete der Zauberer überzeugt und wuschelte durch Ais Haarschopf. „Lass uns gehen“, lachte er und sie folgte ihm kichernd. Gemeinsam schlugen sie den Weg in die Stadt ein.

Yoko und Keiko hatten die beiden beobachtet. Auch wenn sie zu weit weg gestanden waren um die gesprochenen Worte zu verstehen, sprach das Verhalten der beiden eine eigene Sprache. Besorgt blickten sie sich an. Sie würden Aoko nichts davon erzählen. Wahrscheinlich handelte es sich nur um ein Missverständnis.
 

Ran saß zu Hause und machte die Hausaufgaben, als das Telefon klingelte. Sie seufzte, stand auf und meldete sich. „Ran Mori spricht.“

Stille in der Leitung, dann erklang eine ihr zu bekannte Stimme und sie umfasste automatisch den Hörer fester. Ihre Hände begannen zu zittern. „Hallo Ran, ich bin es!“

„Shinichi“, hauchte sie und sofort wurden ihre Augen feucht. Er hatte sich so lange schon nicht mehr gemeldet.

„Hör mal, ich hab leider nicht viel Zeit.“ Das war ein Fehler und der Detektiv bereute ihn sofort wieder. Conan stand in einer Telefonzelle in der Nähe der Detektei. Er hatte schon so lange vor gehabt sich wieder bei Ran zu melden, aber immer wieder kam etwas dazwischen oder er fand Gründe, die er vorschieben konnte.

Ran wurde sauer. Die Tränen versiegten, ehe sie sich aus ihren Augen lösen konnten. Eine unsagbare Wut baute sich in ihr auf. „Ich weiß schon, dein blöder Fall!“ Ihre Stimme klang schneidender als gewollt und verfehlte die Wirkung nicht.

Conan zuckte zusammen. „Es tut mir leid, aber ich bin immer noch auf der Suche nach der Lösung.“ Es war nicht gelogen. Es ging die gesamte Zeit um ihn selbst. Es gab nach wie vor kein Gegenmittel. Er war nach wie vor im Körper des Grundschülers Conan gefangen. Er konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. Es war zu gefährlich für sie und auch für ihn. Er errötete leicht, als er daran dachte, wie oft er schon mit Ran baden war oder sie zusammen in einem Bett geschlafen hatten.

„Ich weiß“, resignierte Ran. Es war zwecklos. Sie würde Shinichi wohl nie wieder sehen, denn seit einem Jahr ging er diesem komischen Fall nach und schaffte es nicht diesen zu lösen. Sie war so unendlich traurig, dass sie die aufkommenden Tränen wieder herunter schlucken musste. „Ich … ich möchte mit dir in ein Museum gehen. Eine schöne Ausstellung über Gemälde. Wenn du mal hier bist, könnten wir doch dorthin gehen. Was sagst du dazu?“

Conan lächelte und er fühlte seinen pochenden Herzschlag in der Brust. Er liebte ihre Stimme. Er liebte sie. Das war seine Ran. „Auf jeden Fall gehe ich mit dir dorthin.“

Ein Lächeln trat auf ihre Lippen. „Ich muss noch einkaufen gehen.“

„Ich verspreche dir, dass ich mich bald wieder melden werde“, sagte Conan. Das ‚ich liebe dich’ schluckte er hinunter. Es war unpassend und egoistisch. So was konnte man nicht am Telefon gestehen. Er musste sie sehen, er wollte ihr dabei in die Augen sehen, wenn er es ihr gestand.

Sie legten beide nach einem Grußwort den Hörer auf.

Er trat aus der Telefonzelle hinaus und ging ein paar Schritte weiter. Ran trat auf die Straße und Conan begrüßte sie: „Ran, wo gehst du denn hin?“

„Conan“, lächelte die Oberschülerin ihren kleinen Freund an. „Ich muss noch einkaufen gehen. Möchtest du mitkommen?“

Shinichi im Kinderkörper nickte. Gemeinsam gingen sie in die Stadt.
 

Aoko wachte auf. Sie hatte einige Stunden geschlafen. Langsam richtete sie sich auf und spürte das Schwindelgefühl aufsteigen. Der Raum begann sich zu drehen, aber ihr Kreislauf fasste sich schnell wieder. Sie stand auf und blickte an sich hinunter. Sie war in ihrer Schuluniform eingeschlafen. Schnell entledigte sie sich dieser und zog sich bequeme Kleidung an. Dann verließ sie ihr Schlafzimmer. In der Küche suchte sie erst einmal nach etwas Essbaren. Nur war nichts da. Stattdessen fand sie einen Zettel. Ihr Vater bat sie darum einkaufen zu gehen. Genervt stöhnte die Kommissarstochter auf. Auch das noch. Ein Knurren ihres Magens reichte und sie zog sich eine Jacke über, schnappte sich ihre Tasche, ihren Schlüssel und den Geldbeutel und verließ das Haus.

Langsam ging sie die Straßen entlang zum nächsten großen Supermarkt. Nachdem sie durch die Regale geschlurft war, hier und dort was in den Korb geschmissen hatte, stellte sie sich an die Kasse an und stand in einer langen Schlange. War ja klar, dass wieder solch ein Tag war. Insgesamt gab es sechs Kassen, aber nur eine war besetzt. Die Schlange flaute lange nicht ab. Wieso konnte die nette Kassiererin dort vorne nicht nach Verstärkung klingeln? Aoko spürte wie ihre Beine zu zittern begannen und ihr wurde wieder schwindelig. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam sie endlich dran und keine zwei Minuten später waren ihre Einkäufe eingepackt und bezahlt. Langsam ging sie zur Türe. Sie brauchte ganz dringend frische Luft. Sie setzte soeben einen Fuß vor die Türe, als gegenüber eine Masse an Menschen aus dem Kino trat. Das war nichts Neues. Wenn eine Vorstellung zu Ende war, kamen die Besucher dieser Vorstellung heraus. Nur schien es als würden ihre Augen magisch angezogen werden. Und wie zur Bestätigung traten nun auch Kaito Kuroba und Ai Kisugi aus dem Kino. Sie gingen nebeneinander lachend her und schlugen die Richtung zum Cafe von Ais Schwestern ein.

Aoko erstarrte regelrecht. Ihre Füße wollten keinen Schritt mehr gehen. Würden sich ihre Beine nicht eh schon so zittrig anfühlen, merkte sie es spätestens jetzt. Immer noch konnte sie dieses Bild nicht verarbeiten. Sie hatte es ja noch nicht einmal richtig begriffen.

Sie, Aoko Nakamori, war krank und hütete das Bett, während ihr Freund, Kaito Kuroba, mit ihrer gemeinsamen Mitschülerin, Ai Kisugi, ins Kino ging. Was war da schon dabei, abgesehen von der läppischen Tatsache, dass er ihr fester Freund war? Eifersucht loderte in ihr auf. Auch wenn sie es nicht wollte, sie konnte sich diesen Gefühls nicht erwehren. Im nächsten Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Ihre Knie gaben nach und Aoko stürzte zu Boden.
 

Ewigkeiten standen Ran und Conan in der Schlange an der Supermarktkasse an. Wofür die ganze Warterei? Nur um keine drei Minuten später alles verpackt und bezahlt zu haben. Es war ihr unverständlich, dass es nur eine Kassiererin im ganzen Supermarkt gab. Hatten alle anderen frei, oder waren sie in Pause, oder hatten sie keine Lust zu arbeiten? Immer noch völlig entnervt, trugen Conan und sie die Tüten zum Ausgang. Kaum betraten sie die Straße, stürzte ein Braunhaariges Mädchen zu Boden. Ihre Einkäufe verteilten sich über den Gehsteig. „Oh nein“, schrie Ran besorgt auf und kniete sich zu dem Mädchen.

Conan sammelte die Einkäufe des Mädchens eins, während Ran nach deren Puls suchte. Mehr und mehr Menschen versammelten sich um sie und besorgte Fragen, wie auch Gesichter richteten sich auf die drei Schüler.

„Sie ist ohnmächtig“, sagte Ran zu Conan und fühlte nach ihrer Stirn. „Ich vermute sie hat Fieber. Sie glüht richtig.“

Conan blickte von Ran zu dem bewusstlosen Mädchen. „Wir sollten sie mit nach Hause nehmen.“

Ran nickte. „Meinst du, du schaffst es die Einkäufe allein zu tragen?“

Conan nickte, als ein Mann sich einmischte. „Kann ich Ihnen helfen?“

In dem Moment erwachte das Mädchen wieder. Sie schlug ihre Augen auf und blickte sich verwirrt um. „Wie geht es dir?“, fragte Ran sofort nach.

Langsam und von Ran unterstützt richtete sie sich auf. „Was ist passiert?“

„Du bist plötzlich bewusstlos geworden. Wie heißt du?“

„Aoko“, antwortete sie und hielt sich ihren dröhnenden Kopf. Ihre Finger vergrub sie in ihren Haaren und spürte etwas Klebriges. Als sie diese wieder löste, sah sie Blut an ihren Fingerspitzen.

„Das ist nur eine Platzwunde“, erklärte Ran.

Aoko blickte das Mädchen an, das ihr seltsamerweise bekannt vorkam und dann wurde ihr bewusst wie viele Leute um sie herum standen.

Unsicher stand sie auf und ein Mann half ihr netterweise dabei. „Vielen Dank.“ Sie blickte in die vielen fremden Gesichter und quälte sich zu lächeln. „Mir geht es gut. Danke!“ Sie erinnerte sich was passiert war und es ging ihr überhaupt nicht mehr gut. Ihr Freund war mit ihrer Freundin im Kino gewesen, ohne sie. Sie stand noch etwas wackelig auf den Beinen. Sie musste nach Hause. Sie wollte nur noch in ihr Bett und diesen Tag so schnell wie möglich vergessen. Sie blickte sich suchend um. Wo waren ihre Einkäufe?

Ein kleiner Junge hielt ihr die Tüte hin und sie nahm diese lächelnd. „Danke schön.“ Sie drehte sich auch zu ihrer Helferin. „Vielen Dank“, sagte sie zu dem braunhaarigen Mädchen mit blauen Augen.

„Du musst schleunigst ins Bett. Du hast Fieber. Damit ist nicht zu spaßen“, drängte Ran bestimmend und nahm ihre Einkäufe auf. „Wir bringen dich nach Hause.“

„Das müsst ihr nicht. Ich kann alleine gehen“, erwiderte Aoko. Ihr war das ganze bereits jetzt schon sehr unangenehm.

„Keine Widerrede. Am Ende liegst du in einer Seitenstraße und keiner findet dich. Conan und ich begleiten dich“, sprach Ran und hakte sich bei dem Mädchen unter, das sie zum ersten Mal vor einigen Wochen im Cafe Cat’s Eye gesehen hatte. Es verwirrte sie in ein Spiegelbild zu sehen. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt. „Übrigens, ich heiße Ran.“

„Freut mich“, lächelte Aoko und fügte sich dem Mädchen und dem kleinen Jungen.

Die beiden begleiteten sie nach Hause und blieben vor der Türe stehen. „Schaffst du den Rest alleine?“

Aoko nickte. Sie war den beiden wirklich dankbar. „Wenn es mir besser geht, darf ich euch dann auf einen Kakao einladen?“

Conan und Ran nickten lächelnd zu. „Gerne. Warte kurz“, schon suchte Ran in ihrer Jackentasche nach einer Visitenkarte ihres Vaters. Sie hatte immer welche dabei und schon zog sie eine hervor. „Meinem Paps gehört die Detektei westlich von hier. Unter dieser Nummer kannst du mich erreichen.“

Aoko betrachtete die Karte, aber der Name sagte ihr nichts.

Herr Nakamori trat auf das Haus zu und begrüßte überrascht die Teenager. „Aoko.“

Die anderen beiden drehten sich ihm zu und er erkannte sie. Das waren die Tochter von Privatdetektiv Mori und der kleine Junge der bei Moris wohnte. Woher kannten sie denn seine Tochter? „Fräulein Mori, Conan“, begrüßte der Kommissar die beiden bekannten Gesichter.

„Oh, guten Tag Herr Kommissar“, grüßte Ran ebenso verwundert zurück. Niemals hätte sie angenommen, dass dieses Mädchen die Tochter von Kommissar Nakamori war. Obwohl… hatte er sie nicht ganz am Anfang als Aoko betitelt? „Wir haben Ihre Tochter in der Stadt getroffen. Sie ist krank und wir wollten sie nicht alleine nach Hause gehen lassen“, erklärte Ran.

Sofort wichen die aufmerksamen Augen des Mannes auf seine kleine Aoko.

„Meine Lehrerin hat mich heimgeschickt. Als ich vorhin aufgewacht bin, hab ich deine Nachricht gelesen und bin einkaufen gegangen“, stimmte Aoko zu. Dass sie ohnmächtig wurde hatte keine von beiden erwähnt.

Er sah die glasigen Augen an und nahm ihr sofort die Einkaufstüte ab. „Du gehörst ins Bett und zwar sofort.“ An Ran und Conan gerichtet sagte er: „Dein Vater ist auch schon auf dem Heimweg. Er hat eine Kopie von Kids neuester Ankündigung dabei.“ Schnell fügte er noch hinzu: „Danke, dass ihr meine Tochter nicht allein gelassen habt.“

Die beiden Angesprochenen verabschiedeten sich und gingen ebenfalls nach Hause.

Conan war schon gespannt wie ein Flitzebogen auf das neueste Rätsel von Kid. Bisher konnte der Meisterdieb immer entkommen und das weckte den Ehrgeiz in dem Detektiv. Denn so langsam kratzte es an seinem Stolz, dass er diesem Kaitou Kid noch nicht auf die Schliche gekommen war.
 

***
 

Am nächsten Tag war Aokos Fieber gesunken, dennoch blieb sie zu Hause und hütete das Bett. Von ihrem Freund hatte sie weder eine Nachricht erhalten, noch einen Anruf. Es war schrecklich im Bett zu liegen und nichts tun zu können. So rotierten ihre Gedanken immer wieder um die Szene vor dem Kino.

Ihr Handy piepste. So schnell sie konnte schnappte sie es sich und öffnete die eingegangene Nachricht. Sie hoffte so sehr, dass Kaito sich bei ihr meldete und diese Situation aufklärte. Als sie den Absender sah, legte sich Enttäuschung über ihr Gesicht. Keiko wünschte ihr, dass sie schnell wieder gesund wurde. Sie legte das Handy beiseite und ließ sich ins Kissen zurück fallen. Wieder begann sie zu grübeln, als ihr Vater klopfte und ins Zimmer trat. „Wie geht es dir?“

„Schon wieder besser“, antwortete Aoko und sah ihren Vater aufmerksam an. „Und wie geht es dir?“

„Ganz gut. Immerhin weiß ich jetzt wann und wo Kid zuschlagen wird. Dieser Mori ist wirklich gut. Ich hatte ihn vollkommen falsch eingeschätzt.“

Aoko stöhnte innerlich auf. Wieder mal schwirrte nur dieser Dieb im Kopf ihres Vaters herum.

„Er wird heute um Mitternacht zuschlagen. Und wie es auch nicht anders sein soll, wird Katzenauge ebenfalls erscheinen. Das seltsame ist allerdings, dass beide es auf dasselbe Wertobjekt abgesehen haben.“ Wieder war er mit den Gedanken weit weg.

Aokos Handy klingelte.

Ihr Vater stand auf und nickte. „Es wird sehr spät werden. Bis morgen und gute Besserung, Kleines.“

Die Braunhaarige nahm ihr Telefon zur Hand und staunte, als sie den Namen im Display las, von dem sie sich so sehr gewünscht hatte, dass er anrief. Ihr Vater schloss in dem Moment die Türe, als sie das Telefongespräch entgegennahm. „Hallo Aoko. Wie geht es dir?“, erklang sofort die männliche Stimme ihres Freundes.

„Kaito…“, zuerst freute sie sich, dass er sich meldete, doch dann wurde ihr Herz schwer. „Wieder besser.“

„Kommst du morgen wieder in die Schule?“

„Ja, ich denke schon“, antwortete sie. Immer noch unschlüssig über ihre Gefühle.

„Das ist schön“, sagte er und ihr Herz schlug aufgeregt in ihrer Brust. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus.

Sie fasste all ihren Mut zusammen: „Was hast du gestern noch gemacht?“ Es sollte betont beiläufig klingen. Zumindest schien er nichts zu merken, denn seine Stimme blieb normal.

„Ach, nichts besonderes.“

Sie stutzte. Er wich ihr aus. „Ich möchte es gerne wissen“, drängte sie behutsam.

„Ich war zu Hause.“ Dieses Mal klang die Antwort nicht mehr so locker.

„Den ganzen Nachmittag?“, hakte Aoko weiter nach. Sie musste wissen, ob er sie anlog oder ihr die Wahrheit erzählen würde.

„Ja, den ganzen Nachmittag“, presste er hervor. „Und auch den Abend“, fauchte er plötzlich. „Und heute auch, übrigens. Willst du sonst noch was wissen?“

Aoko erstarrte. Die schroffe Art kannte sie von ihm gar nicht. Es überraschte sie. Allerdings traf sie schon die Erkenntnis. Er log sie an. Aber wieso? „Tut mir leid“, stammelte sie verletzt und verwirrt.

„Wir treffen uns dann morgen in der Schule. Falls es dir schlechter geht und du doch nicht kommst, sehe ich das dann in der Klasse. Gute Besserung, Aoko.“ Schon legte er auf.

Das Mädchen blieb in ihrem Bett sitzen und ließ die Hand mit Handy fallen. Er hatte sie angelogen. Kaito log sie an.
 

Kaito legte auf, schmiss sein Handy aufs Bett und fuhr sich aufgebracht durch seine eh schon ungebändigten Haare. Wieso hatte er sie angelogen? Warum hatte er ihr nicht gesagt, dass er mit Ai im Kino war und danach noch bei ihr zu Hause. Erst saßen sie noch im Cafe, doch dann lud sie ihn ein und zeigte ihm ihr Zimmer. Er hatte so lachen müssen, als er in dieses chaotische Zimmer trat. Es hätte seins sein können. Niemals hatte er geglaubt, dass ein Mädchen so unordentlich war. Sie saßen noch lange zusammen und unterhielten sich. Dabei fanden sie heraus, dass sie eine Menge Gemeinsamkeiten hatten. Sie mochten beide die gleiche Musik, die gleichen Bücher, die gleichen Filme und als er ihr erzählte, dass er später mal ein großer Zauberer, wie sein Vater einer war, werden wollte, führte er ihr noch einige seiner Tricks vor. Sie bewunderte ihn und genoss die kleine Zaubershow. Es schmeichelte ihm, wenn ein Mädchen ihm zeigte, dass er etwas Besonderes war. Als es dann schon recht spät war, verabschiedete er sich. Es kam ihm komisch vor, dass ihre Schwestern nichts gesagt hatten, immerhin war am nächsten Tag Schule. Aber sie vertrauten ihr wohl, denn niemand hatte sie in den Stunden des Abends gestört.

Sein Blick streifte die Uhr. Er musste unbedingt los, sonst würde er an diesem Abend zu spät kommen und Kaitou Kid kam niemals zu spät zu einer Verabredung.

Während er sich anzog, gingen seine Gedanken zurück zu Aoko. Und warum hatte er sie jetzt angelogen? Verdammt, er musste sich heute Abend voll und ganz konzentrieren. Er musste Aoko aus seinen Gedanken verdrängen. Dem Thema konnte er sich nach seinem Coup stellen.

Katzenauge vs. Kid

Aoko stand am Fenster und wartete darauf, dass der angekündigte Meteoritenschauer zu sehen war. Es war eine willkommene Abwechslung zu ihren trüben Gedanken. In den letzten Stunden spürte sie nur zwei Gefühle in sich. Zum einen die Eifersucht, dass Kaito mit Ai auch Zeit verbrachte, wenn sie nicht dabei sein konnte, zum anderen tiefste Enttäuschung, dass er sie dann auch noch belog und nicht ehrlich zu ihr war.

Es nagte in ihr. Früher hatte er sie nie angelogen. Er war immer ehrlich gewesen und ihr allerbester Freund. Er hatte sich damals in ihr Herz geschlichen, als sie vor dem großen Glockenturm stand und auf ihren Vater wartete. Er hatte gesehen wie traurig sie war, weil ihr Vater sich verspätete und er schenkte ihr eine rote Rose. Wie aus Zauberhand holte er sie hervor.

Als Kid den Glockenturm stehlen wollte, brach für sie eine kleine Welt zusammen, doch zum Glück ging das noch mal gut aus. Auch erinnerte sie sich an diesen Abend. Sie stand mit ihrem Anti-Kid Plakat in der Menge, als Kid unter tosendem Jubel verschwand. Kaito erschien neben ihr. Er zauberte wieder eine rote Rose hervor und stellte sich vor. Wie damals, als sie sich zum ersten Mal sahen.

Sie blickte in den Sternenklaren und nachtschwarzen Himmel hinauf und versuchte ihre Gedanken zu sortieren. Sie nahm sich ganz fest vor ihn darauf anzusprechen.

Es begann. Mehr und mehr Sternschnuppen gaben sich zu erkennen. Ihre glitzernden Schweife hinter sich herziehend. Aoko schloss ihre Augen. Ob ihr Wunsch bei einem Meteoritenschauer auch in Erfüllung ging? Sie wünschte sich nichts mehr, als mit Kaito für immer zusammen bleiben zu können.
 

Kaito stand auf dem Dach gegenüber dem Museum. Er beobachtete durch ein Fernglas, wie Nakamori seine Polizisten zur Vorsicht ermahnte und herumkommandierte. Er wirkte wie ein aufgescheuchtes Huhn. Eigentlich sollte er nicht hier sein, wenn seine Tochter krank zu Hause im Bett lag. Ein wirklich guter Vater tat so etwas nicht. Aber er war auch Polizist durch und durch. Aokos großer Gerechtigkeitssinn musste schließlich von irgendwoher kommen.

Der Mann im weißen Anzug beobachtete weiter. Zwischen den Polizisten tauchte wieder dieses Kind auf. Diese kleine Schnüffelnase schien immer in der Nähe des Kommissars zu sein.

Ein heller Schweif zeigte sich am Firmament. Kaito blickte auf und betrachtete die ersten Sternschnuppen. Sie hatten wirklich Glück, dass diese Nacht klar und wolkenlos war. Es kam nicht oft vor, dass sie Zeuge eines Meteoritenschauers wurden. Seine Augen hingen im Himmel und er sah wie es mehr und mehr Schweife wurden. Wie dünne Fäden zogen sie sich über den Himmel. In diesem Moment wünschte er sich, dass er für immer mit Aoko zusammen blieb.
 

Ran lauschte den Anweisungen von Kommissar Nakamori. Als die erste Sternschnuppe zu sehen war, ging sie zum Fenster und beobachtete den nachtschwarzen Himmel. Mehr und mehr glitzernde Schweife durchzogen den Himmel und irgendwann waren nur noch nicht abreißende Fäden zu sehen. Ein wunderschönes Schauspiel. Ran hielt ihre Hand an das kühle Glas des Fensters und versank in ihren Gedanken. Sie hatte nur einen Wunsch, aber der würde sich nie erfüllen.

Conan trat zu ihr. „Ist alles in Ordnung?“

Sie nickte leicht. „Ich hab nur gedacht, wie schön es wäre dies hier mit Shinichi anzusehen.“

Ich bin doch hier, dachte Conan traurig. Er senkte den Kopf und blickte traurig zum Boden. „Ich bin mir ganz sicher, dass er sich das im Moment auch wünscht. Er wäre bestimmt lieber bei dir, als irgendwo in einem Fall.“

Ran lächelte zu dem kleinen Jungen hinab. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf und kniete sich hin. Dann schloss sie den Jungen in ihre Arme und legte ihren Kopf auf seinen. Ihre Augen betrachteten weiter das Schauspiel. „Wer braucht schon Shinichi, wenn ich dich habe“, erklärte sie sanft. Ja, vor fast einem Jahr war dieser Junge bei ihr eingezogen, weil seine Eltern viel durch Europa reisten. Sie konnte sich ein Leben ohne diesen Jungen kaum mehr vorstellen. Dennoch wünschte sie sich ihren Freund zurück. Sie schloss die Augen und wiederholte ihren Wunsch.

Conan errötete, als Ran ihn an sich presste und ihn fest umarmte. Wenn sie wüsste, dass er, Shinichi, ihr so nahe war, sie würde ihm eine runterhauen und ihn verfluchen. Doch dann blickte er aus dem Fenster und lächelte. Er wünschte sich, dass er bald als Shinichi zu ihr zurückkehren konnte.

Mori und Nakamori standen mit Hakuba bei der Krone des Kaisers und betrachteten sie. Sie war schon imposant. Sie glänzte Golden und hatte einen blauen Edelstein zur Zierde in einer der Zacken.

Der Schülerdetektiv blickte auf die Uhr. Kid würde in einer halben Stunde eintreffen. Seine Augen blickten sich im Raum um. In diesem Raum, wie auch auf dem Flur standen überall Polizisten. Da Katzenauge sich auf das gleiche Wertobjekt angekündigt hatte, arbeiteten die Soko Kid und die Soko Katzenauge heute zusammen. Der Detective sicherte mit seinen Männern alle Ausgänge ab. Niemand konnte hier ohne weiteres entkommen.

Kommissar Nakamori trat auf Ran und Conan zu. „Es ist jetzt besser, wenn ihr nach Hause geht. Ihr habt morgen Schule und dort seid ihr auch sicherer.“

Kogoro Mori nickte zu. „Ja, der Kommissar hat Recht. Ran geh mit Conan nach Hause.“

Ran seufzte, nickte dann aber. Conan müsste eigentlich schon seit Stunden im Bett liegen und schlafen. Sie stand auf und nahm Conans Hand. Gemeinsam verließen sie das Museum. Auch wenn Conan mit Betteln versuchte, doch bleiben zu dürfen, kam er dieses Mal nicht weiter. Er musste nach Hause gehen und das ärgerte ihn am meisten.

Saguru verließ den Raum ebenfalls aber er ging hinauf zum Dach um dort Stellung zu beziehen. Er vermutete, dass Kid von dort oben fliehen würde.
 

Es war mal wieder ein leichtes gewesen in das Museum einzudringen und die Polizisten auszutricksen. Er rief einen Dummy ins Leben und dieser flog mit Hilfe kleiner Propeller durch die Gänge des Museums. Nakamori und sein Gefolge rannten dem Dummy nach, während er nun hier vor der Krone des Kaisers stand. Er entfernte den blauen Stein und hielt ihn fest in der Hand.

„Keine Bewegung, Meisterdieb 1412“, erklang hinter ihm eine Frauenstimme.

Der Mann mit Zylinder lächelte. „Katzenauge.“ Er drehte sich in einer fließenden Bewegung um und verneigte sich leicht. „Es freut mich Sie wieder zusehen.“

„Geh von der Krone weg, Kid!“

Diese Stimme kannte er. Er blickte auf. Ihm gegenüber standen drei Frauen mit unterschiedlichen Haarlängen. Und die mit dem Kurzhaarschnitt hatte er sofort wieder erkannt. Erstaunt über diese Erkenntnis fügte sich plötzlich einiges zusammen. Sie waren aufgetaucht, als die Schwestern das Cafe Cat’s Eye wieder eröffnet hatten. Er und sie teilten sogar noch viel mehr miteinander, als er anfangs dachte. Er lächelte. „Die Krone interessiert mich nicht.“

Schon hinterließ er eine Rauchbombe und verschwand.

Hitomi schnappte sich die Krone, während Nami und Ai sich umsahen. Er war und blieb verschwunden. „Er hat den Stein!“

„Aufs Dach“, kommandierte Nami. „Er wird übers Dach fliehen.“

Die Schwestern rannten aus dem Zimmer hinaus und nahmen die Treppe hinauf zum Dach.

Sie öffneten die Türe und hielten inne. Jemand redete da.
 

Kaitou Kid ließ seine Rauchbombe fallen und verschwand durch die Türe. Er rannte zum Treppenabsatz und nahm die Stufen hinauf. Kaum am Dach angekommen, stieß er die Türe auf und trat in die kühle Nacht.

„Hab ich dich, Kid!“ Hakuba trat mit verschränkten Armen hinter einer Klimaanlage hervor.

„Dich wird man auch nicht los“, konterte Kaito genervt. Schon wieder sein Erzfeind, wobei er eher dachte, dass der dem Kleinen begegnen würde.

„Dich ja auch nicht“, erwiderte Saguru Hakuba.

Kaitou Kid provozierte seinen Mitschüler: „Was willst du mir damit sagen?“

„Du bist verhaftet, Meisterdieb 1412, oder sollte ich sagen Kaito Kuroba.“

Kid ließ sich nichts anmerken. Schon öfter hatte Hakuba ihn in der Schule als Meisterdieb beschimpft. „Den Typen kenn ich nicht. Mein Name ist Kaitou Kid!“ Blitzschnell zückte er sein Schlafgas hervor und sprühte den Oberschüler damit ein. „Träum süß, Detektiv!“

Hakuba fiel auf den Boden und schlief ein.

„Wie gemein“, mischte sich nun Ai wütend ein. Sie stand hinter ihm mit ihren Händen in die Hüfte gepresste. „Er ist doch noch fast ein Kind.“ Sie fand den blonden Mitschüler sehr nett und es schockierte sie zu hören, dass er Kid Kaito nannte. Aufmerksam beobachtete sie die gesamte Haltung des Diebes.

Kaito grinste. Er blickte über die Schulter zurück und erkannte wirklich seine Mitschülerin. Sie hatte in ihrer Wut ihre Deckung aufgegeben. „Jeder, der mich verhaften will, ist automatisch ein Feind und sei er noch so klein, jung, alt oder gebrechlich.“ Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und hielt den Stein ins Licht des Mondes. „Ai“, fügte er noch hinzu.

Love blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. Wenn er wusste, wer sie war, kannte sie ihn dann auch? War er wirklich Kaito?

„Gib uns den Stein der Krone“, herrschte Hitomi ihn an. Sie hielt immer noch die Krone in ihren Händen.

„Wozu braucht ihr ihn?“ So leicht würde er es ihnen nicht machen.

„Gegenfrage: Was willst du mit ihm?“ Nami verschränkte ihre Arme vor der Brust und ließ den Meisterdieb keine Sekunde aus den Augen.

Er erkannte die Stimmen aller drei Schwestern. Langsam drehte er sich um. „Es ist unhöflich eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten. Dennoch werde ich euch antworten, Kisugi Schwestern.“ Ein hämisches Grinsen zeigte sich auf seinen Lippen, als er sah, wie die drei ihre Fassung verloren.

„Wer bist du?“, hakte Ai wütend nach. Dabei ballte sie eine Faust.

„Ich bin Kaitou Kid. Ich bin auf der Suche nach einem ganz besonderen Edelstein. Er blickte auf das Objekt in seiner Hand und dann richtete er die Augen wieder auf die Schwestern. „Und was genau ist euer Ziel?“

Ai öffnete den Mund um zu antworten, doch Hitomi fuhr wie immer dazwischen: „Das geht dich nichts an!“

„Den Stein, bitte“, forderte Nami.

Der Oberschüler wachte langsam wieder auf und sah nur verschwommen drein. Aber er verstand die Worte sehr genau. Er blickte auf und sah drei Frauen, die mit dem Rücken zu ihm standen und Kaitou Kid.

Kid senkte seinen Kopf und lächelte. „Ich habe keine Verwendung für ihn.“ Er warf den Edelstein zu Ai und diese fing ihn auf. „Wir sehen uns!“ Er drehte sich um, rannte zum Dachrand und sprang. Schon öffnete sich sein Gleiter und er flog in die Nacht.

Die Katzen gingen zum Versteck ihrer Gleiter, die sie im Schatten einer der großen Klimaanlagen hinterlegt hatten, spannten sich diese um und flogen wenig später auch davon.

Hakuba richtete sich auf, aber er war zu langsam. Sein Körper fühlte sich immer noch wackelig an und er hatte den Eindruck, dass er neben sich stand. „Das nächste Mal, Kid“, knurrte der blonde Detektiv wütend.
 

***
 

Aoko betrat die Klasse. Ihr ging es wieder besser, bis auf das Gefühlschaos, welches immer noch herrschte. Aber sie verdrängte es geschickt und ging auf ihren Platz zu. Kaito saß bereits und unterhielt sich mit einem kurzhaarigen Mädchen, welches auf ihrem Platz saß. Sie hatte bereits ihre Schultasche ausgepackt, saß zu Kaito gedreht und kniff ihn gerade tadelnd in die Wange. Sie zog an der Haut, während der Zauberer schmerzhaft das Gesicht verzog und wild mit den Armen ruderte.

„So etwas sagst du nie wieder zu mir, hast du mich verstanden?“

„Ich verspreche es“, stimmte Kaito zu, dem die Wange langsam schmerzte. Er war noch viel zu müde um sich solch einer handgreiflichen Auseinandersetzung zu widmen. Aber nach einem kurzen Blick in das Gesicht seiner Mitschülerin stand für ihn fest, dass auch ihre letzte Nacht nicht mit besonders viel Schlaf gesegnet war.

Keiko und Yoko betraten die Klasse und sahen ihre beste Freundin reglos im Raum stehen. Es waren noch nicht alle Schüler anwesend, aber die Hälfte war bereits im Klassenraum. „Aoko, geht’s dir wieder besser?“, fragte Yoko sogleich nach.

Aoko erschrak und blickte ihre Freundinnen an. „Ja“, dabei lächelte sie und nickte tatkräftig.

„Sie sitzt seit gestern dort und die beiden wirken sehr vertraut miteinander“, gestand Keiko leise. „Du solltest wissen, dass sie morgens zusammen kommen und nachmittags zusammen aus der Schule gehen.“

Aoko überspielte die tiefgründige Traurigkeit in ihrem Inneren und schüttelte mit einem Lächeln auf den Lippen ihren Kopf. Niemand wusste, dass sie ein Paar waren und es war gut so. Nicht auszudenken wie die Mitschüler sie ansehen würden, wenn sie wüssten, dass ihr Freund mit einer anderen flirtete. „Kaito ist ein Idiot“, verkündete sie ihren Freundinnen und ging auf Ais alten Platz.

Hakuba saß bereits dort und beobachtete Kaito und die Neue finster. Ihm gefiel nicht, wie locker der Rivale seine Beziehung zu Aoko sah. Und er würde ihn an sein Versprechen erinnern, sollte Aoko wegen ihm weinen.

„Guten Morgen, Saguru“, begrüßte die kleine Nakamori ihn und deutete auf den freien Platz daneben. „Darf ich mich zu dir setzen?“

Er errötete, als er in ihr hübsches Gesicht blickte, und nickte. „Ja, klar. Der Platz ist sowieso leer.“

Nach und nach fanden sich auch die restlichen Schüler ein und der Klassenlehrer trat ein.

Kaito blickte sich unauffällig in der Klasse um. Aoko schien immer noch krank zu sein. Er linste über die Schulter und sein Blick fiel auf eben gedachtes Mädchen, die in aller Ruhe neben Hakuba saß und sich dem Unterricht widmete. Wann war denn Aoko gekommen? Er hatte sie gar nicht gesehen.

„Herr Kuroba, wenn Sie dann so freundlich wären und sich wieder meinem Unterricht zuwenden. Fräulein Nakamori können sie auch noch in der Pause betrachten.“

Kaito und Aoko wurden knallrot und der Junge drehte sich schnellstens wieder seinen Unterlagen zu.

Aoko konzentrierte sich auch wieder auf den Unterricht. Wenig später fragte sie Hakuba etwas zum Unterrichtsstoff im Flüsterton und dieser beugte sich zu ihr rüber und zeigte mit einem Stift auf eine Stelle im Buch.

Ai blickte unsicher zu Kaito, der die beiden immer wieder misstrauisch beobachtete. „Ich habe gar nicht mitbekommen, das Aoko gekommen ist. Natürlich kann sie wieder auf ihren Platz zurück“, flüsterte Ai schuldbewusst.

„Ich hab den Eindruck, dass sie ganz glücklich mit Hakuba ist“, knurrte Kaito und wandte beleidigt seinen Blick ab.

„Das ist meine Schuld.“

„Was ist deine Schuld“, frage Kaito verwirrt nach. Er verstand nicht warum Ai so ein bekümmertes Gesicht machte.

„Das ihr zwei Streit habt, ist meine Schuld“, erklärte sie ihre Gedanken.

Kaito lehnte sich in seinen Stuhl zurück und verschränkte die Arme. Wie immer, wenn er nicht wollte, dass jemand seine Gefühle sah, reagierte er mit Arroganz. „Da kannst du am wenigsten dafür. Das ist Aokos Schuld, weil sie sich so kindisch verhält.“ Er hatte es lauter ausgesprochen, als gewollt und die Betroffene sprang wütend und verletzt auf.

„Meine Schuld?!“

Kaito zog den Kopf ein und traute sich gar nicht zu ihr hinzusehen.

„Renn um dein Leben, Kuroba!“, brüllte die Braunhaarige. In Windeseile schnappte sie sich den Wischmopp und baute sich kochend vor dem Zauberer auf. Dieser kroch flink unter den Tisch, zwischen den Mitschüler hindurch und stand schnellstens zwischen den nächsten Reihen auf. Dann begann eine wilde Verfolgungsjagd durch den gesamten Klassenraum.

Das hatten die Mitschüler vermisst. Zu lange waren die beiden schon ruhig. Ai hingegen beobachtete die Jagd überrascht und verwirrt. Teilweise war sie sogar entsetzt, denn niemals hatte sie Aoko so wütend erlebt.

Es ging eine ganze Weile, bis dem Lehrer die Hutschnur riss und er sich wütend vor den beiden aufbaute. „RAUS! Vor die Türe! Alle beide! Sie erhalten nach dem Unterricht Ihre Abmahnung.“

Mit gesenktem Kopf, wie zwei gescholtene Hunde, verließen die beiden den Klassenraum. Aoko stellte noch zuvor den Mopp an seinen Platz zurück.

Der Unterricht konnte endlich in Ruhe weiter gehen.

Auf dem Gang hingegen lehnte Aoko sich an die Wand neben der Klassentür, während Kaito sich auf den Boden setzte. Sie kochte immer noch innerlich. Sie schnaubte und verschränkte wütend ihr Arme vor der Brust. In Gedanken zählte sie bis zehn. Aber das half nichts. Dann zählte die Braunhaarige weiter bis zwanzig, stockte auf dreißig, vierzig und fünfzig auf. Sie wurde ruhiger und war gerade bei sechsundfünfzig angekommen, als Kaito das Wort ergriff. „Reden wir jetzt nicht mehr miteinander?“

„Ich weiß es nicht“, fauchte Aoko. „Sag du es mir.“

Er zog den Kopf ein, traute sich kaum sie anzusehen. Er antwortete nicht.

Sie wartete, aber er blieb stumm. „Wieso bin ich kindisch und woran habe ich Schuld?“, begann sie voller Ungeduld zu wettern. Sie zählte gedanklich weiter.

„Du bist ins Klassenzimmer gekommen ohne mich zu begrüßen“, grummelte Kaito.

„Entschuldige, du bist zu dem Zeitpunkt beschäftigt gewesen“, konterte Aoko sofort.

„Dann hast du dich einfach zu Hakuba gesetzt“, hielt er ihr weiter vor.

„Weil mein Platz besetzt ist“, parierte sie.

Kaito stand auf und stellte sich ihr gegenüber. „Aoko“, begann er wieder, aber sie hob ihre Hand und gebot ihm Einhalt.

„Bist du immer ehrlich zu mir gewesen?“ Sie blickte ihn direkt in die Augen.

Er setzte sein Pokerface auf, bevor ihm die Gesichtszüge entgleiten konnten. „Was?“

„Hast du mich jemals angelogen?“ Auch wenn es ihr schwer fiel, sie hielt den Blickkontakt.

Ja, war die Antwort. Es war die einzig richtige Antwort und er wäre ehrlich zu ihr gewesen. Dann aber kämen die Fragen und er konnte ihr nicht von seinem zweiten Ich erzählen. Noch nicht. „Wie kommst du denn jetzt darauf?“

„Sag es mir einfach“, forderte Aoko. Ihre Geduld war dahin, ihre Nerven zum Zerbersten gespannt. Sie hatte keine Lust auf Spielchen.

„Nein.“ Er fiel in sich zusammen, denn gerade eben tat er es wieder. Auch wenn sie ihm seine Gefühle nicht ansehen konnte, weil er es im Moment nicht zuließ, so entging ihm noch lange nicht, wie sich ihre gesamte Körperhaltung veränderte. Kaito sah ihren verletzten Gesichtsausdruck, wobei ihn das auch irritierte. Wusste sie, dass es eine Lüge war oder ahnte sie es nur. „Aoko“, setzte er erneut an, doch der Lehrer öffnete die Türe und holte die beiden zurück in die Klasse. Jeder ging auf seinen Platz zurück und schweigend folgten sie dem Unterricht.

Endlich Mittagspause. Kaito hielt es keine Sekunde mehr in diesem stickigen Raum aus. Er musste an die frische Luft und flüchtete aufs Schuldach. Dort war nie etwas los und er brauchte Ruhe um seine Gedanken zu sortieren.

Ai trat durch die Tür hinaus aufs Dach und ging zu ihm hinüber. Er stand im Schatten des Daches der Turnhalle am Zaun und blickte auf den Hof hinab.

Wenn er doch endlich Pandora hätte, dann würde er Aoko alles erklären können. Er respektierte Aoko und auch ihren Vater. Auch wenn es Spaß machte die Polizisten an der Nase herumzuführen, so tat er es nicht freiwillig. Es würde ihm soviel besser gehen, wenn Aoko ihn verstand. Nur was passierte ihr, wenn sie es wusste? Wenn die Organisation herausfand, dass Aoko über alles informiert war rutschte sie doch automatisch in das Visier der Organisation und sie würde damit als Druckmittel gegen ihn verwendet werden. Das Risiko war einfach zu hoch und er musste Aoko beschützen.

„Hey, Kaito“, machte Ai auf sich aufmerksam. Sie sondierte nochmals die Umgebung, aber sie waren wirklich allein hier oben.

„Ai“, rang sich der Wuschelkopf ein Lächeln ab.

„Hör mal, ich weiß nicht wie du es geschafft hast mich zu erkennen, aber warum tust du das, Kaito?“

Verwirrt, weil er ihr nicht folgen konnte, blickte er sie an. „Wovon redest du?“

„Gestern Nacht auf dem Dach des Museums. Du hast mich erkannt, Kid“, sprach Ai ihren Verdacht aus.

Im nächsten Moment drückte Kaito Ai gegen das Gitter, platzierte seine Hände rechts und links neben ihrem Kopf und krallte seine Finger in die Maschen ein. Aufmerksam blickte er sich um. Niemand war in der Nähe und erleichtert wandte er sich ihr zu.

„Glaubst du wirklich, ich hätte dich so genannt, wenn jemand hier wäre?“ Ai kniff ihre Augen zusammen und reckte ihr Kinn trotzig zur Seite.

„Woher weißt du es?“

„Wenn man dich beobachtet und sich Kids Verhalten ansieht, erkennt man es sofort, es sei denn man verschließt die Augen davor oder ist wirklich blind“, erklärte sie und sie suchte wieder seine Augen.

„Und nun?“

„Sind wir quitt. Du hast mich erkannt und ich hab dich enttarnt.“ Ai blickte ihm in die blauen Augen und spürte wie ihre Knie weich wurden. Auch wenn er nicht ihr Typ war, so brachte er ihren Körper leicht aus dem Takt. Vor allem war sie zwischen seinem Körper und dem Gitter eingeklemmt. So einfach könnte sie sich nicht von ihm befreien.

„Wieso seid ihr Katzenauge? Warum stehlt ihr?“

Ai seufzte. Über kurz oder lang musste diese Frage kommen und weder Hitomi noch Nami würden Erklärungen abgeben. „Unser Vater verschwand, als ich gerade mal ein Jahr alt war. Unsere Mutter starb drei Jahre später. Nami zog Hitomi und mich auf und vor zwei Jahren erhielten wir einen Hinweis, dass unser Vater noch am Leben sei, aber niemand wusste genaueres. Zuerst hieß es, er wäre in Europa. Wir sind nach Frankreich gezogen und haben angefangen seine Gemälde zu stehlen.“

Kaitos Augen versanken in ihren braunen Augen, während er ihr aufmerksam lauschte. „Er ist Maler?“

„Ja, zumindest war er es früher einmal gewesen“, nickte Ai. „Wir erhoffen uns, dass wir irgendein Zeichen auf seinen Verbleib finden.“ Sie pausierte und für den Bruchteil einer Sekunde hingen ihre Augen auf seinen Lippen. Um sich selbst abzulenken, wechselte sie nun das Thema. „Und wieso setzt du dich dieser Gefahr aus?“

„Mein Vater wurde ermordet. Diese Leute sind auf der Suche nach einem Edelstein, der einem das ewige Leben schenkt. Ich habe mir geschworen, dass ich Pandora, diesen Stein, vor ihnen finde und ihn zerstöre.“

Seine Augen funkelten dabei entschlossen. Ai konnte nicht anders, als ihm sanft ihre Hand an seine Wange zu legen und zärtlich über seine weiche Haut zu streicheln. „Es tut mir so leid, was mit deinem Vater passiert ist. Wie alt bist du gewesen?“

„Acht Jahre“, antwortete der Sohn des größten Magier Japans und ihm wurde zum ersten Mal bewusst, das im kommenden Frühjahr sich der zehnte Todestag jährte. Er fühlte ihre Finger an seiner Wange und sie hinterließen ein sanftes Prickeln und eine unerklärliche Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus. Er hing an ihren braunen Augen und schluckte einmal kräftig.

Es war ein Moment, ein sehr inniger, verzaubernder Moment.

Sie starrten sich stumm in die Augen, während Ais Daumen eine Automatik entwickelt hatten und einfach weiter über seine Wange strich.
 

Aoko saß während der Mittagspause mit Keiko und Yoko zusammen und es lenkte sie von ihren trübsinnigen Gedanken ab. Denn zum ersten Mal, in der langen Zeit die sie ihn kannte, zweifelte die Oberschülerin an Kaitos Aufrichtigkeit. Aber im Laufe der Mittagspause schafften es ihre Freundinnen Aoko wieder zum Lachen zu bringen.

Das war ihr Ziel gewesen. Ihnen war nicht entgangen wie verändert die Freundin heute gekommen war. Und Kaito schien diese Veränderung zu verursachen. Auch wenn die Mädchen gerne mit dem Klassenkameraden darüber reden wollten, hatten sie kein Recht dazu. Das einzige was ihnen blieb, war Aoko so gut sie konnten zu unterstützen und zu bestärken. Sie aufzufangen, sollte sie fallen, und wieder aufzupäppeln.

Nachdem die Mittagspause fast vorüber war, beschloss die Nakamori Kaito doch noch zur Rede zustellen. Sie verlangte Ehrlichkeit von ihm, dann musste sie auch mit gutem Beispiel voran gehen. Sie würde ihn mit den Tatsachen konfrontieren. Sie hatte ihn und Ai aus dem Kino kommen sehen. Er hatte sie daraufhin angelogen. Das musste sie unbedingt klarstellen. Sie beschloss ihn zu suchen. „Ich möchte noch mit Kaito reden.“

Yoko und Keiko nickten verstehend und ließen Aoko gehen. Besorgt sahen sie der Freundin nach. Hoffentlich war sie danach nicht wieder so niedergeschlagen.

Aoko ging über den Schulhof, fand Kaitos Kumpels, aber er selbst war nicht dabei. Sie ging ins Schulhaus, durch die verschiedenen Gänge und zuletzt stieg sie die Treppe hinauf um aufs Schuldach zu kommen. Sie öffnete die Türe, trat hinaus und blickte sich dabei um.

Im Schatten stand er und dicht bei ihm eingeklemmt am Zaun war Ai.

Fassungslos hielt sie, halb in der Tür stehend, inne. Ihre Finger krallten sich um den Türgriff. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen und ihr Bauch verkrampfte stark. Die Erinnerungen der letzten Wochen schossen so schnell vorbei, dass sie kaum eine davon fassen konnte. Sie waren beste Freunde gewesen und dann gestand er ihr, dass er sich in sie verliebt hatte. Dennoch verhielt er sich nach wie vor ihr gegenüber wie ihr bester Freund. Sie hielten Händchen oder fielen sich mal in eine Umarmung, aber niemals in Anwesenheit von Freunden. Zärtlichkeiten tauschten sie kaum aus, das höchste der Gefühle war ein Kuss auf den Mund.

Wahrscheinlich war sie selbst schuld, dass er ihr weg lief. Sie war zu schüchtern um die entscheidenden Schritte selbst einzuleiten.

…Ich hab mich in dich verliebt…

Verliebt sein war nun mal nicht gleichzusetzen mit Liebe. Verliebt, die Zwischenstufe von Schwärmerei und Liebe. Schwärmerei war nicht ernst zunehmen und verging meistens genauso schnell und unbemerkt wie es kam. Verliebt war man auch recht schnell, es war ernster und der Kummer auch schmerzhafter, aber es war keine richtige und aufrichtige Liebe. Diese konnte sich aus dem Verliebt sein entwickeln, musste es aber nicht.

Aoko senkte traurig ihren Kopf. Ihre Augen starrten auf den Boden. Nun würde das passieren, wovor sie immer Angst gehabt hatte. Sie verlor nicht nur ihre Beziehung, sie verlor ihren besten Freund. Nie wieder würde es so werden, wie es einmal war.

Der Schulgong erklang und beendete die Mittagspause.

Durch den Gong wieder ins hier und jetzt katapultiert, trennte sich Kaito rasch von Ai und errötete. Verlegen legte er eine Hand an seinen Hinterkopf und murmelte ein: „Entschuldige bitte.“

Vorbei war der Zauber. Ai rang sich ein Lächeln ab. „Ist doch nichts passiert.“

Gemeinsam drehten sie sich zur Tür und gingen ein paar Schritte, als sie Aoko dort stehen sahen.

Ai bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Sie hatte sich verleiten lassen. „Aoko“, begann sie sofort und beeilte sich zu der Freundin zu kommen. „Es ist nicht das wonach es aussieht.“

„Wie ist es dann?“ Aoko konnte nicht aufsehen. Sie starrte den Boden an.

Ai blickte zu Kaito, der zu ihnen aufschloss. Allerdings hingen seine Augen auf dem Mädchen, das er wieder mal ungewollt verletzt hatte. „Ich weiß es auch nicht“, gestand die Kurzhaarige schließlich. „Anders“, fügte sie noch hinzu, aber das machte die Situation auch nicht besser.

„Aoko, da ist wirklich nichts“, stimmte Kaito zu. Er sah ihr an, dass es sie verletzt hatte ihn mit Ai so vorzufinden. Dennoch war es ein Missverständnis.

„Richtig“, stimmte sie zu und eine Spur Hohn klang mit. „Du lügst mich ja nicht an“, fauchte sie nun aufgebracht und blickte auf. Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. Sie würde nicht weinen. Sie würde sich nicht die Blöße geben und vor ihm weinen.

Ihre Worte trafen ihn. Es war eindeutig. Sie glaubte ihm nicht. Er musste wissen, worauf sie anspielte: „Was willst du damit sagen?“

Aoko schluckte. „Ich hab euch gesehen. Zusammen. Ihr seid im Kino gewesen.“

Kaito schluckte. Sie hatte ihn und Ai gesehen… Das Telefonat kam in seine Erinnerung. Sie wollte von ihm die Wahrheit wissen und er hatte sie angeblafft und behauptet er wäre zu Hause gewesen. Sie wusste, dass er sie belogen hatte. Nun war es Zeit zu handeln. Er musste alles richtig stellen. „Aoko, bitte!“ Er ging einen Schritt auf sie zu und wollte sie berühren, aber sie wich vor ihm zurück.

„Fass mich nicht an“, zischte sie und er schrak wirklich zurück. Nicht aber wegen ihrer Worte, sondern allein wegen ihrer Stimme. So kannte er sie nicht. Das war nicht seine Aoko. „Es ist aus! Du kannst machen was und mit wem du willst, aber lass mich in Ruhe!“ Schwungvoll drehte sie sich um und ging zu ihrem Klassenzimmer zurück. Wut, das war ihre Rettung. Wenn sie wütend auf ihn war, würde sie nicht weinen. Sie musste wütend auf ihn bleiben. Zumindest solange bis sie zu Hause war.

Der Detektiv merkte sofort, dass mit Aoko etwas nicht stimmte, aber nach einem Blick in ihr Gesicht würde er den Mund halten und nicht nachfragen. Er ahnte, dass ein gewisser Möchtegern-Zauberer hinter ihrer Verfassung steckte.

Kaito und Ai setzten sich auch wieder auf ihren Platz und die Lehrerin kam in die Klasse und unterrichtete den Nachmittag über.

Herzschmerz

Sie hatten den gleichen Heimweg und ein Gefühl in ihr sagte, dass Kaito sie mit diesem Thema nicht in Ruhe lassen würde. Aus diesem Grund packte sie schnell ihre Sachen ein und verschwand. Sie musste sich verstecken und so lange unentdeckt bleiben, bis Kaito gegangen war. Einer weiteren Konfrontation sah sie sich nicht gewachsen.

Kaito verließ mit Ai das Klassenzimmer und kurz darauf auch den Schulhof. Aoko hatte er nirgends gesehen. Er musste mit ihr sprechen, ganz dringend sogar, aber sie wich ihm aus. Er begleitete Ai noch bis zur Straßenkreuzung, an der sich ihre Wege trennten, und dann ging er auf direktem Weg zu Nakamoris. Sie war bestimmt schon zu Hause. Mit einem mulmigen Gefühl und einer Wut auf seine eigene Dummheit, stand er wenige Minuten später vor dem Einfamilienhaus und läutete. Nichts tat sich. Er probierte es erneut. Wieder nichts. „Aoko? Bist du da?“, rief er, aber es folgte keine Reaktion. „Wenn du da bist, mach die Tür auf, bitte!“ Unschlüssig und auf Antwort wartend stand der Magier hier. War sie wirklich noch nicht zu Hause? Aber wo sollte er sie denn suchen? Er setzte sich vor die Haustüre und beschloss zu warten. Irgendwann musste sie ja heimkommen.

Aoko ging durch die verschiedenen Straßen und hing ihren Gedanken nach. Sie musste erst einmal selbst überlegen, wie es weiter gehen soll. Und weinen würde ihr hier nicht helfen. Tränen konnten einem den Schmerz nicht nehmen. Dann fiel ihr das Mädchen vor dem Supermarkt ein. Sie hatte sich noch gar nicht bei ihr bedankt. Die Braunhaarige blieb stehen und zog ihr Handy hervor. Sie hatte die Nummer der Detektei bereits eingespeichert und wählte den Kontakt an. „Ran Mori“, erklang am anderen Ende der Leitung.

„Hallo, hier ist Aoko Nakamori“, begrüßte Aoko unsicher.

„Schön von dir zu hören. Geht es dir wieder besser?“

„Ja, ich bin wieder gesund.“ Aoko pausierte. „Ich wollte mich bei dir und Conan bedanken und wollte auch fragen ob ihr spontan Lust habt mit mir in ein Cafe zu gehen.“

„Gerne. Wir haben heute nichts vor. Wollen wir uns im Cafe Cat’s Eye treffen?“

„Nein!“ Die Kommissarstochter biss sich auf die Lippen. Das war wohl eine Spur zu heftig und erklärte ruhiger. „Nein, da möchte ich nicht hin. Gehen wir doch in das Cafe nahe dem Kino.“

„Super. Dann treffen wir uns dort. Wir sind in einer halben Stunde dort.“ Ran legte auf und Aoko steckte ihr Handy weg. Langsam schlenderte sie in die Stadt.

Im Cafe angekommen suchte sie sich einen Sitzplatz und bestellte sich schon mal eine Tasse Kakao, ein Stückchen Kuchen und ein riesiges Schokoeis. Es war ihr egal, was man von ihr dachte. Sie hatte Kummer und diesen ertränkte man mit Süßkram.

„Liebeskummer?“

Aoko blickte auf und sah in ein blaues mitfühlendes Augenpaar, das zu Ran gehörte. Sie zog eben ihre Jacke aus und hängte diese über den Stuhl. Auch Conan setzte sich auf einen Stuhl und musterte das Mädchen aufmerksam. Es faszinierte ihn, wie ähnlich sie sich sahen.

Die Kellnerin kam und Ran bestellte zwei Tassen Kakao und für Conan ebenfalls ein Schokoladeneis. Als sie wieder allein waren, hakte Ran einfühlsam nach. „Erzähl mir etwas über ihn.“

Aoko hob ihre Schultern, dann ließ sie sie wieder fallen. „Was soll ich über ihn erzählen? Er ist ein Idiot.“

„Welcher Mann ist das nicht?“

Conan verzog sein Gesicht und war wirklich beleidigt über Rans Aussage.

Aoko nickte bedächtig und blickte Ran aufmerksam an. „Kaito ist mein bester Freund. Vor ein paar Wochen sagte er mir, dass er sich in mich verliebt hätte.“

„Das ist doch schön“, stimmte Ran sofort freudig zu, aber Aoko schüttelte traurig den Kopf.

„Wäre es auch, wenn es da nicht dieses andere Mädchen gäbe.“ Aokos Augen füllten sich nun doch mit Wasser. „Heute hab ich es beendet und nun ist auch unsere besondere Freundschaft zu Ende.“ Eine Träne löste sich und kullerte aus den traurigen blauen Augen.

Conan konzentrierte sich auf sein Eis. Er konnte es nicht sehen, wenn Mädchen weinten. Es zerriss ihm das Herz in der Brust, weil er ihnen doch nicht helfen konnte. „Vergiss ihn“, warf er in das Gespräch ein und fügte hinzu: „Rans Freundin sagt immer, andere Mütter haben auch schöne Söhne.“

Aoko wischte sich ihre Tränen weg, die unaufhaltsam über die Wange kullerten und rang sich ein Lächeln ab. Sie wusste, dass der kleine Junge es nett meinte, aber er hatte einfach keine Ahnung wie kompliziert die Liebe war. Dafür war doch noch zu jung.

Ran hingegen starrte in ihren Kakao. „Es ist nicht so einfach, Conan.“

Die beiden blickten auf und Aoko erkannte sofort, dass ihr Ebenbild Kummer hatte.

„Wenn man sich sein ganzes Leben lang kennt, überlegt man sich ob eine Beziehung das Risiko, einen Bruch dieser Freundschaft zu verursachen, wert ist.“

„Du sprichst aus Erfahrung“, stellte Aoko fest und wie durch ein Wunder waren ihre Tränen versiegt.

„Nicht direkt. Mein bester Freund und ich sind nur Freunde“, wich Ran aus.

Aoko hingegen nickte wissend. „Obwohl du gerne mehr wärst, als nur eine Freundin.“

Ran errötete und nickte leicht.

Conan starrte seine Kindheitsfreundin mit offenem Mund an. Sollte das heißen, dass Ran ihn wirklich liebte?

„Mit Shinichi ist das alles so kompliziert“, versuchte Ran ihre Gefühle in Worte zu fassen, aber es schien ihr unmöglich.

Auf einmal wurde Conan knallrot und ein entrückter Gesichtsausdruck kam zum Vorschein. Nun hatte er endgültig die Gewissheit. Ran liebte ihn, Shinichi Kudo. Dieser Gedanke beherrschte sein ganzes Sein und er war geistig total weggetreten.

Aoko seufzte und aß ein Stückchen Kuchen. „Welcher Junge ist denn unkompliziert? Gibt es diese Sorte überhaupt?“

„Nein“, antwortete Ran lachend und auch Aoko stimmte in das Lachen mit ein.

Lange unterhielten sich die Mädchen noch und beschlossen, dass sie öfters etwas zusammen unternehmen würden.
 

Kaito saß bereits vollkommen durchgefroren vor der Haustüre der Nakamoris. Er hatte es bereits mehrmals probiert sie auf dem Hausanschluss, wie auch auf dem Handy zu erreichen. Sie ging nirgends ans Telefon. Er hatte sich schon vieles bei ihr geleistet und dessen war er sich auch bewusst, aber dieses Mal hatte er den Bogen überspannt. Wenn sie ihm doch nur die Chance zu einer Erklärung geben würde, aber sie tat es nicht. Seine Augen gingen zu seiner Armbanduhr. Er saß bereits seit drei Stunden hier und langsam wurde es ihm zu kalt. Der Herbst kehrte ein und mit ihm auch die Kälte und bereitete alles langsam auf den bevorstehenden Winter vor.

Er sah in den mit Wolken übersäten Himmel und stand auf. Ihm wurde klar, dass er erst eine Chance zur Aussprache erhielt, wenn sie sich beruhigt hatte. Sie war seine Freundin, er kannte sie bereits seit Kindertagen. Wenn Aoko sich beruhigt hatte, käme sie auf ihn zu und sie konnten über alles reden. Jedes Mal wenn sie sich stritten, war Aoko zu ihm gekommen und sie klärten das Problem. Auch wenn es manchmal Tage dauerte, sie war zu ihm gekommen.

Kaito beschloss es auszusitzen. Er wollte ihr die Zeit geben, die sie benötigte. Auch wenn es ihm schwer fiel. Er würde sie nicht unter Druck setzen. Er blickte zur Haustüre, holte eine rote Rose hervor und legte sie vor die Türe. Dann drehte er sich um und ging.
 

Aoko kam zu Hause an und sah die Blume vor der Haustür liegen. „Kaito“, murmelte sie traurig, hob sie auf und roch daran. Sie hatte überreagiert, dennoch hätte es keinen Sinn ihm das durchgehen zu lassen. Er musste lernen, dass sein Verhalten ihr gegenüber nicht fair war. Wenn sie ihm jetzt nicht zeigte, wie sehr er sie damit verletzte, würde er es nie lernen und sie ihr Leben lang so weiter behandeln. Sie schloss die Haustüre auf und betrat die Wohnung. In der Küche suchte sie ein Glas heraus, füllte es mit Wasser und stellte die Rose hinein. Dann brachte sie die Blume in ihr Zimmer und stellte das Glas auf den Nachttisch. Sie legte sich in ihr Bett und starrte die Rose an. Es war die einzig richtige Entscheidung es gleich zu beenden. Vielleicht merkte er dann, was sie ihm wirklich bedeutete und würde um sie kämpfen. Wenn er es nicht tat, musste sie damit klar kommen. Auch wenn es schmerzhaft war, hieß es doch immer: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.
 

Die Sekunden wurden zu Minuten. Minuten zu Stunden und Stunden zu Tagen. Tage vergingen zu Wochen.

Aoko und Kaito sprachen kein Wort mehr miteinander. Sie war der Meinung, dass er um sie kämpfen müsste und er ging davon aus, dass Aoko ihn zur Rede stellen würde. Keiner von beiden unternahm etwas um diese heikle Situation zwischen ihnen zu entspannen.

Stattdessen hing Kaito weiter mit Ai rum, die inzwischen fest in der Klasse neben ihm saß. Durch ihr gemeinsames Schicksal verband sie sehr viel mehr, als anfangs gedacht, und sie planten teilweise ihre Raubzüge gemeinsam, sodass sie sich nicht in die Quere kamen. Sollte Katzenauge einen Edelstein brauchen, würde Kid diesen Job übernehmen und ihnen den Stein danach aushändigen. Sofern er sich nicht als Pandora herausstellte. Dann half er ihnen bei ihren Planungen und hin und wieder tauschten sie sich hilfreiche Tipps aus. Durch die Wahrheit unter ihnen, verbrachten er und Ai fast jede freie Minute zusammen.

Wenn er Aoko sah, beobachtete er sie unauffällig, aber sie machte keinerlei Anstalten auf ihn zu zukommen. Stattdessen saß sie neben Hakuba, verbrachte viel Zeit mit ihren Freundinnen und ignorierte seine Erscheinung gänzlich. Es tat ihm weh, denn sie war ein Teil seines Lebens. Dennoch würde er es nicht ändern. Aoko war immer zu ihm gekommen. Er würde warten, bis sie sich zu einer Aussprache bereit fühlte.

Aoko hingegen verbrachte nicht nur viel Zeit mit ihren Freundinnen, sondern auch mit Ran und Conan. Die beiden Oberschülerinnen hatten sich angefreundet und verstanden sich von Tag zu Tag besser. Mit Ran konnte Aoko auch über Kaito reden, da diese selbst in ihren besten Freund verliebt war und somit die gesamte Situation nachvollziehen konnte. Keiko und Yoko würden es nicht verstehen.

Immer wenn sie sich unbeobachtet fühlte, betrachtete sie Kaito und es verletzte sie, dass er sich nicht um sie bemühte. Er startete nicht einen Versuch um mit ihr zu reden und ignorierte sie völlig. Traurig rief sie sich in Erinnerung, dass Ai ihre Rolle übernommen hatte. Und auch wenn es wehtat, sie musste darüber hinweg kommen.
 

Nach den letzten Wochen und ständigen Einsätzen der Polizei, blieben Kaitou Kid und Katzenauge ungefasst. Inzwischen hatte das Ionary Revier die angeforderte Verstärkung erhalten und die Einsätze gegen die Diebe wurden wieder mit mehr Mann und Hubschraubern geplant. Der Chef des Ionary Reviers musste sich in den letzten Wochen mehr und mehr vor dem Polizeipräsidenten rechtfertigen. Aber er schaffte es jedes Mal den drohenden Entzug der Fälle abzuwenden.

Polizeipräsident Hakuba, zuständig für Tokio, gab dem Ionary Revier noch ein bisschen mehr Zeit. Wenn die Abteilungen es nicht bald schafften die Diebe zu fassen, würde er sich gezwungen sehen, die Fälle fähigeren Händen zu übergeben.

Der Chef, Kommissar Nakamori und Detective Utsomi regten sich lautstark über diese Drohung auf.

Aoko ärgerte sich über die Bosse ihres Vaters und beschloss ihm unter die Arme zu greifen und ihm zu helfen. Sie würde Kid schon verhaften. Erstens wollte sie ihren Vater wieder öfter sehen und zweitens sollte dieser Schatten der Nacht endlich für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden. Da Kid in den letzten Wochen vermehrt zuschlug, sah Aoko ihren Vater kaum noch. Die meiste Zeit war er mit den Ankündigungen und deren Folgen beschäftigt.

Erneut betrachtete sie die Nachricht, die Saguru ihr netterweise kopiert hatte. Gemeinsam studierten sie diese während dem Unterricht. Auch wenn sie immer wieder so taten, als würden sie noch aufpassen, steckten sie die Köpfe zusammen um zu rätseln. Jeder schrieb seine Gedanken zu dem Thema auf.

Ai entging nicht, wie vertraut die beiden Mitschüler miteinander umgingen. Sie empfand Mitleid für Kaito und eine Wut auf Aoko. Wie konnte dieses Mädchen nur so stur sein und ihren Freund, den sie aus Kindertagen kannte, so gemein ignorieren. Sie spürte, wie Kaito sich verbissen auf den Unterricht konzentrierte. Ihm war auch nicht entgangen, wie die beiden immer wieder die Köpfe zusammen steckten.

In der Pause verließen die meisten Klassenkameraden das Zimmer. Auch Kaito und Ai waren schon gegangen. Keiko und Yoko zogen sich Stühle zum Tisch von Aoko und lauschten den Überlegungen. Nach einer Weile war es Keiko, die sich sorgte. „Ist das nicht zu gefährlich?“

„Ich werde schon auf mich aufpassen. Außerdem sind Ran, Conan und Saguru auch noch da“, antwortete die Oberschülerin.

„Und dein Vater hat es wirklich erlaubt?“, hakte Yoko nach und stellte die Frage, die auch Saguru beschäftigte.

„Nein, aber er wird mich nicht aufhalten können. Ich werde ihm helfen Kid einzusperren, damit endlich wieder Ruhe einkehrt.“

Zweifelnd tauschten die drei Klassenkameraden einen Blick aus, aber keiner widersprach der Siebzehnjährigen. Sie hatte ihren Sturkopf und diesen setzte sie mal wieder ein.

Die Pause war zu Ende und alle setzten sich wieder auf ihre Plätze. Dann ging der Unterricht weiter.

Nach der Schule ging Hakuba zu Nakamoris Vater und traf sich mit Privatdetektiv Mori und dem Kommissar, in dessen Büro. Auch wenn die Soko wieder genug Männer zur Verfügung hatte, so würden die Detektive sie nach wie vor unterstützen. Dieses Mal hatte Hakuba vor Mori die Lösung gefunden und teilte sie den Erwachsenen mit.

Inzwischen lief unter den Detektiven ein Wettstreit, wer am schnellsten und die meisten Rätsel löste. Leider lag Mori noch in Führung und das ärgerte Hakuba. Denn der alte Mann rieb jedes Mal dem Oberschüler unter die Nase, wie schlecht der Junge doch war und er sollte sich lieber heraushalten.

Und der Teenager ließ diese Schmach nicht auf sich sitzen.

Ran, Conan und Aoko trafen sich stattdessen in der Stadt und gingen ins Aquarium. Seit die Mädchen sich so gut verstanden, hatte Conan kaum noch die Chance zu Nakamori zu kommen. Er wusste die Lösung, aber er konnte sie niemanden mitteilen. Es kam ihm so vor, als würde Ran ihn mit Absicht von der Polizei fernhalten. Natürlich war er in ihren Augen ein kleiner siebenjähriger Junge, aber er war der beste Detektiv Ostjapans und er hatte die Lösung des Rätsels.

Die Oberschülerinnen zeigten allerdings kein Erbarmen und selbst auf den süßesten Hundeblick reagierten die Mädchen nicht. So gab er letztendlich auf und fügte sich seinem Schicksal. Es war doch zum Mäuse melken. Er durfte schon lange nicht mehr auf einen Einsatz gehen und wenn er mal dort war, dann schickten ihn die Erwachsenen nach Hause. Er war sich sicher, dass er Kid beim nächsten Mal zu fassen bekam, aber er erhielt nicht einmal die Chance dazu.

„Ich werde morgen Abend mit dabei sein, wenn wir Kid verhaften“, verkündete Aoko Nakamori plötzlich. Sie standen vor einem großen, rechteckigen Aquarium, in dem sich zwei Kugelfische bewegten.

Ran blickte überrascht auf. „Du?“

Aoko nickte ernst. „Ich habe beschlossen meinem Vater gegen Kid zu helfen.“

Conan sah seine Chance. „Wenn Aoko hingeht, könnten wir doch auch mit. Dann ist sie nicht allein.“

Ran blickte von dem Jungen zu der Oberschülerin und zögerte. „Ich weiß nicht. Die letzten Male war es immer so gefährlich. Deine Eltern wären sehr böse, wenn dir etwas passiert.“

„Ich pass auf mich auf, versprochen Ran“, guckte Conan so lieb er konnte und betete, dass er dieses Mal mit durfte.

Aoko nickte zu. „Ich würde mich freuen, wenn ihr auch kommt.“

Ran stimmte schließlich zu. „Gut, aber du bleibst bei uns und bringst dich nicht Gefahr.“

„Versprochen“, grinste Conan und im nächsten Moment blickte er entschlossen drein. Kid, dieses Mal bist du fällig.
 

Es war soweit. Alle erwarteten die Ankunft Kids. Aoko, Ran und Conan standen mit Saguru in der Eingangshalle. Die Polizisten sicherten die Gänge und das Wertobjekt, welches Kid stehlen wollte. Alle warteten gespannt auf das große Ereignis. Selbst durch die geschlossenen Türen des Museums hörte man von der Straße die jubelnden Fanrufe. Es war unglaublich, dass so viele Menschen den Verbrecher auch noch bewunderten.

Conan blickte auf die Uhr. Die Zeiger näherten sich der angekündigten Uhrzeit.

Unbemerkt von den anderen schlich Aoko sich davon und verschwand zu den Aufzügen. Er würde bestimmt vom Dach fliehen, also wollte sie dort auf ihn warten.

Noch dreißig Sekunden. Conan blickte von der Uhr zu den anderen, doch Aoko war verschwunden. Wo war sie denn hin? Mit einem Mal wurde es ihm klar. Kid würde wahrscheinlich vom Dach fliehen, also war sie bestimmt hinauf gerannt. Er sah kurz zu Ran und Hakuba, aber die beiden schenkten ihm keine Beachtung. Dies war seine Chance. Leise ging er ein paar Schritte zurück und dann flüchtete er zu den Aufzügen. Er drückte auf den Knopf und wenig später öffneten sich die Aufzugtüren. Sein Blick fiel auf die Uhr.

Noch fünf, vier, drei …

Conan entschied sich dann allerdings um und nahm doch die Treppe. Er rannte zur nächsten Tür, stieß sie auf und rannte die ersten Stufen hinauf.

Zwei… Eins… Das Licht ging aus. Erschrocken blieb Conan stehen. Gut, dass er nicht den Aufzug genommen hatte. Sonst würde der jetzt irgendwo zwischen den Stockwerken stehen und käme nicht mehr heraus. Die Notbeleuchtung ging an und beleuchtete das Treppenhaus. Schnell rannte er weiter hinauf. Er hatte noch ein paar Stockwerke zu bewältigen.

Vollkommen außer Puste erreichte Conan endlich das Dach und öffnete die Türe. Er trat hinaus. Hinter ihm fiel die Türe zu. Ein kalter Wind wehte ihm um die Nase. Er ging ein paar Schritte zur Mitte des Flachdaches hin, als Aoko sich ihm in den Weg stellte. „Was machst du hier, Conan?“

„Ich hab mich verlaufen“, antwortete der Siebenjährige und schalt sich in Gedanken selbst, dass ihm keine bessere Ausrede eingefallen war.

Aoko glaubte ihm kein Wort und nahm ihn an der Hand. „Lass uns zurückgehen. Es gibt nur Ärger, wenn sie dich nicht findet.“

Conan weigerte sich. Er überlegte, wie er der Misere entkommen konnte. „Wir warten hier bis Kid kommt.“

„Nein“, widersprach Aoko. „Das ist viel zu gefährlich für dich.“ Sie und Conan blickten sich stur an, als eine Stimme sie aus ihrer kleinen Diskussion riss.

„Und für dich ist es hier nicht gefährlich, kleine Nakamori?“

Sofort richteten beide ihre Blicke zur Tür. Dort stand Kid, mit verschränkten Armen, lehnte lässig an der offen stehende Türe.

„Kid!“, riefen die beiden gleichzeitig aus und funkelten ihn böse an. Aoko ging ein paar Schritte auf ihn zu, aber der Meisterdieb wich zur Seite und achtete darauf genug Abstand zu seiner langjährigen Freundin zu halten. „Woher weißt du wer ich bin?“ Skeptisch betrachtete sie den Dieb in Weiß. Drei Meter trennten sie voneinander, aber sie war gewillt, diese schnell und unauffällig zu überbrücken um ihn zu verhaften.

„Du bist die Tochter des Kommissars. Ich weiß alles über meinen Kontrahenten und sein Leben“, antwortete der Widersacher sofort und sein Grinsen verschwand nicht. Kaito freute sich, dass sie wieder mit ihm redete. Auch wenn sie nicht wusste, dass er Kid war, so richtete sie das Wort an ihn.

„Schön, dann weißt du auch warum ich hier bin“, behauptete sie und ging ein paar Schritte auf Kid zu.

Dieser wich zurück und hielt den Sicherheitsabstand zu ihr. Wenn sie ihm näher kam, bestand die Gefahr, dass sie ihn erkannte. Das durfte nicht passieren.

„Ich nehme mal an um mich kennen zu lernen“, provozierte er sie. Natürlich war sie hier, weil sie sich in den Kopf gesetzt hatte ihn verhaften zu wollen.

„Pah, als wenn ich dich kennen lernen wollte.“ Aoko guckte ihn finster an. So ein blöder Idiot.

Die Anwesenheit Conans war bereits vergessen. Aber dieser beobachtete den Dieb mit Argusaugen.

„Sicher, weil du dich in mich verliebt hast“, setzte er einen drauf. Es war gewagt, aber er konnte es sich nicht verkneifen.

Aoko ballte wütend ihre Hände zu Fäusten. „Bestimmt nicht. Eher das Gegenteil, Kid. Ich hasse dich!“

Das wusste er. Sie hatte ihm immer wieder gesagt, wie sehr sie Kid doch hasste. Aber die Worte in dieser Situation von ihr zu hören, tat doch ein bisschen weh. „Du kennst mich doch gar nicht, kleine Nakamori“, konterte er arrogant und deutete wieder eine Verbeugung an. „Ich muss jetzt gehen. Bis zum nächsten Mal.“ Er ließ eine Blendgranate fallen und verschwand, als wäre er vom Erdboden verschluckt.

Aoko stürzte zum Dachrand, aber der Dieb war und blieb verschwunden.

Conan folgte ihr besorgt. „Aoko?“

Die Tür wurde aufgerissen und die Polizisten stürmten aufs Dach, allen voran Aokos Vater. „Wo ist er?“

„Bereits über alle Berge“, antwortete die Braunhaarige, die mit Conan vom Dachrand zurückging, wütend auf sich selbst, weil sie den Meisterdieb nicht hatte aufhalten können.

Nakamori ließ einige wutschnaubende Schimpfwörter fallen, die den Dieb verfluchen sollten, doch dann blickte er seine Tochter an. „Und was machst du hier?“

„Ich wollte dir helfen“, gestand sie leise.

„Nein, Aoko. Du wirst dich aus den Fällen raus halten. Hast du mich verstanden?“ Er blickte streng von ihr zu dem Jungen an ihrer Hand. „Und du dich auch!“

Beide zogen den Kopf ein und nickten, wobei jeder von sich dachte, dass er es nicht tun würde.
 

***
 

Aoko ging mit Ran und Sonoko durch die Straßen. Conan war bei Professor Agasa und traf sich dort mit den Detective Boys. Aus diesem Grund waren die beiden Oberschülerinnen mit Rans bester Freundin unterwegs. Die Tochter des Polizisten regte sich gerade furchtbar auf. „Dieser blöde Kid! Mein Vater wird ihn schon noch schnappen, da bin ich mir ganz sicher!“

„Ich weiß nicht warum du ihn unbedingt hinter Gitter sehen willst. Er ist doch sehr attraktiv und jede Frau in der Stadt steht auf ihn. Es wäre zu schade diesen Mann eingesperrt zu wissen“, erwiderte Sonoko.

„Ich bin auch eine Frau und stehe nicht auf ihn“, grummelte die Oberschülerin zurück. Sonoko wurde ihr vor einigen Tagen von Ran vorgestellt. Die Kurzhaarige war gewöhnungsbedürftig, dennoch fand Aoko sie sympathisch. Hinter der rauen Schale steckte doch ein weicher Kern.

Die Drei schlenderten durch die Innenstadt und bummelten von Geschäft zu Geschäft.

Ran wollte die Freundinnen von der Grundsatzdiskussion ablenken. „Shinichi hat sich gestern gemeldet.“

Aoko blickte sofort zu der Braunhaarigen rüber. „Wirklich? Und was hat er gesagt?“

„Na, was schon. Das Übliche. Er steckt in diesem großen Fall“, antwortete Ran.

„Ich hab dir schon tausendmal gesagt, vergiss diesen Kerl!“ Sonoko blickte ihre Freundin ernst an. Sie hatte das Thema Shinichi satt. Dieser Typ verletzte ihre beste Freundin am laufenden Band. Er war es nicht wert auf ihn zu warten.

Aoko bemerkte die Enttäuschung und auch die Verletzlichkeit in Rans Gesichtsausdruck. Sonoko würde es auch nicht verstehen. Sie kannte ihren Freund nicht aus Kindertagen. Freundschaft und Liebe war nicht einfach so abzuschalten, wie ein Fernsehgerät. Während sie ihre Freundin aufmerksam betrachtete, stieß Aoko an einen großen Mann mit langem blondem Haar, der vor einem Schaufenster stand und sich die Auslage ansah. Er war komplett in Schwarz gekleidet. „Entschuldigung“, drehte sich Aoko sofort zu dem Typ, aber der ignorierte sie und starrte weiter ins Fenster. Komischer Kerl, dachte sie sich noch, doch dann wandte sie sich dem Gespräch ihrer Freundinnen zu.

„Wie lange geht Kudos Fall noch?“, erklang Sonokos Stimme, die vor dem nächsten Schaufenster stehen blieb und sich die Kleider an den Schaufensterpuppen ansah.

Ran starrte gedankenverloren durch die Ware hindurch. „Er weiß es nicht. An diesem Fall hängt er schon so lange und er ist immer noch nicht sehr weit gekommen.“

„Ist ja auch egal. Wenn er diesen Fall gelöst hat, würde er den nächsten annehmen“, schnaubte Sonoko wieder.

Aoko verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Shinichi ist ein Blödmann. Wenn ich ihm mal begegne, sag ich ihm meine Meinung! Der soll endlich mal wieder herkommen und sich nicht irgendwo in der Weltgeschichte herum treiben.“

Ran lächelte Aoko an. „So ist er nun mal.“ Wieder sah man ihr die Traurigkeit in den Augen an. „Lasst uns weiter gehen.“

Die Mädchen zogen weiter durch die Stadt und zurück blieb der Typ mit dem langen blonden Haar. Er zog sein Handy hervor und wählte eine Nummer. „Er lebt noch. Hab grad seine Freundin getroffen.“ Er legte auf und folgte den Mädchen unauffällig.
 

Kaito saß mal wieder bei Ai im Zimmer. Er lag auf ihrem Bett, seine Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starrte gedankenverloren die weiß gestrichene Decke an. Auch wenn er es nicht offen zugab, es wurmte ihn gewaltig, dass Aoko nicht auf ihn zukam. Sie kam bisher immer zu ihm und er hatte ihr immer großzügig verziehen. Dieses Thema beschäftigte ihn im letzten Monat, dennoch war er zu stolz selbst auf sie zu zugehen. Umso mehr überraschte es ihn, dass er ihr gestern auf dem Dach des Museums begegnet war.

„Fertig“, grinste Ai, die an ihrem Schreibtisch saß. Sie trug eine Schutzbrille auf der Nase, richtete sich auf und hielt ihre neueste Erfindung in die Luft. „Dieses kleine Gerät wird uns in Zukunft so manche Hilfe sein.“

Kaito hingegen rührte sich nicht. Trübsinnig starrte er die weiße Decke an und erhoffte sich dort oben eine Lösung auf all seine Probleme zu finden.

Ai stellte ihre Erfindung auf die Schreibtischplatte und zog sich die Brille vom Kopf. Mürrisch presste sie ihre Lippen zusammen, stand auf und ging beleidigt auf ihr Bett zu. Sie kniete sich auf die Matratze, stützte einen Arm links von Kaitos Kopf und den anderen rechts von ihm ab und schob ihr Gesicht in sein Blickfeld. Vorwurfsvoll blickte sie ihn an.

Überrascht, über das Mädchengesicht über sich, betrachtete er sie. „Ist was?“

„Du hast mir überhaupt nicht zugehört!“

Kaito schloss für einen kurzen Moment die Augen und seufzte auf. Das hatte er wirklich nicht. Seit Aoko sich von ihm getrennt hatte und nicht mehr mit ihm sprach, beherrschte sie seinen Kopf. Er konnte an nichts anderes mehr denken, als an seine süße Aoko.

„Schon wieder, Kaito!“ Ai funkelte ihn böse an. „Ich erzähle dir hier etwas und du bist gedanklich ganz woanders.“

Kaito öffnete die Augen, platzierte seine Arme neben sich und richtete sich leicht auf. Er kam ihrem Gesicht durch diese Bewegung sehr nahe.

Ein leichter Rotschimmer legte sich auf ihre Wangen, während er sie neckisch angrinste. „Verzeihung, großes Genie.“

„Du“, funkelte sie ihn böse an und stupste mit ihrer Nase die seine an. Dann löste sie sich von ihm, richtete sich auf und setzte sich, mit verschränkten Armen vor der Brust, beleidigt aufs Bett. „Hast du an Aoko gedacht?“ Sie merkte an der Bewegung der Matratze, dass Kaito sich auch hinsetzte. Nachdem keine Antwort kam, öffnete sie ein Auge und blickte über ihre Schulter zurück.

Er tat ihr leid und immerhin war es auch ihre Schuld, dass die Freundin so sauer auf ihn war. „Du solltest über deinen Schatten springen und mit ihr reden“, meinte sie einfühlsamer.

„Nein“, antwortete Kaito und blickte zu ihr. „Ich hab eine viel bessere Idee.“

Irgendwie behagte ihr sein Gesichtsausdruck nicht, dennoch nickte sie ihm zu. „Und welche? Lass mich an deiner grandiosen Idee teilhaben.“

„Kaito Kuroba hat es bei ihr vermasselt. Aber dann werde ich ihr Herz eben als Kaitou Kid zurückgewinnen.“ Überzeugt von seiner Idee, begann er zu grinsen und seine Augen leuchteten wieder.

Ai hingegen schüttelte ihren Kopf. Es war das das dümmste, was er tun könnte. „Find ich nicht gut. Willst du ihr zweimal das Herz brechen? Du solltest lieber zusehen, dass du den ersten Bruch kittest.“

Wahre Worte, doch der Zauberer war taub für solche Ratschläge. „Ich werde ihr Herz zurückgewinnen und dann wird sie auch mir, Kaito Kuroba, verzeihen.“

Freundschaft

Aoko stand auf dem Dach des Hotels und wartete. Es war dumm von ihr, denn er würde nicht von hier oben fliehen. Dennoch stand sie in der kühlen Nacht und starrte in den Himmel.

Die Tür ging auf.

Ein Mann im weißen Anzug mit einem weißen Zylinder auf dem Kopf trat aufs Dach und ging seitlich zum Dachrand. Er hielt ihr den Rücken zugewandt, obwohl er sie nach einem kurzen Blick über die Schulter, erkannte. „Wie schön dich wieder zu sehen, Aoko.“ Sein Herz pochte unrund in seiner Brust. Dieses Mal drehte er sich nicht zu ihr.

Zuerst war sie erstaunt, dass er hier oben war. Er hatte sich zum ersten Mal nicht an seine Ankündigung gehalten. Doch dann schlug ihre Verwunderung in Wut um. Und diese Wut legte sich in ihre Worte: „Kid, gib mir den Mondstein.“

Sie war so wütend. Wie oft hatte er sie früher einfach nur geärgert, damit sie wütend klang. Sie sah dabei so süß aus und ohne sie anzusehen, wusste er wie sich ihre Nase kräuselte und sich ihre Stirn in Falten legte. Er lächelte. „Ein 'bitte' ist wohl zu viel verlangt, wie?“

Aoko ballte ihre Hände zu Fäusten. „Wozu höflich sein?!“, fauchte sie.

„Gehört Höflichkeit nicht zum guten Ton?“ Nun drehte er sich leicht in ihre Richtung. Eine Hand stemmte er an seine Hüfte, die andere Hand hielt den Mondstein für sie sichtbar.

„Gehört stehlen etwa zum guten Ton?“ Wieder klang ihre Stimme scharf.

„Um keine Antwort verlegen. Das gefällt mir“, lachte er. Es machte Spaß mit ihr zu diskutieren. Das fehlte ihm in den letzten Wochen. Sie fehlte ihm.

Sein Lachen ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Irritiert beobachtete sie seine Haltung. „Was ist jetzt mit dem Mondstein?“ Sie musste sich von dem komischen Gefühl ablenken.

„Den nehme ich mit“, antwortete Kid ernst, hielt aber seine Augen auf sie gerichtet.

Aoko verstand die Veränderung in Kid nicht. „Du hast immer alles zurückgegeben, aber nun behältst du teilweise das Diebesgut. Warum?“

Kaitou Kid senkte seinen Kopf und wandte den Blick ab. „Vielleicht erzähle ich dir das ein anderes Mal.“ Irgendwann würde er ihr alles erklären, aber noch war es zu früh.

Die Tür wurde aufgerissen und die Polizisten stürmten herbei.

Er wandte seine Augen nicht eine Sekunde von ihr ab und ignorierte die Ordnungshüter. Nur sie zählte im Moment für ihn. „Bis bald, Aoko“, verabschiedete er sich, deutete wieder eine Verbeugung an und ließ im letzten Moment eine Rauchbombe fallen, ehe einer der Polizisten ihn zu fassen bekam.

„Wo ist er hin?! Dieser verdammte Dieb!“, schimpfte der Kommissar in herrischer Stimme.

Ein blonder Junge trat auf sie zu und stellte sich neben das Mädchen. „Aoko? Alles in Ordnung?“ Sie blickte auf und erkannte ihren Schulkollegen Saguru Hakuba.

Auch Ran und Conan traten zu ihr.

Conan ballte wütend die Hände zu Fäusten. Dieses Mal hatte Kid sie alle in die Irre geführt. Laut seiner Ankündigung, wollte er über die Straße fliehen. Daher hatten er und Hakuba, sowie Kommissar Nakamori unten Stellung bezogen. Aber dann war er doch aufs Dach geflüchtet. Warum hatte er dieses Mal eine falsche Angabe gemacht, oder entschied er sich spontan um? Und woher wusste Aoko, dass er hier oben war?

„Ja, alles in Ordnung!“

„Was machst du hier oben, Aoko?!“ Diese Frage kam von ihrem Vater.

Das Mädchen drehte sich um und blickte in das wütende Gesicht. „Papa? Ich wollte ihn aufhalten, aber er ist weg! Und den Mondstein hat er auch“, erklärte sie schnell um ihn abzulenken, aber es half nichts. Ihr Vater hielt seine Augen auf sie gerichtet. „Hatte ich dir nicht gesagt du sollst dich aus den Fällen mit Kid heraushalten? Warum bist du nicht zu Hause?“ Er trat einen Schritt auf sie zu und stemmte empört seine Hände in die Hüften.

„Ich wollte dir helfen Kid…“, begann sie doch ihr Vater unterbrach sie. „Papperlapapp. Du bringst dich nur selbst in Gefahr. Ich möchte dich nie wieder an einem Tatort sehen, haben wir uns verstanden? Saguru, bring bitte meine Tochter nach Hause.“

„Ja, Kommissar Nakamori! Komm, Aoko!“

Mit gesenktem Kopf folgte sie dem blonden Jungen, während ihre Gedanken um das Gespräch mit Kid kreisten.

Auch Ran und Conan begleiteten die beiden. „Was hast du auf dem Dach gemacht?“

„Ich weiß nicht. Es war ein Gefühl, dass er doch übers Dach flüchten würde.“ Sie wusste wirklich nicht, warum sie auf dem Dach gewartet hatte. Er hatte angekündigt über die Straße zu fliehen. Umso überraschter war sie, als er durch die Tür heraustrat.

Sie verließen das Museum und wenig später trennten sich die vier voneinander. „Wir sehen uns morgen“, verabschiedete sich Ran und die Mädchen winkten sich zu.

„Ja, ich hole dich ab“, antwortete Aoko und Saguru begleitete sie noch nach Hause.

„Aoko?“ Überrascht blickte sie auf. An Hakuba hatte sie nicht mehr gedacht. „Wieso bist du heute Abend im Museum gewesen?“

Aoko zwinkerte überrascht, ehe sie verlegen den Kopf wieder senkte. Der blonde Junge bemerkte die zarte Röte auf ihren Wangen und das süße scheue Lächeln auf ihren Lippen. „Ich wollte mich nützlich machen. Ich wollte euch helfen Kid zu stellen.“

Der Blonde nickte ihr zu. Er verstand sie und konnte ihr Tun nachvollziehen, dennoch fand er ihr Verhalten nicht richtig. Es könnte ihr sonst was passieren. Niemand wusste wozu Kid wirklich fähig war. Auch wenn sein Verdacht auf den Mitschüler Kaito Kuroba fiel, was wäre wenn dieser es wirklich nicht war, er ihn grundlos verdächtigte, und der Meisterdieb seine Pistole auf Aoko richtete und das Mädchen erschoss? Daran wollte Hakuba nicht mal denken. Sofort wurde ihm klar wie gefährlich ihr Sturkopf sein konnte. Nicht dass er ihr nicht traute, sondern viel mehr dass er Kid misstraute. Sanft besah er sie sich von der Seite. Das Mondlicht schmeichelte ihr. Sie wirkte durch das Licht noch schöner, als sie sowieso schon war. „Aoko, ich weiß das sehr zu schätzen, aber bitte pass auf dich auf. Ich möchte nicht, dass dir etwas passiert.“

Überrascht blickte sie auf. Seine Worte klangen so besorgt und liebevoll zugleich. Sie kannte Saguru Hakuba seit einem Jahr, dennoch hatte er noch nie so mit ihr gesprochen. Sie wusste, was er ihr damit sagen wollte und sie wollte ihm die Sorge nehmen. „Mach dir keine Gedanken, ich passe auf mich auf.“ Sie lächelte ihn an.

Für den Jungen war es das schönste Lächeln auf dieser Welt und sie schenkte es in diesem Moment ihm – Saguru Hakuba. Er hatte dieses Lächeln auf ihr Gesicht gezaubert.

Den Rest des Weges gingen sie schweigend nebeneinander her bis sie vor Aokos Haustür zum Stehen kamen.

„Vielen Dank fürs Heimbringen, Saguru!“

„Wir sehen uns Montag in der Schule, Aoko! Schlaf gut!“, verabschiedete sich der Blonde und verschwand in der Dunkelheit.

„Bis Montag“, murmelte Aoko und trat ins Haus. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, war sie wieder mit ihren Gedanken bei Kid.

Vielleicht erzähle ich dir das ein anderes Mal. Das waren seine Worte. Wie kam Kid darauf ihr solche Worte zu sagen? Wollte er sie verwirren? Wollte er sie ablenken? War er so nett zu ihr um leichter entkommen zu können? Ihr war klar, dass er es geschafft hatte, egal welche Absicht er bei diesem Gespräch hatte. In diesen drei Punkten hatte er ganze Arbeit geleistet. Morgen würde sie mit Ran in die Stadt gehen. Sie freute sich darauf und so beschloss sie Kid aus ihren Gedanken zu verbannen und schnell ins Bett zu verschwinden.
 

***
 

Aoko und Ran trafen sich vor der Detektei Mori und gingen zusammen in die Stadt. Sie unterhielten sich, lachten. Ihr Weg führte mit anderen Passanten auf dem Gehweg zu einer Ampel. Das rote Ampelmännchen leuchtete. Sie standen zwischen fremden Leuten, blickten sich an und kicherten wieder drauf los.

Es wurde grün für die Fußgänger, langsam setzten sich alle in Bewegung. Immer noch ratschten die Mädchen, gestikulierten mit ihren Händen, sahen sich dabei aufmerksam an. Sie achteten nicht auf das was um sie herum geschah.

Dann plötzlich geschah es, viel zu schnell um es richtig gesehen zu haben.

Ein Auto, ein schwarzes Auto…

Es kam von links. Es hatte rot. Die Fußgängerampel war grün. Sie waren mit den Menschen um sich herum losgelaufen, hatten nicht auf die Straße gesehen. Sie lachten und redeten, wie sie es so oft in den letzten Wochen taten. Es tat gut über Probleme zu reden, da sie die gleichen teilten.

Und dann geschah es so plötzlich.

Das Auto schoss heran. Der Fahrer übersah die rote Ampel, übersah die Menschen, die die Straße überquerten und raste einfach weiter. Mehrere dumpfe Aufpralle. Schmerzerfüllte Schreie. Eine Frau konnte noch rechtzeitig zurück springen und stürzte mit einer alten Dame, die hinter ihr ging, zu Boden. Ein Mann, der direkt vor ihnen lief, wurde von dem Kotflügel des Autos berührt und ging zu Boden. Sein linkes Bein konnte er nicht mehr bewegen. Sie selbst spürte nur, wie sie jemand fest nach vorne stieß. Unsanft fiel sie auf die Straße, machte Bekanntschaft mit dem Asphalt und spürte ein schweres Gewicht auf ihrem Rücken. Und dann war da noch dieses Geräusch von knirschendem Blech. Es tat einen Schlag, einen weiteren Schlag danach erfüllte nur noch das Geräusch durchdrehender Reifen die Gegend. Der Fahrer des Fahrzeugs gab Gas und fuhr davon.

Das Gewicht löste sich von ihrem Rücken. Eine behutsame Stimme, die ihr seltsamerweise auch bekannt vorkam, redete beruhigend auf sie ein. Aber sie verstand die Worte nicht.

Langsam, als wäre sie eben aus der Bewusstlosigkeit erwacht, stützten ihre Hände ihren Oberkörper vom Boden ab. In ihrem Kopf schwirrte es. Orientierungslos hob sie ihren brummenden Kopf an und sah alles um sich herum nur noch wie in Zeitlupe. Ihr Herz begann zu rasen, als wäre sie einen Marathon gelaufen, dennoch pochte es viel zu langsam. Sie setzte sich zuerst hin, dann stand sie auf. Wackelig, aber sie stand.

Sie sah sich um. Es herrschte das absolute Chaos um sie herum. Überall standen Menschen oder knieten am Boden. Einige Autos standen auf der Straße mit offenen Türen. Fahrräder lagen verstreut am Boden.

Ihre Augen fielen auf eine kleine Menschentraube vor ihr. Sie hob ihre Hand, ihre Augen wurden groß und vor Schreck sammelten sich Tränen darin. Ihr Mund zu einem Schrei geöffnet, aber kein Ton kam heraus. So viele Gedanken schossen ihr in diesem Moment durch den Kopf, aber sie konnte keinen davon fassen. Alles drehte sich um sie. Die vielen fremden Menschen um sie herum rannten herbei, riefen Worte. Sie wollte einen Schritt gehen, aber spürte wie zwei Hände sie packten und zurückzogen. Die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, spürte sie nicht. Das stetige Zittern ihres Körpers, spürte sie nicht. Sie fror, obwohl ihr zeitgleich ganz heiß war. Ihre Beine zitterten immer noch. Von irgendwoher drang ein stetiges Signal. Es klang immer gleich und wiederholte sich, während es lauter und lauter wurde.

Ihr Gehirn begann wieder zu arbeiten.

Das Signal. Sirenen. Das waren Sirenen.

Ihre Augen starrten auf das Mädchen, welches auf der Straße lag.

Es war Ran.

Die Augen waren geschlossen. Sie war so blass und um sie herum… Blut… überall war Blut… Sie wollte zu ihr. Sie wollte einen Schritt gehen, doch Hände packten sie und zogen sie zurück.

„Aoko, Aoko, rede mit mir!“ Ein junger Mann schob sich in ihr Blickfeld. Sie betrachtete die Konturen seines Gesichtes und die braunen besorgten Augen. Seine Lippen bewegten sich. Seine Lippen bewegten sich? Sie stutzte. Der Griff um ihre Schultern verstärkte sich und sie spürte, wie er sie leicht schüttelte. „Aoko, bitte sag etwas.“

„Saguru?“ Aoko blickte in das Gesicht ihres Mitschülers, dann versuchte sie an ihm vorbei zu spähen. „Ran!“

Durch die Menschentraube an Ersthelfern drängten sich die Rettungskräfte. Sofort knieten Sanitäter sich zu der Oberschülerin auf den Boden und begannen sich einen Überblick ihres Zustands zu verschaffen.

Aoko löste sich aus dem festen Griff ihres Mitschülers und kämpfte sich durch die Menge. Ein Mann hielt sie auf und ließ sie nicht durch.

„Das ist meine Freundin. Lassen Sie mich zu ihr!“ Aoko entwickelte in dieser Situation ungeahnte Kräfte. Sie wand sich, wie ein Aal, und schaffte es dem beharrlichen Griff des Mannes zu entkommen. Schon stürzte sie zu ihrer Freundin und kniete sich neben sie. „Ran!“ Unbemerkt liefen ihr die Tränen aus den Augen. „RAN!“

Einer der Sanitäter ging zu ihr und legte sanft eine Hand auf ihre Schulter. „Wir nehmen sie mit ins Stadtkrankenhaus. Dort können wir ihr helfen.“

Aoko blickte auf. „Ich möchte mitkommen.“ Das freundliche Gesicht, das solch eine Ruhe ausstrahlte, beruhigte auch Aokos aufgebrachtes Nervenkostüm. Sie stand auf und nickte. „Ich sag nur einem Freund Bescheid. Bin gleich wieder da.“

Saguru, der sich durch die Masse nach vorne gekämpft hatte, sah wie Aoko auf ihn zukam. „Geh bitte zur Detektei Mori und informiere Conan und Herrn Mori über Rans Zustand. Sie kommt ins Stadtkrankenhaus.“ Sie drehte sich um und sah, wie Ran auf der Trage davongefahren wurde. Schnell rannte sie den Sanitätern nach und stieg mit in den Krankenwagen ein.

Auf dem Weg ins Krankenhaus beantwortete Aoko so gut sie konnte jede Frage. „Wann ist ihr Geburtstag?“

Aoko blickte auf. Sie und Ran hatten niemals darüber gesprochen. „Ich weiß es nicht“, gestand Aoko. Ein mildes Lächeln und beruhigende Worte kamen vom Sanitäter.

Wenige Minuten später erreichten sie das Krankenhaus. Sofort wurde Ran in die Notaufnahme verfrachtet und verschwand hinter einer großen Doppeltür. Aoko setzte sich auf einen der Besucherstühle davor und wartete.

Sie wusste nicht, wie lange sie schon hier saß, als eine Türe aufging und Saguru mit Conan und Herrn Mori hereinstürmte. Aoko stand auf, blickte in die besorgten Gesichter und konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Sofort stand ihr Klassenkollege bei ihr und zog sie in seine Arme. Sie krallte sich in sein Hemd und ihre Schultern zuckend, während ein Schluchzen nach dem anderen ihre Kehle verließ.

Conan ballte besorgt die Hände zu Fäusten und unterdrückte das aufkommende Zittern. Er wusste immer noch nicht was genau passiert war. Der Oberschülerdetektiv faselte nur etwas von Autounfall mit Fahrerflucht. Er stand zu sehr unter Schock und seine Besorgnis um die Tochter des Kommissars ließ ihn nicht mehr klar denken.

Herr Mori ging nervös auf und ab, den Gang entlang, immer wieder hin und her.

Nach weiteren gefühlten Stunden, öffnete sich die Türe und Ran wurde auf einem Krankenbett auf den Gang geschoben. Sofort stand ihr Vater neben ihr, aber sie hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht. „Ran! Mausebein“, seine Stimme klang gebrochen.

Die Schwestern schoben das Bett weiter, aber ein Arzt trat auf ihn zu. „Herr Mori. Mein Name ist Doktor Mamoru Chiba.“

„Herr Doktor, was ist mit meiner Tochter?“

„Sie hatte heute nicht nur einen Schutzengel“, begann der schwarzhaarige, noch recht jung aussehende Arzt und seine blauen Augen richteten sich auf den Vater des Mädchens. Schon erklärte er seinen Befund. „Durch den Aufprall auf der Motorhaube und der Windschutzscheibe des Autos, ist ihr linker Oberschenkelknochen angebrochen und sie hat eine Fraktur an der linken Schulter. Ansonsten hat sie ein paar Prellungen und Blutergüsse. Sie fiel zum Glück so, dass sie von größeren Schäden verschont blieb.“ Er betrachtete die Runde aufmerksam und lächelte. „Wir werden sie stationär legen und in einigen Wochen darf sie mit einem Gehgips nach Hause. Sie wird soeben in ein Zimmer verlegt. Erkundigen Sie sich bitte auf Station Zwei nach dem Zimmer Ihrer Tochter.“

Erleichterung trat in die Gesichter und der Arzt verabschiedete sich und verschwand wieder hinter der Doppeltür.

Kogoro und Conan gingen voraus und Saguru folgte mit Aoko langsam. Er ließ sie nicht los, denn sie wirkte nach wie vor sehr gebrechlich. Auch wusste er nicht wie tief der Schock noch in ihren Knochen saß.

Auf Station erhielten sie die Info über die Zimmernummer und die Erlaubnis auch schon ins Zimmer zu gehen. Ran würde bald von der Narkose aufwachen.

Und dann war es soweit. Ran schlug die Augen auf und blickte sich verwirrt um. „Was ist passiert?“ Sofort spürte sie die starken Schmerzen und sog scharf die Luft ein. Tränen traten ihr in die Augen.

„Du hattest einen Autounfall“, erklärte ihr Vater sanft. „Aber jetzt wird alles gut. Ruh dich aus, mein Mausebein.“

Ran blickte in die vielen besorgten Gesichter und ihr entging nicht wie blass Aoko aussah. Dann nickte sie und schloss ihre Augen. Sie fiel in einen tiefen Traumlosen Schlaf.

Aoko und Saguru verabschiedeten sich. Sie würden morgen wieder vorbeikommen und nach Ran sehen.

Conan und Mori blieben noch an ihrem Bett sitzen. Die Zeit verging und Kogoros Blick traf die Ziffern der Uhr. Unbehaglich rutschte er auf dem Stuhl hin und her. Er war zerrissen.

Shinichi, im Körper des Grundschülers, entging die Unruhe nicht und auch sein Blick streifte die Uhr. Auch wenn er wollte, er konnte nicht von hier weg. Er würde bei ihr bleiben. „Onkelchen, du musst los. Kid kommt bald.“

„Ich kann nicht, Kleiner“, antwortete Rans Vater mit besorgtem Blick auf seine Tochter.

„Ich bleibe hier und wenn sich an ihrem Zustand etwas verändert, rufe ich dich auf dem Handy an.“ Conan blickte ihn aufmunternd an. Ihn selbst juckte es in den Fingern, aber er hatte sich entschieden. Seine Freundin brauchte ihn hier.

Zur Bestätigung nickte Mori und stand auf. „Gut, Kleiner. Ich komme danach wieder hier her.“

„Brauchst du nicht. Ruh dich zu Hause aus. Ich bleibe bei Ran.“

Wieder nickte Kogoro und verließ das Zimmer seiner Tochter.

Conan blieb alleine zurück und betrachtete die schlafende Freundin. Er griff in seine Hosentasche und holte eine kleine Kapsel hervor. Lange betrachtete er sie.

Seine Erinnerungen kehrten an den Vormittag zurück.
 

Er betrat die Villa Kudo und ging durch das große Wohnzimmer, als eine große, schöne, blonde, fremde Frau ins Wohnzimmer trat. „Wer sind Sie? Und was wollen Sie hier?“

Sie lachte und zwinkerte dem Grundschüler zu. „Erkennst du mich nicht, Kudo?“

Er kniff die Augen zusammen, als sie schon stöhnend in sich zusammenfiel. Nach einigen Minuten unter schmerzenden Krämpfen, stand Ai vor ihm. Ihre Augen betrachteten die Uhrzeit und sie nickte zufrieden. „Drei Stunden!“ Die Bluse war ihr nun viel zu groß, aber das störte sie nicht. Sie raffte diese hoch, wie zu einem übergroßen Kleid.

Mit großen Augen starrte Conan sie an. „Du hast ein Gegenmittel?“

Sie nickte lachend. „Ja, hab ich! Heute fertig geworden.“ Sie reichte ihm eine Kapsel. „Wenn du sie nimmst, hast du genau drei Stunden, ehe die Wirkung nachlässt.“ Sie drehte sich um und ging in ihr Labor zurück. „Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie wir die Wirkung dauerhaft behalten.“ Fröhlich pfeifend verschwand sie und ließ Conan mit der Kapsel in seiner Hand zurück.
 

Er musste sie mit Sinn und Verstand einnehmen. Er hatte nur drei Stunden. Seine Augen betrachteten Rans ebenmäßige Gesichtszüge. „Bald kann ich dir unter die Augen treten, liebste Ran.“
 

Hakuba brachte Aoko nach Hause. „Kann ich dich allein lassen?“

Aoko blickte zu ihm auf und betrachtete ihn lange und stumm. „Hast du mich auf die Seite geschubst?“

Er nickte. „Ich sah das Auto kommen. Du bist einige Schritte vor mir gegangen. Es wurde nicht langsamer und ich habe Angst gehabt. Angst um dich“, gestand er leise und senkte seine Augen.

„Saguru“, begann Aoko, doch er stoppte sie, indem er seinen Zeigefinger an ihre Lippen legte.

Leicht schüttelte er den Kopf. „Sag nichts, Aoko. Ich weiß schon was du sagen willst. Du liebst Kaito und ich werde niemals eine Chance bei dir haben.“

Sie unterbrach ihn, während sie seinen Finger von ihren Lippen nahm und ihren Kopf schüttelte. „Das wollte ich gar nicht sagen“, lächelte sie sanft. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm ein Küsschen auf die Wange. Dann blickte sie ihm in seine braunen Augen. „Danke für alles, Saguru.“ Sie versteckte ihre Hände hinter dem Rücken und deutete ihm mit ihrem Kopf zu gehen. „Na, los, geh schon“, munterte sie ihn auf. „Deine Finger kribbeln doch schon die gesamte Zeit über. Geh und fang Kid!“

Noch ein kurzer, unsicherer Blick und Saguru begann dann zu grinsen. „Danke Aoko!“ Schon verschwand er in den Abend.

Sie blickte ihm nach, dann drehte sie sich zur Haustür und schloss auf. Langsam betrat sie das dunkle Haus und setzte sich auf die Couch. Dort versank sie in ihren Gedanken und versuchte den Nachmittag zu verarbeiten.
 

Der nächste Tag war ein Sonntag. Kaum hatte Aoko gefrühstückt ging sie los zum Stadtkrankenhaus. Sie sorgte sich sehr um Ran. Es war ein weiter Fußweg, aber es tat gut zu laufen und so die trüben Gedanken von der kühlen Luft vertreiben zu lassen. Warum musste ausgerechnet Ran von einem Auto angefahren werden und der Fahrer auch noch Fahrerflucht begehen. Gab es denn überhaupt keine Gerechtigkeit auf der Welt? Hoffentlich fand die Polizei das Auto. Sie selbst hatte kaum noch Erinnerungen an den gestrigen Tag.

Sie ging die große Straße entlang und sah rechts das Krankenhaus zwischen den Bäumen hindurch blitzen. Je näher sie dem Hospital kam, desto mehr Autos parkten am Straßenrand. Wenig später betrat sie das große, weiße Gebäude und ging direkt zu Rans Zimmer. Sie klopfte leise und öffnete die Türe.

Die Vorhänge waren noch zugezogen. Aoko trat ein und schloss die Türe hinter sich. Langsam betrat sie über den kleinen Flur das Zimmer und blickte zum Krankenbett.

Ran verschwand in den großen weißen Laken. Sie war immer noch blass, dennoch lächelte sie im Schlaf. Auf dem Stuhl saß der kleine Conan, der seine Arme auf der Matratze liegen hatte und sein Kopf ruhte auf diesen. Auch er schlief tief und fest.

Aoko trat näher und betrachtete die beiden mit einem sanften Lächeln. Ob jemand schon Shinichi informiert hatte? Ob er überhaupt kommen würde? Sie ging zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Das Sonnenlicht erhellte den Raum.

Conan begann sich zu rühren und schlug langsam die Augen auf. Ihm schmerzte der Rücken und als er sich aufrichtete, knackste es in seiner Wirbelsäule. An einem Krankenbett einzuschlafen war wirklich nicht empfehlenswert.

„Guten Morgen“, begrüßte Aoko ihn leise und drehte sich vom Fenster zum Bett. Der Kleine sah so süß aus, wenn er noch verschlafen war.

Conan setzte seine Brille zurecht, die ihm über Nacht halb von der Nase gerutscht war, und begrüßte Aoko. Dann richteten sich seine blauen Augen auf Ran.

Aoko entging keineswegs die Besorgnis. „Sie ist für dich eine Schwester, oder?“

Der Grundschüler betrachtete die Doppelgängerin seiner Sandkastenfreundin. Natürlich war sie mehr als das, aber in diesem Körper musste er dieser Feststellung zustimmen. Er nickte. „Sie hat mich aufgenommen, als meine Eltern nach Europa gingen und mich nicht mitnehmen konnten. Shinichi konnte sich ja nicht um mich kümmern, da er in seinen Fällen steckt.“

Die Polizistentochter nickte. „Weiß er schon Bescheid?“

Conan stutzte erst, doch dann fiel ihm ein, dass sie Shinichi meinte. Natürlich, dachte er sich, doch dann schüttelte er den Kopf. „Nein, ich werde ihn gleich anrufen gehen.“

„Meinst du, er wird kommen?“ Aokos Augen ruhten besorgt auf Ran.

Er wusste es nicht. Sollte er die Kapsel jetzt einsetzen? Er hatte drei Stunden. Drei Stunden, die schnell vergingen. War es der richtige Zeitpunkt? Er steckte seine Hand in die Hosentasche und spielte gedankenverloren mit der Kapsel. „Ich weiß es nicht“, gestand er ehrlich.

„Sie würde sich so freuen“, bemerkte Aoko noch, aber sie ahnte bereits, dass Shinichi nicht kommen würde. Dafür war ihm sein Fall zu wichtig. Ran hatte so etwas nicht verdient. Sie war so lieb und hatte einfach nicht verdient, dass ein Junge sie so behandelte.

„Ja, das würde sie“, stimmte Conan leise bedrückt zu. „Ich geh ihn mal anrufen und ich werde auch Sonoko informieren.“ Mit diesen Worten kletterte er vom Stuhl und verließ kurze Zeit später das Zimmer.

Aoko setzte sich statt seiner auf den Stuhl und lehnte sich zurück. Würde Kaito kommen, wenn ihr so etwas passiert wäre? Sie schüttelte den Kopf. Bestimmt nicht, er hatte sie bereits vergessen und ersetzt. Es tat ihr immer noch so weh und sie verdrängte schnell wieder die Gedanken daran. Dann kam ihr Kid in den Sinn, aber an diesen Verbrecher wollte sie erst recht nicht denken.
 

Kaito betrat gähnend das Cafe Cat’s Eye und streckte sich. Nie wieder würde er zwei Raubzüge an zwei aufeinander folgenden Tagen planen.

„Guten Morgen, Kaito“, begrüßte Nami ihn schmunzelnd. „Love und Hitomi sind im Wohnzimmer. Geh nur durch.“

Love… an den Namen hatte er sich immer noch nicht gewohnt. Er nannte sie immer noch Ai, auch wenn die Leute, die ihr nahe standen sie mit dem englischen Namen anredeten. „Guten Morgen, Nami“, begrüßte er zurück und ging hinter den Tresen. Schon öffnete er die Türe und trat hindurch.

„Kaito“, wurde er sofort freundlich begrüßt und er schloss die Türe hinter sich. Er stand im großen, schön eingerichteten Wohnzimmer. Links von ihm war eine moderne Schrankwand mit Fernseher. In der Mitte des Raumes stand die große Eckcouch mit kleinem Wohnzimmertisch. Rechts von ihm war ein helles Fenster und überall an den Wänden hingen Bilder der drei Schwestern in jeder Altersstufe. Hitomi und Love saßen auf der Couch und spielten mit ihrem Kätzchen.

Er hob die Hand zum Gruß und ließ sich neben Ai auf die Couch fallen. Neugierige Blicke ruhten auf ihm, aber er war noch nicht wach genug und in Redestimmung.

„Nun sag schon“, drängelte Ai. „Wie lief es die letzten beiden Tage?“

„Er wurde nicht geschnappt“, grinste Hitomi wissend.

„Ach, wirklich?“, hakte die jüngste Schwester ironisch nach. „Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen.“ An Kaito gewandt, fügte sie hinzu: „Hast du Aoko schöne Augen gemacht?“

„Sie war gestern nicht da“, antworte der junge Zauberer und verschränkte seine Arme hinter den Kopf. Er lehnte sich zurück und starrte zur Decke. Im nächsten Moment spürte er den kleinen Fellklops, der auf seinen Schoß kletterte und sich dort zusammen rollte. „Nakamori ist ja nach wie vor kein Gegner, aber was mich wirklich stutzig machte, waren die Detektive. Der Kleine und das Mädchen waren überhaupt nicht da und Mori und Hakuba waren total unkonzentriert.“ Er seufzte gelangweilt auf. „Das war gestern ein Spaziergang und hat überhaupt keinen Spaß gemacht.“ Er begann das Kätzchen zu kraulen.

Hitomi und Ai blickten sich irritiert an. Das war ja wirklich seltsam.

„Und wie sieht es bei euch aus?“

„Wir sind vorbereitet“, lachte Ai und hielt ihre Handfläche auf. „Du hast noch etwas, das uns gehört“, zwinkerte sie.

Kaito beugte sich vor und blickte zu seiner Mitschülerin. „Ach ja, es ist nicht Pandora.“ Dabei griff er in seine Jackentasche und zog den Mondstein hervor. Der Edelstein vom Vorabend, war für beide Parteien uninteressant. Jii würde dafür sorgen, dass man ihn fand. Kaito überreichte Love den Mondstein und sie betrachtete ihn aufmerksam.

Nami trat ins Wohnzimmer. „Das ist er also“, stellte sie fest. Schon blickte sie zu Hitomi. „Dein Typ wird verlangt.“

„Oh, ist das Toshi?“, grinste die Jüngste. „Wann will er denn die Frage aller Fragen stellen?“

„Ich weiß nicht was du meinst“, stellte Hitomi sich dumm und stand auf.

Ai lachte und kniete sich provokant auf die Couch vor ihrer Schwester. „Oh, Hitomi, ich verzehre mich nach dir. Willst du meine Frau werden?“

„Love!“ Hitomi verschränkte ihre Arme vor der Brust. Im nächsten Moment konterte sie schnippisch. „Warum sollten wir heiraten?“

„Toshi liebt dich, das sieht selbst ein Blinder“, erklärte Ai und lachte. „Und du liebst ihn, das sieht man dir an der Nasenspitze an.“

Hitomi errötete und stand auf. „Deine Phantasie ist zu lebhaft.“ Mit diesen Worten ging sie zur Tür und öffnete diese. Schon verschwand sie im Cafe.

Nami ging lächelnd zu den Teenagern. „Du sollst sie nicht immer ärgern“, tadelte die Älteste die Kurzhaarige und nahm ihr den Stein ab. „Ich werde dafür sorgen, dass er in Sicherheit ist. Schon steckte sie ihn in ihre Tasche. „Vielen Dank, Kaito.“

Dieser winkte ab. „Ich verfolge nach wie vor meine eigenen Pläne.“ Besorgt musterte er aber die Schwestern. „Würde das denn gut gehen, Detective und Diebin?“

„Wenn man sich liebt, wird es auch funktionieren“, antwortete Nami und zog sich eine Jacke an. „Ich habe noch eine Verabredung. Wir sehen uns später.“

Die Teenager winkten zum Abschied und blieben auf der Couch sitzen.
 

Ran wachte auf und sah Aoko auf dem Stuhl sitzen. „Hey, wie geht es dir?“

Die Braunhaarige schrak aus den Gedanken heraus und blickte zum Bett. „Du bist wach“, Aoko lächelte. „Mir geht’s gut. Hab nur einen Schreck bekommen. Viel wichtiger ist aber, wie es dir geht?“

„Geht so. Was ist denn überhaupt passiert?“

„Ein Auto hat dich und einen Mann angefahren und ist dann einfach weitergefahren. Du hast sehr viel Glück gehabt. Außer zwei Knochenbrüchen hast du noch ein paar Blutergüsse und Prellungen, aber das alles verheilt wieder.“

„Und du?“

„Saguru war hinter uns und hat mich rechtzeitig zur Seite geschubst. Sonst würde ich neben dir liegen.“

„Saguru?“, fragte Ran im erste Moment verwirrt nach, doch dann wusste sie von wem die Braunhaarige sprach. „Ach ja, Hakuba.“

Aoko nickte.

„Wo ist Conan?“

„Er informiert gerade Shinichi und Sonoko.“ Die Nakamori blickte sie unsicher an. „Ich bin mir nicht sicher, ob er kommen wird, Ran.“

Für einen kurzen Moment, als sein Name fiel, trat ein glänzender Ausdruck in ihr Gesicht, doch schon verschwand er wieder. „Ich weiß. Sein Fall ist ihm zu wichtig, als dass er hierher kommt.“

Aoko beugte sich vor und legte ihre Hand auf die ihrer Freundin. „Ich hoffe für ihn, dass er kommt. Sonst wird Sonoko nicht die einzige sein, die ihm in den Hintern treten wird.“

Auf Rans Lippen legte sich ein Lächeln. Aoko war eine liebenswürdige Freundin, auch wenn sie manchmal etwas aufbrausend war, sie trug ihr Herz am rechten Fleck.

Schon wurde die Türe aufgerissen und Sonoko stürmte besorgt ins Zimmer. In ihren Händen hielt sie einen überdimensionalen Blumenstrauß. „Ran, Schatz, Kleines. Was machst du nur für Sachen?“ Sofort stand sie beim Bett, legte die Blumen auf das Beistelltischchen und betrachtete Rans Gipsbein und den Arm in der Schlinge. Mehrere Pflaster zierten ihren Arm und das Gesicht.

„Weißt du, ich hab die dumme Angewohnheit bei Grün über die Straße zu gehen“, sie lächelte schmerzerfüllt.

Sonoko setzte sich zu ihr aufs Bett, während Aoko aufstand, das Zimmer verließ und für die Blumen eine Vase mit Wasser besorgte.

Schon trat auch Conan wieder ins Zimmer. „Ran, du bist wach!“ Erleichterung spiegelte sich in seinen Augen und setzte sich zu ihr auf den Stuhl.

Auch Aoko betrat das Zimmer wieder. „Conan hat die ganze Nacht hier verbracht“, erklärte sie sofort und zwinkerte. Nebenbei packte sie Blumen aus und stellte sie in die Vase.

„Wirklich? Das war doch bestimmt unbequem“, stellte Ran mit besorgtem Blick fest, aber Conan lachte nur verlegen. „Ach, so schlimm war das nicht.“

„Ich habe Heiji und Kazuha angerufen. Sie können heute nicht kommen, werden aber am Freitagnachmittag anreisen und bis Sonntag bleiben.“

„Sie können in meinem Zimmer schlafen“, stimmte Ran sofort zu. „Ich brauche es vorerst nicht.“

„Ja, denn du wirst noch eine Weile hier bleiben“, stimmte Sonoko zu.

Auch Conan nickte. „Wenn du wieder laufen kannst, darfst du nach Hause gehen. Die Schulter wird aber noch länger brauchen bis du sie wieder richtig bewegen kannst.“

„Ich bringe dir jeden Nachmittag die Hausaufgaben vorbei und wir können zusammen lernen“, stimmte Sonoko wiederum zu. „Bedenke, dass wir im Sommer unsere Abschlussprüfung schreiben.“

Ran nickte. Es war noch ein dreiviertel Jahr zu den Prüfungen. Auch wenn es jetzt noch lange hin war, verging die Zeit bestimmt rasend schnell.

Gemeinsam verbrachten sie den Sonntag bei der Freundin im Krankenhaus. Am Nachmittag stießen Hakuba und Rans Vater dazu. Zwischendurch wurde die Verletzte von Ärzten untersucht, aber bisher zeigten sich keine Spätfolgen und auch keine inneren Blutungen.

Krankenhausaufenthalt

Die Tage der Woche vergingen quälend langsam, dennoch brach endlich der Freitag an. Kid hatte sich erst für heute Abend angemeldet. Und Aoko nahm sich fest vor ihn dieses Mal nicht entkommen zu lassen. Sie saß in der Klasse und rutschte hibbelig auf ihrem Stuhl herum. Sie übertrug die Nervosität auf Saguru mit dem sie, seit dem letzten Wochenende, noch vertrauter umging. „Kannst du mal still halten?“, zischte er sie genervt an.

„Heute Abend schnapp ich ihn mir.“ Das war keine Antwort auf seine Frage. Aber er sah ihr an, dass sie wirklich bereits gedanklich bei dem bevorstehenden Abend war. „Heute ist er fällig“, grinste sie ihm zu.

Er nickte und versuchte wieder sich dem Unterricht zu widmen. Nie hätte er gedacht, dass Aoko als Sitznachbarin so anstrengend wäre und sie ihm vom Lernen abhielt.

Ein Lächeln trat Hakuba auf die Lippen. Aber er saß gerne neben ihr und er war gerne mit ihr zusammen. Unauffällig ließ er seinen Blick durch die Klasse schweifen und bemerkte, wie Kaito zu ihnen hinter schielte. Ja, er wusste, dass der gute Kuroba eifersüchtig war. Es gefiel dem Magier ganz und gar nicht wie gut Aoko sich mit ihm, seinem Rivalen, verstand. Aber Kaito war selbst schuld an dieser Situation, denn er hatte sich zwei Eisen im Feuer halten müssen. Es war ihm sowieso unbegreiflich, wie Kaito Aoko gegen Ai eintauschen konnte. Seine braunen Augen schielten zu seiner Sitznachbarin, die sich endlich ernsthaft auf den Unterricht konzentrierte. Sie war etwas ganz Besonderes und Kaito war nur dämlich, wenn er es nicht erkannte.

Aoko verließ das Klassenzimmer mit ihren Freundinnen. Unbemerkt war Kaito hinter sie getreten, denn Ai wurde noch zum Lehrer zitiert. Es ging um eine Arbeit, die sie verhauen hatte.

„Was machst du jetzt noch, Aoko?“, fragte Yoko, während die Mädchen langsam die Schule verließen.

„Ich besuche Ran. Die Arme liegt seit einer Woche in der Klinik und kann sich nicht rühren“, antwortete Aoko und blickte gerade aus auf den Weg.

„Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass du neben ihr liegen könntest“, bemerkte Keiko.

Überrascht vernahm Kaito die Worte. Was war passiert und worauf genau spielte Keiko an? Ran… Das war die Doppelgängerin von Aoko. Hatte er sie deswegen auf seinem letzten Beutezug nicht gesehen? Das würde erklären, warum Mori so unkonzentriert und der Kleine überhaupt nicht da war. Sie lag im Krankenhaus?

„Zum Glück war Saguru da und hat dich gerettet. Das Auto hätte dich sonst auch noch überfahren“, bemerkte Yoko. „Es stand in der Zeitung. Den Fahrer und das Auto haben sie immer noch nicht gefunden.“

Aoko nickte. Sie wusste, dass die Polizei im Dunkeln tappte. Sie hatten von ihr eine Zeugenaussage gebraucht, aber sie konnte sich nur noch daran erinnern, dass das Auto schwarz war. Selbst Saguru hatte in dieser Situation nicht bedacht aufs Kennzeichen zu sehen. Er stand selbst zu sehr unter Schock, nachdem er sie von den Füßen gerissen hatte und mit ihr auf der Straße aufschlug. Sie lächelte die Mädchen an. „Wir sehen uns morgen im Kino.“

„Ja, bis morgen, Aoko“, winkten die Freundinnen und gingen getrennte Wege.

Zurück blieb Kaito, der auf Ai am Schultor wartete und die gesagten Informationen verarbeiten musste. Aoko wäre fast von diesem Irren überfahren worden? Er hatte in der Zeitung davon gelesen. Ein schwarzer Jeep überfuhr eine rote Ampel und raste in die Fußgänger, die die Straße überquerten. Danach fuhr er einfach weiter. Eine Frau hatte rechtzeitig reagiert und sprang zurück. Dabei stürzte sie auf eine alte Dame. Beide kamen mit dem Schrecken davon. Ein Mann wurde von dem Auto angefahren und sein linkes Bein war geprellt. Ein Mädchen wurde erfasst und daraufhin in eine Klinik zur Untersuchung gebracht. Aoko war auch dabei gewesen? So ein Schwein! Wie konnte dieser Idiot nur mit diesem dämlichen Fahrverhalten seine Freundin in Gefahr bringen?! Bisher hatte die Polizei noch keine Hinweise zum Täter und bat die Öffentlichkeit um Mithilfe. Zeugen wurden schon seit Tagen gesucht, aber dieser Fahrer war und blieb verschwunden und unerkannt.

Ai eilte auf ihn zu und nickte. „Wir können los.“

Auch er stimmte zu und gemeinsam gingen sie zu Kaito nach Hause. Dort würden sie Hausaufgaben machen und dann musste sich der Junge auf den Abend vorbereiten.
 

Aoko ging direkt nach der Schule zum Krankenhaus. Sie wollte den Nachmittag mit Ran verbringen und sie ein wenig ablenken. Sonoko hatte am Abend zuvor gesagt, dass sie heute nicht kommen konnte. Daher versprach sie der Freundin Gesellschaft zu leisten. Wieder ging sie die Straße entlang und wieder parkten mehr und mehr Autos am Straßenrand, je näher sie der Klinik kam.

Sie ging an einem schwarzen Wagen vorbei, ohne zu bemerken dass jemand im Fahrzeug saß.

Der Fahrer, wie auch der Beifahrer beobachteten das Mädchen. Sie blickten sich durch ihre Sonnenbrillen ab. Der Fahrer, dessen lange blonde Haare offen über seinen Rücken fielen, stupste seinen schwarzen Hut mit den Fingern an und betrachtete das Mädchen mit den braunen Haaren. „Dann muss sie es sein.“

Der Beifahrer, ein stämmigerer Mann, zog eine Pistole hervor und hielt sie in den Händen, die in schwarzen Lederhandschuhen steckten. „Dieses Mal wird sich Kudo zeigen. Da bin ich mir sicher.“ Er öffnete die Türe und stieg auf den Gehsteig. Mit einem schnellen Blick stellte er fest, dass er und das Mädchen allein waren. „Hey, Kleine“, rief er ihr nach.

In dem Moment, als Aoko sich umdrehte, hielt er die Waffe auf sie gerichtet und schoss.

Aoko sah einen Mann ganz in Schwarz gekleidet mit einer großen Sonnenbrille auf der Nase. Seine Haare waren unter einem großen schwarzen Hut versteckt.

Sie sah eine Waffe, er zielt auf sie und dann erschallte ein Schuss. Schon war sie nur noch von einem schmerzenden Gefühl umgeben. Sie versuchte es zu lokalisieren, aber die Welle des Schmerzes überrannte sie und ihren ganzen Körper. Sie fiel auf die Knie, schaffte es sich gerade noch mit ihren Händen abzustützen, ehe sie vornüber kippte und bewusstlos auf den Boden fiel.

Der Mann stieg ins Auto ein, knallte die Türe hinter sich zu, während der andere den Motor startete und rasend schnell die Straße entlang fuhr.

Wütend grummelte er: „Musstest du sie auf dich aufmerksam machen?“

„Natürlich, denn ich wollte sie nur verletzen nicht töten“, antwortete der Schütze.

„Wir werden sie so oder so töten“, grummelte der Blonde, doch dann nickte er. „Er soll dabei sein, wenn wir es tun.“ Beiden trat ein hämisches, düsteres Lächeln auf die Lippen.
 

Conan stand am Bahnhof und holte die Freunde Heiji Hattori und Kazuha Toyama ab. Um sofort nach der Schule aufzubrechen, brachten sie ihre Koffer mit in den Unterricht und kaum war die Schule aus, setzten sie sich sofort in den nächsten Zug nach Tokio.

„Conan, wie geht’s dir? Das muss furchtbar für dich sein“, begrüßte Kazuha den kleinen Jungen sofort mit einer Umarmung und betrachtete den Grundschüler mitleidig.

„Zum Glück ist ihr nichts Schlimmeres passiert.“ Conan begrüßte Heiji mit einem Kopfnicken und gemeinsam gingen sie zuerst zur Detektei um die Koffer dort abzustellen. „Kazuha, du wirst in Rans Zimmer schlafen. Heiji du schläfst mit in meinem Zimmer.“

Die beiden Oberschüler aus Osaka nickten. Sie kannten sich schon seit einigen Monaten und Heiji war der einzige, der das Geheimnis um Conans wahre Identität kannte.

Kazuha war mit Ran befreundet, immerhin hatten sie beide einen Detektiv zum besten Freund, den sie ihr gesamtes Leben kannten.

Wenige Minuten später gingen sie zu Fuß zum Krankenhaus. Conan informierte sie, dass die Polizei diesen Raser noch nicht gefasst hatte und es auch keine Zeugenaussagen gab. Bisher waren weder der Fahrer noch das Auto bekannt. Sie näherten sich dem Klinikgebäude, als sie in einiger Entfernung jemanden auf dem Boden liegen sahen.

Entsetzt rannten sie zu der Person und erkannten ein braunhaariges Mädchen in blauer Schuluniform. Um sie herum war Blut. Sie lag in einer Pfütze ihres eigenen Bluts.

Sofort kniete sich Heiji zu dem Mädchen hinunter, drehte sie vorsichtig auf den Rücken und sah, woher das Blut kam. Die Verletzte hatte ein Loch in der Bauchhöhle, vermutlich eine Schussverletzung. Er fühlte nach ihrem Puls, der zwar da war, doch extrem schwach.

„Kazuha, hol Hilfe“, drängte der Oberschüler und seine Freundin rannte zum Krankenhaus, von dem sie nur noch wenige hundert Meter trennte. Sie stürmte in die Notaufnahme und schrie laut um Hilfe. Als eine Schwester zu ihr kam, schilderte sie die Situation und sofort stürmte ein Arzt mit einem Koffer herbei und folgte Kazuha hinaus. Zwei Pfleger organisierten eine Trage und rannten mit einer Schwester hinterher.

Derweil knieten Heiji und Conan bei dem Mädchen. Der Oberschüler behielt ihren abfallenden Puls im Auge, jeden Moment bereit mit der Wiederbelebung anzufangen.

In Conans Kopf hingegen drehten sich die Gedanken. Was sollte das bedeuten? Erst wurde Ran bei einem Autounfall verletzt und nun Aoko angeschossen. Er versuchte hinter die Gründe zu kommen, aber er fand einfach keine Lösung. War es wirklich nur Zufall?

Ein Arzt schob den Jungen unsanft zur Seite und Conan erkannte ihn vom Samstag. Es war Doktor Chiba, der auch schon Ran behandelt hatte. „Was ist passiert?“, fragte der junge Mann im weißen Kittel ernst und bestimmt. Er befühlte ihren Puls, entfernte das Oberteil von der Wunde und kramte in seinem Erste-Hilfe-Koffer.

Kazuha stellte sich hinter Conan und hielt ihn an den Schultern fest. Besorgt und ängstlich beobachteten die beiden, wie der Arzt einen Druckverband um den Bauch legte und somit die Blutung stoppte.

„Wir fanden sie so auf dem Boden liegend. Vermutlich eine Schusswunde“, antwortete Heiji gefasst. Auch in seinem Kopf arbeitete es. Wieso hatte niemand von dem Schuss gehört und wann war es überhaupt passiert? Wie lange lag dieses Mädchen schon hier?

Doktor Chiba sah, wie Heiji stetig den Puls kontrollierte. Der Junge machte einen gefassten und souveränen Eindruck, daher kümmerte er sich selbst erst einmal um die Schusswunde und nahm dem Mädchen noch Blut ab. „Wie ist ihr Puls?“ Er hörte Schritte und die Pfleger kamen mit der Trage herbei. Schon legten sie diese auf den Boden und platzierten sich am Kopf und an den Füßen des Mädchens. Die Schwester kniete bei der Trage. Sobald das Mädchen drauf lag, würde sie sie festschnallen.

Heiji informierte den Arzt über den Pulsschlag und behielt weiterhin die Uhr im Auge.

„Das ist zu niedrig. Sie muss sofort in den OP! Wissen Sie wie sie heißt?“

Heiji und Kazuha schüttelten den Kopf, aber Conan antwortete. „Das ist Aoko Nakamori.“ Doktor Chiba betrachtete den kleinen Jungen kurz. Er hatte ihn schon einmal gesehen, nur wusste er gerade nicht wohin er ihn ordnen sollte. „Unsere Freundin Ran, haben sie am Samstag behandelt. Sie wurde eingeliefert, weil sie von einem Auto überfahren wurde.“

Jetzt erinnerte er sich und aus der Zeitung wusste er, dass der Fahrer noch immer flüchtig war. Er stand auf und gab allen ein Zeichen. Auf Kommando hoben die Pfleger das Mädchen hoch und auf die Trage. Die Schwester band sie fest, während Heiji immer noch nicht ihr Handgelenk los ließ. „Er wird schwächer, ich kann ihn kaum noch fühlen“, sagte er plötzlich.

Doktor Chiba drückte der Schwester das Röhrchen mit dem Blut in die Hand. „Bringen Sie das ins Labor. Ich brauche unverzüglich die Blutgruppe. Und kümmern Sie sich um die Transfusion. Lassen Sie alles für die OP vorbereiten.“

Die Schwester rannte los und die Pfleger mit dem Doktor und Heiji folgten etwas langsamer, dennoch im zügigen Schritt.

Conan und Kazuha folgten ihnen.

In der Notaufnahme öffneten zwei Schwestern die Doppeltür die Pfleger stürmten mit der Trage hinein, während Heiji Aokos Handgelenk losließ und die drei Schüler den Arzt anblickten. „Ihr müsst hier draußen warten.“ Schon verschwand er auch und die Doppeltür schloss sich wieder.

„Lasst uns zu Ran gehen. Hier können wir erst mal nichts tun“, bemerkte Kazuha in die schweigende Runde und die Jungs nickten. Gemeinsam ließen sie die Notaufnahme hinter sich und gingen zur Station und betraten wenig später Rans Zimmer.

Diese begrüßte freudig ihre Freunde und erschrak sofort, als sie Heijis blutige Finger sah. „Was ist passiert?“, fragte Ran alarmiert.

Erst jetzt sahen sie das Blut und Heiji ging zum kleinen Bad des Zimmers und wusch sich die Hände.

Kazuha setzte sich auf den Stuhl und Conan kletterte aufs Bett. Bedrückt blickte er sie an. „Aoko ist in der Notaufnahme.“

„Was?“ Ran wollte sich aufrichten, aber der Schmerz in ihrer Schulter erinnerte sie daran, warum sie überhaupt im Krankenhaus lag.

„Wir haben sie draußen auf dem Gehsteig gefunden. Sie hat eine Schusswunde im Bauch“, antwortete Heiji, als er in das Zimmer kam und Ran nun endlich auch begrüßte. „Wie geht es dir?“

„Besser als Aoko“, antwortete sie sofort. „Aber warum wurde Aoko angeschossen? Was hätte das für einen Sinn?“

Alle senkten traurig den Kopf. Niemand konnte sich erklären, warum das so war.

Eine Schwester klopfte und betrat kurz darauf das Zimmer. „Fräulein Mori, ich habe eine Frage. Sie haben die seltene Blutgruppe AB negativ. Wären Sie so freundlich uns Blut zu spenden?“

„Geht es um Aoko?“, fragte Ran sofort besorgt.

Die Schwester senkte den Kopf. „Dazu darf ich Ihnen keine Auskunft geben. Aber wir haben eine Patientin mit hohem Blutverlust und leider nur einen sehr kleinen Vorrat dieser Blutgruppe hier. Wären Sie bereit zu spenden?“

„Natürlich“, antwortete Ran sofort und die Schwester nickte erleichtert. „Wir werden sie gleich abholen.“

„Habt ihr ihrem Vater schon informiert?“

Conan schüttelte den Kopf. „Ich werde auf dem Revier anrufen. Aber er ist bestimmt schon im Museum.“

„Kid kommt heute?“, fragte Heiji überrascht und Conan nickte.

„Dann kommt mal wieder alles zusammen“, seufzte Kazuha. „Der arme Kommissar.“

„Gehen wir mal telefonieren?“, hakte Heiji nach und niemanden entging dass er mit dem Grundschüler sprach. Conan sprang vom Bett und verließ mit dem Oberschüler das Zimmer.

„Da stimmt doch was nicht, Kudo“, flüsterte Heiji, kaum dass sie auf dem Gang standen.

„Da bin ich ganz deiner Meinung.“

Sie gingen gemeinsam in eine ruhigere Ecke und dort tippte Heiji zuerst einmal die Nummer des Reviers, in dem Aokos Vater arbeitete, in sein Handy und wählte. Er drängte am Telefon dringend vom Kommissar zurückgerufen zu werden. „Sagen Sie ihm, es ist wichtig. Es geht um seine Tochter!“ Er wartete kurz und nach einem Wort des Dankeschöns legte er auf. „Er ruft zurück.“

Conan hingegen wusste, dass der Kommissar dies eben nicht tat. Denn wenn er im Falle Kid steckte, vergaß er vieles um sich herum.
 

Die Schwestern kamen mit einem schmaleren Bett ins Zimmer herein und sie luden Ran um. Unter Schmerzen kam sie dann auf dem anderen Bett zum liegen.

Kazuha sollte im Zimmer warten. Das tat sie auch, denn Conan und Heiji würden bestimmt bald wieder kommen.

Die Schwestern brachten Ran durch die Krankenhausgänge zu einem Aufzug und in einer anderen Etage schob man sie durch Gänge, die mit mehreren Doppeltüren geteilt waren. Wenig später lag sie in einem Raum, der mit einem grünen Vorhang abgetrennt war und die Schwestern bereiteten Ran auf die bevorstehende Transfusion vor. Ein Arzt trat herein. Er sah gut aus, war jung, schwarze Haare und blaue Augen. Ein groß gewachsener Japaner, die es nicht allzu oft gab. „Hallo, Fräulein Mori. Mein Name ist Mamoru Chiba, ich habe sie am Samstag in der Notaufnahme behandelt.“ Er reichte ihr die Hand.

„Vielen Dank, Herr Doktor“, sie schüttelte ihm die Hand und wunderte sich warum ein Arzt zu ihr kam.

„Ich möchte Ihnen erklären, was wir hier machen. Sie haben das passende Spenderblut um einer anderen Patientin das Leben zu retten. Wir haben keine Zeit auf eine normale Blutspende zurück zu greifen. Aus diesem Grund werden wir Sie direkt an das Gerät anschließen mit dem die Patientin auf der anderen Seite des Vorhangs verbunden ist.“

Ran hatte schon mal davon gehört, dass es gefährlich war auf diese Art Blut zu spenden. Ihre Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben.

„Normalerweise macht man das nicht auf diese Art, da man nicht weiß, ob Krankheitserreger im Blut vorhanden sind. Es wird normalerweise nach der Blutspende gereinigt um dann einem Körper zugeführt zu werden. Doch in diesem Fall sind Sie bereits eine Patientin der Klinik und wir haben ihr Blut geprüft. Es ist alles in Ordnung und es besteht kein Risiko. Weder für Sie noch für die andere Patientin.“

Ran nickte beruhigter. Eine Schwester hielt ihr noch ein Schreiben hin unter dem sie ihre Unterschrift setzen musste um die Erlaubnis zum Spenden zu erteilen. Ran unterschrieb und blickte zum Vorhang. Eine Maschine stand in der Mitte der beiden durch den Vorhang abgetrennten Abteile. Die Schwester hantierte an ihrem Arm und schon spürte Ran wie die Maschine pumpte und langsam das Blut über einen dünne Schlauch zu dem großen Gerät gesogen wurde.

Der Arzt ging wieder und eine Schwester blieb bei ihr. Sie passte auf, dass es Ran wirklich gut ging. Eine spezielle Salzlösung sorgte für den Flüssigkeitsausgleich.

Ran wusste nicht, wie lange sie so da lag, aber sie fühlte sich zunehmend schwächer und müde. Irgendwann war die Prozedur vorbei und sie wurde nach einer gefühlten Ewigkeit wieder auf ihr Zimmer gebracht, wo nach wie vor Kazuha auf dem Stuhl saß und wartete. Sie hatte sich zwischenzeitlich ein paar Zeitschriften aus der Cafeteria besorgt und blätterte darin aus Langeweile. Es war aber auch wirklich rücksichtslos von Heiji einfach mit Conan zu gehen, nur weil Kid heute Abend auftauchte. Aber so war er nun mal und sie kannte ihn auch nicht anders.

Ran wurde in ihr Zimmer geschoben und von den Schwestern wieder in ihr Bett gepackt. Sie prüften nochmals den Zustand ihrer geschwächten Patienten und eine von ihnen verließ das Zimmer mit dem schmaleren Bett. Die andere Schwester, kümmerte sich noch um die Befestigung der Infusion und informierte Kazuha, über die Erschöpfung der Patientin. „Durch die große Blutspende kann es sein kann das Fräulein Mori bald einschläft. Sollte Ihnen etwas Ungewöhnliches auffallen, drücken Sie hier auf den roten Knopf. Jemand wird dann sofort kommen.“ Nach einem Nicken der Besucherin verließ die Schwester auch wieder das Zimmer.

So lehnte sich Kazuha in ihren Stuhl zurück und blätterte weiter in den Zeitschriften, denn Ran war wirklich sofort eingeschlafen.
 

Weder Conan noch Heiji bekamen Kommissar Nakamori zu Gesicht. Er war überall und nirgendwo und schaffte das auch noch zugleich. Die Nachricht hat das Revier ihm zwar hinterlassen, aber er vergaß seine Mailbox abzuhören.

So standen die beiden Detektive inmitten des Ausstellungsraums in dem Kid zuschlagen würde. „Was meinst du, Kudo, wie wird er es machen?“ Heiji blickte zu dem Grundschüler hinab. Er sprach ihn leise an.

Conan sah sich den Raum an. Es gab keinen Lüftungsschacht und keine Fenster. Die einzige Türe, durch die er fliehen konnte war von Polizisten und ihnen umstellt. Er hatte keine Möglichkeit von außen einzudringen, also blieb ihm nur noch eines… Conan betrachtete die versammelten Leute im Raum, aber keiner sah verdächtig aus. „Er ist bereits hier. Die Frage ist nur wer er ist“, antwortete der Oberschüler im Kleinkindkörper.

Auch Heiji blickte sich aufmerksam um, betrachtete jedes einzelne Gesicht, aber auch er konnte auf den ersten Blick nicht feststellen, wer es sein könnte.

Das Kid die gesamte Zeit neben den Detektiven stehen könnte, auf diese Idee kamen die beiden nicht. Aber ihm sollte es egal sein. Viel interessanter war allerdings, wie der Japaner mit dem dunklerem Teint den Zwerg angesprochen hatte. Kudo… Also hörte man deswegen nichts mehr von dem großen Meisterdetektiv, denn dieser steckte im Körper von einem Grundschüler. Wie auch immer das passiert war, es erklärte das mysteriöse Verschwinden des Oberschülers um den die verschiedensten Gerüchte kursierten. Shinichi Kudo… Natürlich, wie sonst hätte der kleine Junge ihm auflauern können. Ein Siebenjähriger war niemals so schlau, wie der Schnüffler es schon gewesen ist.

Sein Blick fiel auf die große Uhr, die im Raum an einer der Wände hing. Noch wenige Sekunden, dann war es soweit. Sein Auftritt konnte beginnen in drei… zwei… eins… Showdown! Er schmiss eine Kapsel hervor. Rauch quoll heraus und ein Dummy blies sich auf und wurde zu Kid. Keinem schien aufzufallen, dass Kid nicht echt war, denn von dem plötzlichen Erscheinen abgelenkt, sprangen sie zu ihrem vermeintlichen Feind. Kid konnte es egal sein, denn so schaffte er es unbemerkt den Diamanten zu stehlen. Nur mit einem hatte der Teilzeitdieb nicht gerechnet und diese Person erschien hinter ihm und brüllte: „Hab ich dich, Kid!“

Wo kam der Kommissar plötzlich her? Doch Nakamori konnte den Meisterdieb auch nicht mehr aufhalten. Schon ließ Kid lachend eine Rauchbombe fallen und verschwand.

Conan und Heiji nahmen sofort die Verfolgung auf, da sie noch in der Nähe der Tür standen, während alle anderen stark hustend im Rauch versanken.

Kid floh wie so oft aufs Dach hinaus. Der Mond war bis eben noch von einer Wolke bedeckt, die aber schon weiter zog. Er hielt den Diamant in seiner Hand und hielt ihn gegen das Mondlicht. Das war auch nicht Pandora.

Heiji und Conan traten aufs Dach hinaus.

Kid drehte sich um und endlich standen sich die Kontrahenten gegenüber.

„Netter Versuch, Kid“, grinste Heiji. „Aber uns hängst du nicht so leicht ab.“

„Und mit wem habe ich die Ehre?“, hakte Kaitou Kid nach.

„Heiji Hattori, Meisterdetektiv des Westen von Japan. Stets zu Diensten“, grinste der dunkelhäutige Japaner, dennoch sprachen seine Augen pure Entschlossenheit aus.

„Kid es ist vorbei. Gib uns den Diamanten“, forderte Conan.

„Kudo, richtig? Shinichi Kudo, der Meisterdetektiv des Osten von Japan“, schlussfolgerte Kaito in der Verkleidung des Meisterdiebes 1412 und staunte innerlich. „Da haben sich Ost und West zusammengeschlossen um mich zu stellen. Ich fühle mich geehrt“, höhnte er.

Conan zuckte kaum merklich zusammen und wollte soeben etwas antworten, als ein Funkspruch über das Funkgerät, welches in Heijis Jackentasche steckte, einging.

Die Stimme gehörte einem Polizisten. „Kommissar. Das Revier hat eben nochmals angerufen. Ihre Tochter liegt auf der Intensivstation des Stadtkrankenhauses, befindet sich aber nicht mehr in Lebensgefahr.“

Heiji zog verwirrt das Funkgerät heraus und starrte es an. Conan hingegen behielt Kid im Blick, der wie zu einer Salzsäule erstarrt war. Auch seine Augen waren auf das Funkgerät gerichtet.

„Aoko?! Krankenhaus? Lebensgefahr?!“ Kommissar Nakamori brüllte regelrecht durchs Funkgerät. „Warum sagt mir das keiner? Meine Tochter liegt im Krankenhaus und keiner meldet es mir?!“

Der Polizist klang ein wenig eingeschüchtert. „Das Revier hat Ihnen eine Nachricht auf dem Handy hinterlassen.“

Es wurde ruhig und Heiji blickte zu dem Knirps. „Hat ja lange gedauert bis der das mal kapiert hat. Ich hatte erwartet, dass er die Nachricht früher erfährt.“

„Aoko“, flüsterte Kid geistig abwesend. Er war im Gesicht so blass, wie sein Anzug weiß war. Er schluckte, fasste sich wieder und warf den Diamant Conan zu. „Hier Kudo, ich kann damit nichts anfangen!“ Im nächsten Moment rannte er zum Dach und sprang. In Sekundenschnelle erschien der Gleiter und Kid verschwand in der Nacht.

Zurück blieben Conan und Heiji. Verwirrt und stumm starrten sie dem Dieb nach. „Jetzt ist er weg. So ein Mist“, schimpfte Heiji, doch Conan lächelte. „Ich glaube, den sehen wir schon ganz bald wieder.“ Er hielt den Diamant vor sich und betrachtete ihn aufmerksam.

„Was meinte er mit: damit könne er nichts anfangen.“ Heiji beugte sich herunter und betrachtete den Diamant ebenfalls.

Keiner von beiden wusste die Antwort, aber wenigstens hatte er ihn dieses Mal nicht mitgenommen.
 

Kid lenkte seinen Gleiter in den Krankenhauspark. Es war dunkel. Niemand sah ihn hier. Er zog einen kleinen Zettel hervor und einen Stift, dann schrieb er etwas. Diesen Zettel legte er an ein Fensterbrett von einem Raum, der hell erleuchtet war und in dem einige der Schwestern versammelt waren. Dann legte er eine rote Rose dazu. Er klopfte an das Fenster, rannte in die Nacht und verwandelte sich in Kaito Kuroba zurück.

Eine der Schwestern blickte durch das Glas hindurch und sah etwas draußen liegen. Sie öffnete das Fenster, steckte den Kopf in die Kälte und sah sich um. Niemand war in der Nähe und sonst erkannte sie nichts durch die Finsternis. Schon sah sie die Rose auf dem Fensterbrett liegen. Darunter einen Zettel.

Die Schwester nahm beides auf und schloss das Fenster wieder.

Alle Augen waren auf die Frau gerichtet, die den Zettel las. „Für Aoko Nakamori. Gute Besserung!“ Soeben stand der Schichtwechsel an und alle Schwestern der Notaufnahme waren versammelt. Ein Raunen ging durch den Raum. Jede war sich sicher, dass ein Mann hinter dieser Tat steckte.

„Sobald das Mädchen auf Station ist, bekommt sie die Rose. Wir müssen sie nur solange hegen und pflegen“, lächelte die Schwester des Fundes und alle anderen nickten.

Von Ladies und Gentlemen

Langsam schlug sie ihre Augen auf. Sie fühlte sich total benommen, als wäre sie von einem Lastwagen überrollt worden. Anfangs sah sie noch etwas verschwommen, darum blinzelte sie bis sie einen klaren Blick hatte.

Eine weiße Decke mit einem grellen Neonlicht.

Verwirrt schloss sie ihre Augen, ehe sie sie wieder öffnete, aber das Bild blieb das gleiche.

Eine Stimme erklang und bahnte sich einen Weg in ihren Gehörgang. „Aoko, zum Glück.“ Sie nahm aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Langsam ließ sie ihre Augen von der Decke hinab schweifen. Dann sah sie ihren Vater, dem die Tränen in seinen Augen standen. „Aoko, ich bin so froh. Du lebst!“

Worte die Sätze formten, die sie hörte aber nicht zuordnen konnte. Sie öffnete ihren Mund, aber statt etwas zu sagen kamen nur ein paar krächzende Laute heraus. Sie räusperte sich kurz. „Papa?“

„Mein kleines Mädchen“, schniefte er plötzlich mit einem Lächeln auf den Lippen. Seine Hände streichelten sanft über Aokos Haarschopf. „Ich verspreche dir. Wenn wir zu Hause sind, werde ich mir wieder mehr Zeit für dich nehmen.“ Die Tränen liefen ungehindert über Ginzo Nakamoris Wangen und er meinte seine Worte sehr ernst. Ihm war bewusst, dass seine Tochter so schnell erwachsen wurde und er die Hälfte ihrer Jugend verpasst hatte. Welch Ironie, dass man immer erst begriff was wirklich wichtig im Leben war, wenn man dabei war es zu verlieren. Ja, er hatte beinahe seine Tochter verloren, niemals wieder wollte er sich so hilflos fühlen. Niemals wieder wollte er so etwas schreckliches erleben. Niemals würde er sie wieder allein lassen.

Eine Schwester betrat das Zimmer und stellte sich zu Aoko ans Bett. Sanft lächelte sie die Patientin an. „Na, Dornröschen, wie geht es dir?“ Sie wandte sich den Geräten zu, an denen Aoko angeschlossen war, und prüfte die Werte.

„Weiß nicht“, antwortete die Braunhaarige heiser. Ihr Hals war so trocken und brannte förmlich.

Die Schwester lächelte wieder. „Es ist soweit alles ist in Ordnung. Ich hole dir ein Glas Wasser.“ Nach einem kurzen Blick auf Aokos Vater, der sich beim Eintreten der Schwester die Tränen aus den Augen gewischt hatte, verließ sie das Zimmer wieder.

„Papa?“ Aoko suchte die Augen ihres Vaters. Die waren dunkelbraun und zum ersten Mal fiel ihr bewusst auf, dass sie nicht die Augen ihres Vaters hatte. Verwundert über diesen Gedanken konzentrierte sie sich auf die wichtigen Dinge: „Was ist passiert?“

„Du bist angeschossen worden. Niemand hat etwas mitbekommen. Der kleine Junge von Mori hat dich gefunden. Gerade noch rechtzeitig“, die Stimme brach und Aokos Vater tränten wieder die Augen. So knapp war sie dem Tod entkommen.

„Papa“, Aoko wollte ihren Vater nicht so sehen. Er war immer ein stolzer Mann und stark gewesen. Er war immer ihr Held gewesen, der sich gegen das Verbrechen stellte. „Mir geht es doch gut“, beruhigte sie ihn angeschlagen. „Bald kann ich nach Hause gehen. Du wirst schon sehen.“

Ginzo blickte seiner hübschen Tochter in die Augen und lächelte sie liebevoll an. Das war Aoko, sein starkes Mädchen. Sie würde sich niemals so leicht unterkriegen lassen.
 

Er lag auf seinem Bett und starrte die Decke an. Seine Arme hinter dem Kopf verschränkt, seine Beine weit von sich gestreckt. Er trug eine blaue Jeans, ein weißes Shirt und seine braunen Haare fielen wie eh und je ungebändigt in alle Richtungen. Seine Gefühle ließen ihn kaum noch schlafen. Er stand zu sehr unter Strom und wäre am liebsten auf die Intensivstation gestürmt, hätte Aoko geweckt und ihr seine Liebe geschworen. Wie konnte es nur passieren, dass sie im Krankenhaus lag und wer war dafür verantwortlich?

Es klopfte an seiner Zimmertüre und Ai steckte ihren Kopf hindurch. „Hey, Kaito, alles klar bei dir?“ Sie betrat das Zimmer und schloss hinter sich die Türe. Aufmerksam ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen und das große Gemälde von Toichi Kuroba zog sie in einen Bann. Ai erkannte die Ähnlichkeit zwischen ihrem Freund und seinem Vater. Auch wenn sie seine Mutter noch nicht kannte, da diese sich immer noch im Ausland aufhielt, so ahnte sie, dass es der Frau auch immer schwerer fallen musste, dem eigenen Sohn ins Gesicht zu blicken. Für sie selbst wäre es das, wenn ihr Mann verstorben wäre und der Sohn ihm so ähnlich sah und sie tagtäglich an den Verlust ihrer Liebe erinnern würde. Ais Augen glitten zum Bett und betrachteten den reglos verharrenden Oberschüler.

Er starrte nach wie vor die Decke an, registrierte sie nicht einmal.

Langsam ging sie zu seinem Bett, kniete sich neben ihn und stützte ihre Arme rechts und links von seinen Schultern ab. Ihr Kopf schob sich in sein Blickfeld und sie sah die große Leere in den sonst so glänzenden Augen. „Was ist passiert?“

Kaito schien durch sie hindurch zu sehen, doch dann schloss er seine Augen und seufzte. „Aoko liegt im Krankenhaus.“

„Was?!“ Fassungslos über diese Information legte sie sich neben den Mitschüler aufs Bett und betrachtete ihn aufmerksam.

„Gestern Abend bin ich den Detektiven begegnet. Nakamori erfuhr über Funk von Aokos Unfall. Sie ist inzwischen außer Lebensgefahr.“ Endlich kam Bewegung in den Jungen. Er löste seine Hände vom Kopf und ballte seine rechte Hand zur Faust, die er wütend in seine linke Handfläche schlug. „Verdammt, ich hätte es verhindern müssen! Ich hätte auf sie aufpassen müssen.“

„Du hättest es nicht verhindern können“, sprach Ai sanft und mitfühlend. Ihre Augen ruhten auf dem Seitenprofil ihres Freundes.

Dieser rollte sich zur Seite und kehrte der Kurzhaarigen seinen Rücken zu. „Ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen.“

Er sagte es leise, dennoch verstand Ai jedes Wort und sie starrte traurig auf seinen Rücken. Sie setzte an um etwas zu sagen, bracht aber keinen Ton heraus. Sie wusste, dass Aoko Kaitos Herz besaß und dennoch erhoffte sich ein kleiner Teil in ihr, dass er ihr dieselben Gefühle entgegen bringen würde, die er für Aoko hegte. Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Auge und ein leichtes Lächeln zierte ihre Lippen. „Dann lieg hier nicht herum, sondern ändere es!“

Überrascht drehte sich der Junge zu Ai und sah sie einfach nur lange an.

„Geh zu ihr und kämpfe um sie, wie du es vor Wochen schon hättest tun müssen. Überwinde deinen Stolz und sag ihr wie viel sie dir bedeutet.“ Ai blickte ihm in seine Augen, die so tief und blau wie der Ozean waren. „Nun mach schon, sonst werfe ich dich aus dem Bett.“

„Ich kann doch nicht einfach zu ihr ins Krankenhaus gehen.“

Ai richtete sich auf und auch Kaito setzte sich aufs Bett. „Natürlich“, drängte sie weiter.

„Ich bin der letzte Mensch, den sie jetzt sehen will“, zierte sich Kaito immer noch vor der Begegnung mit seiner großen Liebe.

Die Kurzhaarige stöhnte genervt auf. „Woher willst du das denn wissen?!“ Sie schnappte sich seinen Arm und zerrte ihn vom Bett hoch. „Nun komm endlich. Ich begleite dich auch.“

„Ich weiß doch gar nicht in welchem Krankenhaus sie liegt“, ein neuer Versuch auszuweichen, auch wenn es geflunkert war, aber vergeblich.

„Das finden wir schon heraus.“
 

Der Arzt stand bei Aoko. Sein Klemmbrett hielt er in den Händen und er notierte sich etwas. Dann schlug er die Akte zu und lächelte seine noch immer sehr matt wirkende Patientin an. „Alles ist in Ordnung. Die Transfusion hat dein Körper auch gut aufgenommen.“

Ginzo stand auf. „Herr Doktor, wie geht es jetzt weiter?“

Der große, schwarzhaarige Mann lächelte die beiden an. „Aoko wird auf Station verlegt. Da gibt es eine Patientin, die sich bestimmt über ein wenig Gesellschaft im Zimmer freuen würde.“ Er zwinkerte Aoko zu. „Die junge Dame müsste sogar in deinem Alter sein und sie hat sich sehr große Sorgen um dich gemacht.“

„Ran“, hauchte Aoko leise mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Du wirst noch eine Weile im Krankenhaus bleiben, bis deine Wunde soweit verheilt ist, aber du befindest dich ja auch in netter Gesellschaft. Ich werde immer wieder nach euch beiden sehen und mich erkundigen wie es euch geht.“

„Danke, Doktor Chiba“, antwortete Aoko.

Der junge Arzt lächelte, schüttelte Ginzo Nakamori die Hand und verließ das Zimmer der Intensivstation.

Wenig später kam eine Schwester und bereitete Aoko für den Umzug auf Station vor.
 

Ran lag in ihrem Bett und starrte genervt die Decke an. Wenn sie sich vorstellte, dass das noch eine ganze Weile so weiterging, würde sie bald durchdrehen. Sie hasste Krankenhäuser, sie hasste den Geruch von Desinfektionsmittel, sie hasste diese Langeweile und am meisten hasste sie es sich nicht bewegen zu können.

„Du hörst uns ja gar nicht mehr zu“, stellte Kazuha empört fest.

Die Braunhaarige drehte ihren Kopf zu den Freunden, die am Besuchertisch saßen und Karten spielten. „Es tut mir leid“, gestand sie kleinlaut.

Conan blickte sie besorgt an.

Kazuha nickte mitfühlend. „Ich würde mir wünschen, dass du mit uns durch Tokio spazierst.“

„Nicht nur du wünscht dir das“, lächelte Ran gequält.

Es klopfte an der Türe und im nächsten Moment trat eine Schwester ein und zog hinter sich ein Bett her.

Überrascht drehten sich alle dem Neuankömmling zu und erkannten mit großen Augen, dass Aoko auf dem Bett lag.

Die Schwester schob das Bett an den leeren freien Platz im Zimmer und kümmerte sich um Aoko.

Diese lächelte matt zu Ran hinüber. „Hey.“

Tränen stiegen den Mädchen in die Augen. Ran blinzelte erleichtert. „Du lebst“, hauchte sie.

„Unkraut vergeht nicht“, hauchte Aoko angeschlagen, dennoch lächelte sie dabei.

Die Schwester deutete auf den Notknopf und erklärte. „Wenn etwas ist, drücken Sie hier, dann kommt jemand.“

Aoko nickte und die Schwester verließ das Zimmer.

„Aoko“, Conan stand erleichtert auf und ging an das Bett von der Tochter des Kommissars.

„Conan“, antwortete die Angeschossene leise. „Schön dich zu sehen.“

Heiji und Kazuha standen auch auf. Ran stellte die Freunde aus Osaka vor. „Aoko, das sind Heiji und Kazuha, Freunde von Conan und mir. Sie haben dich gefunden“, fügte die Tochter vom Privatdetektiv zu.

Ginzo Nakamori erschien im Raum und blickte von einem jungen Gesicht in das nächste. „Ich danke euch allen. Vielen Dank, dass ihr meiner Tochter geholfen habt.“

„Das ist doch selbstverständlich“, antwortete Heiji, schob aber eine berechtigte Frage nach. „Nur warum wurde auf Aoko geschossen und wer war der Schütze?“

„Das werden wir herausfinden. Ich werde sofort mit meinen Kollegen telefonieren, ob es schon Neuigkeiten gibt.“ Ginzo blickte seine Tochter an. „Du bist hier in guter Gesellschaft.“ Mit den Worten verließ er den Raum und suchte sich eine ruhige Ecke zum Telefonieren.

Die Schwester trat erneut ein. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Vase mit einer roten Rose, die in voller Pracht blühte. Sie ging lächelnd zu Aokos Beistelltisch und stellte dort die Vase ab. „Das ist für Sie. Die wurde abgegeben mit den besten Genesungswünschen.“

„Von wem?“ Überrascht starrte Aoko die Rose an und ihr Herz begann einen Takt schneller zu schlagen. In ihr keimte ein Verdacht, doch konnte es wirklich sein? Woher wusste er, dass sie im Krankenhaus lag und in welchem?

„Das wissen wir nicht. Wir haben sie nur für Sie aufbewahrt.“ Die Schwester ging noch kurz zu Ran, prüfte irgendwas am Bett und ging wieder hinaus.

Kazuha setzte sich zu Ran aufs Bett, mit Blick auf Aoko und die schöne rote Rose. „Oh, wie romantisch. Hast du denn gar keine Ahnung von wem die sein könnte?“

Aoko blickte zwischen den Mädchen hin und her. Auch in Rans Augen entdeckte sie das Funkeln. Beide Mädchen waren definitiv neidisch, denn ihnen hatte noch nie ein Junge eine Rose geschenkt. „Ich weiß es wirklich nicht“, antwortete Aoko. Das sie vermutete, dass Kaito dahinter steckte verschwieg sie. Auch wenn sie es hoffte, glauben konnte sie nicht daran. Er war doch jetzt mit Ai befreundet und brauchte sie nicht mehr.

„Ein heimlicher Verehrer“, schwärmte Kazuha. „Wie romantisch.“

„Weiber“, fauchte Heiji genervt. Er saß auf dem Besucherstuhl und hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Ihm war nicht entgangen, dass Kazuha glänzende Augen beim Anblick der Rose bekam.

„Was heißt hier Weiber?“, sprang Kazuha sofort auf seine Beleidigung an. „Immerhin beweist es, dass diese Welt auch noch von Gentleman bewohnt wird und nicht nur von Idioten.“

Heiji funkelte sie wütend an. „Soll das etwas heißen, dass ich kein Gentleman bin?“

„Du hast mir noch nie eine Rose geschenkt“, hielt sie ihm vor.

„Ein Gentleman schenkt auch nur einer Lady rote Rosen. Ich sehe hier aber keine Lady.“

Kazuha ballte ihre Hände zu Fäusten und sprang vom Bett auf. „Du bist ein Idiot, Heiji Hattori!“

„Selber Idiot“, knurrte der gebräunte Japaner.

Conan lächelte verlegen, doch als ihm Rans Blick auffiel, der auf der Rose haftete, wurde seine Mimik traurig. Warum war er nicht selbst darauf gekommen ihr wenigstens Blumen zu schicken, wenn er sich schon als Shinichi nicht blicken ließ. Er gehörte definitiv auch zu der Sorte Idiot.

Aoko lauschte dem Streit, allerdings rief dieser auch Erinnerungen wach. Sie und Kaito stritten sich auch oft und trotzdem verstanden sie sich und waren beste Freunde. Ihre Augen schweiften zur Rose. War sie wirklich von Kaito oder wünschte sie es sich so sehr, dass sie es sich schon einzureden versuchte?

Es klopfte an der Zimmertüre und ein blonder Oberschüler trat ein. Sein Gesicht war ganz blass, er wirkte übermüdet, als hätte er in der letzten Nacht kein Auge zugetan.

Von seinem Erscheinen verstummten Kazuha und Heiji schnell wieder und betrachteten den fremden jungen Mann aufmerksam. Langsam war der Raum mit Besuchern gut gefüllt.

Aoko betrachtete ihren Mitschüler mit einem Lächeln auf den Lippen. Dass er sie so schnell besuchen kam, hatte sie nicht erwartet und trotzdem freute sie sich über sein Erscheinen. „Saguru.“

„Schön zu sehen, dass es dir gut geht, Aoko“, ein erleichtertes Lächeln trat in sein Gesicht. „Ich hab es nicht eher geschafft zu kommen. Hier“, er zog einen Blumenstrauß hinter seinem Rücken hervor. „der ist für dich.“

Überrascht starrten alle auf den bunten und frühlingshaften Strauß.

„Das ist ein Gentleman“, schwärmte Kazuha begeistert und Ran nickte mit einem breiten Lächeln auf den Lippen.

Heiji und Conan taxierten den Oberschüler mit finsterem Blick, der irritiert und fast ein wenig hilflos zu Aoko sah. Diese kicherte amüsiert.

Aufschlussreicher Besuch

Kaito und Ai gingen gemeinsam die Treppe hinab um gemeinsam zum Krankenhaus zu gehen. Sie wollten eben in ihre Schuhe schlüpfen, als die Tür bereits geöffnet wurde eine Japanerin mit kurzem braunen Haar eintrat. Sie trug eine Sonnenbrille auf der Nase und zog zwei Koffer hinter sich her. Als die Frau ihren Sohn entdeckte, strahlte sie. Sofort ließ sie ihre Koffer stehen und stürmte auf den Oberschüler zu und schloss ihn fest in die Arme. „Kaito, mein Junge, schön dich wieder zu sehen!“ Sie erdrückte ihn fast und wollte ihn nicht mehr los lassen. So lange hatten sie einander nicht mehr gesehen.

Sicher freute Kaito sich, dass seine Mutter wieder zurück war, aber von ihr geknuddelt zu werden, gefiel ihm nicht sonderlich. Immerhin war er fast erwachsen. Kein Junge in seinem Alter wollte solch eine Nähe zu seiner Mutter. Unsicher tätschelte er ihren Rücken und grinste verlegen. „Hallo Mom, schön dass du wieder hier bist.“

Langsam aber nur ganz langsam löste sich die Frau von ihrem Sohn und entdeckte erst jetzt das unbekannte Mädchen an seiner Seite. Überrascht musterte sie die Kurzhaarige, aber dann lächelte sie freundlich und reichte ihr die Hand zur Begrüßung. „Ich bin Chikage, Kaitos Mutter.“

„Guten Tag, mein Name ist Ai Kisugi.“ Erfreut nahm die Braunhaarige die Hand der fremden Frau an und betrachtete sie eingehend. Wie sie sich schon gedacht hatte kam Kaito ganz nach seinem Vater. Aber Frau Kuroba war sehr nett, freundlich, aufgeschlossen und sympathisch. Es freute die junge Diebin Kaitos Mutter kennen zu lernen.

„Oh, wie schön ist es wieder hier zu sein. Kaito, hilfst du mir bitte mit den Koffern?“, plapperte Chikage Kuroba sofort los und ging auf Ai zu. Sanft umschloss sie die Schultern des Mädchens und schob sie nachdrücklich ins Wohnzimmer zur Couch. „Setze dich schon mal, ich koche uns noch schnell eine Tasse Tee.“

Kaito blieb im Flur stehen und verzog missmutig das Gesicht. Er hob einen Koffer an, ging dabei fast in die Knie, weil dieser so schwer war, dann stemmte er auch noch mit aller Kraft den anderen Koffer hoch. Er würde die schweren Gepäckstücke erst einmal ins Obergeschoss tragen. Auch wenn er es sich nicht gerne eingestand, so war er froh, dass er einer Begegnung mit Aoko ausweichen konnte. Zu groß war die Angst, dass sie ihn aus dem Zimmer werfen würde und nie wieder etwas mit ihm zu tun haben wollte.

Chikage trat mit einem Tablett aus der Küche. Drei Tassen, eine Kanne, und ein Teller mit Gebäck, balancierte sie auf dem Tablett. Kaito trat zeitgleich ins Wohnzimmer. „Sag mal, Schatz, wann bist du zuletzt einkaufen gewesen?“

Der junge Zauberer überlegte, aber er konnte es nicht mehr genau sagen. „Jii geht ab und zu einkaufen. Wieso fragst du?“

„Hast du überhaupt schon mal in den Kühlschrank gesehen? Der ist leer. Nichts mehr da.“ Sie taxierte ihren Sohn mit einem strengen Blick. „Ich sehe schon, wir werden heute Abend essen gehen.“

Wie ein kleiner gescholtener Junge zog Kaito den Kopf ein. Nun wo seine Mutter wieder im Haus war, würde er nicht mehr solch ein Lotterleben führen wie bisher. Die beiden Kurobas setzten sich zu Ai auf die Couch und Chikage schenkte jedem eine Tasse Tee ein. „Und nun erzählt mal, was in meiner Abwesenheit passiert ist.“ Dabei sah die Frau ihren Sohn und das fremde Mädchen an und es war klar, dass sie einige Erklärungen erwartete. Immerhin schien ihr Sohn eine Freundin zu haben, die in diesem Haus ein- und ausging und damit meinte sie nicht Aoko.

Kaito und Ai berichteten von allem was ihnen einfiel, danach kamen sie auf Chikages Geschäftsreise mit anschließendem Urlaub zu sprechen. Die drei unterhielten sich bis zum Abend. Als Chikage mit Kaito zum Essen ausging, verabschiedete sich Ai und kehrte selbst nach Hause zurück.
 

Der Samstag ging unspektakulär zu Ende und auch am Sonntag passierte nichts. Außer das Heiji und Kazuha zurück nach Osaka mussten, aber versprachen am nächsten Freitag wieder zu kommen.

Conan, Mori und Nakamori verbrachten den Sonntag im Krankenhaus bei den beiden verletzten Oberschülerinnen.
 

Es war Montag, die neue Woche begann. Kaito und Ai betraten zusammen das Klassenzimmer und setzten sich auf ihre Plätze. Dem Magier entging nicht, wie besorgt Hakuba an seinem Platz saß und sich seine Notizen durchblätterte. Sein Blick streifte die Uhr, er hatte noch ein wenig Zeit bis der Lehrer kam. Er stand entschlossen auf und ging zum Platz seines Rivalen, neben dem in den letzten Wochen Aoko saß. Traurig betrachtete er die leere Bank.

Er wusste immer noch nicht, was mit ihr war. Seine Mutter hatte ihn am Sonntag komplett eingespannt. Sie erkundigte sich nach Aoko, aber er brachte es nicht fertig ihr die Wahrheit zu sagen. Schon allein aus dem Grund, dass sie ihn in die Klinik geschleift hätte, was er unbedingt vermeiden wollte. Somit speiste er sie mit einem allgemeinen 'gut' ab und ging gar nicht weiter auf dieses Thema ein.

Yoko und Keiko drängten sich an ihm vorbei und bauten sich vor Saguru Hakuba auf. „Wo ist Aoko? Sie kam nicht zum Kino und zu Hause ist seit Samstag auch niemand erreichbar“, forderte Keiko eine Erklärung von dem Detektiv.

Yoko nickte besorgt: „Und an ihr Handy geht sie auch nicht, weißt du etwas Saguru?“

Er sah nicht auf, starrte einfach nur auf seine Notizen.

Keiko drehte sich Kaito zu. „Kannst du uns helfen? Zuerst waren wir wütend, dass sie ohne abzusagen einfach nicht gekommen ist, aber dann machten wir uns Sorgen ob ihr etwas passiert sein könnte.“

Kaito wusste wo Aoko zu finden war, aber wenn er es jetzt erzählte, hatte er Erklärungsnot.

„Du weißt es doch, Kaito, richtig? Immerhin hast du es, wie auch ich, am Freitag erfahren.“ Hakuba blickte auf und seine Augen blitzten herausfordernd.

Verwirrt spürten die Mädchen die plötzliche Spannung.

„Ich hab keine Ahnung, Hakuba“, wich Kaito gleichgültig aus. „Ich weiß nicht, wo du gewesen bist, aber ich war zu Hause.“

„Das ich nicht lache“, fauchte der Detektiv. Seine Hand, in der er den Stift hielt ballte sich zur Faust. „Du hast keine Zeugen, Kid!“

Keiko schnappte nach Luft. Das war ihr neu. Auch Yoko hielt erstarrt inne und versuchte die Bedeutung zu verstehen.

Kaito rollte genervt mit seinen Augen. „Ich bin nicht, Kid! Das hab ich dir schon tausendmal gesagt. Hör auf mich immer mit diesem Dieb in Verbindung zu bringen.“ Nach einem kurzen Blick zu seinen Mitschülerinnen, seufzte er: „Siehst du was du anrichtest? Du verschreckst die Mädchen.“

Hakuba stand auf. „Ich werde es schon noch beweisen, dass du der Meisterdieb 1412 bist. Verlass dich drauf.“

Ai tauchte plötzlich neben dem Teilzeitdieb auf und schüttelte wütend den Kopf. „Hör auf so einen Blödsinn zu verzapfen. Wenn du es wissen willst, ich war bei ihm.“

„Aber doch nicht die ganze Nacht“, erwiderte Hakuba höhnisch.

„Doch, Herr Detektiv. Aber mehr geht dich wirklich nichts an“, erwiderte Kaito, schnappte sich Ais Hand und zog sie zurück zu ihrem Platz.

Yoko, Keiko und Hakuba starrten ihnen verwirrt nach.

Erst als Kaito wieder auf seinem Platz saß, wurde ihm bewusst, was er da eben behauptet hatte. Er stützte seine Ellbogen auf dem Tisch und vergrub sein Gesicht in den Händen. Aoko würde ihn zu Brei schlagen, ihn hassen, wahrscheinlich sogar verachten. Was hatte er denn da bloß wieder angestellt.

Ai selbst zu perplex von dieser Behauptung spürte die Blicke sämtlicher Klassenkameraden auf sich und hörte viele tuscheln. Scheinbar hatte es jeder, wirklich jeder mitbekommen. Besonders stechend waren die Blicke von Aokos Freundinnen. Sie traute sich kaum in die Gesichter der Mitschüler zu sehen. Sie machte sich so klein es ging und hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Wo hatte er sie denn da nur reingeritten?! Aber sie würde schweigen, denn sie war sein Alibi.

Herr Mikami, der Chemielehrer, betrat den Raum. Seine Miene zu einer ernsten Fratze verzogen. Er wartete bis alle Schüler auf ihren Plätzen saßen. Statt mit dem Unterricht zu beginnen, legte er die Bücher beiseite und lehnte sich an das Lehrerpult.

Verwundert beobachtete die Klasse das seltsame Verhalten, dennoch warteten die Schüler leise ab.

Schon sprach der Lehrer das aus, was er selbst eben bei der Morgenbesprechung im Lehrerzimmer erfahren hatte.

„Es gibt eine traurige Nachricht“, begann er leise. Zum ersten Mal hatte er wirklich das Interesse und die Aufmerksamkeit der gesamten Klasse. Die Lage war zu ernst, als das er darüber hätte schmunzeln können. „Vielleicht ist es euch schon aufgefallen, dass der Platz neben Saguru leer ist. Das liegt daran, dass Aoko am Freitagnachmittag angeschossen wurde.“

Kaito wurde aus seiner Lethargie gerissen. Angeschossen? Wieso schoss man auf Aoko?

„Zum Glück wurde sie rechtzeitig gefunden und in die Klinik eingeliefert. Inzwischen ist sie auch außer Lebensgefahr, aber sie wird noch einige Wochen in der Klinik bleiben.“ Der Lehrer blickte in die vielen betroffenen und besorgten Gesichter. Einige der Mädchen waren so erschüttert, dass sie sogar leise schnieften und ein paar Tränen vergossen.

„Man weiß noch gar nichts. Die Polizei tappt noch völlig im Dunkeln. Der Schütze ist unbekannt, der Grund ist unbekannt. Es ist noch nicht einmal klar, ob der Anschlag gezielt auf Aoko ausgeübt wurde, oder ob sie einfach nur durch einen unglücklichen Umstand in die Schusslinie geriet. Bisher hat sich auch noch kein Zeuge gemeldet.“

Akako meldete sich. Sie war ungewöhnlich blass, also hatte diese Nachricht selbst die Hexe erschüttert. Obwohl sie und Aoko nie besonders gute Freundinnen waren. „Dürfen wir sie besuchen?“

„Ja, das dürft ihr, aber nicht alle auf einmal.“ Herr Mikami nickte. „Ich bin der Meinung, dass wir einen Plan machen und uns in kleine Gruppen aufteilen. Jeder geht sie dann an einem Wochentag besuchen. Die Gruppen sollten aus maximal sechs Schüler bestehen.“

Yoko und Keiko würden Aoko gleich heute nach der Schule besuchen. Akako und noch eine Schülerin namens Hiromi, sowie Saguru wollten ebenfalls mitkommen.

Dann teilten sich die restlichen Schüler auf.

Kaito und Ai enthielten sich der Planung und bis auf ein paar kopfschüttelnde Blicke sagte auch keiner etwas. Alle waren noch von der Neuigikeit am Morgen überrascht, denn immerhin galten die besten Freunde, Aoko und Kaito, als das perfekte Pärchen der Klasse und viele vermuteten, dass beide einfach zu stolz waren sich ihre Gefühle einzugestehen. Nun, da Kaito und Ai offiziell zusammen waren, ernteten sie Skepsis, Misstrauen und von Aokos Freundinnen Verachtung.

Statt Chemie zu starten unterhielt sich der Lehrer mit seinen Schülern. Die allgemeine Thematik über Waffenbesitz, Kriminalität und selbst über die Yakuza wurde eifrig diskutiert.

Erst zum nächsten Fach begann für die Klasse der Unterricht.
 

Yoko, Keiko, Akako, Hiromi und Saguru gingen gemeinsam nach der Schule in die Stadt und besorgten für ihre Freundin und Mitschülerin Schokolade. Jeder von ihnen hasste Krankenhäuser und bemitleidete die Freundin. Sie erhofften Aokos Aufenthalt ein wenig versüßen zu können. Dann gingen sie gemeinsam zum Stadtkrankenhaus und standen bald vor Aokos Zimmertüre.

Saguru klopfte höflich an und betrat als erster den Raum. Seine Augen betrachteten Ran, die zu ihrer Bettnachbarin hinüber sah. Beide kicherten verhalten. Auch die Mädchen traten ein und stürmten auf das Bett ihrer Freundin zu. „Wenn du schon wieder lachen kannst, dann muss es dir besser gehen“, begann Keiko stürmisch zu schlussfolgern und drückte ihrer Freundin ein Küsschen auf die Stirn. Erst dann drehte sie sich Ran zu. Erstaunt blickte sie zwischen ihrer Freundin und der Braunhaarigen hin und her, dann riss sie sich zusammen und ging zu ihr. „Ich bin Keiko, Aokos Freundin.“

„Freut mich, ich bin Ran“, antwortete die Mori.

Keiko war überrascht, da sie viel von Ran gehört aber sie noch nie gesehen hatte,

Auch Yoko fiel ihrer Freundin stürmisch um den Hals und sie winkte kurz zu Ran hinüber. „Mein Name ist Yoko. Das ist ja ein Zufall, dass ihr auch noch im selben Zimmer seid.“

Aoko blickte zu Ran hinüber und lächelte. „Das hat Doktor Chiba veranlasst. Er war in der Notaufnahme als Ran ihren Autounfall hatte und mich hat er auch operiert. Er wusste, dass wir uns kennen.“

Erst jetzt traten auch Hiromi und Akako näher. Aoko sah man die Überraschung an, dennoch begrüßte sie ihre Mitschülerinnen freudig.

„Aoko, schön, dass es dir gut geht“, begrüßte Hiromi die Mitschülerin.

Akako schüttelte tadelnd nur ihren Kopf und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Was du auch immer wieder anstellst.“

Aoko freute sich wirklich über den Besuch. Mit Hiromi hatte sie zwar nie besonders viel zu tun gehabt und mit Akako war es das gleiche. Wobei Akako immer darauf bedacht war, wenig Kontakt zu Aoko zu haben. Die Angeschossene wollte sich gerne etwas aufrichten, aber ihre Wunde schmerzte dafür noch zu sehr. Darum blieb sie liegen. „Das ist ja nett, dass ihr mich besuchen kommt.“

„Wir sind nur die Vorhut“ grinste Akako. „Die anderen kommen in den nächsten Tagen.“

„Nur Kaito wird nicht kommen“, mischte sich plötzlich Hiromi ein. Sie blickte Aoko an und beugte sich leicht vor. Dabei hob sie ihren Zeigefinger. „Wusstest du schon, dass Kaito und Ai zusammen sind?“

Aoko schluckte überrascht. Eigentlich hätte sie es sich denken können. Die beiden waren unzertrennlich.

Yoko warf Hiromi einen wütenden Blick zu. „Ist doch egal. Es gibt wichtigeres worüber wir reden können.“

Ignorant verschränkte Hiromi ihre Arme vor der Brust. Herausfordernd blickte sie Yoko an. „Ich finde DAS ist wichtig. Immerhin haben sie schon miteinander geschlafen.“

Aoko fühlte sich, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen. Soweit waren sie also schon...

Ran riss schockiert ihre Augen auf, ehe sie besorgt zu Aoko sah.

Akako und Keiko sagten nichts. Dafür explodierte Yoko. „Hiromi! Das hätte nicht sein müssen!“

Selbst Saguru mischte sich jetzt ein. Er glaubte Kaito nicht, denn er war der festen Überzeugung dass dieser Kid war. Für ihn stand fest, dass nichts wahres an den Behauptungen dran war. „Es ist nicht bewiesen. NUR weil er es sagt heißt das noch lange nicht, dass es auch wirklich stimmt!“

„Er hat es gesagt?“, hakte Aoko nach. Ihr Herz zersprang erneut in tausend Stücke. Hatte sie geglaubt bei ihrer Trennung wäre es bereits auseinander gerissen worden, so wurde sie jetzt eines besseren belehrt.

Alle schwiegen. Akako sah die Schulkollegin lange an. Sie sah die Schmerzen, wobei sie nicht wusste ob es von der Nachricht oder von der Wunde kam. Zögernd bestätigte sie alles: „Er hat es heute morgen vor der ganzen Klasse gesagt. Alle haben es gehört.“

Aoko zwang sich zu einem Lächeln. Auch wenn ihr in diesem Moment zum Heulen war. Ihre Wunde begann wieder heftigst zu schmerzen. „Kaito ist ein Idiot, aber das wissen wir ja alle schon seit Jahren.“ Die Schmerzen wurden stärker, raubten ihr die Luft zum Atmen und trieben ihr die Tränen in die Augen.

Saguru reagierte sofort, als er sah wie blass das Mädchen plötzlich wurde. Sofort drückte er den roten Notknopf und strich Aoko beruhigend über die Stirn.

„Es tut so weh“, jammerte sie mit zusammengebissenen Zähnen und krümmte sich zu ihrer verletzten linken Seite.

„Aoko“, Ran wollte am liebsten aufstehen und zu ihr rüber gehen, aber sie konnte sich selbst nicht bewegen.

Die Schwester kam nicht.

Keiko setzte sich in Bewegung. „Ich geh sie holen!“ Und schon stürmte sie auf den Flur zum Schwesternzimmer.

Yoko funkelte Hiromi wütend an. „Das ist deine Schuld. Warum musstest du sie auch so aufregen? Du weißt doch, dass Kaito und Aoko gut befreundet sind!“

„Ich konnte ja nicht wissen, dass sie so reagiert“, wies Hiromi die Schuld sofort wieder von sich.

Endlich kam Keiko mit einer Schwester und einem Arzt im Gepäck zurück.

Die Schüler machten Platz und warteten ab.

Der Arzt leuchtete in Aokos Augen und fühlte nach ihrem Puls.

Die Schwester schob die junge Patientin behände auf den Rücken zurück.

„Es tut so weh“, keuchte die braunhaarige Oberschülerin und wollte sich wieder krümmen, aber der feste Griff der Schwester ließ es nicht zu.

Schnell war ein Schmerzmittel in einer Spritze aufgezogen und der Arzt injizierte ihr das Medikament. „Die Schmerzen sind gleich vorbei“, beruhigte er seine Patientin. Dann drehte er sich den Besuchern zu. „Es ist besser, wenn ihr für heute nach Hause geht. Kommt morgen wieder.“

Alle nickten betroffen und nach einem Wort des Abschieds verließen die fünf Oberschüler ihre Klassenkameradin.

Schlimmer Verdacht

Die Tage der Woche vergingen. Jeden Tag bekam Aoko Besuch von fünf bis sechs Klassenkameraden, aber keiner von ihnen sprach dieses besonders heikle Thema nochmal an.

Am Samstag kehrte dann auch keine Ruhe im Krankenzimmer ein. Yoko, Keiko, Kazuha, Heiji, Conan und Sonoko waren zu Besuch. Kazuha und Sonoko saßen auf Rans Bett ihnen gegenüber Yoko und Keiko auf Aokos Bett. Die Jungs hatten sich auf die Besucherstühle gesetzt. Eine lebhafte Diskussion war entstanden, welche der Schulen eigentlich besser war. Die Teitan Oberschule oder das Ekota Gymnasium.

Wobei Kazuha sich enthielt und Ran, wie auch Aoko, sich ebenfalls aus der Diskussion raus hielt.

Conan beobachtete die vielen Mädchen genervt und fragte sich, wie Frauen es untereinander nur über mehrere Stunden miteinander aushalten konnten. Zwischen den Mädchen entstand langsam ein richtiger Zickenkrieg. Und ihm schmerzte bereits der Kopf von dem wilden Geplapper. Er stand auf und ging auf Ran zu. „Sag mal, Ran, am Dienstag ist dein Geburtstag. Wollen wir nicht hier eine kleine Feier machen?“, unterbrach er dreist die schwatzenden Mädchen.

Überrascht hielten alle inne, doch schon drehte sich Keiko zu ihrer Freundin. „Richtig, da hast du auch Geburtstag.“

„Ihr habt am selben Tag Geburtstag?“, hakte Kazuha überrascht nach.

„Und ihr werdet beide achtzehn Jahre alt?“ Heiji betrachtete die Mädchen aufmerksam.

Ran und Aoko sahen sich an. Beide nickten.

„Ist doch ein komischer Zufall“, stutzte Yoko. Alle sahen zu Aokos Schulfreundin. Diese betrachtete erst Ran, dann Aoko und dann wieder Ran. „Ihr seht euch so ähnlich, seid gleich alt und habt noch am gleichen Tag Geburtstag.“

Conan und Heiji tauschten einen bedeutungsvollen Blick. Beide hatten den selben Gedanken.

„Seid ihr beide in dieser Klinik zur Welt gekommen?“, hakte Heiji erneut nach. In diesem Moment betraten Kogoro Mori, wie auch Ginzo Nakamori den Raum. Heijis Frage hatten beide Männer gehört. Zeitgleich antworteten sie: „Ja.“ Verwirrt über diese Versammlung von Schülern blieben die Väter an Rans Bett stehen.

„Das ist doch schon seltsam“, murmelte Conan gedankenversunken.

„Hast du nicht Blutspenden müssen, weil du so eine seltene Blutgruppe hast?“ Kazuha sah ihre Freundin an.

„Ja, ich habe AB Negativ“, nickte Ran.

Aoko staunte. „Ich auch. Moment mal, du hast mir Blut gespendet? Vielen Dank, Ran.“

Ran nickte lächelnd. „Du musst dich nicht bedanken. Ist doch selbstverständlich.“

„Nein, so etwas ist nicht selbstverständlich“, beharrte Aoko. Es war ihr unangenehm, was dieses Mädchen schon alles für sie getan hatte und sie selbst konnte nichts zurückgeben.

Conan und Heiji betrachteten die beiden Mädchen aufmerksam. Die beiden Detektive sahen sich entschlossen an. Der Detektiv im Körper eines Kleinkindes stellte fest: „Weltweit hat nur ein Prozent der Weltbevölkerung diese Blutgruppe. Onkelchen, welche Blutgruppe hast du?“

„Äh... ich weiß gar nicht“, überlegend kratzte sich Kogoro am Kinn.

Ginzo hingegen erstarrte. Lange betrachtete er seine Tochter und das Mädchen, welches ihr so ähnlich sah.

„Und Sie, Herr Kommissar?“ Heiji wandte seinen Blick auf Nakamori, aber er schwieg.

Alle sahen den verstummten Kommissar an.

„Papa?“

„Meine Frau und ich sind beide 0 Positiv.“

Wieder ein Blick zwischen den Detektiven. Sie verstanden sich, wie so oft, ohne Worte. Heiji übernahm das Reden. „Wenn zwei Personen 0 Positiv haben, kann daraus nie eine Blutgruppe AB Negativ entstehen.“

Alle hielten die Luft an.

„Das bedeutet?“, fügte Aoko ängstlich fragend hinzu. Ein ganz komisches Gefühl breitete sich in ihr aus.

„Das bedeutet...“, wiederholte Heiji und sah erneut zu Conan, dem das Ausmaß bereits bewusst war.

„Das bedeutet, dass ich nicht dein Vater sein kann.“ Ginzo Nakamori senkte seine Augen. Darum hatte er nie eine äußerliche Ähnlichkeit zu seiner Frau gesehen. Darum gab es auch keine Ähnlichkeit zu ihm.

Eine zum Zerbersten gespannte Stille trat in den Raum ein. Keiner wusste, was er sagen sollte.

Irgendwann ertönte ein leises Schluchzen.

Keiko und Yoko drehten sich sofort zu ihrer Freundin und versuchten ihr Trost zu spenden.

„Aber du bist mein Vater. Wer sonst sollte mein Vater sein?“ Mit großen traurigen und tränenden Augen sah sie zu dem Mann, der sie fast achtzehn Jahre lang aufgezogen hatte, sie geprägt und sich um sie gekümmert hatte.

Mori betrachtete das Mädchen. Er war so blass wie die Wand geworden. Auch er schien die Informationen verarbeitet zu haben. „Ich.“

Ran und Aoko starrten Kogoro Mori fassungslos an. „Was?! Was redest du da, Paps? Aoko könnte deine Tochter sein? Soll das heißen du hast Mama betrogen?“

Alle Augen waren auf den Privatdetektiv gerichtet, der wankend zum nächsten Stuhl ging und sich erst einmal setzte. Zu viele Erinnerungen überrannten ihn. Es waren schmerzhafte Erinnerungen von einem Tag, der so lange zurück lag. Er sammelte sich wieder und blickte seine Tochter an. „Ich habe deine Mutter nicht betrogen.“

Ran funkelte ihn finster an.

Nun glitten seine Augen zu Aoko und betrachteten sie lange. Nach einer ganzen Weile begann Rans Vater zu erzählen. „Eri und ich erwarteten Zwillinge. Zwei Mädchen.“ Er schluckte, musste erst seine brüchige Stimme wieder festigen. „Die Geburt dauerte sehr lange und am Ende gab es noch Komplikationen. Es lief auf einen Kaiserschnitt hinaus. Die Hebamme kam zu uns und teilte uns mit, dass eines unserer Kinder es nicht geschafft hatte. Es war tot auf die Welt gekommen.“

Ein schlimmer Verdacht keimte in Conan auf. Sein Blick glitt zu Kommissar Nakamori, dem scheinbar auch ein Licht aufging, denn dieser wurde schlagartig weiß wie die Wand. Er reagierte schnell und ging zum Kommissar. „Setzen Sie sich lieber.“

Sofort brachte auch Heiji einen Stuhl zu Nakamori und dieser ließ sich darauf sinken.

„Papa?“, hauchte Aoko besorgt. Am liebsten wäre sie aufgestanden und zu ihm gegangen. Sie wollte Ginzo in ihre Arme schließen und ihm sagen, dass alles nicht wahr sein konnte. Sie war SEINE Tochter, gebürtige Nakamori. Das alles hörte sich doch an, wie in einem schlechten Film. Niemals konnte es wahr sein. Keiko und Yoko verstärkten den Druck an ihren Händen und vermittelten ihr, dass sie nicht allein war.

Ran hingegen war zu geschockt. Sie starrte ihren Vater an, musste die Informationen verarbeiten. Langsam sah sie zu ihrer Bettnachbarin hinüber. „Ich habe eine Zwillingsschwester und keiner von euch hat mir das jemals gesagt?“

Kogoro zog den Kopf ein. „Wir hielten sie für tot. Daher haben wir nie von ihr gesprochen.“ Er blickte unsicher Ran in die Augen. „Es war falsch dir nichts von ihr zu erzählen.“

„Allerdings“, fauchte die Braunhaarige wütend. Oh, wenn sie doch aufstehen könnte, sie würde irgendwas kurz und klein schlagen.

Heiji mischte sich ein. Wesentlich neutraler, als alle Anwesenden es sein konnten. „Ich schlage vor, dass wir uns mit dem Klinikchef unterhalten und die alten Akten durchsehen. Irgendwo muss ja die Hebamme notiert sein. Dann werden wir die Frau hierher bestellen und lassen uns aufklären.“

Kazuha nickte und auch Sonoko stimmte zu: „Das ist wirklich eine gute Idee. Erst dann wissen wir die Wahrheit. Alles andere ist im Moment Spekulation.“ Die besorgten Blicke ruhten auf Aoko.

„Ich schlage vor, dass ich den Zwerg mitnehme“, verkündete der gebräunte Oberschüler.

Conan verzog beleidigt das Gesicht. Er hasste es, wenn der Detektiv aus Osaka ihn Zwerg nannte.

Mori stand auf. „Ich werde mit kommen. Herr Nakamori, ich glaube es ist besser, wenn Sie auch mitkommen.“

Ginzo sah zum ersten Mal seit langem auf und nickte leicht. Auch er stand auf. Während die Männer ihrem Vorhaben nachgingen, blieben die Mädchen schweigend zurück.

Die Stille war unerträglich. Jetzt hieß es abwarten, bis die Detektive etwas herausfanden.

Suche nach den Wurzeln

Sie standen vor der Tür des Chefarztes in der Abteilung Gynäkologie und Geburtenstation. Heiji klopfte an und öffnete sogleich die Türe. Vor ihm war der Empfang. Als er eintrat sah er wie rechts ein Flur weiterführte.

Eine ältere Dame mit einer Brille auf der Nase, die Haare zu einem Dutt zusammengebunden, blickte auf und begrüßte den jungen Mann verwirrt, dennoch mit einem Lächeln auf den Lippen. „Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?“ Erstaunt sah sie wie auch zwei ältere Herren und ein kleiner Junge eintraten.

Heiji lehnte sich lässig mit einem Arm auf den Tisch und beugte sich etwas zu ihr vor. „Guten Tag. Mein Name ist Heiji Hattori und ich bin Schülerdetektiv! Wir müssen mit dem Chefarzt sprechen. Es ist sehr dringend. Können wir gleich zu ihm?“

Die Frau verzog mürrisch ihr Gesicht. „Professor Ishikawa befindet sich in einer Besprechung. Worum geht es denn?“

„Das möchten wir mit ihm persönlich besprechen“, erwiderte Heiji.

Lange betrachtete die Frau ihre Gegenüber. Doch dann schüttelte sie ihren Kopf. „Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht helfen.“

„Wie Sie möchten“, mischte sich Ginzo Nakamori ein. Seine Stimme klang immer noch ungewohnt belegt, dennoch schwang Wut im Unterton mit. „Wir können das auch gerne hier besprechen. Um die Wahrheit zu sagen, es betrifft ihre Entbindungsstation und sie steht unter Verdacht einen skandalösen, schwerwiegenden Fehler bei zwei Geburten gemacht zu haben.“

Die Frau ließ sich von dem Mann mit kurzem, schwarzem Haar nicht beeindrucken. „Das glaube ich kaum. Unsere Klinik macht keine Fehler. Wir sind immer sehr darauf bedacht, dass alles nach Vorschrift und mit rechten Dingen zugeht.“

„Hören Sie, Fräulein“, endlich kam Nakamori wieder zu sich und seine Stimme wurde wieder fester. Fast klang er so, wie bei einem Einsatz gegen Kid. Seine Augen blitzten vor Wut. „Wir können es auf die sanfte oder auch harte Tour machen!“

Die Frau ließ sich auch von dieser Drohung nicht einschüchtern. „Ich rufe jetzt den Sicherheitsdienst“, antwortete sie sauer. Sie griff zum Telefonhörer und wollte soeben wählen, als in diesem Moment ein älterer Herr mit leicht ergrautem dunklem Haarschopf zu ihnen trat. Sein langer weißer Kittel war offen, in der Brusttasche steckte ein vergoldeter Kugelschreiber. Er trug eine schwarze Hornbrille auf der Nase und seine Hände steckten in den Taschen des Kittels. Auf seinem angenähten Namensschild stand Prof. Ishikawa. „Gibt es ein Problem?“

Kogoro Mori drehte sich dem Mann zu und nach einem Blick auf dessen Namensschild baute er sich wütend vor ihm auf. „In der Tat, denn das gibt es wirklich.“

Der Mann betrachtete die zwei Männer, den Oberschüler und den kleinen Jungen. Alle sahen ihn mit ernstem Blick an. „Und welches?“, fragte er irritiert nach.

Wieder antwortete Ginzo, schneller als jemand anderes sein konnte. „Es geht um Ihre Entbindungsstation, zwei Babys wurden vertauscht.“

Entsetzt riss der Chefarzt seine Augen auf, blickte von einem fremden Gesicht in das andere und blieb letztendlich verwirrt bei seiner Sekretärin hängen.

Diese hielt immer noch den Telefonhörer in ihrer Hand, jederzeit bereit die Nummer des Sicherheitsdienstes zu wählen.

„Das kann nicht sein, meine Herren. Sie irren sich.“

Heiji blickte ihn provokant an. „Das möchten wir mit Ihnen persönlich besprechen. Haben Sie jetzt Zeit für uns?“

„Tut mir leid“, wich der Arzt aus. „Ich habe gleich ein Meeting.“

„Das Meeting kann warten“, erwiderte Ginzo wütend.

Kogoro stimmte Nakamori zu. „Ich würde Ihnen dringlichst raten sich mit uns sofort zusammenzusetzen.“

„Sonst was?“, hakte der Professor nach. Auch er schien sich nicht leicht einschüchtern zu lassen.

„Sonst werden wir andere Wege gehen. Kommissar Nakamori kann bei der Polizei Anzeige erstatten und wird die Untersuchung gegen Ihre Klinik leiten, meine Frau ist Anwältin und hat sehr gute Kontakte zu sämtlichen Richtern und Anwälten und ich bin Privatdetektiv. Wenn Ihnen lieber ist, dass wir an die Öffentlichkeit gehen...“, Kogoro drehte sich desinteressiert ab.

Der Professor blickte von einem zum nächsten, verharrte bei jedem Gesicht eine Weile und wägte für sich ab. „Sagen Sie ihnen, dass mir ein sehr wichtiger Termin dazwischen gekommen ist“, sprach er nun zu seiner Sekretärin. An die Männer gewandt, allerdings: „Nun gut, kommen Sie mit mir mit.“ Er führte die Vier durch den langen Flur und schließlich in eines der Büros. Ein großes Fenster war gegenüber der Türe, davor stand ein großer Ahornschreibtisch mit einem Computer und einigen Akten darauf. Rechts neben der Tür standen zwei Sessel und eine Couch.

Professor Ishikawa lotste die Vier Besucher in die Besprechungsecke und setzte sich mit ihnen. „Klären Sie mich auf. Worum geht es hier genau?“
 

Seit Stunden waren sie bereits weg und die drückende Stille war kaum noch auszuhalten. Ran und Aoko verarbeiteten die gesagten Informationen, während die Freundinnen alles daran setzten ein wenig abzulenken und auch ein bisschen aufzumuntern. Doch der Schreck saß tief.

Kazuha lief inzwischen nervös im Zimmer auf und ab.

Aoko hätte es ihr am liebsten gleich getan. Sie wäre gerne aufgestanden und hätte diesen Raum, am besten gleich diese ganze verdammte Klinik verlassen. Sie war nicht die Tochter von ihrem Papa, sondern von einem ihr fremden Mann. Ihre Mama war niemals ihre Mama gewesen. Sondern ihre Mutter, also Rans Mutter, war ihr noch gänzlich unbekannt. Wieso passierte das immer ihr? In letzter Zeit schien sie vom Pech verfolgt zu sein. Was hatte sie nur getan, dass das Leben es so schlecht mit ihr meinte?

Sie sah zum Fenster raus. Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen. Durfte sie nicht einfach einmal glücklich sein?

Sonoko verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Das Warten macht mich ganz kirre.“

„Nicht nur dich“, stimmte Kazuha mit ein und blieb endlich mal stehen. Ihre Augen richtete sie auf Ran und Aoko. „Wollt ihr nicht doch noch einen DNA-Test machen lassen? Damit ihr die Bestätigung auch schriftlich habt?“

Unsicher sah Ran zu ihrer Schwester hinüber, aber Aoko starrte weiterhin zum Fenster raus und kämpfte gegen die Tränen. „Ich weiß nicht“, antwortete sie ihrer Freundin. Für sie war es ein Schock zu erfahren, dass sie eine Zwillingsschwester hatte. Aber wie schlimm musste es erst für Aoko sein zu erfahren, dass ihr Vater gar nicht ihr Vater war, dass sie jahrelang bei falschen Eltern aufwuchs? Ran konnte sich gar nicht vorstellen, wie schrecklich diese Situation für Aoko war.

Keiko und Yoko saßen verstummt bei Aoko. Sie versuchten ihrer besten Freundin beizustehen in dem sie einfach bei ihr blieben. Beide spürten, dass Worte nicht halfen. Besorgt starrte jede von ihnen auf einen Punkt im Zimmer und sie versuchten die Unruhe, die Sonoko und Kazuha im Zimmer verbreiteten, zu ignorieren.

Es klopfte an der Türe und eine Krankenschwester betrat das Zimmer. Freundlich begrüßte sie die Anwesenden. Zuerst ging sie zu Ran, sah bei ihr nach, ob alles noch in Ordnung war, und maß Fieber. Als das Thermometer ihr die normalen Werte anzeigte, lächelte sie freundlich. Bevor sie sich zu Aoko drehen konnte, durchbrach Ran die bedrückende eingekehrte Stille. „Könnten Sie mir Blut abnehmen und etwas für mich prüfen?“

Überrascht hielt die Krankenschwester inne und sah Ran aufmerksam an. „Was möchten Sie denn prüfen?“

„Aoko und ich möchten nur etwas abklären, bezüglich unserer Blutgruppen.“

Die Schwester sah sie lange an, dann schüttelte sie ihren Kopf. „Tut mir leid, aber das muss ich erst mit dem behandelnden Arzt absprechen.“ Sie drehte sich Aokos Bett zu, kontrollierte auch hier diverse Einstellungen und maß bei Aoko auch Fieber. Nicht eine Sekunde wandte die Braunhaarige ihre Augen vom Fenster ab. Sie ignorierte alles um sich herum.

Es klopfte erneut und der Chefarzt Ishikawa trat ein, mit Heiji, Conan, Mori, Nakamori und einer älteren Frau, deren graue Haare streng zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Die ältere Frau trug eine grüne Krankenhaushose mit passendem Hemd.

Die Krankenschwester sah auch bei Aoko, dass diese keine auffälligen Werte hatte, betrachtete aber überrascht den hohen Besuch von der Gynäkologie. Sie schob sich zwischen den Leuten hindurch und verschwand schnell wieder. In ihrem Gesicht schwebten die Fragezeichen, aber sie sagte nichts und ging.

„Papa?“, hakte Ran verwirrt nach über den fremden Besuch.

„Das ist Professor Ishikawa und Hebamme Shizuka“, stellte Kogoro Mori vor.

Heiji blieb in dem kleinen Flur, der zwischen dem Krankenzimmer und der Zimmertüre war, stehen und lehnte sich mit verschränkten Armen seitlich an die Wand.

Conan und Kazuha setzten sich zu Ran und Sonoko aufs Bett.

Nakamori und Mori lehnten sich mit dem Rücken an die längliche Wand, gegenüber der Betten.

Der Chefarzt betrachtete die beiden Mädchen überrascht, die sich wirklich sehr ähnlich sahen, während die Hebamme überhaupt nicht wusste, warum sie hier war. „Ich verstehe nicht, warum Sie mich hierher bestellt haben“, sagte diese auch sofort. „Ich habe Feierabend und würde jetzt doch gerne nach Hause gehen.“

„Sie bleiben hier, denn wir haben einige Fragen an Sie“, bestimmte Heiji barsch.

Sofort drehte sich die Frau zu dem jungen Mann um und rümpfte empört die Nase. „So muss ich nicht mit mir reden lassen und schon gar nicht von einem aufmüpfigen Schüler.“

Kogoro trat nun einen Schritt auf die Hebamme zu. „Wir haben nur einige Fragen an Sie. Wenn Sie kooperieren, kommen Sie auch schnell nach Hause.“

Aoko starrte immer noch zum Fenster hinaus. Sie wollte nichts hören, niemanden sehen und am allerwenigsten es wirklich wahrhaben.

Wütend blitzte Shizuka den Privatdetektiv Mori an, schien sich dann aber doch zu fügen. „Was wollen Sie von mir wissen?“

„Es geht um eine Geburt, die in drei Tagen von vor achtzehn Jahren war. Zwei Frauen lagen gleichzeitig in den Wehen. Eine von ihnen würde Zwillinge bekommen. Sie waren damals die einzige Hebamme, ist das richtig?“

Lange überlegte die Frau. „Wissen Sie eigentlich, wie viele Geburten ich in meinen fünfundzwanzig Dienstjahren hatte? Ich kann mich doch nicht an jede Geburt erinnern.“

„Doch, das glaube ich schon“, mischte Heiji sich plötzlich ein. „Es war nämlich eine ganz besondere Nacht.“

„Was will dieses Kind von mir?“, fauchte Shizuka wütend und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

„Lassen Sie mich einfach mal erklären, was ich glaube“, ignorierte Heiji die Frau und begann seinen Verdacht zu erläutern. „In dieser Nacht waren sie die einzige Hebamme. Zwei Frauen wurden in die Klinik gebracht. Die Zwillingsgeburt verlief nicht normal, es traten Komplikationen auf. Während die Frau mit den Zwillingen für den OP vorbereitet wurde, hatten Sie Zeit sich um die andere Frau zu kümmern. Als das Kind kam, stellten Sie fest, dass es nicht reagierte. Sie nahmen es mit um es ebenso in den OP zu bringen. Sofort stand auch ein Arzt bereit, der sich um das Baby kümmern konnte, während Sie in den OP gerufen wurden um dort die Zwillinge in Empfang zu nehmen.“ Heiji pausierte kurz, betrachtete die Miene der Frau, die ihn wie versteinert ansah. „Es war eine stressige Nacht, drei Babys und Sie ganz alleine, zwischen den Ärzten.“ Er warf einen Blick zu Conan, der die Frau misstrauisch ansah.

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Das erkläre ich Ihnen gerne. Die Zwillinge waren wohlauf und aus Besorgnis um das andere Baby sahen Sie dort nach dem Rechten. Der Arzt, vielleicht noch einer, kämpften um das Überleben, aber erfolglos. Als Sie die Folgen erkannten, kamen Ihnen diese Idee.“

„Pah, das ich nicht lache. Was sollte ich für eine Idee gehabt haben?“

„Lassen Sie mich ausreden, dann erkläre ich es Ihnen“, erwiderte Heiji ungerührt und löste seine Haltung. Langsam ging er auf die Hebamme zu. „Sie überlegten sich, wie beide Familien glücklich werden konnten. Dann hieß es abwarten und ein anderer Notfall zog die Ärzte ab. Sie fälschten die Krankenblätter, legten eines der Zwillinge in sein Bettchen und fuhren mit diesem zu der Familie Nakamori. Dort wurde das Kind von seinen vermeintlichen Eltern empfangen. Danach gingen sie mit dem anderen Zwilling zu der Familie Mori und teilten denen die traurige Nachricht mit, dass eines der Kinder verstorben war.“

„Das ist doch Blödsinn. Absoluter Schwachsinn.“ Die Hebamme stemmte empört die Hände in die Hüften und sah hilfesuchend zu ihrem Chef. „Wie können Sie zu lassen, dass dieser Junge solche Behauptungen aufstellt?!“

Professor Ishikawa blickte von seiner Angestellten zu den beiden Mädchen. „Es liegt ein begründeter Verdacht vor, Shizuka.“ Er sah ihr wieder in die dunklen Augen, die ihn überrascht anblickten. Darum fügte er erklärend hinzu: „Das sind nämlich die Zwillinge von denen die Rede war.“

Erst jetzt wandte sich die Frau den beiden Betten zu und betrachtete jedes der Mädchen eingehend.

Aoko drehte ihren Kopf. Zum ersten Mal sah sie die Frau einfach nur emotionslos an. Diese ältere Dame hatte sie vertauscht, war Schuld daran, dass ihr Leben eine große Lüge war und sie dadurch ihre Wurzeln verloren hatte. Die Oberschülerin war innerlich kaputt, zu keinen Gefühlen in der Lage.

Auch Ran blickte der Frau entgegen, allerdings loderte in ihren Augen der pure Hass.

In den Augen der Hebamme sammelten sich die Tränen, sie wurde kalkweiß und erschrocken wich sie einen Schritt zurück. „Das kann nicht sein“, hauchte sie entsetzt.

„Das ist aber so“, fauchte Ran. „Warum haben Sie es getan?“

Aoko hörte diese unsagbare Wut in der Stimme ihrer Schwester. Sie richtete langsam ihre auf Ran. Selbst aber war sie zu keinen Worten fähig, denn ihre Gedanken kreisten immer noch um die Tatsache, dass sie eine Schwester und ganz andere Eltern hatte.

„Ich... ich...“, die Frau wich zurück, sah einen Stuhl und setzte sich erst einmal hin. „Ich hatte so Mitleid mit der einen Familie. Es war in meinen Augen so unfair. Diese Familie würde kein Kind haben, während die andere Familie mit zwei Kindern gesegnet war.“ Plötzlich begann Shizuka zu schluchzen. „Ich habe viel Zeit mit Frau Nakamori verbracht. Sie freute sich so sehr ihr Kind endlich in den Armen halten zu dürfen. Sie wusste auch schon den Namen. Aoko... Und dann sah ich, wie dieses Mädchen leblos auf die Welt kam. Ich sagte der Mutter, das ich die Kleine gleich untersuchen würde und verschwand aus dem Kreissaal. Dann übergab ich es einem Arzt und musste zur Zwillingsgeburt weiter. Wir hatten Personalmangel und der Arzt, dem ich das Baby in die Hand drückte, wusste nicht von wem das Kind war. Den Namen sollte ich hinterher ins Krankenblatt eintragen. Dann war ich im OP und nahm erst das eine Baby entgegen und nach ein paar Minuten drückte mir die Ärztin das zweite Baby in die Hand. Beide Zwillinge lebten, waren wohlauf.“ Sie sah Heiji an. „Ich habe darauf gewartet, dass sich eine guter Zeitpunkt ergab und habe die Kinder auf den Krankenblättern vertauscht.“

Alle hielten die Luft an, bei diesem Geständnis.

„Das ist skandalös“, hauchte der Chefarzt betroffen. „Ausgerechnet in meiner Abteilung, die als die beste Entbindungsstation in ganz Tokio zählt.“ Er blickte zu den beiden Papas und ahnte bereits, dass dieser Skandal große Folgen mit sich bringen würde. „Wie kann ich Sie dafür entschädigen?“ Er schluckte und meinte jedes Wort ehrlich. „Es tut mir leid, dass Ihnen das widerfahren ist. So etwas darf nicht passieren. Besteht die Möglichkeit einer Einigung?“

Kommissar Nakamori sah sich lange die Hebamme an, ehe er Aoko betrachtete. „Darüber muss ich erst mal in Ruhe nachdenken.“

„Papa?“

„Ich brauche Zeit für mich.“ Mit diesen Worten ging Ginzo Nakamori aus dem Zimmer.

Aoko starrte ihm nach und konnte ihn nicht aufhalten. Endgültig lösten sich Tränen aus ihren Augen und die Wut bahnte sich an. Wütend funkelte sie die Hebamme an. „Sie haben mich vertauscht! Wegen Ihnen weiß ich nicht mehr wo ich hingehöre! Wie konnten Sie mir das nur antun?!“

Shizuka senkte betroffen den Kopf, sagte aber nichts mehr.

Mori sah den Professor an. „Geben Sie uns einige Tage Bedenkzeit. Ich verspreche Ihnen wir werden vorerst nicht an die Öffentlichkeit gehen.“

Erleichterung zog sich über das Gesicht des Chefarztes. „Shizuka, ich möchte Sie sofort in meinem Büro sprechen.“ An alle anderen gewandt, sagte er: „Es tut mir leid.“

„Davon kann man sich auch nichts mehr kaufen“, zischte Sonoko wütend.

Die Hebamme folgte dem Chefarzt aus dem Zimmer.

Kogoro sah lange zwischen seinen Töchtern hin und her. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass Aoko seine Tochter war, SEIN kleines Mädchen. Eri würde aus den Latschen kippen. Eri... Eri? Mit einem Mal riss Mori seine Augen weit auf und wurde plötzlich ganz hibbelig. „Oh nein, ich muss eurer Mutter ja noch Bescheid sagen. Hoffentlich kippt sie bei der Nachricht nicht um.“

Aoko zuckte merklich zusammen.

Ran beobachtete ihre Zwillingsschwester. „Dann solltest du das schnell machen, Paps.“

Yoko und Keiko sahen auf die Uhr. Ihre Eltern sorgten sich bestimmt auch schon, aber sie wollten ihre Freundin auch nicht alleine lassen. „Es ist ganz schön spät geworden“, murmelte Yoko.

Aoko kämpfte gegen die Tränen an. Sie bemerkte die Zerrissenheit ihrer Freundinnen und lächelte aufmunternd. „Ja, das ist es. Ihr solltet nach Hause gehen, nicht das ihr Ärger bekommt.“

„Aber“, begann Keiko, doch Aoko unterbrach sie wieder. „Kein aber, geht nur. Mir geht es gut.“

Zögerlich tauschten die Freundinnen einen Blick aus und verabschiedeten sich.

Sonoko stand auch auf. „Ich kann euch heimbringen. Mein Fahrer steht unten.“

„Fahrer?“

Die Kurzhaarige ignorierte diese Frage, denn Yoko und Keiko würden es sowieso gleich erfahren, und verabschiedete sich ebenfalls. Gemeinsam gingen die Mädchen aus dem Zimmer.

Kazuha begann auch zu gähnen und als sie zum Fenster blickte, sah sie dass es langsam dunkel wurde. „Wir müssen morgen früh wieder nach Hause, da unsere Eltern eine Party schmeißen. Heiji und ich haben Anwesenheitspflicht.“

„Wir kommen bald wieder nach Tokio“, verabschiedete sich Heiji auch.

Conan stand widerwillig auf. „Dann sollten wir jetzt auch gehen.“ Besorgt drehte er sich nochmal Ran zu, dann Aoko.

„Heiji, danke für deine Recherche“, verabschiedete sich Ran mit einem unsicheren Lächeln auf den Lippen.

„Klar, kein Problem. Immerhin bin ich Detektiv.“ Er zwinkerte ihr zu und blickte dann zu Aoko. „Wir werden uns jetzt öfter sehen. Bis zum nächsten Mal.“

Die Angeschossene nickte. Aber seine Worte lösten in ihr eine Welle des Unbehagens aus. Langsam wurde Aoko wirklich bewusst, dass sich ihr Weg im Leben geändert hatte, in vielerlei Hinsicht.

Als die drei auch gegangen waren, lagen Aoko und Ran in ihren Betten und starrten zur Decke. Keine von ihnen sagte etwas, jede hing ihren Gedanken nach.

Nach dem Abendessen durchbrach Ran die Stille. „Ich weiß, dass es für dich sehr schwer ist, aber ich möchte dir eines sagen: Ich bin ehrlich froh, dich als Schwester zu haben.“

Rans Worte lösten eine Flut von Emotionen aus und Aoko drehte ihren Kopf zu ihr und lächelte aufrichtig. „Danke, Ran.“

Auch Ran lächelte und irgendwann an diesem Abend schliefen die beiden ein.
 

***

Am Montag, zwei Stunden vor Mitternacht,

werde ich kommen und den blauen Juwel

des Beika-Museums an mich nehmen.

Gruß Kaitou Kid
 

***

Familiengespräche

Kaito stand in der Türe zur Küche und sah seine Mutter am Esstisch sitzen mit ihrem Handy in den Händen. Überrascht bemerkte er den sorgenvollen Blick, der auf das leuchtende Display gerichtet war. Immer noch verwirrt über die plötzliche Rückkehr seiner Mama, betrat er die Küche und ging zuerst zum Kühlschrank. Er öffnete diesen und holte einen Saft hervor. Der Oberschüler schraubte den Verschluss auf und setzte die Flasche an seine Lippen. Schon trank er einen großen Schluck aus der Flasche.

„Wir haben Gläser“, ermahnte ihn Chikage.

So fixiert wie sie auf ihr Mobiltelefon starrte, hätte er nicht angenommen das sie seine Anwesenheit überhaupt bemerkte. „Was machst du da?“

Chikage legte endlich das Handy beiseite und sah zu ihrem Sohn. „Ich habe mehrmals versucht Aoko zu erreichen. Weißt du warum sie nicht an ihr Telefon geht?“

Kaito riss die Augen auf. Mehrere Fragen stellten sich in diesem Moment. Wie kam seine Mutter dazu Aoko zu kontaktieren, seit wann hatten die beiden Kontakt zu einander und warum sorgte sie sich plötzlich so sehr?

Wieder griff Chikage nach dem kleinen Telefon und drückte wie wild darauf herum.

„Du hast Aokos Nummer?“ Die erste Tatsache, die Kaito sehr verwirrte.

„Ja, natürlich. Meinst du, ich gehe ins Ausland und lass dich unbeaufsichtigt?“

Empört stellte der junge Zauberer die Saftflasche auf die Arbeitsfläche, wobei er soviel Schwung hatte, dass er ein wenig Saft verschüttete. Dieses Malheur entging ihm. „Wie bitte?!“ Er trat wütend einen Schritt auf seine Mutter zu. „Du hast Aoko als meinen Wachhund abgestellt?“

Chikage blickte verdutzt auf. „Wie? Nein, sie hat mir nur einen Zwischenbericht geliefert, wenn du wieder etwas in der Schule angestellt hast.“

Entsetzt darüber, dass seine Mutter mit seiner besten Freundin unter einer Decke steckte, verharrte er plötzlich. Seine Gedanken sortierend, zog er den Kopf ein. Wusste seine Mutter von ihm und Aoko und der Trennung?

Chikage stand nun auf und ging an ihrem Sohn vorbei. Sie sah den verschütteten Saft, schnappte sich einen Lappen und wischte auf. Dann stellte sie die Flasche zurück in den Kühlschrank. Erst als die Türe geschlossen war, durchbrach sie die Stille zwischen sich und ihrem Sohn. „Ich muss dir nicht sagen, dass ich Aoko sehr gerne mag. Sie ist ein gut erzogenes Mädchen und ich mag sie wie eine Tochter.“

„Aoko ist laut, nervig und aufbrausend“, widerlegte Kaito seiner Mutter murrend. Dabei verschränkte er seine Arme vor der Brust.

„Das sind genau die Eigenschaften, die dich von deinem hohen Ross wieder herunter holen. Deinem Ego und deiner Arroganz tut es ganz gut auch mal zurechtgestutzt zu werden. Himmel, du bist inzwischen deinem Vater so ähnlich“, seufzte Chikage.

„Du bist nie laut und aufbrausend ihm oder mir gegenüber gewesen“, erwiderte Kaito, wohl weislich das nervig wegzulassen, denn Mamas hatten diese Art einfach an sich.

„Inzwischen kann ich mich beherrschen. Glaube mir, Aoko wird das mit den Jahren auch noch lernen.“ Sie drehte sich ihrem Sohn ganz zu und blickte das Ebenbild ihres verstorbenen Mannes an. „Ai ist ein nettes Mädchen aber nicht die Frau, die ich mir für dich wünsche.“

„Mama!“

„Ich weiß, es ist dein Leben und ich werde dir nicht in deine Wahl rein reden, aber dennoch möchte ich dir meine Meinung zu diesem Thema sagen. Irgendwann wirst du mal in das Alter kommen und mit einer Frau vor den Altar treten. Ich möchte, dass du wirklich die Richtige auswählst.“

„Mama, dafür ist es noch ein bisschen früh.“ Kaito lief rot an. Ungewollt verabschiedeten sich seine Gedanken in eine Richtung, die ihm überhaupt noch nicht behagte. Er stellte sich als Familienvater von zwei vielleicht drei Kindern vor, die alle eine Mischung aus ihm und Aoko waren. Aoko...

„Sag das nicht, Kaito. Toichi und ich haben uns mit sechzehn Jahren kennengelernt und sofort in einander verliebt. Sobald wir die Schule beendet hatten, entschlossen wir zu heiraten. Ich habe dich mit einundzwanzig bekommen. Dein Papa wurde gerade zweiundzwanzig.“ Chikage seufzte, denn sie spürte, dass der Achtzehn jährige schon gar nicht mehr zuhörte. „Wenn ich doch nur wüsste, ob mit Aoko alles in Ordnung ist.“

Kaito fühlte sich, als hätte ihm jemand Eiswürfel ins Gesicht gedrückt. Es war wirklich an der Zeit die Wahrheit zu sagen. Seine Mutter würde ihm den Kopf abreißen. „Aoko ist im Krankenhaus.“

„WAS?! Seit wann, warum sagst du nichts?“

Er sammelte all seinen Mut, denn wenn seine Mutter richtig sauer war, sollte man nicht in ihrer Nähe bleiben. „Seit einer Woche. Sie wurde angeschossen.“

„Wer ist der Schütze? Warum?“

„Mama, das weiß ich doch selbst nicht. Niemand weiß etwas“, grummelte er.

„Wieso hast du das nicht gestern gesagt? Wir hätten sie doch gleich besuchen gehen können.“ Chikage ging hektisch in der Küche auf und ab, doch dann schnappte sie sich ihr Handy, ging hinaus in den Flur und packte Geldbörse, wie auch Mobiltelefon in die Handtasche.

Kaito folgte ihr. Unsicher blieb er stehen. „Ich werde sie nicht besuchen.“

Überrascht hielt Frau Kuroba inne und sah ihren Sohn verwirrt an. „Warum nicht?“

„Wir haben uns gestritten und reden nicht mehr miteinander.“ Er stopfte sich seine Hände in die Hosentasche und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand.

„Dann wird es Zeit, dass ihr euren Streit beilegt.“ Sie hielt inne, überlegte kurz und sah ihren Sohn nochmals genauer an. „Steht diese Ai zwischen euch?“

Kaito hatte noch nie mit seiner Mutter über Mädchen, geschweige denn Liebesdinge geredet. Eigentlich sprach man als Junge mit seinem Vater über solche Themen. Den hatte er nicht mehr. Darum hatte er sich immer ignorant Mädchen gegenüber gestellt, wollte es bei der Freundschaft mit Aoko belassen, seine Gefühle ignorieren und verdrängen, einfach nur ihr bester Freund sein. Nachdem sie von ihrer Oma zurück war, lief alles schief. Zögerlich blickte er auf und sah in die strahlenden blauen Augen seiner Mutter. „Ai ist nur eine Freundin, mehr war sie nicht und wird sie auch nicht sein.“ Das sollte wirklich genügen. Er war achtzehn und würde bestimmt nicht jetzt damit anfangen mit seiner Mutter über Mädchen zu reden.

„Dann gibt es auch keinen Grund, dich vor einer Begegnung mit Aoko zu drücken.“ Chikage drehte sich um und öffnete die Haustüre. Auffordernd zeigte sie ihrem Sohn, wo er hingehen musste.

„Ich drücke mich nicht“, konterte Kaito genervt. Innerlich wusste er aber sehr wohl, dass er seiner besten Freundin ausgewichen war und eine Begegnung auf die lange Bank geschoben hatte.

Gemeinsam gingen Mutter und Sohn zum Bus und fuhren mit diesem zum Stadtkrankenhaus.
 

Chikage besorgte noch im Blumengeschäft in der Klinik einen großen Strauß roter und weißer Rosen und einen kleinen Strauß aus Lilien.

Kaito wartete nervös vor dem Laden und zwang sich dazu nicht wegzulaufen. Als dann seine Mama auch noch mit den Blumensträußen herauskam und ihn den großen in die Hände drückte, wurden ihm die Knie weich.

Wissend lachte Frau Kuroba ihren Sohn an und ging zur Information um sich zu erkundigen in welchem Zimmer Aoko lag.

Erst im Aufzug knurrte Kaito sie an. „Wofür der Strauß?“

„Wenn ihr nicht mehr miteinander redet, hast du großen Mist gebaut. Rosen sind die Sprache der Liebe“, zwinkerte Chikage und sah wie ihr Sohn errötete. Sie konnte ihm nicht die fehlenden Vatergespräche ersetzen, dennoch war sie auch einmal jung und wusste um die Gefühle ihres Sohnes.

Wenig später erreichten sie die Etage und dann auch kurz darauf das Zimmer. Chikage Kuroba klopfte an die Türe und öffnete die Türe. Schon erklang ein lautes Schluchzen.

Kaito folgte seiner Mutter ins Zimmer mit rasendem Herzschlag und schloss hinter sich die Türe. Überrascht sah er den Besuch der Moris. Auch wenn er Rans Mutter noch nie gesehen hatte, so sah er sofort die Ähnlichkeit.

Die braunhaarige Frau mit der Brille saß auf Aokos Bett und tupfte sich die Tränen aus den Augen. Kogoro saß auf Rans Bett, während Conan auf dem Besucherstuhl saß und wartete. Als er den eintretenden Besuch sah, zog er erst verwirrt die Augenbrauen hoch. Nicht die Frau verwirrte ihn, sondern der Oberschüler, der ihm selbst in seiner alten Form sehr ähnlich sah. Überrascht musterte er den jungen Mann, der nur die Frisur ein wenig anders trug.

Aokos Blick fiel zuerst auf die Mutter ihres besten Freundes. Überrascht sah sie Frau Kuroba an, die immer wie eine Ersatzmutter für sie gewesen ist. Im ersten Moment verletzte sie, dass er sie noch nicht einmal besucht hatte, dafür aber seine Mama kam, aber dann erschien er auch im Zimmer. Schnell wischte sie sich die Tränen aus den Augen und setzte ein zaghaftes Lächeln auf. „Frau Kuroba, Sie sind zurück?“

„Ja, ich bin hier und habe eben erst erfahren, was dir zugestoßen ist.“ Chikage begrüßte die anderen Besucher und stellte sich dann zu dem Mädchen ans Bett. „Wie geht es dir? Was sagen die Ärzte?“

Ein erneutes herzzerreißendes Schluchzen ertönte von der Frau auf Aokos Bett und Kogoro stand auf. „Eri, wir gehen jetzt erst einmal einen Kaffee trinken.“

Sanft zog Mori seine Ex-Frau auf die Beine und verließ mit ihr das Zimmer. Ran und Aoko blickten den beiden betreten nach. Doch dann blieben Aokos Augen an Kaito hängen.

Der Teilzeitdieb sah, dass Aoko und Ran auch geweint hatten. Er sah zum ersten Mal diese verwechselnde Ähnlichkeit zwischen den Mädchen und auch die Ähnlichkeit zu der Frau, die eben aus dem Zimmer geführt wurde. Aber was das bedeutete, wusste er nicht. Dafür spürte er die gesamte Zeit den Blick des kleinen Schnüfflers auf sich. Kudo im Kleinkindkörper... Aber Kaito kannte den Zwerg nicht, das tat nur Kid. Somit ignorierte er die anderen im Raum und ging auf Aoko zu.

Sein Herz begann wie wild zu schlagen. Er sah ihre rot umrandeten und geschwollenen Augen. Er sah den traurigen Ausdruck in ihrem Gesicht. Kaito spürte, dass etwas vorgefallen war und dieses Mal hatte es wohl nichts mit ihm zu tun. Ansonsten war er immer schuld an ihrem traurigen Gesicht, aber nun... „Aoko“, hauchte er. Seine Gefühle überwältigten ihn in diesem Moment. Da lag sie, das Mädchen, welches er über alles liebte. Sie war die einzige, die er sich an seiner Seite wünschte. Wegen ihr und für sie, würde er sofort die Zeit zurückdrehen und alles anders machen. Niemals wieder wollte er sie gehen lassen.

Aoko sah ihn an. Sie war der Situation einfach nicht mehr gewachsen. Zuviel staute sich in den letzten Wochen an, es war vorbei. Sie konnte nicht mehr stark sein, sie wollte nicht mehr kämpfen. Es war alles zu viel.

So lange hatte er sich nicht sehen lassen. Nicht einmal hatte er sich gemeldet. Alle aus ihrer Klasse hatten sie besucht, außer Ai und Kaito. Sie hatte die Blicke der Mitschüler gesehen. Mitleidsvoll, entsetzt, auch wenn niemand etwas sagte, sie spürte welche Gedanken die Klassenkameraden hegten. Sie spürte wieder die Tränen in sich aufsteigen, aber sie hatte genug Tränen vergossen in den letzten Wochen. Es war vorbei. Darum verdrängte sie die aufkommende Trauer und wandelte sie in Wut um. „Verdammt noch mal, was willst du hier, Kaito?!“

Überrascht hielten alle Anwesenden die Luft an.

Aokos blaue Augen fixierten ihren Kindheitsfreund, der einen Teil der Schuld trug, warum sie nicht mehr glücklich sein konnte. „Ich will dich nicht sehen! Verschwinde von hier!“

Erschrocken riss Kaito seine Augen auf, zu mehr fühlte er sich nicht fähig. Das waren seine schlimmsten Befürchtungen und sie waren eingetreten.

„Wie kannst du es wagen überhaupt noch hier aufzutauchen?!“, Aoko sah ihm an, wie sehr ihn ihre Worte verletzten, dennoch tat sie nichts um aufzuhören. Er hatte ihr wehgetan, hatte sie hintergangen, ihre Freundschaft zerstört und ihr den Glauben an die Liebe genommen. Sie wollte doch nichts weiter, als mit ihm zusammen sein, glücklich werden. Stattdessen ist seit diesem Tag ihr Leben komplett aus den Fugen geraten. Sie hatte ihren besten Freund verloren, wurde angeschossen, erfuhr dass sie nicht die Tochter von Kommissar Nakamori war und ihr ganzes Leben im Grunde ganz anders hätte verlaufen können.

Ein klitzekleiner Teil in ihr wünschte es sich sogar. Wäre sie nicht vertauscht worden, sondern wäre sie bei den Moris aufgewachsen, hätte sie niemals Kaito kennengelernt. Sie hätte ihr Herz noch und vielleicht einen Freund, der nicht mit ihr spielte.

Ran sah bestürzt zwischen ihrer Schwester und deren Kindheitsfreund hin und her.

Conan beobachtete Kaito und fühlte sich an die Situation erinnert, als Kid von Aokos Unfall erfahren hatte. Skeptisch kniff er die Augen zusammen.

Chikage starrte Aoko, dann ihren Sohn und wieder Aoko an. Sie verstand die Welt nicht mehr. So hasserfüllt und wütend hatte sie Kommissar Nakamoris Tochter noch nie erlebt.

„Ich bin schon bestens informiert, wie intim du mit Ai schon geworden bist. Du hast es ja laut genug in der Klasse verkündet. Und zu mir bist du nicht mal in der Schule offiziell gestanden. Scheinbar bin ich eine Freundin mit der man sich schämen muss.“

„So ist das nicht“, wehrte der sich bis dato verstummte Beschuldigte.

„Wie ist es dann?!“, forderte Aoko wütend.

„Zwischen Ai und mir läuft nichts. Wir sind nur Freunde.“ Kaito fand seine Stimme wieder. Da saß sie. Das Mädchen welches ihn nicht schlafen ließ, um das sich vierundzwanzig Stunden am Tag seine Gedanken drehten. „Wir haben einen Film gesehen. Es war spät. Sie hat dann bei mir übernachtet. Etwas anderes hab ich auch gar nicht behauptet.“ Er steckte seine Hände in die Hosentasche und blitzte Aoko herausfordernd an. Immerhin redete sie wieder mit ihm.

„Was war das auf dem Schuldach?“

„Wir haben uns nur unterhalten“, antwortete Kaito wieder, aber so einfach würde er nach dem Warum keine Erklärung finden.

„Das sah mir nicht nach unterhalten aus“, erwiderte die Braunhaarige immer noch wütend, wenn auch nicht mehr so sauer wie am Anfang.

„Glaube mir, wir haben einfach nur miteinander geredet. Mehr war da nicht. Wir sind einfach nur Freunde. Du und ich hingegen“, ihm war es unangenehm vor seiner Mutter und den Fremden im Zimmer über seine Gefühle zu sprechen.

„Ich weiß schon“, seufzte Aoko und senkte bedrückt die Augen. Leicht drehte sie ihren Kopf zum Fenster. „Wir sind schon lange keine Freunde mehr“, fügte sie traurig hinzu.

„Aoko“, setzte er sofort an. Sie hatte es schon wieder missverstanden.

Eri und Kogoro betraten das Zimmer, wobei Eri jetzt wesentlich gefasster wirkte, als vor einigen Minuten.

„Mama?“

„Es ist alles gut mein Spatz.“ Nun begrüßte die Anwältin Chikage und Kaito. „Mein Name ist Eri Kisaki. Ich bin die Mutter von Ran und...“ Lange blickte Eri ihre totgeglaubte Tochter an. „Aoko“, fügte sie noch hauchend hinzu.

Chikage, die noch dabei war die gesagten Informationen der Oberschüler zu verdauen, horchte nun überrascht auf. Sie betrachtete Ran und Aoko, dann wieder Eri, aber sie verstand den Sinn nicht hinter den Worten.

Kaito konnte es nicht glauben. Aokos Mutter war damals gestorben, da kannte er sie noch nicht einmal. Er hatte sie erst ein halbes Jahr später kennengelernt. Wie konnte es sein, dass ihre Mutter leibhaftig vor ihnen stand?

Conan blieb einfach stumm und beobachtete alles.

Aoko traten erneut Tränen in die Augen.

Chikage stellte sich nun auch vor. „Chikage Kuroba, ich bin Kaitos Mutter. Kaito kennt Aoko schon von klein auf.“ Sie betrachtete Eri genauer. Und aus diesem Grund wunderte sie sich über das plötzliche Erscheinen dieser Frau.

Kogoro trat nun auch auf die kurzhaarige Japanerin zu und stellte sich vor. „Mein Name ist Kogoro Mori. Ich bin Eris Ex-Mann und der Vater der Mädchen.“

Kaito sah zwischen Rans Eltern hin und her und dann betrachtete er seine Freundin. Immer mehr Tränen kullerten aus ihren schönen blauen Augen. Schnell ging er zu ihr und setzte sich zu ihr aufs Bett. „Aoko“, sagte er sanft.

„Ich gewöhne mich langsam an den Gedanken. Aber ich mache mir auch Sorgen um meinen Papa. Er ist gestern gegangen und seitdem hab ich nichts mehr von ihm gehört.“

Chikage verstand es immer noch nicht. „Aber wie kann das sein?“

„Aoko wurde vertauscht“, erklärte Mori traurig. „Das Kind der Nakamoris starb bei der Geburt.“

Kaito begann sanft über eine ihrer Hände zu streicheln. „Das ist ja schrecklich. Was musstest du nur alles durchmachen?“ Er senkte betroffen seinen Blick. „Und ich war nicht bei dir.“

Er sprach so leise, dass nur sie es hörte und genau darum sah sie auf und in sein Gesicht. Es tat ihr gut, dass er hier war. Es fühlte sich richtig an, auch wenn sie ahnte, dass seine Nähe nur Schmerzen verursachte. Er war hier und dafür würde sie alles in Kauf nehmen. Auch wenn sie dann endgültig an ihre Gefühlen zerbrach.

„Es tut mir so leid, Aoko.“

Ihre Augen trafen seine und sie sah zum ersten Mal seit langem seine Aufrichtigkeit.

„Ich werde alles wieder gut machen“, versprach er ihr leise. „Ich werde dich nicht mehr allein lassen.“ Seine Augen hielten ihre gefangen. Sein Druck an ihren Händen wurde stärker, fester. Es war nicht einfach so gesagt, es war sein Ernst. Sie war sein Leben.

Chikage stöhnte entsetzt auf. Dann drehte sie sich dem Mädchen zu und sah auf Kaitos Rücken. „Aoko, ich werde Herrn Nakamori besuchen und sehen ob alles in Ordnung ist.“

Dankbar lächelte die Oberschülerin, dann senkte sie wieder die Augen und betrachtete ihre ineinander verschränkten Hände mit Kaitos.

„Kaito? Kommst du?“

Der Oberschüler nickte, ließ Aokos Hände los und zauberte den großen Rosenstrauß hervor, den seine Mutter zuvor besorgt hatte. „Für dich.“

„Kaito?“, stotterte Aoko und betrachtete die Rosen.

„Wir sehen uns am Dienstag“, antwortete er lächelnd. Auf ihren fragenden Blick hin stupste er sie sanft an die Stirn. „Da ist dein Geburtstag, du Dummerchen.“

Kaito und Chikage verabschiedeten sich von allen und verließen das Krankenhaus.

Conan sah zu Aoko. „Er kann zaubern?“

„Ja“, antwortete die Braunhaarige. „Sein Vater ist ein großer Zauberer gewesen und Kaito hat bei ihm viel gelernt.“

Rans Lippen umspielte ein trauriges Lächeln. Kogoro und Eri waren immer noch hin und her gerissen von dieser neuen Situation und Conan lächelte, wobei seine Gedanken im Kreis rotierten.
 

Chikage und Kaito verließen die Klinik. Zuerst schweigend, doch dann brach Kaitos Mutter das Schweigen. „Das arme Kind. Ich werde später noch Herrn Nakamori aufsuchen.“

Kaito reagierte nicht. Zu sehr war er in Gedanken.

Beide gingen die Straße entlang an vielen parkenden Autos und bemerkten nicht, dass sie beobachtet wurden.

Frau Kuroba spürte, dass ihr Sohn geistig abwesend war und betrachtete ihn besorgt. Sie ahnte schon lange, dass er Interesse an seiner Kindheitsfreundin hegte, aber dass er wirklich den Mut fand und mit Aoko zusammenkam, hätte sie niemals für möglich gehalten. Er war wirklich wie sein Vater, nur war Toichi nach seinem Geständnis fest entschlossen Chikage zu heiraten. Skeptisch zog sie ihre Augenbrauen zusammen. „Ai hat bei uns übernachtet?“

Kaito aus seinen Gedanken gerissen sah seine Mutter verwirrt an. Ihre Frage verwirrte ihn, aber seiner Mutter konnte er ja die Wahrheit erzählen. „Das glauben alle und Schuld ist Hakuba. Der Idiot hat mich in diese Situation gebracht.“

Nun war es seine Mum, die verwirrt dreinschaute.

„Hakuba verdächtigt mich seit längerem Kid zu sein.“ Er sprach leise, aber seine Mutter verstand jedes Wort. „Ai ist mein Alibi, denn in dieser Nacht war ich unterwegs.“

„Sie weiß wer du bist?“ Wieder kniff sie misstrauisch die Augenbrauen zusammen.

Der Taschendieb sah sich kurz um, aber die Straße wurde immer belebter. „Ich erzähle es dir zu Hause, Mom.“

Auch Chikage wurde sich wieder bewusst wo sie sich befanden und lächelte schließlich. „Natürlich, lass uns aber vorher noch einkaufen gehen.“ Somit war das Thema gewechselt und die beiden strebten den nächsten Supermarkt an.
 

Als Kaito mit seiner Mama das Krankenhaus verließ und die Straße entlang ging, passierten sie einen schwarzen Kombi, der mit vielen anderen Autos am Straßenrand parkte. In dem Wagen saßen zwei dunkle Gestalten. Der Kräftigere von ihnen stieß den Blonden plötzlich an. „Sieh mal, das ist er doch!“

Besagter blickte von seinem Handy auf und kniff die Augen zusammen. Er beugte sich leicht vor und beobachtete den Oberschüler, der in Begleitung einer Frau vorbei ging. Schon wandte er seine Augen wieder auf sein Handy und er spielte darauf herum.

„Was soll das werden?“, hakte der Kräftigere wieder nach.

Der Blonde hüllte sich in Schweigen, doch dann zeigte sich ein Foto auf dem Display und er grinste hämisch. Auch der Dickere beugte sich hinüber und betrachtete das Foto.

Ein braunhaariger Oberschüler, der selbstbewusst in die Kamera blickt.

„Das ist er!“ Er drehte sich seinem Beifahrer zu und nickte. „Ich denke, jetzt kriegen wir ihn.“ Die beiden sahen sich an. Jedem trat ein breites Grinsen auf die Lippen. Zeitgleich wanderte ihr Blick zu dem großen weißen Krankenhausgebäude. „Bald, Kudo, schon sehr bald werden wir uns wieder sehen“, murmelte der Blonde vor sich hin.

Montag

Kaito stand an der Kreuzung und wartete wie jeden Morgen auf seine Klassenkameradin Ai. Schon kam auch die Kurzhaarige herbeigeeilt und begrüßte ihn fröhlich. „Guten Morgen, Kaito!“

„Guten Morgen“, lächelte er zurück und gemeinsam gingen sie zur Schule. „Wie ist es gelaufen?“

„Sehr gut sogar. Nur Toshi tat mir richtig leid, denn er hat einen riesigen Anschiss von seinem Chef bekommen.“

Der Teilzeitdieb warf seine Tasche über die Schulter und ließ diese an seinen Fingern baumeln. Aufmerksam betrachtete er die hübsche Mitschülerin. Nakamori tat ihm nie leid. In der Hinsicht war er ganz anders als die Katzen. Auch wenn ihm Aokos Vater leid tun sollte, so empfand er meist nur Hohn oder Spott für diesen Mann. Seine Augen wanderten auf die Straße und seine Gedanken wichen wieder zu Aoko, während sein Herz krampfte. Sie hatte soviel schlimmes durchgemacht und er war nicht bei ihr gewesen. Das Ausmaß dieser Verwechslung wurde ihm erst letzte Nacht wirklich bewusst. Er saß über den Plänen um seinen Raubzug nochmals ins kleinste Detail zu überprüfen, als ihn die Erkenntnis traf wie ein Blitz. Wenn Aoko damals nicht vertauscht worden wäre, hätte er sie vermutlich niemals kennen gelernt. Sie hätten sich nicht vor dem alten Glockenturm kennen gelernt, sie wären nicht zusammen in die Schule gekommen und er hätte sich nie in sie verliebt. Bei diesem Gedanken schmerzte ihm die Brust. Sie war sein Leben, ohne sie konnte er es sich gar nicht mehr vorstellen.

„Und was hast du am Wochenende gemacht?“ Ai betrachtete ihren Klassenkameraden aufmerksam und ihr entging nicht, dass dieser mit seinen Gedanken weit weg war.

Aus den Gedanken gerissen suchte Kaito ihre braunen Augen und lächelte leicht. „Ich war bei Aoko im Krankenhaus.“

Ein Stich durchfuhr ihren Körper, dennoch lächelte sie ihn an. Es war wirklich besser für alle Beteiligten, wenn er und Aoko wieder zusammen fanden. „Das ist ja schön. Hast du dich also endlich getraut.“

Kaito verzog seinen Mund. Sie näherten sich dem Schulhof und immer mehr Schüler kreuzten ihren Weg, überholten sie oder gingen ratschend in kleinen Grüppchen um sie herum. „Meine Mama hat mich dazu überredet.“ Klar und unmissverständlich und er bereute es nicht. In solchen Momenten war er seiner Mutter dankbar, denn er selbst hätte sich niemals getraut Aoko zu besuchen.

Keiko und Yoko kamen ihnen fröhlich schwatzend entgegen.

Die vier Klassenkollegen trafen sich am großen Schultor und standen sich mit einem Mal stumm gegenüber. Während Keiko ihr Gesicht verzog, funkelte Yoko die beiden an. „Schämt euch, dass ihr Aoko immer noch nicht besucht habt.“

Keiko legte eine Hand sanft auf den Arm ihrer Freundin und schüttelte den Kopf. „Es ist besser so, glaub mir. Aoko...“, sie brach ab, suchte nach passenden Worten.

Yoko nickte, funkelte Ai böse an und trat auf Kaito zu. Auch wenn er sie um einen Kopf überragte, so stellte sie sich auf Zehenspitzen und drückte ihm ihren Zeigefinger auf die Brust. „Von dir hätte ich das niemals gedacht“, fauchte sie.

Kaito sah der Freundin seiner besten Freundin einfach nur stumm in die blitzenden Augen.

„Ihr kennt euch schon so lange und Aoko nimmt dich immer wieder in Schutz, wenn jemand böse über dich redet, oder du dich wieder wie der letzte Idiot benommen hast. Sie hat so einen Freund wie dich nicht verdient. Sie braucht jemanden, der immer zu ihr steht und sie nicht wegen eines Mädchens hängen lässt.“ Bei den letzten Worten wichen ihre Augen zu Ai, die traurig ihren Kopf senkte. Ai fühlte sich schuldig, das sah man ihr auch an.

„Ich lasse sie nicht hängen“, knurrte Kaito sauer.

„Ach ja?“ Yoko geriet zunehmend in Rage. „Wo bist du gewesen, als Aoko so traurig auf dem Schulhof saß? Wo warst du, als Ran von einem Auto angefahren wurde und Aoko gerade so noch einmal davon kam? Als Aoko angeschossen wurde, wo warst du da?!“

„Das ist unfair“, mischte sich nun Ai wütend ein. „Ihr könnt Kaito nicht die Schuld dafür geben, dass Aoko im Krankenhaus liegt.“

Keiko blickte von einem zum anderen. Yoko war wütend und wirkte, als würde sie jeden Moment auf die beiden losgehen. Kaito stand reglos an Ort und Stelle, allerdings wirkte sein Gesichtsausdruck traurig. Seine Augen waren glanzlos und leer. Ai hingegen stand Yoko gegenüber und blickte ebenso finster Yoko an, wie diese Ai. „Es hat doch keinen Sinn, dass wir uns streiten.“

Yoko ignorierte ihre beste Freundin und blitzte nochmals zu Kaito. „Auf Hakuba kann man sich immer verlassen. Er war für sie da und er hat sie fast jeden Tag im Krankenhaus besucht. Er ist sehr besorgt um Aoko und ich würde mir wünschen, dass sie jemanden wie ihn zum Freund hat.“

Nun kam Leben in Kaito. Seine Augen leuchteten gefährlich, seine Stimme war schneidend. „Hakuba, ja? Dieser Volltrottel an Detektiv ist überhaupt Schuld an der ganzen Misere.“

„Warum? Woran ist er schuld?“, hakte Keiko verwirrt nach.

„Frag ihn doch“, blaffte Kaito sie an. Er schnappte sich Ais Hand und zog sie auf den Schulhof um kurz darauf mit ihr im Schulgebäude zu verschwinden.

Er war wütend, sehr wütend. Verdammt nochmal. Hakuba, dieser Möchtegern-Detektiv. Natürlich kümmerte er sich um Aoko, war er doch an ihr sehr interessiert.

„Wieso sind die Mädchen so feindselig?“ Ai, die mehr als verwirrt über die morgendliche Debatte war, blickte Kaito an. Dass nach wie vor die Aussage vor der gesamten Klasse zwischen ihnen stand, war ihr klar. Aber bisher hatten die Mädchen sie mit verachtenden Blicken gestraft, statt mit feindseligen Worten.

„Ich weiß es nicht“, antwortete er leise. Doch in seinem Kopf arbeitete es. Wussten die Mädchen etwas über den Skandal der Entbindungsstation?

Der Schulgong unterbrach sämtliche Gespräche und Gedanken. Gemeinsam suchten die beiden ihre Klassenräume auf.
 

Conan saß in seiner Klasse, vor seinem aufgeschlagenen Heft und blickte auf seine Notizen. Die Lehrerin wies die Schüler gerade in die japanische Regionen ein. Dazu strahlte ein Projektor die japanische Landkarte an die Wand und sie deutete mit einem langen Stab auf der Karte herum. Conan langweilte sich. Zum einen war dieses Fach eines seiner Lieblingsfächer und zum anderen hatte er dies alles schon mal gelernt. Als Shinichi Kudo war er bereits einmal in der Grundschule gewesen. Wie sehr ihn das alles doch anödete. Seine Gedanken drifteten zum heutigen Abend ab. Einen Vorteil hatte es ja das Ran im Krankenhaus war. So konnte er heute Abend ins Museum gehen und Kid stellen. Seltsamerweise drang ihm bei der Vorstellung Kids das Gesicht von diesem Kaito vor Augen. Seine arrogante Art, sein Verhalten, war es nur Zufall? Er würde es heute Abend herausfinden. Eine weitere Frage stellte sich aber in diesem Moment. Er war Aokos bester Freund und sollte er sich wirklich herausstellen, dass dieser Oberschüler der berühmt berüchtigte Meisterdieb war, war sie sein Komplize? Kannte sie seine Identität? Würde sie ihren Vater verraten und zusammen mit Kid Edelsteine stehlen?

Er schüttelte über seine Gedankengänge den Kopf. So hatte er sie nicht kennengelernt, dennoch war dieser Verdacht begründet WENN Kaito Kid war.

Er spürte ein aufmerksames Augenpaar auf sich und blickte auf. Ai sah ihn mit ihren braunen Augen durchdringend an. Im nächsten Moment flog ein kleiner Zettel auf seinen Tisch. Conan blickte zur Tafel vor, aber die Lehrerin war immer noch damit beschäftigt die Landkarte zu erklären. Schnell faltete er das kleine zusammengeknüllte Papier auseinander und las die geschriebenen Worte.

Hast du es schon ausprobiert?

Ai spielte auf die Kapsel an und nur zu deutlich spürte er diese in seiner rechten Hosentasche. Conan blickte zu seiner Leidensgenossin, die sich auch langweilte und es hasste Grundschülerin zu sein. Er schüttelte kaum merklich seinen Kopf.

Die blonde Japanerin wandte ihren Schopf wieder von ihm ab und verfolgte gelangweilt den Unterricht.

Conan knüllte den Zettel zusammen und ließ ihn in seiner Hosentasche verschwinden. Auch er zwang sich dem Unterricht zu folgen.

Der Tag zog sich wie Kaugummi und gleich nach dem Schulgong verließ der geschrumpfte Shinichi seine Klasse und kurz darauf auch das Schulgebäude. Die Detective Boys und Ai holten ihn kurz vor dem Schultor ein.

„Conan, warte doch auf uns“, bat Genta, der der langsamste von ihnen war.

Der Angesprochene blieb stehen und drehte sich seinen Freunden zu. Ayumi blickte ihn ganz besorgt an. „Du hast es aber eilig.“

Das hatte er wirklich. Denn er wollte unbedingt noch zu Ran und ihr einen Besuch abstatten. Die Nachricht am Wochenende hat sie alle mehr als schockiert und er wollte nach den Schwestern sehen. Auch wenn seine Freundin diese Nachricht gut weggesteckt hatte, so kannte er sie gut genug um zu wissen, dass sie die Geheimniskrämerei ihrer Eltern verletzt hatte. Auch er hatte Geheimnisse vor ihr, aber morgen...

„Conan?“, hakte Ayumi erneut nach.

„Entschuldige. Ich möchte Ran besuchen.“

„Dürfen wir mitkommen?“

Unschlüssig sah er Ayumi an, ehe sein Blick über Genta, Mitsuhiko und Ai glitt. Ran mochte die Kinder und würde sich bestimmt über ein bisschen Ablenkung freuen. „Na klar“, antwortete der Oberschüler im Kleinkindkörper.

Gemeinsam verließen die Kinder den Schulhof und ihr Weg führte sie zur Klinik.
 

Kaito verließ nach dem Schulgong als Erster die Klasse. Ai ließ sich ausnahmsweise mal Zeit. Sie packte langsam ihre Tasche und mehr und mehr Mitschüler verschwanden in den Nachmittag. Sie wusste, dass der Meisterdieb 1412 sich heute auf seinen Raubzug am Abend vorbereiten musste. Daher hatte er sowieso keine Zeit für sie gehabt. Und ihre neueste Erfindung an der sie zu Hause schraubte, war noch nicht fertig erstellt. Sie würde ihm bestimmt bei einem seiner Raubzüge helfen, aber eben noch nicht. Als letzte stand sie nun auf und verließ den Klassenraum. Sie rechnete nicht wirklich mehr, dass jemand noch hier war, wurde aber auf den Flur von Keiko und Yoko abgefangen.

„Ai, wir möchten mit dir reden“, forderte Yoko missmutig.

Überrascht betrachtete die jüngste Katze ihre Mitschülerinnen. Hatten sie am Morgen vor der Schule ihren Standpunkt nicht deutlich genug gemacht? Sie wusste nicht was sie sagen sollte, darum schwieg sie abwartend.

„Lass uns ein Stück laufen“, bat Keiko wesentlich freundlicher als Yoko.

Gemeinsam und noch schweigend verließen die Oberschülerinnen das Gebäude. Lauernd wartete Ai auf den Ärger, der sich unvermittelt über sie zusammen braute.

„Du hast dich mit Aoko angefreundet“, bemerkte Keiko leise. „Es ist traurig wie sich diese Situation entwickelt hat.“

Ai senkte betroffen ihren Kopf. Und genau das hatte sie auch nie gewollt. Sie wollte sich nicht in die intakte Beziehung einmischen, sie wollte nicht für Ärger oder gar für eine Trennung sorgen. Dennoch kam ihr ein Gedanke: War die Beziehung denn wirklich intakt? Konnte man eine gut funktionierende Beziehung überhaupt zerstören, selbst wenn man es drauf anlegte?

„Sicher bist du ein Grund dafür, warum Kaito sich von Aoko abwandte“, fügte Keiko immer noch sanft hinzu. „Aber findest du nicht, es wäre nur fair ihr gegenüber zu treten?“

„Das hat doch keinen Sinn“, fauchte Yoko ungehalten. „Lass uns endlich gehen, Keiko!“

„Überleg' es dir“, endete Keiko, ehe sie von ihrer Freundin mit sich gerissen wurde.

Zurück blieb eine, äußerst verwirrte und mit schlechtem Gewissen geplagte, Kisugi Schwester. Die Mädchen hatten recht. Es war nur fair Aoko über diese gesamte verfahrene Situation aufzuklären. Sie sollte ihrer Klassenkameradin und hoffentlich vielleicht noch Freundin einen längst überfälligen Krankenbesuch abstatten. Statt zum Café zu gehen, schlug sie den Weg zum Stadtkrankenhaus ein.
 

Ran und Aoko lagen beide nach wie vor unbeweglich in ihren Betten. Bei beiden setzte der Heilungsprozesse ein, dennoch würden sie noch einige Zeit in der Klinik verbringen müssen. Im Moment stand eine Schwester bei ihnen im Zimmer, die das Essen abräumte und nochmals die Einstellungen am Bett überprüfte. Danach maß sie das Fieber und kontrollierte die Reaktionen der Augen und prüfte den Puls. Alle Daten trug sie in das jeweilige Krankenblatt ein. Freundlich lächelte die Schwester. „Morgen müssen Sie nochmals zum Röntgen, dann werden wir sehen, wie sich Ihre Knochen bei der Heilung verhalten“, erklärte sie freundlich und sah dabei Ran an.

Es klopfte an der Zimmertüre und ein junger Arzt trat ein. Beide Mädchen blickten überrascht auf und freuten sich über den Besuch ihres OP-Arztes.

„Herr Doktor Chiba“, begrüßten ihn die Oberschülerinnen freundlich.

Der schwarzhaarige Arzt aus der Notaufnahme nickte der Schwester zu und trat erst auf Rans Bett zu. Er nahm der Schwester das Krankenblatt ab und prüfte die Daten. „Fräulein Mori, ich sehe soweit ist alles in Ordnung. Morgen werden Sie erneut geröntgt, damit wir uns Ihre Knochen ansehen können.“

„Das teilte uns eben Schwester Yuzura mit“, nickte Ran und lächelte die liebevolle Schwester an. Von den Krankenschwestern auf dieser Station hatte sie diese am meisten in ihr Herz geschlossen.

Er trat auf Aokos Bett zu und empfing auch ihre Akte. Auch hier blätterte er durch und nickte der Schwester zu. Diese deutete auf den Beistelltisch und trat an Aokos andere Bettseite. Der Arzt legte die Akte beiseite und ging zum Tisch. „Fräulein Nakamori“, er schluckte bitterlich, als er sah wie das junge Gesicht sich plötzlich ins Traurige wandelte. Kurz räusperte er sich, dann griff er nach dem Desinfektionsspray und einem kleinen Tupfer. „Ich werde Ihnen jetzt Blut abnehmen. Dieses geht ins Labor und wird dort überprüft wie Ihr Körper mit dem Spenderblut zurecht kommt.“ Er bereitete alles vor und injizierte ihr dann die Nadel. Währenddessen redete er weiter. „Sollten einige Werte bedenklich sein, werden Sie morgen für einen Rundum-Check geholt. Ansonsten werden wir morgen den Heilungsprozess der Schusswunde prüfen.“

Aoko spürte das unangenehme Gefühl, welches man bei einer Blutabnahme einfach hatte. Sie fühlte den leichten Druck im Arm, aber sie stand alles tapfer durch. Zwei Kanülen später war alles überstanden. Die Schwester beklebte die Röhrchen mit Aokos Daten, während Doktor Chiba ihr noch ein Pflaster drüber klebte.

„Am Nachmittag werden wir aber Besuch bekommen“, warf Ran ein.

Der Arzt schmunzelte. „Keine Sorge, ihrer Geburtstagsparty“, er blickte von Ran zu Aoko und zurück, „steht nichts im Wege. Die Untersuchungen sind spätestens am frühen Nachmittag abgeschlossen.“ Ein letzter Blick auf seine Patientinnen, dann verabschiedete er sich. Die Schwester nahm das Schälchen mit den Utensilien mit und verließ das Zimmer zusammen mit dem Arzt.

Kaum war die Türe geschlossen, betrachtete Aoko ihre Schwester aufmerksam. „Hoffentlich passt bei dir alles.“

„Was soll denn da auch nicht passen. Ich kann mich seit Wochen nicht bewegen. Irgendwann muss es ja mal wieder voran gehen.“ Die Oberschülerin blickte zu ihrer Zimmernachbarin. „Eher sollten wir hoffen, dass bei dir alles passt.“

Aoko suchte die blauen Augen der Eingegipsten. „Wieso sollte mein Körper dein Blut abstoßen? Wir sind Zwillinge.“ Es war immer noch so fremd und ungewohnt. Sie wandte ihren Kopf ab und blickte zum Fenster raus.

Sie sorgte sich um ihren Vater. Seit er am Samstag gegangen war, hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Auch Frau Kuroba hatte sich bisher nicht gemeldet. Ob sie ihr Versprechen hielt? Was würde Aoko drum geben, nach Hause gehen zu können. Sie ahnte bereits wie es zu Hause aussah. Zu gut erinnerte sie sich an das Chaos in der Wohnung, als sie von ihrer Oma zurückkehrte.

Ran seufzte traurig auf. Dieser Ton riss Aoko in die Gegenwart zurück und sie suchte besorgt das Gesicht der Oberschülerin. „Was bedrückt dich?“

Langsam neigte die Tochter des Privatdetektiv ihren Kopf zu ihrer Bettnachbarin und ließ die Augen auf die Blumensträuße fallen. Drei Blumensträuße standen auf dem Besuchertisch, wobei der erste von ihnen bereits am Welken war.

Aoko folgte ihrem Blick. Auch ihr fiel auf, dass die Blumen von Hakuba bereits welkten. Aber sie hatten eh lange durchgehalten. Daneben stand der kleine Strauß von Frau Kuroba. Der größte Blumenstrauß bestand aus roten und weißen Rosen und erinnerte sie daran wie Kaito hier am Bett saß, ihre Hand gedrückt hatte und ihr diese liebevollen Worte zu gehaucht hatte. Erneut errötete sie, als sie sich die Wärme und Zuneigung zurückrief, die er ihr vermittelte. „Hör mal, wenn dich die Blumen traurig machen, dann bitten wir die Schwestern sie aus dem Zimmer zu räumen.“ Am liebsten wäre sie sofort aufgestanden und hätte es selbst erledigt, aber sie schmerzte immer noch jede Bewegung.

„Nein, das ist es nicht“, wich Ran aus. „Die Blumen sind wunderschön, wenigstens etwas in diesem tristen Zimmer.“

Auch Aoko richtete ihren Blick wieder auf die junge Mori. „Was ist es dann? Shinichi?“

Nicht so recht wissend was sie sagen sollte, starrte Ran ihre Bettdecke an.

Aoko glaubte Ran zu verstehen. Außer Sonoko, Kazuha und Heiji, wie auch Conan und ihre Eltern war kaum jemand zu Besuch gewesen. Während bei ihr sofort die ganze Klasse im Zimmer eingefallen ist. Zudem war Saguru sehr oft hier gewesen. Auch wenn er nichts von ihren komplizierten Familienverhältnissen wusste, besuchte er sie regelmäßig, hielt sie bei Laune. Und am Wochenende kam dann auch noch Kaito zu Besuch.

Sein Verhalten, seine Gestik, seine Worte, dass alles musste Ran unheimlich verletzt haben. Aoko wusste, dass die Freundin unsterblich in ihren Sandkastenfreund verliebt war und sie spürte, dass Ran langsam an ihrer Liebe zu Shinichi zu zweifeln begann. Vielleicht nicht nur an der Liebe sondern auch an der Freundschaft, korrigierte Aoko in ihren Gedanken. „Ich kenne Shinichi nicht und nach allem was du mir über ihn erzählt hast, ist er einfach ein fanatischer Krimispinner.“

Dieses Wort brachte Ran dazu zu lächeln.

„Aber ich glaube ganz fest daran, dass er kommen wird. Er wird kommen, Ran“, beschwor Aoko nachdrücklich und sah ihre Schwester eindringlich an. „Ich bin mir sicher, dass er schon längst gekommen wäre, wenn es keine triftigen Gründe gegeben hätte.“

Ran blickte Aoko lange an.

Keine von ihnen bemerkte wie sich langsam die Tür öffnete.

„Vergiss Sonoko und ihre negative Einstellung. Vergiss alles was über ihn geredet wird. Shinichi wird kommen! Da bin ich mir ganz sicher!“

Die Detective Boys standen still in der Türe und lauschten den Worten. Conan verharrte reglos hinter den Kindern, ballte seine Hände zu Fäusten und biss sich auf die Unterlippe. Einzig Ai bemerkte seine Gemütsverfassung. Sie zog ihre Augenbrauen zusammen, ihre Miene war unergründlich.

„Danke, Aoko“, hauchte Ran überwältigt. Ihr Ebenbild sprach so überzeugend, dass sie selbst wieder Hoffnung bekam.

Als Ruhe einkehrte, machten sich die Kinder bemerkbar, in dem sie lautstark in das Zimmer eintraten.

Überrascht über den Besuch, begann Ran zu strahlen und begrüßte freudig die Kleinen. Zuletzt trat Conan ins Zimmer, der eine fröhliche Miene aufsetzte. Sein Entschluss stand fest. Morgen würde er zurückkehren. Für drei Stunden würde er wieder zu Shinichi werden.

Die Kinder stellten sich Aoko vor und zusammen verbrachten sie einen geselligen Nachmittag. Zumindest war dieser gesellig bis ein weiterer Besucher anklopfte und eintrat.

Sofort hielten alle in ihren Gesprächen inne und betrachteten das eintretende Mädchen.

Aokos Herz begann zu rasen. Was machte sie hier? Hatte sie nicht bereits genug Schaden angerichtet?

Schüchtern und verhalten begrüßte die Besucherin die Gruppe um Rans Bett, ehe sie auf Aokos Bett zusteuerte und unsicher vor ihr stehen blieb. Verlegen wischte sie sich eine ihrer kurzen braunen Haarsträhne aus der Stirn. „Hallo Aoko.“

„Hi.“

„Ich wollte mal nach dir sehen, wie es dir so geht.“

„Gut.“

Unsicher begann die Oberschülerin auf ihrer Unterlippe zu kauen. Sie spielte mit ihren Fingern an ihrer Schultasche, senkte unschlüssig die Augen, während sie überlegte, wie sie ein Gespräch in Gang bringen könnte. „Ich kann verstehen, wenn du sauer auf mich bist, aber bitte lass es mich erklären.“

Aoko sagte nichts mehr, seufzte kurz auf und deutete ihrer Schulkameradin sich zu setzen.

Diese folgte der stummen Aufforderung und setzte sich zu ihrer Mitschülerin ans Bett.

Leise nahmen die Detective Boys ihr Gespräch wieder auf und erzählten Ran von ihren gelösten Fällen.

„Ich kam in Tokio an, war sozusagen wieder „neu“ in der Stadt. Zu meinen alten Freunden hab ich keinen Kontakt mehr. Umso mehr hab ich mich darüber gefreut bei dir und Kaito Anschluss zu finden.“ Sie suchte Aokos Augen. „Ich mag euch beide und ich wollte mich niemals zwischen euch drängen.“

„Wieso hast du es dann getan?“ Aokos Stimme klang schneidend und augenblicklich war es wieder still im Raum.

Ai sah unsicher zum Nachbarbett. Es war verblüffend, denn das eine Mädchen sah genauso aussah wie Aoko. Zudem hatte sie nun auch die vollkommene Aufmerksamkeit der Doppelgängerin. Entschlossen richtete Ai ihre Augen auf Aoko zurück. „Es war keine Absicht. Ich habe Kaito näher kennen gelernt. Wir haben so viele Gemeinsamkeiten, er ist charmant und sieht gut aus. Auch wenn er überhaupt nicht mein Typ ist, hat er mich ... beeindruckt“, gestand sie. Dass sie auch gemeinsam Raubzüge planten verschwieg sie aber. Ihr Leben war ihr lieb und teuer und sie wollte nicht schon in solch jungen Jahren ins Gefängnis. „Ich wollte ihn dir nicht wegnehmen, ich hatte es nie vor.“

Aoko senkte die Augen. Sie konnte Ai wirklich nicht die Schuld geben. Die Schuld, dass alles den Bach runter ging, lag alleine bei ihr und Kaito. „Eine Frage hab ich und bitte sei ehrlich“, sie schluckte. Nur so konnte sie überprüfen, ob er ihr die Wahrheit gesagt hatte. „Hast du bei Kaito übernachtet?“

Ai schluckte. Zögerlich nickte sie. „Ja.“ Sicherlich wusste sie es über die Klassenkameraden.

„Habt ihr …“, Aoko blickte zu den Kindern, die neugierig ihrem Gespräch lauschten. „Habt ihr es getan?“

Nun saß die Diebin in der Falle. Sie wusste nicht, ob Kaito ehrlich zu Aoko war und was er ihr erzählt hatte. Wenn sie nun etwas sagte und ihre Aussage anders klang als seine, war seine Identität in Gefahr. Ausweichend senkte sie die Augen. Hätte sie ihn doch nur gefragt, was er alles erzählt hatte.

Aoko schluckte. Diese Reaktion sagte ihr eigentlich schon alles. Ai sah so schuldig aus, fühlte sich unwohl in ihrem Körper. Hatte Kaito wieder gelogen? War er ihr ausgewichen um ihr diese Schmach zu ersparen? Aber er klang so ehrlich, als er ihr gesagt hatte, was in dieser Nacht passierte - nämlich gar nichts. Aber hieß es nicht auch, wer einmal lügt tat es immer wieder?

Ai blickte unsicher auf. „Es ist besser, wenn du das mit Kaito besprichst“, wich sie aus, aber es war schon zu spät. Aokos Augen sahen verletzt auf die Bettdecke. Hatte sie etwa wieder was falsch gemacht? Ihre Bekanntschaft stand unter keinem guten Stern. „Hör mal, ich bin der Meinung, dass du Kaito fragen musst. Ich möchte nicht noch mehr Unmut zwischen euch schaffen.“ Scheinbar hatte sie dafür aber schon gesorgt. Sie stand auf. „Es tut mir leid, Aoko. Gute Besserung.“ Sie blickte zu der verstummten Nachbargruppe und hauchte noch ein „Auf Wiedersehen“, ehe sie das Zimmer verließ.

„Aoko.“

Die Oberschülerin ignorierte Ran und die Kinder und drehte ihren Kopf dem Fenster zu. Sie musste ihre Gedanken sortieren und für sich abwägen wem sie glauben konnte und wem nicht.
 

Es war soweit. Gespannt stand Kaito Kid verkleidet als Polizist vor dem Beika-Museum und wartete. Kommissar Nakamori trat soeben auf ihn und einigen anderen Cops zu und gab seine letzten Anweisungen. „Dieses Mal kann er uns nicht entkommen. Unsere Fallen sind so gut versteckt, dass er niemals drauf kommt, wo sie sind. Passen Sie also auf, wenn Sie den Raum betreten.“

„Jawohl, Kommissar“, salutierten die Polizisten, während Kaito salutierte sich innerlich aber ins Fäustchen lachte. Ja, Herr Kommissar, Ihre Fallen können den großen Meisterdieb 1412 auch nicht aufhalten.

Als der Kommissar mehr ins Licht trat, erschrak aber der Dieb in weißer Weste über dessen Erscheinungsbild. Nakamori war aschfahl, hatte tiefe graue Augenränder und war unrasiert. Sein Hemd war faltig und seine gesamte Haltung wirkte abgekämpft.

Mit einem Mal durchflutete Kaito wirklich Mitleid für diesen Mann. Sofort schoss ihm Aokos Schicksal durch den Kopf und das gleiche Schicksal ereilte auch den Kommissar. Es musste schrecklich sein solche Nachrichten zu erfahren. „Kommissar“, zog Kaito unbedacht die Aufmerksamkeit seines Lieblingsfeindes auf sich. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“

Nakamori hielt inne, suchte nach dem Mann, der das gefragt hatte, und trat mit zusammengekniffenen Augen auf den Polizisten zu. Eindringlich beugte er sich dem Mann entgegen und in diesem Moment verfluchte sich Kid selbst, so unaufmerksam gewesen zu sein. Wenn er ihn jetzt enttarnte würde es für ihn schwierig werden den Diamanten zu stehlen.

Vor dem bedrohlichen Blick wich er ein wenig zurück. Und im nächsten Moment schlug ihm alkoholischer Atem entgegen. Erschrocken über diese Tatsache blickte er dem Kommissar in die Augen. War es denn möglich?

„Mir geht es gut. Hab ein paar private Probleme, nichts was hierher gehört.“ Er kniff nochmal seine Augen zusammen, trat einen Schritt zurück und ging dann zum Eingang. „Los jetzt, Kid wird jeden Moment ankommen. Bezieht eure Posten!“

Kaito beobachtete den Kommissar aufmerksam und wurde immer besorgter um Aokos Vater. Dieser schwankte leicht. Stand der Mann allen Ernstes unter Alkoholeinfluss? Das war doch gefährlich. Nakamori war niemals mehr Herr all seiner Sinne. Während er den Polizisten ins Museum folgte, überlegte er angestrengt, wie er Nakamori an diesem Abend schützen konnte. Er hasste ungeplante Faktoren, die seinen schön ausgeklügelten Plan durcheinander warfen.

Wenig später betraten sie den Raum in dem sich der blauen Diamant befand und traf dort auf Mori und die kleine Schnüffelnase Kudo. Nase rümpfend betrachtete Kid den Grundschüler und fragte sich, warum er noch nicht im Bett war.

Sein Blick streifte die Uhr und stellte fest, dass er für einen kleinen Spaß noch Zeit hatte, ehe das Licht ausging. Er beugte sich frech zu Kudo hinunter und grinste den Zwerg breit an. „So spät noch wach, Kudo?“, flüsterte er dem Detektiv zu. „In deinem Alter solltest du doch schon seit zwei Stunden im Land der Träume weilen.“

Conan blickte entsetzt auf, kniff seine Augen zusammen und knurrte: „Kid!“

In diesem Moment ging das Licht aus und der Meisterdieb, schälte sich aus seiner Verkleidung und wich sämtlich gestellten Fallen aus und schnappte sich den blauen Diamant.

„Macht das Licht an“, wetterte Kommissar Nakamori wütend.

Im nächsten Moment leuchtete eine Taschenlampe auf den weißen Umhang des Gentleman-Dieb.

„KID!“, brüllte Nakamori.

Kaito Kid begann zu lachen, drehte sich langsam um und hielt den blauen Diamant in seiner Hand, während er mit der anderen Hand seinen Umhang bis über die Nase hielt. „Guten Abend, Herr Kommissar.“ Seine Augen blickten durch den Raum und er erkannte dass der Oberschülerdetektiv im Kinderkörper eine Taschenlampe in der Hand hielt. „Es war mir wie immer eine Ehre. Und nun entschuldigen Sie mich.“ Im nächsten Moment warf Kid eine Blendgranate und verschwand.

Sofort nahm Conan die Verfolgung auf. Auch Nakamori begann zu brüllen. „Schnappt ihn euch.“ Er und sein Gefolge rannten ebenso aus dem Raum. Die Verfolgungsjagd führte über die vielen Treppenstufen hinauf auf das Dach.

Kid stieß die Türe auf und trat in die kühle Nacht hinaus.

Conan schlüpfte noch mit hindurch, ehe die schwere Stahltüre ins Schloss fiel.

„Du gibt’s nicht auf“, stellte Kid fest, während er sich dem Kinderdetektiv zudrehte.

„Nicht ehe ich dich im Gefängnis sehe“, erwiderte Conan. Aufmerksam betrachtete er die Reaktion des Meisterdiebes.

Kid lachte hämisch. „Das wird nie passieren.“

Shinichi funkelte belustigt. „Man soll niemals nie sagen.“

Die beiden blickten sich in die Augen und funkelten sich an.

Im nächsten Moment stieß Nakamori die Türe auf und rannte aufs Dach.

Erschrocken beobachtete Kid wie sich der Kommissar im letzten Moment noch auf den Beinen halten konnte. Schon spürte er den Fingerzeig auf sich und die Stimme donnerte durch die Nacht. „Da ist er, Männer! Verhaftet ihn!“

Der Meisterdieb blitzte den Vater seiner Freundin an. „Sind Sie nicht auch der Meinung, dass Sie Ihren Rausch erst mal ausschlafen sollten?“

Dieser Satz ließ alle auf dem Dach erstarren.

Kid beobachtete die Reaktionen der Polizisten und die verwirrten wie auch besorgten Blicke. Auch Conan hielt inne und beobachtete nun den Kommissar. Tatsächlich schien dieser ein wenig zu schwanken.

„Red' keinen Blödsinn, Kid!“ Er trat einen Schritt auf ihn zu und kämpfte erneut mit dem Gleichgewicht.

In Kid breitete sich die Besorgnis aus. Er konnte nicht verantworten, dass Nakamori vom Dach stürzte. Aokos Welt, die eh schon angeschlagen war, würde ganz zerbrechen, wenn ihrem Vater im Einsatz gegen Kid etwas passierte. Aber er selbst hatte auch nicht die Kraft und die Möglichkeiten den erwachsenen Mann aus einer gefährlichen Situation zu retten. Seine einzige Chance bestand darin, die Polizisten davon zu überzeugen, dass sie ihn zurück hielten. „Ich rede keinen Blödsinn. Sehen Sie sich doch mal an. Sie können sich ja kaum auf den Beinen halten.“ In seinen Augen blitzte wirklich Sorge auf. Es war für Aoko. Niemals könnte er ihr unter die Augen treten, wenn er an einem Unfall von Nakamori anwesend war. „Wie viel haben Sie getrunken?“

„Du spinnst“, fauchte Nakamori ernsthaft sauer und trat erneut einen Schritt zu, doch endlich reagierten die Polizisten und hielten ihren Kommissar zurück. „Was soll das?! Lasst mich los! Verhaftet Kid“, brüllte dieser wütend, aber seine Kollegen ließen ihn nicht los.

Endlich durchflutete Kaitos Körper Erleichterung. Er setzte sein überhebliches und arrogantes Grinsen auf und verbeugte sich vor den Herren. Dabei entging ihm nicht, wie der Detektiv ihn aufmerksam musterte.

Conan trat wirklich ein siegessicheres Grinsen auf die Lippen. Er hatte Kid die gesamte Zeit über beobachtet. Morgen würde er seinen Verdacht bestätigt wissen. Morgen würde er ihm wieder begegnen. Im Krankenhaus würde er morgen Kaito Kuroba treffen. Er freute sich auf diese Begegnung, denn er hatte vor als Shinichi Kudo zu kommen.

Kaito verwirrte das Grinsen, auch wenn sein Pokerface nichts darüber verlauten ließ. „Bis zum nächsten Mal!“ Mit diesen Worten sprang er vom Dach und öffnete seinen Gleiter. Schon wurde er von der nächsten Böe erfasst und in den Himmel empor gehoben.

„Bis schon sehr bald“, antwortete Conan murmelnd.

„Kommissar, es ist besser wenn Sie jetzt nach Hause gehen.“ - „Schlafen Sie sich aus.“ - „Ein Streifenwagen wird sie nach Hause bringen.“

Conan drehte sich den Polizisten zu und sah wie sie den zeternden Kommissar durch die Stahltüre schoben. Der Detektiv folgte ihnen langsam und er fragte sich, warum der Kommissar noch nicht hinter die Identität des Meisterdiebes gekommen ist. Wenn man ihn genau beobachtete, war es ein leichtes ihn zu durchschauen.

Ein schrecklicher Geburtstag

Aoko und Ran hatten Geburtstag. Endlich wurden sie achtzehn Jahre alt. In ihren Klassen zählten sie zu den jüngeren, da ihr Geburtstag im Spätsommer war.

Die diensthabende Schwester Yuzura, gratulierte den Mädchen, ehe sie ihnen das Frühstück brachte. Auch die Krankenschwester, die das Geschirr wieder abräumte gratulierte freundlich.

Es war ein seltsames Gefühl plötzlich mit jemanden zusammen Geburtstag zu haben. Natürlich gab es viele Menschen, die am gleichen Tag geboren waren, aber wenn man jemanden kannte und kürzlich von einer Verwandtschaft erfahren hatte, war es schon merkwürdig.

Diese Gedanken gingen Ran durch den Kopf und sie sehnte endlich den Nachmittag herbei. Dann hätte sie die blöden Untersuchungen hinter sich gebracht und Conan, Sonoko, wie auch die Detective Boys würden kommen. Wie gerne würde sie aufstehen und herumlaufen. Sie hatte dieses ständige Liegen und sich nicht bewegen können so satt.

Aoko verhielt sich mächtig still an diesem Tag. Ran konnte es sogar verstehen. Nach achtzehn Jahren zu erfahren dass man vertauscht wurde, riss einem den Boden unter den Füßen weg. Sie glaubte fast, dass Aoko sich nichts sehnlicher wünschte, als wenn dieser Tag vorüber war.

Ihre Augen streiften die Uhr und der Vormittag ging vorüber. Es klopfte an der Tür, als Schwester Yuzura eintrat und sich zu Ran ans Bett stellte. „Ich werde Sie zum Röntgen bringen. Es wird nicht lange dauern.“

Ran nickte.

Die Schwester löste die Bremsen am Bett und schob die Patientin behutsam aus dem Zimmer raus.

Aoko blieb alleine zurück und starrte emotionslos aus dem Fenster.
 

Als die Schwester endlich das Zimmer verließ, drehte er sich geschäftig zu einem an der Wand hängenden Plan. Seine Hände steckten in den tiefen Taschen des weißen Arztkittels. Das lange blonde Haar fiel ihm offen über den Rücken.

Das Bett wurde an ihm vorbei geschoben und verschwand den Gang entlang zu den Aufzügen.

Er hob seinen Blick und beobachtete die Krankenschwester. Sie stand mit dem Rücken zu ihm. Seine Augen suchten den Gang ab und als er sich versichert hatte, dass er alleine im Gang stand, bewegte er sich und verschwand schnell in dem gesuchten Zimmer. Ohne zu klopfen trat er ein und verschaffte sich einen Überblick.

Das Mädchen, welches im Bett lag, richtete ihre Augen auf ihn.

Schnell überwand er den Abstand zum Bett, während sie überrascht ihre blauen Augen aufriss. „Aber Sie sind doch...“, weiter kam sie nicht, da er ihr schnell, mit einem in Chloroform getränkten Tuch, den Mund zuhielt.

Sie begann sich zu wehren, zu kreischen, zu schreien, aber seine große Hand auf ihren Lippen verhinderte laute Geräusche. Es dauerte nicht lange, dann fielen ihr die Augen zu.

Ein Grinsen legte sich über seine schmale Lippen. Schon bald würde SIE ihm gehören. „Das Spiel beginnt, Kudo“, murmelte er vor sich hin, während er die Bremsen des Betts löste und dieses aus dem Zimmer schob. Es war keine Menschenseele weit und breit zu sehen und er schaffte es den kurzen Weg zum Aufzug ungesehen hinter sich zu bringen.

Hinter ihm schlossen sich die Türen. Ein kurzes erstes Durchatmen, dann drückte er den Knopf eines bestimmten Stockwerk und ließ seine Augen über das schlafende Mädchen gleiten.

Es war ein leichtes in die Klinik zu kommen, sich als Arzt zu verkleiden und im Computer die erwünschten Daten herauszufinden. Die Sicherheitsvorkehrungen waren so schlecht, und erneut fragte er sich, ob dieses Krankenhaus überhaupt Sicherheitsmaßnahmen kannte.

Mit einem leisen Pling kündigte der Aufzug das Ende der Reise an und öffnete automatisch die Türen.

Er schob das Bett aus dem Aufzug, folgte einem bestimmten Weg durch einige Gänge. Wenige Minuten später stieß er eine Türe auf. Sein Weg führte zu einem Krankenwagen, der bereits mit offenen Türen zur Abfahrt bereit stand. Er bremste mit dem Bett ab, während eine Gestalt hinter der Türe hervor kam. „Ist sie das auch wirklich, Gin?“

„Natürlich ist sie das“, keifte der Angesprochene. Im nächsten Moment zog er die Bettdecke weg und beide sahen, wie sie in einem Schlafanzug bekleidet im Bett lag. Ihre Augen musterten das Mädchen von Kopf bis Fuß und auch der leicht rote Blutfleck an der linken Seite in ihrem Oberteil entging ihnen nicht. „Wir müssen los. Beeil' dich, Vodka!“

Der stämmige in schwarz gehüllte Mann trat einen Schritt vor und hob das Mädchen vom Bett auf die Trage. Gin und er befestigten sie mit den Gurten, ehe sie die Trage mit dem Mädchen in den Krankenwagen schoben und die Türen verschlossen.

Gins Blick glitt zu der Kamera, die über der Türe hing, und kniff seine Augen zusammen. Auch Vodka folgte seinem Blick. „Die funktioniert nicht“, erklärte er und drehte sich vom Krankenwagen weg.

„Das will ich auch hoffen“, knurrte Gin und ging an dem großen Transportfahrzeug entlang. Die Fahrertür war schnell geöffnet und er konnte einsteigen. Im nächsten Moment war der Motor gestartet und langsam fuhr der Blonde aus der Tiefgarage. Ihm folgte ein schwarzer Kombi, an dessen Steuer Vodka saß.
 

Kaito verließ das Schulgebäude. Er wollte sofort zu Aoko und den Nachmittag bei ihr verbringen. Kaum war er ein paar Schritte über den Schulhof gegangen rief Hakuba ihm nach. „Kuroba, warte mal kurz.“

Genervt drehte sich der Braunhaarige um. „Was gibt’s denn? Ich habe es eilig.“

„Ich auch, darum werde ich mich kurz halten“, antwortete der Blonde missbilligend. „Was läuft zwischen dir und Aoko?“

Der Teilzeitdieb zog seine Brauen zusammen. „Was geht das dich an?“

Hakuba steckte seine Hände in die Hosentaschen und sah ihn mit gelangweilter Miene an. „Wir hatten mal eine Wette laufen. Wenn du und Aoko euch getrennt habt, wovon ich im Moment stark ausgehe, ist der Weg für mich frei.“

„Das hättest du gerne“, knurrte Kaito leise.

„Das ist so, Kumpel. Deal ist Deal.“ Hakuba ging einige Schritte weiter. „Ich muss jetzt los. Man sieht sich“, verabschiedete sich der Detektiv, fügte aber noch leise hinzu: „Kid.“ hinzu.

Kaito schickte seinem Rivalen noch finstere Blicke nach und wollte ihm noch eben ein: „Ich bin nicht Kid!“ nachrufen, als er von Yoko und Keiko überholt wurde.

Beide schnatterten ohne Pause. „Ich hoffe, dass ihr das Geschenk gefällt“, wünschte sich Keiko besorgt.

Yoko hingegen meinte: „Lass uns doch jetzt gleich zu ihr gehen, dann weißt du es.“ Sie blickte auf den Rücken des blonden Mitschülers. „Hey, Saguru. Du wolltest doch jetzt auch zu Aoko.“

Hakuba blieb stehen und drehte sich den Mädchen zu. Er nickte, wobei sein Blick auf Kaito Kuroba fiel.

„Lass uns doch zusammen gehen“, fügte Yoko hinzu.

Sie wollten auch alle zu Aoko? Kaito missfiel der Gedanke mit Aoko nicht allein sein zu können. Immerhin gab es noch so viele Missverständnisse zu klären. Er sah wie die drei sich zum Gehen drehten. So wie die Lage stand, würde er heute bestimmt keine Zeit für eine Aussprache finden. „Ich komme auch mit!“

Überrascht drehten sich die drei um. Dass Kaito Aoko besuchen wollte, war für alle drei eine Neuigkeit.

„Glotzt nicht so blöd“, brummte er genervt und trat zu ihnen. „Lasst uns endlich gehen“, fügte er etwas lauter hinzu.

Gemeinsam verließen die Mitschüler den Schulhof.
 

Conan betrat das Krankenhaus und zog sich auf die Toilette zurück. In einer Kabine zog er sich aus und schluckte die Kapsel. Lange dauerte es nicht, da spürte er die krampfartigen Schmerzen in seiner Brust. Er spürte seine Knochen, wie sie wuchsen. Schmerz durchzuckte ihn, seinen gesamten Körper. Es tat so weh. Die Luft zum Atmen fehlte ihm. Nach ein paar Minuten war der Spuk vorbei. Schwer atmend, betrachtete er sich von oben herab und ein zaghaftes Lächeln trat auf seine Lippen. Er war wieder er selbst. Und es fühlte sich gut an.

Sein Blick fiel auf die Uhr. Er hatte genau drei Stunden bis er wieder zu Conan wurde.

Shinichi schnappte sich seinen Rucksack und zog eine Boxershort, Jeans und ein weißes Hemd, sowie Strümpfe und seine Schuhe, hervor. Nachdem er fertig angezogen war, verstaute er Conans Kleidung im Rucksack. Diesen schulterte er locker, verließ die Toilettenkabine und schnappte sich den am Fensterbrett geparkten Blumenstrauß, sowie eine schmale Satinschachtel.

Es war soweit. Shinichi Kudo, der Schülerdetektiv des Osten, war zurück. Er verließ die Toilette und ging den Gang entlang zu Rans Zimmer. Vor der Türe blieb er stehen, als eine Schwester ein Krankenbett heran schob.

Ran, die darauf lag, erkannte den jungen Mann vor ihrer Türe und schlug fassungslos die unverletzte Hand über ihren Mund zusammen. „Shinichi?“, hauchte sie kraftlos. Sie konnte es kaum glauben.

Der Angesprochene drehte sich wie in Zeitlupe um und erblickte seine Kindheitsfreundin. „Ran“, begrüßte er sie mit einem Lächeln. Endlich konnte er bei ihr sein. Schnell öffnete er die Türe und machte Platz, damit die Krankenschwester Ran ins Zimmer zurück schieben konnte.

Als alles wieder an seinem ursprünglichen Platz war und Schwester Yuzura die letzten Einstellungen überprüfte, zog Shinichi sich einen Stuhl heran und setzte sich zu seiner besten Freundin.

Die Schwester sah zu dem leeren Platz beim Fenster und runzelte die Stirn. Dann allerdings verließ sie kurze Zeit später den Raum.

Nun waren die Oberschüler beide ganz allein.

Ran blickte ihren besten Freund wie gebannt an. Sie traute sich kaum mit den Augen zu blinzeln, nicht dass er dann plötzlich wieder verschwunden war und sie sich seinen Besuch nur einbildete.

Shinichi beobachtete amüsiert ihre Mimik. Sanft berührte er ihre Hand und streichelte vorsichtig darüber. „Ich bin wirklich hier, Ran!“

Die Berührung trieb ihr einen Rotschimmer auf die Wangen und ihr Herz begann mit einem Mal heftig zu schlagen. Um sich selbst aus der Verlegenheit zu befreien, funkelte sie ihren Sandkastenfreund wütend an. „Du blöder Idiot, warum kommst du erst jetzt?! Seit zwei Wochen liege ich hier und nicht einmal hast du dich bei mir gemeldet!“

Shinichi verzog sein Gesicht aufgrund des Anschisses. Sie hatte ja Recht, er hätte sich zwischendurch wirklich mal bei ihr melden können. Aber was sollte das jetzt? Nun war er doch hier. „Ich kann auch wieder gehen, wenn ich nicht erwünscht bin“, zog er sie auf, da er genau wusste, dass sie dies niemals zulassen würde.

„Nein, du bleibst hier“, folgte auch schon die Antwort. Ran senkte die Augen auf ihre Finger und hob dann wieder schüchtern ihren Blick. Sie betrachtete das ihr so vertraute Gesicht, die blauen Augen. „Wie lange bleibst du überhaupt?“

„Leider hab ich nur drei Stunden Zeit, Ran“, antwortete Shinichi bedauernd. „Aber lass uns die Zeit nutzen. Ich habe dir etwas mitgebracht.“ Er zog den Blumenstrauß hervor. „Alles Gute zum Geburtstag.“

Überrascht starrte sie auf den buntgemischten Strauß, in dem Rosen wie auch Lilien und in der Mitte eine schöne Sonnenblume eingebunden waren.

„Shinichi, die sind wunderschön“, hauchte Ran überwältigt und nahm den Strauß entgegen.

Doch nun zog er auch die Satinschachtel hervor. „Und das ist auch noch für dich“, gestand er leise und auch bei ihm legte sich ein Rotschimmer um die Nase.

Mit leicht erröteten Wangen nahm sie das Etui und öffnete es behutsam. Schon blitzte ihr eine silberne Kette entgegen mit einem Yin und Yang Anhänger daran. „Shinichi...“

Er suchte ihre blauen Augen und erklärte leise. „Dieses Symbol soll für uns beide stehen. Egal wie weit wir voneinander entfernt sind ... wir gehören zusammen.“

Lange sahen sie sich in die Augen. Seine Worte brannten sich in ihren Kopf. Ihr Herz schlug rasend schnell. „Shinichi“, hauchte Ran erneut, aber die Worte, die sie ihm sagen wollte, kamen ihr nicht über die Lippen. Stattdessen lächelte sie und selbst ihre Augen strahlten: „Danke!“

Shinichi lächelte zurück. Er sollte ihr seine Liebe gestehen. Er wollte ihr die drei kleinen, dennoch sehr bedeutenden Worte sagen. Aber er brachte es nicht fertig. In drei Stunden würde er wieder zu Conan werden und er wusste nicht, wie lange er sie danach nicht mehr sah. Es wäre nicht richtig sie so an sich zu binden. Ihre Traurigkeit könne er nicht ertragen. Darum schluckte er und wechselte das Thema. „Wie ich gehört habe, sind der Fahrer und das Auto immer noch nicht gefunden worden.“

Rans Lächeln verschwand. Sie wurde wieder ernst. „Nein, immer noch gibt es keine Spur. Auch bei Aokos Schützen tappt die Polizei im Dunkeln. Es gab keine Augenzeugen.“

Shinichi wusste genau von wem sie sprach, aber er durfte ihr Vertrauen in Conan nicht verlieren. Aus diesem Grund setzte er eine verwirrte Mimik auf und hakte nach. „Aoko?“

„Hat dir Conan nichts erzählt? Ihr redet doch sonst so viel miteinander.“ Ein kleiner Seitenhieb, dass er sich öfters bei dem Grundschüler meldete, als bei seiner besten Freundin.

Shinichi verzog den Mund, dann schüttelte er seinen Kopf „Wir haben gar nicht so viel Kontakt miteinander und er hat auch nichts erzählt.“ Das schlechte Gewissen über diese Lüge plagte ihn.

Ran nahm seine Antwort hin und begann Shinichi über die Ereignisse aufzuklären und dieser hörte ihr zu. Die Geschichte kannte er bereits, trotzdem hing er an ihren Lippen und lauschte ihrer Stimme, die ihm in regelmäßigen Abständen leichte Schauer über den Rücken jagte. „Ich würde sie dir gerne vorstellen, aber scheinbar ist sie doch bei diesem Rundum-Check.“

„Der kann ja nicht mehr allzu lange dauern“, stimmte Shinichi zu und lehnte sich nachdenklich in seinem Stuhl zurück. „Das alles klingt sehr merkwürdig“, stellte er fest.

„Kannst du nicht bleiben und diesen Fall lösen?“, bat sie ihn.

Er sah in ihre flehenden Augen und ihm blutete das Herz. Zu gern würde er bei ihr bleiben, die Täter dingfest machen und diese dafür bestrafen was sie seiner Freundin an Schmerzen zugefügt haben. Aber es ging nicht. Noch nicht. Würde es irgendwann einmal gehen? Würde er jemals wieder für immer zu Shinichi werden? Er schüttelte traurig seinen Kopf. „Ran, das geht nicht. Ich stecke in diesem...“

„Ich weiß schon, der Fall an dem du schon solange dran hängst. Geht es denn da voran?“

„Nur schleppend, sehr schleppend“, antwortete Shinichi und sah sie traurig an.

„Und du kannst mir nicht verraten worum es in diesem Fall geht?“, hakte sie weiter nach. Natürlich kannte sie die Antwort bereits.

„Nein, denn dieser Fall ist Top Secret.“ Ihm wurde ganz mulmig zumute. Er log sie nicht gerne an, aber wenn sie die Wahrheit erfuhr, dann war sie in größter Gefahr. Sein Blick traf auf seine Armbanduhr und er stellte fest, dass bereits eine Stunde vergangen war. Eine Stunde von drei Stunden. Konnte die Zeit nicht mal langsamer vergehen?

Es klopfte an der Zimmertüre und wenig später traten vier Oberschüler ein. Zwei Mädchen und zwei Jungen.

Enttäuscht blieben sie im Raum stehen. „Sie ist ja gar nicht da“, stellte Yoko fest und drehte sich zu Ran und ihrem Besucher um. Überrascht betrachtete sie das Gesicht des Jungen und ließ ihre Augen zu ihrem Klassenkameraden schweifen.

Keiko trat auf Rans Bett zu. „Alles Gute zum Geburtstag, Ran. Wo ist denn Aoko?“

„Danke“, antwortete die Mori freundlich und schüttelte ihren Kopf. „Ich weiß auch nicht. Sie war schon bei ihrer Untersuchung als wir gekommen sind.“

Auch Yoko wandte ihren Blick ab und lächelte Ran an. „Auch von mir alles Gute. Aber sag mal wer ist denn das?“

„Das ist mein bester Freund“, stellte die Tochter des Privatdetektiv vor.

Shinichi stand auf und betrachtete die Oberschüler. Er kannte sie alle schon, aber nur als Conan. Allerdings fand er die Begegnung mit Kaito Kuroba am Interessantesten, oder sollte er eher Kaitou Kid sagen? „Ich bin Shinichi Kudo.“ Mit festem Blick ließ er seine Augen über die vier Oberschüler wandern. Wobei bei letzterem sein Blick hängen blieb. Der Junge ließ sich auch gar nichts anmerken. Das war sein Pokerface, stellte Shinichi gedanklich fest.

„Ihr seht euch sehr ähnlich“, bemerkte der blonde Schülerdetektiv erstaunt. „Kuroba, hast du etwa einen Zwilling?“

„Nicht das ich wüsste“, antwortete der Magier und blickte weiterhin Kudo in seiner richtigen Form an. „Vielleicht sollten wir mal einen DNA-Test machen lassen.“ Seine Gedanken kreisten aber gerade um eine viel wichtigere Frage: Wieso war Kudo plötzlich wieder groß?

„Vielleicht“, antwortete Shinichi. Dennoch würde er lieber wissen, was dem Meisterdieb durch den Kopf ging.

Nun stellten sich auch die Oberschüler vor. „Ich bin Keiko Momoi, das ist Yoko Yashima, Saguru Hakuba und Kaito Kuroba. Wir sind Freunde von Aoko.“

„Das gibt es doch nicht!“, riss eine weibliche Stimme plötzlich alle Aufmerksamkeit auf sich. Sonoko hatte das Zimmer betreten und überrascht den männlichen Besucher wahrgenommen. „Shinichi Kudo gibt sich mal wieder die Ehre“, höhnte sie und quetschte sich durch die Oberschüler des Ekota-Gymnasiums durch. Im nächsten Moment baute sie sich vor ihrem Mitschüler auf. „Wo warst du? Du Baka, du Aho, wie kannst du dich seit Monaten in der Weltgeschichte herumtreiben und dich nicht ein einziges mal bei Ran blicken lassen?!“

Shinichi wich vor der wütenden Sonoko leicht zurück, während ihm nur ein Gedanke durch den Kopf ging: Oh nein, Sonoko...

Überrascht lauschten alle der Schimpftirade.

Nun aber blickte Sonoko zu ihrer besten Freundin. „Alles Gute zum Geburtstag, Ran.“ Sie ging zu ihr und reichte ihr einen dünnen Umschlag. „Wenn du wieder laufen kannst, kommst du mit mir zu einem Konzert“, zwinkerte sie der Braunhaarigen zu. Dann erst nahm sie die Oberschüler wahr und kniff fragend ihre Augen zusammen. „Wo sind die nervigen Kinder und Conan?“

Ran zuckte mit ihren Schultern: „Sie kommen vielleicht ein bisschen später.“

Shinichi lächelte, erleichtert darüber, dass die Kurzhaarige nun von seiner Person abgelenkt war. Die Detective Boys würden vermutlich erst in zwei bis drei Stunden kommen. Die Kinder würden noch eine Weile mit einem Fall beschäftigt sein. Eine Mitschülerin hatte ihren Teddy verloren und die Schülerdetektive um Hilfe gebeten. Gleich nach der Schule sollte die Suche beginnen, aber Conan schob die Ausrede vor für Ran noch ein Geburtstagsgeschenk besorgen zu müssen. Allerdings musste er ihnen versprechen ihnen anschließend bei dem Fall zu helfen, wenn sie diesen noch nicht gelöst hatten. Haibara hatte sich zu dem Zeitpunkt schon längst aus dem Staub gemacht.

„Wie lange bleibst du überhaupt?“, wandte sich Sonoko schon wieder an den Detektiv.

„Nicht lange. In zwei Stunden muss ich wieder weg.“ Shinichi senkte betrübt seinen Kopf. Die Zeit verging so schnell.

Kaito beobachtete seinen Rivalen. Inzwischen vermutete er, dass weit mehr hinter Kudos Geschichte steckte, als er bislang ahnte. Zwei Stunden noch... Aber warum? Was passierte danach?

Yoko mischte sich in die Runde ein. „Ich geh mal fragen, wie lange Aokos Untersuchung noch dauert.“ Nach einem Kopfnicken seitens Saguru Hakuba, drehte sie sich um.

In diesem Moment ertönte ein Klopfen an der Türe und Schwester Yuzura ins Zimmer trat. „Hallo“, begrüßte sie die Teenager freundlich lächelnd, ehe sie auf die immer noch leere Stelle am Fenster blickte. Überrascht sah sie zu den Schülern. „Ist denn Fräulein Nakamori immer noch nicht zurück?“

„Das wollten wir Sie fragen“, erwiderte Yoko fordernd. „Wie lange dauert denn noch diese Untersuchung.“

Nun war die Schwester vollkommen verwirrt und blickte von einem Gesicht in das nächste. „Mir ist nichts bekannt, dass überhaupt eine Untersuchung anstand, aber ich werde mich sofort nochmal erkundigen.“ Mit den Worten verließ sie das Krankenzimmer wieder.

Ran wurde mit einem Mal ganz unruhig. „Hoffentlich ist ihr nichts passiert.“

„Was soll schon passiert sein?“, hakte Sonoko sofort nach.

In Kaito schrillten bereits sämtliche Alarmglocken. Wo war sie, was war mit ihr und ging es Aoko gut? Für eine Millisekunde blitzte ein kurzer sorgenvoller Blick auf.

Shinichi fühlte sich über die Identität des Oberschülers mehr und mehr in seinem Verdacht bestätigt. Er beobachtete jede noch so kleine Reaktion des Braunhaarigen, der ihm so ähnlich sah. „Es könnte viel passiert sein“, klärte Shinichi die Anwesenden auf. „Ihr Körper könnte das Blut der Transfusion abgestoßen haben.“ Es war nicht sehr taktvoll, dennoch wollte er Kid aus der Reserve locken. Zweimal war ihm die Besorgnis ins Gesicht geschrieben. Er wollte dies ein drittes Mal sehen. Immerhin ging es ein zweites Mal um dessen beste Freundin.

Kaito erschreckte diese Aussage. Dennoch behielt er sein Pokerface und verschränkte lässig die Arme vor der Brust. „So ein Quatsch. Du bist kein Mediziner.“

„Aber du“, fauchte Hakuba ihn an. Er war ebenso sehr besorgt wie Ran und es trieb ihn auf die Palme, wenn er diese Gleichgültigkeit Kaitos sah.

„Das hab ich nie behauptet. Ich erteile hier auch nicht solch kluge Ratschläge.“

„Wieso bist du überhaupt hier, wenn dich das alles so kalt lässt“, erwiderte Hakuba sauer.

Kaito blitzte mit seinen blauen Augen seinen Mitschüler an. „Was willst du von mir, Hakuba?“

„Wieso bist du wirklich hier? Um Aoko geht es hier nicht. Bei dir schon lange nicht mehr!“

„Warum sonst sollte ich hier sein, wenn nicht um Aoko zu besuchen?“ Innerlich kochte der Dieb mit weißer Weste.

Shinichi beobachtete den Streit der beiden Oberschüler.

Schwester Yuzura betrat wieder das Zimmer. Blass und besorgt wanderte ihr Blick von einem zum nächsten. „Uns ist nichts von einer Untersuchung bekannt. Ich habe den Arzt schon informiert und auch den Sicherheitsdienst. Nach Fräulein Nakamori wird jetzt gesucht.“

„Was?! Wie kann es passieren, dass ein Mädchen samt Bett einfach aus dem Zimmer verschwinden kann?!“ Kaito war plötzlich außer sich vor Sorge und vergaß darüber hinaus die Maske der Gleichgültigkeit aufzusetzen.

„Es scheint in dieser Klinik öfter vorzukommen, dass etwas schief läuft“, mischte sich nun auch Ran ein. In ihrem Gesicht spiegelte sich die Besorgnis wieder.

Krankenschwester Yuzura senkte betroffen ihren Kopf. „Wir sind davon ausgegangen, dass Fräulein Nakamori doch zur Untersuchung gebracht wurde, da meine Kollegin einen Mann ins Zimmer gehen hat sehen.“

Shinichi stutzte. „Wie sah der Mann aus?“

„Langes blondes Haar hatte er. Sie hat ihn auch nur ganz kurz gesehen. Sie war auf dem Weg zu einem Patienten“, erklärte die Schwester.

Shinichi erstarrte. Konnte es wirklich sein?

Kaito entging nicht Kudos seltsames Verhalten. Unbändige Wut überkam ihn. Fuchsteufelswild sprang Kaito auf Shinichi zu. Ran entließ einen entsetzten Aufschrei, während Kaito Shinichi am weißen Hemdkragen packte und ihn an den Schrank neben Rans Bett drückte. „Was weißt du, Kudo?!“, knurrte Kaito wütend.

Überrascht presste Shinichi hervor. „Nichts, ich weiß gar nichts.“ Aber eine Ahnung sagte ihm, dass sie scheinbar näher waren, als ihm lieb war.

„Ich glaube dir nicht! Verdammt nochmal, Kudo, es geht hier um meine Freundin!“

„Bis eben klang das aber noch anders“, mischte Hakuba sich plötzlich ein.

Wütend blitzte Kaito seinen Klassenkameraden an, ließ aber nicht von Shinichi ab: „Hör auf mich zu nerven! Ich habe andere Sorgen, denn MEINE Freundin ist verschwunden!“

Der Arzt und die Sicherheitskräfte traten in das Zimmer. Erschrocken über das Bild der beiden Oberschüler, reagierten die beiden Schränke von Männern und zogen die Jungen auseinander.

Shinichi richtete sich sein Hemd.

„Lasst mich los! Sucht lieber nach Aoko!“, brüllte Kaito wütend, während er sich von dem festen Griff des Typen zu befreien versuchte.

„Wir suchen bereits nach ihr“, brummte der Sicherheitsmann.

„Schluss jetzt“, mischte sich der Arzt herrisch ein. „Dieses Krankenhaus ist kein Boxring!“ Etwas ruhiger wandte er sich an den Sicherheitsdienst: „Bitte begleiten Sie diese Herren aus der Klinik.“

Die beiden Männer stimmten zu. Kaito wurde von dem einen aus dem Zimmer geschoben, während Shinichi spürte, wie der andere ihn am Arm anpackte. „Ich gehe freiwillig“, stimmte der Schülerdetektiv zu und entzog seinen Arm dem festen Griff. Nach einem letzten entschuldigenden Blick zu Ran, folgte er Kaito und der Security.

Der Arzt blickte die restlichen Schüler an und forderte einige Erklärungen. Nicht nur über diese Auseinandersetzung, sondern auch über Details und Informationen über Aoko Nakamori.

Doch keiner von ihnen konnte im Falle Aoko eine Aussage machen. Niemand hatte bemerkt, wann und wie sie verschwunden war.
 

Der Krankenwagen fuhr eine belebte Straße entlang. Langsam geriet er aber in einen Stau. Die mehrspurige Straße wurde auf eine Spur zusammengeführt. Lange ging nichts weiter und Gin saß wie auf glühenden Kohlen. Er wollte so schnell es ging zu ihrem Hauptquartier. Jede Minute länger in dem gestohlenen Krankenwagen war ein Risiko, das es zu vermeiden galt. Zwei Autos vor ihm verdeckte ein Lastwagen die Sicht. Von links schoben sich zwei Autos vor ihm rein und als der Lastwagen endlich anfuhr, entdeckte er zu spät die Polizeikontrolle.

Ihm entgleisten die Gesichtszüge. Verdammt nochmal, wieso fand ausgerechnet hier eine Kontrolle statt. Im nächsten Moment schwante ihm bereits, was sie in der Kontrolle zu finden glaubten. Seine Augen kniffen sich wütend zusammen. Es war zu spät um umzukehren. Langsam näherte er sich den Polizisten, die zu zweit in der Kontrolle standen und immer wieder mal ein Auto zu den vielen Kollegen am Straßenrand schickten.

Es war soweit. Gin fuhr den Krankenwagen in die Kontrolle und öffnete das Fenster.

„Guten Tag“, begrüßte der Polizist freundlich. „Befinden Sie sich im Einsatz?“

„Ich bin auf Abruf bereit“, antwortete der Blonde und rang sich ein schiefes Lächeln ab.

Der Polizist nickte zu und gab ihm den Weg frei. „Hoffentlich haben Sie heute nicht so viele Einsätze.“

„Danke.“ Langsam fuhr Gin an und in diesem Moment fielen Steine der Erleichterung von seinen Schultern. Er war noch einmal davon gekommen. Allerdings war Vodka noch nicht durch die Kontrolle. Er beobachtete über den Seitenspiegel, wie sein Partner in die Kontrolle fuhr. Nach einigen Momenten fuhr auch dieser weiter und Gin atmete zum zweiten Mal durch. Ein hämisches Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Jetzt stand ihnen nichts mehr im Weg.

Der Krankenwagen fuhr in eine kleine unbewohnte Seitenstraße, in der es kaum Verkehr und noch weniger Fußgänger gab. Gin parkte dort und wartete auf Vodka.

Der schwarze Kombi fuhr in die Straße, wendete und fuhr rückwärts an den Krankenwagen heran.

Gin stieg aus, öffnete den Kofferraum, sowie die Türen des Krankenwagen.

Vodka, der ebenfalls ausstieg, verschwand im Transporter, hob das immer noch schlafende Mädchen heraus und legte sie schnell in den Kofferraum.

Sofort verschlossen sie die Heckklappe. Dann verschwanden die beiden im Krankenwagen, verwischten professionell schnellstens alle möglichen Spuren, die sie überführen könnten. Nach einem weiteren Blick auf die Straße, verließen sie den Krankenwagen und stiegen in den Kombi ein. Schon fuhr das Auto die Straße entlang und bog wieder auf die Hauptstraße ab.

Stammbaum Kudo / Kuroba

Erst als die beiden Oberschüler zur Türe hinaus waren, verkündete der Sicherheitsdienst. „Für heute haben Sie Hausverbot! Das nächste Mal benehmen Sie sich angemessen in einem Krankenhaus.“ Mit diesen Worten drehten die Männer sich um und gingen wieder zurück an die Arbeit.

Shinichi prustete genervt die Luft aus. Nun war er endlich mal wieder er und durfte heute das Krankenhaus nicht mehr betreten. Und Schuld war dieser Oberschüler. Er steckte seine linke Hand in die Hosentasche und beobachtete seinen Rivalen, der sich immer noch nicht beruhigt hatte.

„Das darf doch nicht wahr sein“, schimpfte Kaito weiter, obwohl die Männer nicht mehr in der Nähe standen. Plötzlich aber drehte sich der Braunhaarige zu seinem Doppelgänger um und funkelte diesen wütend an. „Wie kann das sein, dass meine Freundin verschwindet, und du mir den Eindruck vermittelst, dass du etwas weißt?!“

„Ich weiß nichts“, knurrte Shinichi. Er hatte lediglich einen Verdacht. Seinen Körper überzog eine Gänsehaut. Er hoffte, um Aokos Leben, wie auch um seines und Haibaras, dass dieser Verdacht unbegründet war.

„Wer entführt Aoko? Warum? Wo liegt da der Sinn?“ Inzwischen ging Kaito vor dem Eingang auf und ab. Er wollte etwas tun, nein, musste etwas tun, aber wo sollte er anfangen? Er überlegte ob ihm irgendwas verdächtiges in den letzten Wochen vorkam, aber außer seinem Gefühlschaos hatte er nichts mitbekommen. Er blieb stehen und sah zu Shinichi. Der Oberschüler schien zu einer Statue erstarrt zu sein. Dann blieb noch die Frage, wie Kudo wieder er selbst wurde? Wie konnte es sein, dass ein achtzehnjähriger Junge zu einem Kleinkind wurde? Das war doch unmöglich und widersprach jeglicher Physik und Wissenschaft.

Shinichis Gedanken drehten sich im Kreis. Wenn das alles zusammenhing? Rans Autounfall, Aokos Schussverletzung, jetzt ihre Entführung. Aber warum? Warum das alles? Wer sollte so etwas tun? Wer war zu so etwas in der Lage? Konnte es wirklich sein, dass die schwarze Organisation hinter all dem steckte? Zu was sie fähig war, wusste er nur zu gut, schließlich war er jeden Tag gefangen in einem Kinderkörper. Aber warum? Sie wussten nicht, dass er lebte. Sie wussten doch auch nichts von Ran und schon gar nicht kannten sie Aoko.

„Kudo!“

Shinichi sah auf und direkt in ein blaues Augenpaar. Unter dem grimmigen Blick senkte er seine Augen und las die Uhrzeit seiner Armbanduhr. Die Hälfte der Zeit war um. Er seufzte. Heute würde er eh nicht mehr zu Ran kommen. Dafür hatte das Sicherheitspersonal und auch Kid gesorgt. Apropos Kid... Er hob den Kopf und blitzte den Jungen in seinem Alter entschlossen an. „Lass uns zu mir nach Hause gehen. Wir müssen sämtliche Anhaltspunkte geklärt haben, um nach Aoko suchen zu können.“ Und dort wirst du mir so einiges erklären dürfen, Kaitou Kid, fügte Shinichi in seinen Gedanken hinzu.

Kaito prustete entnervt die Luft aus. Am liebsten hätte er sie sofort eigenmächtig gesucht, aber wo sollte er in einer Millionenmetropole mit der Suche nach seiner Kindheitsfreundin beginnen? Schließlich nickte er und die beiden Oberschüler verließen das Klinikgelände und gingen die Straße entlang.

Der Weg war nicht weit, eine halbe Stunde zu Fuß, dann kamen die beiden an einer großen Villa vorbei.

Kaito sah sich das Grundstück an, das um einiges größer war, als das auf dem er selbst wohnte. Innerlich fragte er sich, wer da wohnte. Seine Augen striffen den Zaun entlang, während er Kudo folgte, der entschlossen an dem Grundstück vorbei ging. An einer der Zaunlatten war ein weißer Zettel befestigt. Bestimmt von einem Katzenbesitzer, der auf der Suche nach seiner verschollenen Katze war. Zur Genüge hingen solche Zettel an den Straßenlaternen und an Bäumen. Nachdem jemand hier einen Zettel anklebte, schien die Villa nicht mehr bewohnt zu werden.

Shinichi ging zielstrebig an der Villa, seinem zu Hause, vorbei und bog in das kleine Nachbargrundstück ab. Sein Weg führte durch den Vorgarten. An der Haustüre blieb er stehen und drehte sich nach Kaito um, der ihm langsam folgte. Im nächsten Moment setzte er seinen Finger auf die Klingel und läutete.

„Schlüssel vergessen?“, spottete Kaito. Er stand gelangweilt neben Kudo, hatte seine Hände lässig in den Hosentaschen vergraben und strahlte die Ruhe selbst aus. Innerlich aber tobte ein Kampf seiner Nerven. Er verschwendete sinnlos Zeit. Aoko könnte sonst wo sein, und er hatte mit der Suche nach ihr noch nicht einmal begonnen. Auch in ihm pochte ein Verdacht auf. Was wenn Snake wusste, wer Kid in Wirklichkeit war. War es ein Racheakt? Aber wie sollte er herausgefunden haben...

Shinichi durchbrach seine Gedankengänge ruppig. „Ich wohne nicht hier, sondern dort!“ Bestimmt zeigte er mit seinem Zeigefinger auf die große Villa.

Unbeeindruckt folgte Kaito dem Fingerzeig. Er selbst wohnte auch in einer Villa, das imponierte ihn gar nicht. „Warum stehen wir dann vor dieser Haustüre?“

Im nächsten Moment öffnete sich die Tür und die beiden Oberschüler standen einem älteren Mann mit Halbglatze und weißem, zerzaustem, abstehendem und lockigem Haar gegenüber. Seine Augen hinter der Brille wurden größer, als er Shinichi vor sich stehen sah. Danach betrachtete er verwirrt den Oberschüler, der Shinichi ähnlich sah.

„Kaito Kuroba“, stellte sich Kaito vor, wobei er einen süffisantem Blick zu seinem Doppelgänger warf. Manieren hatte dieser Detektiv wohl keine.

Shinichi entging weder die Tonart noch der Blick. Er rümpfte die Nase und trat am Professor vorbei. „Wir sollten uns möglichst sofort an die Arbeit machen.“ Weit kam der Oberschüler nicht, denn eine Frau erschien im Flur und starrte ihn mit großen Augen an. „Shinichi?“ Sie musterte den Oberschüler und im nächsten Moment zog sie ihn in eine feste Umarmung und ließ ihn nicht mehr los. „Mein Junge, ich hab dich so vermisst.“

Kaito trat ebenfalls ein und der Professor schloss die Türe.

„Lass ihn doch erst einmal hereinkommen, Yukiko“, ertönte eine weitere Stimme, diesmal männlich. Ein Mann mit Brille und Schnauzer erschien in der Türe zum Flur und betrachtete das Gesamtbild.

Shinichi schaffte es sich aus der Umarmung seiner Mutter zu lösen und blickte überrascht von ihr zu seinem Vater. „Ihr seid hier?“

„Natürlich sind wir hier“, antwortete Yukiko Kudo. Sie sah ihrem Sohn in die blauen Augen. Eindeutig hatte er ihre Augenfarbe geerbt. „Der Professor teilte uns mit, dass Ran einen schlimmen Autounfall hatte. Wir machten uns sorgen, immerhin wird sie doch eines Tages mal unsere Schwiegertochter.“ Sie lachte ihren Sohn fröhlich an.

Shinichi lief schlagartig knallrot an.

„So, so, Kudo, wie interessant“, zog Kaito die Aufmerksamkeit aller auf sich. „Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich hab noch eine wichtige Sache zu erledigen.“ Kaito drehte sich um und griff nach der Türklinke. Bevor er sie öffnen konnte, hielt ihn die männliche Stimme zurück. „Du bist doch Kaito Kuroba, richtig?“

Shinichi blickte überrascht zu seinem Vater. Yukiko heftete die blauen Augen auf den Oberschüler vor ihr und der Professor stand schweigend bei der Tür und beobachtete alles.

Kaito drehte seinen Kopf, ließ sich seine Verwirrung nicht anmerken. „Sollte ich Sie kennen?“

„Es ist lange her“, mischte sich Yukiko ein. „Zuletzt sahen wir dich auf der Beerdigung von deinem Vater.“

Kaitos Herz zog sich bei diesen Worten zusammen, aber immer noch ließ er keine Gefühle durchdringen. „Woher kannten Sie meinen Vater?“

„Er ist mein Cousin“, antwortete Yukiko emotionslos, wobei ihr Mann seufzte: „Es ist eine lange Geschichte.“

„Lasst uns ins Wohnzimmer gehen. Der Tee wird kalt“, nutzte der Professor gleich die Chance und dirigierte seine Gäste in den geräumigen, bequemen Raum.

Nacheinander nahmen die Kudos auf der großen Couch platz, wobei Kaito sich zögernd auf einen Sessel setzte. Er hatte anderes, wichtigeres zu tun, dennoch interessierte ihn auch die Vergangenheit seines Vaters.

Der Professor brachte noch zwei Tassen aus der Küche und setzte sich ebenfalls in einen Sessel. Tee wurde eingeschenkt und die Kudos begannen zu erzählen.

„Meine Mutter war die Schwester von Toichis Mutter. Toichi ist drei Jahre älter gewesen und wir waren in unserer Kindheit unzertrennlich. Er war für mich mehr als mein Cousin, er war für mich eher ein älterer Bruder“, begann Yukiko zu erzählen. Sie griff nach ihrer Teetasse und nippte daran.

„Was hat sich geändert?“ Shinichi stellte diese Frage.

Yukiko blickte von ihrem Sohn zu Kaito, dann schloss sie die Augen. In der Schule lernte er ein Mädchen kennen und verliebte sich Hals über Kopf in sie.“ Sie öffnete die Augen und sah Kaito an. „Ich weiß nicht was es war, aber sie hatte etwas an sich, dass mir suspekt war. Ihre Augen verbargen ein Geheimnis, welches ich lösen wollte. Ich wollte herausfinden, wer sie in Wirklichkeit war.“

Kaito überzog eine Gänsehaut. Er wusste, was sie für ein Geheimnis barg. Sie war die berüchtigte Phantom Lady. Das war sie schon zu Schulzeiten gewesen und sie war es immer noch. Nicht umsonst hielt sie sich öfter in den Vereinigten Staaten als zu Hause auf.

„Hast du das Geheimnis gelüftet?“ Wieder stellte Shinichi die Frage.

„Nein.“ Yukiko sah ihren Sohn an. „Ich habe Toichi damals gewarnt. Mein Misstrauen ist über die Zeit nie abgeflaut, doch er ignorierte meine Warnungen und verkündete kurz nach seinem Schulabschluss, dass er sie heiraten würde. Der Termin stand zu dem Zeitpunkt schon fest.“

Shinichi sah Kaito an, der immer noch keinen Ausdruck in der Miene zeigte. Man konnte ihm nicht ansehen, ob ihm die Geschichte nahe ging.

„Eineinhalb Jahre später heirateten auch Yusako und ich. Ein halbes Jahr nach unserer Hochzeit feierte Großvater Toshi seinen einundachtzigsten Geburtstag. Zu Toichi hatte ich nur noch ganz selten Kontakt, da Chikage und ich uns nie besonders gut leiden konnten. Aber dann trafen wir uns auf dem Geburtstag und zu unserer gegenseitigen Verwunderung sahen wir, dass Chikage und ich beide einen Kugelbauch trugen. Ich war bereits im siebten Monat und Chikage im fünften Monat schwanger.“ Yukiko lächelte. „Etwas hat sich verändert, ob es an der Schwangerschaft lag? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall fanden wir zu neuen, gemeinsamen Gesprächsthemen und wir hielten fortan wieder mehr Kontakt zu einander.“

„Wir sind ein halbes Jahr nach Shinichis Geburt nach Amerika gezogen“, erzählte Yusako Kudo weiter. „Als ihr beide vier Jahre alt wart, sind wir nach Japan gekommen. Du“, er blickte seinen Sohn an: „hast mit Kaito gespielt, während deine Mutter bei Toichi Unterricht bekam. Zwischenzeitlich war Toichi bereits in Japan ein berühmter Magier und ein Verwandlungskünstler.“

Shinichi blickte zu Kaito. Darum konnte er sich immer wieder als Polizisten, sogar einmal als Ran ausgeben.

Kaito lauschte den Worten, verzog aber immer noch keine Miene. Dafür spürte er jetzt den Blick des Oberschülers auf sich. Zugern würde Kaito wissen, was sein Rivale dachte.

„Du hast sein Talent bestimmt geerbt, immerhin hast du schon als Vierjähriger Sachen Magie benutzt“, lachte plötzlich Yukiko auf und zog ihre Handtasche heran. Dann begann sie darin zu wühlen.

Yusako nickte und erzählte weiter. „Wir sind erst wieder nach Japan zurückgekehrt, als die Beerdigung von Toichi stattfand.“ Sein Ton wurde traurig. „Nach der Beerdigung sind wir noch zu euch nach Hause und boten Chikage an, dass wir sie für da wären und ihr zur Seite stehen, falls sie das Haus auflösen und mit dir umziehen wolle. Leider hat sie unser Angebot falsch aufgefasst und ein fürchterlicher Streit brach aus. Seitdem haben wir keinen Kontakt mehr zu ihr und zu dir gehabt“, bei den letzten Worten sah er Kaito an.

Yukiko zog ein Foto hervor und hielt es dem Magier hin.

Kaito erkannte auf dem Foto drei Kinder. Zwei Jungen und ein Mädchen. Einer der Jungen war er selbst.

Yukiko reichte das Foto ihrem Sohn, der es wie gebannt anstarrte. „Da ist ja Ran“, stellte Shinichi überrascht fest.

Doch Kaito schüttelte seinen Kopf. „Das ist Aoko.“ Diese ganzen Erzählungen über seinen Vater stimmten den Oberschüler traurig. Er konnte sich an nichts davon erinnern und auch das Foto war ihm vollkommen fremd.

„Stimmt, Kaito. Das Mädchen hieß Aoko. Du meine Güte, all die Jahre hab ich überlegt, wie ihr Name war. Dieses Foto entstand bei euch zu Hause, bevor der Streit eskalierte. Shinichi, du und Aoko, ihr habt versucht Kaito von diesem traurigen Tag und den trüben Gedanken abzulenken.“

An nichts konnte sich Kaito erinnern, außer an sie. Er wusste noch wie er traurig vor dem Grab seines Vaters stand. Seine Mutter stand neben ihm und tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen von der Wange. Er selbst war so zerrissen, denn sein über alles geliebter Papa war tot. Er fühlte die Kälte in sich aufsteigen, die Tränen, wie sie sich einzeln aus seinen Augen lösten. Doch dann spürte er eine Berührung an seiner Hand. So überraschend und zugleich wohltuend breitete sich eine Wärme in ihm aus und sie gab ihm Kraft, zeigte ihm, dass er nicht alleine war. Langsam drehte er den Kopf zur Seite und blickte auf das Seitenprofil eines Mädchens mit braunem Haar. Aus ihren Augen quollen dicke Tränen heraus, dennoch hielt sie seine Hand. Sie stand ihm zur Seite, war für ihn da und von fortan auch nicht mehr aus seinem Leben weg zu denken. Aoko... Das Mädchen, das er liebte, seit er wusste, was Liebe überhaupt war. Sie bedeutete ihm alles und er musste sie finden. Er musste sie finden, wo auch immer sie war.

Kaito stand auf. „So sehr mich auch Geschichten von früher interessieren, doch leider muss ich jetzt gehen.“

„Du kannst noch nicht gehen“, erwiderte Shinichi fordernd, während auch er aufstand.

„Wisst ihr eigentlich, dass ihr beide meinem Großvater sehr ähnlich seht? Ihr habt beide seine Gene geerbt“, mischte sich Yukiko ein.

Kaito sah Frau Kudo an, wusste nichts darauf zu sagen. Zumindest erklärte es die Ähnlichkeit. Doch dann wandte er sich Shinichi zu. „Du scheinst vergessen zu haben, dass ich noch etwas Wichtiges erledigen muss.“

„Du findest sie nicht, Kaito. Nicht wenn du alleine gehst.“

„Wer soll mich denn begleiten, du etwa?“, spottete der Oberschüler und blickte seinem Doppelgänger in die Augen.

„Wir brauchen mehr Hinweise“, antwortete Shinichi sofort, als ihm plötzlich ein starker Schmerz durch den Körper fuhr. Sein Blick huschte zur Uhr. Haibara sagte drei Stunden, es war noch eine viertel Stunde Zeit. Waren das die Vorankündigungen?

Kaito beobachtete ihn aufmerksam und auch besorgt. „Lass mal, Kudo. Ich komm schon alleine klar.“ In dem Moment drehte er sich um und verließ das Haus des Professors.

Shinichi fasste sich, biss die Zähne zusammen und eilte ihm nach. „Warte!“

Kaito ging schnellen Schrittes die Straße entlang und kam an dem Zaun der Villa Kudo vorbei. Aus den Augenwinkeln nahm er den weißen Zettel wahr. Er blieb stehen. Drehte sich um und trat einen Schritt auf den Zaun zu. Im nächsten Moment angelte er den Zettel und faltete diesen auseinander. Er rechnete wirklich damit auf ein Foto einer Katze und einer Telefonnummer vom Besitzer vorzufinden. Doch dann starrte er auf verschiedene Zeitungsschnipsel, die Buchstaben für Buchstaben Wörter formten. Als er sich diese Nachricht durchlas, riss er seine Augen auf. Sein Herz begann zu rasen und unbewusst versteiften sich seine Finger um das Blatt.

Shinichi näherte sich. Seine Augen skeptisch zusammengekniffen. „Was hast du da?“

Kaito blitzte den Oberschüler an. „Eine Nachricht für dich, Kudo!“

Überrascht nahm der Detektiv das Blatt Papier entgegen und überflog die Nachricht. Vor Entsetzen riss er die Augen auf.

„Du weißt also nichts, ja?“ Kaito schubste den immer noch auf das Papier starrenden Shinichi zurück.

Kudo keuchte auf, stolperte rückwärts und ließ dabei das Blatt zu Boden segeln. Im nächsten Moment durchfuhr ihn wieder ein solch starker Schmerz, dass er keuchend nach Luft rang. Er kniff seine Augen zusammen und krümmte sich. Es wurde immer schlimmer mit den Schmerzen. Nach einem Blick auf die Uhr, sah er wie die Zeit voranschritt. Wenn es so weiter ging, würde das Gegenmittel wirklich pünktlich nachlassen.

„Was ist los mit dir, Kudo? Hat es dir die Sprache verschlagen?“ Kaito funkelte Shinichi wütend an.

Die Welle des Schmerzes ebbte ab und Shinichi bekam nur schwer wieder Luft. „Verdammt“, keuchte er. „Kuroba, was soll der Mist?!“

„Was verschweigst du mir?! Ich habe dir schon mal gesagt, es geht hier um Aoko!“

„Was wäre wenn du es wüsstest? Was wirst du dann tun?“

Kaito funkelte Shinichi an. „Ich werde sie zurückholen. Egal, wo sie ist.“

„Was wäre wenn es gefährlich ist?“

Der Magier grinste selbstgefällig. Sollte Snake mit seinen Widerlinge dahinter stecken, würde er persönlich mit ihnen abrechnen.

„Das ist kein Spiel, Kid“, fauchte Shinichi, während er die nächste Schmerzwelle in sich spürte. Bald würde er wieder schrumpfen. „Diese Männer sind gefährlich! Viel gefährlicher als Nakamori mit seinen Polizisten es jemals sein könnten!“ Er biss die Zähne zusammen, versuchte den Schmerz zu ignorieren, schaffte es aber nicht. Erneut krümmte er sich, presste seine Hand auf die Brust und er spürte, wie seine Knochen schmerzten. Es war als würden sie schmelzen.

Kaito starrte Kudo entsetzt an. Ob es an der Tatsache lag, wie Shinichi ihn genannt hatte oder daran,wie dieser sich vor Schmerzen krümmte wusste er nicht. Er blickte sich um und sah wenige Passanten die Straße entlang laufen, die sich neugierig nach ihnen umdrehten. Der Teilzeitdieb hob das Blatt auf und stützte Shinichi. Langsam führte er den schwer keuchenden Oberschüler zurück zum Haus des Professors.

Gemeinsam stolperten die Oberschüler zurück ins Wohnzimmer. Schwer atmend, fuhr der nächste Schmerz durch Shinichis gesamten Körper. Es waren höllische Schmerzen. Wenn die Organisation davon erfuhr, hätten sie die ideale Foltermöglichkeit. Erneut durchzuckte ihn ein Schmerz, während seine Knochen zu schrumpfen begannen.

Shinichi. Kaito stützte den gekrümmten Oberschüler verwirrt. Was passierte nur hier?

„Shinichi“, rief Yukiko besorgt aus und sprang von der Couch. Auch Yusako beobachtete seinen Sohn mitfühlend.

„Das Gegengift verliert seine Wirkung“, keuchte Shinichi schwer atmend aus. Wie er diese Schmerzen verfluchte. Es war für ihn fast noch schlimmer als zu wachsen und das tat bereits höllisch weh und wünschte man nicht mal seinen ärgsten Feinden.

Gegengift? Kaito beobachtete Shinichi. Dieser schnappte nach Luft, löste sich aber von Kaitos Stütze und trat einen Schritt in den Raum. Ein erneuter Krampf durchfuhr seinen Körper und nach schier endlosen Minuten stand ein geschrumpfter Conan vor ihnen, seine Kleidung war viel zu groß für ihn. Erschöpft und gepeinigt ließ er sich schwer atmend mitten im Wohnzimmer auf dem Fußboden nieder.

„Kannst du mir meine Kleidung aus dem Rucksack geben?“, keuchte er schwach und sah zu seinem Vater, der neben der Couch stand. Immer noch sah man ihm an, wie sehr er gelitten haben musste.

„Natürlich, mein Junge.“ Im nächsten Moment überreichte Herr Kudo seinem Sohn den Rucksack.

„Kudo“, flüsterte Kaito und betrachtete den Grundschüler vor sich.

„Nicht nur du hast Geheimnisse“, keuchte Conan und rappelte sich langsam auf. Das Hemd war zwar viel zu groß, jedoch verdeckte es seinen nackten Körper. „Ich bin gleich wieder da. Dann erzähl ich dir meine Geschichte.“ Und du wirst mir deine erzählen, Kid, fügte Conan in Gedanken zu. Mit dem Rucksack schlich sich der Oberschüler im Kleinkindkörper aus dem Zimmer. Er brauchte ein paar Minuten für sich um sich wieder zu sammeln.

Aussprache?

Während Conan sich umzog und von seiner Rückverwandlung erholte, stand Kaito im Wohnzimmer und versuchte seine Gedanken zu sortieren. Kudo hatte ein Gegengift genommen? Wurde er vergiftet? Wie konnte ein Gift einen Menschen nur schrumpfen? Was war nur passiert und in was war Kudo nur rein geraten? Seine Augen wichen zum Papier. Er musste die Nachricht nicht noch einmal lesen, die Worte hatten sich in sein Gedächtnis gebrannt.

„Was hast du da, Kaito?“ Yusaku trat auf den jungen Magier zu und nahm ihm das Blatt Papier ab. Überrascht las er sich den Text durch.

Yukiko ging ebenfalls auf die Männer zu und auch der Professor beobachtete die Reaktionen.

Yusaku las laut vor: „Ihr geht es gut aber für wie lange noch, das liegt ganz bei dir, Kudo. Wir melden uns!“

Verwirrt mischte sich der Professor ein. „Von wem ist das Schreiben?“

„Gin und Wodka“, mischte sich Conan ein, der in der offenen Türe stand und neben ihm eine Grundschülerin mit hellem Haar.

„Alkohol? Dafür bist du noch zu jung“, entgegnete Kaito tadelnd und blickte spöttisch auf den Grundschüler hinab.

Conan trat ganz ein. Seine Augen blitzten wütend zu dem Oberschüler auf. „Ich bin genauso alt wie du, nur stecke ich in diesem Körper fest.“

Das Mädchen trat ebenso in den Raum. „Sie haben Aoko mit Ran verwechselt.“ Eigentlich sortierte sie ihre Gedanken, aber dabei sprach sie lauter als gewollt. „Normalerweise passiert Gin niemals so ein Fehler. Aber er kann auch nicht wissen, dass Aoko und Ran Zwillinge sind.“ Conan hatte sie eben noch im Labor aufgesucht und sie ins Bild gesetzt. Sie forschte weiter an einem Gegenmittel und hatte weder den Besuch noch die beiden Oberschüler mitbekommen.

„Wer bist du überhaupt?“, hakte Kaito skeptisch nach.

Das Mädchen sah zu ihm auf. Sie zog ihre Augenbrauen zusammen. „Wer bist du?“

„Kaito Kuroba.“

„Auch bekannt als Kaitou Kid“, erklärte Conan und dabei trat ihm ein überlegenes Grinsen auf die Lippen.

Der Oberschüler zog seine Augenbrauen zusammen und funkelte den kleineren Jungen finster an.

Yusaku ließ sich auf die Couch fallen. Seine Ellbogen stützte er auf den Knien und seine Hände hielt er verschränkt vor seinem Gesicht. „Natürlich, ich hätte es wissen müssen.“

Alle Augen richteten sich auf Herrn Kudo, der seine Augen schloss. Eine tiefe Falte zeigte sich auf seiner Stirn.

Ohne Aufforderung begann er zu schlussfolgern. „Damals hat Kaitou Kid seine Rätsel an mich gesendet. Es war jedes Mal eine neue Herausforderung. Aber dann ... eines Tages fand ich durch Zufall raus, wer sich hinter der Maske des Meisterdiebes verbarg.“ Er öffnete die Augen und blickte zu Kaito auf. „Es hätte mir sofort auffallen müssen, wer in seine Fußstapfen getreten ist.“

Kaito wurde langsam ungeduldig und ignorierte den Schriftsteller auf der Couch. Ihn interessierte viel mehr wer dieser Gin war. „Was hat es mit Gin auf sich?!“

„Machen wir einen Deal, Kid“, forderte Conan. „Du erzählst uns alles, was du weißt, und wir sagen dir alles, was wir wissen.“

Wie er diesen Jungen doch hasste. Kaito überlegte kurz, doch dann nickte er zustimmend. „Abgemacht.“ Er drehte sich zu Yusaku Kudo. „Mein Vater war der erste Kid“, das hatte der Mann selbst bereits herausgefunden. „Meine Mutter ist die Phantom Lady“, dabei sah er Yukiko Kudo an. Auch das wusste der geschrumpfte Shinichi, denn Kid hatte es ihm mal verraten. „Und ich bin der zweite Kid und suche nach den Mördern meines Vaters.“
 

Chikage Kuroba näherte sich dem Haus der Nakamoris. Sie ging durch den kleinen Vorgarten auf die Haustüre zu und klingelte.

Es vergingen Minuten, nichts tat sich.

Chikage läutete erneut und wartete.

Sie setzte bereits zum dritten Mal an, da wurde die Türe aufgerissen. Erschrocken blickte sie in die dunklen und tiefen Augenringe, die blutunterlaufenen Augen, das unrasierte Gesicht und die fettigen Haare.

„Ja, bitte?“ Ginzo Nakamori sah nicht nur im Gesicht schlecht aus, sondern seine gesamte Erscheinung war ungepflegt. Das Hemd hatte er nicht ordentlich zugeknöpft, zudem stand es vor Dreck. Bei seinen Worten schlug Chikage der Alkoholatem entgegen.

„Herr Nakamori, ich bin Chikage Kuroba. Darf ich reinkommen?“

Kurz legte sich seine Stirn in Falten, doch dann trat er zurück und öffnete die Türe. „Kaitos Mutter... Natürlich, bitte kommen Sie rein.“

Die Kurzhaarige betrat das Haus und blickte sich besorgt um. Überall lagen Klamotten, Verpackungen und leere Sakeflaschen und Bierflaschen.

Ginzo überholte sie und führte sie ins Wohnzimmer. „Ich habe nicht mit Besuch gerechnet“, stotterte er verlegen. Er bemühte sich um einen halbwegs geraden Gang, aber es missglückte ihm. So torkelte er zur Couch und schob unbeholfen einige der Pizzakartons zur Seite. Dann bot er Chikage den frei gewordenen Platz an.

Diese bemühte sich sehr nicht allzu offensichtlich das Gesicht vor Ekel zu verziehen und rang sich ein Lächeln ab. Eindeutig fehlte diesem Mann seine Frau. Und dass Aoko nicht seine wirkliche Tochter war, hatte ihm sehr schwer zugesetzt. Sie dachte an das traurige Mädchen im Krankenhaus und fühlte sich fast schuldig nicht sofort nach ihrem Vater gesehen zu haben.

„Was führt Sie zu mir?“ Ginzo ließ sich auf einen Sessel nieder, ohne überhaupt bemerkt zu haben, dass auch auf dem Polster Essensreste lagerten.

Aufmerksam ruhten die blauen Augen von Frau Kuroba auf dem traurigen Gesicht des Kommissars. „Vielleicht wollen Sie mit jemanden reden?“

„Da gibt es nichts zu reden“, erwiderte Nakamori tieftraurig.

Nicht sicher, wie sie auf diese Worte reagieren sollte, sah sie sich um. „Ich würde uns gern einen Tee kochen.“ Mit diesen Worten stand sie auf und wartete Ginzos Zustimmung ab.

Dieser nickte kraftlos. „Die Küche ist gegenüber.“

Somit verließ Kaitos Mutter das Wohnzimmer und setzte Wasser auf. Nebenbei ließ sie ihren Blick über das ungespülte Geschirr schweifen und fand auch im nächsten Moment die Spülmaschine. Während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, räumte sie Stück für Stück die Küche auf. Am Ende wischte sie mit einem Lappen noch über die Arbeitsflächen und goss zum Schluss den Tee in einer Kanne auf. Beladen mit zwei Tassen und einer Kanne Tee kam sie ins Wohnzimmer zurück und stellte das Geschirr auf den Wohnzimmertisch. Auch hier räumte sie ein wenig zusammen um Platz zu schaffen.

Ginzo beachtete sie nicht einmal. Zu sehr war er in seinen traurigen Gedanken gefangen.

Chikage schenkte den Tee ein und setzte sich wieder auf die Couch. Ihr entging keineswegs wie sehr der Kommissar unter der Tatsache litt. Sie wusste, dass sie ihn nicht verstehen konnte. Dieser Mann lebte fast achtzehn Jahre in dem Glauben eine leibliche Tochter zu haben. Niemand, der nicht so etwas annähernd einmal erlebt hatte, konnte sich in die betroffenen Personen hinein versetzen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie reagieren würde, allerdings scheiterte sie bereits an der Vorstellung. So etwas sollte niemand erleben – wirklich niemand. „Aoko sorgt sich um Sie. Sie sind ihr Vater und sie hat solche Angst Sie zu verlieren.“ Frau Kuroba hatte Aokos Angst und Sorge angesehen. Die blauen Augen, so tieftraurig und verstört, brannten sich in Chikages Erinnerung. Sie kannte das Mädchen seit vielen Jahren und sie hatte dieses Mädchen in ihr Herz geschlossen. Innerlich wünschte sie sich Aoko als Schwiegertochter. Aber bislang hatte sie nicht mal annähernd daran geglaubt, dass Kaito jemals zu seinen Gefühlen gegenüber diesem Mädchen stehen würde. Dass er den Mut gefasst hatte und sogar kurzzeitig mit ihr zusammen war überraschte und erfreute Chikage sehr.

Ginzos Augen wurden noch dunkler und trüber. „Ich bin nicht ihr Vater. War es nie gewesen. Sie war niemals mein eigen Fleisch und Blut.“

„Aber sie ist Ihre Tochter. Das Mädchen haben Sie aufgezogen. Sie haben Aoko geliebt, ihr ein zuhause gegeben und für sie gesorgt.“ Frau Kuroba blickte ihn aufmunternd an. „Auch wenn die Wahrheit ans Licht gekommen ist, so werden Sie immer Aokos Vater sein.“

Wie aus einer Lethargie gerissen blickte Ginzo Nakamori Chikage Kuroba an. Seine Augen ruhten auf der Mutter von Aokos Kindheitsfreund. Plötzlich versuchte er sich an einem Lächeln, es misslang. „Unsere Kinder sind schon so lange miteinander befreundet und wir haben uns nie wirklich kennen gelernt.“

Auch Chikages Mundwinkel zuckten. „Es gab bisher einfach keine Gelegenheit.“ Sie verbuchte den kleinen Erfolg des Wortes „uns“. Darum wagte sie einen weiteren Schritt. „Ich bin Chikage.“ Zögerlich bot sie ihm das Du an, aber ob er es wirklich annehmen würde...

„Ginzo“, erfolgte schon die Antwort. „Es freut mich dich kennen zu lernen, Chikage. Auch wenn es durchaus bessere Situationen gibt.“

„Ja, die hätte es sicherlich gegeben.“ Chikage blickte ihn aufmerksam und mitfühlend an. „Es ist schrecklich zu erfahren, dass das eigene Kind nicht das eigene ist und ich kann mir nicht vorstellen, wie ich in solch einer Situation reagieren würde.“ Sie blickte sich um. Der Saustall in der Wohnung zeigte ihr, wie sehr er sich und sein Leben schon aufgegeben hatte. „Aber ich kann dir helfen. Wo auch immer du Hilfe brauchst, werde ich dir zur Seite stehen.“

„Wieso?!“ Ginzo runzelte seine Stirn. Der Tee ernüchterte ihn wieder ein wenig. Nach einem Blick in das verschreckte Gesicht, räusperte er sich und fügte etwas freundlicher hinzu: „Bisher kannten wir uns nicht.“

„Ich liebe Aoko wie eine Tochter. Und ich werde mich um ihre Familie kümmern.“

Endlich begannen die grauen, versoffenen Zellen in seinem Gehirn wieder zu arbeiten. Der Kommissar überlegte, doch dann fiel ihm das Gespräch vor einiger Zeit wieder ein. Ein Gespräch mit seiner Tochter wie auch ihrem Kindheitsfreund. „Sie kommt langsam in ein bestimmtes Alter...“

Chikage begann zu kichern. Sie dachte an ihre Jugend zurück und wie sehr sie doch Toichi geliebt hatte. Sie war nicht viel älter als Aoko und wusste bereits damals, dass der Magier der Mann ihres Lebens war. „Wir waren auch mal jung und wissen was in unseren Kindern vorgeht.“

„Also stört es dich nicht, wenn sie und Kaito... nun ja...“, druckste der Kommissar verlegen herum. Er wollte nicht, dass Aoko sich jetzt schon mit einem Jungen traf, der mehr sein würde als ihr bester Freund.

„Sie tut Kaito gut“, schoss es aus Chikage heraus. Verlegen räusperte sie sich und begann zu erklären. „Seit Toichis Tod neigt er dazu arrogant und überheblich zu werden. Er hat das Ableben seines Vater nie verwunden und kann seine Gefühle nicht zeigen.“

Ginzo wusste wie der Junge sich fühlen musste. Er selbst hatte sich nach dem Tod seiner geliebten Frau auf die Jagd nach dem Meisterdieb gestürzt. Die Arbeit konnte ihn von dem Schmerz ablenken. Aber das seine Tochter einen sehr wichtigen Stellenwert in Kaitos Leben hatte, war dem Kommissar nie bewusst gewesen.

Es klingelte an der Haustüre. Verwirrt, weil er keinen Besuch erwartete, stand er auf und schlurfte zur Türe. Als er öffnete stand er zwei Polizisten gegenüber. „Herr Kommissar“, begrüßten ihn die beiden Kollegen mit traurig bedrückter Mimik.

„Was ist passiert?“

Mit einem schlechten Gefühl im Bauch stand auch Chikage auf und ging zur Türe.

„Herr Kommissar, es tut uns sehr leid, aber es ist wichtig. Es geht um Ihre Tochter.“

Ginzo Nakamori riss vor Sorge seine Augen weit auf. „Was ist mit Aoko?“ Auch wenn ihn das Wort Tochter nach wie vor schmerzte, so behielt Kaitos Mutter recht. Er hatte sie groß gezogen und geliebt, als wäre sie sein eigen Fleisch und Blut.

„Sie … Das Krankenhaus hat uns informiert, dass sie verschwunden ist. Wir haben sie bereits zur Fahndung ausgeschrieben und auch die Krankenhausmitarbeiter und die Patienten nach Aoko befragt. Bisher konnte uns aber niemand etwas sagen.“

„Außer die Krankenschwester, die einen blonden langhaarigen Mann in ihr Zimmer hat gehen sehen“, bemerkte der zweite Polizist.

„Wer ist dieser Mann?“ Langsam aber sicher brachte er wieder seine sonst so herrische Stimme hervor.

„Das wissen wir noch nicht, Herr Kommissar“, antwortete der erste Polizist. „Wir müssen wieder aufs Revier. Wir halten Sie auf dem Laufenden.“ Mit den Worten verabschiedeten sich die beiden Polizisten und kehrten über den Vorgarten zu dem Polizeiauto zurück. Wenig später fuhren sie davon.

Ginzo schloss die Türe und lehnte sich kraftlos mit dem Rücken an. Was passierte nur hier? Konnte das alles wirklich nur Zufall sein? Irgendwie glaubte er nicht mehr an Zufälle.

Chikage stand ihm blass und voller Sorge gegenüber. Ob Kaito bereits von Aokos Verschwinden wusste? Sie musste ihn fragen, aber im Moment war dies einfach noch nicht möglich. Dieser Mann vor ihr war am Ende, am Boden zerstört. Zuallererst sollte sie ihn wieder auf die Beine bringen.

Sie trat einen Schritt auf ihn zu. „Lass uns darüber sprechen.“

Ginzo nickte und folgte der kurzhaarigen Japanerin zurück ins Wohnzimmer.
 

Im Café Katzenauge stand Nami hinter der Theke und wischte diese mit einem Lappen sauber. Hitomi saß auf einem Hocker davor und hielt ihren Kopf gestützt auf ihrer rechten Hand. Aufmerksam lauschte sie den Ausführungen von Detective Toshi Utsumi, der auf dem Hocker neben ihr saß und genüsslich seinen Kaffee trank. „Es geht drunter und drüber. Kid ist gestern wieder davon gekommen und Katzenauge konnten wir auch noch nicht schnappen.“

„Das wird schon noch“, versuchte Nami den niedergeschlagenen Detective aufzumuntern.

Ein Funkeln trat in die braunen Augen von Toshi und er nickte eifrig. Wieder mal bauten ihn die Frauen auf und sprachen ihm Mut zu.

Ein Polizist stürmte in das Café: „Detective Utsumi, wir haben eine neue Ankündigung von Katzenauge erhalten.“

„WAS?! Diese verdammten Katzen.“ Schnell kippte er den noch heißen Kaffee hinunter und verbrannte sich dabei prompt den Gaumen. Während er sich jämmerlich auf die Unterlippe biss, nur um nicht die Tränen zu weinen, die sich in seinen Augen gebildet hatten, kicherte Hitomi leise. „Sie erhalten eine neue Chance, Herr Detective. Fang dir die Katzen“, spornte sie ihn an.

Toshi lächelte kläglich, nickte eifrig und folgte dem Polizisten aus dem Café. Die Tür war noch nicht ganz ins Schloss gefallen, als sie wieder aufgestoßen wurde und Toshi erneut im Laden stand. Mit wenigen Schritten stand er wieder neben Hitomi und zückte seine Geldbörse. Einen Schein reichte er Nami, dann lächelte er von einer Schwester zur nächsten und verschwand endgültig.

Hitomi ging zur Türe, drehte das Schild von offen auf geschlossen.

„Fang die Katzen, los Toshi, du schaffst das“, äffte Ai ihre Schwester nach. Sie hielt ihre Hauskatze an die Brust gedrückt und streichelte diese.

Hitomi setzte sich zu ihrer jüngeren Schwester an den Tisch. Dabei lächelte sie. „Vergiss nicht, dass ich Toshi seit vielen Jahren kenne und er nichts von unserer zweiten Identität weiß.“

„Du jubelst dem Feind zu, Schwesterchen.“

„Mach dir keine Sorgen, Love. Es wird schon gut gehen.“ Nami setzte sich ebenfalls mit an den Tisch. „Erzähl uns lieber mal, warum du so ein Gesicht ziehst.“

„Ich ziehe kein Gesicht“, schmollte Ai und blickte auf ihre Katze.

„Und wie du das tust. Hast du Ärger mit Kaito?“

„Nein“, maulte Ai sofort zurück. Sie wollte nicht mit ihren Schwestern reden.

Hitomi und Nami tauschten einen vielsagenden Blick aus. „Wirklich nicht? Er war schon länger nicht mehr hier. Love, du kannst uns sagen, wenn dich etwas bedrückt.“

Ai hüllte sich in Schweigen und weigerte sich in die Gesichter ihrer Schwestern zu sehen.

Hitomi zwinkerte Nami zu. Dann stützte sie ihre Unterarme auf die Tischplatte und lehnte sich zu Love, die ihr gegenüber saß, vor. Süffisant fragte sie: „Hast du dich verliebt?“

„Hab ich nicht“, erwiderte die Angesprochene prompt und blickte sauer auf. „Er hat eine Freundin. Ihr habt sie auch mal gesehen.“ Love wurde traurig. „Kaito ist heute bei ihr, da sie Geburtstag hat.“

„Aber irgendwas ist doch noch“, grübelte Nami, die sich deswegen noch lange nicht die traurige Mimik erklären konnte.

Ai zögerte, blickte dann aber zu ihrer ältesten Schwester auf. „Ich hab ein paar Probleme in der Klasse. Sie denken, dass wir... Kaito und ich … das wir mehr als Freunde sind.“

„Das dürfte seiner Freundin nicht gefallen“, mutmaßte Hitomi mitfühlend.

„Aoko hat mit ihm Schluss gemacht und die Klasse steht voll und ganz hinter ihr.“

„Und Kaito ist trotzdem bei ihr?“

Love nickte. „Ja, er will sie zurück gewinnen.“ Ein trauriges Lächeln trat auf ihre Lippen. Aber es war richtig so. Auch wenn sie ihn als Freund lieb gewonnen hatte, so verband sie doch nicht mehr miteinander.

Hitomi seufzte. „Siebzehn möchte ich nicht mehr sein.“

„Und ich keine zwanzig mehr“, antwortete Nami unbekümmert und stand auf. „Ich muss jetzt ins Museum. Wir sehen uns später.“

Hitomi und Ai machten im Café sauber, ehe sich jede von ihnen in ihr eigenes Zimmer zurück zog.
 

Ihr Kopf brummte. Ganz langsam öffnete sie ihre Augen. Eine weiße Decke drehte sich über ihr. Schnell kniff sie ihre Augen wieder zu. Ihr war so schwindlig und ein flaues Gefühl schlug ihr auf den Magen. Sie unterdrückte die aufkommende Übelkeit und öffnete die Augen ein weiteres Mal. Langsam hörte das Schwindelgefühl auf und sie betrachtete die weiße Decke mit dem grellen Neonlicht.

Das Pochen in ihrer linken Bauchseite wurde intensiver und stärker, aber sie biss die Zähne zusammen und richtete sich langsam auf. Dabei kniff sie die Augen vor Schmerzen zusammen und hielt unbewusst die Luft an. Als sie aufrecht saß, keuchte sie auf und blickte an sich herunter. Sie trug ihren Schlafanzug, den sie in der Klinik an hatte, dieser war aber an der linken Seite von ihrem eigenen, zwischenzeitlich getrockneten Blut getränkt. Ihr Kopf begann zu schwirren, während der Schmerz sich hinter ihren Augen ausbreitete und ihr für wenige Sekunden die Sicht nahm.

Es dauerte ein bisschen bis sich ihr Körper wieder beruhigt hatte. Erst als sie sich wirklich besser fühlte, öffnete sie wieder die Augen und begann sich umzusehen. Sie saß in einem fensterlosen Zimmer, aus dem nur eine Tür herausführte. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit weißen, großen Fliesen verkleidet. Der Boden war ebenso gefliest, nur waren diese hellgrau.

Die Kälte in dem Raum, kroch durch den dünnen Stoff ihres Schlafanzuges und umfing ihren Körper. Fröstelnd zog sie ihre Arme um ihren Oberkörper und versuchte sich so ein wenig zu wärmen.

Ihre blauen Augen suchten weiter den Raum ab, aber außer einer Toilettenschüssel war der Raum komplett leer.

Die Wunde begann von neuem zu schmerzen. Sie drehte ihren Kopf und stellte fest, dass sie gar nicht weit weg von einer Wand saß. Langsam rutschte sie herum und wenig später lehnte sie ihren Rücken an. Als sie ihr Körpergewicht gegen den Rückhalt sinken ließ, lehnte sie auch ihren Hinterkopf an.

Lange starrten die blauen Augen an die weiß gestrichene Decke.

Sie erinnerte sich kaum, was geschehen war. Sie wusste nur noch, dass die Schwester ins Zimmer kam, ihr und Ran zum Geburtstag gratulierte und dann mit Ran aus dem Zimmer ging. Sie wusste es fehlte ein Detail, ein sehr wichtiges Detail, aber mehr wollte ihr einfach nicht einfallen.

Viel wichtiger war jetzt aber auch, herauszufinden wo sie war und wer sie hier her gebracht hatte und das warum...

Wenn sie die Kraft gehabt hätte und nicht verletzt wäre, wäre sie schon längst aufgestanden und hätte an der Tür gerüttelt. Doch der Schmerz hielt sie an Ort und Stelle. Wenn sie doch nur wüsste, was hier vor sich ging. Sie glaubte nicht mehr daran, dass alles purer Zufall war.

Sie würde es schon herausfinden. Auch wenn sie kaum die Kraft hatte sich zu bewegen, war ihr Wille zurückgekehrt. Die Gedanken an die vergangenen Tage verscheuchte sie schnell wieder. Zuerst musste sie aus diesem Raum herauskommen und dann könnte sie sich all den anderen Problemen stellen.

Zusammenarbeit

Yukiko ließ sich entsetzt auf die Couch plumpsen. „Wieso Mörder? Toichi ist doch bei einer seiner Zaubershows verunglückt?“

Kaito drehte sich der Cousine seines Vaters zu und sah sie ernst an. „Das haben alle geglaubt, aber ich bin mir sicher, dass es Mord war.“

„Wer sollte so etwas tun?“ Yukikos Stimme brach.

„Jemand der herausgefunden hat, wer Kid wirklich ist“, schlussfolgerte Conan ernst. „Aber warum sollte derjenige ihn gleich töten wollen?“ Seine blauen Augen starrten den Oberschüler an. Er glaubte nicht, dass Kaito die gesamte Wahrheit erzählt hat.

Kaito setzte sein Pokerface auf. Von Pandora würde er ihm nichts sagen. Viel zu gefährlich war die Tatsache, dass die Organisation es mit bekommen würde und sie alle wären dann in Lebensgefahr. „Das versuche ich durch die Verkleidung herauszufinden.“

Irgendein Detail fehlte da noch. Conan überlegte hin und her, aber er wusste nicht was es sein könnte. Stattdessen wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

„Jetzt bist du dran, Shin-chan“, zog ihn Kaito auf und verschränkte seine Arme vor der Brust. Auffordernd hielt er den Blickkontakt zu dem Oberschüler im Körper des Grundschülers aufrecht.

„Gin und Wodka gehören zu einer Organisation. Ich nenne sie Die Männer in Schwarz“, erzählte Conan.

Kaito überlegte, ob es eine Verbindung zwischen Snake und Spider und dieser Organisation geben könnte.

„Ich bin ihnen damals in einem Freizeitpark aufgelauert. Weil ich etwas gesehen habe, was ich nicht hätte sehen sollen, schlugen sie mich nieder und verabreichten mir dieses Gift. Statt mich zu töten, schrumpfte es meinen Körper.“

„Was ist das für ein Gift?“ Kaito konnte kaum glauben was er da hörte.

„Apoptoxin 4869, die Kurzform lautet APTX 4869“, antwortete Haibara unerwartet.

„Woher kennst du das? Wer bist du eigentlich?“ Kaitos blaue Augen funkelten Ai Haibara an.

„Mein Name ist Shiho Miyano, ehemaliges Mitglied der schwarzen Organisation. Deckname: Sherry!“ Sie funkelte ihn an. „Ich habe das Gift erfunden.“

Kaitos Blick in diesem Augenblick war unbezahlbar. Conan beobachtete seinen Cousin genau.

Er verlor doch tatsächlich in diesem Moment sein Pokerface. „Und du wusstest nichts von den Nebenwirkungen?“

Ai's Blick verfinsterte sich. „Glaubst du wirklich, ich würde freiwillig schrumpfen?“

Conan mischte sich wieder ein. „Die schwarze Organisation hat immer noch das Gift. Wir wissen nicht, ob sie bereits wissen, dass wir nicht tot sind.“

„Keiner von ihnen wird sich freiwillig das Gift einflößen lassen“, widersprach Ai.

Kaito schluckte, seine Sorgen um seine Freundin wuchsen enorm an. „Sie haben Aoko.“

Die beiden Grundschüler wechselten einen besorgten Blick: „Wenn sie an ihr das Gift testen...“, begann Ai, die Angst in ihrer Stimme konnte sie kaum unterdrücken. Ihr waren die Ausmaße sofort klar. Gin wusste dass sie verschwunden war, ahnte dass sie abgetaucht war, aber er wusste nicht, dass sie in dem Körper eines Kindes steckte. Sollte er diese Information haben, war es für ihn ein leichtes sie zu finden, sie zu fangen, sie einzusperren, sie … Ai schluckte und ihre Gesichtsfarbe wechselte schlagartig auf Leichenblass.

Yukiko stand auf und ging zu dem kleinen Mädchen. Sie legte behutsam eine Hand auf ihre Schulter und führte sie zur Couch. „Ich denke es ist besser wenn du dich hinsetzt.“

Kaito wurde bewusst, in welcher Gefahr Aoko schwebte. Sie würde zum Kind werden und wie Kudo und diese Ai auf ein Gegengift hoffen und warten. Er konnte nichts tun, außer endlich nach ihr zu suchen und sie retten, bevor es zu spät war.

Auch Conan wusste um die Gefahr in der sie sich befanden, dennoch gab es da ein Detail, dass sie bisher nicht gesehen haben. „Sie werden ihr nichts tun“, widersprach er ernst und laut.

Kaito wollte endlich starten und mit seiner Suche beginnen. „Was lässt dich da so sicher sein?“

Der Schülerdetektiv im Kinderkörper sah auf in das Gesicht des Oberschülers. „Die Tatsache, dass sie glauben Ran entführt zu haben. Sie wollen an mich ran. Sie wissen aber nicht, dass ich in diesem Körper stecke.“

Der Teilzeitdieb wusste im ersten Moment nicht, von was der Kleine sprach.

Yusaku verstand es aber und stand auf: „Sie müssen das Krankenhaus beobachtet haben. Als sie dich gesehen haben, haben sie dich vermutlich mit Shinichi verwechselt.“

Conan nickte seinem Vater zu: „Richtig. Rans Autounfall und Aokos Schusswunde waren keine Zufälle. Sie ahnen dass ich überlebt habe und versuchen mich zu ködern.“

„Gin ist unberechenbar. Wenn er ahnt, dass du überlebt hast, dann müssen wir schnell handeln.“

Überrascht drehten sich alle der leisen, zittrigen Stimme zu, die von der Couch erklang. Ai sah sehr ängstlich aus.

Kaito stutzte über die geschrumpfte Frau. Warum war sie so ängstlich? Immerhin gehörte sie mal zu dieser Organisation, war ein Teil davon.

„Ich weiß nicht, woher er wissen könnte dass ich überlebt habe“, gestand Conan bedrückt. „Aber ich bin mir ganz sicher, dass sie noch nicht über die Wirkung des Giftes Bescheid wissen.“ Seinetwegen waren sie alle in Gefahr. Seine Eltern, der Professor, Kaito, Aoko, Haibara und Ran. Genau das wollte er doch immer vermeiden. Er wollte niemanden in sein Dilemma mit hineinziehen, niemand sollte wegen ihm leiden.

„Und jetzt Kudo? Wer kann uns die entscheidenden Hinweise geben, Mister Meisterdetektiv?“

„Ich brauch Zeit“, wich Conan aus, aber Kaito fauchte: „Die haben wir aber nicht!“ Er stopfte sich seine Hände in die Hosentasche und überlegte: „Wer weiß wann sich dieser Gin wieder meldet. Daher werde ich aktiv werden.“

„Was hast du vor?“

Kaito drehte sich zum Fenster und blickte hinaus in den dunklen Garten. „Kid wird sich melden und dieses Mal eine Nachricht an die Organisation schicken.“ Vielleicht konnte er sie so aus ihrem Versteck locken und einen Hinweis auf Aokos Verbleib herausfinden.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass Gin sich so leicht provozieren lässt?“ Ai stand wieder auf. „Du kennst ihn nicht. Glaub mir, er bestimmt wann und welche Informationen er dir zukommen lässt.“

„Und wir können nichts weiter tun als warten?“ Kaito schnaubte. Mit dieser Aussage konnte und wollte er sich nicht zufrieden geben.

„Das wirst du müssen“, stimmte Conan zu. „Mir gefällt das auch nicht, aber uns bleibt im Moment noch keine Wahl.“

Kaito zog seine Augenbrauen zusammen. Er überlegte angestrengt, wie er Aoko helfen konnte, wo er sie suchen, gar finden konnte.

Plötzlich klingelte ein Handy. Es war Kaitos.

Er zog es aus der Tasche und nahm das Gespräch an. Alle verharrten still, niemand sagte etwas, bis er das Telefonat beendete. Er seufzte und wandte sich dann zum Gehen. „Meine Mutter, ich soll nach Hause kommen.“

Conan folgte ihm zur Türe. „Du machst keinen Blödsinn?“

Selbst wenn er sich auf die Suche begeben würde, wüsste er nicht einmal wo genau er suchen sollte. Kaito sah ein, dass ihm vorerst keine andere Möglichkeit blieb, als abzuwarten und auf den nächsten Schritt der Organisation zu warten. „Ich mache nie Blödsinn!“ Der Oberschüler des Ekota Gymnasiums öffnete die Türe und trat in die Dunkelheit hinaus.

„Wenn dir etwas auffällt ruf mich an“, bemerkte Conan und reichte seinem Cousin einen Notizzettel.

Kaito betrachtete die Zahlenabfolge und nickte zu. Den Zettel nahm er nicht entgegen.

Stirnrunzelnd zog der Detektiv seine Hand zurück, bis ihm einfiel, dass Kid in Sekundenschnelle sich sämtliche Daten merken konnte. Diese Telefonnummer zu merken, war mit Sicherheit ein Klacks für den Meisterdieb 1412 in 2. Generation.

„Wir treffen uns morgen nach der Schule im Krankenhaus. Da sie bereits annehmen Ran entführt zu haben, werden sie vermutlich dieses nicht mehr beschatten. Wir sehen uns dort die Aufzeichnungen an und finden vielleicht einen Hinweis.“

Kaito nickte nur. Langsam sah er ein, dass er mit Hilfe des Schnüfflers eher eine Spur finden konnte.

„Außerdem hab ich eine Bitte an dich“, bemerkte Conan noch sehr ernst. „Ich konnte mich nicht von Ran verabschieden...“

„Schon klar“, stimmte Kaito zu und nickte. „Wir sehen uns morgen.“ Langsam verschwand der Oberschüler in die Nacht.
 

Die Schmerzen in ihrer Seite waren so unerträglich. Was würde Aoko für ein Schmerzmittel geben. Es tat so weh. Sie spürte wie das Blut wieder austrat. Die Wunde war aufgerissen.

Sie erinnerte sich wieder an ihren Entführer. Dieser blonde Mann, der ins Zimmer kam und sie betäubte... Er kam ihr so bekannt vor.

Wieder ein schmerzender Stich, bei dem ihr kurz schwarz vor Augen wurde. Sie biss die Zähne zusammen und konzentrierte ihre Gedanken. Nur nicht ohnmächtig werden, bleib bei Bewusstsein, ermahnte sie sich selbst.

Woher kannte sie diesen Mann? Sie war sich sicher ihn bereits mal gesehen zu haben, aber wo nur? Wo war das?

Wieder durchzuckte sie der Schmerz. Sie krümmte sich, presste ihre Hand auf die Wunde und Tränen schossen ihr in die Augen. Warum passierte das alles? Warum gerade ihr? Was hatte sie nur getan, dass das Schicksal es nur so grausam mit ihr meinte.

Die Tränen lösten sich vereinzelt und kullerten über ihre blassen Wangen.

Schritte näherten sich und blieben vor der Türe stehen.

Schnell wischte sich Aoko die Tränen aus den Augen. Niemals würden ihre Entführer sie weinen sehen – diese Freude wollte sie ihnen nicht gönnen.

Das Türschloss schepperte und mit einem lauten Quietschen wurde die Türe geöffnet. Von der Dicke her war dies eine Brandschutztüre. Dann traten sie ein. Zwei in Schwarz gehüllte Männer, sie trugen Sonnenbrillen, wobei dem einen sein langes blondes Haar offen über den Rücken fiel.

Das war ihr Entführer.

Das war er.

Wegen diesem Mann saß sie hier. Wütend funkelte sie die beiden Fremden an. Der andere war ein kräftiger Schrank, seine Hände in den Jackentaschen verborgen und als Aoko auch diesen genauer betrachtete, zuckte sie zurück.

Der hatte auf sie geschossen.

Das war der Mann, der sie angeschossen hatte.

Unsagbare Angst überzog plötzlich ihren Körper und lähmte sie. Er hatte es bereits einmal getan, so würde er es wieder tun.

„Gut geschlafen?“, höhnte der Blonde.

Aoko blieb stumm. Stattdessen sah sie nun ängstlich zwischen den beiden Männern hin und her.

„Ist ja auch egal“, antwortete er selbst auf die Frage und trat auf das Mädchen zu. Vor ihr blieb er stehen. „Wo ist er?“

Nicht so recht wissend wovon der Entführer sprach, hakte sie nach. „Wer?“

„Dein Freund!“

Kaito? Aoko riss die Augen auf. Was hatte Kaito mit diesen Männern zu schaffen? Sie verstand nicht, weder den Sinn noch die Logik. Was wollten diese gefährlichen Männer von Kaito?

„Du willst also nichts sagen“, stellte er fest und drehte sich wieder um. „Glaub mir irgendwann wirst du reden.“ Er blickte über seine Schulter zurück und betrachtete das zusammengekauerte Mädchen auf dem Boden.

Eine weitere Person trat ein, in ihrer Hand einen Verbandskasten. Eine Frau mit wasserstoffblondem Haar. Auch sie war ganz in Schwarz gekleidet und trug eine Sonnenbrille.

Aoko stutzte. War sie hier in einem Film? Waren das die Men in Black? Eine Geheimorganisation? Die Yakuza? Der Vorteil dieser Sonnenbrillen war schlicht und einfach erklärbar, Aoko konnte kein einziges Gesicht erkennen.

„Was willst du hier?!“

Bei dem Klang seiner Stimme zuckte Aoko zusammen. Sie hatte etwas beängstigendes, war kalt und abgebrüht.

„Die Kleine verarzten“, antwortete die Frau furchtlos. Sie ging an dem kräftigen Mann vorbei und auf den Blonden zu. Sie war etwas kleiner als er, schien aber überhaupt keine Angst zu haben. „Befehl vom Boss: Tot nützt sie uns nichts!“

Widerwillig, aber schweigend verließen die Männer den Raum, während sie hinter sich die Türe zuzogen. Ein unerträgliches Quietschen erklang dabei.

Aoko sah, wie die Frau den beiden nachblickte und erkannte nichts in dem Gesichtsausdruck, außer dass sie ihre Mundwinkel grimmig verzog. Im nächsten Moment kniete sich die schlanke, blonde Frau vor sie und stellte den erste Hilfekoffer ab. „Kannst du dich hinlegen?“

Aoko weigerte sich. „Warum bin ich hier? Wo bin ich? Und was wollen Sie von mir?“

Ein schmales Lächeln umspielte die Lippen der Fremden: „Alles zu seiner Zeit, Angel.“

Ihre Augen wurden vor Überraschung größer, weil die Stimme plötzlich sanft und warm klang. Aber viel Zeit zum Nachdenken blieb Aoko nicht, denn schon wieder fuhr ein stechender Schmerz durch ihren Körper. Schwer atmend krümmte sie sich wieder zusammen und senkte den Kopf. Es tat so weh.

„Lass mich dir helfen“, forderte die Blonde nachdrücklich. Im nächsten Moment half sie der Gefangenen sich hinzulegen und schob das Schlafanzugoberteil hinauf. Die Bauchwunde blutete, war an einer Stelle der Naht aufgerissen. „Das sollten wir wieder hinbekommen“, stellte sie fest und begann in dem Verbandskasten zu suchen.

Aufmerksam betrachtete Aoko die Frau. Warum half sie ihr? Doch dann beantwortete sie sich selbst die Frage. Tot nützte sie ihnen nichts. Aber warum? Und immer noch wusste sie nicht was Kaito mit der ganzen Sache zu tun haben soll.

Sie fühlte wie die Frau an ihrer Wunde hantierte. Es schmerzte, aber Aoko biss die Zähne zusammen.

Die Fremde verarztete sie und verband die Wunde. Danach stand sie auf, ging zum Waschbecken und zog einen kleinen Plastikbecher aus ihrer Tasche hervor. Schnell war Wasser eingefüllt und sie kam zurück zu Aoko. „Hier trink das.“

Das braunhaarige Mädchen richtete sich auf und trank einen Schluck.

Im nächsten Moment zog die Blonde eine kleine Kapsel hervor und hielt sie der Oberschülerin vor den Mund.

Skeptisch betrachtete Aoko die weiße Kapsel und kniff fest ihre Lippen aufeinander.

Die in schwarz gekleidete Frau begann zu lachen und ihr Lachen klang so warm und freundlich, dass die Entführte überrascht aufsah. Erst als sie sich ein wenig beruhigt hatte, erklärte sie: „Keine Sorge, ich werde dich nicht vergiften, wie gesagt brauchen wir dich noch.“ Sie sah auf die kleine Kapsel in ihrer Hand. „Das ist ein Schmerzmittel. Du hast doch Schmerzen, oder etwa nicht?“

Aoko nickte zögerlich. Unsagbare Schmerzen und sie waren kaum auszuhalten.

„Nimm sie schon zu dir: Andere würden das nicht für dich tun, weil sie Antworten erwarten.“

„Welche Antworten?“, hakte Aoko sofort nach.

Die Fremde reichte ihr die Schmerzkapsel und wand sich dann dem Verbandskasten zu. Sie räumte diesen wieder ein und schloss ihn. „Ich gebe dir einen guten Rat, Angel. Wenn Gin dich fragt, antworte. Er ist unberechenbar.“

„Gin?“, wiederholte Aoko verwirrt.

Ein mitfühlendes Lächeln, dann stand die schlanke blonde Frau auf und verließ wenig später den Raum.

Als die Tür ins Schloss fiel, hörte Aoko einen Schlüsselbund und Schritte, die sich entfernten.

Sie war wieder allein. Gefangen in einem gefließten, kalten Raum.

Ihre Augen wichen zu ihrer Handfläche. Lange sah sie auf die kleine weiße Kapsel in ihrer Hand. War das wirklich ein Schmerzmittel? Sie spürte das Stechen, als würde jemand mit einem Messer in der Wunde herum rühren. Sie krümmte sich wieder leicht und blickte entschlossen auf ihre Hand. Was hatte sie denn schon zu verlieren? Im nächsten Moment nahm sie die Kapsel zu sich und trank einen großen Schluck Wasser aus dem Pappbecher.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (12)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  fahnm
2014-12-29T23:43:14+00:00 30.12.2014 00:43
Spitzen Kapitel
Von: abgemeldet
2013-09-20T21:37:38+00:00 20.09.2013 23:37
Woaaah :) super Kapitel
Ich kann es gar nicht erwarten, bis das nächste rauskommt *-*
Bin immer noch sehr sehr begeistert
Von: abgemeldet
2013-09-20T21:11:03+00:00 20.09.2013 23:11
:D das wird ja immer krasser
Von: abgemeldet
2013-09-20T20:54:51+00:00 20.09.2013 22:54
Sehr geile Story bis jetzt :) großes Lob
Richtig spannend und mitreizend zu lesen
Von:  fahnm
2013-09-19T20:09:04+00:00 19.09.2013 22:09
Oh Mann
Kaito wird nicht begeistert sein zuhören wer die beiden Männer in Schwarz sind.

Ich freue mich schon sehr aufs nächste kapi^^

Die Story ist top.^^
Von: abgemeldet
2013-09-19T20:06:16+00:00 19.09.2013 22:06
Ich habe gerade Kapitel 5 zünde gelesen und muss sagen die Story ist echt voll gut :) mir gefällt dein Schreibstil richtig und ich bin echt gespannt wie es in den nächsten Kapiteln weitergeht, aber die hebe ich mir für morgen auf :)
LG lele-chan
Antwort von: abgemeldet
19.09.2013 22:06
*zuende
Von:  fahnm
2013-09-07T21:04:43+00:00 07.09.2013 23:04
Damit hat Kid nicht gerechnet.
Cousins also.
Da bin ich mal gespannt wie es weiter gehen wird.^^
Von:  fahnm
2013-08-26T22:15:23+00:00 27.08.2013 00:15
Spitzen Kapi^^

Wenn Gin wüsste das er das Falsche Mädchen entführt hat wird er sauer werden.
Hoffentlich finden Shinichi und Kid Aoko vorher.
Von:  fahnm
2013-08-20T23:00:49+00:00 21.08.2013 01:00
Hammer Story.^^
Mach weiter so^^
Von:  KishinDesu-za-Kazumi
2013-04-05T07:13:13+00:00 05.04.2013 09:13
Ich habe gerade deine FF gelesen jedenfalls der erste Kapitel
und ich finde sie toll ^^. Wie du sie geschrieben hast einfach
toll. Ich mache sofort diese FF zu meinen Favoriten :D

LG Kiara_2000


Zurück