Zum Inhalt der Seite

Rote Dämmerung

Wir sind, was wir waren
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Willkommen zurück, wer auch immer die Geduld gezeigt, sich meiner Schreiblaune anzunehmen. Universitätsprofessoren gehören zusammen mit selbsternannten Projektleitern durch Teer gezogen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

mangacrack Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Am Abend nach dem Lobgesang

Soldatenstadt war ein merkwürdiger Anblick. Nicht viele Fremde bekamen diese Stadt je zu sehen. Bis auf ein paar unglückliche Botschafter, die beim Auslosen die kürzere Feder gezogen hatten, waren es lediglich blutjunge Rekruten, welche je aus den inneren Zirkeln hier an den Rand der Schalen gebracht wurden.

 

Der Anblick war erschreckend und fernab von allem, was die meisten Engel je als Himmel und Heimat definiert hatten. Anstatt der kalten, einengenden Stahlbauten, die unendlich in die Tiefe und Höhe ragten, wurde der Rekrut mit einer niemals vergleichbaren Fläche an Land konfrontiert.

 

Von harmlosen Anbauflächen bis zu lebensfeindlichen Steinwüsten ragte der Boden vom Himmel in die Hölle.

 

Sofern man den Mut dazu hatte, weit genug zu fliegen.

 

-

 

Inzwischen hatte sich Meachuel wieder auf der Kommandobrücke eingefunden. Sie hatten ihren Zielort erreicht und er war froh, auf dem großen Bildschirm wieder die vertraute rote Wüste unter sich zu sehen. Hinter den Bergen stiegen gelbe Schwefelwolken in die Luft, von der Hölle nach oben getrieben und würden Soldatenstadt in wenigen Stunden in einen Dunstnebel hüllen.

 

„Kommandant, das Geschwader VI-X erreicht nun die Stadtgrenze. Die Transporter der Reihe DY-245 bis HB-1200 haben bereits mit dem Landeanflug begonnen“, informierte ihn der zweite Navigator.

 

An Bord eines Schiffes dieser Klasse war ein zweiter Pilot Pflicht, da neben der Steuerung auch die Koordinierung kleiner Schiffe von der Brücke aus geschehen musste. Meachuel stellte sich zu seinem Offizier für Kommunikation und betrachtete die holographischen Anzeigen auf dem Radar, das in den Computer eingelassen war, der in der Mitte der Brücke stand und aus praktischen Gründen in Form eines flachen Tisches konzipiert worden war. So ließen sich sämtliche Anzeigen als dreidimensionales Hologramm für alle Crewmitglieder auf der Brücke darstellen, ohne im Gefecht auf wichtige Sekunden der Orientierung verzichten zu müssen

 

„Sehr gut. Fliegen sie Nebula zurück zur Basis Aratic One“, befahl Meachuel. „Ich will außerdem eine Videoverbindung zu dem stellvertretenden Flottenadmiral.“ 

 

„Natürlich, Kommandant“, antwortete der Pilot nickend und korrigierte seinen Kapitän nicht, als er Camael lediglich als Stellvertreter bezeichnete. 

 

Aus dem Computer vor ihm schoss ein Lichtstrahl und tanzende Punkte fügten sich in Sekunden zu einem Bildschirm auf Meachuels Augenhöhe zusammen. Die Verbindung flackerte ein wenig, ehe Camaels Gesicht erschien. Das blinde Auge blinzelte ausdruckslos, während das andere ihn nach wenigen Sekunden scharf fixierte. 

 

„Ja?“, fragte Camael kurz angebunden und setzte sich damit komplett über das ohnehin schon von der Himmelsarmee ruinierte Protokoll hinweg.

 

„Ich habe als erster Kommandant eines Geschwaders wieder die Basis erreicht. Im Moment beginnen wir mit dem Landeanflug“, begann Meachuel mit seinem Anliegen.

 

Seine Gedanken zogen sich langsam aus dem Dreck, den die vorherigen Ereignisse bei ihm hinterlassen hatten. Für die Zukunft zu planen war nun entscheidend und einige der nächsten Schritte konnten leicht von einem schwierigen Unterfangen in ein bedenkliches Risiko ausarten. 

 

„Bis alle Geschwader wieder ihre Positionen innehaben, sind die Kapitäne und die Mannschaften beschäftigt. Auch sind noch für drei Standardwochen die Dienstpläne gefüllt, aber danach endet die Einteilung für den Bereitschaftsdienst und die Verteilung der Rationen auf die äußeren Stützpunkte wurde trotz des Überfalls und seiner tragischen Folgen noch nicht beendet.“

 

„Du erwartest Befehle“, stellte Camael fest.

 

Ob ihm diese Aussage unangenehm war, ließ sich Camael nicht anmerken. Dennoch stand zwischen ihm und Meachuel, dass die eigentliche Befehlsgewalt in solchen Fällen bei Michael-sama gelegen hatte. Es half nicht, dass sie trotz ihres Altersunterschieds und ihren  Erfahrungen im Kampf denselben Rang innehatten. Sowohl Camael als auch Meachuel selbst hatten den höchstmöglichen Rang in der Armee erreicht und waren besonders in Zeiten wie diesen an ihre Aufgaben gebunden.

 

Für Meachuel bedeutete dies weiterhin sich auf Missionen einzustellen, weil trotz des derzeitigen Ruhezustands Nahrung und Waffen transportiert werden mussten. Zwar war vom Hohen Rat ein Verbot verhängt worden, dass während der Trauerzeit kein aktiver Dienst ausgeübt werden durfte, aber in seinem Kopf begannen sich bereits die Panikrädchen zu drehen, weil einige Basislager dringend neue Rationen brauchten und die Armee sich derzeit weder durch von Hunger geschwächte Kämpfer noch eine Rebellion leisten konnte.

 

Wenn Michael-sama nicht ausgerechnet bei einem Überfall auf einen Nahrungstransporter getötet worden wäre, dachte Meachuel mit gemischten Gefühlen und unterdrückte den Drang, vor Camael an seiner Unterlippe zu nagen. Obwohl diese Aufgabe durch den Messias-Krieg unlängst schwerer geworden ist, weil sich nur die Satane in die Hölle zurückgezogen und uns Dämonenscharen in den verwüsteten Städten zurückgelassen haben.

 

Sollte Meachuel je den Engel finden, der diesen vermeintlichen Transporter gefahren hatte und weitergefahren war, anstatt Michael-sama den Rücken frei zu halten … 

 

Meachuel riss sich von seinen Gewaltfantasien los.

 

„Ich brauche keine Befehle“, meinte Meachuel bissig. „Was ich brauche ist jemand, der mir die Transportrouten absegnet und kontrolliert. Notfalls mir sogar mehr Männer zur Unterstützung bereitstellt.“

 

„Das wird nicht nur Zeit, sondern auch Sold kosten“, erwiderte Camael.

 

Weniger ruhig, wie man es von ihm gewöhnt war. Verständlich allerdings, denn Meachuel ahnte die Gedanken, die dem erfahrenen Kommandanten durch den Kopf gingen.

 

„Dieses Ende werden sie nur schwer verkraften und die Moral unter den Transportern wird einbrechen, je länger wir warten.“

 

„Außerdem ist es nur eine Frage der Zeit, bis einer der Satane bemerkt, was kürzlich geschehen ist“, bemerkte Meachuel.

 

Er stocherte mit Freuden in Camaels Arbeitsgebiet herum, da dieser keine Anstalten zeigte, den Schwerpunkt der Schuld auf die Transportabteilung zu legen.         

 

„Dann wird die Abteilung für Langstreckeneliminierung und defensive Abwehr uns unterstützen müssen, bevor eine weitere Invasion in die Himmelsgebiete die Transportrouten überflüssig macht.“

 

Mit großer Befriedigung sah Meachuel zu wie, Wut und Empörung in Camaels Gesicht aufflammten. Natürlich bekam ihm die Beleidigung nicht, dass es die L.E.D.A. war, die für das Versagen und ein erneutes Eindringen der Dämonen verantwortlich wäre. Dabei ließ sich statistisch beweisen, dass es immer diese Abteilung war, welche die Verantwortung trug.

 

„Das wird nicht passieren. Ich melde mich, sobald ich noch einige Dinge erledigt habe“, verkündete Camael aufgebracht und angegriffen.

 

Zweifellos hatte er Meachuels Seitenhieb so aufgefasst, wie er auch gedacht gewesen war.

 

„Ihr seid inzwischen für das Kommando verantwortlich, Kommandant“, fügte Camael noch hinzu.

 

Damit wurde die Verbindung gekappt und das Hologramm fiel in sich zusammen, als der Nachrichtenstrom unterbrochen wurde.

 

Meachuel bereute seine Worte nicht. Sie waren bloß die Wahrheit. Camael wusste am besten über die Gefahren seiner Abteilung Bescheid. Sie hatte die längste und reichste Geschichte, allerdings auch den häufigsten Kontakt mit Dämonen.

 

Zwar würde Meachuel sicher seine zusätzlichen Kämpfer für die Transporter bekommen, aber in der Vergangenheit waren jene häufig in der  Abteilung für Langstreckeneliminierung und defensive Abwehr gebraucht worden, da es weder eine gestrichelte Linie zwischen Himmel und Hölle noch Zollhäuschen gab. Überschreitungen der feindlichen Linien gehörten für Camaels Abteilung an die Tagesordnung und auch der regelmäßigen Korrektur der Landesgrenzen entkam niemand.

 

Meachuel rechnete Camael sogar im Stillen hoch an, dass er den Job als dauerhafter Aufseher überhaupt übernommen und solange ausgeführt hatte. 

 

-

 

Camael versuchte, seine schwelende Wut auf Meachuel zu unterdrücken. Der Bildschirm flimmerte noch leicht und der Computer spuckte Beschwerdemeldungen aus, weil die Verbindung so abrupt unterbrochen worden war. Er wollte und musste sich von dem reizenden Gedanken ablenken, Meachuel herauszufordern und direkt in den Boden zu stampfen.

 

Stattdessen ließ er sein gesundes Auge über den Horizont schweifen. Ein goldener Schimmer erhob sich am Rand und einige hätten dies als ein gutes Zeichen gesehen. Aber Camael war ein alter Soldat, der alle Zeichen kannte, die die Höllenwinde brachten. Die Zeichen waren Teil seines Lebens und inzwischen gab es keinen Tag, an dem er sie nicht wahrnahm. Besonders schlimm und fragwürdig wurde es für seine Sinne, wenn die Hölle ihre eigene Stimme bekam. An einigen Tagen war sie ein lieblicher Gesang in seinem Hinterkopf und relativ einfach zu ertragen. In anderen Momenten verwünschte er sie, besonders bei fluchenden Anschuldigungen, die seine Schuldgefühle über gefallene Kameraden angriff.

 

Aber verschwinden würde sie nie. Die Zeit, in der die Hölle nicht in den Köpfen der Engel existiert hatte, war ein vergangenes Zeitalter. Er selbst hatte  zu lange an der Grenze gekämpft. Für ihn waren inzwischen die Versprechen der Hölle der größere Feind, als der nie schwindende Storm an Dämonen.

 

Wieso kommst du nicht zu mir, wisperte die Hölle ihm schon immer zu. Ich gebe dir einen neuen Körper und lasse deine schmerzenden Glieder heilen. 

 

Der Satz war ein endloses Mantra und Camael war dazu in der Lage ihn auszublenden. In hässlichen Schlachten übertönten die Schreie der Sterbenden die Stimme der Hölle und während das Licht der Bomben aufleuchtete und verblasste, vergaß er ihre Existenz sogar ganz. Solange sein Körper zu einer lebenden Waffe wurde, basierend auf den künstlichen Organen in ihm, blieb das Undenkbare ausgeschlossen:

 

Nachzugeben. Das Angebot der grinsenden Stimme anzunehmen.

Von den Grundsätzen des Himmels abzuweichen.

 

Alles zu verraten, wofür Michael-sama gestanden hatte.

 

Aber mit jedem neuen Tag wurde die Last schwerer und die Stimme schmerzlich-süßer. Denn jetzt sang die Hölle ein anderes Lied. Sie pries nicht mehr das Ende seiner Schmerzen.

 

Jetzt gelobte sie ihm, seinen Herren zurückzubringen.

 

Sich dessen bewusst, wie gefährlich es war den lieblichen Tönen zu lauschen, fand Camael dennoch nicht die Stärke sich gänzlich davon abzuwenden, als er einen weiteren Video-Kanal öffnete.

 

Doch anstatt einer einsilbigen Begrüßung meldete sich eine entsetzlich glockenhelle Stimme.

 

„Willkommen am Rand des Wahnsinns, was kann ich für sie tun?“, kam es aus dem Lautsprecher während die Kamera lediglich den Blick auf eine nichtssagende Wand mit Lageplänen freigab.

 

„Beniguma“, grollte Camael. „Wo bist du, was tust du und wo bei all den Mächten ist dein Boss?“

 

Ein extrem junger Engel tauchte grinsend vor dem Bildschirm auf. Man hätte ihn fälschlicherweise für ein Kind halten können, doch die schusssichere Weste und der irre Blick in seinen Augen zerstörten das Bild.

 

„Ich wünsche Euch einen wunderschönen guten Abend“, schrie Beniguma fast in die Leitung, das Lächeln beibehaltend.

 

Camael gefiel Benigumas Gesichtsausdruck ganz und gar nicht. Innerlich setzte er ihn bereits auf die wachsende Liste der Leute, deren geistige Gesundheit er im Auge behalten musste.

 

Der nächste Satz bestätigte Camaels Befürchtungen. Beniguma schnitt schließlich mit einem besessenen Ausdruck im Gesicht das Thema an, das bisher jeder anwesende Soldat vor Camael vermieden hatte. 

 

Doch Beniguma fragte spitzzüngig: „Darf ich fragen wie die Einäscherung verlief? Lasst mich raten: Beschissen.“

 

„Beniguma!“, fuhr Camael den durch Drogen im Kindeskörper gefangenen und damit einen von Michael-samas Mündel scharf an. „Ich will wissen, wo dein Boss ist.“

 

Unruhe erfasste ihn und die aufkommende Angst erinnerte Camael daran, dass er für diese Aufgabe nicht gemacht war. Michael-sama hatte Thorongiel vertrauen können. Aber einem alten Soldaten wie ihm war dessen bloßes Wort nicht genug. Dafür war dessen Geschichte betreffend Ungehorsam, Befehlsverweigerung und Spionage zu lang.

 

„Woher soll ich das wissen?“, schoss Beniguma scharf zurück. „Thorongiel tut doch sowieso was er will. Wer glaubt eigentlich, dass er mir sagt, wohin er immer verschwindet?“

 

Camael wollte durch die Verbindung springen und Beniguma den Hals umdrehen. Zuerst Maechuel, nun dieser Bengel. Sie taten alle nicht das was sie sollten, sondern widersprachen in den kleinsten Dingen. Dabei hatte die Armee jetzt wichtigeres zu tun, als sich mit Befehlsverweigerung zu beschäftigen.

 

Für einen Moment wünschte sich Camael, er könnte alle Querdenker abknallen und somit die drohende Rebellion im Keim ersticken.

 

Allerdings hatte Michael-sama die Art der Video-Kommunikation nicht umsonst mit der Begründung durchgesetzt, dass er der Einzige war, der Richter und Henker sein durfte.

 

Gebt mir einen Grund euch zu töten und ich tue es“, rief sich Camael Michael-samas Worte in Erinnerung.  „Aber ich bin der Einzige, der die Autorität dazu hat. Merkt euch das, bevor ihr eure Seele zu ewiger Dienerschaft mir gegenüber verschreibt.“

 

Camael seufzte leise: „Scheiße.“

 

Einlenkend erinnerte er sich, dass Beniguma nicht mit auf die Bestattung gedurft hatte. Aus ähnlichen Gründen wie sein Boss. 

 

Thorongiel.  

 

Wieder fluchte Camael.

 

„Scheiße.“

 

Nach dem Stand der Dinge könnte Thorongiel beschlossen haben in der Hölle Urlaub zu machen und Beniguma wusste es besser nicht zu fragen, wenn er nicht gänzlich eingeweiht war.

 

Müde und erschlagen sackte Camael auf seinem Stuhl zusammen.

 

„Hast du wirklich keine Ahnung, wo der miese, kleine Erpresser steckt?“, fragte Camael unverhohlen.

 

Während der alte Soldat sich dafür schämte diesen – durchaus wahren – Ausdruck zu benutzen, verlor Beniguma zum ersten Mal innerhalb dieser Unterhaltung sein Killergrinsen. Nach aller Überlegung zuckte er bloß mit den Schultern und sah sich in der verlassenen Zentrale um.

 

„Keinen blassen Schimmer“, gestand Beniguma. „Ich werte die Berichte hier schon ewig alleine aus. Du könntest ihn vielleicht in einem alten Archiv unter lauter Papieren begraben finden oder er schleicht mal wieder durch Regierungsgebäude, aber du wirst ihn persönlich aufsuchen müssen, wenn du ihn sprechen willst.“

 

Camael könnte auch eine verschlüsselte Zeitungsanzeige aufgeben oder ein Bild von Thorongiels Gesicht an die Wand des Himmelspalastes nageln. Das wäre effektiver als nach ihm zu suchen.

 

„Scheiße“, fluchte er und fragte sich, warum sich Michael-sama diesen kopflosen Haufen angetan hatte anstatt sich damit zu begnügen, Kreuzworträtsel zu lösen.

 

-

 

Beerdigungen waren Geschmackssache. Es gab immer Leute, die keinen Wert darauf legten bestattet zu werden, aber für viele Engel war dies ein symbolischer Akt. Der Himmel verfolgte auf Grund des Mangels an Grund und Boden die beharrliche Strategie alles wiederzuverwerten, was sich verarbeiten ließ. So wurde aus einer grässlichen Zeremonie mit schweren Kreuzen als Grabsteinen und bunten Blumen als Abschiedsgruß ein Traum von Luxus. Engel aus der Bevölkerung strebten dieses Ende an, weil es mehr Erlösung und Ruhe versprach als sie im Leben erfahren hatten. Außerdem wollte nicht jeder sich der schnöden Praxis beugen, wie Restmüll in einem Hochofen verbrannt zu werden.

 

Für Thorongiel waren Beerdigungen hingegen Alltag. In der Armee unter anderem für die Nachlässe der Soldaten verantwortlich zu sein, brachte eine gewisse offene Einstellung für das Thema mit sich. Schließlich ging nicht immer alles glatt und trauernde Freunde wollten nicht vor einem gigantischen Sarg stehen, weil die Bestatter es nicht fertig gebracht hatten zusammengeschmolzene Körper voneinander zu trennen.

 

Alles bereits dagewesen und als Unfallversion 721 abgeheftet. 

 

Er fand, dass es da der Zeremonienmeister des Hohen Rates einfacher hatte. Dessen Hofstaat und seine Dienerschaft hatten die ganze fünfte Schale und die Regierungsviertel des übrigen Himmels in Trauerfarben gehüllt. Große Banner in den Farben Michaels hingen von den hohen Wänden. Der Anblick des goldenen Drachen gestickt auf den schwarzen Untergrund trieben ihm Tränen der Wut und der Trauer in sein Sichtfeld. Ansonsten hätte Thorongiel darüber gelacht, dass der Himmel den Tod des ihres am meisten gefürchteten Heerführer und Kämpfers als Anlass empfand, rote Schleifen an ihre Gebäude zu hängen.

 

Die schwer bewachten Gebäude zerstörten allerdings jeden Anflug von Humor. Der riesige Platz vor dem Himmelspalast war leergeräumt und nur wenige Engel drückten sich im Schatten der Säulen entlang. Über ihnen thronten die hohen Wände des Himmelspalastes wie eine uneinnehmbare Festung. Die riesigen, glatten Blöcke aus Marmor beeindruckten nicht nur die Bevölkerung, sie verhinderten auch jegliches Erklimmen. Die Überwachungskameras an allen Ecken und die Soldaten mit den Gewehren auf dem Dach sorgten für eine lückenlose Sicherheit.

 

Versteckt in einem überlebensgroßen Busch, den man zu Dekorationszwecken in eine Nische auf der Außenmauer gepflanzt hatte, beobachtete Thorongiel weiterhin die Vorgänge. Im Vergleich zu den üblichen Tagen war der Himmelspalast wie ausgestorben. Der große Aufzug war vorbei, Michael-sama an einem Ort verbrannt, den er nie gesehen hatte und nie betreten würde. Zurück blieb die Leere. So wie der Wind still blieb und die Wolken tief über den Gemäuern der Stadt hingen, war auch die Stimmung der Übergebliebenen. Kaum jemand verließ derzeit die Wohnung, sondern suhlte sich lieber in der Trauer.

 

Nur ein paar Wachsoldaten, die auf das zusätzliche Gehalt in diesen Tagen scharf waren, hielten in dem Zentrum der niedergeschmetterten Moral die Stellung. Und er selbst natürlich.

 

Thorongiel hasste seine Arbeitszeiten mit Inbrunst.      

 

Doch anstatt nach Herzesslaune laut zu fluchen, zog er ein Kopftuch über sein Gesicht. Es versteckte nicht nur seine Haare, sondern würde ihn auch vor der Gesichtserkennung in installierten Kameras schützen. Im Schatten des Hauses kletterte Thorongiel langsam und mit Mühe an der Wand bis zu dem nächsten Fenstersims hoch. Auch dort schimmerte leicht das Licht der Alarmanlage in der Scheibe. Dennoch war dies die niedrigste Sicherheitsstufe und Thorongiel war vorbereitet. Mit seinen Zähnen zog er vorsichtig sich seinen schwarzen Handschuh von den Fingern der rechten Hand. Zum Vorschein kam eine künstliche Gliedmaße aus Metall, wo zwischen den Nähten elektronische Lichter aufblitzen.

 

Schwerfällig setzte Thorongiel seine künstliche Hand an der Fensterscheibe an. Diese zu zerschlagen, wäre einfacher als den Sicherheitsmechanismus zu umgehen. Aber er wollte so lange wie möglich ungesehen bleiben und sich nicht seinen einzigen Zutritt in den Himmelspalast verbauen.

 

Grün leuchtete es da auf, wo die Hand gegen die Alarmanlage arbeitete. Nach einigen qualvollen Sekunden, in denen Thronogiel es riskieren musste entdeckt zu werden, leuchtete die Fensterscheibe kurz auf, ehe die Alarmanlage für diese und alle umliegenden Scheiben erstarb. Den inneren Hebel zum automatischen Öffnen zu manipulieren, blieb eine Angelegenheit eines vielfach geübten Handgriffs. Mit dem erwartungsvollen Gesichtsausdruck eines kleinen Kindes, das soeben die Keksdose gestohlen hatte, beendete Thorongiel seinen ungewöhnlichen Zutritt in den Himmelspalast und kletterte durch das offene Fenster. Lautlos kamen seine Füße auf dem Teppichboden auf und er folgte dem Lageplan, der er sich schon lange für diesen Fall eingeprägt hatte.

 

Allerdings hatte es Thorongiel nie ernsthaft geglaubt seinen eigenen Notfallplan umsetzten zu müssen, der tatsächlich den unumstößlichen Fakt des Heerführers beinhaltete. Kurz verschwamm sein Blick, als Thorongiel mit gezieltem Schritt den verwaisten Gang herunter lief.

 

Ein Beobachter hätte den Ausdruck von Selbsthass in dessen Gesichtszügen erkannt.

 

-

 

Über seinem Kopf leuchteten die Lichter der vornehmen Viertel. Auf Grund des Platzmangels und des Zentralismus, der im Himmel herrschte, bauten Engel stets so hoch wie es die Architektur erlaubte. Einige Gebäude erstreckten sich in der Tat über mehrere Schalen hinweg, doch nur einige Engel wurde das Passieren erlaubt. Raphael kümmerte sich in diesem Fall wenig darum, denn sein Weg hatte ihn in die dunklen, verlassenen Straßen geführt. Es stank, Müll füllte die Ecken und die Schwerkraft verursachte ein hässliches Gefühl im Magen.

 

Dabei hätte Raphael sein weißer Anzug und sein gepflegtes Aussehen eher zu denken geben sollen, denn die Bewohner der Slums beäugten ihn misstrauisch.

 

„Hey Schönling“, rief einer der Engel ihm zu, der zusammen mit seinen Kumpanen an einer Straßenecke herumhing. „Bist du hier, um es dir besorgen zu lassen?“

 

„In der Tat“, antwortete Raphael fast freundlich, als er an ihm vorbei lief. „Aber bestimmt nicht von dir.“

 

Lachen erdröhnte von den übrigen Engeln.

 

Raphael vergaß sie rasch und schlenderte weiterhin anonym durch die Straßen, bis er vor einem großen, für diesen Teil des Himmels sehr gut erhaltenen Gebäude stehen blieb. Schwer zitterte sein Atem, als er die breiten Stufen zu der offenen Tür hinauf stieg, aus der warmes Licht strömte. Kaum hatte er die großen, heiligen Statuen rechts und links von ihm passiert, erkannte er eine Figur, die am Eingang der Kirche auf ihn wartete.  

 

Im weißen Priestergewand gekleidet, wartete eine rothaarige kleine Frau an der Türschwelle. Langsam ging er vor auf die Knie und kümmerte sich wenig darum, dass dem Schmutz der Straße einen teueren Anzug ruinierte.

 

„Mahlial-sama“, sprach er und senkte demütig den Kopf. „Ich erbitte um Einlass.“

 

Die Priesterin sah ihn eindringlich an. Sie durfte diesen Ort nicht verlassen.

 

„Das kommt ganz darauf an, weswegen Ihr gekommen seid, Rapahel-sama“, sprach sie. „Es existieren nur zwei Gründe, warum Ihr mich aufsuchen würdet.“

 

Bei dem letzten Satz erklang ihre Stimme zuerst scharf, dann erwartungsvoll.

 

Raphael kämpfte dagegen an den Kopf zu heben und ihr in die Augen zu sehen.

 

„Ich bin nicht gekommen, um Euch hier herauszulassen.“

 

„Schade“, sprach die Priesterin. „Ich freue mich doch schon so sehr auf den Tag, an dem ich Euch Euren ungerechtfertigten Zorn heimzahlen kann. Doch leider zwingt mich der Ort hier zu dem Schwur von Gewaltlosigkeit.“

 

„Mein Urteil war weder ungerechtfertig noch in Zorn gesprochen. Aber Ihr seid so frei, jederzeit bei einem Gericht Beschwerde einzulegen. Wenn ihr dem Hohen Rat denn zeitgleich erklären wollt, wieso ihr dieselbe DNA wie einer der sieben Satane in euch tragt.“

 

Mahlial zischte bösartig und widerstand dem dringlichsten Wunsch ihrer zweiten Natur nachzugeben und dem Engel den Kopf von den Schultern zu reißen.

 

„Wenn Ihr Euer Urteil nicht widerrufen und mich hier herauslassen wollt, was ist dann euer Erlangen?“, fragte sie stattdessen.

 

„Ich will, dass Ihr Euch auszieht und nackt über den Altar beugt“, beantwortete Raphael die Frage unverfroren.

 

Zur Antwort veränderte sich Mahlials Stimmung schlagartig. Sie fing offen an zu lächeln und ihre Robe zu öffnen.

 

„Sagt das doch gleich“, meinte sie. „Zieht Euch raus und kommt doch herein. Ich rufe die Messdienerinnen.“

 

Damit drehte sie sich um und die weiße Priesterrobe flatterte zu Boden. Dabei wurde der Blick auf Mahlials Rücken frei. Darauf prangte das Tattoo eines Schmetterlings, den man das Satanskreuz genagelt hatte. Raphael war sich darüber bewusst, was es über seine Psyche aussagte, wenn er freiwillig Belials Brut aufsuchte. Aber es verlangte ihm in dieser Nacht nach etwas anderem als Kerzenschein, der durch seine Brokatvorhänge am Himmelbett fiel. Oder nach weichen willigen blonden Frauen, die unter seinen Händen zu formbaren Wachs wurden.

 

Stattdessen warf er seinen Anzug über die Kirchenbank rechts neben den Eingang und folgte der rothaarigen kleinen Frau mit dem Tattoo.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe den Punkt der Unumkehrbarkeit erreicht. Thorongiel sollte schon so lange auftauchen. Ich habe immer mit mir gehadert noch einen OC mit hinein zu bringen, aber nachdem ich mich solange mit ihm beschäftigt habe, konnte ich ihn nicht einfach so killen. Oder ihn umbenennen, was ich eigentlich vorhatte. Doch er war in meinem Kopf immer Thorongil. Daher bleibt er es jetzt auch. Dennoch: das ist jetzt der letzte OC. Versprochen. Wobei ... ist Thorongiel ein OC, wenn er einigen bereits bekannt ist?

Dass aus der Kirche irgendwie ein Freudenhaus wurde, ist Inzestprodukt zu zuschreiben. Ich übernehme keine Verantwortung für spätnächtliche Chatideen, die sich in meinem Gehirn festsetzen.

Bevor ich es vergesse: neues Fanart unter Illustrationen und neues Cover für die FF, weil es besser passt.

mangacrack

P.S. Camael. Bitte beachtet Camael. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Inzestprodukt
2013-05-05T14:23:51+00:00 05.05.2013 16:23
Gut ich hab trotzdem meine 7 Theorien dazu, die von vorher hab ich alle vergessen aber vermutlich decken sie sich mit denen, die jetzt da sind. Zum teil.... hoffe ich XD

Ich hab nie was von einer Nonne in einer Kirche geschrieben / gesagt, gedacht scho XD Oder Priesterin...
das erinnert mich etwas an unsere Beziehungsklauseln mit den Kindheitserinnerungen und den Weihwasserbecken XDD

Camael hat mir gefallen, ich beachte ihn leider viel zu wenig / mag ihn wie 90% der anderen Charaktere nicht und Emotionen gesteh ich ihm auch fast nie zu O.o
Antwort von:  mangacrack
05.05.2013 16:29
Ich schreibe den Puff in den Kirche dennoch irgendwie dir zu :)

Camael war mir ein persönliches Anliegen. Eine Story in der Michael stirbt und dann kein Camael? Das ging schlichtweg nicht, also habe ich fast das ganze Kapitel ihm gewidmet.


Zurück