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Rote Dämmerung

Wir sind, was wir waren
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich verkünde euch große Freude! Das letzte Kapitel war im Oktober! Fürchtet euch nicht! Time-Mangement ist nicht meine Stärke und selten bringe ich es fertig die richtigen Worte zu finden. Oder das Kapitel an einem einzigen Tag zu schreiben. Aber ich stelle fest, dass Vathera's Embers mich zu Schreibschüben inspiriert. Besonders wenn sie gerade ein neues Kapitel veröffentlicht.  
 
mangacrack
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Niemand will der erste Tote sein

Die Warnglocke schallte durch die Gänge des Gefängnisses um anzukündigen, dass gerade ein Tor geöffnet wurde und die Wachen ihre Waffen am Anschlag hatten um jeden zu erschießen, der es wagen würde zu fliehen. Doch da dieses Gefängnis für die meisten eher eine Zwischenstation war, dachten die Häftlinge auf dem Hof nicht daran ihren temporären Aufenthalt durch Verletzungen oder gar dem etwaigen Tod durch eine Dummheit zu verlängern. Sie warteten alle entweder darauf dem Richter vorgeführt, entlassen oder in ein schlimmeres Gefängnis verlagert zu werden. Keiner wollte sich sein Leben schwerer machen, als es sowieso schon war.

 

Dennoch waren immer ein paar Insassen auf Ärger aus. Während die Unglückseligen aus dem einfach Volk ihre Köpfe duckten weil sie lediglich hier waren, weil sie sich beim Klauen von Lebensmitteln hatten erwischen lassen, spannten die klügeren und gebildeteren Köpfe ihre Rücken an und betrachtenden den Neuankömmling eingehend. Es war unmöglich an ihm vorbei zu sehen, denn er wurde gleich von vier Wachen durch das geöffnete Tor hereingeführt und eine ungesunde Spannung lag in der Luft. Sogar den dummen und streitlustigen Wiederholungstätern fiel auf, dass sich die Pistolen ausnahmsweise nicht auf sie, sondern auf den Neuankömmling richteten.

 

Augenscheinlich, dass der rothaarige Häftling gefährlich sein musste.

 

Regungslos und gebannt warteten die Häftlinge. Eine der Wachen kniete schließlich vor dem Neuen nieder, um ihm die Fußfesseln abzunehmen. Leichte Unruhe breitete sich aus, als zwei der Wachen ihre Pistolen zogen und sich im Gleichschritt rückwärts bewegten, die Mündung immer auf den Häftling gerichtet, während die Handfesseln entfernt wurden. Kaum, dass das Klacken ertönte, spurteten die Wachen in Formation zum Tor zurück, dass sich unter demselben Lärm wieder schloss und die regulären Insassen mit dem Neuen alleine ließen.

 

Minuten vergingen, ohne dass jemand wagte sich zu rühren.

 

Nur der neue Häftling tat es, weil er seine Handgelenke rieb und die Schultern kreisen ließ, um offensichtlich die Steifheit loszuwerden und seine Bewegungsfreiheit zurück zu gewinnen. Schließlich schien er zu stutzen, denn er legte den Kopf schief. Dabei fielen ihm die Haare aus dem Gesicht, sodass der Blick auf die Binde vor seinen Augen frei war.

 

Trotzdem durchbrachen erst die Worte des Neuen die Anspannung der Wartenden:

 

„Der Stille nach zu urteilen hat man mich wohl einem Drachen vorgesetzt“, sprach er und in der Stimme schwang für einen Blinden unangebrachte Heiterkeit mit. „Falls dem nicht so ist, bringt mich jetzt weder jemand in die Kantine oder ich fresse den Ersten, der mir wie ein Drache erscheint.“

 

Erstaunlicherweise fand sich tatsächlich jemand der lachte und sich als Drache anbieten wollte. Weniger überraschend war die Erkenntnis, dass der Freiwillige ein Ex-Militär war.

 

-

 

„Also Haniel, in welchem Regiment hast du gedient?“, fragte Azer zwischen zwei Bissen, nachdem er endlich in die Kantine und mit etwas Essbaren auf dem Teller einen Tisch gefunden hatte. 

 

„Woher nimmst du an, dass ich gedient habe?“, fragte der Häftling amüsiert, der sich freiwillig als Drachenfraß gemeldet hatte.

 

Azer antwortete gelassen: „Ganz einfach, weil nur Militärs der Grenze über den Witz mit dem Drachen lachen können. Außerdem mag ich zwar nichts sehen können, aber glaubst du ich bemerke die Gangart und deine Haltung nicht? Abgesehen davon, dass die anderen Insassen dich meiden wie der Adel das einfache Volk?“

 

„Gut, du hast ja Recht. Ich habe gedient, ist aber schon eine Weile her.“

 

Allerdings nicht lange genug um zu erkennen, dass der neue Häftling von seiner Augenbinde kaum beeinträchtigt wurde, sodass sie entweder bloß Zierde für schon ewig blinde Augen war oder zur Unterdrückung von gewaltigen Astralkräften diente.

 

Für einen Moment rutschte Haniel unruhig auf seiner Bank hin und her, während er Azer schweigend beim Essen zusah. Einst war er Teil der Truppenversorgung gewesen und hatte die Frontlinie immer gerne besseren Kämpfern überlassen.

 

So Leuten wie dem Neuem.

 

Haniel erkannte eine astrale Aura, wenn er sie sah und die von des Neuen lag schwer in der Luft, ganz gleich ob er gerade lachte und Witze machte. Sie verleitete dazu nicht mit Ja sondern mit Sehr Wohl oder Natürlich Boss zu antworten. Ein Reflex, den man in der Armee erlernte und erst wieder ablegte, wenn man zur Führungsspitze gehörte. Natürlich kannte Haniel Geschichten und Legenden sowie die üblichen Träume der Soldaten, aber angeblich hatten es nur eine handvoll Engel tatsächlich so weit gebracht.

 

Trotz seines Mutes auf dem Hof gelacht zu haben erkannte Haniel nun wie dumm er mal wieder gewesen war. Er hätte wie die anderen Insassen schweigen und nicht vergessen sollen, dass sie alle einen guten Grund hatten, hier zu sein.

 

Nach dem Tod des Heerführers waren Diskussionen darüber ausgebrochen, wer den Posten wohl übernehmen würde, wenn er denn noch einmal vergeben wurde und Haniel kannte alle potenziellen Namen. Besonders hier im Untersuchungsgefängnis verbreiteten sich Nachrichten rasch. Viele Offiziere versuchten ihre Rivalen jetzt auszuschalten und jedes Mittel war Recht wenn es darum ging, in den Rängen aufzusteigen.

 

Allerdings war ‚Azer' unter den Namen der Konkurrierenden nicht aufgetaucht. Zusammen mit der Tatsache, dass er gerade erst in dieses Gefängnis gebracht worden war …

 

Nicht von draußen also, überlegte Haniel und entspannte sich ein wenig. Gegen einen Kameraden hier drinnen habe ich nichts einzuwenden, aber die Himmelspolitik kann mir gestohlen bleiben.  

 

Leise drang Azers Stimme an sein Ohr:

 

„Du hast mir immer noch nicht gesagt, in welchem Regiment du gedient hast. Oder warum du hier in einem öffentlichen Gefängnis sitzt und nicht direkt in der Armee bestraft wurdest.“

 

Haniel lief ein Schauer über den Rücken. Dies war die Stimme eines ungeduldigen Kommandanten, der damit drohte einem die Hose in Brand zu setzen, wenn in den nächsten zwei Sekunden nicht die Antwort kam.

 

„Ich … ich war bloß … dumm und feige … und“, stotterte Haniel und bemerkte entsetzt, dass Azer seinen Kopf in seine Richtung gewendet hatte. Sicherlich, vielleicht hatte er bloß bestimmt von wo die Stimme kam, aber dennoch schien Azer ihn anzusehen. Durch die Augenbinde hindurch, direkt hinunter auf seine Seele bis hin zu den Sünden, die er aus Feigheit begannen hatte und es gab in der Armee des Himmels keine größere Schande.  Schließlich ließ Azer von ihm ab, um sich wieder seinem Essen zu widmen und die knisternde Spannung zwischen ihnen sank wieder. Das Herz raste dennoch wie wild in Haniels Brust.

 

„Ich werde dich nicht zwingen es mir zu sagen“, sprach Azer leise.

 

„Warum nicht?“, wollte Haniel wissen.

 

„Weil ich meine eigenen Geheimnisse habe, die ich ebenfalls mit niemanden teilen will.“

 

Haniel hatte sich noch nie so dankbar gefühlt. Die Entlassung aus der Armee war schlimm genug gewesen. Er wollte nicht auch noch von der einzigen Person gemieden werden, die bisher noch nicht von seiner Vergangenheit wusste. Wenn auch Azer wahrscheinlich viele Jahre in einem dunklen abgeschiedenen Loch verbracht haben musste, um zu der Armee zu gehören und nicht von Haniel zu wissen. 

 

Er weiß es nicht, schoss es Haniel durch den Kopf. Wenn ich Glück habe, werde ich vielleicht  ja nicht einmal dabei sein, wenn er es erfährt.

 

Zum Überleben in der Armee gehörte dazu, dass man seinen Kopf benutzte. Haniel konnte sich ausmalen, warum man einen Langzeithäftling entlassen würde, bei dem selbst die trainierten Wachen vorsichtig waren. Die unruhigen Zeiten erforderten es schlichtweg. Da ließ man sogar Monster frei und Verräter am Leben.

 

-

 

Kräftige Hände mit Hornhaut an den Fingerkuppen glitten über die Tastatur. Der flackernde Bildschirm erleuchtete den Raum und in den dunklen Augen reflektierten sich die Silhouetten der Piloten am Steuer.

 

„Befehl: Zugriff auf das Logbuch.“

 

Eine Lampe am Computer leuchtet auf und ein grüner Laser scannte die Augen, ehe die Freigabe erteilt wurde.

 

„Identität: Gewalt Lt. Gen. Meachuel“

 

Sofort folgte die holographische Frage, wie der Eintrag aufgenommen werden sollte. Noch von dem Licht des Lasers geweitet, huschten die Augen wieder zu dem offenen Durchgang zum Cockpit. Auf diesen Schiffen gab es so gut wie keine Privatsphäre.

 

„Eingabe: Spracherkennung, Lippenerkennung.“

 

Die Engel kaum ein paar Meter entfernt waren keine schlechten Soldaten. Aber Vorsicht sicherte das Überleben.

 

Stumm bewegten sich Meachuels Lippen, wissend, dass es zu dunkel war, um für das bloße Auge eines Außenstehenden erkennbar zu sein. Es würde im Halbdunkeln nichts zu sehen sein, außer einem Kommandanten, der Selbstgespräche führte.

 

„Neuer Eintrag. Status: Privat.“

 

Der Text erschien verschlüsselt auf dem Bildschirm des Hologramms. Wartend blinkte der Balken, der den Prozess des Eintrags anzeigte.

 

Meachuel schluckte und kämpfte gegen seinen trockenen Hals an. Niemand zwang ihn es laut auszusprechen, niemand würde seine raue Stimme vernehmen und dennoch fiel es ihm schwer seine chaotischen und eher abgerissenen Fetzen ähnelnden Gedanken in klare strukturierte Sätze zu fassen.  

 

Er begann mit der Einstiegsübung dem Computer zu sagen, wo er sich befand.

 

„Bestimmung des Standorts“, verließen die ersten Worte strauchelnd seinen Mund. 

 

„Himmelskoordinaten: Flug über die sechste Sphäre in Gottesrichtung, minus 1431 Flügelspannen vom Zentrum der Schale entfernt.“  

 

Mit Schmerzen in der Brust - so heftig, dass Meachuel die Augen tränten - fuhr er fort.

 

„Reiseziel: Vierte Sphäre in Gottesrichtung, Soldatenstadt ... Tempel der Heiligen.“

 

Zerrissene Lippen zitterten, dass selbst der Computer keine erfolgreiche Spracherkennung mehr daraus formen, geschweige denn Laute aufzeichnen konnte. 

 

Es brauchte Meachuel mehrere Versuche, um die Worte auszusprechen.

 

„Dieser Tag hätte nie passieren dürfen“, sprach er zu sich selbst und wiederholte den Satz leise. „Er hätte nie passieren dürfen.“

 

Seine schmutzigen Fingerkuppen vergruben sich in dem kurzen wüsten Haar, das sich anfühlte, als wäre es seit längerem nicht mehr gewaschen worden. Es juckte unangenehm und die Narben an seinem Körper ziepten. Sein rechtes Auge musste er zusammenkneifen.

 

In der Spiegelung der Mattscheibe ließ es ihn hässlich aussehen.

 

„Alt. Ich bin hässlich, müde und alt. So fühle ich mich.“

 

Die Narben über seinem Auge gruben sich tief in das Fleisch.

 

„Ich bin ein Soldat. Ich bin nur ein Soldat“, fuhr Meachuel mit seinem Geständnis fort. „Ich habe immer nur Befehle befolgt und ich fühle mich jetzt schlecht deswegen. Solange es unseren Feuergott gab, hatte ich Vertrauen. Seelenlose Dämonen haben mir ihre Klauen an die Kehle gehalten und ich fühlte nichts. Jetzt ist alles in Asche aufgegangen.“

 

Stiefel mit Stahlkappen fanden ihren Weg auf den Sitz mit dem ausgeblichenen und kaputten Leder und hinterließen Dreckspuren darauf.

 

„Der Himmel beklagt jetzt ihren Wächter und ich höre die Stimmen tief aus der Hölle rufen. So oft bin ich schon hinein gegangen und wieder empor gekommen, weil das Feuer hinter den Schwefelwolken auf mich wartete. Aber wie oft wird es mir noch gelingen, wenn es dunkel ist und mir im Licht der blutbesudelten Dämmerung niemand den Weg leuchtet?“

 

Die Zukunft bezweifelnd, verengten sich Meachuels Augen in der Dunkelheit. Im Inneren des Flugzeugs war das einzige Licht die Anzeigelampen der technischen Geräte, doch was bisher vor geraumer Zeit sein Zuhause gewesen war, wirkte nun wie eine hungernde Gruft.  

 

„In der Luft liegt eine unangenehme Spannung“, sprach Meachuel zu sich selbst, erwartete aber praktisch, dass jemand ihn und seine Gedanken ausspionierte. 

 

„Wie ein Knistern, dessen Funken zu erwarten sind und die Explosion eine Sehnsucht ist.“

 

Soldatenstadt kam ihm in den Sinn, gefüllt mit Kriegern und kampfeshungrigen Engeln. Ein Ort, der vor sich hin kroch wie ein Ameisenhaufen und für den Hohen Rat auch nicht mehr Bedeutung einnahm, als aufopferungsvolle Arbeiter im Dreck. 

 

Mit einem Blick in die Ferne, dachte Meachuel an Soldatenstadt, Die Heimat der Armee im roten Sand auf der ewigen Ebene, wo der Sonnenaufgang immer hinter dem Horizont wartete und wo man an windigen Tagen die schwefeligen Gerüche aus der Hölle in die engen Straßen getrieben wurde.

 

„Nicht, dass ich es für möglich gehalten hätte, aber das Leben hält den Atem an. Keiner wagt sich, sich zu rühren.“

 

Sich in seinem Sessel zurücklegend, saugte Meachuel nachdenklich an einem Finger. Wie auf einer mit Mohn bewachsenen Wiese nuckelte er den eingebildeten Honig der Bienen. Aber nicht goldene Farben schwebten durch seine Gedanken, sondern rotes reiches Blut.

 

Vor sich sah er seinen Gott wieder und wieder in Flammen aufgehen.

 

„Warum atmet der Himmel nicht?“, fragte Meachuel sich selbst.

 

Nur seine gebrochene Stimme verriet seine Verzweiflung. 

 

Niemand wollte der erste Tote sein.

 

-

 

Hinter den geschlossenen Gefängnismauern verlief der Alltag in der Regel so, dass die Wachen sich nur um die Häftlinge bemühten, wenn sie versuchten auszubrechen. Mit ihren entsicherten Waffen patrouillierten sie auf den hohen Mauern und waren bereit, mit einem gezielten Strahlenschuss jeden Flüchtling in Atome zu verwandeln. Dem Gesetz nach durften schwere Handfeuerwaffen in den Ballungsräumen des Himmels nicht einmal getragen, geschweige denn verwendet werden. Aber an Dämonen fanden sie durchaus ihre Anwendung und für die Gefängniswachen galt eine Sondergenehmigung, weil einst die Leitung beschlossen hatte, dass jeder Verurteilte als potenzieller Dämon angesehen werden konnte.

 

Für die Wachen ein Thema, das höchstens mit einem Schulterzucken beantwortet wurde.

 

Unter den Häftlingen jedoch steigerten das Flugverbot und der drohende Tod die Aggressivität.

 

„Na, hast du Angst?“, meinte einer der Langzeithäftlinge herausfordernd zu Haniel. „Oder das solltest du zumindest. Warum sonst versteckst du dich hinter dem Rücken eines Blinden?“

 

Mit seinem größeren schweren Körper hielt er Haniel zwischen sich und der Wand gefangen.   Verzweifelt, aber erfolglos versuchte Haniel den Engel von sich wegzudrücken, aber sein Angreifer machte sich bloß einen Spaß daraus, sich weiter gegen ihn zu lehnen.

 

Nicht zum ersten Mal verfluchte Haniel seine kleine magere Gestalt. Dass ihm deswegen immer noch die Aushilfsarbeiten blieben, daran hatte er sich gewöhnt. Aber seit er hier im Gefängnis saß, hatten die Übergriffe von größeren, stärkeren und gemeineren Engeln einen groben Touch angenommen. 

 

„Halt die Schnauze“, fauchte Haniel deswegen großspurig zurück, weil es die einzige Waffe war, die er besaß. „Du hättest es nicht nötig mich anzugreifen, solange ich alleine bin, wenn du nicht genau wüsstest, dass du Azer nicht besiegen kannst.“

 

Haniel grinste, als er die Wut seines Angreifers sah. Es war immer einfach, sich gegen solche Bauklötze zu verteidigen, wenn man mit einem Namen prahlen konnte. Nicht die sauberste Methode, um am Leben zu bleiben, aber für ihn die Einzige.

 

„Was ist, Ochel?“, konnte Haniel es nicht lassen zu sticheln. Diese kleinen Momente, in denen er ein bisschen Macht genießen konnte, waren selten genug. Viel zu schnell fing er wieder an zu stottern, wenn Ochel klar werden würde, dass er immer noch der Stärkere war.

 

„Kleiner Wichser“, schrie Ochel auch schon auf und donnerte Haniels Kopf brutal an die Wand. „Findest es wohl witzig die dicke Hose zu machen, nur weil du jede Nacht von dem Blinden von hinten gefickt wirst.“

 

Schmerz fuhr pochend durch seinen Kopf und helle Lichter tanzten vor seinen Augen. Aber trotz seines beschissenen Lebens im Gefängnis hatte Haniel nicht vergessen, wo er herkam. Wenn er bei Überfällen Dämonen durch die Fahrertür ins Gesicht spucken konnte, dann würde er sich nicht von einer drittklassigen ehemaligen Weißen Garde zum Fahnenträger degradieren lassen.

 

„Ach, neidisch?“, kotze Haniel zurück, obwohl Ochel ihm inzwischen die Luft abzudrücken begann. „Soll ich einen Termin für dich ausmachen?“

 

„Ich mache dir gleich selber einen!“, schrie Ochel erbost auf.

 

Im nächsten Moment merkte Haniel, dass er zu weit gegangen war, denn Ochel begann an seiner Hose herum zu reißen. Haniel trat panisch aus, verfehlte aber das Schienbein, als er am Hals in die Luft gehoben und mit Gewalt an die Wand gedrückt wurde. Von Angst ergriffen, begann Haniel sich heftiger zu wehren. Schließlich wusste er, dass alles vorbei sein würde, sobald Ochel ihn mit dem Gesicht woran an die Mauer pressen würde, um nicht gebissen zu werden.

 

„Kackstiefel“, fluchte Haniel, die einzige Beleidigung, die ihm einfiel. „Du dürftest nicht mal Dobiel die Handtücher halten mit denen er Sevothtarte den Arsch abwischt, wenn er noch leben würde.“

 

Leider war Ochel mit genügend Intelligenz gesenkt, um ähnlich beleidigend zurück zu schießen: „Fresse halten, Sonntagsfahrer.“

 

Es waren lediglich drei Worte, die Ochel da aussprach, aber es waren die drei Worte. Drei Worte, für die Haniel sich ewig hassen würde. Sie waren das Letzte gewesen, was er je von seinem Boss gehört hatte, ehe dieser blutend in dem neuen Ansturm von Dämonen vorstand.

 

Tobend und wie jeder Soldat der Armee derzeit trauernd, wehrte Haniel sich so heftig wie er konnte.

 

„Heuchler“, schrie er, als Ochels erste Faust ihn traf. „Du hast dir doch noch nie im Leben die Finger schmutzig gemacht!“

 

Bald folgte der zweite und dritte Schlag. Alles woran Haniel im Angesicht der größeren und stärken Todesgewalt vor ihm denken konnte war, dass immerhin die Vergewaltigung vom Tisch war. Obwohl Ochel selbst eine Leiche ficken würde, wenn es ihm passte. Es fetzte noch einmal, sodass Haniel schwarz wurde. Während er halb ohnmächtig zu Boden taumelte, versuchte mit offenen Augen auf den vernichtenden Schlag zu warten.

 

Doch er kam nie.

 

Stattdessen hörte er Ochel schreien.

 

Mehrmals erklang seine Stimme schrill, während der andere Angreifer sein Werk stumm zu erledigen schien.

 

Als Haniel sich aus altem Reflex heraus zuerst auf die Füße raffte und erst danach die Augen öffnete um zu sehen, wohin er fliehen musste, bemerkte er das Blut zu seinen Füßen. Vor seinen Schuhen lag ein abgetrennter – nein, abgerissener Arm und ein paar Schritte weiter der Rest von Ochels Körper. Blut war an die Wände gespritzt und auch Azers Kleidung war voll davon.

 

Unbeabsichtigt zerquetschte sein Retter Ochels heraushängende Organe unter seinen Füßen, als er durch die Schweinerei auf Haniel zustiefelte.

 

„Bist du in Ordnung?“, fragte Azer, während er sich seine dreckigen Hände an der Hose abwischte.

 

Haniel nickte stumm, bis ihm einfiel, dass Azer dies unmöglich wahrnehmen konnte.

 

„Ja, klar. Nichts kaputt gegangen“, meinte er und zog den Reißverschluss seiner Hose so leise wie möglich wieder hoch. 

 

„Gut“, sagte Azer und fasste Haniel an den Nacken.

 

Die Finger verblieben dort kurz, sodass Haniel unmöglich seinen rasenden Plus verbergen konnte. Die Vorsicht in der Geste brachte ihn mehr aus der Fassung, als es Ochel getan hatte. Vielleicht war es auch der Fakt, dass Azer mit derselben Hand über den Nacken strich, mit der Ochel ohne zu zögern den Arm abgerissen hatte. 

 

„Kriegen wir deswegen Probleme?“, fragte Azer, als er Haniel wegführte. Eine Hand immer noch an dessen Nacken und die andere vage in Richtung des Blutbades deutend.

 

Als Antwort kamen Haniel die Verbote einen anderen Engel zu töten in Sinn und die Regeln des Gefängnisses, aber es schien nicht so, als dass sich Azer dafür interessieren würde. Die Gesetze waren ihm gleichgültig. Eher wollte er wohl wissen, ob es jemanden gab, der Ochel vermissen würde.

 

„Nein“, versicherte er seinen Retter deswegen, berührt davon, dass Azer Ochel nur getötet hatte, um Haniel seine Loyalität zu beweisen.

 

Zumindest war dies seine Vermutung und Haniel wollte nicht nachfragen, um vielleicht das Gegenteil bestätigt zu bekommen.   

 

„Perfekt“, hörte Haniel Azer sagen. „Dann lass uns was essen gehen. Ich habe immer noch Hunger und viel anderes kann man hier ja auch nicht tun.“

 

Er musste seinen Blick nicht von dem Fußboden nehmen um zu wissen, dass sein Retter gerade das breite Grinsen drauf hatte, das bei ihm Normalzustand war. Während Haniel Azers fröhliche Triade über das Für und Wider von Gefängnisessen über sich ergehen ließ, wanderten seine Augen zurück zu dem kleiner werdenden Blutfleck im Gang. So froh er darüber war, noch am Leben zu sein - Haniel konnte eine gewisse, instinktive Furcht nicht verhindern. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter, während Azers warme Körper sich an seinen drückte.

 

Was er sich nicht traute, sondern stattdessen bloß in seinem Kopf auf einer Suche nach einer Antwort auseinander pflückte, war die Frage, ob Azer Ochel mit Absicht so zugerichtet oder lediglich seine eigene Kraft nicht richtig eingeschätzt hatte.

 

Haniel drehte sich bei dem Gedanken an die letztere Möglichkeit der Magen um.

 

Willkür des Schicksals hatte ihn um sein Leben gebracht, sagte er sich. Wäre es nicht passend, wenn Willkür auch sein Leben beenden würde?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wieso habe ich solange dafür gebraucht? Ich weiß es ehrlich nicht. Vielleicht haben Inzestprodukt's und Mad-Panda's positive Aufmunterungen endlich mein Gehirn übernommen. Vielen Dank für die tatkräftige und tägliche Unterstützung.

Fanarts zu Haniel und Meachuel sind in meiner Gallery auf DA und unter den Illustrationen zu finden.
Das von Haniel ist bereits freigeschaltet, das von Meachuel folgt nocht. 


 
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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2013-04-10T21:00:20+00:00 10.04.2013 23:00
Ich liebe Azer ♥
Er ist so locker, jedenfalls kommt er so rüber, und trotzdem sehr gefährlich.
Er hat aber auch eine sehr gesunde Einstellung zum Essen xD wenn ihm selbst abgerissene Körperteile nicht den Appetit verderben^^
Iwie hab ich das Gefühl, dass er sich mit Haniel anfreunden wird, unzwar sehr gut anfreunden.
Wobei Haniel sich wohl doch noch etwas fürchten wird.
Aber was hat Haniel eigentlich verbrochen? Er scheint so gutmütig zu sein.

Was Meachuel angeht... Oh, oh, die Armee kriegt wohl Angst, was sie ohne Michael tun sollen.
Hm, ich nehm an der wird noch ne Rolle im weiteren Verlauf spielen?

LG, Karo (Sunny)
Antwort von:  mangacrack
10.04.2013 23:35
Ich bin so froh, dass du Azer magst! Eigene Charaktere sind nicht immer einfach, besonders wenn sie tragende Rollen spielen sollen. Zu dem Rest kann und werde ich jetzt mal nichts sagen.
Das wären alles Spoiler.
Von:  Inzestprodukt
2013-02-18T21:05:12+00:00 18.02.2013 22:05
Oh Gott hoffentlich krieg ich jetzt alles wieder auf die Kette ich hab euphorisch jedes Wort aufgesogen und du weißt doch, wie gerne ich den Zaunpfahl übersehe. XD

Also erst einmal freut es mich, dass man endlich mehr von Azers Persönlichkeit zu fassen bekommt statt des Mannes in Ketten und einer offensichtlichen Gefahr für andere, er hat nun... ja, Tiefe. Gefühlsregungen, Mimik - ich mag Grinser, in den meisten AS-Storys fehlt mir das und wenn der Charakter es aus sadistisch-naiver Natur heraus betreibt, ist es mir nur recht.
Er hat eine interessante Beziehung zum Essen, zumindest scheinen ihn abgerissene Gliedmaßen nicht zu stören – im Gegenteil, der Magen knurrt und knurrt.

Ochel war mir unsympathisch bis durch eine gewisse Geste vertraut XD und ich habe keinerlei Mitleid für ihn. Ist sowieso schwer, mit einem potenziellen Vergewaltiger etwas anderes als Abscheu und Ekel zu empfinden. Fraglich, inwiefern Haniel das verdient hat / hätte.

Wo wir beim Nächsten sind: Was zum Geier hat der bitte verbrochen? Scheiße in Michaels Obhut verzapft? Zumindest kann es nichts gewesen sein, was ausschließlich Michael gestört hätte ansonsten würde er als wandelndes Brikett sein Dasein fristen und nicht etwa im Gefängnis landen.
Meine Güte versteckte Informationen nützen mir doch nichts ich brauch einen Aufklärungsbericht mit reflektiertem Verhalten und Begründung!

*jetzt fröhlich weiter Druck macht wegen der Fortsetzung*

X3

Von:  Mad-Panda
2013-02-18T11:58:38+00:00 18.02.2013 12:58
Halluu
Also ganz großes Lob das das Kapi fertig ist und ich finde es wirklich gelungen, vor allem liebe ich die Stelle wo Azer den Kerl abmurkst und dann über das Essen philosophiert :)
Tja ich denke da ich nun weis das nörgeln was bringt werde ich dir hiermit offiziell androhen in meinem Keller eingeschossen zu werden also schreib lieber weiter :)
Antwort von:  mangacrack
18.02.2013 13:09
In der nächsten Zeit werde ich sogar Glück haben, denn es sind bald Semesterferien. Fühle dich also frei mich in Ketten zu legen, wenn ich bis Ende März kein neues Kapitel habe.
Es freut mich übrigens sehr, dass du dem Kommentare schreiben treu bleibst und auch noch meine Lieblingsstelle so toll findest. Es ist so herrlich typisch für Azer!

mangacrack


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