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Ragnarök

Captivated Light
von

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Prolog

Ein kurzes Klirren, und das Licht in der Herrentoilette ist aus.

Der fette Mann mit Schnurrbart, der einen schwarzen Anzug trägt und vor nicht einmal fünf Minuten mit seinem hohen Kapital geprotzt hat, wird von etwas, das er nicht sehen kann, an die Wand geschleudert und rutscht zu Boden.

„Wer, wer ist da?!“, keucht er voller Angst und versucht aufzustehen.

Die Konturen einer Person werden vor ihm sichtbar.

„Du hast es mir wirklich nicht leicht gemacht, dich zu erwischen“, sagt die Person, deren Stimme darauf schließen lässt, dass es sich um eine Frau handelt.

„Zuerst“, sagt sie im überlegenen Tonfall; „bist du an dem Tag, an dem ich die Bombe in deinem Büro hochgehen ließ, wegen Krankheit nicht zur Arbeit gegangen...“

„D-du warst das...“, stottert er fassungslos, hat aber schon im nächsten Moment eine im Mondschein silbern schimmernde Klinge vor seiner Nase.

„Dann“, fährt die Fremde unbekümmert fort; „hast du meinen vergifteten Sekt stehen lassen, ohne auch nur einen Schluck davon zu nehmen. Du verstehst doch bestimmt, dass ich meinen Auftrag endlich hinter mir haben will?“

Die schattenhafte Frau spricht so ruhig, dass sie fast gelangweilt wirkt.

Voller Angst will der Mann zurückweichen, doch er steht bereits mit dem Rücken zur Wand.

Nun tritt die Frau einen Schritt vor und man kann ihr Gesicht dank des Mondlichts sehen, welches durch das Fenster hinein scheint.

Es ist weiß wie Schnee, aber ihr finster blickendes Auge ist blutrot. Ihr rechtes wird durch ihre rabenschwarzen Haare verdeckt, und sie trägt eine dunkle Maske, die ihren Mund und ihre Nase verdeckt. Eine Art Maske, wie sie von Assassines verwendet wird.

„Nein, nein, nein!“, wimmert der Mann; „Ich gebe dir so viel Geld wie du willst! Töte mich nicht!“

Mit einem Blick, der deutlich zeigt, dass sie Abschaum vor sich hat, holt sie aus.

„Mit Typen wie dir habe ich kein Mitleid.“

Mit einer furchteinflößenden Eleganz rammt sie ihm ihre Waffe in den Bauch.

Das Blut spritzt durch den gesamten Raum, am nächsten Tag wird man haufenweise Blutflecken an den Wänden und auf dem Fliesenboden finden.

„Das ist für alle Menschen, die du für einen Hungerlohn arbeiten lässt“, wispert sie und zieht ihre Waffe heraus, nur um sie noch einmal hineinzustechen: „Und das ist für alle Menschen, denen du nur aus deiner Gier verwehrst, ein angenehmes Leben zu führen.“

Der Mann hustet und klammert seine Hände an seinen Bauch. Langsam rutscht er an der Wand herunter. Blut fließt aus seinen Stichwunden.

Die Unbekannte zieht ihr Werkzeug aus dem Körper des Toten und geht einen Schritt zur Seite, damit ihre Schuhe nicht dreckig werden.

Ihren Auftrag hat sie erfüllt, aber nun zählt jede Sekunde. Sie eilt von der Herrentoilette unbemerkt über den beleuchteten Flur in die Damentoilette, die glücklicherweise leer ist, und sperrt sich für eine Minute in eine der Kabinen.

Als sie wieder herauskommt, ist sie komplett neu gekleidet, sie trägt einen dunkelblaues Abendkleid und ein Diadem aus Silber als Kopfschmuck.

Gelassen verlässt sie die Toilette um unten an der Cocktail-Party teilzunehmen, als ob nichts passiert wäre.

Der Beginn der Reise

Nun ist es perfekt; nun stehen die Schatten der Bäume, an denen eine Hängematte befestigt ist, genau richtig, damit der Junge, der sich auf dieser Matte entspannt, die Sonne in vollen Zügen genießen kann.

Das Klima im Bergdorf Payon ist angenehm, man könnte es mit dem Pronteras, der Hauptstadt Rune-Midgards vergleichen, doch hier in Payon ist es viel ruhiger, und die Waldluft besitzt eine beruhigende Wirkung für die Seele.

Ein paar kleine weiße Wolken stehen am Himmel, doch der Junge bemerkt sie nicht, da seine Augen geschlossen sind.

Er ist kein besonders großer Bursche, sein Körper hat eine schlanke, unauffällige Statur.

Seine Arme hat er hinter seinem Kopf verschränkt, sein linkes Bein ist angewinkelt und das andere ausgestreckt. Seine dunkelroten, buschigen Haare wehen leicht mit einer sanften Brise.

Man erkennt sofort, dass seine in Brauntönen gehaltene Kleidung eher praktischer Natur ist, beispielsweise die engen Handschuhe oder die mit Pelz an den Sohlen befestigten Schuhe, die einem Dieb beim Herumschleichen nur zu Gute kommen würden.

Und genau das ist Kirai Myoko, der Junge auf der Hängematte, ein Dieb.

Es ist erst einen Monat her, dass er die Prüfung der Thief Guild in Morroc, der Stadt des heißen Wüstensands, erfolgreich hinter sich gebracht hat, und nun gönnt er sich eine Pause in Payon.

Dieser ruhige Ort entspricht im Vergleich zu größeren Städten wie Prontera oder Al de Baran viel mehr seinen Geschmack, denn hier hat er Ruhe, alles, was er hören kann, ist das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen.

Dadurch, dass er seine Gedanken schweifen lässt, droht er immer mehr, einzuschlafen, doch dann passiert etwas, das selbiges verhindert.

Plötzlich ist die Sonne weg, mitsamt ihrem Licht und ihrer angenehmen Wärme.

Langsam öffnet er die Augen und sieht, dass ein zierliches Mädchen über ihn gebeugt ist.

„Kirai! Hier bist du!“, sagt sie laut und schüttelt den Kopf; „Ich hab dich im ganzen Dorf gesucht! Ich hatte schon befürchtet, du wärst ohne mich weitergezogen.“

Müde richtet er sich auf: „Hältst du mich etwa für lebensmüde, Luca?“

Dem Mädchen zaubert es ein Lächeln aufs Gesicht.

Luca ist Kirais Gefährtin, die Person, mit der er reist.

An ihrer hellen Kleidung und dem Kreuz auf ihrem Gürtel erkennt man sofort, dass sie eine Acolyte ist, ein Mensch, der den Pfad der Religion gewählt hat und über heilende Kräfte verfügt. Sie steht Kirai schon seit Monaten zur Seite, und mittlerweile wüsste er gar nicht mehr, was er ohne sie machen soll.

Sie sieht auch sehr hübsch aus; zu ihren langen, glatten, lila Haaren trägt sie eine kleine, passende Schleife in der selben Farbe auf dem Kopf.

Gelassen hüpft sie zu ihm auf die Hängematte, was sie leicht ins Wanken bringt.

„Du hast aber nichts gestohlen, oder?“, fragt sie ihn mit vorwurfsvoller Stimme; „Immerhin haben wir uns seit heute früh nicht gesehen. Man kann dich nie lange aus den Augen lassen.“

„Hör bitte auf, zu reden, als sei ich ein Verbrecher oder sowas“, grinst Kirai, woraufhin sich Luca zurück lehnt: „Also streng genommen...“

Heute hat er in der Tat nichts gestohlen, aber das muss er Luca ja nicht sagen.

Sie ärgert sich immer, wenn sie etwas nicht weiß.

„Achja!“, ruft sie und springt wieder auf, wodurch der junge Dieb beinahe von der schaukelnden Hängematte fällt: „Hey!“

Luca ignoriert ihn und greift in ihre Tasche: „Das hier hat mir Antonio heute gegeben. Es ist fertig und total süß geworden!“

Aufgeregt reicht sie ihm einen schönen Dolch mit hellblauem Griff.

„Der Damascus! Das hat ja ewig gedauert“, freut Kirai sich und schnappt ihn sich sofort, um ihn genau zu mustern.

Er bemerkt sofort, wie schwer er ist, wenn er ihn mit dem Messer vergleicht, das er normalerweise als Waffe benutzt. Daran wird er sich nun gewöhnen müssen.

„Möchtest du dich nicht vielleicht bedanken? Dass ich ihn dir gebracht habe?“, fragt Luca und winkt mit ihrer Hand direkt vor Kirais Gesicht, um dessen Aufmerksamkeit zu bekommen.

„Hm? Ja, danke“, sagt er kurz und wendet sich wieder dem Dolch zu.

„Was ist eigentlich toll daran?“, will Luca leicht beleidigt wissen; „Es ist zwar süß, aber das war dein alter doch auch, und für den hier hast du so viel Geld bezahlt.“

Kirai antwortet ihr, ohne seinen Blick von der Waffe zu lösen: „Der Damascus ist ein sehr tödliches Messer, dass aus einem total seltenen und speziellen Metall hergestellt wurde, das ihn unzerstörbar macht. Wenn man damit auf das Herz des Feindes zielt...“

„Du willst damit auf das Herz von Feinden zielen?“, schmunzelt Luca und endlich sieht er auf:

„Ähm, nein, das nicht. Aber ich könnte. Es ist einfach toll, so etwas zu besitzen.“

„Du bist verrückt“, stöhnt sie und bückt sich, um Kirais schwarze Kappe, ein Standardteil der Jungen-Schuluniform vom Boden aufzuheben und sie ihm zu geben.

„Komm, wir gehen. Wir müssen uns mit Proviant eindecken“, fordert sie ihn auf, nachdem er sich die militärisch aussehende Schirmmütze flink auf den Kopf gesetzt hat.

Er steckt das Messer weg, gähnt noch einmal mit weit ausgestreckten Armen und folgt der Acolyte.

Kirais Schlafplatz ist nicht innerhalb der Stadtmauer, daher müssen sie um diese herum gehen, bis sie in das Innere des Dorfes kommen.

Am südlichen Tor angelangt, spazieren sie gemütlich nach links, den Laden können sie schon sehen, doch ihr Blick wendet sich schnell zu den beiden Männern, die unter einer weißen Zeltplane rechts vom Geschäft stehen und lauthals streiten.

Was da wohl los ist?

Es stehen eine Menge Menschen um die beiden Kerle herum und schauen sich gespannt an, was passiert. Auch Kirai geht vorsichtig ein paar Schritte näher heran, um besser sehen zu können.

Offenbar handelt es sich um einen Konflikt zwischen einen Straßenhändler und einem Ritter.

„Gib zu, dass du betrügst!“, ruft der Ritter barsch und nimmt sich eine der Flaschen, die der Händler gemeinsam mit einigen anderen Waren auf dem Boden stehen hat.

„Diese blauen Tränke sollen die magische Energie in einem Körper wiederherstellen, aber deine tun das nicht, denn sie sind FÄLSCHUNGEN!“

Er nimmt ungefragt einen Schluck, wischt sich den Mund ab und wirft die Flasche auf den Boden, wo sie mit lauten Klirren kaputt geht.

„Was fällt dir ein? Das wirst du ersetzen!“, faucht der Händler voller Zorn.

„Das ist nicht mehr als Wasser mit Zucker und Lebensmittelfarbe!“, sagt der Ritter überlegen und nimmt sich die nächste Ware vor; ein Schwert.

„Was haben wir denn hier? Auf deinem Schild steht: „10 mal bearbeitetes Katana“.“

Er legt das Schwert vor sich hin und zieht sein eigenes Schwert.

Alle schauen gespannt zu, was der Ritter nun vor hat, nur der Händler hält sich die Augen zu.

Zuversichtlich greift der Mann das Schwert am Griff und schlägt einmal kräftig mit der Unterseite seines Hefts gegen die zu Boden liegende Klinge des Katanas.

Sofort ist das Katana in zwei große Bruchstücke geteilt.

„Glaubt ihr mir nun?“, fragt der Ritter ernst und die Umstehenden sind entsetzt.

Eine Dorfbewohnerin kreischt: „Betrüger!“, ein Mann meint kopfschüttelnd: „Hab mich schon gefragt, wie du so schnell an neue Ware kommst. War ja nicht schwer, bei dem Müll.“

Zwei Kinder fangen sogar an, Steine nach dem Händler zu werfen.

Kirai hat genug gesehen und wendet sich wieder Luca zu.

Wäre der Händler in Prontera aufgeflogen, hätte sich dort kaum jemand dafür interessiert.

Aber hier, in einem ruhigen Dorf wie Payon, in dem jeder jeden kennt, wird sofort die gesamte Bevölkerung aufmerksam, wenn ein lauter Streit auf dem Dorfplatz vom Zaun bricht.

Überrascht stellt Kirai fest, dass Luca wieder am Dorftor steht und hinaus blickt.

Der Thief geht zu ihr hin und fragt etwas besorgt: „Luca? Was ist los?“

„Da... Da hinten...“, murmelt sie und zeigt in Richtung Wald.

Kirai bemerkt dort aber nichts ungewöhnliches: „Was ist da?“

„Gerade war hier eine Frau, die sagte dass sie Hilfe braucht, und dann ist sie in diese Richtung geschwebt...“

„Geschwebt?“ Kirai denkt, sich verhört zu haben.

„Ja! Ich kann es mir auch nicht erklären...“ Luca scheint total aufgelöst zu sein: „Ich will ihr helfen. Kommst du mit mir in den Wald von Payon? Bitte!“

„Okay“, antwortet er schulterzuckend, denn etwas besseres hat er wirklich nicht vor.

Und die beiden machen sich sofort auf den Weg. Sie wandern südlich über die Steinbrücke und erreichen schließlich das Waldgebiet.

„Ich frage mich nur, wie wir sie hier finden sollen...“, überlegt Kirai laut.

Luca sagt nichts.

Ruhig gehen sie einfach weiter geradeaus, dieser Teil des Waldes ist nicht gefährlich.

Es gibt zwar hier und dort kleinere Monster, wie die so genannten Porings, die aussehen wie lebende, rosafarbene Puddingkugeln, aber diese verhalten sich normalerweise friedlich.

„Schau mal, wie süß!“, piepst Luca, als sie eines der Porings auf den Arm nimmt.

Sie scheint ihre gute Laune wiedergefunden zu haben.

„Lass es runter, wir wollen doch diese Frau suchen“, ermahnt sie der Dieb und enttäuscht lässt sie das kleine Ding runter, woraufhin es panisch weg hoppelt.

„War an dieser Frau denn irgendwas besonders auffällig?“, fragt er, als sie den Wald weiter durchqueren.

„Ja, und zwar alles! Sie war einfach gruselig. Sie hatte ganz lange dunkle Haare, die in alle Richtungen flatterten, orientalischen Haarschmuck, und war auch sonst total vornehm gekleidet, in einem traditionellen Kimono. Dazu noch ihre aschfahle, weiße Haut... Und sie hat über dem Boden geschwebt.“

Kann das stimmen?

„Bist du dir ganz sicher, dass du sie dir nicht eingebildet hast?“, fragt Kirai sie zweifelnd.

„Klar, ich bin doch nicht verrückt“, erwidert sie beschämt.

Trotzdem kann sie nicht leugnen, dass das, was sie gesehen haben will, sehr seltsam klingt.

Würden sie die Frau nicht finden, hätten sie aber zumindest einen netten Ausflug in den Wald gemacht, was auch nicht schlecht ist.

Nach einer Minute bleibt Luca plötzlich stehen und schaut nach rechts in das Gestrüpp.

„Hm, da ist irgendwas rotes im Busch...“, flüstert sie und beugt sich noch näher heran.

Kirai hat schon die Hand am Dolch, aber als es nur ein Spore ist, das aus dem Busch hüpft, nimmt er sie erleichtert wieder weg.

Spores sind Monster in der Größe eines Kleinkindes, die Fliegenpilzen ähneln, wenn man von den kleinen Ärmchen, dem unschuldig blickenden Gesicht und dem gigantischen Maul am Pilzhut absieht.

Wissend, dass es sich bei diesen Wesen um friedliche Gesellen handelt, will der Thief schon weitergehen, aber dann hört er Luca rufen: „Oh, wie niedlich!!“

Erschrocken dreht er sich um und sieht, dass sie das Monster auf den Arm nehmen will, wie sie es kurz zuvor schon mit einem Poring getan hat.

„Nicht!“, ruft Kirai, aber zu spät.

Das Spore ist überhaupt nicht gewillt, Lucas Knuddeln über sich ergehen zu lassen und springt hoch, wobei es das Maul an seiner Pilzkappe soweit öffnet, dass viele spitze Zähne und eine sabbernde Zunge, die der einer Schlange ähnelt, zum Vorschein kommen.

Schreiend duckt Luca sich weg; Kirai weiß, er muss handeln.

Während er auf das Monster zu rennt zückt er seinen Damascus, den er dem Pilzwesen noch gerade rechtzeitig in den Rücken stößt.

Quietschend fällt es zu Boden und bleibt dort liegen.

„Bei denen darfst du das nicht machen“, warnt er, als er leicht angeekelt seine Waffe aus dem toten Spore zieht und das lila Blut abwäscht.

Luca steht auf und streicht ihre Kleidung sauber.

„Danke, ich... merke es mir...“

Erleichtert darüber, dass sie wohlauf ist, steckt er sein Messer nun weg.

Auf einen Kampf war er nicht vorbereitet gewesen, also war es mehr Glück, dass er schnell genug reagieren konnte, um sie vor dem Monster zu retten.

Nervös sieht Kirai sich um: „Wollen wir zurück ins Dorf gehen? Wer weiß, ob wir die Frau noch finden.“

„Nein, noch nicht. Ich kann jemanden, der Hilfe braucht, nicht einfach in Stich lassen.“

So ein Satz ist typisch für Luca, und eigentlich denkt Kirai genauso.

Gemütlich wandern sie weiter durch den südlichen Wald von Payon.

Sie kommen an ein paar Wölfen vorbei, die faul in der Gegend herumliegen.

Wenn man ihnen nicht zu nahe kommt, greifen die blauen, großen Raubtiere auch nicht an.

Dennoch verfolgen sie das Duo mit ihren Blicken, sodass Kirai und Luca leicht unter Druck stehen, keinen Fehltritt zu machen.

„Komm nicht auf die Idee, die auch zu knuddeln“, ermahnt er seine Begleiterin leise. Sie schnaubt.

Aus der Ferne erkennen sie eine Art Steinsäule hinter einem hölzernen Wegweiser.

Und an dieser Säule liegt scheinbar eine Person, die von einem Wolf angegriffen wird.

„Oh mein Gott!“, kreischt Luca; „Ich glaube, das ist die Frau! Schnell, Kirai, der Wolf wird sie umbringen!“

Hilflos sieht er sich um, bis er einen kleinen braunen Stein zu seinen Füßen entdeckt.

Er bückt sich schnell und schleudert ihm den Wolf an den Kopf.

Jaulend wendet dieser sich von seinem Opfer ab und kommt knurrend auf die beiden Jugendlichen zu.

„Verdammt“, sagt Kirai und muss schlucken.

„Oh nein, sieh mal da!“, schreit Luca und zeigt auf die vermeintlich am Boden liegende Frau, die sich als nicht mehr als ein alter, blutgetränkter Kimono entpuppt.

Der Geruch von Blut muss den Wolf angelockt haben.

„Wir müssen es mit ihm aufnehmen...“, murmelt der Dieb nervös, aber just in diesem Moment pirschen sich von allen Seiten noch mehr Wölfe an.

Schließlich sind Luca und Kirai umzingelt.

„Wir können nicht weglaufen“, sagt die Acolyte mit Tränen in den Augen; „Ich habe Angst...“

Kirai geht es nicht anders, die Todesangst lähmt ihn sogar so sehr, dass er nicht mal etwas sagen kann. War es das...?

BOWLING BASH!“

Einer der Wölfe fliegt japsend in eine Baumkrone.

An dessen Stelle tritt ein Mann mit hellbraunem Haar und einen stählernen Helm, der eine strahlende Rüstung und ein langes Schwert trägt.

Es ist der Ritter, den Kirai mit einem Händler hat streiten sehen.

„Kommt hinter mich“, befiehlt er und hält den Monstern sein Schwert entgegen.

Der Thief und die Acolyte zögern nicht länger und hasten von den Gegnern weg hinter den Mann.

„Okay, wartet hier!“, fordert er sie auf und stürzt sich sofort in den Kampf.

Das Rudel greift ihn beinahe schon koordiniert von allen Seiten an, aber er schafft es dennoch, es mit ihnen allen gleichzeitig aufzunehmen.

Währenddessen bemerkt Luca, die sich mit Kirai hinter einem Baum versteckt hält, dass sich ein Wolf von hinten an sie heranschleicht.

Sie macht Kirai darauf aufmerksam, der sofort ein paar Schritte zurückgeht, wie Luca es auch tut.

Der Ritter, der zu sehr mit seiner Überzahl an Gegnern beschäftigt ist, ruft entschuldigend: „Verdammt, gerade kann ich euch nicht helfen! Versucht, den zu zweit zu besiegen!“

Sie könnten auch einfach weglaufen, doch das wäre extrem unsozial, dem fremden Helfer gegenüber.

Der knurrende und bellende Wolf fletscht bedrohlich seine langen Reißzähne.

Ich schaffe das, sagt Kirai sich immer wieder in Gedanken. Sein Herz pocht unaufhörlich.

Luca konzentriert sich und richtet ihre Arme nach vorne auf Kirai.

BLESSING!“, ruft sie und wie aus dem Nichts erscheinen zwei transparente Engel, nicht größer als Teelichter, über seinem Kopf, tänzeln für eine Sekunde herum und verschwinden sofort wieder.

Der Thief spürt die Kraft von Lucas Zauber, die durch seinen Körper fließt, außerdem sind alle seine Sinne geschärft.

Jetzt zögert der Wolf nicht länger und springt mit weit aufgerissenem Maul auf ihn zu.

Kirai weicht zur Seite hin aus, aber das Raubtier macht keine Pause sondern attackiert ihn direkt mit seiner rechten Pranke.

Bei seinem Versuch, den Angriff mit dem Damascus zu parieren, fliegt ihm dieser aus der Hand und landet einige Meter hinter dem Wolf.

„Verdammt...“, murmelt Kirai atemlos. Das war es dann wohl...

Er würde nie und nimmer an dem Ding vorbeikommen um seine Waffe zu holen, aber ohne den Dolch hat er auch keine Chance gegen dieses Vieh.

„Du musst hinlaufen!“, ruft Luca und hebt zitternd ihre Arme.

„Was?“ In dem Moment, in dem er sich zu ihr wendet, springt der Wolf auf ihn zu.

INCREASE AGILITY!“, schreit die Acolyte aus voller Seele, und Kirai, den ein kurzes Leuchten umgibt, merkt, dass sich seine Reaktionsfähigkeit dramatisch verbessert; Er weicht dem sabberndem Ungetüm flink aus und stürzt sich blitzschnell auf seinen am Boden liegenden Damascus.

Er hat seine Waffe schon erreicht und hält sie in den Händen, bevor der Wolf überhaupt die Zeit gefunden hat, sich wieder umzudrehen.

Jetzt oder nie; halsbrecherisch stürmt Kirai auf den Gegner zu und greift rapide zweimal hintereinander an: Er erwischt den Wolf so von der Seite und bei jeder Attacke fühlt er, wie sich sein Damascus durch das Fleisch des Tieres schneidet und Blut spritzt umher.

Jaulend geht der Wolf zu Boden.

Schwer atmend stützt Kirai sich auf seinen Knien ab, die Verzauberungen von Luca lassen allmählich nach, wie er fühlt.

„Du hast es geschafft!“, freut sich die Acolyte und rennt strahlend auf ihn zu.

Er nickt, teilweise stolz darauf, dass er es mit einem Wolf aufgenommen hat, und teilweise schuldbewusst, weil er ein Tier getötet hat.

Aber wenn er es nicht getan hätte, hätte er ihn und Luca umgebracht. Er hatte keine Wahl.

Besorgt schaut er rüber zu dem Knight, der alleine gegen das restliche Rudel gekämpft hat.

Dieser kommt gerade, mit vielen Blutflecken auf der Rüstung und im Gesicht, aber dennoch lächelnd, auf die Kirai und Luca zu.

Sein Schwert steckt er ruhig in dessen Scheide, und hinter ihm offenbart sich ein Haufen toter Wölfe.

„Oh nein, das ist ja...“, erschrickt Luca, als sie das Blut auf dem Körper ihres Helfers sieht, aber dieser unterbricht sie schon: „Keine Sorge, es ist nicht mein Blut. Seid ihr unverletzt?“

Die Beiden sehen sich kurz an und nicken dann.

„Ihr seid sehr stark“, sagt Luca ehrfürchtig und muss ein wenig nach oben schauen, denn der Ritter ist viel größer als sie und Kirai, besonders mit seinem Helm.

Er verneigt sich leicht und zückt eine kleine Blume, die nach einer gewöhnlichen Wildblume ohne Dornen und ohne Duft aussieht, aber trotzdem hübsch anzusehen ist.

Wie ein Kavalier hält er sie Luca hin und wispert: „Für ein schönes Mädchen wie dich würde ich doch immer mein Leben riskieren...“

Sie errötet und stammelt: „Ich, ähm... du... du bist... D-danke für die Blume!“

Perplex nimmt sie das Präsent und betrachtet es.

„Mein Name ist übrigens Troy“, grinst der Knight.

„Ich heiße Luca“, „Und ich bin Kirai“, stellen die beiden sich vor.

„Kirai...“, flüstert Troy und geht zu dem Wolf hinüber, den der Thief besiegt hat.

„Du hast es also geschafft, den hier zu töten?“

„Ja“, antwortet Kirai verlegen; „Aber nur, weil Luca mir geholfen hat...“

„Hättest du Lust... auf einen kleinen Probekampf? Wenn wir wieder in Payon sind?“

„Ähm, nein, lieber nicht“, lehnt er ab: Er hat wirklich anderes im Sinn, als sich mit einem Knight anzulegen. Dazu noch mit einem, der stark genug ist, ein ganzes Rudel Wölfe alleine zu vernichten.

„Schade. Naja, vielleicht ein anderes Mal. Was macht ihr überhaupt hier?“

Als er das fragt, schlägt Luca sich die Hand vor den Mund und läuft zu dem blutgetränkten Kimono, der vor der Steinsäule herumliegt.

Troy und Kirai folgen ihr neugierig.

Sie untersucht das Objekt eine Weile und sagt dann kopfschüttelnd: „Keine Frage. Es ist ihre Kleidung. Das ergibt keinen Sinn...“

„Würdet ihr mir vielleicht erklären, worum es hier geht?“, fordert der Knight sie auf.

Schließlich erzählen sie ihm alles bezüglich dieser mysteriösen Frau.

Man kann seinem Blick schon entnehmen, für wie unglaubwürdig er die Sache hält, aber etwas anderes hat Kirai auch nicht erwartet.

„Ihr seid schon sehr tief im Wald und habt sie immer noch nicht gefunden. Der mit Blut benetzte Kimono stellt in meinen Augen auch eher eine Falle dar.“

„Eine Falle?“, entfährt es Kirai und Luca gleichzeitig.

„Und ihr seid hinein getappt“, seufzt Troy kopfschüttelnd.

„Wir sollten trotzdem weiter nach ihr suchen“, schlägt die Acolyte vor, aber der Ritter sieht das anders: „Es wird bald dunkel, und dann ist es hier viel zu gefährlich für euch. Ich begleite euch nach Payon zurück.“

Sie können schlecht nein sagen, aber Kirai ist es auch lieber, wenn sie erstmal ins Dorf zurückgehen würden. Er ist müde und hat ziemlichen Hunger.

Zufälligerweise bietet Troy ihnen an, sie in das Gasthaus von Payon einzuladen.

„Da sagen wir nicht nein“, antwortet Luca dankbar und läuft schon voraus.

Die Höhle der tiefen Finsternis

Früher Abend. Troy sitzt gemeinsam mit Luca und Kirai im Gasthaus von Payon. Es gibt keine Stühle, deswegen sitzen sie auf dem Boden um den Tisch herum. Wie gewohnt ist das von der Einrichtung her einfach gehaltene Gasthaus beinahe leer.

Mit Ausnahme von der Kellnerin, zwei alten Männern, die Karten spielen sowie einer verschleierte Frau, sind keine anderen Leute anwesend.

Das gibt den drei Gelegenheit, sich in Ruhe zu unterhalten, nachdem sie ihr Essen bekommen.

„Lecker!“, nuschelt Luca erfreut, während sie an ihrem Reiskuchen abbeißt.

Traditionelle Reiskuchen sind eine Spezialität von Payon.

Kirai isst gefüllte Waffeln und Troy lässt sich ein paar Keulen herzhaftes Fleisch schmecken.

„Man kann sich nicht beschweren“, erzählt er, während er auf seinem Braten herumkaut; „Hier haben die zwar nicht so viel Auswahl wie in Prontera oder Morroc, aber wenigstens schmeckt das, was sie servieren.“

Luca stimmt zu, aber Kirai sagt nichts.

In Prontera und Morroc gibt es auch leckeres Essen, das weiß er.

„Was ich euch fragen wollte...“, fängt der Knight an und die beiden Jugendlichen sehen sich an.

„Seid ihr ein Paar?“

„Nein“, sagt Kirai sofort und Luca schüttelt den Kopf, aber dann sieht sie beleidigt zu dem Thief und faucht: „Sag das nicht so, als wäre ich etwas total ekliges!“

„Das hast du dir eingebildet“, seufzt er.

„Wenn das so ist, mache ich weiter“, grinst Troy und rutscht näher an Luca heran: „Junge Dame, habt Ihr denn schon einen Freund?“

Ein kurzer Moment der Stille.

Es ist offensichtlich, worauf er hinauswill.

„Ähm...“ Ihr Kopf wird von Sekunde zur Sekunde röter.

Kirai weiß, dass sie nicht mehr antworten wird, also übernimmt er das:

„Sie hat keinen, dafür aber chronische Bindungsängste. Also versuch es gar ni...“

„WER hat hier chronische Bindungsängste?!“, fährt sie ihn an und verschränkt trotzig die Arme.

Troy fängt an, zu lachen.

Kirai und Luca schauen ihn fragend an.

„Ihr seid wirklich lustig!“

So lustig findet Kirai das jetzt zwar nicht, aber er freut sich für Troy, der so darüber lachen kann.

„Habt ihr vielleicht Lust, meiner Abenteurergruppe beizutreten?“

„Deine Abenteurergruppe? Und wer ist da noch drin?“, hakt der rothaarige Thief nach.

„Niemand“, lacht er; „Wir wären dann zu dritt. Reicht doch, oder? Es macht mehr Spaß, als alleine zu reisen.“

„Mir ist es egal“, sagt Kirai sofort, und Luca, nach kurzem zögern: „Ich habe nichts dagegen...“

„Dann ist es beschlossen“, lacht Troy und hebt sein Sektglas: „Auf gute Zusammenarbeit!“

Er stößt jedoch nicht an sondern trinkt sofort.

„Ah, tut das gut. Es ist ein tolles Gefühl, wieder ein Team zu leiten“, sagt er schließlich.

„Wieder?“, wiederholt Kirai neugierig.

Troy schweigt eine Weile: „Ja, ich habe das schon mal gemacht, aber dann...“

Er hört mitten im Satz auf zu sprechen.

Was wohl plötzlich mit ihm los ist?

Durch die temporäre Stille kommt es dazu, dass die Gruppe einen Gesprächsfetzen von den beiden alten Knackern, die Karten spielen, aufschnappen.

„... Was, wirklich...? Dass noch keine Suchmeldung rausgebracht wurde...“

„Es ist nur ein Gegenstand und kein Mensch oder Haustier...“

„Aber der Moonlight Dagger ist dem Stadtherren doch der größte Schatz...“

Kirai schreckt hoch: „Moonlight Dagger?“

„Was ist los?“, fragt Luca und stopft sich einen weiteren Reiskuchen in den Mund.

„Entschuldigung“, mischt Kirai sich in das Gespräch der alten Männer ein: „Was ist mit dem Schatz des Stadtherren?“

„Wurde gestohlen“, antwortet der Eine.

„Von einem komisch gekleideten Jungen“, ergänzt der Andere.

„Erklärst du uns auch mal, was los ist?“, beschwert Luca sich und Kirai wendet sich wieder seinen Gefährten zu: „Der Moonlight Dagger ist ein extrem seltener Dolch mit magischen Fähigkeiten. Er wird schon seit Generationen im zentralen Palast von Payon aufbewahrt, aber es scheint, als wäre er nun gestohlen worden...“

„Und?“, fragt Troy wenig interessiert.

„Ah, ich weiß, was du vorhast!“, strahlt Luca; „Du willst den Dolch suchen und ihn an seinen Platz zurückbringen, richtig? Ich helfe dir! Wir sind die Gerechten!“

„Also eigentlich“, korrigiert er sie kichernd; „wollte ich den Dieb ausfindig machen und ihm den Dolch entreißen, um ihn selbst zu behalten.“

Luca gibt es auf: „Du bist Thief durch und durch.“

„Hey, wenn es doch schon gestohlen wurde, ist es nicht mehr so schlimm, oder? Wir bestehlen ja nur einen Dieb, der es verdient hat. Außerdem wollte ich dieses Messer schon immer mal haben.“

Seine Rechtfertigungen lösen bei ihr keinerlei positive Reaktion aus.

Aber das ist ihm auch ganz egal; Endlich tut sich eine Chance auf, an diese legendäre Waffe zu gelangen, die er sich gewünscht hat, seitdem er sich entschieden hat, Thief zu werden.

„Wenn ihr den Dieb finden wollt“, sagt Troy langsam; „Wäre es klug, zum zentralen Palast zu gehen und nach Informationen zu fragen.“

„Stimmt“, lächelt Kirai und springt auf: „Kommt ihr?“

Luca jammert: „Jetzt schon? Wollen wir nicht bis morgen warten?“

„Je mehr wir warten, desto mehr Zeit hat der Dieb, zu entwischen“, argumentiert er und geht nach draußen. Er wird sich jetzt nicht mehr davon abbringen lassen.

Auch wenn er noch keinen Plan hat, wie er diesen magischen Dolch ausfindig machen soll.

Nachdem Luca aufgegessen und Troy bezahlt hat, kommen die beiden auch vor die Tür und geleiten Kirai durch das Dorf zu dem Steinpfad, den sie entlanggehen, bis sie am zentralen Palast ankommen. Hier residiert der Dorfvorsteher oder Stadtherr von Payon.

Ein alter und netter Mensch, aber Kirai hat ihn erst ein einziges Mal in seinem Leben gesehen.

Da war er noch klein und hat mit seinen Eltern das Dorf besichtigt.

Sie gehen eine breite Steintreppe hinunter um den Eingang des riesigen Gebäudes, welches direkt am Fluss von Payon gebaut wurde, zu erreichen.

Natürlich wird die Tür hinein von einem mit einem Speer bewaffneten Diener bewacht.

Dieser stellt sich ihnen sofort in den Weg, als die drei sich dem Eingang nähern.

„Stopp!“, blafft er sie an; „Der Stadtherr empfängt heute keinen Besuch mehr. Verschwindet, ihr habt hier nichts zu suchen!“

Kann er doch nicht wissen.

Kirai seufzt. Er hasst es, wenn Leute sofort unfreundlich werden.

„Wir sind hier, wegen dem gestohlenen Schatz“, erklärt Troy, woraufhin der Wächter große Augen macht und sagt: „Das ist was anderes. Ich höre...“

„Wir wollten...“, fängt Kirai an, aber der Ritter übernimmt es schon für ihn: „Wir wollten um Informationen bitten, damit wir den Schatz zurückbringen können.“

„Wenn ihr das macht“, flüstert die Wache; „werdet ihr sicher reichlich belohnt werden. Nun gut, ich erzähle euch alles, was wir wissen.“

Gespannt hören die Abenteurer zu, ohne den Mann zu unterbrechen.

„Es war vor drei Tagen. Dem Stadtherrn ging es äußerst schlecht, deswegen sind ich und ein paar andere Angestellte zu ihm, während die restlichen Wachen schnell einen Arzt holten.

In dieser Zeitspanne, die nicht länger als zehn Minuten war, war der Eingang und die Glasvitrine, in der sich der Moonlight Dagger befunden hat, unbeaufsichtigt. Der Dieb hat sich das zu Nutze gemacht und ist in den Palast eingedrungen. Die Wachen, die den Arzt geholt haben, haben dies zufällig mitbekommen und den Kerl verfolgt, aber als er tief in die Höhle von Payon flüchtete, mussten sie aufgeben. Dort ist es einfach zu gefährlich.“

„Die Höhle von Payon?“, wiederholt Kirai.

„Richtig. Der Dieb ist womöglich mittlerweile getötet worden, von den Monstern, die darin lauern. Man sagt, dass Tote dort zum Leben erwachen und als Zombies umherwandern.“

„Dann lasst uns in diese Höhle gehen“, schlägt der Thief vor, aber der Wächter schüttelt den Kopf: „Lasst das. Es hat sich schon mal eine Abenteurergruppe in die Tiefen des Payon Caves, wie wir die Höhle auch nennen, gewagt. Sie sind nicht zurückgekehrt.“

Eine kurze Stille umgibt den Abend, der bald durch die untergehende Sonne beendet sein wird.

„Danke für die Informationen“, sagt Troy schlussendlich und sie verabschieden sich von dem Wächter.

Langsam gehen sie zum Gasthaus zurück.

„Wir haben genug Informationen, oder? Lasst uns jetzt in die Höhle gehen, ich will so wenig Zeit wie möglich verlieren“, drängt Kirai seine Gefährten.

Troy seufzt: „Vorher gehe ich nochmal auf die Toilette, wenn es recht ist.“

Als sie schließlich alle drei vorbereitet auf die Tour in die mysteriöse Höhle sind, ist die Sonne untergegangen. Vorsichtig wandern sie durch Payon, das nachts viel unheimlicher wirkt als tagsüber. Jedes Mal, wenn man das Rascheln von Blättern oder das Knacken von Ästen hört, dreht Luca sich erschrocken um, immer in der Erwartung, ein Monster könne sie angreifen.

„Wollen wir nicht lieber morgen gehen? Wenn es wieder hell ist?“, schlägt sie ängstlich vor.

„In einer Höhle ist es immer dunkel, daher macht es keinen Unterschied“, antwortet Troy.

Er legt seinen Arm um sie und flüstert: „Keine Angst, schöne Luca, ich werde dich beschützen.“

Man kann es zwar nicht sehen, weil es so dunkel ist, aber Kirai weiß, wie rot sie gerade wird.

Nach ein paar Minuten haben sie den Höhleneingang erreicht.

Direkt davor steht eine Person, die man in der Dunkelheit nicht genau erkennen kann.

„Wer ist da?“, fragt Troy und hält sein Schwert bereit.

Die Person kommt näher; Es ist eine Frau.

Sie hat langes, hellblaues Haar, das fast schon lila wirkt und trägt eine Dienstmädchen-Uniform.

„Mein Name ist Defolty. Wir vom Kafra-Service sind immer auf eurer Seite. Was kann ich für euch tun?“

Erleichterung macht sich breit.

Der Kafra-Service ist eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Abenteurer durch verschiedene Dienstleistungen zu unterstützen, zum Beispiel ein Lager für Gegenstände einrichten oder Menschen gegen eine Gebühr in eine andere Ortschaft teleportieren.

„Wir wollen nur vorbei. Unser Ziel ist diese Höhle hier“, erklärt Troy und deutet auf den Eingang.

„Verstehe“, erwidert Defolty und verbeugt sich leicht; „Bitte gebt Acht.“

„Danke“, sagt Kirai und betritt gemeinsam mit Luca und Troy das Payon Cave.

Die unheimliche Höhle ist nur schwach durch Fackeln, die hier und da stehen, erleuchtet.

Es ist noch kühler als draußen und die Luft ist ziemlich stickig.

Man sieht Luca, die sich dicht hinter dem Ritter hält, an, dass sie am liebsten sofort wieder raus möchte. Kirai hingegen nimmt es gerne in Kauf, diese Gruselhöhle nach dem Moonlight Dagger zu durchforsten.

Als sie nach ein paar Schritten an eine Gabelung kommen, muss Troy seufzen: „Na toll, wir sind gerade mal zehn Meter tief in diesem Loch und schon teilt sich der Weg. Rechts oder links?“

Während Luca noch überlegt, beschließt Kirai: „Wir halten uns an die Regel der linken Wand.“

„Was soll das sein?“, fragt sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

Er erklärt: „Es ist ganz einfach. Wenn man in einem Labyrinth oder einem ähnlichem Ort immer nur an der linken Wand entlanggeht, findet man früher oder später automatisch den Ausgang. Immer.“

„Echt?“, staunt Luca. Sie scheint wirklich noch nie etwas davon gehört zu haben.

„Wenn man ein bisschen nachdenkt, ist es logisch“, sagt Troy und nimmt den linken Pfad.

Kirai und Luca folgen ihm.

Nach einer Zeit hört man eigenartige Geräusche; Der Knight macht seinen Begleitern durch Handzeichen deutlich, dass sie kurz warten sollen.

Schließlich flattert ein kleines blaues Wesen aus der Dunkelheit und stürzt sich auf Troy.

„Mist! Ein Familiar!“, flucht die Acolyte und geht einen Schritt zurück.

Der Familiar, ein Monster, das aussieht, wie eine blaue Fledermaus, wird schnell und kompromisslos von Troys Schwerthieb niedergestreckt.

Lächelnd wendet er sich an Luca: „Bleibt ganz ruhig. Diese niederen Monster sind keine Bedrohung für mich.“

Zwei Sekunden später sind wieder seltsame Geräusche zu hören, wieder stammen sie von Familiars, aber nicht wie vorher von einem, sondern von ungefähr zehn.

„Hinter dir!“, schreit Luca aufgebracht.

Troy dreht sich überrascht um, aber es ist zu spät: Sie haben ihn umkreist und beißen ihn von allen Seiten.

„Was machen wir jetzt?“, fragt die Acolyte verzweifelt.

Kirai würde die Feinde ja angreifen, aber da diese Fledermäuse sich in einer so unmittelbaren Nähe zu dem Körper des Ritters befinden, könnte er diesen gefährden.

„Bleibt... zurück!“, keucht er und kneift die Augen zusammen.

Er wird sich schon etwas dabei denken, sowas zu sagen, denkt Kirai und geht einen Schritt zurück.

Troy hebt sein Schwert in die Luft und sticht es danach mit aller Kraft in den Boden.

Dabei brüllt er: „MAGNUM BREAK!“

Ohne Vorwarnung schießen heiße Flammen aus der Spitze des Schwertes, als es den Boden berührt und hüllen Troy gerade zu ein, sodass sie ihm nicht gefährlich werden können.

Die Familiars dagegen fallen alle verkohlt zu Boden.

Ein unangenehmer Gestank macht sich breit.

Der Ritter atmet schwer; besorgt läuft Luca zu ihm hin: „Geht es dir gut? Oh nein...“

Er hat überall Bisswunden, besonders im Gesicht und an den Händen, und hier und da tritt Blut aus.

„Ich darf nicht... so hochmütig sein“, knurrt Troy und Kirai nähert sich ihm ebenfalls.

Dieser schaut einfach nur Luca an, ohne etwas zu sagen.

Sie muss doch auch so verstehen, was sie nun zu tun hat?

Zuerst starrt sie Kirai nur verwirrt an, dann kommt ihr der Geistesblitz: „Ja richtig!“

Sie streckt ihre Hände vor dem Ritter aus und ruft: „HEAL!“

Ihre Hände leuchten für einen kurzen Moment, und sofort danach wird Troy von einem magischen, grünen Licht umgeben, das in kürzester Zeit seine Wunden schließt.

Nun scheint es ihm sichtlich besser zu gehen: „Danke.“

„Wir müssen vorsichtig sein“, murmelt Kirai misstrauisch.

Seine Aussage erhält schnell Zustimmung und so schreiten die drei Abenteurer wachsam weiter.

Für ein paar Minuten passiert nichts besonderes, doch als sie in einen weiten Höhlenraum gelangen, erregt ein großer, pilzförmiger Stein, um den viele kleine Pilze wachsen, ihre Aufmerksamkeit.

„Was ist das?“, will Kirai wissen.

„Sieht das seltsam aus“, lacht Luca.

Die beiden untersuchen neugierig den Stein, und auch Troy kommt langsam näher: „Ja, ich habe so etwas auch noch nie gesehen. Wie auch immer, dafür sind wir nicht hergekommen, oder?“

Der Gedanke an den Moonlight Dagger bringt Kirai sofort von dem Fels weg und er nickt.

Auch die Acolyte verliert langsam ihr Interesse daran.

Plötzlich dröhnt ein tiefes Stöhnen aus der Dunkelheit, und bei dem, was vor ihnen aus dem Gang kommt, bleibt ihnen allen fast der Atem weg: Untote.

Modrige, laufende Skelette und verschimmelte, lila Zombies kommen auf sie zu.

Und es sind nicht wenige.

„Aaaaah!“, kreischt Luca und weicht zurück; „Das... Oh mein Gott...“

Kirai kann zuerst gar nichts sagen, dann greift er panisch nach seinem Messer.

Auch Troy hält seine Waffe bereit.

„Dann stimmt es wirklich... In den Höhlen von Payon wandeln lebende Tote umher... Ich dachte, das wäre bloß eine Gruselgeschichte...“, wimmert sie ängstlich.

„Gruselgeschichte?“ Kirai schluckt; „Das ganze Dorf redet doch davon.“

Aber selbst er hatte nicht damit gerechnet, dass sie hier von Leichen angegriffen werden würden.

„Wir müssen kämpfen!“, ruft Troy selbstbewusst und hackt mit einem schnellen Hieb einem der Zombies den Kopf ab, woraufhin grüner Schleim aus seinem Hals fließt.

Bei dem Gestank wird Kirai schlecht, aber er versucht, mit allen Mitteln, ihn zu ignorieren, denn ein Skelett, das mit je einem Knochen pro Hand bewaffnet ist, tänzelt auf ihn zu.

Kirai bleibt nicht viel Zeit zu überlegen, wo dieser laufende Knochenhaufen seine Schwachstelle haben könnte, also geht er in die Offensive und steckt seinen Damascus mitten in den Brustkorb des Skelettes, um diesen danach mit voller Wucht zu zertrümmern.

Bevor der Gegner jedoch zurückstolpert und in sich zusammenfällt, kann er dem Thief noch einen kräftigen Hieb mit seiner Knochenkeule verpassen.

„Ah...“, stöhnt er und fällt hin. Seine Schirmkappe landet einen Meter weiter auf den Boden. Ihm ist schwindelig; es hat seinen Kopf erwischt, der jetzt furchtbar schmerzt. Besorgt fühlt er sich über die Stirn, aber zum Glück blutet er nicht.

Auf die arme Luca haben es direkt zwei faulende Zombies abgesehen und sie inzwischen sogar an die Wand gedrängt.

Troy, der alleine einen Haufen von Untoten am Hals hat, kann ihr jetzt nicht zur Hilfe eilen.

„Luca! Du kannst doch...“ Aber weiter kommt der Ritter nicht, da er dem Angriff von einem Skelett ausweichen muss.

Während Kirai versucht, wieder aufzustehen, betrachtet Luca ihre Hände: „Ich kann...? Was...“

Es kommen Erinnerungen in ihr auf, von der Zeit, als sie Acolyte geworden ist.

„Der Klerus verfügt über göttliche Kräfte, die andere Menschen nicht haben“, hatte ihr Mentor, Vater Mareusis, zu ihr gesagt; „Wir können unsere Nächsten heilen, um sie zu beschützen. So kämpfen wir gegen den Tod.“

Der Klerus... kämpft gegen den Tod.

Es fällt ihr wie Schuppen von den Augen.

„Luca!!“, ruft Kirai, aber sie weiß schon, wie sie sich gegen die Zombies, die quasi schon vor ihr stehen, hilft: „HEAL!“

Und so fällt kippt der erste Untote zu Boden.

HEAL!“

Der andere, der gerade nach ihrem Gesicht greifen wollte, fällt nach hinten um.

Dort bleiben sie liegen, als seien sie nie untot gewesen.

Jetzt versteht Kirai, der es inzwischen geschafft hat, aufzustehen, aber immer noch seinen Kopf hält, warum die Zombies besiegt werden, wenn man Heilzauber auf sie anwendet:

Zombies sind tot, und Lucas Magie bringt Leben.

Welch eine Ironie, dass es Wesen gibt, die man mit Leben töten kann.

„Das hast du gut gemacht“, lobt er sie, aber sie ignoriert es und schaut sich den blauen Fleck an Kirais Kopf an.

Ohne noch viel dazu zu sagen, schließt sie die Augen und spricht: „HEAL!

Ein warmes Licht erscheint um den Thief herum, und nach einer Sekunde ist der Schmerz und auch das Schwindelgefühl restlos verschwunden.

Er bedankt sich und kurz darauf führt auch Troy seine letzte Attacke aus, nach der jeder feindliche Zombie in seine Einzelteile zerlegt ist.

Seufzend steckt er sein Schwert in die Scheide.

Während Luca ihn fragt, ob alles in Ordnung sei, setzt Kirai sich seine schwarze Kappe wieder auf den Kopf. Troy scheint heil aus seinem Gefecht herausgekommen zu sein, was nicht verwunderlich ist, angesichts der Tatsache, dass er ein geübter Schwertkämpfer ist.

„Wollen wir wirklich weiter? Es werden noch viel schlimmere Gefahren auf uns lauern“, merkt der Ritter an, aber Kirai sagt sofort: „Ja, unbedingt. Bis jetzt haben wir es doch auch geschafft.“

Auch Luca nickt.

Wahrscheinlich hat sie neuen Mut gefasst, als sie gemerkt hat, welche Kraft eigentlich in ihr gegen die untoten Wesen dieser Höhle steckt.

Ohne Pause gehen die drei den Gang entlang weiter, immer weiter geradeaus.

Und ein weiteres Mal kommen sie an eine Gabelung.

„Immer an der linken Wand halten, hm?“ Ein Grinsen zeichnet sich auf Troys Gesicht ab.

Also biegen sie nach links ab.

Je tiefer sie in die Höhle eindringen, desto kühler wird es, und während sie vorsichtig ihres Weges schreiten, behalten sie immer die Regel der linken Wand im Kopf, um auch ja ihr Ziel zu erreichen.

Mit jedem Schritt wird Kirai nervöser, er kramt etwas in seiner Tasche und holt einen Apfel heraus.

„Hunger?“, fragt Luca verwundert.

„So in der Art“, nuschelt er und beißt hinein.

Einen leckeren und saftigen Apfel zu genießen soll ihn von seiner Nervosität ablenken und stärken.

„Also ich könnte jetzt nichts essen“, jammert Luca; „Mir würde schlecht werden...“

Vermutlich aus demselben Grund: Nervosität, oder vielleicht sogar Angst.

Plötzlich ist ein kurzes Grollen zu hören, aber bevor irgendwer zu den Waffen greifen kann,

steckt plötzlich ein Pfeil in dem Apfel, von dem Kirai sich gerade ein Stück abbeißen will.

Von der einen Sekunde auf die andere steigt sein Herzschlag ins Unermessliche.

Mit weit aufgerissenen Augen betrachtet er den Apfel in seiner Hand, in dem nun ein Pfeil steckt.

Es ist ein Klappern zu hören und es treten mehrere Skelette aus der Dunkelheit, doch sie unterscheiden sich von den Skeletten, die sie vorher getroffen haben, erheblich:

Sie sind nicht nur blau angelaufen und tragen ein weißes Stirnband, sie haben, was noch viel wichtiger ist, hölzerne Bögen in der Hand und und einen Köcher voller Pfeile auf den Rücken.

Sofort verstecken sich die drei hinter einem großen Stein, als eine Sekunde später blitzschnell Pfeile auf sie nieder rasseln, vor der der Fels sie glücklicherweise abschirmt.

„Jetzt sind wir geliefert“, jammert Luca.

Wenn es nur ein Gegner wäre, könnte sie eventuell schnell genug sein um ihren Zauber auf ihn zu sprechen, aber da es gleich eine ganze Horde ist...

„Ich habe kein Schild oder sowas, womit ich die Angriffe abwehren könnte“, seufzt Troy.

Kirai, der immer noch unter Schock steht, weil ihn immerhin ein Pfeil nur um Haaresbreite verfehlt hätte, sagt gestresst: „Was machen wir? Ich will mich denen nicht stellen, die haben mich abgeschossen bevor ich überhaupt an sie herankomme...“

Wieder prallen Pfeile an dem großen Stein ab, was zur Folge hat, dass dem Thief ein kalter Schauder über den Rücken läuft.

„Wir müssen weglaufen“, sagt Troy.

Nach kurzem Zögern springt er auf und rennt zurück in den Gang, aus dem sie gekommen sind.

Kirai und Luca tun das gleiche.

Die Skelette legen schon an, sind aber nicht mehr schnell genug um zu schießen.

Troy, Luca und Kirai sind schon hinter einer Biegung verschwunden.

„Dort hinten war eine Gabelung. Lasst uns den anderen Weg ausprobieren“, schlägt der Knight vor und erntet keinen Widerspruch.

Schnellen Schrittes gehen sie voran, bis sie die besagte Abzweigung erreichen und nehmen dieses Mal den anderen Pfad, der sich optisch nicht besonders von den anderen Gängen hier unterscheidet.

Die nächsten paar Minuten verlaufen ruhig, mit Ausnahme von einem Drainliar, ein Monster, das wie ein roter Familiar aussieht, aber viel gefährlicher ist.

Jedenfalls kostet es Troy nicht viel Anstrengung, die Fledermaus über den Jordan zu befördern.

Nach einiger Zeit des ereignislosen Wanderns steht wieder einer dieser pilzförmigen Felsen vor ihnen, dieser ist von Wasser umgeben und bekommt nicht ansatzweise so viel Aufmerksamkeit wie der letzte.

Troy führt sie durch einen weiteren Gang, doch plötzlich bleibt er stehen und gibt einen erschrockenen Ton von sich.

Auf Kirais und Lucas fragenden Blick zeigt er nur mit dem Finger auf den Totenschädel, der am Boden liegt.

Seltsam, dass ihn das nach all den herumlaufenden Skeletten noch schocken kann.

„Seht mal genau hin...!“, zischt er und sie mustern den Schädel genauer.

Man kann zwar nichts auffälliges erkennen, aber neben dem Totenkopf liegt ein zerbrochener Zauberstab.

„Ich bin mir sicher, dass das ein Mitglied der Abenteurergruppe war, die diese Höhle nach dem Moonlight Dagger durchsucht haben...“, mutmaßt der Knight und starrt entsetzt den Schädel an.

Auch Kirai bekommt Angst bei dem Anblick und dem Gedanken, dass es ihnen genau so ergehen könnte. Luca, die zuerst nur gelangweilt zusieht, stemmt ihre Arme nun in die Hüften und mit den Worten: „Ach was, das ist doch nur Deko!“, befördert sie den Schädel mit einem kräftigen Tritt weg.

Warum ist sie plötzlich so cool? Sie ist ein echt komischer Mensch.

Die Gefährten lassen sich von dieser kleinen Panne nicht mehr behindern und gehen weiter.

„Von außen sah die Höhle nicht so groß aus“, erwähnt Kirai.

Und sie geraten schon wieder an eine Abzweigung.

„Es ist wirklich ein Labyrinth“, murmelt Troy kopfschüttelnd.

„Hm?“ Luca dreht sich um: „Ich höre was...“

Eben herrschte noch eine Totenstille, aber jetzt sind hastige Schritte zu vernehmen.

Sie kommen immer näher...

Troy schlägt gerade vor, wegzulaufen, solange ihnen noch Zeit bleibt, da ist es schon zu spät.

Vor ihm stehen drei blau angelaufene Skelette, aber keine Bogenschützen.

Sie haben furchteinflößende Klingen in ihren Knochenhänden und tragen braune Schuhe, mit denen sie sich ungewöhnlich agil bewegen.

„So ein Dreck, das sind keine normalen Skelette. Das sind die Skelette von Soldaten...“, knurrt der Ritter und zieht sein Schwert.

„Und was jetzt?“, fragt Kirai ängstlich mit einem Blick auf die scharfen Waffen der Skelette; „Gegen die will ich nicht kämpfen...“

„Ich auch nicht“, sagt Luca leise und geht ein paar Schritte zurück.

Das erste Skelett greift Troy schon mit seinen Klingen an, mit Mühe schafft er es, sie abzuwehren und den Gegner zurückzudrängen.

„Geht schon! Das hier sind geübte Kämpfer, ihr müsst LAUFEN!!!“, brüllt er.

Luca rennt los, und Kirai tut dasselbe.

Doch dann bemerkt er, dass sie den anderen Pfad entlang läuft.

Er kehrt um und ruft: „Nein, hier lang!“

Aber sie kann ihn schon nicht mehr hören, und an der Abzweigung kämpfen die Skelettsoldaten gegen Troy, sodass es fast unmöglich ist, die eingeschlagene Richtung noch zu ändern.

Ohne weiter darüber nachzudenken eilt er schließlich durch seinen Gang und hält damit die Regel der linken Wand ein.

Er hört erst auf, zu rennen, als er die Kampfgeräusche von hinten nicht mehr hören kann.

Erschöpft fällt er auf die Knie.

Scheiße... Was soll er denn jetzt tun? Hier auf Troy warten?

Aber dieser nimmt vielleicht auch den anderen Weg...

Plötzlich tritt ein Junge an ihn heran.

Kirai springt auf und zieht seinen Damascus.

Der unbekannte Junge ist ziemlich dürr und hat braune Haare, die zu einem kurzen Zopf geflochten sind. Sein blauer, kreisrunder Hut und seine traditionell östliche Kleidung lassen ihn sehr sonderbar aussehen.

Seine Hände kann man wegen den langen Ärmeln seines Oberteils nicht sehen, aber als Kirai ihm in die roten, emotionslosen Augen blickt, durchfährt ihn ein eiskaltes Gefühl: Das ist kein Mensch.

Der Dämon des Mondlichts

Während Luca immer weiter alleine in die Höhle hinein läuft, schaut sie besorgt zurück.

Offensichtlich hat Kirai den anderen Weg eingeschlagen, was bedeutet, dass sie jetzt auf sich alleine gestellt ist.

Plötzlich läuft sie gegen eine Person und schreckt zurück.

Das angerempelte Mädchen verzieht keine Miene.

Wer ist das, fragt Luca sich.

Die Fremde hat zu einem langen, braunen Zopf zusammengeflochtene braune Haare und trägt einen übergroßen, roten, chinesischen Turban, an dem ein gelbes Amulett befestigt ist.

In ihrer durch und durch in rot gehaltenen, antiken Kleidung wirkt sie wie aus dem letzten Jahrhundert.

„Entschuldigung“, sagt Luca verwirrt, aber als Antwort bekommt sie nur eine unerwartete Ohrfeige.

„Ah, was?!“, keucht sie, doch das Mädchen schubst sie auf den harten Boden und bückt sich ohne Vorwarnung über sie.

Die Acolyte versucht, sich zu befreien, aber dieses Mädchen ist zu stark.

„Was willst du von mir?!“, schreit Luca mit Tränen in den Augen.

Anstatt zu antworten, greift sie mit den Händen an den Hals der Unterlegenen.

Dabei bemerkt Luca, dass ihre Gegnerin irgendetwas in der rechten Hand halten muss, kann aber nicht genauer sagen, worum es sich handelt.

„Bitte...“, stöhnt sie leise, aber ohne Gnade fängt das Mädchen an, ihr den Hals zuzudrücken.

Luca zappelt und versucht, sich mit allen Mitteln zu wehren, aber ihre Körperkraft reicht nicht aus.

Aber so stark sieht dieses komische Mädchen doch gar nicht aus!

Irgendwas muss faul bei ihr sein!

Erst, als sie ihrer Gegnerin direkt ins Gesicht sieht, fallen ihr deren roten, blutunterlaufenen Augen auf.

So ist das also! Wenn Luca nicht ganz falsch liegt, dann ist sie auch ein Zombie!

Selbst wenn sie keine modrige Leiche oder klapperndes Skelett ist.

Mit letzter Kraft konzentriert die Acolyte sich, ignoriert die Schmerzen, hebt ihre Hände und keucht:

HEAL!“

Für den Bruchteil einer Sekunde erscheint weißes Licht um die Gegnerin herum und sie fällt quietschend zurück; dabei fällt ihr etwas aus der Hand.

Zitternd steht Luca auf und betrachtet das kleine Stück Stoff am Boden. Es scheint ein Amulett zu sein, und es ähnelt dem, welches das Zombiemädchen an ihrer Kopfbedeckung trägt, aber dieses hier ist nur eine abgerissene Hälfte.

Im nächsten Moment hört Luca ein „Nein, nicht das!“ und die mysteriöse Unbekannte greift hastig nach dem kleinen Objekt, das sie wie einen Schatz in den Händen hält.

„Das wirst du bezahlen...“, knurrt sie und funkelt Luca böse an, während sie eine Art Kampfhaltung einnimmt: „Du wirst es bereuen, dass ich wegen dir fast Bonguns Andenken verloren hätte.“

Momentan hat die Acolyte keine Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wer oder was Bongun sein könnte. Es macht ihr mehr Sorgen, dass dieses Mädchen auch nach ihrem Zauberspruch noch stehen kann.

HEAL!“, schreit sie, ohne noch mehr Zeit zu verlieren.

Wieder blitzt kurz ein weißes Licht auf, dass ihre Gegnerin dazu bringt, schmerzerfüllt aufzustöhnen. Doch sie fängt sich schnell wieder und kommt langsam auf Luca zu.

„Wie kann das sein?“, stottert diese verzweifelt; „Du bist doch ein Zombie...?“

„Ich heiße Munak!“, verkündet das Mädchen großspurig.

Sie hat eine unerwartet hohe Stimme.

„Und ich wurde geschickt, um dich zu töten!“, fährt sie fort.

Luca stockt der Atem: Was soll sie nur machen?

Weil ihr keine andere Idee kommt, fängt sie einfach an, so schnell sie kann vor Munak wegzulaufen.

„Du kannst mir nicht entkommen!“, piepst sie und nimmt die Verfolgung auf.
 

Misstrauisch betrachtet Kirai den fremden Jungen von oben bis unten.

Ihm fällt auf, dass ein zur Hälfte abgerissenes, gelbes Amulett an seinem Hut herunterhängt.

Ob das eine bestimme Bedeutung hat?

„Ich muss dich töten“, sagt der Junge, als sei es das normalste der Welt und neigt seinen Kopf leicht nach unten. Traurig betrachtet er ein rosafarbenes, mädchenhaftes Buch mit goldenem Schloss, das er verkrampft festhält.

Warum denn das? Kirai versucht, sich zusammen zu reißen, denn so stark sieht der Typ nicht aus.

„Ist das... ein Tagebuch?“, fragt er und hofft darauf, den Fremden von seiner Idee abzubringen.

Daraufhin drückt dieser es noch näher an sich.

„Das geht dich nichts an... Ich muss dich töten...“, wiederholt er.

„Nein, musst du nicht... Ähm, lass mich bitte gehen...“, erfragt Kirai hoffnungslos.

Nun wird der Junge laut: „Ich muss! Ich muss alles tun, was sie mir aufträgt. Ganz egal, ob ich Leute töten muss oder etwas stehlen...“

„Etwas stehlen?!“, entfährt es Kirai. Ihm kommt da ein bestimmter Gedanke.

Vor ihm steht ein Junge in komischen Klamotten, der für jemanden etwas stehlen muss oder musste.

Er kann nicht anders, er muss seinen Verdacht einfach äußern:

„Hast du... den Moonlight Dagger aus dem Palast des Stadtherren genommen?“

An dem erstaunten Blick des Jungen kann Kirai schon sehen, dass er richtig liegt: „Wo ist er?“

„Ich habe ihn nur abgeliefert. Ich habe kein Interesse an dem Ding“, erklärt er und nimmt eine dem Thief unbekannte Kampfposition ein.

Ich habe keine Wahl, ich muss gegen ihn kämpfen, macht dieser sich klar und hält seine Waffe drohend vor sich.

Eine Sekunde lang starren er und sein Gegner sich direkt in die Augen.

Dann führt der Fremde einen blitzschnelle Angriff mit der flachen Hand aus, der aus dem Nichts zu kommen scheint und eine solche Kraft besitzt, dass Kirai mit dem Rücken an die Wand kracht.

Er schreit vor Schmerz auf und versucht, so schnell wieder aufzustehen, wie er kann.

Mit einer solchen Wucht hätte er nie gerechnet.

Schwer atmend versucht er einen frontalen Angriff mit seinem Messer, doch der altmodisch gekleidete Junge streckt nur die Hände vor sich aus um der Attacke jegliche Schwungkraft zu nehmen.

„Wie machst du...?“, setzt Kirai an, doch bevor er zu Ende sprechen kann, hat er schon den Fuß seines Gegenübers in Bauch.

Ächzend fällt der Thief zu Boden.

Der ist zu stark, denkt er, als er an seinem höllisch schmerzenden Bauch fühlt, und seinem Rücken geht es auch nicht besser.

Mit angewidertem Blick tritt der Gegner immer näher an Kirai heran.

Er weiß, er muss es schaffen, aufzustehen, sonst ist er gleich mit ziemlicher Sicherheit tot.

„Geh weg“, hustet er und krabbelt zuerst auf allen Vieren, um sich von ihm zu entfernen, bevor es schafft, seinen Körper ganz hoch zu bekommen und so schnell er kann wegzulaufen.

Ein weiteres Mal wirft der Stehengelassene einen traurigen Blick auf das Tagebuch.

„Ich werde dich nicht im Stich lassen, Munak“, flüstert er, und läuft mit sprungartigen Schritten hinter dem Thief her.
 

Atemlos rennt Luca immer weiter durch die verworrene Höhle.

Langsam kann sie nicht mehr: Sie dreht sich um, Munak ist noch hinter ihr.

Wieso ist sie nur so abartig schnell? Sie hüpft mehr, als dass sie rennt!

Hoffend, dass der Abstand groß genug sei, hebt die Acolyte die Arme und richtet sie Munak entgegen.

HEAL!“, ruft sie keuchend.

Ein weißes Licht erscheint und verschwindet wieder.

„Autsch!“, klagt Munak, hört aber nicht auf, Luca zu folgen.

Diese lässt es auf noch einen Versuch ankommen: „HEAL!“

Wieder zeigt es nicht viel Wirkung.

Allerdings hat Luca nun das Problem, dass ihre Gegnerin Zeit hatte, aufzuholen und nur noch zwei Meter von ihr weg ist.

Schreiend rennt die Acolyte weiter, um ihr zu entkommen.

„Warum kippst du nicht um?!“, beschwert sie sich fassungslos; „Du kannst doch nicht noch toter sein als die bisherigen Zombies?!“

Munak gibt keine Antwort, sondern legt an Geschwindigkeit zu.

Als Luca das merkt, kreischt sie: „Neiiin, ich will noch nicht sterben! Lass mich in RUHE!!!“

Dass ihre Verfolgerin das nicht interessiert, hätte sie sich auch denken können.

Plötzlich vernimmt sie schnelle Schritte von vorne: Jemand kommt auf sie zu!

Und zwar nicht gerade langsam, es scheint sogar so, als würde die Person rennen.

Was soll Luca jetzt nur machen? Zurück kann sie ja nicht, weil Munak hinter ihr ist.

Sie wird keine andere Wahl haben, als an dem Gegner vorne vorbei zu rennen.

Beim Zombiemädchen hinter ihr könnte sie das nämlich vergessen.

Zuerst bekommt sie fast einen Schock, als die andere Person näher kommt und sie sieht, um wen es sich handelt: „Kirai?!“

„L-Luca!“ Der Thief rennt ihr entgegen und sie halten zeitgleich an.

Als das Mädchen sieht, dass er auch von jemandem verfolgt wird, dreht es sich schnell zu Munak um und stellt sich mit dem Rücken näher an dem von Kirai: „Wir sind umzingelt...!“

Kirai sieht das fremde Mädchen und ihm fällt ihre Ähnlichkeit mit dem Jungen auf.

„Gehört sie zu dir?“, fragt er den Unbekannten.

„Ich werde euch töten“, quietscht Munak und nimmt ihre Kampfpose ein.

So würde es ein Kampf zwei gegen zwei werden, aber Kirai ist schon so erschöpft!

Luca scheint es auch nicht besser zu gehen.

Die beiden Gegner kreisen sie ein.

„Hast du eingesehen, dass du nicht weglaufen kannst?“, fragt der fremde Junge überlegen.

Gleichzeitig ruft Munak: „Macht euch bereit, zu sterben!“

„Wie sollen wir denn wegrennen, wenn ihr uns einkreist?“, gibt Kirai als Gegenfrage zurück, um Zeit zu gewinnen.

„Ihr?“ Der Junge wird starr: „Ihr seid... eingekreist...?“

„Ja, natürlich!“, schreit Luca mit Tränen in den Augen.

„Mit wem sprecht ihr da die ganze Zeit?“, will Munak wissen und hüpft auf Luca zu, die ängstlich: „HEAL!“, ruft.

Das kurze weiße Leuchten erscheint, Munak keucht vor Schmerzen auf und fällt hin.

„Mit... mit dem Kerl da“, antwortet Kirai und zieht Luca etwas an sich.

„Was?“, fragt dieser und läuft an den beiden vorbei: „Hier ist niemand!“

„Da liegt sie doch“, jammert die Acolyte und geht etwas zurück, um Abstand zu den beiden Gegnern zu gewinnen.

„Sie? Dann ist hier... Munak? Munak, bist du hier? Hörst du mich! Munak!!“

Kirai versteht die Welt nicht mehr: „Sie sitzt doch direkt vor dir!“

In diesem Moment erhebt sich Munak und geht schnurstracks auf den Thief und die Acolyte zu: „Egal welche Tricks ihr noch versucht, ich werde euch töten!“

Sie hat vollkommen ignoriert, dass sie gerufen wurde.

Plötzlich wendet sich Luca an den Jungen: „Bist du, bist du Bongun?“

Verwirrt sieht er sie an, dann kommt auch er näher: „Das ist richtig. Woher weißt du das?“

Munak bleibt sofort stehen, als sie den Namen „Bongun“ hört.

„Bongun? Wo ist er?! Sag es mir, sofort!“, kreischt sie Luca an.

„Er steht doch neben dir!“, ruft die Acolyte angsterfüllt.

Kirai versteht langsam das Problem. Leise sagt er: „Es bringt nichts. Sie können sich gegenseitig nicht sehen oder hören...“

Luca ist geschockt: „Was machen wir jetzt?“

„Wir könnten versuchen, zwischen ihnen zu vermitteln...“, schlägt er vor.

„Bongun, bist du hier?“, Munak sieht sich überall um, und sie schaut genau an ihm vorbei, ohne es zu merken: „Bongun... Geht es dir gut? Ich habe die ganze Zeit an dich gedacht!“

Er hört sie nicht.

Plötzlich erschüttert die Erde und beiden Abenteurer halten sich reflexartig aneinander fest.

Bongun und Munak, die beide zu Boden stürzen, müssten theoretisch aufeinander landen, doch stattdessen fallen sie einfach durch den anderen hindurch und bleiben getrennt am Boden liegen.

Neben Kirai tut sich ein gigantischer Riss in der Felswand auf, der immer größer wird, bis so schließlich ein Durchgang entsteht.

„Das ist unsere Chance!“, ruft er und läuft hinein, Luca hinterher.

Sie irren eine Zeit lang durch die Finsternis, glücklich darüber, den jeweils anderen an seiner Seite zu haben.

„Wir haben sie abgehängt“, sagt Kirai nach einiger Zeit.

Luca schweigt. Sie können nichts sehen, denn hier sind keine Fackeln, die die dunklen Gänge beleuchten.

Kirai geht mit stetigem Herzklopfen voran und erschreckt sich fast zu Tode, als er beinahe stolpert, weil er auf eine Stufe nach unten tritt, die er nicht sehen kann.

„Hier geht es runter“, warnt er die Acolyte. Diese erwidert nichts sondern kommt einfach mit.

Plötzlich erscheint vor ihnen eine kleine blaue, schwebende Flamme.

„Was ist das?“, fragt Luca neugierig.

„Keine Ahnung“, gibt Kirai ehrlich zu.

Die kleine Flamme schwebt vor ihnen die feuchte Steintreppe hinunter, sodass sie dem Licht folgen können. Nach scheinbar endlos vielen Stufen erreichen sie schließlich einen geradezu gigantischen Höhlenraum, der auch wieder durch sehr viele Fackeln beleuchtet wird.

„Schau dir das mal an, hier gibt es Bäume!“, wundert Luca sich und zeigt auf einen ganz und gar finsteren Baum, von denen hier überall ein paar herumstehen.

Das ist nicht das einzig komische.

Es fließt eine Art unterirdischer Fluss hier entlang, und hier und da stehen antike Schreine, Mauern, oder sogar mehr oder weniger zerstörte Häuser.

„Ist das hier ein Dorf?“, fragt Kirai.

Luca zuckt mit den Schultern.

Es sieht auf jeden Fall nicht so aus, als würde hier jemand leben.

Aber wie ein Dorf an so einen verlassenen Ort kommt...

„Einst war es eines...“

Zeitgleich mit der gespenstischen Stimme bläst für einen Moment ein kühler Wind, der Kirai einen kalten Schauder über den Rücken jagt.

Die kleine blaue Flamme springt in eine schattenhafte Gestalt vor ihnen, die immer klarer wird, bis schließlich eine Frau in einem orientalischen Kimono vor ihnen schwebt.

„Sie schwebt... Das ist...“, flüstert Kirai mit offenem Mund.

„Genau! Das ist die Frau, die ich in Payon gesehen habe!“, ruft Luca überzeugt.

Es besteht kein Zweifel daran.

Die schwebende Dame dreht sich um und haucht: „Folgt mir bitte...“

Kirai und Luca kommen der Bitte nach, denn offensichtlich ist die Fremde nicht feindlich gesinnt.

„Diese Ruinen hier waren einst ein Dorf, das viele hundert Jahre vor dem heutigen Payon existiert hat...“, erzählt die Unbekannte und öffnet die Tür von einem alten, kleinen Haus, das teilweise schon in Trümmern liegt.

Sie schwebt hinein und die beiden Jugendlichen kommen hinterher.

Die Frau erzählt weiter: „Doch irgendwann gab es einen Krieg, bei dem hier sehr viele Menschen ums Leben kamen. Ein großer Magier erschuf einen Berg um dieses Dorf, der all den Gestorbenen als Grab dienen sollte. Deshalb sind diese Ruinen vom heutigen Payon Cave eingeschlossen.“

Was diese seltsame Person da erzählt, es könnte nicht mehr als ein ausgedachtes Märchen sein.

Aber irgendwie fühlt Kirai, dass sie weiß, wovon sie redet.

Liegt es an ihrer Stimme? Man hat den Eindruck, sie ist selbst dabei gewesen.

Luca scheint den selben Gedankengang zu haben: „Entschuldigung... Wer seid Ihr?“

Das Innere des Hauses, das aus nicht mehr als einem Raum besteht, ist kurz mit Stille erfüllt.

Die schwebende Frau mit den langen, schwarzen Haaren und den orientalischen Haarschmuck befindet direkt vor der Wand und dreht sich jetzt langsam zu der Acolyte um.

„Ich heiße Sohee“, stellt sie sich vor; „Ich war Hohepriesterin in jenem antiken Dorf...“

„Was?“, staunt Luca. Auch Kirai kann es nicht glauben.

„Ihr fragt euch sicher, warum ich noch am Leben bin...“, sagt sie leise.

Richtig, genau diese Frage stellt man sich, wenn man etwas derartiges hört.

„Die Antwort ist einfach. Es ist der selbe Grund, warum Zombies hier in diesen Katakomben umher wandern. Moonlight Flower.“

Der Name sagt den Beiden nichts.

„Bitte setzt euch, ich möchte euch etwas erzählen“, fordert sie sie auf, und Kirai bemerkt, dass sich links von ihnen an einen kaputten Tisch zwei alte Sitzkissen befinden, auf die sie sich schließlich niederlassen.

Sohee gleitet langsam auf den Boden und geht vor ihnen in die Hocke.

„Moonlight Flower ist ein sehr altes, und sehr bösartiges Wesen. Sie gehört zu jenen, die ihre Seele dem Teufel verschrieben haben. Nachdem dieser Ort vor vielen Jahrhunderten durch den Magier in Finsternis gehüllt worden war, entschied Moonlight Flower sich, diesen Platz zu ihrem Hauptsitz zu deklarieren. Doch alleine hier wurde ihr schnell langweilig, und so machte sie die teilweise verwesten Körper der Menschen hier zu Zombies.“

„Aber warum“, unterbricht Luca sie; „Warum seid Ihr... Und Bongun und Munak... So anders?“

Eine berechtigte Frage. Während die ganzen hirnlosen, hässlichen Zombies und Skelette nur kämpfen und töten wollen, haben Sohee, Bongun und Munak abgesehen von ihrem Körper auch noch menschliche Gefühle und können sprechen.

„Das liegt daran...“ Sie seufzt; „All diese Zombies... Es sind nur ihre Körper, die Moonlight Flower für sich arbeiten lässt. Bei mir, Munak und Bongun ist es anders. Bei uns ist es die Seele, die keine Ruhe findet, und auch das ist die Schuld von Moonlight Flower.“

„Das ist ja schrecklich“, flüstert Luca.

Kirai fragt: „Warum finden eure Seelen denn keine Ruhe?“

„Bei mir liegt es daran, dass ich nicht ins Jenseits einkehren kann, solange ich mein silbernes Messer nicht zurück habe. Moonlight Flower hat es sich unter den Nagel gerissen.“

„Ein Messer aus Silber?“ Kirai runzelt die Stirn: „Klingt nicht gerade effektiv...“

Sohee hebt die Augenbrauen: „Es ist keine Waffe, sondern ein Symbol, das für Keuschheit und Sittsamkeit steht. Daran war ich mein ganzes irdisches Leben gebunden, und ich kann nicht sterben, bevor ich es nicht wieder in den Händen halte.“

Die Einstellung betrachtet Kirai zwar mit gemischten Gefühlen, aber anscheinend hat Sohee auch keine Wahl.

In dem Fall wäre die einzige Möglichkeit, ihr zu helfen, das Messer wieder zu bekommen.

Jetzt sind es schon zwei Messer, die in dieser finsteren Höhle gesucht werden...

Kirai schmunzelt.

„Und was ist mit Bongun und Munak? Ist ihnen auch etwas gestohlen worden?“, fragt Luca.

Sohee schweigt eine Weile: „Wie man es nimmt. Bongun und Munak waren damals Diener zu meinem Hofe, und sie waren beide ineinander verliebt. Doch sie wurden getötet, ehe sie es dem anderen jemals gestehen konnten.“

Sie senkt den Kopf: „Bis heute haben sie es schon so viele tausend Male durch die gesamte Höhle geschrien, aber sie können sich gegenseitig nicht wahrnehmen. Das liegt daran, dass Moonlight Flower, die ein Gefühl wie Liebe verabscheut, die beiden verflucht hat. Heute verspricht sie ihnen, dass sie einander wiedersehen werden, wenn sie das tun, was Moonlight Flower befiehlt.“

Kirai erinnert sich an das, was Bongun sagte: „Ich muss dich töten. Ich muss alles tun, was sie mir aufträgt.“

Jetzt ergibt auch dies einen Sinn, denn er hat zu der Zeit von Moonlight Flower gesprochen.

Sohee erzählt weiter: „Sie hat auch mich lange Zeit kontrolliert, indem sie versprach, mir mein Messer zu geben, wenn ich ihr stets gehorche. Aber ich habe es aufgegeben. Sie wird es mir nie zurückgeben. Sie hätte nichts davon, sie würde nur die Kontrolle verlieren.“

„Okay, wie wir dir helfen, ist klar“, überlegt Kirai laut; „Wir müssen bloß das Silbermesser zurück bekommen und dir geben. Das trifft sich gut, sie hat nämlich noch ein Messer, das ich gerne hätte. Aber was machen wir wegen Bongun und Munak?“

„Ihr wollt uns wirklich helfen? Ich wusste, ich habe mir die richtigen Leute ausgesucht.“

„Wann hast du uns ausgesucht?“, will Luca verwirrt wissen.

„Ich habe euch heute im Wald von Payon auf die Probe gestellt. Sowohl euer Herz, als auch euer Können habe ich getestet.“

„Dabei hätten wir sterben können“, wirft Kirai sauer ein, aber Sohees Gesichtsausdruck verändert sich nicht. Offenbar hat sie diese Möglichkeit ohne weiteres akzeptiert.

Er und Luca tauschen Blicke.

Trotzdem würden sie ihnen helfen. Es ist einfach das Richtige.

Sohee spricht weiter: „Wegen Bongun und Munak... Ist euch das Buch aufgefallen, dass Bongun stets dabei hat?“

Luca schüttelt den Kopf, aber Kirai sagt: „Ja, es war rosa, glaube ich, und sah aus wie ein Tagebuch.“

„So ist es. Er denkt, es sei Munaks Tagebuch, aber es ist in Wirklichkeit eine Fälschung. Das wahre Tagebuch von Munak hat Moonlight Flower versteckt und verzaubert. Wenn ihr es zerstört, können Bongun und Munak sich wieder wahrnehmen, und danach können sie einkehren.“

„Wenn sie es versteckt hat, wird es schwierig, es in so einer riesigen dunklen Höhle zu finden“, wirft Kirai ein, aber Sohee ist offensichtlich besser informiert: „Ich weiß, wo es ist. Doch ich komme nicht daran. Es ist noch tiefer unten, versteckt unter dem Schrein von Moonlight Flower.“

„Würdet Ihr uns dort hin führen?“, fragt Luca, und Sohee nickt.

„Aber ohne Troy wird es schwierig, dort unten zu überleben“, sagt Kirai nervös; „Vielleicht sollten wir hier auf ihn warten? Wir sind schon so tief vorgedrungen...“

Luca will schon zustimmen, da fällt Sohee ihr ins Wort: „Ihr sprecht von dem Ritter, oder?“

Beide nicken.

„Es ist unklar, ob er uns hier findet, wenn er noch am Leben ist“, haucht sie.

Kirai sagt nichts, aber er wird ganz sicher nicht davon ausgehen, dass Troy von den Skeletten getötet wurde. Er ist doch so stark! Allerdings ist er die ganze Zeit alleine...

„Er... lebt ganz sicher noch“, sagt er mit leiser, zitternder Stimme.

Luca legt ihre Hand auf seine Schulter: „Bestimmt. Er ist ein talentierter Kämpfer!“

„Ich verstehe“, sagt Sohee emotionslos und steht auf, um dann langsam über den Boden zu gleiten: „Wenn das so ist, werde ich ihn suchen und herbringen. Geht ihr schon mal hinunter.“

„Wer führt uns denn, wenn Ihr nicht bei uns seid?“, fragt Luca ängstlich.

Sohee faltet ihre Hände und murmelt: „Oh, Horong, deine Kraft erleuchte uns den Weg...“

Es erscheint die kleine, lilablaue, schwebende Flamme, die Kirai und Luca vorhin schon gesehen haben. Oder ist es eine andere?

„Folgt Horong. Er wird euch bis zum Schrein bringen.“

„Horong“ ist also der Name dieser kleinen Flamme. Ist sie etwa ein Lebewesen?

Still schwebt Sohee zur Tür. „Ich wünsche euch viel Glück“, sagt sie noch, ohne sich umzudrehen.

Dann verschwindet sie.

Auch Horong nähert sich der Tür, doch es verlässt das kleine Haus nicht sondern wartet geduldig auf die Abenteurer.

„Sollen wir auch gehen?“, fragt Kirai ängstlich.

„Ich weiß nicht, es wartet doch da unten ein böser Dämon auf uns“, erwidert Luca, der es nicht anders geht: „Lass uns... vorher noch etwas essen.“

Nun scheint ihr Hunger doch über ihre Angst triumphiert zu haben.

Der Thief stimmt zu und sie holen sich das in Payon gekaufte Proviant aus ihren Taschen.

Luca knabbert an aus Reiskuchen gefertigten Stangen und Kirai isst ein einfaches Brot.

Um ihren Durst zu stillen, teilen sie sich einen einfachen roten Trank, den es in vielen Geschäften zu kaufen gibt und der bekannt dafür ist, die Energie des Körpers wiederherzustellen.

Kirai muss immer an Troy denken. Hoffentlich geht es ihm gut...

Sie haben es ihm zu verdanken, dass sie jetzt noch am Leben sind. Er ist wirklich mutig...

Nachdem sie aufgegessen haben und sich von den bisherigen Strapazen erholt fühlen, verlassen sie schließlich das kleine Ruinenhaus.

Wohin sollen sie jetzt gehen? Sie können geradeaus, links, rechts, oder...

Die lilablaue Flamme macht durch wildes Umherkreisen auf sich aufmerksam.

Stimmt, denkt Kirai, sie müssen ihr nur folgen.

Horong führt sie mit seinem Licht durch das unheimliche Dorf, in dem sogar Bäume und Wasser nachtschwarz sind und wo jeden Moment ein Untoter aus dem Gebüsch springen könnte.

Die Acolyte hält sich dicht hinter den Thief, der selbst ziemlich nervös ist.

„Wie dieses Moonlight Flower-Ding wohl ist? Ein großes und böses Ungeheuer?“, spekuliert Luca. „Vermutlich...“, antwortet Kirai und verflucht sie innerlich dafür, dass sie ihm jetzt Angst macht; „Aber vielleicht auch nicht, immerhin müssen wir ja auch eine Chance gegen sie haben.“

Sohee wird sie schon nicht gegen einen gigantischen Drachen antreten lassen.

Trotzdem würde Kirai gerne wissen, was für ein Dämon es ist.

Sie heißt „Moonlight Flower“, also möglicherweise ein Pflanzenwesen?

Plötzlich ertönt ein Rascheln aus einem Strauch links von ihnen.

Kirai und Luca erstarren kurz, aber es passiert nichts weiter.

„Vielleicht sind wir besser still“, schlägt er vorsichtshalber vor und sie nickt.

Wenn sie Glück haben und sich ruhig verhalten, werden sie ja vielleicht nicht bemerkt.

Sie folgen Horong an Zäunen aus Stroh entlang und kommen sogar an einer Art Stadtmauer vorbei. Auf dem Weg fallen ihnen noch viele zerstörte Häuser auf, die nicht vom Zahn der Zeit verschont blieben.

„Was ist das?“, flüstert Luca plötzlich. Furcht liegt in ihrer Stimme.

Vor ihnen gleitet die kleine Flamme durch ein Tor, das noch tiefer nach unten führt.

Aber es ist kein normales Tor, es ist dem Maul eines Monsters nachempfunden.

Kirai findet das wirklich nicht lustig.

Dennoch, es ist nur ein altes Tor aus Stein, also gehen sie zögerlich hinein und wandern so leise sie können die Treppe hinunter.

Der Gang enthält keine Fackeln, weswegen sie jetzt einzig und allein auf das Licht von Horong angewiesen sind. Glücklicherweise bleibt das Flämmchen immer nur ein Stück weit vor ihnen.

Es wird immer kälter, je tiefer sie eindringen.

Schließlich kommen sie durch ein traditionelles, hölzernes Tor, und befinden sich ein weiteres Mal in einem schier gigantischen Höhlenraum.

Direkt neben ihnen ist ein Baum, doch ansonsten scheinen hier weniger Häuser zu stehen als oben.

Luca betrachtet nachdenklich den gruseligen Baum: „Wie kann es hier, wo nie die Sonne scheint, eigentlich Pflanzen geben...?“

Kirai zuckt mit den Schultern. Er versteht es auch nicht, aber eigentlich ist es ihm momentan auch ziemlich gleichgültig.

Plötzlich schwebt Horong nicht mehr weiter.

Zuerst sind die beiden Abenteurer überfragt, warum es sie nicht weiter führt, aber dann entdecken sie ungefähr zehn Meter vor sich zwei Skelettsoldaten, die den Pfad zu einem Hügel bewachen, der sonst ganz von einer Mauer aus Stein umgeben zu sein scheint.

Wie es aussieht, liegt dieser Hügel im Zentrum des Höhlenraums.

„Wir müssen wohl an denen vorbei, wenn wir zum Schrein wollen“, stellt Kirai fest.

„Wie stellen wir das an?“, fragt Luca ängstlich.

Er überlegt kurz: „Ich habe eine Idee. Falls es nicht funktioniert, mach dich bereit, deine Zauber einzusetzen.“

„Ähm, was hast du denn vor?“

Anstatt mit Worten zu antworten, schleicht er etwas nach vorne und hebt einen Stein vom Boden auf. Er atmet einmal tief durch, dann holt er weit aus und schleudert den Schrein nach vorne, wo er viele Meter weiter laut aufschlägt.

Die Skelette verlassen sofort ihren Posten um nachzuschauen, was das Geräusch verursacht haben könnte. In der Dunkelheit konnten sie den Stein, der über ihnen an ihnen vorbei geflogen ist, wohl nicht sehen.

Nun ist klar, was zu tun ist.

Ohne etwas zu sagen schleichen Kirai und Luca nach vorne und eilen durch das offene Tor, bevor dessen Wachen zurück gekehrt sind.

Jetzt bemühen sie sich erst recht, leise zu sein.

Es gibt kein Zurück mehr.

Das Innere der Mauer ist durch eine weitere Mauer geschützt, dessen Tor dieses Mal glücklicherweise nicht bewacht wird.

Kirai und Luca nutzen die Gunst der Stunde und huschen hindurch.

Nun schleichen sie direkt am Hügel entlang, bis sie an eine Treppe kommen.

„Da müssen wir hoch. Bist du bereit?“, fragt Kirai Luca prüfend.

„Nein“, antwortet diese ängstlich.

„Okay“, erwidert er und geht los. Beide rennen so schnell sie können die Treppe hoch, Kirai zieht kampfbereit seinen Damascus, Luca ihren Streitkolben.

Nur leider ist hier oben niemand.

Nervös schaut der Thief sich um. Er fühlt, wie ihm der Schweiß die Stirn runter läuft.

Hier, auf dem Hügel, haben wir ein paar Häuser am Rand und im Zentrum eine große Steinstatue.

Sie stellt einen Mann dar, der in einer etwas merkwürdigen Position auf einem Sockel hockt.

Desweiteren stehen noch ein paar Bäume und Büsche herum, aber alles in allem nichts Auffälliges.

Erleichtert steckt Kirai seine Waffe weg und Luca tut dasselbe.

Verwirrt untersucht sie die Statue: „Sind wir hier falsch? Oder soll das hier der Schrein sein?“

Wenn ja, müsste sich das Tagebuch hier befinden.

Sie schauen sich überall um, können es jedoch nicht finden.

Plötzlich ertönt ein langer, schallender Klang.

„Was war das?!“ Kirai erschreckt sich beinahe zu Tode.

„Klingt wie eine Glocke...“, vermutet Luca und wird sichtlich nervös.

„Versuchen wir, sie zu ignorieren. Wir sollten weiter suchen“, schlägt der Thief vor.

Immerhin suchen sie das Tagebuch, das Silbermesser, und den Moonlight Dagger.

Doch nichts davon scheint hier zu sein.

„Wir sind hier falsch“, seufzt er kopfschüttelnd und will schon wieder gehen, doch dann sieht er drei Skelettsoldaten, die auf sie zukommen.

„Scheiße! Wo kommen die denn her?“, flucht er und zieht sein Messer.

Luca sieht sich hilfesuchend um: „Kirai, warte! Lass uns auf die Statue klettern!“

Sie haben keine Zeit zum diskutieren, also erklimmen sie gemeinsam die Schultern der Statue.

Die Skelettsoldaten scheinen nicht in der Lage zum Klettern zu sein, also tummeln sie sich nun um die Statue herum und halten ihre Klingen in die Höhe.

Luca streckt ihre Hände aus: „HEAL!“

Das erste Skelett fällt auseinander.

Die Acolyte wiederholt ihren Zauberspruch für die anderen Feinde, bis keiner von ihnen mehr übrig ist. Dann hüpft sie zufrieden hinunter und wischt sich den Schweiß von der Stirn.

Es muss anstrengend sein, so viele Zauber hintereinander zu wirken.

Auch Kirai klettert herunter: „Das hast du toll gemacht! Gegen diese schmutzigen Untoten sind wir gerüstet!“

Geschmeichelt schaut sie mit den Händen hinter dem Rücken zu Boden: „Ach... das... das kann doch jeder, hm...?“

Er lacht. Seine Angst ist nach dem, was er eben gesehen hat, auf die Hälfte gesunken.

Jetzt wird Luca aber wieder ernst: „Meine Zaubersprüche helfen aber nur gegen Zombies, und so wie ich das verstanden habe, ist Moonlight Flower kein Zombie.“

„Da liegst du vollkommen richtig“, höhnt eine unbekannte Mädchenstimme aus der Dunkelheit.

Erschrocken drehen die beiden sich um. Einige Meter hinter ihnen steht eine Person.

„Moonlight Flower?“, fragt Kirai in die Dunkelheit herein und zieht seine Waffe.

Die Person kommt näher. Sie ist nichts besonders groß, etwas kleiner als Kirai oder Luca.

Nun tritt sie in das Licht der Fackel, sodass man sie richtig sehen kann.

„Richtig, die bin ich!“

Kirai und Luca klappt beinahe der Kinnladen runter.

Moonlight Flower ist ein kleines blondes Mädchen mit recht kurzen Haaren, das das Kopffell eines Fuchses als Kopfbedeckung trägt. Ansonsten ist sie fast nackt, sie hat zwei helle Bänder aus Fell um ihren Körper gewickelt, um ihren kindlichen Busen zu verdecken und trägt knuffige Handschuhe, die der Farbe nach zu urteilen ebenfalls aus dem Fell eines Fuchses stammen.

So hatten sie sich Moonlight Flower definitiv nicht vorgestellt.

Besonders Luca scheint sie nicht weiter ernst zu nehmen und stürmt mit offenen Armen auf sie zu: „Oh wie süüüüß!!!“

Kirai bemerkt zwei Dinge, die ihn beunruhigen, zum einen die blutroten Augen von Moonlight Flower, zum anderen die goldene Glocke, die sie an einer Stange befestigt auf der Schulter trägt.

„Ähm, Luca, warte!!“, ruft er, doch es ist zu spät.

Moonlight Flower schwingt Luca blitzschnell die Glocke entgegen: Wenn sie getroffen wird, dann...

Doch es kommt nicht dazu.

Horong springt hinter einem Baum hervor und wirft sich gegen die Glocke, was sie abbremst.

Die kleine lilablaue Flamme löst sich daraufhin in ein paar Schwaden Rauch auf.

Schreiend rennt Luca zurück zu Kirai, der seinen Damascus krampfhaft festhält.

„Es hat sich für mich geopfert“, sagt sie traurig, doch er erwidert nichts.

Ehrlich, sie hat Glück, dass sie noch am Leben ist.

Wenn Moonlight Flower eine Glocke, die größer und schwerer als sie selbst ist, so problemlos durch die Luft schwingen kann, muss sie enorme Körperkräfte haben.

Nein, er würde sie nicht unterschätzen, nur weil sie so lächerlich gekleidet ist.

„Ich muss zugeben, ihr seid ganz schön taff! Ihr habt es echt bis hier rein geschafft! Glückwunsch!“ Sie grinst die beiden glücklich an.

„Eure Belohnung für das Erreichen meines Zuhauses soll sein... der Tod!“

Eins muss man ihr lassen – sie weiß, wie sie Kirai Angst macht.

Aber er wird sie besiegen müssen, da führt kein Weg dran vorbei.

Er nickt Luca zu, die verstehend ihre Hände auf ihn richtet, die Augen schließt und „BLESSING!“ ruft. Zwei transparente Engelchen erscheinen über Kirais Kopf und tänzeln dort ein paar Sekunden.

„Geh in Deckung“, sagt er zu Luca, die sich daraufhin hinter der Statue versteckt.

Moonlight Flower macht einen überraschend großen Sprung und landet direkt vor Kirai.

„Was...?“

Es bleibt ihm keine Zeit, offensiv zu werden, er hüpft geschickt rückwärts, um nicht von der Glocke getroffen zu werden, die ihm um die Ohren gehauen wird.

„Du willst dich mit mir anlegen? Geh lieber mit Puppen spielen!“, spottet sie.

„Jungs spielen nicht mit Puppen!“, antwortet er zornig.

Sie will ihn doch schon umbringen, muss sie sich da auch noch über ihn lustig machen?

„Ha ha ha ha!“

Warum lacht sie nun so komisch?

Die Dämonin rammt die Stange, an der ihre goldene Glocke befestigt ist, kurzerhand in die Erde.

Dann verpasst sie der Glocke einen kunstvollen Hieb und sie läutet mit einem ohrenbetäubenden Klang.

Luca hält sich die Ohren zu, aber Kirai lässt seine Hände nicht von seiner Waffe.

„Jetzt reicht es aber!“

Hinter Moonlight Flower erscheint ein junger Mann, der sie mit einem schnellen Schwerthieb attackiert. Nicht schnell genug, denn sie springt einfach zur Seite, um auszuweichen.

„Troy!“, rufen Kirai und Luca gleichzeitig.

Er lebt also wirklich noch! Nun sind sie gerettet!

Das ernste Gesicht des Ritters lockert sich ein wenig, als er seine Gefährten erblickt: „Euch geht es gut. So ein Glück.“

„Aber nicht mehr lange“, kichert Moonlight Flower, die jetzt auf dem Dach eines der Häuser sitzt und ihre Beine sorglos herunter baumeln lässt.

Wie ist sie nur so schnell da hoch gekommen?

Plötzlich ist aus allen Ecken ein Knurren zu hören.

Aus den Schatten nähern sich wilde Tiere auf vier Pfoten...

Luca steht schon bereit, um wieder auf die Statue zu klettern: „Wölfe...?“

Ein weiteres Mal bricht Moonlight Flower in Gelächter aus: „Nein, keine Wölfe! Viel, viel schlimmer! Füchse!“

Füchse? Seit wann sind Füchse gefährlicher als Wölfe?

Es werden definitiv keine gewöhnlichen Füchse sein.

„Vorsicht! Nine Tails!“, warnt Troy und läuft auf Kirai zu, der ihn nur verwirrt ansieht.

Nine Tails...?“

Doch dann bemerkt es es selbst.

Die schlanken, goldbraunen Füchse, die sich den Abenteurern auf leisen Pfoten nähern, haben allesamt neun Schwänze. Aber was hat das zu bedeuten?

Eines der mystischen Tiere springt auf Luca zu, die sofort um Hilfe ruft.

BASH!“, brüllt Troy und verpasst dem Nine Tail einen heftigen Schwerthieb, der so stark ist, dass es jaulend zu Boden geschleudert wird.

Anscheinend fühlen sich die anderen Füchse nun sehr provoziert, jeder von ihnen springt auf die Abenteurer zu.

INCREASE AGILITY!“, keucht Luca, um Troys Schnelligkeit zu erhöhen, dank welcher er zwei Angriffe gleichzeitig mit seinem Schwert parieren kann.

Leider bemerkt sie so das Nine Tail, von dem sie selbst bedrängt wird, zu spät.

„Aaaaah!!“, kreischt sie.

Es hat sie zu Boden gerissen und offenbart nun eine Pranke mit spitzen, gefährlichen Krallen.

Moonlight Flower, die sich das Getümmel wie von einem Logenplatz aus ansieht, kommt aus dem Gelächter nicht mehr heraus.

„Luca!!“ Kirai will zu ihr hinlaufen, doch auch ihm stellt sich ein Nine Tail in den Weg.

„Verdammt!“ Er dreht sich um und läuft los, um ihm zu entkommen.

„Nein“, jammert Luca mit Tränen in den Augen.

Doch dann sieht sie etwas vom Himmel fallen, ein weiter, offener Kimono, der auf dem Nine Tail landet und es darin einhüllt.

Über ihr schwebt Sohee, und nimmt ihre Hand, um sie ihn Sicherheit zu bringen.

Moonlight Flower steht auf, als sie das schöne Wesen mit dem orientalischen Haarschmuck und dem traditionellen Kimono erblickt.

„Sohee... Du hast mich also betrogen...“

Die Schwebende setzt Luca auf dem Dach des Hauses ab, das gegenüber dem steht, auf dem Moonlight Flower sich gerade befindet, und wendet sich dieser zu.

„Nein, du bist es, die mich betrogen hat.“

„Tja, wenn du immer das tust, was ich dir sage, würde ich dir dein geliebtes Silbermesser zurückgeben, aber...“

„Halt den Mund!“, ruft Sohee plötzlich.

Sie ist nicht länger emotionslos; Wut liegt in ihrem Gesicht und Verzweiflung in ihrer Stimme: „Du hättest es mir niemals zurück gegeben! Du hättest mich eher auf alle Ewigkeit leiden lassen!“

Die Dämonin grinst tückisch.

Kirai ist währenddessen bis zu einem der kaputten Häuser gelaufen.

Kann er da rein fliehen? Er versucht die Tür zu öffnen, aber sie klemmt: „Nein!!“

Das Nine Tail springt auf ihn zu und wirft ihn zu Boden.

Dann zeigt es sein unnatürlich großes Gebiss und will ihn zu Tode beißen, aber plötzlich regt es sich nicht mehr. Kirais Herz schlägt so schnell, dass ihm schwindlig wird.

Es bewegt sich nicht mehr... Warum?

Egal, er nutzt die Chance und wirft den Fuchs runter von sich, da bemerkt er, dass diesem ein langes Wurfmesser mit hellgrünem Griff im Rücken steckt.

So muss das Nine Tail noch gerade rechtzeitig getötet worden sein. Aber wer war das?

Kirai verschwendet keinen Gedanken mehr daran und rennt zurück zu den Anderen.

Er ist erleichtert, als er sieht, dass Luca wohlauf ist.

Sohee schwebt bei ihr auf einem Dach, und Moonlight Flower steht auf dem Dach gegenüber.

Sie greift nach ihrer Glocke: „Du weißt, dass du keine Chance hast...“

Troy erledigt das letzte noch lebende Nine Tail mit seinem Schwert.

Erschöpft sieht er nach oben.

„Seid vorsichtig wegen der Glocke, damit kann sie Verstärkung rufen“, erklärt Sohee den Gefährten, doch Moonlight Flower nutzt diesen unaufmerksamen Moment von ihr und springt blitzschnell rüber auf ihr Dach.

Die Stange nimmt sie in beide Hände und schlägt Sohee mit der Glocke daran, wodurch sie stöhnend vom Dach fällt und auf den Boden kracht.

„Nein, Sohee!“, ruft Luca besorgt und ängstlich.

Jetzt steht sie alleine mit der lachenden Dämonin auf dem Dach.

Für Kirai und Troy ist es unmöglich, sie zu erreichen.

„Schnell! Spring runter von dem Haus!“, rät der Knight.

Es sind zwar nicht mehr als zwei Meter, doch sie traut sich trotzdem nicht, runter zu springen.

Moonlight Flower holt schon mit ihrer Glocke aus, da hüpft jemand, als sei es das Einfachste der Welt, von unten auf das Dach des kleinen Hauses.

Ein Junge in antiker, blauer Kleidung mit einem kurzen Zopf.

„Bongun!“

Er blockt die Attacke mit seinen Händen ab, sodass die Glocke zurückprallt.

„Was?!“, faucht Moonlight Flower erstaunt; „Du auch? Willst du Munak nicht wiedersehen?“

„Doch“, sagt Bongun und stellt sich schützend vor Luca: „Mehr als alles andere in meinem Leben will ich das. Aber du... du... du...“

Sie grinst: „Ach komm. Lehn dich doch nicht auf, du süßer Idiot. Du weißt doch ganz genau, dass du auf mich angewiesen bist, wenn du sie je in deinen Armen halten willst...“

Bongun senkt den Kopf.

Plötzlich hüpft auf der anderen Seite wieder jemand elegant hoch: Es ist Munak.

„Töten!“, quietscht sie und stellt sich Moonlight Flower entgegen: „Dich werde ich töten! Für Bongun, den ich so sehr liebe!“

Dieser lässt weiterhin den Kopf hängen und murmelt: „Munak... Was soll ich tun? Ich will dich doch nur wiedersehen...“

Das darf nicht wahr sein! Sie stehen direkt nebeneinander!

„Bongun!“, schreit Luca mit aller Kraft; „Sie steht neben dir! Munak ist hier! Sie wird gegen Moonlight Flower kämpfen!“

Munak dreht sich erschrocken um: „Bongun? Bongun ist hier?!“

„Was? Munak wird gegen sie kämpfen? Ich muss ihr helfen!“, sagt Bongun entschlossen und im selben Moment wenden sie sich wieder zu Moonlight Flower.

„Ich kann ihn nicht sehen.“ „Ich kann sie nicht sehen...“

Sie nehmen beide ihre Kampfposen ein: „Aber gemeinsam werden wir dich besiegen!“

Luca rutscht so weit nach hinten, wie sie kann.

Die beiden Untoten greifen die Dämonin mit ihrem antiken Kampfstil an, der sie sogar zum Ausweichen zwingt. Mit zwei gleichzeitig wird sie wohl doch nicht so leicht fertig.

Sohee versucht, aufzustehen, ist jedoch zu schwach dafür: „Das Buch... Das Buch ist in der Schublade am Schrein!“

Kirai geht an die Statue heran und schaut sie sich nochmal an.

Was für eine Schublade?

Er bemerkt die Symbole auf dem Sockel, die Schneeflocken ähneln. Bei näherer Betrachtung fällt ihm auf, dass es Einkerbungen sind, an denen man in der Tat eine Schublade herausziehen kann.

In dieser liegt ein Tagebuch, das fast genau so aussieht, wie das, das Bongun bei sich trägt, doch dieses hier ist blau und nicht rosa.

Mehr liegt leider nicht in der Schublade, doch er greift sich das Buch schnell heraus und ruft: „Habe es! Wie zerstöre ich es am besten?!“

Moonlight Flower dreht sich um und unterbricht ihren Kampf.

Sauer springt sie vom Dach und rennt zu Kirai, doch Sohee stellt sich ihr in den Weg.

„Verschwinde!“, ruft das kleine Monster, doch die geisterhafte Frau schüttelt den Kopf.

Troy reißt währenddessen Kirai das Buch aus der Hand, wirft es zu Boden und rammt seine Klinge hinein.

Dann schreit er: „MAGNUM BREAK!“

Flammen umgeben sowohl die Klinge als auch den Ritter und verbrennen das Tagebuch in Sekundenschnelle zu einem Häufchen Asche.

„Nein!! Was hast du getan?!“, kreischt Moonlight Flower.

Alle schauen gespannt auf das Dach: Bongun und Munak stehen sich erstarrt gegenüber und schauen sich direkt in die Augen.

„Bongun...“, sagt Munak leise; „Du bist es wirklich...“

„Munak“, seine Augen sind von Tränen erfüllt: „Endlich sehen wir uns wieder...“

Schweigend fallen sie sich in die Arme.

„Vielen Dank, Abenteurer! Vielen Dank, Sohee...!“, ruft Bongun und im nächsten Moment lösen sie sich langsam auf und verschwinden.

Sie haben es geschafft.

„Das bereut ihr!“, droht Moonlight Flower; „Ihr werdet mir nicht lebend entkommen!“

„Ich werde dich nicht zu ihnen durch lassen“, erwidert Sohee, die schützend vor den Gefährten steht.

Moonlight Flower lacht: „Ich wette mit dir, du wirst!“

Und im nächsten Moment zieht sie ein kleines, längliches Objekt hervor und wirft es den Hügel hinunter.

Sohee erschrickt und verlässt sofort ihre Position, sie schwebt dem Gegenstand wortlos hinterher.

„Ich kann keine untreuen Diener gebrauchen“, knurrt die kleine Dämonin und schreitet auf Troy zu, der Kirai hinter sich in Schutz nimmt.

„Wir können kein Monster wie dich gebrauchen!“, ruft er und holt mit seinen Schwert aus: „BOWLING BASH!

Der Angriff verfehlt Moonlight Flower, weil sie einfach zur Seite hüpft.

„Nimm das!“ Troy attackiert sie seitlich, doch sie lehnt sich einfach nach hinten und weicht aus.

„Verdammt! Warum kann sie so gut ausweichen?!“

Kirai überlegt und überlegt, doch ihm fällt die Antwort nicht ein.

Luca versucht währenddessen, vom Dach zu klettern, doch dabei stürzt sie herunter.

Zum Glück landet sie in einem Gebüsch, sodass sie sich nichts tut.

Sie steht schnell auf und das erste was sie sieht, ist Sohee, die unten am Rand des Hügels ein kleines, silbernes Messer aus einer braunen Scheide zieht.

Lächelnd hält sie es an ihre Brust. Sie sieht Luca und formt mit ihren Lippen das Wort „Danke“.

Auch Luca lächelt, und im nächsten Moment zerfällt Sohee zu Staub, nur ihr Kimono bleibt am Boden zurück.

„Luca! Du musst Troy helfen!“, ruft Kirai und erlangt so ihre Aufmerksamkeit.

Sie kommt aus dem Gebüsch hervor und sieht, das der Ritter sich schon schwer atmend auf seinem Schwert abstützen muss.

„Ich habe dich nur einmal erwischt, und trotzdem bist du sooo kaputt...“, grinst Moonlight Flower; „Woran liegt das? Vielleicht daran, dass alle deine Angriffe ins Leere gehen?“

Die Acolyte zögert nicht länger und spricht: „HEAL!“

Troy geht zurück in seine Kampfposition, bereit für die nächste Attacke.

Aber es stimmt, was die Dämonin sagt, er trifft sie einfach nicht. Sie ist zu geschickt!

Nur wie kann das sein? Wie kann sie so gut ausweichen, wo sie doch diese tonnenschwere Glocke mit sich herum trägt?

Was im nächsten Moment passiert, lässt Kirai einen eiskalten Schauder über den Rücken laufen.

Es ist, als hätte jemand seine Gedanken gelesen.

Aus der Dunkelheit ertönt eine Stimme: „Die Glocke. Du musst auf die Glocke zielen.“

Moonlight Flower erschrickt, als sie diese Worte hört.

„Was? Warum? Wer spricht da?“, fragt Troy, aber es bleibt keine Zeit.

Kirai ruft: „Sie nutzt die Glocke für ihre Balance! Damit kann sie ihr Gewicht immer so verlagern, wie es gerade nötig ist! Deshalb weicht sie jeder Attacke aus!“

Das muss der Ritter sich nicht zweimal sagen lassen.

Voller Elan stürmt er auf Moonlight Flower, die schon wieder zur Seite springt, um dem Angriff zu entgehen, doch Troy lässt die Glocke keinen Moment aus den Augen und holt weit mit seinem Schwert aus: „BOWLING BASH!“

All die Kraft, die auf die alte Glocke einwirkt, reißt sie Moonlight Flower aus der Hand und das Instrument fliegt durch die Wand des nächsten Hauses, welches daraufhin unter lautem Krachen einstürzt.

Ihrer Waffe entrissen springt sie hoch und hängt sich an den Ast eines Baums.

„Wenn du uns den Moonlight Dagger gibst, lassen wir dich gehen“, sagt Kirai selbstsicher.

„Den Moonlight Dagger willst du?“ Sie blickt ihn spöttisch an: „Das kannst du knicken. Dieser Dolch passt zu mir, denn er ist geschmiedet aus dem Mondlicht, genau wie ich. Und ihr wollt mich nicht gehen lassen? Lächerlich! Ich werde euch nicht gehen lassen!“

Wie kann sie noch immer so voller Selbstvertrauen sein?

Ihre Waffe ist weg, ihre Helfer sind alle weg...

„Auch ohne meine Glocke bin ich noch viel stärker als ihr alle zusammen!“

Rapide schwingt sie sich runter vom Baum und befördert noch im Sprung Kirai mit ihren Füßen auf den Boden.

Sie hat ihn an der Brust getroffen: Schmerzerfüllt stöhnt er auf.

„Kirai!“, ruft Luca besorgt und will zu ihm, doch Troy hält sie zurück: „Nicht! Luca, es ist zu gefährlich. Ich werde gehen.“

Der Thief kann nicht aufstehen, es tut einfach viel zu weh.

Als er es dennoch versucht, bekommt er einen Brechreiz und bleibt daraufhin schwer atmend am Boden liegen.

Troy rennt mit seinem Schwert auf Moonlight Flower zu, doch sie fängt nur an zu lachen und pariert seinen Angriff mit ihren tatzenartigen Handschuhen.

Dass sie es so einfach abfedern konnte!

HEAL!“, spricht Luca auf Kirai, der kurz von grünem Licht erfasst wird.

Der Schmerz lässt nach, und trotzdem hat er noch Schwierigkeiten mit dem Aufstehen.

Moonlight Flower hält Troys Schwert fest und verpasst ihn eine Ohrfeige mit ihrer Pranke, woraufhin er umfällt.

„Verdammt...“, flucht er; „Luca...“

Die Acolyte richtet ihre Hände auf den Knight: „Heal!“

Doch es passiert nichts.

„Oh nein! Ich habe wohl all meine Spiritualenergie verbraucht...!“, ruft sie heiser.

Spiritualenergie ist eine Form von Zauberkraft, die Menschen brauchen, um Magie verwenden zu können. Sie regeneriert sich nur sehr langsam, und weil Luca heute schon oft gezaubert hat, hat sie wohl keine Energie mehr.

„Schon gut... Lauft weg...“, haucht Troy und wird ohnmächtig.

Kirai steht endlich auf und läuft zu Luca hinüber.

Sie wollen den Ritter nicht zurücklassen, aber was sollen sie machen? Sie haben keine Chance!

„Ja genau, lauft weg“, kichert Moonlight Flower und tapst auf die beiden zu.

Luca und Kirai tauschen Blicke, die nur eine Aussage haben: „Weg von hier!“

Hastig rennen sie die Treppe des Hügels hinunter, laufen durch das Tor an der Mauer entlang und sind schon beinahe am nächsten Tor angekommen, da springt Moonlight Flower geschickt im großen Bogen über die ganzen Mauern und landet direkt einen Meter vor ihnen.

„Ich lasse euch nicht gehen“, sagt sie nochmal; „Ich werde euch niemals gehen lassen. Eure Seelen sollen für alle Zeit hier verweilen!“

Plötzlich schießen dünne Stacheln aus Erde aus den Boden, die sich den Weg bis zu Moonlight Flower bahnen, die erschrocken aufspringt: „Hey, wer war das?!“

Eine Frau mit schwarzen Haaren erscheint vor den Jugendlichen aus dem Nichts.

Ihre hautenge, violette Kleidung ist mit zahlreichen Bandagen umwickelt, sie trägt ein langes, an den Enden zerrissenes Halstuch, das ihren Mund und ihre Nase verdeckt.

Man kann schon von hinten ihre außergewöhnlich gute Figur erkennen, und als Waffen trägt sie an beiden Händen Klingen, die einen horizontalen Griff aufweisen: Katare.

„Eine Assassine...?“, fragt Luca überrascht.

„Bis jetzt hattest du ja deinen Spaß gehabt“, wispert die Frau, und es ist erst nicht ganz klar, wen sie anspricht, doch es wird schon bald deutlich, dass sie sich an die Dämonin vor ihr richtet: „Doch nun wirst du sterben.“

„Sehen wir ja!“, grinst Moonlight Flower und stürmt auf vier Pfoten auf die Unbekannte zu, die als Reaktion einfach verschwindet.

Überrascht fragt das Monster sich, wo sie hin ist, doch sie spürt es eine Sekunde später am eigenen Leibe: Ihr ragen zwei blutige Klingen vorne aus der Brust, perfekt parallel nebeneinander.

Die Assassine muss es innerhalb einer Sekunde geschafft haben, hinter sie zu kommen.

Es ist unklar, wie genau sie das angestellt hat.

„Wie brutal...“, flüstert Luca und dreht sich weg.

Kirai hingegen schaut unentwegt auf die Assassine, die er jetzt, da Moonlight Flowers lebloser Körper zu Boden rutscht, von vorne sehen kann.

Von ihrem Gesicht kann er nicht viel erkennen, da das Halstuch Nase und Mund verdeckt und ihre schwarzen Haare vorne über dem rechten Auge liegen.

Dennoch, die schneeweiße Haut und das blutrote Auge... Er erinnert sich an sie.

Nein, wie könnte er sie je vergessen!

„Du, du bist...“

Sie sagt nichts sondern wendet sich Moonlight Flower zu, die am Boden liegt.

Sie untersucht ihren Körper und zieht schließlich einen Dolch mit blau-strahlender, gebogener Klinge aus dem Fuchsfell-Handschuh.

Der Moonlight Dagger.

Kirai beachtet das Messer nicht weiter und läuft auf sie zu: „Du warst es doch, oder? Eben hast du mich mit einem deiner Wurfmesser gerettet, oder?“

Sein Herz schlägt schnell.

Dann antwortet sie leise: „Es ist kein Zufall, dass ich hier bin. Ich soll den Moonlight Dagger für unsere Gilde besorgen.“

„Warte mal, den kannst du nicht haben!“, ruft Luca plötzlich.

Offenbar hat sie die Augen inzwischen wieder aufgemacht.

„Wir sind extra den ganzen Weg...“ Doch sie wird von Kirai unterbrochen: „Nein! Nimm ihn ruhig. Du kannst ihn haben, wenn du ihn möchtest.“

Mit offenem Mund starrt die Acolyte den Thief an.

Was ist nur los? Er war doch die ganze Zeit so scharf auf diesen blöden Dolch!

Doch dieser ist Kirai gerade ganz egal. Dass er sie wieder treffen würde... So bald schon...

Nun tritt auch die Frau etwas an ihn heran und mustert ihn skeptisch.

Sie ist ein bisschen größer als er.

„Jetzt sag mir bitte nicht“, spricht sie gelassen; „Dass du wegen mir Thief geworden bist...“

„Was? Kennst du sie etwa?“, fragt Luca, wird aber ignoriert.

Kirai nickt: „Doch... Bitte, sag mir, wie heißt du?“

Die junge Frau schweigt. Ihre langen, dunklen Haare sehen im Licht der Fackeln wunderschön aus.

Plötzlich fängt die Erde nach einem lauten Grollen an, zu erbeben.

Luca und Kirai verlieren beinahe das Gleichgewicht.

An der Felsdecke lösen sich große Steine und stürzen herunter, einer landet direkt neben Luca, die schreit: „Schnell! Wir müssen hier raus!“

Die Assassine geht seelenruhig zu Moonlight Flower und sagt: „Wahrscheinlich stürzt die Höhle ein, weil die hier tot ist...“

„Schnell, wir müssen weg hier“, ruft Kirai der Frau zu, doch sie bewegt sich kein Stück.

Stattdessen kramt sie kurz in ihrer versteckten Tasche und wirft Luca einen blauen Edelstein von der Größe einer Faust vor die Füße.

„Ein Blue Gemstone!“, staunt die Acolyte, und die Unbekannte sagt zu ihr: „Du weißt, was zu tun ist.“

„Okay, komm jetzt, Kirai!“, ruft Luca, doch er will nicht.

„Geh schon mal vor!“, entgegnet er. Das Beben wird heftiger, und auch von den Wänden purzeln nun riesige Felsbrocken.

„Sag mir bitte, wie du heißt! Bitte!“ Flehend sieht der Dieb sie an.

Für einen Moment schließt sie ihre Augen, dann kommt sie näher an ihn heran, so nah, dass Kirai ihr dezentes Parfüm riechen kann.

„Shade...“, flüstert sie; „Mein Name... ist Shade...“

„Shade?“

Sie geht ein paar Schritte zurück: „Geh nun zu deinen Freunden, wenn du nicht sterben willst.“

Und sie verschwindet im Schatten.

„Warte! Bitte, Shade, warte!“, ruft Kirai panisch, aber sie taucht nicht mehr auf.

Als sich dann neben ihm ein Riss in der Erde auftut, sieht er ein, dass er keine andere Möglichkeit mehr hat, außer zu fliehen.

Er rennt an den Mauern vorbei, wieder zurück hoch zum Hügel, zu der Statue.

Troy steht inzwischen wieder, auch, wenn er nicht gut aussieht.

„Was ist mit Moonlight Flower?“, fragt der Ritter Kirai. „Tot“, antwortet dieser; „Wie auch immer, wir müssen hier raus!“

Luca seufzt, die Häuser um sie herum zerfallen alle in ihre Einzelteile: „Ich hoffe, meine Spiritualenergie reicht noch aus hier für...“

Sie legt den Edelstein, den sie von Shade bekommen hat, vor sich auf den Boden.

„Was ist das überhaupt?“, fragt Kirai voller Angst.

„Eine Art Katalysator, der Magie enthält. Ich kann damit Zaubersprüche benutzen, die ohne so einen Stein nicht funktionieren würden.“

Sie streckt ihre Hände über den Boden, genau über die Stelle, auf der der Blue Gemstone liegt.

Die Statue fällt mit lautem Krachen um.

„Schnell, Luca!“, ruft Troy panisch.

Sie schließt ihre Augen und spricht hochkonzentriert: „WARP PORTAL!“

Der Edelstein fängt zuerst an, zu leuchten, dann löst er sich in Nichts auf.

An seine Stelle tritt ein transparenter Wirbel, dessen Inneres blau aufglüht.

Luca fällt auf die Knie, nun sind endgültig alle ihre Kräfte verbraucht.

„Schnell... Rein da“, keucht sie.

Troy und Kirai gehen jedoch nicht hinein sondern schauen sie nur fragend an.

Wird sie nicht vorgehen?

„REIN DA!!!“, schreit sie aus Leibeskräften und Kirai läuft in den Strudel hinein.

Alles um ihn herum wird weiß, und sein gesamter Körper vibriert.

Er spürt, dass er kurz vom Boden abhebt, doch nach zwei Sekunden steht er schon wieder.

Es ist dunkel und überall sind Bäume, hinter ihm steht ein großes Haus, in dem Lichter brennen.

Jetzt erkennt er erst, dass er wieder im Bergdorf Payon ist, vor dem Gasthof.

Nach einer Sekunde steht Troy hinter ihm, der auch erst einen Moment benötigt, um zu verstehen, wo er plötzlich gelandet ist.

Zu guter Letzt erscheint Luca. Sie hockt schwer atmend am Boden.

Troy rappelt sich auf und trägt sie rein.

„Danke, du hast uns gerettet“, seufzt Kirai und folgt ihnen in das Gasthaus.

Vorher jedoch schaut er noch einmal in die Richtung des Dorfes, in der das Payon Cave steht.

Ein Ort, an dem von jetzt an Ruhe und Frieden herrschen wird.

Der Zwiespalt der Gefährten

Nach dem nächtlichen Abenteuer in der Höhle sind die drei sofort im Gasthaus von Payon schlafen gegangen. Als Kirai am nächsten Tag die Dusche verlässt, ist es schon Mittag.

Das zeigt, wie müde er gestern war. Verschiedene Bereiche seines Körpers tun immer noch ein bisschen weh, aber damit hätte man rechnen müssen. In Kürze wird sich das auch wieder gelegt haben.

Er macht sich fertig und geht mit knurrendem Magen nach unten, doch er kann seine Gefährten weder im Speisesaal noch in den Vorräumen finden.

Sie sind doch nicht schon ohne ihn gegangen?

Nein, eher schlafen sie noch.

Also läuft er die Treppe heiter wieder hoch und sucht nach Zimmer vier, das ist nämlich das von Luca. Er klopft mehrmals an die Tür, aber niemand reagiert.

Schläft sie so fest? Unter der Dusche steht sie jedenfalls nicht, das würde man hören.

Kirai gibt es auf und geht zu der Tür von Zimmer 3, in welchem Troy schläft oder zumindest geschlafen hat.

Zögerlich klopft er an, und nach ein paar Sekunden öffnet der Ritter sie auch, aber offensichtlich kam er gerade aus der Dusche, denn er ist am ganzen Körper nass und nur mit einem Handtuch bekleidet, das seine Intimzone verdeckt.

Beim Anblick all seiner ausgeprägten Muskeln wendet Kirai verlegen seinen Blick ab und sagt schüchtern: „Tut mir leid, ich wollte nicht stören...“

„Macht nichts“, lächelt Troy; „Ich war sowieso gerade fertig. Komm rein.“

Er folgt ihm ins Zimmer, wo er überraschenderweise Luca trifft, die gerade dabei ist, ihre Wäsche zu sortieren.

„Warum bist du hier?“, fragt Kirai leicht verwirrt.

Troy übernimmt das Antworten an ihrer Stelle: „Ich habe sie heute Nacht in meinem Zimmer schlafen lassen. Sie sah nicht gut aus, als wir aus der Höhle zurückgekommen sind, und ich habe mir Sorgen gemacht.“

Die Acolyte stimmt nickend zu.

Kirai würde nicht so weit gehen, dem edlen Ritter Hintergedanken zu unterstellen, wenn er ein hübsches, junges Mädchen wie Luca mit auf sein Zimmer nimmt, aber trotzdem ist er etwas beleidigt, denn dadurch, dass die beiden in einem Raum geschlafen haben, haben sie ihn sozusagen ausgeschlossen. Zumindest fühlt es sich für Kirai so an.

Er will das jetzt aber auch nicht ansprechen.

„Wie geht es euch?“, fragt er stattdessen; „Mir tun immer noch meine Knochen weh, von gestern, aber euch hat es ja viel schlimmer erwischt.“

Während Troy wieder ins Bad verschwindet, um sich weiter abzutrocknen, ruft er ihm zu: „Gar kein Problem, dank einer großen Mütze Schlaf und Lucas Heilkräften.“

„Ah, also hat sich deine Spiritualenergie über Nacht regeneriert“, schlussfolgert Kirai und Luca hebt als Antwort ihre Hände und streckt sie ihm entgegen: „HEAL!“

Zeitgleich mit einem einhüllenden grünen Licht stellt sich ein angenehmes, wohltuendes Gefühl bei ihm ein, welches nach kürzester Zeit jeden Schmerz verschwinden lässt.

„Oh... Danke, dich schickt der Himmel“, lobt der Thief sie.

„Ich weiß“, entgegnet sie selbstzufrieden.
 

Nach einer Viertelstunde sitzen sie bereits unten bei einem kalten Mittagessen.

Da sie den kompletten Morgen geschlafen haben, fällt das Frühstück einfach weg.

Luca und Kirai verdrücken ein Kuchenstück nach dem anderen.

„Wie kann man nur jetzt schon so was süßes zu sich nehmen?“, seufzt er kopfschüttelnd und isst weiter seinen langweiligen Reis.

„Haben wir uns nach der Sache gestern ja wohl verdient“, sagt Luca und Kirai nickt.

Dies war ihr erstes richtiges Abenteuer, und so wie es in der Höhle zuging, ist schon die Tatsache, dass sie allesamt noch am Leben sind, ein Grund zum feiern.

Der Ritter schweigt eine Weile, dann legt er seine Stäbchen hin und wendet sich an Kirai: „Luca hat mir erzählt, dass der Moonlight Dagger von einer Assassine gestohlen wurde, und du sie hast machen lassen. Kannst du mir das erklären?“

Zuerst lässt der Thief sich Zeit mit seiner Antwort, kaut erst zu Ende und schluckt ruhig runter.

Als er dann jedoch den ernsten und auch irgendwie wütenden Blick von Troy sieht, wird er schnell nervös und sagt: „Sie hat doch Moonlight Flower bezwungen. Ich dachte, sie hat ihn sich verdient.“

Luca schaut grübelnd auf ihr Kuchenstück: „Nein... Du kanntest sie... Gib es doch zu...“

„Hör mir mal gut zu, Kirai“, sagt Troy scharf; „Wir haben uns nur wegen diesem verdammten Messer gestern mehrmals in Lebensgefahr begeben. Dass wir jetzt hier sitzen und essen können, das hat mehr mit Glück als mit irgendetwas anderem zu tun. Verschweig mir nichts!“

Er meint es ernst.

Kirai hat keine Wahl, dann wird er ihnen eben davon erzählen.

Auch wenn er es eigentlich für sich behalten wollte.

„Diese Assassine... Sie heißt Shade. Sie hat mir ihren Namen erst gestern verraten. Aber ja, ich habe sie vorher schon einmal getroffen.“

„Wann?“, fragt Luca neugierig.

„Da war ich noch ein junger Novize“, lächelt Kirai; „Es ist schon ein paar Monate her...“

„Wir kennen uns doch schon ungefähr so lange!“, wirft sie ein; „Aber vorher habe ich die Frau noch nie in meinem ganzen Leben gesehen.“

„Naja...“, flüstert er und spielt mit seinem Kuchen; „Wir haben uns erst ein paar Tage danach kennengelernt.“

„Wonach?“, will Troy wissen.

„Damals... habe ich eine Nacht in Morroc, der Stadt des heißen Wüstensands, verbracht...“, erzählt er zögerlich; „Ich konnte in dem Gasthaus aber nicht gut schlafen, also bin ich auf einen kleinen Spaziergang in Mondschein raus gegangen...“

„Bist du verrückt, nachts alleine durch Morroc zu streifen?“, unterbricht der Knight ihn.

„In meiner Heimatstadt Al de Baran habe ich das auch immer gemacht“, erwidert er sauer.

Sie sollen jetzt einfach mal zuhören und nichts sagen.

„Jedenfalls... Ich war wirklich überrascht, wie kalt es nachts in Morroc ist. Tagsüber herrscht immer diese Hitze und... Naja, egal... Mir sind dann zwei Personen in schwarzen Mänteln aufgefallen, die gerade in eine Seitengasse gehuscht sind. Und ich dachte... So verdächtig wie die schon aussahen, mit ihren Kapuzen, dass die halt nichts gutes im Schilde führen, also bin ich hinter her geschlichen.“

Troy schlägt sich mit der Hand an die Stirn und Luca, die wohl keinen Hunger mehr hat, stellt den Rest ihres Kuchens beiseite.

„Ich habe sie belauscht, ohne dass sie mich bemerkt haben“, sagt Kirai stolz und der Ritter schaut ihn erwartungsvoll an: „Und? Worüber haben sie gesprochen?“

„Darüber... wie sie jemanden ermorden wollen...“

Luca fällt vor Schreck der Mund auf, aber Troy bleibt ruhig: „Erzähl weiter...“

„Ich... konnte nicht viel verstehen, und habe dann gemerkt, dass sie weitergegangen sind... Ich habe sie dann bis zu einem Haus verfolgt, in dass sie ohne anzuklopfen oder so rein gegangen sind...“

Kirai läuft rot an: „Ich habe gedacht, da würde die Person wohnen, die getötet werden soll, also bin ich auch rein gegangen, hinter ihnen... Die Tür war nicht abgeschlossen.“

„Was hast du? Sag mal, bist du eigentlich lebensmüde?“, knurrt Troy.

Hätte er denn anders gehandelt? Was hätte Kirai sonst tun sollen? Jemanden zur Hilfe holen?

Die Wachen benachrichtigen? Bis dahin hätte die Zielperson der beiden Gestalten schon längst tot sein können, das kam einfach nicht in Frage.

Er reißt sich zusammen, dass er dem Ritter das nicht alles an den Kopf wirft, und spricht weiter: „Dieses Haus war so eine Art Absteige. Kaum ist man drin, geht man eine Treppe runter. Und es ging wirklich total tief runter, es waren bestimmt zehn Treppen oder so... Man hat kaum etwas gesehen.“

Kirai hört kurz auf, zu erzählen, als er sieht, dass Luca sich zusammengekauert hat und ihre Hände ganz nah an sich presste. Man merkt, die Spannung steigt, aber Kirai sitzt doch gerade neben ihr, also muss sie eigentlich vor nichts, was er jetzt erzählt, Angst haben.

Lächelnd fährt er fort: „Ich hatte mich auf jeden Fall geirrt. Unten angekommen war ich nämlich nicht in der Wohnung des baldigen Opfers, sondern in einer unterirdischen Bar.“

„Sag bitte, dass du sofort wieder gegangen bist“, stammelt Luca hoffnungsvoll.

„Tut mir leid“, grinst er; Mir war klar, sobald ich durch die Tür im Keller gehe, würde ich von allen in der Bar bemerkt werden, also habe ich mich davor gehockt und weiter gelauscht. Es waren nur fünf Personen dort. Der Barkeeper hinter dem Tresen, ein Türsteher, der die hinteren Räume bewacht hat, die beiden Männer, die übrigens ihre Kapuzen runter nahmen, als sie die Bar betreten haben, und... Shade...“

„Sie war also da?“, wiederholt Troy. Er hat inzwischen aufgegessen und seinen Teller an den Rand des Tisches gestellt.

Kirai nickt: „Die beiden Kerle sind direkt zu ihr und haben sie in ein Gespräch verwickelt. Diesmal konnte ich mehr verstehen, denn sie haben ziemlich laut geredet und sonst war in der Bar ja auch nichts los.“

Bevor er wiedergeben kann, was sie gesagt haben, muss er sich erst einmal kurz zurückerinnern.

Wie war das nochmal...?

Hoffend, dass es so korrekt ist, versucht er es: „Es ging um einen korrupten Firmendirektor aus Lighthalzen, der seine Angestellten nach Strich und Faden ausnahm. Jemand hatte der Assassinengilde viel Geld bezahlt, wenn sie ihn beseitigen, daher...“

„Moment mal“, unterbricht Luca; „Wenn in Lighthalzen jemand korrupt ist, warum hat man nicht einfach die Polizei benachrichtigt?“

„Ist doch klar“, seufzt Troy; „In der Schwaltzwalt-Republik hat die Rekenber Corporation das Sagen. Sie kontrollieren alles, und jeder weiß davon. Wenn dieser Mann Rekenber bestochen hat, dann wird nicht einmal die Polizei etwas dagegen unternehmen können.“

Und demzufolge wäre die einzige Lösung des Problems den Kerl umbringen zu lassen.

Naja, man hätte ihn auch erpressen können, aber anscheinend wollte jemand, dass keine halben Sachen gemacht werden.

„Was hat diese Shade denn jetzt mit alldem zu tun?“, fragt Luca gespannt.

„Shade war die dritte im Bunde. Sie hat auf die beiden Männer, die wohl Informationen gesammelt haben, gewartet, um dann mit ihnen den Plan zu schmieden. Zum Beispiel... hat einer der Typen vorgeschlagen, eine Bombe in seinem Büro zu installieren, damit der Verdacht nicht auf die Assassinengilde fällt.“

„Stimmt“, leuchtet Troy ein; „So gehen Assassines normalerweise nicht vor...“

Kirai nickt: „Ich weiß nicht, für was sie sich schlussendlich entschieden haben, denn ich habe den komischen Kerl hinter mir nicht bemerkt. Er hatte so starke Arme! Er hat mich gepackt und rein gebracht, dann hat er mich angeschrien und die Männer wollten natürlich wissen, ob ich was gehört habe.“

„Du hast ja wohl gesagt, dass du nichts gehört hättest“, sagt Troy mit strengem Unterton.

Dafür erntet er von Kirai ein entgeisterten Blick: „Für wie dumm hältst du mich eigentlich? Natürlich habe ich das gesagt... Aber sie haben mir nicht geglaubt. Sie wollten mich nicht gehen lassen.“

„Oh mein Gott“, keucht Luca; „Haben sie dich umgebracht?“

„Ich sitze doch hier, du Spinnerin“, belehrt er sie und sie lächelt erleichtert: „Stimmt. Wie konnte ich das vergessen... Aber sag schon, was haben sie denn gemacht? Du lebst ja noch.“

„Ich weiß nicht was sie versucht haben, aber zumindest haben sie alle ihre Waffen rausgeholt. Und ich war damals noch vollkommen unerfahren, wie hätte ich es mit den ganzen Typen aufnehmen sollen? Ich hatte solche Angst, ich dachte wirklich, es wäre das Ende...“

Und nun kommt der Teil, an den er sich gerne erinnert. Auch wenn er sich dabei eklig vorkommt.

„Shade saß plötzlich nicht mehr da. Und nach zwei Sekunden fielen sie alle tot um.“

„Was?!“, ruft Troy ungläubig und Luca wiederholt: „Alle?!“

„Naja, alle bis auf der Barkeeper und der Türsteher“, korrigiert er sich; „Nacheinander brachen sie zusammen, und ich weiß es zwar nicht genau, aber ich glaube, sie waren sehr schnell tot... Shade stand dann vor mir, mit ihren blutigen Kataren in den Händen und hat gesagt, ich soll verschwinden und nie wieder herkommen. Dabei hat sie mir direkt in die Augen gesehen...“

Diesen Moment wird er nie vergessen. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt keine Maske oder sonst etwas auf, was ihr Gesicht verdecken könnte, nur das rechte Auge konnte man wegen ihren Haaren nicht sehen. Kirai wusste, in dem Moment, in dem sie das sagte, musste er ihrer Aufforderung nachkommen, aber irgendwie konnte er nicht. Seine Füße wollten sich nicht bewegen.

„Sie hat mir... Dann eines ihrer Katare, das noch voller Blut war, unter die Kehle gehalten und gesagt, wenn ich nicht sterben will, dann gehe ich jetzt. Und... naja...“

Es hatte ihm Angst gemacht. Das Blut eines der Männer tropfte von der Klinge direkt unter seine Kleidung, sodass er es seine Brust herunterlaufen gespürt hatte.

Er konnte keinen Ton sagen. Er konnte nur gehen.

„Deshalb also. Sie hat dich gerettet, und als Dank hast du ihr den Moonlight Dagger überlassen“, sagt Luca abschließend.

„Ähm, ja...“, murmelt Kirai, aber eigentlich dachte er nicht daran, als er ihr ohne weiteres gestattete, den Dolch mitzunehmen.

„Also ich weiß nicht...“, überlegt die Acolyte laut; „Ich bin froh, dass sie dich gerettet hat, aber dabei hat sie... drei Menschen getötet. Die auch noch ihre Kameraden oder zumindest Kollegen waren...“

„Aber das ist doch der Grund, warum... warum ich sie so bewundere... Sie hat ohne zu zögern, ohne ein Gespräch zu erwägen, jeden getötet, obwohl sie mich nicht kannte. Noch nie in meinem ganzen Leben hat sich jemand so für mich eingesetzt!“

Luca schaut unsicher zu Troy. Natürlich weiß sie nicht, was sie sagen soll, denn mit Sicherheit versteht sie Kirai, kann jedoch nicht gutheißen, dass Menschen getötet werden.

„Wegen dieser Frau bin ich Thief geworden...“, lächelt Kirai verträumt; „Irgendwann, wenn ich erfahrener bin und mehr Stärke gesammelt habe, will ich auch Assassine werden...“

Die letzten Worte spricht er um einiges leiser, denn das muss ja nicht jeder wissen.

Seine beiden Gefährten schauen ihn entsetzt an.

„Ist das dein Ernst?“, kommt aus Troys Richtung, während Luca: „Doch nicht wirklich?“, ruft.

Aber so ist es nun mal, und wer das nicht akzeptieren kann, der hat Pech gehabt.

Shade hat ihn einfach so beeindruckt... Er hat sie erst zweimal getroffen, und trotzdem scheint sie in allen zu glänzen, was sie tut. Sie ist elegant, wunderschön und hat so einen starken Charakter...

„Sag mal Kirai, was sagen eigentlich deine Eltern dazu?“, fragt Troy mit einem überlegenen Grinsen; „Noch bist du nicht volljährig, oder?“

Kirai spürt, dass er rot wird: „Nun, das... Meine Eltern... Die wissen nicht einmal, dass ich Dieb bin...“

„Deswegen!“, fährt Luca ihn an; „Deswegen wolltest du seit du Thief bist, nicht nach Hause gehen! Irgendwann erfahren sie es bestimmt.“

„Irgendwann“ lässt hoffentlich noch lange auf sich warten.

„Die denken immer noch, ich wäre Schwertkämpfer geworden, wie ich es zuerst geplant habe...“

Er will gar nicht erst darüber nachdenken, wie seine Mutter reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass er ein Kleinkrimineller geworden ist, statt ein mutiger Krieger.

„Du wolltest Schwertkämpfer werden?“, fragt Troy interessiert.

Kirai nickt: „Ja... Aber die Dinge sind eben anders gekommen...“

Alle schweigen eine Weile.

Luca isst endlich ihr Kuchenstück auf und sieht den rothaarigen Thief neben ihr, der die ganze Zeit ins Leere zu starren scheint, an.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragt sie besorgt.

„Hm? Ja... Wisst ihr, ich würde sie gerne wiedersehen...“, antwortet er leise.

Er ist sich selbst nicht ganz klar, warum.

Aber definitiv ist da dieser Drang, Shade noch einmal zu begegnen.

„Echt?“ Troy hebt die Augenbrauen; „Kann es sein, dass du...“

Plötzlich hebt Luca die Hand und lässt ihn so nicht zu Ende sprechen.

„Wo willst du denn nach ihr suchen? Sie könnte doch überall sein. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass man uns in der Assassinengilde irgendwelche Infos herausgibt...“

„Das ist richtig, aber... wie wäre es mit der Bar? Die in Morroc?“, fragt er hoffnungsvoll.

„Ach, die mit den dunklen Gestalten drin? Die Waffen zücken?“, spottet der Ritter und schüttelt den Kopf: „Außerdem ist nicht sicher, dass sie dort jemand kennt.“

Kirai steht auf: „Ich werde trotzdem hingehen. Ich kenne immerhin ihren Namen und weiß, dass sie rote Augen hat. Das gibt es ja auch nicht so oft.“

Als er die roten Augen erwähnt, erstarrt Troy kurz zu einer Salzsäule.

„Ich gehe oben schon mal meine Sachen einpacken... Bitte kommt mit, ich würde da wirklich ungern alleine hingehen“, sagt Kirai und schaut Luca flehend an.

„Ist ja gut“, entgegnet diese seufzend; „Aber ich bestell mir noch was zu trinken.“

„Okay“, sagt der Thief und hastet in sein Zimmer.

Troy sitzt immer noch da wie angewurzelt, doch als Luca aufstehen will, um an den Tresen zu gehen, hält er leicht ihren Ärmel fest und flüstert: „Warte...“

„Hm? Was ist?“ Sie geht in die Hocke.

„Du hast diese Shade doch gesehen? Gestern, in der Höhle?“

Sie nickt.

„Kannst du sie mir mal beschreiben? Also, wie sie aussieht?“

„Ähm, wenn es sonst nichts ist“, lächelt Luca verwirrt.
 

Obwohl Kirai weiß, dass er noch auf seine Gefährten, die auch ihre Sachen zusammenpacken müssen, warten muss, beeilt er sich damit, alles in seinen Rucksack zu stopfen.

Vielleicht würde er schon bald Shade wiedersehen!

Bei dem Gedanken daran wird ihm warm ums Herz, was komisch sein mag, wenn man bedenkt, dass diese Frau anscheinend eine kaltblütige Mörderin ist.

Aber das ist ihm ganz egal, sie hat ihn nicht getötet, obwohl sie schon mehrmals die Gelegenheit dazu hatte. Er hat keine Angst vor ihr.

Gerade ist er mit dem Packen fertig, da hört er Schritte, die von hinten auf ihn zukommen.

Wer schleicht sich denn da ohne zu klopfen in sein Zimmer?

Misstrauisch dreht er sich um, doch es ist nur Troy, der in der linken Hand einen Bleistift und in der rechten Hand ein weißes Blatt Papier hält.

„Du kannst doch gut zeichnen, oder?“, fragt er lächelnd.

Luca muss ihm das erzählt haben.

„Ähm, es geht“, sagt er bescheiden. Wie Meisterwerke sehen seine Zeichnungen ja nun wirklich nicht aus, aber trotzdem sind sie ganz anständig.

Der Ritter drückt ihm die Sachen in die Hand und bittet: „Wie wäre es, wenn du mir einen Gefallen tust, und diese Shade mal für mich zeichnest?“

Was soll denn jetzt diese komische Bitte?

„Wenn du mir sagst, warum...“, antwortet er zögerlich.

„Ich sage es dir, wenn du sie gezeichnet hast“, erwidert er. Er lächelt zwar, doch etwas in seiner Stimme verrät Kirai, dass es nicht echt ist.

„Nicht jetzt“, sagt er leise, aber Troy herrscht ihn sofort an: „Machs doch einfach! Dann kann ich sie mir besser vorstellen. Wenn du es nicht tust, werde ich nicht mit euch nach Morroc gehen...“

„Ist ja gut, ich mache es!“, ruft Kirai genervt.

Jetzt ist aber mal gut, es scheint ihm ja wirklich wichtig zu sein.

Er setzt sich an den kleinen Tisch und fängt nach kurzem Überlegen an, zu zeichnen.

Das Bild würde er aber behalten, nicht, dass Troy es noch über sein Bett hängen will oder für andere komische Zwecke missbrauchen möchte.

Kirai entscheidet, sie mitsamt dem Halstuch zu zeichnen, dass sie gestern trug, denn so erspart er sich Arbeit, wenn er nicht die gesamte Kinn-Mund-Nasen-Partie zeichnen muss.

Troy sitzt währenddessen auf dem Bett und poliert sein Schwert.

Wie komisch, dass er es mit hier rein gebracht hat...

Nach zwanzig Minuten ist Kirai fertig.

Er findet, dafür, dass es pur aus der Erinnerung gemalt ist, sieht es ganz gut aus, und man erkennt auch, dass es Shade ist.

Als er dem Ritter zunickt, steht dieser auf und nimmt das Blatt in die Hand.

„Und?“, fragt Kirai gespannt.

Bestimmt ist es nicht so gut geworden, wie der Mann erwartet hat, aber er ist selbst schuld, wenn er meint, ihn quasi zum Zeichnen zu zwingen.

Troy starrt wie gebannt auf die Skizze. Seine Hände zittern, so stark, dass er das Blatt fallen lässt und es langsam zu Boden gleitet.

„Hey!“, ruft Kirai, empört darüber, dass er nicht vorsichtiger ist, und will sich bücken um es aufzuheben, doch ehe es dazu kommt, hat Troy schon sein Handgelenk gepackt und zieht ihn daran nach oben.

Kirai erschreckt sich, denn er packt unangenehm fest zu.

Dann drückt er ihn mit seiner anderen Hand kräftig bis an die Wand des Zimmers.

Er geht nicht zimperlich mit dem jungen Thief um, Kirai tritt dabei auf die am Boden liegenden Rucksäcke und tut sich an den Füßen weh, und als er an die harte Wand gepresst wird, schmerzt sein Rücken und sein Nacken: „Ahh...! Was... warum...?“

Ängstlich sieht er zu Troy hoch, der ihn mit einem hasserfüllten Blick ansieht.

Das verunsichert Kirai nur noch mehr.

„Sie... sie ist es wirklich“, knurrt der Ritter und sein ganzer Körper bebt vor Wut.

Kirais Körper zittert vor Angst, gleich zusammengeschlagen zu werden, wofür auch immer.

„Alles... kein Zweifel, alles... Die roten Augen, Lucas Beschreibung, deine Zeichnung... Sie ist es!“

Sein Griff wird immer fester, aber Kirai traut sich nicht, irgendetwas zu sagen.

Was hat er denn falsch gemacht? Und wovon spricht Troy eigentlich?

„Dass du diese Frau, ausgerechnet diese Frau...!“, blafft er ihn wutentbrannt an und schon im nächsten Moment holt er aus und schlägt Kirai seitlich ins Gesicht.

Dieser stöhnt vor Schmerzen auf; sein gesamter Kopf wird durch die Wucht des Schlags auf die andere Seite gerissen.

„Oh mein Gott! Was machst du da?!“, kreischt eine Stimme aus dem Hintergrund.

Luca, die gerade herein gekommen ist, rennt fassungslos auf die beiden zu, und als sie sieht, dass Tränen aus Kirais Augen und Blut aus seinem Mund läuft, packt sie Troy am Arm und schreit: „Hör auf damit!!“

Er stößt sie problemlos mit dem Arm weg und sie taumelt etwas zurück.

Schon wieder holt er aus, um Kirai zu schlagen, dieser kann sich nicht ducken oder ausweichen, daher kneift er einfach nur die Augen zusammen, hoffend, dass es schnell vorbei ist.

HOLY LIGHT!“, schallt es hinter Troy, und Kirai spürt nach dessen Keuchen, dass er nicht länger gegen die Wand gedrückt wird, also nutzt er die Gelegenheit um sich schnell zu ducken und seitlich aus der Reichweite zu fliehen.

Dann sieht er, dass Troy schwer atmend zwei Meter vor Luca steht, deren Hände immer noch auf ihn gerichtet sind. Obwohl der Ritter keine körperlichen Verletzungen hat, scheint ihn ihr Zauberspruch nicht kalt gelassen zu haben: „Was soll das?!“

„Dasselbe könnte ich dich fragen!“, schreit Luca ihn an. Ihre Hände zittern.

Kirai wischt sich geschockt das Blut vom Mund. Bei Troys Schlag haben seine Zähne wohl seine Lippen von innen geschnitten. Aber auch die gesamte rechte Seite seines Gesichts pocht vor Schmerzen.

„Diese Frau! Shade!“, bellt Troy und zeigt Luca das Bild, kurz bevor er es zerreißt und wegwirft: „Diese verdammte Hure hat alle meine Freunde auf dem Gewissen!!!“

Was? Das kann nicht sein!

„Du verwechselst sie!“, versucht Kirai, ihn zu beruhigen, aber er brüllt: „Auf keinen Fall!! Es hätte mir schon in dem Moment klar sein sollen, in dem du ihre roten Augen erwähntest, aber ich wollte es nicht glauben, daher habe ich Luca nach ihrem Aussehen gefragt und dich das Bild zeichnen lassen! Es passt alles!! Haargenau!“

„Selbst wenn, das ist doch nicht Kirais Schuld!“, wirft die Acolyte ein.

„Na und?“ Troy wirft auch ihr einen verachtenden Blick zu. Obgleich er sich Luca gegenüber stets wie ein Gentleman verhalten hat, kann man nun seinen Zorn gegen sie spüren: „Was verstehst du schon davon? Ist dir nicht aufgefallen, wie er über sie schwärmt, als ob sie eine ganz tolle und großartige Person wäre?! Sie ist nicht mehr als eine Massenmörderin!“

„Aber das konnte er doch nicht wissen“, verteidigt Luca ihn, aber der Ritter hat wohl genug.

Er nimmt sein Schwert und verlässt den Raum: „Mit euch will ich nichts mehr zu tun haben. Geht ohne mich nach Morroc, es ist besser wenn ich Shade nie mehr treffe. Sonst vergesse ich mich und meine Ehre!“

Und weg ist er.

Geschockt lässt Kirai sich auf das Bett fallen.

Was hat all das zu bedeuten...? Warum musste Troy so ausrasten?

Luca setzt sich neben ihn und seufzt: „Setz dich mal bitte aufrecht hin...“

Eigentlich will er nicht, aber er will sie nicht auch noch verärgern, also tut er es.

Sie hebt ihre Arme und sagt in normaler Lautstärke: „HEAL!“

Sofort verschwindet der Schmerz von Kirais Wange, und er spürt auch, wie die Wunde im Mund sich langsam schließt.

Kaum ist das grüne Licht verschwunden, geht es seinem Körper so gut wie vorher, mit Ausnahme von einem unangenehmen flauen Gefühl in der Magengegend.

Es ist wie Luca sagt: Er kann nichts dafür was Shade getan oder nicht getan hat.

Dennoch fühlt er sich aus irgendeinem Grund schuldig, aber sein Mitgefühl für Troy hält sich momentan in Grenzen.

„Kirai... Eine Person, die ihre Konflikte bewältigt, dadurch, dass sie andere Menschen tötet...“

„Sie wird Gründe dafür gehabt haben!“, unterbricht er sie.

„Das... kannst du doch gar nicht wissen“, sagt sie unsicher.

„Und du auch nicht! Warum verurteilst du sie, ohne, dass du sie kennst?“

Luca steht die Empörung ins Gesicht geschrieben: „Du hältst doch nicht wirklich immer noch zu dieser Frau, oder? Sie hat haufenweise Menschen umgebracht und dir deinen lang ersehnten Moonlight Dagger gestohlen!“

Kirai wird langsam auch richtig sauer. Alle sehen immer nur Shades negative Eigenschaften!

„Hat sie uns nicht das Leben gerettet? Ohne ihren Blue Gemstone lägen wir jetzt alle im eingestürzten Payon Cave begraben!“

Sie schweigt eine Weile.

„Ja... das stimmt“, flüstert sie schließlich kaum hörbar.

Das ist doch der Beweis, dass sie nicht böse ist. Warum hätte sie ihnen sonst helfen sollen?

„Danke für die Heilung“, sagt Kirai und versucht, zu lächeln.

Etwas abwesend nickt Luca und steht dann auf: „Was machen wir jetzt?“

„Ich will in diese Bar! Ich will alles über Shade herausfinden. Kommst du mit...?“

Mit ernstem Blick beugt sie sich runter zu ihm: „Bist du irre? Warum stellst du nur so eine Frage? Natürlich komme ich mit!“

Dankend schaut er sie an. Sie würde ihn nicht alleine zu so einem gefährlichen Ort gehen lassen.

Und dass sie sich selbst in Schwierigkeiten bringen könnte, lässt sie ganz außer Acht.

Ja, so ist Luca.

In diesem Moment sitzt sie neben ihm und lächelt ihn an.

Kirai ist immer froh gewesen, sie bei sich zu haben.

Nicht nur wegen ihren nützlichen Heilkräften, sondern auch, weil sie eine so nette, aufgeschlossene Person ist, auf die man sich einfach verlassen kann.

Sie würde ihn nicht im Stich lassen, wahrscheinlich würde sie eher ihr eigenes Leben opfern, an dem sie eigentlich sehr hängt.

Ihr Herz ist unglaublich rein, Kirai beneidet sie schon fast.

„Ich muss auch noch ein paar Sachen einpacken“, sagt sie ruhig und steht auf.

„Soll ich dir helfen?“, fragt er höflich.

Eigentlich hat er keine Lust.

Aber verdient hätte sie es.

Dankend lehnt sie das Angebot ab, wie er es irgendwo schon erwartet hat.

„Lass mich nur machen, geht schneller. Außerdem habe ich dir eben auch nicht dabei geholfen, oder? So ist es nur fair.“

Ohne ihn noch einmal zu Wort kommen zu lassen, verlässt sie den Raum.

Fair?

Sie hat Kirai ja nur das Leben gerettet.

Oh ja, da wäre es echt unfair von ihr, ihn beim Packen ihrer Sachen helfen zu lassen.

Wie kann ein Mensch nur so gutherzig sein?

Trotz der Auseinandersetzung eben fühlt Kirai sich leicht und zufrieden.

Sanft legt er seinen Rücken auf das Bett und schaut verträumt an die Decke.

Luca ist bei ihm. Und bald wird er Shade wieder sehen.

Es ist ihm egal, was sie in der Vergangenheit getan hat.

Sie hat sein Leben gerettet, und nur das ist wichtig.

Auch ihr muss er... danken...



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Kommentare zu dieser Fanfic (13)
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Von: abgemeldet
2012-12-05T14:36:12+00:00 05.12.2012 15:36
Fünftes Türchen:
Zunächst einmal ... uff. Das war wieder einmal ein reichhaltiges Kapitel und ich frage mich, wie es jetzt weitergeht. Tja, da werde ich wohl warten müssen :) und ab morgen bei Cruel Nature weiterlesen und mein Unwesen treiben müssen :)
Zum Kapitel ... die Gruppe der Gefährten ist zerschlagen, Shade x Kirai wird ein realistisches Pairing ... oh well, sonst noch was? Ach ja, Troy ist so ein Trollo. Er kann seine Gruppe doch nicht einfach so verlassen ... und zumindest in Ishbal sind rote Augen gar nicht mal so selten :)
~Ava-chan
Von: abgemeldet
2012-12-04T19:31:03+00:00 04.12.2012 20:31
Viertes Türchen:
Uff, das Kapitel war sooo lang.
Okay, fangen wir hinten an: ich bin happy, dass die Frau aus dem Prolog endlich noch mal aufgekreuzt ist, auch wenn ich jetzt wieder einmal mehr Fragen als Antworten habe und hoffe, dass das ein oder andere zumindest noch mal erklärt wird.
Ansonsten bleibt meine Meinung, dass Luca extrem lyrisch ist und dass sie dringend mit Kirai zusammenkommen sollte - wenn der nicht zu sehr an Shade interessiert ist - was ich für seine eigene Sicherheit nicht hoffe :D
Die Kämpfe waren alle sehr gut geschildert und ich warte nun darauf, das ich morgen weiterlesen kann :)
~Ava
Von: abgemeldet
2012-12-03T16:23:17+00:00 03.12.2012 17:23
Drittes Türchen:
Tja, da haben wir wohl schon mal das nächste Problem für unsere kühnen Helden, aber da es noch Kapitel gibt wird es wohl schon gut ausgehen. Ich bin definitiv gespannt, wie es morgen wohl weitergehen will und begebe mich jetzt wohl wieder an meinen Fairy Tail Oneshot :D
Gute Arbeit und einen schönen Montag,
Ava~
Von: abgemeldet
2012-12-02T10:21:20+00:00 02.12.2012 11:21
Zweites Türchen:
Mann ... da hatte ich so einen guten Kommentar und dann stürzt mir das Internet ab. So ein Mist.
Yadah, yadah ... okay, was hatte ich noch gleich geschrieben ... ach ja: Luca ist - trotz ihres Kuschelticks - schon mal deutlich sympathischer als Yufa aus dem Anime, auch wenn sich die Beschreibungen ähneln. Ich mag, dass sie sich auch wirklich um ihren Reisegefährten kümmert und man ihr nicht tausendmal sagen muss, was sie zu tun hat.
Kirai ... tja, da bin ich wirklich auf die Charakterentwicklung gespannt.
Und was den Ritter angeht ... erstens: Troy assoziere ich zu meiner Schande noch immer mit High School Musical und zweitens: der ist seltsam, aber ich schätze, dass das noch alles klarer wird :D
Einen schönen ersten Advent:
Ava~
Von: abgemeldet
2012-12-01T08:54:01+00:00 01.12.2012 09:54
Erstes Türchen:
Guter Anfang, wenn auch ein bisschen blutig. Gut, dass ich schon gegessen hatte :D
Mysteriös und macht sehr neugierig, weil man wissen will, was da genau los ist.
Macht definitiv Laune, weiterzulesen, was ich morgen dann tun werde.

Mal kurz was anderes: Hast du Nika wegen der Character-week informiert?
Von:  DreamingAngel
2011-09-10T00:30:28+00:00 10.09.2011 02:30
A) Assassin-male AssassinE-female korrigiere das bitte ... Kirai kann keine Assassine werden XD er isn Typ...
B) "Bist du tot" - war genial
C) Assassins sind auftragskiller die auch nicht jeden auftrag annehmen, sondern nur die die durch die gilde gestellt werden. Meist sind sie mehr observatoren bei angelegenheiten bei denen man mit tot rechnet, rachel quest, crow of destiny... usw. sieht man bei animation auch ^^, dass sie eine Massenmörderin ist finde ich sehr seltsam, aber gleichsam, dass sie sie gerettet hat, spricht für die ehre der assassins..., desweiteren: ihre kaltherzigkeit, ihre assassinuntypischen aktionen... mit dieser Frau stimmt etwas nicht...
Sie ist keine gewöhnliche Assassine oder sie hat eine doppelgängerin...
Böse schätze ich sie nicht ein, aber sie weiß mehr als man jetzt vermuten könnte... ich mochte troy sehr, er ist zu meiner lieblingsfigur geworden, ich frage mich was anlass sein könnte, dass jemand den auftrag gibt seine freunde zu töten... hmmm... Ich hab so das gefühl, dass Shade und Troy noch sehr gute freunde werden.. kA, vlt wegen meiner eigenen story... ich habe zwar noch den stolz, die ehre und das romantische herz der assassins gewahrt, aber ich habe auch teilweise instanzen dabei, wo sich die dinge etwas komplizieren ;D hikari-ian ^^
naja, meine neugierde hast du geweckt
lg dreamingangel
p.s.: Die Assassinengilde ist doch hinter leuten her die sich nicht an ihre massstäbe halten, da frage ich mich, ob du dich da deiner künstlerischen freiheit bedienst, oder ob da ein geheimnis hinter steckt... ich kann mir shade nicht böse vorstellen ^^
Von:  DreamingAngel
2011-09-09T23:56:23+00:00 10.09.2011 01:56
Gut, spannend, etc nur weil ich ja immer was zu meckern habe... erklär das blöde heal nicht immer. Auch leute die nicht ro spielen haben jetzt verstanden, dass sie ihre hände ausstreckt und heal ruft und dann da ein grünes licht zu sehen ist... langsam kannst du nur noch heal schreiben und den rest denkt sich dann jeder...
lg
DreamingANgel
Von:  DreamingAngel
2011-09-09T22:59:51+00:00 10.09.2011 00:59
Lol!!! Apple of Archer!! XD ich schmeiß mich weg vor lachen... ohne witz da hab ich so spät noch voll losgeprustet XD nicht schlecht und bongun ist auch cool, aber apple of archer war für die die ro spielen einfach nur köstlich, hab so nen lachflash bekommen XD ha ha ha ha ha, ne also, da hast du dich dann mal selber übertroffen, das kapitel war ja SUPER!! XD jetzt wirds gut :D hoffe es bleibt so... und Luca ist doof... Achja übrigens bin ich leicht säuerlich, weil du AUCH die idee mit dem Moonlight Dagger genommen hast >.< das habe ich in ähnlicher Verpackung in meiner FF und das auch noch bei uns beiden q.q bissl ist das komisch, jetzt will ich die ff vlt nimmer reinstellen, dann wirkt das geklaut, dabei ist er teil der GANZEN RO FF bei mir >.< hoffentlich geht das gut ^^
lg Dreaming
Von:  DreamingAngel
2011-09-09T22:31:54+00:00 10.09.2011 00:31
Einspruch!! Der Anfang, da hattest du wohl keine Lust was? Ließ ihn vielleicht nochmal... Die ersten 7-8 Zeilen sind etwas holprig zu lesen, egal wie oft ich sie lese und die ersten 3 Seiten finde ich einfach nur... langweilig XD (Aber gut, ich kenne ja auch alles...) Deine andere Ragnarök FF war spannender.
Jedenfalls Luca finde ich süß, wie sie alles knuddeln will ^^ und Kirai ist (noch) ein feigling für einen thief. Der Knight ist auch irgendwie komisch XD, der ist mir unsympatisch, aber das mit den Wölfen war spannend gemacht, dafür hut ab, da konnte ich mich richtig reinlesen, das ging runter wie öl, nur halt der anfang da hast du was geschlampt.
Die Beschreibung der Skills sind echt genial gemacht, der vergleich mit teetassenlichter... nicht schlecht ;D sowas müsste mir mal einfallen, aber die Städte sind ... so lala beschrieben ^^ also, man merkt du arbeitest dich im kapitel vor, also du verbesserst dich während dem schreiben. Hab so das gefühl, du zwingst dich ab und an zum schreiben, weil der anfang so komisch ist XD aber vlt irre ich mich und es ist nur, weil ich das spiel kenne :D also, lass dich nicht unterkriegen XD vorallem nicht von mir ^.- ne?
lg Dreaming <- kriegt keine ff zu ende, hat auch nichts zu sagen :D
Von:  DreamingAngel
2011-09-09T22:05:39+00:00 10.09.2011 00:05
omg...,das beschmutzt voll die ehre der Assassins, als hättest du nie die Assassinprüfung gemacht... hast du auch nicht, oder? *seuftz* ich habe sie schon 20 mal gemacht und da wird gesagt, das ein Assassin nie freude am töten hat und außerdem eine EDLE art zu töten hat... was ist edel an reinstechen, rausholen, reinstechen XDDDD was für ne komische Assassin, aber vielleicht ist sie ja auch einer der "bösen", dass klingt nun irgendwie skuril q.q öh, naja jedenfalls klingt es spannend und ich mag sie auch irgendwie, weil sie assassin ist..., aber kümmert sich eine Assassin wirklich um ihre Schuhe? Vielleicht weil sie keine Blutspuren auf dem Teppich hinterlassen wollte? Aber sie ist echt schlecht, wenn sie solange für so nen deppen gebraucht hat... sie hätte ihn direkt Grimetoothen sollen XD in die erde und aufspießen :P
Aber das wäre ja langweilig XD
Ach egal, ist eben wie der Autor es will, also:
Schön geschrieben, dein Schreibstil ist aufjedenfall Humorlastig. ^^
(Aber als Assa Fan musste ich das andere einfach mal loswerden .)
Lg Dreaming!!


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