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Living on the edge of the word

von

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Expectation vs reality [MUCC: Yukke/Tatsuro]

Charakter: Yukke (MUCC)

Prompt: Augen öffnen

Aufgabe von: rumwolf

surprise Saga: ja

Wortanzahl:  1.050

 

 

Das Parkett, auf dem er kniete, war warm, aufgeheizt durch die Sonne, die durch bodentiefe Fenster in das Atelier schien. Es knarrte leise, immer wenn er sich minimal bewegte, und verströmte einen angenehmen Duft nach altem Holz und Wachspolitur, der sich mit dem Geruch der Farben mischte. Er hörte die Geräusche der Stadt, die gemeinsam mit einer angenehmen Brise ins Innere des Raums drifteten, lauschte dem Kratzen des Pinsels auf der Farbpalette, bevor es zu einem leisen Streichen wurde, als er auf die Leinwand traf. Sein Herzschlag war laut in seinen Ohren, dennoch glaubte er, sogar das Streifen seiner Wimpern über die Augenbinde hören zu können, jedes Mal wenn er blinzelte. Es war beinahe ebenso prägnant, wie der Druck der kunstvoll geknoteten Seile um seinen Körper, der sich nie veränderte und sich doch mit jedem verstreichenden Atemzug fester anfühlte.
 

Aufregung.

Verletzlichkeit.

Geborgenheit.
 

In den letzten Wochen war er süchtig nach diesem chaotischen Tanz der Gefühle geworden und dabei hatte alles so harmlos begonnen. Nie hätte er geahnt, dass ihm dieser Job so unter die Haut gehen würde. Er arbeitete schließlich nicht zum ersten Mal als Aktmodell. Meist wurde er für eine Gruppe Amateurmaler oder Kunststudenten gebucht, nur einmal war er bislang für einen einzelnen Maler Modell gestanden. Damals waren jedoch Saga und andere dabei gewesen und hatten die Intensität dieses fokussierten, alles durchdringenden Künstlerblicks abgemildert.
 

Hier jedoch war er vollkommen allein.

Allein mit der Erkenntnis, wie frei er sich in Gefangenschafft fühlte.

Und wie Blindheit vermochte, ihm die Augen zu öffnen.
 

Längst hatte er sich eingestehen müssen, dass er dieses Gefühl, nichts verbergen zu können, mehr genoss, als gut für ihn sein konnte. Mittlerweile sehnte er sich nach den zwei Stunden einmal die Woche, in denen er sich vollkommen fallen lassen konnte.

In denen nichts zählte als sein Körper und der Blick des Malers, der diesen auf die Leinwand bannte. In diesen Momenten war es nicht wichtig, wer er war, was er dachte oder fühlte. Jedes Begehren, jedes Wünschen und Hoffen verdichtete sich zu einem einzigen Punkt im Hier und Jetzt.
 

Keine Vergangenheit.

Keine Zukunft.

Nur Empfindungen ohne Wertung.

 

„Hast du Durst?“

 

Die samtene Stimme des Künstlers holte ihn aus seinen Gedanken. Erst jetzt realisierte er, dass das Kratzen und Streichen des Pinsels verstummt war. Dafür fühlte er eine Präsenz nah vor sich, der Geruch der Ölfarbe intensiver.

 

„Ja“, antwortete er leise, traute seiner Stimme nicht. Er hob das Kinn, fühlte Finger, die ihn sanft dirigierten, bis der Rand eines Glases gegen seine Lippen drückte. Er öffnete den Mund leicht, ließ die kühle, prickelnde Flüssigkeit ein, schluckte. Ein erstaunter Laut entkam ihm. Er kannte dieses kleine Ritual, aber normalerweise war es Wasser, nicht Champagner, das ihm zu trinken gegeben wurde. Ein samtenes Lachen wusch über ihn und er nickte, als er gefragt wurde, ob er mehr wollte.

 

Himmel ja, er wollte mehr, so viel mehr.

 

„Zur Feier des Tages dachte ich mir, wir können uns etwas Besseres als Wasser gönnen.“

Feier des Tages? Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und ein Kloß formte sich in seiner Kehle. Einerseits freute er sich, denn die Worte seines Gegenübers ließen vermuten, dass er soeben sein Werk beendet hatte. Andererseits hieß das, dass er nun nicht mehr gebraucht wurde.

„Ist alles in Ordnung?“

 

„Ja.“ Schnell nickte er und hoffte, einer näheren Frage damit entkommen zu können.

 

„Gut. Hast du Hunger? Ich hätte da noch etwas.“

Wieder nickte er, obwohl das eine Lüge war. Wie konnte er essen wollen, wenn sein unverhofftes Paradies, seine Zuflucht gerade vor seinen Augen zu verschwinden begann? Etwas Kühles presste sich gegen seine Lippen und reflexartig öffnete er sie, roch das süße Aroma der Erdbeere, deren weiches Fruchtfleisch keinen Moment später seinen Mund füllte. Ohne sein bewusstes Zutun entkam ihm ein genießender Laut und das folgende leise Lachen des Malers färbte seine Wangen rot.

 

„Bleib genau so.“

 

Schnelle Schritte entfernten sich, bevor die Geräusche des Malens wieder einsetzten. Er versuchte, zu gehorchen, obwohl es ihm mehr als schwerfiel. Mit einem Mal wollte er nur noch weg, diesen Ort der eigenartigen Nähe zwischen ihm und dem Künstler hinter sich lassen, bevor sich die Sehnsucht noch tiefer in sein Herz graben konnte. Wie lang er stillhielt, wusste er nicht, aber irgendwann waren da erneut Finger, die erst die Seile lösten, bevor sie ihn von der Augenbinde befreiten.

 

Langsam hob er die Lider, blinzelte gegen die Helligkeit im Raum an, bis der Mann vor ihm deutliche Konturen annahm. Seine schwarzen Haare flossen glatt bis weit über seinen Rücken, halb verborgen unter einer ebenso schwarzen Schirmmütze. Auf seiner rechten Wange prangte ein breiter Strich roter Farbe und die Augen waren durchdringend wie immer, ließen ihn wünschen, sich erneut hinter dem Satinstoff verbergen zu können.

 

„Willst du es sehen?“

 

„Ja.“

 

Er schämte sich nicht, als er sich nackt, wie er war, erhob und dem Maler zur Staffelei folgte. Mit offenem Mund betrachtete er das Werk, wusste nicht, was er erwartet hatte. Die Realität übertraf jede Vorstellung.

 

„Es ist wunderschön.“ Er erkannte sich kaum wieder, nicht, weil das Bildnis nicht seinem Aussehen entsprach, sondern weil es genau die Emotionen ausstrahlte, die er glaubte, für immer tief in seinem Herzen verschlossen zu haben.

 

„Vielen Dank.“
 

Eine kurze Berührung an seiner Schulter.

Die Hoffnung, es könnte sich mehr daraus entwickeln.

Und die Erkenntnis, dass seine Realität eine andere war.
 

„Also … ist unser Arrangement hiermit beendet?“, fragte er und sein Gegenüber bejate. Er wandte sich ab, ging zum Stuhl in der Ecke, auf dem seine Kleidungsstücke Platz gefunden hatten. Mit wenigen Handgriffen war er angezogen und vernichtete damit den Zauber, der ihn Woche um Woche hatte wiederkommen lassen. Kurz und schmerzlos, wie das Abziehen eines Pflasters. Warum nur tat es dennoch so weh?

 

„Ich bring dich noch zur Tür.“

 

„Sehr gerne.“

Das dunkle Holz öffnete sich, eine charmante Geste, die wie ein Schlag ins Gesicht war.

„Dann … leb wohl, Tatsuro, und alles Gute für die Zukunft.“ Er raffte die letzten Reste seiner Selbstbeherrschung zusammen, drehte sich um und schenkte dem Maler ein ehrliches Lächeln.

 

Tatsuro erwiderte, doch statt für immer hinter der Tür zu verschwinden, lehnte er sich in den Rahmen und musterte ihn mit leicht schief gelegtem Kopf.

 

„Yukke?“

 

„Was ist?“

 

„Geh heute mit mir aus …“

 
 

Ein hoffnungsvolles Strahlen erhellte sein Gesicht.

Zustimmende Worte verließen seinen Mund.

Und die Rädchen seiner Realität änderten ihre Laufrichtung.
 



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