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Stichflamme

Der Aufstieg des Phönix
von

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Totgesagte leben länger

Der Morgen kündigte sich mit einem Streif roten Lichts an, als Minerva erwachte. Für einen Augenblick sah sie hinauf an die hell verputzte Decke und wähnte sich beinahe zurück in ihrem hogwart’schen Turmzimmer. Das steinerne Gemäuer, wenngleich kalt, gab ihr dasselbe warme Gefühl. Wären nur die Bettbezüge nicht andere, die Gerüche nicht unbekannt, die leisen Geräusche nicht fremd.

Erinnerungen an den gestrigen Tag – vornehmlich die letzten Stunden – krochen aus den Tiefen ihres schläfrigen Bewusstseins wieder empor, kaum dass sie sich umsah; bereit die eisige Flamme der Furcht erneut zu entzünden. Die Zähne fest aufeinandergebissen, hielt sie den ungebetenen Gedanken ihren mentalen Schild entgegen. Sie hatte sich nie als große Okklumentikerin bewiesen, doch jetzt war nicht die Zeit, aufzugeben.

»Ein Drache am Morgen ist kein Grund, den Kopf hängen zu lassen«, hatte ihre Mutter schon vor vielen Jahren gepredigt. »Nur wer nach vorne blickt, kann den Drachen besiegen!«

Damals, im Alter von zwölf, hatte Minerva ihr erstes Quidditchspiel verloren (gegen Slytherin, ausgerechnet!) und war davon überzeugt gewesen, dass ihre Karriere als Sucherin, von der sie einst geträumt hatte, nun ganz sicher ruiniert war.

Ferner könnte sie diesen Sorgen inzwischen nicht sein. Die Erkenntnis zwickte sie im Herzen. In all den Jahren seither hatte nicht nur sie sich verändert – auch die Welt war eine andere geworden. Sie wusste nicht mal, wann sie zuletzt auf einem Besen gesessen hatte und das war eine echte Schande.

Minerva seufzte und setzte sich auf. »Dann wollen wir den Drachen mal besiegen.«

Ihre Glieder pochten dumpf, doch die Tinkturen und Tränke vom Vorabend hatten wahre Wunder vollbracht. Die imaginären Messer, welche bei jedem Atemzug in ihre Lungen stachen, waren kleiner geworden; die Gliederschmerzen zu Muskelkater verklungen. Zurück blieben vor allem eine Menge ungebetener Gedanken.

Im Sitzen machte Minerva vor dem Fenster ihres Gästezimmers die ungeheure Weite des Loch Ness aus. Frühe Strahlen der Morgensonne kitzelten gerade so die Wellen des großen Sees. Dahinter lagen die grünen Hügel der Highlands, ein Anblick, der ihr Herz kräftiger schlagen ließ. Die schottische Landschaft war so friedlich, dass es schwer begreiflich schien, wie die Verbrechen der vergangenen Tage in der gleichen Welt geschehen waren.

Auf den Ländereien – das Wort Garten wurde dem ausladenden Grün bei näherer Betrachtung nicht gerecht – erkannte Minerva die blonde Gestalt Eileans, die einen großen Eimer in Richtung des Wassers schleppte. Nessie der Kelpie reckte erwartungsfreudig den Kopf aus dem See und schüttelte seine Seetangmähne. Eine Szene wie aus dem Bilderbuch. Gerne hätte Minerva Elphinstones Elternhaus bei einer freudigeren Gelegenheit kennengelernt, um es wirklich zu genießen.

So aber wanderten ihre Gedanken direkt weiter zu Elphinstone selber. Ob er schon wach war? Ging es ihm besser? Wenngleich das Anwesen noch in den Grauschleiern der schwindenden Nacht lag und alle, die keinen kränkelnden Kelpie zu füttern hatten, vermutlich gut daran taten, zu schlafen, hielt es Minerva nicht länger im Bett. Mit einem letzten Blick auf die Highlands wandte sie sich ab.

Newa schien in der Nacht ihre besudelten und zerschlissenen Kleider geflickt haben, denn diese lagen akkurat gefaltet auf einem Stuhl am Bettende. Die Stoffe verströmten einen frischen Duft, nach Wiese und kalter Seeluft.

Dankbar, nicht in Morgenmantel mitsamt Knuddelmuff-Hausschuhen durch das Anwesen geistern zu müssen, schlüpfte Minerva hinein. Am liebsten wäre ihr gänzlich andere Kleidung gewesen, die nie das Verlies der Lestranges von innen gesehen hatten. Dabei handelte es sich bei dem grünen Umhang um ihren Liebling. Ehemaligen Liebling zumindest. Jetzt hafteten Erinnerungen an den Fasern, von denen sie nicht wusste, ob sie je schwinden würden.

Die Flure außerhalb Minervas Gästezimmer lag in völliger Stille da und sie begegnete niemandem bei ihrer Suche nach dem richtigen Weg ins Erdgeschoss. Wie in Hogwarts gab es auch in dieser kleinen Burg Gänge, die im Nichts endeten oder Treppen, die überallhin – nur nicht zum Ziel – führten. Als Minerva schließlich dem Geruch frischen Tees folgte, landete sie nicht in dem ihr bekannten Wohnbereich, sondern in einer Küche.

Die ersten Sonnenstrahlen hatten derweil den taufrischen Rasen und das Anwesen darauf erreicht, sodass die blank polierten Pfannen und Töpfe, die von der Decke hinab hingen, in ihrem Licht glänzten. Und noch etwas anderes erstrahlte in der rustikalen Küche. Minervas Herz hüpfte wie ein übermütiges Mondkalb. Ein hellblonder Haarschopf!

Sie lief die letzten Treppenstufen hinab in den achteckigen Raum. Ihre Schüler würde sie dafür schelten, doch in ihrer Ungeduld nahm sie immer zwei Stufen auf einmal. Da stand Elphinstone, an einen Tresen gelehnt, als hätte es die gestrigen Verletzungen nie gegeben. Er trug einen dunkelblauen Wollpullover und helle Stoffhosen statt seines geliebten Anzugs, doch ansonsten sah er aus wie zuvor. Gut.

Ein Laut zwischen Schluchzen und Freude entfloh Minerva, bevor sie die Fingerknöchel vor den Mund presste. Elphinstone drehte sich um, eine Teetasse in den Händen, Erstaunen in den Augen. Einige Wimpernschläge lang betrachteten sie einander bloß, als würden sie sich zum ersten Mal seit Jahren wieder begegnen. Untersuchten sorgsam das Gesicht des Gegenübers auf der Suche nach allem, das sich verändert hatte, obwohl nur ein paar Stunden vergangen waren.

Plötzlich wurden Minervas Beine wieder Wackelpudding. Im Dunkel war es einfach gewesen, Worten wie Tränen freien Lauf zu lassen. Ihr Inneres offenzulegen. Ihn zu küssen. Doch jetzt beschien die Morgensonne ihr Treffen und alle eingerissenen Mauern wuchsen im Tageslicht neu empor.

»Elphinstone ...«, hauchte sie schließlich in die Stille, die Unterarme vor dem Bauch gekreuzt. »Wie ... wie geht es dir?«

Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, ungeachtet des verdächtigen Glanzes in seinen Augen. »Minerva.« Er stellte die dampfende Tasse in seinem Griff ab. Unbeholfen kam er hinter dem Tresen auf sie zu. »Ich bin in Ordnung. Spätestens jetzt, wo ich sicher bin, dass du wirklich hier bist. In Sicherheit.«

Ebenso zögerlich unternahm Minerva einige Schritte auf ihn zu. »Was ist mit deinen Wunden? Was ist ...« Sie gestikulierte hölzern. »... Mit dem Fluch?«

Elphinstone legte seinen Kopf schief und seufzte leise, aber das Lächeln verschwand nicht. Stattdessen vertieften sich die Fältchen um seine Augen. Aufmunternd streckte er ihr eine Hand entgegen. »Min, bitte komm her. Du kannst dich gerne selber davon überzeugen, dass ich nicht gleich wieder in Ohnmacht falle, wenn du mir nicht glaubst.«

Ihre Lippen aufeinandergepresst, ergriff Minerva diese Einladung. Elphinstones Finger in ihren waren warm, aber das war nichts im Vergleich zu dem Strahlen auf seinem Gesicht, gegen das selbst die Morgensonne verblasste. Sogar das Fluchschwarz, das unverändert seinen Hals empor kroch, wirkte ... fahler.

Der Kloß in ihrer Kehle war wieder da und wollte in Tränen aufbrechen. Doch bevor die ersten Tropfen sich ihren Weg bahnten, zog Elphinstone sie näher heran; lehnte sacht seine Stirn gegen ihre.

»Nicht doch. Um mich musst du nicht weinen.«

»Ich weine nicht.« Minerva bohrte die Fingernägel ihrer freien Hand in deren Innenfläche und drückte das Kreuz durch. Trotzdem konnte sie ein kleines Schniefen nicht zurückhalten.

Elphinstone kommentierte diesen offensichtlichen Widerspruch nicht. Er schob ihr bloß eine Haarsträhne hinters Ohr, da sie in Ermanglung von Haarnadeln nur ein fingergekämmtes Vogelnest zur Schau trug. Dann ergriff er ihre andere Hand ebenfalls und drückte sie beide.

»Glaub mir, wenn meine Verfassung es zulassen würde – ich würde dich umarmen«, erklärte er, während seine Daumen Kreise auf ihren Handrücken beschrieben. »Ich würde dich so fest drücken, wie ich kann und ich würde nicht versprechen, dass ich dich so schnell wieder loslasse. Aber leider bin ich eben nur in Ordnung, also haben meine Wunden auch noch ein Wort mitzureden. Mit der Betonung auf ‚noch‘

Minerva gelang es, die Lippen fester zusammenzupressen und gleichzeitig zu lächeln. »Schon gut. Ich bin auch so froh genug, dass du nicht länger so bleich wie die Laken daliegst.«

»Oh, das bin ich auch. An gestern Abend kann ich mich nur dunkel erinnern.« Die Kreise von Elphinstones Daumen folgten denselben Mustern, die er in den letzten Tagen schon auf ihren Schultern und Rücken gezeichnet hatte. »Genauso froh bin ich im Übrigen, dass du nicht mehr so blass und kalt bist. Wie geht es dir, Min?«

»Alles bestens«, entgegnete sie hastig. »Mir geht es gut. Alle haben sich wunderbar gekümmert, ich hatte Heiltränke, einen Schlaftrank – ich bin ok.«

Einen Moment schwieg Elphinstone, dann lehnte er sich ein Stück zurück und suchte ihren Blick. »Sieh mir in die Augen und sag das noch einmal«, bat er, ganz leise.

»... Phin – ich ... es ...« Sie biss auf ihre Unterlippe.

»Schon gut.« Er schüttelte den Kopf. »Ich sehe doch, dass es nicht stimmt, egal ob all deine Brandblasen verheilt sind oder nicht. Es ist in Ordnung, nicht in Ordnung zu sein. Wirklich. Du musst nicht so tun, als wäre nichts passiert. Ich werde das auch nicht einfach vergessen. Die Wunden sind das eine, das heilt. Aber die Erinnerungen ... damit werde ich für immer leben. Du kannst also ruhig ehrlich mit mir sein. Ich bin immer für dich da, das weißt du hoffentlich.«

Minervas Brust wurde eng, die Farbe schwand aus der Welt und Elphinstone ließ ihre Hand nicht los. Er zeichnete Kreis um Kreis auf ihren Handrücken, bis sie es sich erlaubte, die brennenden Tränen für sich selber zu weinen – und darüber hinaus.

Es war nicht in Ordnung und das war in Ordnung. Sie war nicht die Einzige, für die kein Stein mehr auf den anderen passte; deren Welt sich in den letzten Tagen unwiederbringlich verändert hatte. Sie war nicht alleine. Ihre Fingerspitzen nahmen das Kreismuster auf und übertrugen es auf Elphinstones Handrücken. Zu mehr Reaktion sah sie sich nicht imstande.

»Ein Schritt nach dem anderen«, murmelte er und drückte die Lippen auf ihre Stirn. »Ich weiß doch, wie stark du bist. Es braucht genug Mut, um seiner Selbst Willen zu weinen.«

Seine Stimme klang so kratzig, wie sich Minervas Hals anfühlte. Verlegen blinzelte sie gegen die Tränen in ihren Wimpern an. »Ach, wem ist hier denn das Schwert von Gryffindor vor lauter Mut zur Hilfe geeilt?«, versuchte sie ihn mit einem Lächeln aufzuziehen.

»Ich glaube nicht, dass das ein Wettbewerb ist. Außerdem ging es um dein Leben.« Aber Elphinstone schmunzelte ebenso.

Minerva seufzte leise und in den zerbrechlichen Moment hinein ... knurrte ausgerechnet ihr Magen. Schlagartig kehrte die Verlegenheit zurück.

Doch Elphinstones Strahlen verlor nicht an Kraft. Im Gegenteil, nachdem er ein letztes Mal ihre Hände drückte, wandte er sich mit einem Zwinkern ab und hielt ihr kurz darauf eine Tasse wie seine eigene entgegen. »Hier ist ihr Frühstückstee, Ma’am – Earl Grey, kein Zucker, wenig Milch.«

Verblüfft sah Minerva auf das gepunktete Porzellan, aus dem sich Dampf empor kringelte, ehe sie die Finger darum schlang und sich dankbar daran klammerte. »Dass du dir gemerkt hast, wie ich meinen Tee trinke ...« Sie pustete auf das heiße Getränk und nahm einen Schluck. Wohlige Wärme breitete sich von der Kehle in ihrem Körper aus. »Genau richtig. Danke.«

»Tja, unzählige Teepausen im Ministerium hinterlassen eben ihre Spuren.« Elphinstone zwinkerte und schob eine Blechdose über den Tresen zu ihr. »Und hier kommen die Hauptdarsteller: Die Ingwerkekse – altes Familienrezept.«

Minerva senkte die Tasse. Mit offenem Mund musterte sie die Kekse. Selbstzufrieden gluckste Elphinstone.

»Oberste Schreibtischschublade, ganz hinten. Ich weiß noch, dass du sie bevorzugt in deinen Tee stippst. Diese Kekse schmecken vielleicht nicht wie die vom Bäcker am Embankment, aber meine Ma ist auch keine üble Bäckerin, behaupte ich mal.«

Schon breitete sich Wärme auf Minervas Wangen aus – oder viel eher Hitze. Dass Elphinstone ihr Keksversteck auf der Arbeit (und ihre schlechte Angewohnheit mit dem Einstippen) gekannt hatte, war ihr nicht bewusst gewesen. Ihr Magen grummelte angesichts des verführerischen Dufts der Plätzchen erneut. Sie konnte nicht widerstehen, einen zu schnappen und im Tee zu versenken. Die Krümel zergingen so fein auf der Zunge, dass sie genießerisch die Augen schloss.

»Oh, die sind gut, besser als die aus London«, seufzte sie zufrieden, ehe sie den Ingwer mit einem Schluck Tee hinunterspülte. »Besser als alle Kekse, die ich je gegessen habe, um ehrlich zu sein.«

»Ich werd’s meiner Ma ausrichten, wenn sie von ihrer Geschäftsreise wiederkommt. Sie freut sich immer, wenn jemand ihr Gebäck nicht nur isst, sondern auch zu loben weiß. Ich zitiere – wir Kinder sind ein undankbarer, verfressener Haufen.« Mit einem Zucken der Mundwinkel schüttelte Elphinstone den Kopf und seufzte. »Ein Keks wird die Welt vielleicht nicht verändern, aber er macht sie doch erträglicher«, resümierte er. »Diese Familienweisheit gibt es gratis zum Zuckerschock.«

Minerva lachte belegt auf und verlor prompt ein Stück des Gebäcks in ihrer Teetasse. Aber den sämigen Rest aus Tee, Milch und Krümeln mochte sie ohnehin am liebsten. Mit einem zweiten Keks lehnte sie sich neben Elphinstone an die Theke. Gemeinsam scherzten sie lose über ihre Teevorlieben – Elphinstone benutzte ihrer Meinung nach zu viel Milch – und es war ... wie immer. Oder mehr ...

Behutsam legte Elphinstone seinen Arm um Minervas Taille und ihr Lächeln spiegelte sich im Schwarztee, als sie einen Schluck nahm. In diesem Moment war es einfach, den gestrigen Tag zu vergessen.

Sie wandte den Kopf zu ihm, nur um direkt vom Funkeln seiner grauen Augen gefangen zu werden. Einen Moment lang hatte sie das Gefühl, einen wortlosen Austausch zu führen. Röte färbte Elphinstones Ohrenspitzen und für einige Wimpernschläge sahen sie einander nur an. Minerva presste die Teetasse fester an ihren Bauch, aus Angst, etwas zu verschütten. Sie traute ihren Händen nicht länger, in seiner Gegenwart standhaft zu bleiben.

»Gu-u-uten Morgen!«

Eileans fröhlicher Ruf nebst Eimerscheppern ließ Minerva zurückschrecken. Die Hitze glühte auf ihren Wangen, als würde sie sich darum bewerben, das Frühstücksei dort zu braten. Elphinstones Arm glitt ebenso ertappt von ihrer Taille.

»Stimmt was nicht?« Mit spitzen Fingern schnappte Eilean sich einen Ingwerkeks und musterte sie beide, den Kopf schiefgelegt. »Ihr könnt ruhig weitermachen, ist ja nicht so, als hätte ich meinen Bruder noch nie knutschen sehen oder so«, mümmelte sie zwischen zwei Bissen und hob vielsagend die Augenbrauen.

»Danke für dieses großzügige Angebot.« Elphinstone schloss die Finger wieder um seine eigene Teetasse, über die er Minerva einen entschuldigenden Blick zuwarf.

»Oh ... sag nicht, dass ich hier etwas Besonderes gestört habe! Ich meine –« Eilean deutet zwischen Minerva und Elphinstone hin und her, »das mit euch ist doch schon lange ein Ding!«

Minerva musterte ihre Schuhspitzen. Das schwarze Leder glänzte. Offenbar hatte Newa die alten Teile nicht nur repariert, sondern auch eingefettet. Sie war der Hauselfe wirklich Dank schuldig.

»Eily, es gibt kein ‚Ding‘.«

»Oh, bitte sag mir nicht, dass ich hier einen ersten Kuss verhindert habe!«

»Nicht ganz.«

»Oh ... Merlin«. Mit einem Mal schien Eilean sehr interessiert daran, lautstark in der Spüle zu ramentern. »Ich bin davon ausgegangen – Ihr beide ... Ich meine, ihr seht euch an wie – wie ein altes Ehepaar! Sie hat sich an dich geklammert – du dich an sie ... Na ja, ich dachte halt –« Spülwasser spritzte in alle Richtungen und sie brach ab. »Entschuldigt.«

»Ah, schon gut«, wiegelte Minerva ab.

»Aber du magst ihn doch, oder?«

Minerva sah zu Elphinstone und rasch wieder fort. »Natürlich, wir sind schließlich nicht umsonst befreundet –«

»Ah, gut, gut.« Eilean verhexte die Spülbürste, Nessies Futtereimer zu putzen. »Ich freue mich, wenn es so eine tolle Hexe gibt, die ihn mag.« Sie zwinkerte und wandte sich anschließend zu Elphinstone. »Verscheuch sie bloß nicht!«

Er schenkte ihr nur ein Augenrollen. Stille senkte sich über die Küche, abgesehen von dem Schrubben in der Spüle. Einen Augenblick lang stand Eilean da und sah den kleinen Seifenblasen aus Scheuermittel dabei zu, wie sie in den Sonnenstrahlen tanzten. Dann huschte ein grimmiger Ausdruck über ihr Gesicht. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.

Die Arme vor der Brust überkreuzt, wirbelte sie erneut herum. »Überhaupt!«, fauchte sie an Elphinstone gewandt, als hätte sie seine Anwesenheit erst jetzt richtig realisiert. »Du! Du – weißt du eigentlich, was ich mir für Sorgen gemacht habe? Ach, was ich mir immer noch für Sorgen mache! Elladora verhaftet, du beurlaubt – glaub nicht, dass ich die Zeitung nicht gelesen habe – und du meldest dich nicht einmal!«

»Eily ...«, hob er an, doch diese unterband seine Worte mit einer wegwerfenden Geste.

»Komm mir nicht so! Du ...!« Ihre Knöchel am Zauberstab traten weiß hervor, als sie ihn anklagend auf ihren Bruder richtete. »Du erzählst mir jetzt besser, was hier los ist, wenn Albus Dumbledore – ausgerechnet! – sich schon in Schweigen kleidet! Erst sehen wir dich wochenlang – ach was, monatelang – nicht und dann tauchst du hier mitten in der Nacht auf, schwer verletzt! Ganz zu schweigen davon, dass deine Begleiterin aussieht, als hätte sie dem Grimm gegenübergestanden!« Eilean funkelte Elphinstone an wie ein Drache, dem das Ei gestohlen worden war.

Minerva verzog das Gesicht und hob an Elphinstone gewandt die Schultern, denn sein Blick war sorgenvoll von seiner Schwester zu ihr gewandert. »Albus war in der Nacht kurz hier«, klärte sie ihn auf. »Um sich zu vergewissern, dass wir in Sicherheit sind, nachdem Fawkes nur die Kinder zurückgebracht hat.«

Verständnisvoll nickte er und ging mit beschwichtigend ausgestreckten Händen auf Eilean zu. »Eily, ganz ruhig –«

»Nein! Was glaubst du, was das für ein Gefühl ist?« Scheppernd hüpfte Nessies Frühstückseimer auf einen Wink von Eileans Zauberstab aus der Spüle, um sich von einem Handtuch abtrocknen zu lassen. »Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugetan!«

»Gutes Stichwort – willst du den Rest des Hauses mit deinem Geschrei aus dem wohlverdienten Schlaf reißen?«

»Ha, schön wär’s! Lior ist schon vor einer Stunde mit den Kindern zu seinem Vater geflohen. Den Nifflernachwuchs besuchen. Newt ist wahrscheinlich der einzige Mensch auf dieser Welt, der letzte Nacht noch beschissener geschlafen hat als ich! Und das nur, weil er eine Horde hungriger Fellbabys zu Hause hat! Und ich wette, wenn Lior und die Kinder nach Hause kommen, haben sie alle einen neuen besten Freund, um mir auch noch den letzten seidenen Nerv zu rauben. Also nein, Elph, ich werde dich nicht so einfach vom Haken lassen!«

»Eily, bitte, du machst aus einer Florfliege einen Drachen«, appellierte Elphinstone erneut, doch das waren die denkbar schlechtesten Worte für diese Situation. Da hätte er gleich ein Erumpent kitzeln können, das Resultat wäre unverändert geblieben.

»Pah!«

Eilean wedelte mit ihrer Zauberstabhand und ein lauter Knall hallte zwischen den Steinwänden wieder. Elphinstone zuckte zusammen und griff sich grimassierend an die Brust, wo vor gar nicht allzu langer Zeit tiefe Schnitte geprangt hatten. Minerva trat besorgt hinter ihn, aber er schüttelte nur knapp den Kopf.

»Ich habe meinen ganzen Vorrat an Murtlap-Essenz und einen halben Strauch Diptam gebraucht, um deine Blutungen zu stillen, und soll mich beruhigen? Weißt du, wie viel Angst du mir gemacht hast? Das war kein Schockzauber, der dich so zugerichtet hat, das ist sicher.«

»Eily, bitte leg den Zauberstab weg, sonst fehlen mir bald noch ein paar Gliedmaßen.«

»Das geschähe dir recht!«, fauchte Eilean, steckte aber den Stab in die Tasche ihres Morgenmantels. Die kleine Hexe wandte sich um und stampfte laut wie ein Riese zum Küchentisch neben ihnen, wo sie eine Ausgabe des Tagespropheten aufhob. »Ich verlange, zu wissen, worin du – und Ella – euch habt verwickeln lassen! Es ist mir egal, welche verfluchten Ministeriumsregeln dagegen sprechen – du bist mein Bruder, du bist hier aufgetaucht und hast meine Hilfe in Anspruch genommen, also habe ich ein Recht, zu erfahren, was bei Merlins löchrigen alten Unterhosen los ist!«

Sie pfefferte die Zeitung in Richtung Elphinstone, vor dem sie mit der Titelseite nach oben zu liegen kam. Minerva erkannte das übergroße Bild einer Häuserruine in einer bekannten wie langweiligen Muggelnachbarschaft, aus der dunkle Rauchwolken drangen. Darüber prangte in schwarzen Lettern die provokante Überschrift ‚Muggelversagen, Magieverbrechen oder doch Muggelverbrechen? Mehrere Tote nach Explosion in Leeds‘.

Dem ersten Impuls folgend zuckte Minerva vor der Zeitung zurück, als handle es sich um einen bissigen Crup. Rauch kratzte direkt wieder in ihrem Rachen und ihre frischverheilte Haut juckte. Sie presste die Hände so fest gegen ihre warme Teetasse, dass sie fürchtete, das Porzellan könnte springen. Zum Glück wusste sie dank Albus’ gestrigem Besuch, dass Robbie in Sicherheit war. Wenigstens das.

»Ein ganzes Haus in die Luft geflogen? In einer Muggelnachbarschaft? Verletzte? Tote?« Eileans Stimme hatte inzwischen das Niveau einer heulenden Banshee erreicht. »Und das schon vor zwei Tagen! Was ist passiert?«

Im selben Atemzug langten Minerva und Elphinstone nach der Zeitung. Das dünne Papier riss beinahe unter ihren Fingern, so heftig schlugen sie die Seiten auseinander. Kopf an Kopf überflogen sie den Artikel, der einmal mehr das Werk von Rita Kimmkorn war.

Muggel sprechen von Gasexplosion ... Fünf Leichen geborgen, darunter zwei Muggelpolizisten und drei Reinblüter ... Gerettete nicht zurechnungsfähig ... St. Mungo hält Gedächtnismanipulation für wahrscheinlich ... Schwer verletzter Beamter des Ministeriums ermittelte ohne Auftrag ... Mögliche Verbindung zu dem Fall um die Urquart-Familie (wir berichteten) ... Beschuldigte spurlos verschwunden ... Deckt die Abteilung für magische Strafverfolgung Muggelverbrechen an ehrwürdigen Mitgliedern unserer Gesellschaft?

Empört und gleichzeitig besorgt schnappte Minerva nach Luft. Selbst unschuldige Nachbarn waren in der Explosion, die sicher das Werk der Lestranges war, verletzt worden. Es war nur unfassbarem Glück zu verdanken, dass keine weiteren Todesopfer zu beklagen waren. Offenbar war das Fluchfeuer nur Sekunden nach der Disapparation ihrer Entführer hochgegangen und hatte nicht nur ihre flüchtenden Verbündeten, sondern auch die umstehenden Häuser getroffen.

Und einmal mehr hatte Rita Kimmkorn es mit der Halbwahrheit auf die Titelseite geschafft. Die freche Kröte von Journalistin hatte sogar das einzige Foto ihres alten Ermittlungsteams ausgegraben – nur um sie wie Verbrecher hinzustellen!

Ein Ruck ging durch die Seite, dann riss der Prophet mitten durch die Aufnahme von schwelenden Trümmern entzwei. Die Hälfte des Blattes verschwand knisternd in Elphinstones Hand, die er zur Faust ballte.

»Das darf doch nicht wahr sein ...« Er stöhnte leise. Ob vor Schmerz oder Frust konnte Minerva nicht sagen. »Wenigstens leben die anderen noch, aber ... das ist verrückt. Warum glaubt niemand Mulciber? Kann mir doch keiner erzählen, dass eine Explosion auch gleich sein Gedächtnis auf dem Gewissen hat!« Kopfschüttelnd knüllte er das halbierte Zeitungsblatt zu einer winzigen Kugel. »Egal was Kimmkorn schreibt, das Ministerium kann ihr doch nicht Glauben schenken und einfach abwarten – das ... es gibt handfeste Beweise!«

Eilean stand noch immer mit den Händen in der Hüfte am anderen Ende des Tisches, doch ihre erstaunlich dunklen Augenbrauen drifteten zusehends auseinander. Der Blick aus ihren grau-blauen Augen, die mindestens so streng wie Elladoras funkelten, gewann an Sanftheit.

»Ihr wusstet das nicht ...?«

»Das letzte Mal, als ich das Haus gesehen habe, stand es noch.« Elphinstone räusperte sich, doch das Belegte verschwand nicht aus seiner Stimme. »Die Explosion, der wir nur knapp entkommen sind, war eine andere. Wenn auch von den gleichen Leuten ausgelöst, an deren Existenz hier offenbar keiner glaubt. Obwohl sie sogar uns entführt haben. Hierbei –« Er wies auf die übrige Titelseite – »handelt es sich auf jeden Fall nicht um ein ‚Muggelverbrechen‘.«

»Also warst du wirklich da ... und – Oh Merlin, Elph, wo bist du nur reingeraten?« Eilean drückte die Fingerknöchel auf den Küchentisch und sah auf die abgenutzte Tischplatte hinab. »Und was hat Ella damit zu tun?«

»Ah ... Eilean, das sollte ich besser erklären, immerhin habe ich Elphinstone um seinen Einsatz gebeten«, wandte Minerva ein. »Ohne mich –«

Aber weiter kam sie nicht, denn Eilean schüttelte entschieden das Haupt. »Darling, mein Bruder kann selbst die Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Ich bin mir sicher, so sehr hast nicht einmal du ihm den Kopf verdreht.«

»Eilean, es reicht!«

Sowohl Minerva als auch Eilean wirbelten zu Elphinstone herum, dessen Stimme lauter als die vorige Zauberstabfehlzündung durch die Küche hallte.

»Tu dir selber den Gefallen und halt die Luft an. Dann erklären wir alles. Und zwar erst dann.«

Diesen Ton kannte Minerva. Den verdiente man sich, wenn man mit dem Kopf durch die Wand wollte und dabei ein Verfahren gefährdete. Sie fühlte sich daran erinnert, wie sie zum ersten Mal erfahren hatte, warum er einen derart hohen Posten im Ministerium bekleidete.

Eileans Wangen glühten vor unterdrückter Aufregung, aber sie bedeutete ihrem Bruder mit einem knappen Nicken, fortzufahren.

»Danke.« Elphinstone verschränkte die Arme vor der Brust – oder versuchte es zumindest –, verzog dann allerdings das Gesicht und entschied sich stattdessen dafür, sich auf die Lehne eines Küchenstuhls zu stützen. »Die ganze Angelegenheit fängt mit einem verschwundenen Hogwartsschüler an. Und sie wird lang, also setzt du dich vielleicht lieber.«

Während Elphinstone die gesamte Geschichte von Jonathan Alditchs Entführung darlegte, sprach Eilean kaum. Auch die Ausführungen zu Elladoras Verwicklungen ließ sie mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen. Nur ihre Finger gruben sich mit jedem Wort tiefer in ihre Oberarme. Am Ende der Erzählung schob sie mit einem ruckartigen Schaben ihren Stuhl zurück, schnappte sich den – leeren – Fleischeimer und erklärte, Nessie erneut füttern zu müssen.

»Sie meint das nicht so«, seufzte Elphinstone in die unerwartete, neuerliche Stille. »Auch wenn sie ihr Herz auf der Zunge trägt, gibt es doch Dinge, über die Eilean erstaunlich schwer reden kann. Wir sollten ihr ein wenig Zeit lassen.«

Nach dem ganzen Geschrei war Minerva das recht. »Schon gut. Nur – was tun wir jetzt? Haben wir einen Plan?« Einfach nur rumsitzen und warten, dass das Schicksal sich ihnen zuwandte, brachte sie nicht über sich.

Elphinstone straffte sich sichtlich. Der Ministeriumsbeamte in ihm übernahm einmal mehr die Führung. Immer professionell, um keine Antwort verlegen. »Nun, wir sind quasi tot oder nicht? Zumindest glauben das die Lestranges und sogar in der Zeitung wird von unserem Verschwinden berichtet. Also, was tun Tote?«

»Nicht viel für gewöhnlich.«

»Totgesagte leben länger.« Elphinstone zwinkerte. »Wir brauchen neue Zauberstäbe und dann bringen wir die Wahrheit ans Licht. Aber zuallererst sollten wir ins St. Mungo gehen. In Verwandlung, versteht sich. Ich will, dass du diese Essenzen für Fluchopfer bekommst, die auch Robbie bekommen hat. Sicher ist sicher. Und wenn wir schon da sind, finden wir vielleicht auch heraus, wie es den anderen geht und was den Gefangenen angetan wurde. Oder ob sich dieser Fluch aufheben lässt.«

Seine Zuversicht brachte das Lächeln auf Minervas Züge zurück. »Das klingt gut, wenn wir nicht unbedingt mit Flohpulver reisen. Das ... reizt mich gerade nicht sonderlich.« Im Gegenteil – der Gedanke an eine Reise durch Flammen brannte auf ihrer neugewachsenen Haut. »Was hältst du von einem kleinen Ausflug? Gibt es hier irgendwo Besen?«



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