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Stichflamme

Der Aufstieg des Phönix
von

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Zweiter Anlauf

Ein Kehrflieger 4Max war nicht gerade der Porsche unter den Flugbesen (nicht einmal unter den Familienbesen), doch die schottische Weite dahinziehen zu sehen war allemal herrlich. Aus Rücksicht auf Elphinstone flog Minerva ohnehin nur im Tempo einer müden Wellhornschnecke. Er saß in dem Beifliegersitz hinter ihr, der gestützt von einem Stabilisierungszauber zur Seite des Besens baumelte, sodass er es ziemlich bequem hatte. Aber sicher war sicher.

Ein paar Meilen unterhalb von Loch Ness hatte sich grüne Farbe in sein Gesicht geschlichen und kurz vor Glasgow waren ihm die lockeren Sprüche über kuriose Wolkenformationen versiegt. Zwar beanstandete er ihre Flugkünste mit keinem Wort, doch Minerva musste nicht hellsehen, um zu bemerken, dass seine Verletzungen zusätzlich zur Höhenangst an ihm zehrten. Also drosselte sie das grundsätzlich langsame Tempo des scamander’schen Familienbesen weiter und genoss die Aussicht umso mehr.

Der schottische Himmel belohnte ihre Umsicht mit einer steifen Brise, die sämtliche ungebetene Gedanken aus ihrem Kopf pustete. Elphinstone, der dann und wann nach ihrer Hand am Besenstil tastete, um ihren Handrücken mit beruhigenden (und recht verschwitzten) Kreisen zu versehen, tat sein Übriges für das Gefühl aus grenzenloser Freiheit gemischt mit Geborgenheit.

Dieser Ausflug war etwas ganz anderes, als in halsbrecherischer Geschwindigkeit über die Highlands zu jagen und Haarnadelkurven zu vollführen, bei denen der Magen nicht hinterherkam. Auf seine Art war dieser Besenflug allerdings nicht minder aufregend, Minervas Inneres schlingerte gar – wann immer Elphinstone seine Wange an ihre Schulter lehnte.

Als sie schließlich auf Höhe der schottisch-englischen Grenze niederging, den Besen mit einem Zauber versteckte und das letzte Stück nach London Seit-an-Seit mit Elphinstone apparierte, empfand sie glatt Vorfreude auf den Besuch in Ollivanders Zauberstabladen.

Solange sie einander hatten, würde alles gut werden. Sie würden wie der Phönix der Asche entsteigen und diese Sache zu Ende bringen, immerhin waren sie auch dem Lestrange-Anwesen entkommen. Zuversicht keimte in ihrer Brust auf, wie die ersten Sprösslinge im Frühling aus der winterharten Erde auftauchten. Wenn da nicht zuerst der Pflichtbesuch im St. Mungo anstünde.

Minerva konnte sich nicht an ihren letzten Besuch in dem Hospital erinnern und das war gut so. Egal ob Muggelkrankenhaus oder magische Heileinrichtung – beides zeichnete sich durch stechenden Geruch und gedrückte Stimmung aus. Wenn möglich setzte sie keinen Fuß an diese Orte. Sie besuchte ja nicht einmal den Krankenflügel in Hogwarts gerne, erinnerte er sie doch an das unrühmliche Ende ihrer Quidditchkarriere mitsamt gebrochenen Rippen.

Kaum, dass sie sich im Foyer des St. Mungo materialisiert hatten, erfüllte auch schon das unnachahmliche Gemisch aus Heilkräutern und Desinfektionszaubern Minervas Lungen. Genau wie jedes Krankenhaus bemühte St. Mungo sich, eine freundliche Atmosphäre auszustrahlen, aber der traurige Gummibaum, der Neuankömmlinge im Apparierbereich empfing, entlockte sowohl ihr als auch Elphinstone ein Seufzen.

Dank diverser Verwandlungszauber hatten sie beide eine unscheinbare Gestalt angenommen und der Empfangszauberer widmete ihnen keinen zweiten Blick, sobald klar wurde, dass es sich nicht um einen Notfall handelte. Statt sie am Tresen anzumelden, führte Elphinstone Minerva zielstrebig an den wandelnden Zauberunfällen im Wartezimmer vorbei ins Treppenhaus.

Vier Treppen kämpften sie sich empor, bis sie in einem langen Flur landeten, in dem diverse Untersuchungszimmer untergebracht waren. Die Beschriftung neben den Flügeltüren informierte Minerva, dass sie sich in der Aufnahme für Fluchschäden befanden. Weiter hinten zweigten Türen zu den spezialisierten Stationen ab. Allein beim Anblick der schlichten Aufschrift ‚Langzeitstation für Fluchgeschädigte‘ verknotete sich etwas in Minervas Magen.

Obwohl es hier ebenfalls einen Wartebereich gab, geziert von einer weiteren Pflanze mit schlappen Blättern, nahm Elphinstone nicht Platz, sondern drückte eine Tür auf, deren Schild eindeutig verkündete, dass Unbefugte keinen Zutritt hatten.

Minerva konnte den Raum nicht einsehen, aber sie bekam wohl mit, dass eine entrüstete Frauenstimme ihn zurechtwies – oder weisen wollte –, doch er unterbrach sie schlicht, stellte sich als Mr. Grant vor und erkundigte sich nach ihrem Kollegen, bei dem er einen Termin hätte und der schon fünf Minuten zu spät sei.

Im Bruchteil einer Sekunde schlug der Ton der Heilerin in honigsüße Freundlichkeit um, in dem sie ihm versicherte, sich umgehend zu kümmern. Mit einem zufriedenen Lächeln schloss Elphinstone die Tür wieder und nahm erneut Minervas Hand, wobei er ihren fragenden Blick überging. Er brachte sie in ein Behandlungszimmer, unter dessen Decke mehrere Zaubersphären schwebten, die kaltes, weißes Licht verströmten.

Überhaupt war alles sehr ... weiß. Der Boden, die Wände, der Vorhang, die gepolsterte Untersuchungsliege – selbst die Töpfe der Blumen auf der Fensterbank. Wobei diese Exemplare deutlich besser gepflegt anmuteten als ihre traurigen Vettern draußen. Trotzdem runzelte Elphinstone bei ihrem Anblick die Stirn. Mit einem leisen »Tsss« streichelte er die Blätter eines blütenlosen Gewächses, das zur Antwort seine Triebe schüttelte.

Erschrocken über so viele Grenzübertretungen, war Minerva drauf und dran, ihn zurechtzuweisen, da flog die gerade geschlossene Tür wieder auf.

Limonengrün – das war ihr erster Eindruck. Eine Farbe, die nur den wenigsten Menschen stand, ob nun in der Heilerzunft oder nicht. Der Umhang in eben jenem Grün bauschte sich ballonartig hinter dem Mann auf, der in den Raum gestürzt kam, als erwarte er, jemand tödlich verletzten vorzufinden.

»Oh Gott Elph, was –« Der dunkelhäutige Zauberer blieb wie von der Ganzkörperklammer getroffen stehen. Er sah von Elphinstone zu Minerva und es war offenbar, dass er nicht mit diesem Anblick gerechnet hatte.

Dafür erkannte Minerva ihn wieder. Es war derselbe Heiler, der sich nach dem Brand in Gringotts um Robbie gekümmert hatte. Sie starrte ihn an, denn die nächste Erkenntnis traf sie ebenso unvermittelt wie ihre Anwesenheit ihn.

»Oh Gott ...«, echote sie. Nicht »Oh Merlin«. Das konnte nur bedeuten – sie unterdrückte ein Lachen. Eigentlich war es so offensichtlich, die ganze Zeit schon, und trotzdem setzte sich das Bild erst jetzt vor ihren Augen zusammen, als sie Elphinstone ansah, der immer noch die Topfpflanze ... kraulte.

»Reg dich nicht auf Archie, ich bin’s wirklich. Ist die Tür richtig zu?«

Der Heiler ließ sich gegen eben jene zurücksinken, sodass sie deutlich hörbar ins Schloss klickte. Mit den Fingerspitzen massierte er seine Schläfen, dann seufzte er. Jedes Wort überdeutlich betonend sagte er: »Was zur Hölle?«

In einer fließenden Bewegung verschwammen Elphinstones Züge und schließlich gaben die Verwandlungszauber den Blick auf sein wahres Gesicht frei. Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Nette Begrüßung, Arch. Ich freue mich auch, dich zu sehen.«

»Na hör mal ...« Ohne die Finger von der Stirn zu nehmen, stieß der Heiler sich von der Tür ab und ging einige – zögerliche – Schritte auf Elphinstone zu. Er sah ihn an, als fürchte er, dass er sich vor seinen Augen in Wohlgefallen auflösen könnte. »Was soll ich denn denken, wenn du plötzlich hier auftauchst – ausgerechnet unter diesem Namen, auf diesem Weg! Und nach allem, was in der Zeitung steht ... Ich meine, Mr Grant wird wohl nicht so wie früher auf ein Techtelmechtel in der Mittagspause aus sein –«

»Nein, das ist Mr Grant selbstverständlich nicht«, fiel Elphinstone seinem einstigen Verlobten sanft, aber nachdrücklich, ins Wort. »Es handelt sich um einen Notfall und du hinterlässt gerade bestimmt einen wunderbaren ersten Eindruck bei Minerva. Was soll sie nur von uns denken?«

Das »Na, eigentlich kennen wir uns ja schon« konnte Minerva sich nicht verkneifen. Mit einem entschuldigenden Lächeln ließ sie ebenfalls ihre richtigen Gesichtszüge durch die kosmetischen Verwandlungszauber blitzen. Irgendwie verstand sie ja, dass Elphinstones früherer Lebenspartner ob dieses Überfalls keine Freudensprünge machte – weiter überdachte sie den Austausch der beiden lieber nicht.

»Minerva McGonagall. Schön, Sie einmal richtig kennenzulernen, ohne brennendes Verlies im Hintergrund. Und die Heilung meines Bruders hat jedenfalls einen guten Eindruck hinterlassen.«

Der Heiler senkte seine Schultern, ebenfalls ein verlegenes Lächeln im Gesicht. »Oh, ähm – Archibald Hastings.« Offenbar nervös, wischte er die Hände an seinem Umhang ab. »Wobe ich – also wenn es Ihnen – dir? – nichts ausmacht, die Höflichkeitsformen auch ruhen lassen würde. Irgendwie hat Elph mir in den letzten Jahren so viel von dir erzählt ... da habe ich fast das Gefühl, dich schon zu kennen.«

An seinen Wangen, die sich dunkel färbten, konnte Minerva ablesen, dass eine ihrer Augenbrauen himmelwärts gewandert war und wohl ihre Überraschung (oder eher Irritation?) verriet. In dem folgenschweren Schweigen warf sie Elphinstone einen Blick zu, doch der sah ausschließlich auf die Pflanzenerde, die er zwischen den Fingern zerrieb. Immerhin waren seine Ohren anständig rot.

»Also ...«, sagte der Heiler und sah unsicher hin und her, »nenn mich ruhig Archie, das tun die Meisten ...«

Minerva zwang ein Lächeln empor. »Gerne ... Archie. Wenigstens etwas hat Elphinstone mir schließlich auch von dir erzählt.« Sie hielt es nicht für die richtige Gelegenheit, von ihrem Ausflug in Albus’ Erinnerung zu berichten, aber zumindest begriff sie das Gefühl, ihr Gegenüber ebenfalls schon zu kennen.

»Wunderbar, wunderbar ...«

Archie ergriff Minervas ausgestreckte Hand und überraschte sie mit einem derart kräftigen Händedruck, dass sie unwillkürlich zusammenzuckte. Ein Schmerzblitz jagte durch ihren Arm. Der verlegene Ausdruck auf Archies Gesicht wuchs. Obwohl er einen Kopf größer war als sie, schrumpfte er förmlich in sich zusammen.

»Oh nein – Verzeihung! Da gehen meine guten Manieren dahin ...« Betreten fuhr Archie sich über die kurzen, lockigen Haare. »Ich hoffe, ich habe nicht allzu fest zugepackt?«

»Halb so schlimm.« Mit einem nachsichtigen Lächeln schüttelte sie den Kopf. »Man kann einem den Cruciatus schließlich nicht an der Nasenspitze ansehen – und eigentlich geht es ja auch, es ziept nur hin und wieder ...«

Zum zweiten Mal am Tag kassierte der gänzlich unbeteiligte Elphinstone einen bösen Seitenblick, dieses Mal von Archie. »Hättest du das nicht direkt sagen können?«

Von neuer Vorsicht erfüllt besah Archie Minerva wie ein rohes Ei. Sie winkte ab, ein weiteres »Halb so schlimm« auf den Lippen, doch Elphinstone kam ihr zuvor.

»Ich habe dir gesagt, dass es ein Notfall ist, Archie. Und wenn du nicht drauf und dran wärst, das hier für uns alle unangenehmer zu machen als nötig, hätte ich dir auch sofort gesagt, was dieser Notfall ist. Denn im Gegensatz zu Minerva mache ich mir gewisse Sorgen um ihren Zustand.«

Archie nestelte mit tiefdunklen Wangen an einem Knopf seines Umhangs, auf dem das St. Mungo-Wappen aus gekreuztem Zauberstab und Knochen eingeprägt war, dann richtete er sich wieder zu voller Größe auf. Als er hochsah, hatte der Heiler in ihm die Führung übernommen.

»Cruciatus also? Gut, dann muss ich für eine erste Anamnese wissen, wann das passiert ist, wie oft und wie lange. Ungefähr.«

»Sie war dem Fluch bis gestern mehrfach nacheinander ausgesetzt – drei Mal müsste es gewesen sein – und das über längere Zeit ...« Die Qual in Elphinstones Gesichtsausdruck wuchs und sein Blick flackerte zwischen Minerva sowie der Pflanze, deren pelzige Blätter er liebevoll mit Daumen und Zeigefinger rieb, hin und her. »Ich weiß nicht wie lange, ob eine halbe Stunde oder doch eher zwei ... Es hat sich angefühlt wie eine Ewigkeit.«

Die Verbitterung in seinen Worten schlang einen Knoten in Minervas Hals. Alles in ihr schrie danach, ihn in die Arme zu nehmen; ihn festzuhalten und daran zu erinnern, dass es in Ordnung kommen würde.

Archies sanfte Berührung an ihrer Schulter löste ihre kurzzeitige Starre. »Kannst du mir die Auswirkungen des Fluchs beschreiben? Welche Art von Schmerz empfindest du jetzt noch?«

»Ich – alos ich bin ohnmächtig geworden.« Sämtliche klugen, wortgewandten Erwiderungen waren auf einen Schlag aus Minervas Kopf verschwunden. Da pochte nur wieder der Schmerz wie ein zweites Herz und ließ keine Worte durchdringen.

»Okay. Das reicht erstmal. Lass mich sehen, wie ich dir helfen kann.«

Archies Hand blieb auf Minervas Schulter. Er nahm sie nicht fort, sondern führte sie zu der Liege unweit von Elphinstone und setzte sie dort mit sachter Bestimmung ab. Auf einen Schlenker seines Zauberstabs, den er aus dem limonengrünen Umhang zog, flog eine Phiole herbei. Darin rasselten die kleinen blauen Kugeln, die er auch schon Robbie verschrieben hatte.

Etwas verlegen ließ Minerva sich von Archie mit Diagnosezaubern untersuchen, während Elphinstone in voller Breite die Geschehnisse seit ihrer letzten Begegnung in Gringotts wiedergab. Inzwischen hatte er darin eine gewisse Routine.

Ihr erster Eindruck von Archie erwies sich als berechtigt – seine angenehm tiefe Stimme in Kombination mit den gemächlichen Bewegungen strahlte eine Ruhe aus, die sich trotz der neuerlichen Schilderung ihrer Entführung auf sie übertrug. Dabei hätte es durchaus komisch sein können, vom früheren Verlobten ihres ehemaligen Chefs untersucht zu werden. Aber in diesen Maßstäben konnte sie wirklich nicht mehr denken.

Hin und wieder bat Archie sie, ein- und auszuatmen oder den Schmerz zu beschreiben, ansonsten lauschte er stumm. Nur die Falten auf seiner Stirn gruben sich mit jedem Satz Elphinstones tiefer, bis er glatt zehn Jahre älter aussah. Insbesondere Minervas Einwurf zu Elphinstones eigenen Verletzungen, die dieser elegant überspielte, verdunkelte seine Züge.

Wenigstens kam Archie zu dem Schluss, dass Minervas Körper sich ebenso tapfer wie ihr Geist gegen den Cruciatus gewehrt hatte und die Schmerzen bei regelmäßiger Einnahme der Anti-Fluch-Essenzen in den nächsten Tagen gänzlich verschwinden würden. Eine bleibende Nervenempfindlichkeit war nicht auszuschließen, aber das wäre behandelbar.

Elphinstone, der inzwischen sämtliche toten Blätter der Topfpflanzen entfernt und in einem Nebensatz einen seltenen Wolllausbefall festgestellt hatte, erstrahlte bei dieser Diagnose. Ohne den Pflanzen einen weiteren Blick zu widmen, trat er zu Minerva an die Liege. Neben ihr stehend war er ausnahmsweise größer, sodass er mühelos seine Lippen auf ihren Scheitel drücken konnte.

»Den Gründern sei dank.«

Er legte etwas unbeholfen die Arme um sie und sie sog seinen inzwischen wohlbekannten Geruch tief ein. Mit gesenkten Lidern genoss sie jede Sekunde, während er an Archie gewandt seine Erzählung mit ihrer Flucht an den Loch Ness beendete.

»Gott ... ich weiß nicht, was ich sagen soll«, hauchte Archie in die folgende Stille hinein. In seinen Händen klirrten die übriggebliebenen Essenzen gegen die Glaswände der Phiole. Seine Stimme blieb ruhig, nur die Finger zitterten. »Das erinnert mich so sehr an das fünfte Schuljahr. Nur schlimmer, viel schlimmer.«

Minerva ahnte, woran er dachte. An Riddle und seine Spießgesellen.

»Ich fürchte, damit hast du recht.« Elphinstone nahm einen Atemzug, der sich anhörte wie das erste Luftschnappen eines Ertrinkenden. »Und es fängt gerade erst an.«

Die beiden Männer sahen einander lange an, ein wortloser Austausch, der von ihrem jahrelangen Band zeugte. Schließlich streckte Archie fragend eine Hand aus. Elphinstone ergriff sie ohne Zögern – aber Minerva hielt er trotzdem weiter fest. Mindestens ebenso liebevoll wie eben die Pflanzenblätter, drückte er Archies Finger und ihre Schulter.

»Arch, du weißt, dass ich ... Ich kann es nicht zulassen, dass so etwas passiert. Lass die Zeitung schreiben, was sie wollen, aber ich – wir – werden das zu Ende bringen. Das sind wir denen, die sich nicht wehren können, schuldig.«

»Ich weiß. Ich kenne dich doch. Und das habe ich immer an dir geliebt.« Archie straffte sich. »Vielleicht kann ich euch ja helfen. Immerhin behandeln wir einige Patienten, die in diese Explosion verwickelt waren. Und – na ja, die Leichen der Toten liegen unten in der Rechtsmedizin. Eigentlich kümmert sich eine der älteren Kolleginnen darum, aber ... ich kann ihr ja meine Unterstützung anbieten. So viel wie Rose flucht, ist sie wahrscheinlich dankbar über jede Hilfe. Dann kann ich Ausschau nach diesem Fluch halten.«

»Das wäre wirklich großartig«, sprudelte es erleichtert aus Minerva hervor. »Am besten du gehst gleich auf Albus oder Poppy zu, wenn sie mit den Kindern herkommen – sag ihnen ruhig, dass du das mit mir besprochen hast. Nicht, dass sie womöglich noch in die falschen Hände geraten ...«

Ein warmes Funkeln erhellte Archies Augen, als er ihr zunickte. »Abgesehen davon sollte es wohl nicht schaden, wenn ich ein paar Nachforschungen anstelle. Gerade bezüglich der Sache mit den manipulierten Gedächtnissen ... Wenn es sein muss, rede ich meinetwegen sogar mit Mulciber. Sollte der mich nicht nerven, dann müssen wir uns ganz offiziell Sorgen machen.«

Das entlockte Elphinstone ein Glucksen. »Das würdest du dir antun?«

Archie stimmte mit einem leisen Lachen zu. »Verrückt, ich weiß, aber ja, das würde ich tun. Im Interesse der Allgemeinheit. Und ihr könnt eure Tarnung schließlich nicht einfach so auffliegen lassen, so viel verstehe ich.«

Elphinstone drückte Archies Hand erneut, ehe er sich sanft zurückzog. »Danke. Du hast was gut bei mir. Wirklich, danke –«

»Oh, freu dich nicht zu früh. Zu dir kommen wir noch.« Archie musterte seinen Ex eindringlich. »Nichts gegen Eilean, aber ich will mir diese Fluchwunden mit eigenen Augen ansehen. Ganz abgesehen von diesen schwarzen Spuren. Ich muss dich wohl nicht daran erinnern, dass das mein Spezialgebiet ist? Wenn ich etwas unternehmen soll, brauche ich einen Anhaltspunkt.«

Schon schienen die Topfpflanzen wieder in Elphinstones Interesse zu steigen. Zumindest verrenkte er den Kopf in ihre Richtung. Doch Archie nickte unbarmherzig zu dem Vorhang hinter ihnen.

»Bitte einmal den Oberkörper freimachen.«

»Das hast du auch schon einmal netter gesagt.«

»Und netter gemeint.«

Nicht ohne tiefes Seufzen kam Elphinstone Archies Aufforderung nach. Obwohl der weiße Vorhang erstaunlich blickdicht war – vermutlich dank Magie – wandte Minerva sich mit hochrotem Kopf ab. Sie rutschte von der Liege und stellte sich vor den Medizinschrank. Um Ablenkung bemüht las sie die Etiketten der Glasfläschchen darin und versuchte, daraus bekannte Zaubertränke abzuleiten.

Eine willkommene Beschäftigung, denn hinter sich hörte sie genau, wie Archie die Luft einsog. Wenn ein Heiler das tat, musste es ein schlechtes Zeichen sein. Sie wusste es einfach. Und ihr reichte schon der Anblick von Elphinstones schwarz hervortretenden Adern.

»Verdammt Elph ...«

»Guck nicht so. Bitte. Das wird schon ...«

War das nicht, was Heiler sagen sollten? Jedenfalls nicht die Patienten. Archies nächste Worte verstand sie nicht mehr, dafür senkte er die Stimme zu sehr. Doch sie sah die Trankzutaten, welche er per Aufrufezauber zu sich schweben ließ.

Salbei, Nieswurz, Diptam ... Minerva scheiterte daran, nicht auf das Geschehen hinter dem Vorhang zu achten. Sie bekam genau mit, wie Archie das ein oder andere unbeschriftete Döschen herbeirief, woraufhin ein scharfes Zischen gefolgt von einem leisen »Au« Elphinstones zu hören war. Allein dadurch kam ihr diese Behandlung noch länger vor als die Folter im Lestrange-Anwesen.

Sobald Archie endlich fertig war und Elphinstones Kleider wieder an ihrem Platz waren, wollte sie sich am liebsten gar nicht umdrehen. Die Angst, was sie aus ihren Gesichtern lesen könnte, war zu groß. Doch natürlich tat sie es trotzdem – und biss sich prompt auf die Lippe.

Archie hatte Elphinstone in eine kräftige Umarmung gezogen. Was immer er mit den Heilmitteln bewirkt hatte, es musste geholfen haben. Noch am Morgen hatte Elphinstone sie schließlich nicht in die Arme schließen können. Und vielleicht genau deswegen war Minervas Mund schrecklich trocken beim Anblick dieser Geste. Trotz fünfzehn Jahren Trennung sahen die beiden so ... vertraut aus.

Eifersucht war der Situation vollkommen unangemessen und dennoch schwelte die hässliche Andeutung dieses Gefühls in ihr. Archie hatte jedes Recht, sich genauso Sorgen um Elphinstone zu machen. Außerdem sah sie ja selber, was Elphinstone in ihm gesehen haben musste; diese Sanftheit und den Charme. Also schluckte sie die irrationale Emotion hinunter und konzentrierte sich stattdessen auf die Wärme, die von dieser freundschaftlichen Geste ausging.

»Pass bitte auf dich auf«, murmelte Archie leise, doch laut genug, dass Minerva es gerade so verstand. »Wirklich Elph, ich möchte nicht so bald zu deiner Beerdigung eingeladen sein. Lieber wäre ich erstmal Gast auf deiner Hochzeit.«

Ein unbestimmter Laut kam von Elphinstone. »Ich gebe nicht unbedingt gutes Heiratsmaterial ab, das weißt du selber am Besten. Aber ist ja auch egal. Ich geb mir trotzdem Mühe, immerhin hänge ich auch so an meinem Leben. Außerdem habe ich Minerva, die ist richtig gut darin, mir den Hintern zu retten.« Zögerlich schob er sich aus Archies Armen und warf einen raschen Blick zu ihr, bevor er seinem ehemaligen Verlobten auf die Schulter klopfte. »Danke. Wir sehen uns ja? Du schreibst uns, wenn du etwas herausgefunden hast?«

»Sicher. Und bis dahin – keine potentiell tödlichen Duelle, okay?«

»Nur ein Besuch bei Ollivanders, Arch. Das wird ja wohl noch drin sein?«

»Gerade so.«

 

Dieses Mal apparierte Elphinstone und bevor die Farbwirbel sich vollständig aufgelöst hatten, erkannte Minerva bereits, dass sie nicht in der Winkelgasse gelandet waren. Sie roch frittierten Fisch und hörte das Kreischen von Möwen. Mit einem verwirrten Blinzeln begriff sie, dass sie in einem muggelgeschützten Apparierbereich nahe der Tower Bridge standen.

»Phin –«

Weiter kam sie in ihrer Frage nicht. Er zog sie von den markierten Steinen ein paar Schritte ins regnerische Muggellondon – und in seine Arme. Im Gegensatz zum Morgen begnügte er sich nicht mit halben Sachen. Seine Umarmung war zwar vorsichtig, aber das reichte, um selbst den Besenflug verblassen zu lassen.

»Das wollte ich die ganze Zeit schon machen«, seufzte Elphinstone leise in ihr Haar. »Ich bin ja doch froh, dass Archie so ein hartnäckiger Heiler ist. Dich gar nicht festhalten zu können war ... schlimm.«

Minervas Lippen spannten sich zu einem Lächeln, das in ihren Wangen zog. Vorsichtig legte sie die Hände um seine Taille. »Wie viel besser ist es denn?«

Umgehend drückte er sie fester an sich. »So viel. Vielleicht nicht die Welt, aber es fühlt sich für mich gerade so an.«

Sie vergrub das glückliche Strahlen am Kragen seines Mantels und schlang die Arme ihrerseits etwas enger. Außer ihnen waren kaum Menschen entlang der Themse unterwegs, nur ein paar fotowütige Touristen mit sperrigen Kameras, die sich nicht einmal vom berühmten englischen Regen abhalten ließen. Niemand interessierte sich dafür, dass Minerva ihre Verwandlungszauber nicht mehr sonderlich unter Kontrolle hatte oder dass Elphinstone zusammenhanglose Dinge auf Gälisch flüsterte.

»Kommst du wirklich wieder in Ordnung?«

»Wenn Archie dafür verantwortlich ist ... ja. Vielleicht noch nicht morgen, aber bald. Er wird einen Weg finden.«

Erleichtert drückte Minerva ihn ein winziges bisschen fester. »Zum Glück –«

»Ähem – entschuldigen Sie?«

So viel zum allgemeinen Desinteresse. Minerva zuckte derart zusammen, dass Elphinstone keuchte, doch vor ihnen stand nur ein junges Mädchen, vielleicht vierzehn oder fünfzehn. Ihr Haar war unter einem Kopftuch festgesteckt und mit einem schüchternen Lächeln streckte sie Minerva ein glänzendes Papier entgegen, das direkt aus ihrer klobigen Kamera zu kommen schien.

»Ich will nicht unhöflich sein, aber Sie beide sind auf dem Foto drauf, das ich von der Brücke geschossen habe – da dachte ich, Sie wollen es vielleicht haben?«

Überrumpelt musterte Minerva das kleine, quadratische Bild, auf dem verwaschen die Tower Bridge zu sehen war und davor sie und Elphinstone. Nicht, dass man das wirklich erkennen konnte, sie waren im Prinzip nur ein einziger dunkler Fleck aus umeinander geschlungenen Armen mit blonden und schwarzen Haaren. Aber das reichte, damit sich eine dicke Kröte in ihrem Hals breitmachte.

»Oh ...« Minerva blinzelte, da sie nicht wusste, ob es noch Regentropfen oder schon Tränen waren, die sich in ihren Wimpern verfingen. »Nun, das ist Ihr Foto –«

»Ach nein, ich mache hier nur Promotionsaufnahmen, da kann ich so ein Bild tatsächlich nicht gebrauchen«, wiegelte das Mädchen ab. »Wissen Sie, das hier ist eine Sofortbildkamera, die gibt es noch gar nicht auf dem Markt! Mein Vater hat sie erfunden, aber damit wir auch die Investoren überzeugen können, brauchen wir ein paar schlichte Aufnahmen. Nur hab ich Sie da nicht stehen sehen ... und bevor wir den Ausdruck entsorgen ...«

»Also dann ...« Überrumpelt nahm Minerva das kleine quadratische Papier entgegen. »Ich danke vielmals!«

»Nicht der Rede wert! Vielleicht denken Sie ja dran, wenn Sie die Kamera irgendwann im Laden sehen.« Das fremde Mädchen lächelte fröhlich und spazierte von dannen, um eine neue Aufnahme zu machen, sich der Tatsache völlig unbewusst, dass sie Minerva gerade einen innigen Wunsch erfüllt hatte.

Elphinstone verrenkte sich den Hals, um einen letzten Blick auf die merkwürdige Kamera zu bekommen und Minerva reichte ihm zur Ablenkung das Foto, das er prompt schüttelte. Als erwarte er, dass es dadurch in Bewegung geraten würde.

»Erst die Mondlandung und jetzt kleine Sofortbilder?« Er stieß einen Pfiff aus. »Schade nur, dass es sich nicht bewegt.«

»Damit man die Regentropfen fallen sieht? Ich glaube nicht, dass wir uns viel bewegen würden, wenn es ein magisches Bild wäre. So oder so, für mich ist es perfekt.« Minerva schnappte ihm das Foto wieder aus den Fingern. »Sag mir lieber, warum wir an der Themse sind. Hat Ollivanders hier seit Neustem eine Filiale zwischen den Fish ’n’ Chips-Buden?«

»Nicht ganz«. Elphinstone lächelte breit. »Aber Fish ’n’ Chips ist ein gutes Stichwort. Hast du Hunger?«

 

Ein paar Minuten später saßen sie mit zwei Tüten Fish ’n’ Chips inklusive Erbsenpüree und einem großzügigen Schuss Malzessig auf einer Bank am Flussufer. Das Essen war gnadenlos überteuert, doch Elphinstone hatte tatsächlich eine passende Pfundnote zutage gefördert, mit der er einigermaßen routiniert bezahlt hatte.

»Entschuldige bitte den kleinen Ausflug, aber ...« Er seufzte, während er seine Pommes durch das Erbsenpüree zog. »Ich muss den Kopf freibekommen. Das Hospital hat einfach so eine Atmosphäre, da kribbelt es mir am ganzen Körper. Wusstest du, dass ich auf der Suche nach der Filiale dieser Bäckerei, in der du immer deine Kekse gekauft hast, über diese Fish ’n’ Chips-Bude gestolpert bin?«

Erstaunt sah sie auf. »Du hast die Bäckerei gesucht?«

»Gesucht und nie gefunden. Ich glaube mittlerweile, dass die dicht gemacht haben. Ich wollte dir eigentlich mal deren Kekse mitbringen, aber ja ... daraus ist nie etwas geworden. Dafür komme ich inzwischen gerne in der Mittagspause her, wenn ich das Ministerium nicht mehr sehen kann.«

»Das hast du nie erzählt.«

»Genauso wenig wie von Archie, mh? Ich habe unsere Unterhaltung aus Leeds noch nicht vergessen.« Elphinstone nahm einen winzigen Bissen seiner Pommes. »Ich weiß nicht mal, warum ich das nie getan habe. Es wäre so einfach gewesen. Ich meine – du hast gesehen, wir sind immer noch sowas wie ... befreundet. Es könnte wirklich schlimmer sein, ich passe sogar mal auf sein Adoptivkind auf. Sein Mann ist nett, wir verstehen uns wunderbar, aber ...«

»Ach ... ich nehme dir das nicht übel, Phin. Tut mir leid, falls es so rüberkam. Das wollte ich nicht. Ich war nur ... überrascht, dass du ihm von mir erzählt hast. Und ich gebe zu, es war mir ein bisschen unangenehm.«

»Gerade deshalb wäre es nur fair, hätte ich umgekehrt auch von ihm erzählt.« Elphinstone ließ den Kopf hängen. »Oh Merlin, es ist so lächerlich, dass ich mich vor dir geschämt habe, nur weil er mich quasi vor dem Altar hat stehen lassen. Ich meine ... wie erzählt man so etwas, ohne dass es klingt als wäre man das Problem? Vor allem, wenn man dann noch meint, es mit den Heiratsanträgen zu übertreiben ... Manchmal wundere ich mich doch, wie nachsichtig du mit mir bist. Das ist wirklich schäbiges Verhalten meinerseits.« Gepresst lachte Elphinstone auf. »Wahrscheinlich bin ich das Problem.«

»Hey, hey, hey – du bist kein Problem! Schon gar nicht für mich. Ich fände es eher unheimlich, wenn du noch ... selbstloser wärst.«

Elphinstone warf ihr einen Blick zu, dann färbten seine Ohren sich einmal mehr pink. »Oh Min ... trotzdem wünschte ich, dass ich dir von Archie erzählt hätte, bevor der Portschlüssel abgeflogen war.«

»Es ist nie zu spät. Jetzt kenne ich ihn ja sogar. Wenn das kein Anlass ist, weiß ich auch nicht. Außerdem ...« Schon knabberte Minerva wieder an ihrer Unterlippe. Das war ein Verhalten, das sie sich gar nicht erst angewöhnen durfte. »Ich will ehrlich sein – Albus hat mir letzte Woche eine seiner Erinnerungen gezeigt. Mit dir und Archie darin. Das habe ich dir bisher auch nicht erzählt, also ...«

»Oh.« Das Stück Fisch auf halbem Weg zum Mund, hielt Elphinstone inne. »Eine Erinnerung ... etwa ... die Sache mit Riddle?«

»Genau.«

»Verstehe ...«

»Es war, nachdem ich die Erinnerung von diesem Caius gesehen hatte. Albus wollte es mir nur wegen dir und Elladora zeigen, aber ja ... so habe ich Archie das erste Mal gesehen. Das war so nicht richtig, aber Albus hat darüber wahrscheinlich gar nicht nachgedacht. Manchmal ist sein Kopf so voller überlebensgroßer Dinge von weltgeschichtlicher Bedeutung, dass er gar nicht über solch vorgeblich kleine Sachen nachdenkt.«

Elphinstone schob sich den Fischhappen in den Mund und kaute sorgfältig, eher er sprach. »Ich werde dir das nicht nachtragen. Du hast schließlich nicht entschieden, in solchen Erinnerungen zu wühlen. Und abgesehen davon habe ich genauso ungeplant von deinem Dougal erfahren.« Er schüttelte langsam den Kopf, lächelte allerdings. »Alles ein bisschen durcheinander, aber das macht den Zauber aus, schätze ich.«

»Gibt es denn eine richtige Reihenfolge für so etwas? Also abgesehen davon, dass man nicht mit dem Heiratsantrag anfängt.« Minerva schmunzelte angesichts des Rots, das sich in Elphinstones Wangen vorwagte, und stupste ihn sacht an. »Aber wir sind schließlich auch sonst kein Durchschitt, von daher ...«

Mit einem Seufzen sah Elphinstone in seine Fish ’n’ Chips-Tüte. »Ich wollte doch nur nicht wieder all die Jahre warten und dann ... Das war dämlich, zehn Mal dämlich.«

»Ich verzeihe dir.«

Etwas ungläubig schüttelte Elphinstone den Kopf, doch er lächelte wieder. Zufrieden spießte Minerva ein besonders großes Stück Kabeljau aus ihrer Zeitungspapiertüte auf. Dahinter kam eine fettgedruckte Titelzeile zum Vorschein. Irgendwas mit einer Sperrung der Tower Bridge. Sie musste nicht lesen, um zu wissen, worum es ging. Die Reinblüter waren hier letzte Woche marschiert, auch wenn die Muggel das nicht wussten.

Viel eher interessierten sie die Fetzen des Artikels daneben über eine fortgesetzte Serie an (versuchten) Entführungen. Da war von einer jungen Familie und ihrer zehnjährigen Tochter in London die Rede ...

Minerva schnappte nach Luft. Die Muggel waren nur entkommen, weil die Täter angeblich von einem plötzlichen Lichtblitz verscheucht worden waren – rasch schaufelte sie mit ihrer kleinen Holzgabel weitere Pommes und Fischstücke beiseite. Doch der Rest des Artikels fehlte.

»Phin – passt deine Zeitungsseite zu meiner?«

»Was?« Mit vollem Mund starrte er sie an.

»Hier ist ein Bericht über eine versuchte Entführung drauf, aber da fehlt was. Doch so wie es sich liest, könnte das mit Magie zu tun haben – und somit mit den Lestranges.«

Im Eiltempo leerten sie ihre Tüten und kratzten das Erbsenpüree mit besonders großer Sorgfalt von dem Zeitungspapier. Trotzdem war die Tinte an einigen Stellen verschmiert. Aber es reichte, um zu erkennen, dass ihre auseinandergerollten Papierstücke in der Tat eine Seite ergaben.

Der Artikel über die beinahe entführte Familie war frisch vom gestern Abend und ob der dürftigen Informationslage nicht sehr lang. Doch spätestens bei der Erwähnung einer schwarzhaarigen Frau mit markanter Stimme als Übeltäterin war klar, dass es um die Lestranges ging.

»Sie sind also auch hier.« Minerva knüllte die fettigen Papiere zusammen und warf sie in einen Mülleimer. »Und sie versuchen weiter, ihr Experiment durchzuziehen. Aber nicht mit mir!«

Elphinstone seufzte. »Pause vorbei. Lass uns Zauberstäbe kaufen gehen. Je eher, desto besser.«

 

Beim Betreten des schummrigen Ladens in der Winkelgasse schlug Minervas Herz wieder so doll wie bei ihrem letzten – und einzigen – Besuch vor zwanzig Jahren. Sie mochte erwachsen geworden sein, doch die Aufregung angesichts des Zauberstabkaufs hatte sich kein Deut verändert, ebenso wenig wie das Ladengeschäft. Elphinstones Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ging es ihm ähnlich.

Staubige Schachteln türmten sich in den Regalen zu beiden Seiten und gaben Minerva das Gefühl, jederzeit von einer Lawine aus Zauberstäben erwischt werden zu können. Da half es auch nichts, dass sie nicht mehr die kleine Elfjährige war, die aufgeregt mit dem Taufarmband an ihrem Handgelenk spielte.

Da das Innere des Geschäfts höher denn breiter ausgelegt war, reichte selbst ein Halbriese nicht bis an die obersten Regalbretter. Ollivanders war von dem verkratzten Parkett bis zu den schwebenden Zaubersphären unter der fernen Decke von einer derart unveränderlichen, altertümlichen Magie durchzogen, dass selbst die mächtigsten Zauberer und Hexen zwischen den Zauberstäben von Ehrfurcht gepackt wurden.

Elphinstone hatte nicht einmal die kleine Silberglocke auf dem Tresen geläutet, da kam Garrick Ollivander aus dem Hinterzimmer herangeglitten. Der Mann hatte etwas Geisthaftes an sich. Das hatte schon die junge Minerva gedacht und heute bestätigte sich diese Annahme nur. Aus wässrig blauen Augen musterte der Zauberstabmacher sie, dann schlug er den Spitzenaufschlag seines Ärmels zurück, griff einen Karton aus einem Regal hinter sich und platzierte diesen mit spitzen Fingern auf dem Tresen vor ihnen.

»Ah ja, Miss McGonagall und Mr Urquart«, urteilte er beunruhigend treffsicher, trotz ihrer Vorkehrungen, möglichst wenig wie sie selbst auszusehen. »Bedauerliche Geschichte. Albus hat mir von Ihrem Kommen berichtet. Wirklich sehr tragisch, von dem Verlust zweier meiner treuen Zauberstäbe zu erfahren ...« Mr Ollivander seufzte tief. »Ich erinnere mich noch gut an Sie beide und die Stäbe, die Sie zu ihrem Träger erwählten. Beide sehr treu, mit einer Veranlagung zu komplizierter Magie und doch sehr unterschiedlich in ihrer Ausgestaltung. Nun, wohl an – auch meine Arbeit ist nicht unfehlbar, geschweige denn für die Ewigkeit. Gelegentlich müssen wir Abschied von Altem nehmen, um uns weiterzuentwickeln.«

Während Mr Ollivander sprach, strich er mit den Händen über die Pappschachteln in den Regalen. Staubflocken wirbelten auf und tanzten in den wenigen Sonnenstrahlen, die sich durch das Schaufenster hereinverirrten. Weder Minerva noch Elphinstone wagten es, ein Wort zu sprechen. Sie zuckten lediglich zusammen, als ein verzaubertes Maßband auf sie zuflog. Es schlang sich um ihre ineinander verschränkten Hände und schien sich keinen Deut daran zu stören, von ihnen beiden gleichzeitig Maß zu nehmen.

Schließlich zog Mr Ollivander eine weitere Schachtel hervor und setzte sie neben der Ersten auf den Holztresen. Mit einem Schwung seines eigenen Zauberstabs lüpften sich die Deckel und enthüllen den auf Samt gebetteten Inhalt. »Bitte, versuchen Sie es.«

Minervas Mund war staubtrocken, als sie mit beiden Händen den Zauberstab ergriff, auf den Ollivander deutete. Würde es klappen? Hoffentlich! Nur mit welchem Spruch ...

»Einfach schwingen«, sagte Mr Ollivander sanftmütig, »machen Sie Ihren Geist frei und lassen die Magie entscheiden.«

Neben Minerva hielt auch Elphinstone seinen potentiellen neuen Zauberstab in der Hand. Gemeinsam hoben sie die Stäbe und vollführten einen zögerlichen ersten Schwung. Ein Luftstoß raste aus Minervas Versuchsobjekt zur Decke hinauf, sodass die Zaubersphären durcheinandergewirbelt wurden. Noch bevor sie ihren Blick von der Unordnung zurückwandte, hatte Elphinstone seinen Stab bereits zurück in die Schachtel gelegt. Doch Minerva entging nicht, dass das kindliche Funkeln aus seinen Augen entschwunden war.

»Nein, nicht ganz«, murmelte Mr Ollivander, mehr zu sich, als zu ihnen. »Lieber ein anderer Kern, ja ...«

Doch auch die zweite Auswahl war nicht die Richtige. Geschweige denn die Dritte. Minerva brachte noch mehrere kleine Unfälle zustande, die ihr vor lauter Scham über das vermeintliche Unvermögen die Röte ins Gesicht trieben. Das war allerdings harmlos im Vergleich zu Elphinstone, der erst dem dritten Zauberstab überhaupt ein müdes Puffen entlockte.

Als Mr Ollivander die nächsten Schachteln vor ihnen ausbreitete, zog er nur die Augenbrauen zusammen und vollführte mit dem Stab einen schnellen Kreis auf Hüfthöhe. Ein Stapel Rechnungen neben der Kasse flatterte müde an den Ecken. Rasch legte Elphinstone auch dieses Stück beiseite.

Am liebsten hätte Minerva ihren nächsten Zauberstab gar nicht ausprobiert, gleichwohl er ihr in seiner Ausgestaltung gefiel. Dunkles, beinahe schwarzes Holz formte den Hauptteil des Stabs, wohingegen der Griff tiefbraun war. In das kugelförmige Ende war ein durchsichtiger Kristall eingearbeitet, in dem sich das Licht brach. Viel eleganter als ihr erster Zauberstab und länger obendrein. Er lag ganz anders in der Hand – kräftiger, weniger biegsam. Und doch schien das warme Holz in ihren Griff hinein zu schmelzen, sich anzupassen.

»Drachenherzfaser, wie Ihr letzter Stab, aber von einer anderen Spezies. Dazu Tanne, ein relativ frisches Holz. Bestens geeignet für Verwandlungen, wenn ich das sagen darf. Doch ein sehr wankelmütiges Stück, das bereits viele potentielle Träger ... abgelehnt hat.«

Unter den durchdringenden Augen Mr Ollivanders versuchte Minerva, sich die Sorge um Elphinstone nicht anmerken zu lassen. Ihre Gedanken waren derart von dem möglichen Verlust seiner Zauberfertigkeiten abgelenkt, dass der goldene Funkenschauer, den sie mit ihrer Geste beschwor, sie mehr überraschte als den Zauberstabmeister. Wie der Dampf aus der Teetasse am Morgen wand das Funkenband sich durch die Luft und strich knapp an Elphinstones Haarspitzen vorüber.

»Hervorragend, ja, wenn ich das so sagen darf – eine exzellente Wahl.« Mr Ollivander lächelte nicht, aber seine Stimme vibrierte mit Zufriedenheit, als er Minerva zunickte. »Nun, das gibt mir eine Idee. Wo habe ich ... Hier – nein ...«

Entschuldigend schenkte Minerva Elphinstone ein kleines Lächeln. Er schaffte es nicht, sie mit seiner Erwiderung zu täuschen. Während Mr Ollivander durch die Regalreihen streifte, sah Minerva schuldbewusst auf ihren neuen Zauberstab hinab, der sie erwählt hatte. Sie wagte es nicht, ihn weiter auszuprobieren, obwohl die Neugierde in ihr brannte.

Endlich kehrte Mr Ollivander zurück. Mit einem aufmunternden Lächeln sah er Elphinstone an und überreichte ihm persönlich den Zauberstab, den er gesucht hatte. »Erle, ein trickreiches Holz, noch dazu eines meiner frühsten Experimente mit unterschiedlichen Kernen. Heute verwende ich ungern pflanzliche Kerne, aber ich denke, einen Versuch ist es wert, nachdem Ihre Begleiterin von einem ebenso wählerischen Stab ausgesucht wurde.«

Elphinstone nickte knapp, doch an seinen abgehackten Bewegungen erkannte Minerva, dass er sich weit hinter die Fassade des Beamten zurückgezogen hatte. Sie trat an seine Seite und schob ihre Finger wieder zwischen seine, während er mit der anderen den Zauberstab schwang.

Ein helles Licht brach aus der Stabspitze hervor, wie silbrig-weißer Mondschein. Unglauben stand Elphinstone ins Gesicht geschrieben. Er beschrieb einige Wirbel mit der Hand, denen das Zauberlicht artig folgte. Kleine Funken sprühten hie und da auf. Jetzt lächelte Mr Ollivander doch.

»Ah, sehen Sie? Für jeden Zauberstab findet sich ein Besitzer. Es lohnt sich immer wieder, auch Risiken einzugehen und abseits ausgetretener Pfade zu wandeln.«

»Sind Sie ... sicher?« Elphinstone zog eine Schlaufe mit dem Zauberstab durch die Luft und verfolgte die Spur aus Licht mit den Augen.

»Der Zauberstab ist sicher«, entgegnete Mr Ollivander ungerührt. »Er singt in ihrer Aura.«

Minerva hob ihren eigenen Zauberstab und erneut stieben die warmen Funken aus ihm empor. Die Lichter verbanden sich miteinander. Der ganze Laden füllte sich mit dem Lichtspiel, dessen Schatten an Decke und Wänden wie von Wasser gebrochen anmuteten. Ein zögerliches Lächeln zupfte an Elphinstones Mundwinkeln.

»Ich kann zaubern«, flüsterte er, als wäre er ein Elfjähriger, der zum ersten Mal hier stand.

Die Erleichterung, dass Bellatrix’ Experiment seine Magie nicht vernichtet hatte, breitete sich zusammen mit dem strahlenden Licht in Minerva aus. Ihr inneres Pflänzchen der Zuversicht trieb erste Blüten und sie drückte Elphinstones Hand, bis sein Lächeln zu voller Größe heranwuchs.

»Die Lestranges werden es noch bereuen, uns mit neuen Zauberstäben zusammengeführt zu haben.«



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