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Unmasked

Kunikida/Dazai
von

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Meine beiden Kollegen entfernen sich mit jedem Schritt, den ich nach vorne setze, weiter von mir. Der Nebel schließt mich ein und bereits jetzt weiß ich nicht mehr, aus welcher Richtung ich gekommen bin. Mein Atem ist ruhig, jede Bewegung ist durchdacht und ich überlege mir jeden Schritt genau. In der Ferne höre ich ein Geräusch. Leise. Dumpf. Es könnte sich um den Atem unseres Verfolgers handeln oder um eine verzweifelte Person, die hier in diesem Wald ihren Frieden sucht. Ich folge dem Geräusch. Es ist direkt vor mir. Der Nebel ist so dicht, dass ich nicht mal mehr einen Meter vor mich sehen kann. Jeder Schritt könnte mein letzter sein. Vielleicht ist das hier auch eine Falle.

 

 

Entschlossen gehe ich weiter. Frische Fußspuren am Boden, durch das fahle Licht meiner Taschenlampe erkenne ich nur die Umrandung. Ich beuge mich herunter, lasse meine Finger über den feuchten Waldboden gleiten. Die Oberfläche der Fußspuren ist noch feucht, also wird mein Ziel in der Nähe sein. Noch einmal ziehe ich die Wärmekamera hervor. Mein Herz macht einen kleinen Aussetzer. Direkt vor mir hockt jemand am Boden. Hat er mich nicht gehört? Keine Zeit zum Nachdenken. Instinktiv stürze ich mich auf die Person vor mir, greife nach seinen Armen und drücke ihn auf den Boden. Die Person zeigt nur wenig Widerstand. Der fehlende Kampfgeist meines Gegenübers lässt mich innehalten.

 

 

„Au, au, au, au!“, höre ich die Person unter mir jammern.

 

 

Diese Stimme … !

 

 

„D-Dazai?!“, entweicht es meiner Kehle, sofort lasse ich ihn los und begutachte ihn. Das Licht der Taschenlampe richte ich auf ihn und Dazai murrt sofort.

 

 

„Hey, ich bin ungern im Rampenlicht!“

 

 

„Ich habe dich gefunden“, kommt es ungläubig über meine Lippen. Vorsichtig lege ich eine Hand auf die Schulter meines Kollegen, mehr um sicher zu gehen, dass sich dieses Bild vor meinen Augen keine übersinnliche Erscheinung ist. Vor mir sitzt Dazai Osamu.

 

 

„Bist du verletzt? Geht es dir gut?“ Ich bin unnatürlich aufgeregt, die Sorge steht mir offensichtlich ins Gesicht geschrieben.

 

 

„Nun, hätte mich ein gewisser Möchtegern Karatekünstler nicht brutal überfallen und auf den Boden geworfen, ginge es mir sicher besser.“

 

 

„Puh, es geht dir also gut“, sage ich und atme tief ein. Wenn er noch jammern kann, dann geht es ihm gut.

 

 

„Kunikida-kun nimmt mich gar nicht ernst! Schau, mein Knöchel ist verstaucht und ich habe mir sicher einige Rippen gebrochen!“

 

 

„Ja, ja... darum kümmern wir uns später.“

 

 

„Kunikida-kun ist einfach nur gemein“, grummelt mein Kollege und versucht sich aufzurichten. Er steht auf wackligen Beinen, wie ein junges Rehkitz, das gerade zur Welt gekommen ist. An seiner rechten Wange läuft Blut hinab, als ich genauer hinblicke, merke ich, dass er sich den Kopf angeschlagen haben muss. Vermutlich eine Platzwunde. Ich bin hin und hergerissen. Einerseits will ich ihn für all den Ärger, den er mir mal wieder beschert hat, ausschimpfen, doch andererseits kann ich nicht anders, als mir Sorgen zu machen. Wie schwer sind die Verletzungen? Wäre es nicht doch besser, er bliebe sitzen? Eine Kopfverletzung ist nicht zu unterschätzen.

 

 

Außerdem muss ich unsere Umgebung und die Situation, in der wir uns befinden, in Betracht ziehen.

 

 

„Warum bist du überhaupt hier?“, frage ich dann und bemühe mich darum, so seriös und belehrend wie immer zu klingen. Dazai braucht eine starke führende Hand, die sicherstellt, dass er nicht vom rechten Weg abkommt und auch wenn ich mich nie freiwillig für diese Rolle gemeldet habe und diese Verantwortung mir zuwider ist, so akzeptiere ich meine Pflicht.

 

 

„Oh! Ich war in einer Bar und plötzlich hat mir ein gut aussehender Mann einen Drink bezahlt. Wir kamen ins Gespräch und er war wirklich nett! Aber ich glaube, er hat mir irgendetwas in den Drink gemischt. Ich werde so selten eingeladen, da wollte ich den guten Whiskey nicht weggießen. Vielleicht KO Tropfen, na ja, ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass er mich umbringt, aber stattdessen bin ich hier aufgewacht!“

 

 

Dazai grinst und klatscht vergnügt in die Hände, als hätte er eine witzige Anekdote aus seinem Leben erzählt.

 

 

„Moment, du hast den Whiskey getrunken, obwohl du wusstest, dass er dir etwas rein gemischt hat?“

 

 

Ich starre Dazai ungläubig an, dieser neigt beinahe unschuldig seinen Kopf, sodass seine Haare in sein Gesicht fallen und sein zuckersüßes Lächeln unterstreichen.

 

 

„Natürlich~“

 

 

„Bist du denn von allen guten Geistern verlassen!? Du hättest den Barkeeper und die Polizei benachrichtigen sollen! Es hätte doch wer weiß was passieren können!“, schreie ich ungehalten und komme Dazai näher, der absolut kein Verständnis für meine mahnenden Worte aufzubringen scheint. Ich rüttele an seinen schmalen Schultern und frage ihn mehrmals, ob er auch wirklich in Ordnung ist. Ich werfe einen musternden Blick auf seine Kleidung.

 

 

„Verdammt, ich schlimmsten Fall hätte er dich umgebracht!“, schimpfe ich weiter, doch meine Worte schlagen gegen Beton.

 

 

„Hm, klingt mir nach einem Best Case Szenario~“, sagt er lächelnd und kichert amüsiert.

 

 

Ohne lange zu überlegen, verpasse ich Dazai eine schallende Ohrfeige. Dieser rührt sich nicht vom Fleck, hält sich seine Wange und zieht leicht verwundert die Augenbrauen hoch.

 

 

„Hör auf so über den Tod zu reden! Das ist verdammt noch mal nicht witzig!“

 

 

Dazai leckt sich über seine Lippen, leckt das Blut weg und sieht mich mit finsterer Miene an.

 

 

„Warum muss man leben?“, fragt er mich dann und sein Blick ist eiskalt.

 

 

„Warum?“, wiederhole ich empört und trete mit dem Fuß auf, mache eine abwertende Handbewegung, als würde ich etwas von mir wegschieben. Vielleicht ist das eine Art von Selbstverteidigung, vielleicht versuche ich unbewusst so Dazais harte Worte von mir abprallen zu lassen.

 

 

„Warum?! Wenn du stirbst, ist alles vorbei! Geht das nicht in deine Birne rein? Wie kannst du das so auf die lockere Schulter nehmen? Denkst du wirklich, dass du deine Probleme auf diese Art und Weise lösen kannst?“

 

 

Ich merke, dass in meinen Worten Verzweiflung mitschwingt, ich bin emotional aufgewühlt und schaffe es nicht, meine Gefühle zu unterdrücken.

 

 

„Denk doch mal an all die Leute, die du zurücklässt!“

 

 

Dazai stöhnt genervt und streift sich seinen Pony zur Seite, durch das Blut in seinem Gesicht, bleibt dieser genau so kleben, dass ich ihm direkt in die Augen sehen kann. Unsere Blicke treffen sich. Das hier ist die harsche Realität, der ich mich zu stellen weigere. Dazai ist suizidal. Ganz egal, was ich ihm sage, er versteht nicht, warum das Leben kostbar ist. Einmal mehr fordert er meine Überzeugungen heraus.

 

 

„Überall stehen hier Schilder, auf denen dasselbe geschrieben steht, wie das, was gerade eben aus deinem Mund gekommen ist. Sag mir, warum muss ich leben, wenn dieses Leben nur mit Schmerz verbunden ist? Du weißt genau, dass du mir darauf keine eindeutige Antwort geben kannst und deshalb schmeißt du mit diesen altbackenen Phrasen um dich.“

 

 

„Ich will mir nicht anmaßen, dich zu verstehen, dafür kennen wir uns nicht gut genug“, beginne ich, doch Dazai schnaubt verächtlich.

 

 

„Genau, wir kennen uns nicht gut genug, also steck dir deine gutgemeinten Ratschläge und Belehrungen sonst wo hin, okay?“

 

 

Ich will etwas sagen. Wie gehe ich mit jemanden um, der sich umbringen will? Wie rede ich mit einem Menschen, der so verzweifelt ist, dass er den Freitod als einzige Lösung sieht? Ich bin Detektiv und Mathelehrer, kein Therapeut. Das einzige, was ich tun kann, ist ein Auge auf ihn zu werfen und ihn zu beobachten. Für ihn da sein. Das ersetzen, was ihm fehlt.

 

 

„Trotzdem will ich nicht, dass du stirbst. Ich bin kein Arzt und ich will nicht behaupten, dass ich verstehe, was du durchmachst. Ich verstehe dich überhaupt nicht und das wird sich auch niemals ändern, wenn du einfach deinen Schwanz einziehst und mich zurücklässt!“

 

 

Plötzlich stehe ich wieder direkt vor Dazai, schüttele an diesem und versuche in meiner Hilflosigkeit, ihn von meinen Gedanken zu überzeugen.

 

 

„Verdammt, Dazai! Ich bin dein Partner und ich kann so nicht arbeiten, wenn du mir nicht hilfst! Ich brauche dich, okay!? Das ist alles, was ich dir anbieten kann. Ich brauche dich.“

 

 

Dazai blinzelt und beißt sich auf die Unterlippe, er vermeidet es, mir direkt ins Gesicht zu sehen. Er scheint verwirrt zu sein. Diese ganze Situation ist unangenehm. Das Thema geht mir durch Mark und Bein. Ich fühle mich hilflos, denn ich weiß, dass alles, was ich sage, bei diesem Kerl auf taube Ohren stößt. Also ringe ich mit mir selbst und versuche ihn von einem Argument zu überzeugen, von dem ich weiß, dass es mich selbst nicht überzeugt. Dazai seufzt und kichert. Er will vom Thema ablenken.

 

 

„Heißt das, dass Kunikida-kun mich zum Essen einladen wird? ♥“

 

 

„Wenn dich das von deinen dummen Gedanken abbringt, dann ja!“

 

 

„Und dass Kunikida-kun mich in den Zoo einlädt?“

 

 

„Auch das, ja!“

 

 

„Und dass Kunikida-kun mit mir in den Freizeitpark geht?“

 

 

„Ja, verdammt! Alles, was dazu führt, dass wir uns besser verstehen!“

 

 

Dazai grinst verschmitzt und errötet, tänzelt kichernd auf der Stelle. Er erinnert mich in diesem Moment an ein schüchternes Schulmädchen. Es ist faszinierend und frustrierend, wie schnell dieser Kerl zwischen seinen Stimmungslagen hin und herwechselt.

 

 

„Gut, dann schnappen wir uns den gutaussehenden Kerl, der mich zum Drink eingeladen hat!“

 

 

„Ob er gut aussieht oder nicht, tut so gar nichts zur Sache!“

 

 

 
 

___________________

 

 

 

Dazai und ich laufen seit einigen Minuten geradeaus, der Nebel ist nach wie vor ein großer Störfaktor. Vereinzelt höre ich die Rufe von Eulen, die hier irgendwo in den Baumwipfeln ihre Nester haben. Eine Nachtwanderung im Aokigahara. Bei diesem Gedanken schüttelt es mich eiskalt am ganzen Körper. Nicht nur, dass irgendein Befähigter uns hier auflauert, bereitet mir Sorge, sondern auch die Möglichkeit, dass Ranpo und Fukuzawa in Schwierigkeiten sein könnten. Dazai ist verletzt. Ich gehe gedanklich meine Optionen durch.

 

 

Ich werfe einen Blick über meine Schulter, um sicher zu gehen, dass Dazai immer noch hinter mir ist. Er sagt nichts. Seine Augen strahlen wie so oft keinerlei Leben aus. Obwohl er verletzt ist, stöhnt er nicht und lässt sich nichts anmerken. Wie schlimm sind seine Verletzungen? Sollte es zu einem Kampf kommen, muss ich diesen allein für mich entscheiden. Dazai mag mein Partner sein und eine gute Unterstützung im Kampf, aber ich wage zu bezweifeln, dass es eine gute Idee wäre, ihn in diesem Zustand in einen Kampf zu ziehen.

 

 

„Warte, Kunikida-kun“, sagt er dann und lehnt sich an einem Baumstamm ab, lässt seinen Kopf kurz hängen, ehe er mich wieder ansieht.

 

 

„Fällt dir irgendetwas auf?“, fragt er mich dann und wirft mir einen erwartungsvollen Blick zu.

 

 

„Wir laufen im Kreis“, sage ich, wissend, dass der Täter nun in der Nähe sein muss und uns anvisiert. Vermutlich ist dem Täter bewusst, dass Dazai verletzt ist und somit leicht zu überwältigen ist. Er geht davon aus, dass wir die leichtere Beute sind. Beute? Was genau ist das Ziel unseres Gegenübers? Wollte er Dazai loswerden oder uns in eine Falle locken?

 

 

„Hast du eine Ahnung, was dieser Kerl zu erreichen versucht?“

 

 

„Oh, es könnte durchaus sein, dass er von jemandem geschickt wurde, der in der Vergangenheit von der Detektei anvisiert wurde. Es gibt sicher einige kleine Organisationen, die durch unsere Arbeit behelligt wurden. Vor einigen Wochen gab es doch auch die großangelegte Razzia in der Nähe des Hafens, wo viele Clanmitglieder festgenommen wurden. Es ist nur eine Vermutung, aber ich glaube, der Kerl, der mich abgeschleppt hat, steht mit denen in Verbindung. Vielleicht einer der Mitglieder, die fliehen konnten.“

 

 

„Das ist nicht gut, das könnte durchaus bedeuten, dass wir es hier nicht mit einem Einzeltäter zu tun haben.“

 

 

Dazai lässt es so klingen, als wäre dies nur eine Option von vielen, aber ich vertraue seiner Intuition, welche uns in vergangenen Missionen mehr als einmal das Leben gerettet hat. Doch auch wenn ich eine ungefähre Ahnung habe, mit wem wir es zu tun haben, ändert es nichts an diesem Nebel. Sinnlos weiter durch diese weiße Wand zu laufen, ist in keinem Fall zielführend. Wir scheinen weder vor noch zurück zu kommen.

 

 

„Nebel ist nicht gleich Nebel, Kunikida-kun.“

 

 

Ich sehe meinen Partner fragend an, dieser grinst vielsagend und hebt dann seine Hand, zeigt mit dem Zeigefinger nach oben. Mit meinem Blick folge ich seiner Geste. Was möchte er mir sagen?

 

 

„Nebel besteht aus kondensiertem Wasserdampf in der bodennahen Luftschicht, die mikroskopisch kleinen Wassertröpfchen, die in der Luft schweben, verringern die Sichtweite in Bodennähe. Wir befinden uns in einem Waldgebiet, also ist bodennaher Nebel somit ganz natürlich. Dieser Befähigter kontrolliert nicht den Nebel, sondern das Wasser~“

 

 

„Und wie kommt es, dass wir uns im Kreis bewegen?“

 

 

„Er lenkt uns, da er das Wasser und somit den Nebel kontrolliert, stellt er sicher, dass wir immer nur denselben Pfad erkennen können. Je dichter der Nebel, desto unwahrscheinlicher, dass jemand voranschreiten wird, also lässt er den Nebel immer in eine bestimmte Richtung verdunsten.“

 

 

Ich überlege für einen Moment.

 

 

„Soll ich hochklettern und mir einen Überblick verschaffen?“, fragt Dazai dann.

 

 

„Auf keinen Fall! Du bist verletzt!“, knurre ich lauter, als es mir selbst lieb ist. Dieser Kerl treibt mich noch zur Weißglut! Dazai setzt sich hin und rümpft eingeschnappt die Nase, spielt einmal mehr das beleidigte Prinzesschen, nur um mir auf den Senkel zu gehen und Schuldgefühle in mir auslösen. Doch ich gehe auf seine kindischen Spielchen nicht ein, kremple mir stattdessen die Ärmel hoch und lege meinen Kopf in den Nacken, blicke den Baumstamm an. Vorsichtig beginne ich den Baum hochzuklettern. Von unten höre ich Dazai jubeln, ein weiterer Versuch mich zu ärgern. Denkt der Kerl, dass es mich motiviert, wenn er mich anfeuert? Das hier ist eine verdammt ernste Angelegenheit! Es ist enorm wichtig, dass ich bedacht und vorsichtig jeden Schritt plane, denn ein Sturz aus dieser Höhe könnte lebensgefährlich sein.

 

 

Dazais Stimme erreicht mich nur noch aus der Entfernung. Ich komme der Spitze des Baumes immer näher. Schweiß läuft mir die Stirn herab, meine Handflächen und Finger sind wund und aufgescheuert. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie lange es her ist, dass ich zuletzt einen Baum erklommen habe. Stück für Stück komme ich meinem Ziel näher, versuche mich so zu positionieren, dass ich im Notfall nach meinem Ideal greifen kann. Der Anblick des Waldes ist genauso faszinierend wie auch angsteinflößend. Eine sternenklare Nacht, die Baumkronen ragen aus dem dichten Nebel hervor und in der Ferne kann ich Berge sehen. Wäre die Situation nicht so ernst, würde ich noch einige Minuten hier verharren.

 

 

Zügig ziehe ich die Wärmekamera hervor. Aus dieser Höhe kann ich eine größere Fläche abchecken. Ungefähr 20 Meter von uns entfernt, befinden sich Ranpo und Fukuzawa. Sie scheinen uns näher zu kommen. Ich prüfe die Gegend weiter. Unter mir befindet sich Dazai, hier und da kann ich kleinere Lebewesen wahrnehmen, die sich im Gebüsch hin und her bewegen. Vermutlich Füchse oder andere Waldbewohner. Dann sehe ich eine einzelne Person, die sich nur wenige Meter von Dazai entfernt befindet. Von hier oben kann ich nicht genau bestimmen, was er da tut, doch mein Instinkt sagt mir, dass er eine Waffe auf meinen Partner richtet. Ohne nachzudenken weiß ich, was zu tun ist. Mein Notizbuch befindet sich in sekundenschnelle in meiner Hand, die Spitze meines Stiftes fliegt geradezu über das Papier: Blendgranate.

 

 

Ich werfe die Blendgranate unserem Gegner direkt vor die Beine, ein lauter Knall ertönt, der unseren Gegnern für einige Sekunden die Sinne betäuben wird. Dazai befindet sich in direkter Nähe, aber ich weiß, dass ihm nichts passieren wird. Auch wenn er gerne jammert und einen Hang zur Dramaturgie hat, ist er hart im Nehmen und lässt sich nicht so schnell von den Füßen fegen. Meine Angst hinabzustürzen ist komplett verschwunden. Ich springe von Ast zu Ast und komme dem Boden näher. Jeder Schritt ist perfekt, nur ein einziger Fehltritt und die Konsequenzen wären katastrophal.

 

 

Das Licht der Blendgranate sollte unseren Gegner fürs Erste die Sicht genommen haben, der Knall seine Sinne betäubt haben, doch mein gesunder Menschenverstand warnt mich davor, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und so befindet sich erneut mein Notizbuch in meiner Hand, ich schlage Seite 89 auf und sage laut und deutlich: Elektroschockpistole.

 

 

Es gibt keine einzige Waffe in meinem Ideal, die meine Gegner töten kann. Alle Waffen in meinem Repertoire sind ausnahmslos dafür gedacht, meinen Gegenüber kampfunfähig zu machen. Ich bekämpfe die Kriminalität und den Terror auf meine Weise. Es ist nicht meine Aufgabe, einen Täter zu bestrafen, dafür gibt es die Justiz. Doch ich werde diesen Kerl dingfest machen. Der Nebel ist plötzlich nicht mehr so dicht. Lediglich der natürliche Nebel des Waldes umgibt mich, ich kann problemlos hindurch laufen.

 
 

Entschlossen richte ich meine Elektroschockpistole auf den Täter, der auf die Knie gefallen ist. Ein Mann, der offensichtlich kein Japaner ist, sondern aus dem Ausland stammt. Sein Gesicht lässt sich mich auf einen direkten Nachbarn vermuten, Philippinen oder Vietnam.

 

 

„Waffen fallen lassen und Hände flach auf den Boden!“, rufe ich ihm entgegen, nicht wissend, ob er mich nach dem Einsatz der Blendgranate überhaupt verstehen kann. Als ich ihm näher komme, steht er auf und zielt mit seiner Waffe auf mich. Seine Waffe kann mich töten, meine wird ihn nur kampfunfähig machen. Nun kommt es darauf an, wer zuerst schießt. Ich wiederhole meine Worte laut und deutlich. Ich bin Detektiv und ich folge meinem Ideal. Aufzugeben ist nicht meine Art. Unsere Blicken treffen sich. Dieser Mann sieht mich hasserfüllten Augen an, ich spüre seinen Zorn und es ist offensichtlich, dass er Rache nehmen will. Wie kann ich diese Situation zu meinem Gunsten drehen? Kann ich ihn davon überzeugen, die Waffe herunterzunehmen und aufzugeben?

 

 

Nein, in diesem Fall wird es nichts bringen, mit einem Gespräch Zeit zu schinden. Meine Erfahrung sagt mir, dass er nicht zu diskutieren bereit ist und den Tod anderer Menschen in Kauf nehmen wird, um sein eigenes Ziel zu erreichen.

 

 

„Waffe runter“, sage ich noch einmal bestimmend.

 

 

„Ihr verdammten Arschlöcher von der Armed Detective Agency!“, brüllt er und ich höre das Klicken seiner Waffe, weiß, dass er sie in diesem Moment entsichert hat und ich keine Zeit mehr habe, die ich verschwenden darf und doch ist mein Wille zu kämpfen und Recht und Ordnung durchzusetzen unerschütterlich.

 

 

„Nur wegen euch sind meine Brüder festgenommen worden!“

 

 

„Und du wirst sie sehr bald wiedersehen~“, höre ich eine säuselnde Stimme, die sich eindeutig hinter dem Täter befindet. Dazai steht hinter ihm, tippt ihm auf die Schulter. Der Täter dreht sich um, will seine Waffe auf meinen Partner richten, doch Dazai verpasst ihm einen Schlag mitten ins Gesicht, sodass er einige Schritte taumelt und das Gleichgewicht verliert. Ohne weiter zu zögern, ziele ich mit meiner Waffe auf ihn. Sein Körper verkrampft, dann verliert er das Bewusstsein. Dazai klatscht kichernd in die Hände und jubelt mir zu. Genervt verdrehe ich die Augen und räuspere ich mich.

 

 

„Wah~ Kunikida-kun hat einmal mehr den Tag gerettet!“, kommt es begeistert von Dazai.

 

 

„Es ist mitten in den Nacht“, entgegne ich ihm und versuche vom Thema abzulenken.

 

 

„Ach, komm! Die Sonne geht in ein, zwei Stunden auf, es wird sogar schon langsam hell.“

 

 

Schritte nähern sich. Fukuzawa und Ranpo treffen zu uns. Ich lasse ein Seil mit meinem Notizbuch erscheinen und fessele den Täter. Fukuzawa wirft sich diesen scheinbar problemlos über die Schulter und ich höre Ranpo meckern, der sich darüber beschwert, wie unfair es doch wäre, dass der Täter nicht laufen müsste und dass er, als bester Detektiv der Welt, ein Recht darauf hätte, ebenfalls getragen zu werden. Dazai kichert amüsiert und auch ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.

 

 

Dank Dazais Verbände finden wir den Weg zurück und als wir endlich zur Station zurückkehren, warten bereits Polizisten und ein Rettungswagen auf uns. Ich werfe einen nostalgischen Blick in den Wald und werfe ein Stoßgebet gen Himmel. Ich bin froh, dass ich keinen Selbstmörder gefunden habe und zugleich bedauere ich, dass Menschen hierher kommen, um ihr eigenes Leben zu beenden. Dieser Wald lässt mein Ideal, das ich stets bei mir führe, verblassen. So sehr ich mich auch darum bemühe, Leben zu retten, so kann ich nicht jeden retten. Dieser Gedanke stimmt mich melancholisch und es frustriert mich, dass ich nichts dagegen tun kann.

 

 

Dazai ist suizidal. Für Dazai ist diese Welt, vor der ich meine Augen verschließen möchte, real. Wir befinden uns auf den Rückweg nach Yokohama. Die Polizisten fahren uns in einem kleinen Van zurück. Fukuzawa und einer der Beamten sitzen vorne und reden. Ich sitze direkt zwischen Ranpo und Dazai. Ranpo schnarcht zufrieden und Dazai scheint auch zu schlafen. Meine Gedanken kreisen hin und her, dann ziehe ich mein Notizbuch hervor:

 

 

𝓦𝓲𝓮 𝓰𝓮𝓱𝓮 𝓲𝓬𝓱 𝓶𝓲𝓽 𝓮𝓲𝓷𝓮𝓻 𝓼𝓾𝓲𝔃𝓲𝓭𝓪𝓵𝓮𝓷 𝓟𝓮𝓻𝓼𝓸𝓷 𝓾𝓶?

 

𝓘𝓬𝓱 𝓶𝓾𝓼𝓼 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓲𝓷𝓯𝓸𝓻𝓶𝓲𝓮𝓻𝓮𝓷, 𝓭𝓪𝓶𝓲𝓽 𝓲𝓬𝓱 𝓷𝓲𝓮 𝔀𝓲𝓮𝓭𝓮𝓻 𝓲𝓷 𝓭𝓲𝓮𝓼𝓮𝓷 𝓦𝓪𝓵𝓭 𝔃𝓾𝓻𝓾̈𝓬𝓴𝓴𝓮𝓱𝓻𝓮𝓷 𝓶𝓾𝓼𝓼.

 

𝓘𝓬𝓱 𝓶𝓾𝓼𝓼 𝓓𝓪𝔃𝓪𝓲 𝓗𝓸𝓯𝓯𝓷𝓾𝓷𝓰 𝓰𝓮𝓫𝓮𝓷, 𝓮𝓼 𝔃𝓾𝓶𝓲𝓷𝓭𝓮𝓼𝓽 𝓿𝓮𝓻𝓼𝓾𝓬𝓱𝓮𝓷.

 

 

Während ich dies schreibe, werfe ich einen Blick auf Dazais Unterarme. Der Anblick dieser geschundenen Haut bekräftigt meinen Entschluss. Wenn es in meiner Macht steht, ein Leben zu retten, dann muss ich es versuchen. Ich bin kein Heiliger. Kein Märtyrer. Ich bin ein Realist, der nach Idealen strebt. Ich bin Kunikida Doppo und so lange ich atme, werde ich mit allem, was ich habe, meine Ideale verteidigen. Das hier ist nicht das Ende.



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