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Das Mochizuki Monogatari

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Lieber Leser, liebe Leserin,
dieser Bericht beinhaltet einiges an landesspezifischem Vokabular und historischen Fakten, die möglicherweise nicht jeder Hexe/jedem Magier geläufig sind. Aus diesem Grund verfügt das Dokument über ein umfangreiches Glossar. Hat ein Begriff ein Sternchen *, könnt ihr dort weitere Informationen über ihn finden.
Sollte das euren Wissensdurst nicht stillen, fragt bitte euren Professor für Zaubereigeschichte nach weiteren Informationen. Oder, sollte sein Name zufällig Cuthbert Binns lauten, werft einfach einen Blick in das Literaturverzeichnis auf der Übersichtsseite dieses Berichts.

Hochachtungsvoll,

Eure Bathilda Bagshot Komplett anzeigen

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Die Schlacht von Hachimanbara


 

 

Hot sommer night

A sad cicada crys

for my poor husband

 

 

 

Eiroku 4*.

 

Obwohl die Sonne bereits vor Stunden untergegangen war, war es drückend heiß. Zikadengesänge erfüllten den Garten, doch seine Herrin rührte sich nicht. Sie saß, ihr Gewicht auf ihren Fersen ruhend, im verdorrten Gras. Die Stoffe ihres Kimonos* strahlten im schwachen Licht des Mondes. Sie strahlte nicht.

Katsurou* Matsumae* verschränkte seine Arme und schwieg. Kiyo*, die Zofe seiner Herrin, schenkte ihm einen vorwurfsvollen Blick und für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte er, Tränen auf ihren Wangen schimmern zu sehen. Sie hatte Angst.

 

Stumm ließ er seinen Blick durch den Garten gleiten, nur um schließlich wieder an der schlanken Gestalt seiner Herrin hängen zu bleiben. Sie hatte ihre Schultern hochgezogen, das perfekt geschminkte Gesicht hinter einem Fächer verborgen. Wenn sie weinte, offenbarte sie es nicht. Eine perfekte Herrin, bis zum Schluss.

 

Vorsichtig trat er auf sie zu, griff schweigend nach seinem Wakizashi* und zog es schließlich aus dem Obi* hervor. Es schien ihm unendlich schwer zu sein.

Die Klinge glänzte im Mondlicht, unheimlich und schön. Nur mit Mühe schaffte er es, sich weder in dem Lichtspiel zu verlieren, noch zu zittern, als er ihr die Waffe gab. Die Waffe, mit der alles enden würde.

 

Schlanke Finger legten sich um den Griff.

„I-Ich kann es für Euch tun, wenn Ihr wünscht.“ Seine Stimme klang rau, irgendwie unwirklich und animierte die Zikaden dazu, prompt noch lauter zu zirpen. Vielleicht feierten sie bereits ihr Totenfest.

Endlose Sekunden vergingen, bevor seine Herrin ihren Blick von der Klinge löste. Noch immer lag die Waffe fest in ihrer Hand. „Ist es nicht sonderbar“, fragte sie, die Stimme genauso klar, wie sie es schon immer gewesen war, „dass das hier das Einzige ist, was mir noch zu tun bleibt? Die Hunde* haben ihn aufgeschlitzt und nun? Nun schlitze ich mich auf, um sein Leid zu teilen.“

Katsurou ließ sich neben ihr auf die Knie sinken. Irgendwo zu seiner Linken schnappte Kiyo nach Luft. Offensichtlich entsetzt angesichts der Frivolität ihrer Herrin.

„Seid gewiss, er ist ehrenvoll gefallen“, würgte er hervor.

 

Seine Herrin musterte ihn über den Rand ihres Fächers hinweg. „Das ändert nichts“, entgegnete sie, „Unser Daimyat* ist am Ende. Wir haben keine Heimat mehr. Und bald auch keine Zukunft.“

Katsurou senkte den Kopf und starrte auf das verdorrte Gras hinab. „Er würde nicht wollen, dass Ihr unter der Hand des Feindes leidet“, flüsterte er.

 

Die Stoffe ihres Kimonos raschelten. Ein süßlicher Geruch* stieg in seine Nase, doch er hielt den Blick gesenkt. Erst als sich ein Finger federleicht unter sein Kinn legte, wagte er es wieder aufzusehen.

Seine Herrin hatte ihren Fächer gesenkt und blickte ihm direkt in die Augen. „Das würde er nicht“, stimmte sie ihm zu, während Kiyo neben ihnen vermutlich bereits mit einer Ohnmacht kämpfte.

Katsurou versuchte ihrem Blick auszuweichen, doch die Hand unter seinem Kinn ließ ihm nicht viel Raum. Er konnte in ihre Augen starren, auf ihre perfekten, schwarzen* Zähne oder auf ihren endlos langen Hals. Er schluckte.

„Sag mir, wirst du meinem Willen folgen, so wie du dem meines Mannes folgtest?“

 

Ohne zu zögern, nickte er. Es war eine schwache Bewegung, stark behindert durch die Finger unter seinem Kinn, doch sie schien zu genügen. Seine Herrin schenkte ihm ein dünnes Lächeln.

„Schwör es mir“, verlangte sie, während sie ihre Hand endlich sinken ließ, „Schwör es mir, auf Schwert und Stab.“

 

Katsurou ließ die Hand in seinen Ärmel gleiten. Es dauerte keinen Atemzug lang, dann schlossen sich seine Finger um das vertraute Stück Holz. Wärme floss durch seinen Körper, ausgelöst von der Hō-ō-Feder*, die tief verborgen in seinem Stab ruhte.

Betont langsam zog er ihn hervor. Er wusste, dieses Mal würde es anders sein. Als er das letzte Mal auf seinen Stab geschworen hatte, hatte er dafür Koku* erhalten. Doch seine Herrin hatte kein Koku mehr. Sie hatte nicht einmal mehr ein Zuhause.

Dennoch ... Sein Herr hatte gewollt, dass er sie beschützte. Und wenn ihre Reise nicht in diesem Garten zu Ende ging, dann war auch seine Aufgabe noch nicht erfüllt. Koku hin oder her, er konnte ihren Wunsch nicht ignorieren.

„Kiyo, dein Stab“, befahl seine Herrin und ihre Zofe reagierte sofort. Mit rot geweinten Augen trat sie auf sie zu. Unsicher, ängstlich und doch bereit alles zu tun, was Mochizuki*-Hime* von ihr verlangte.

 

Einen Moment lang wurde das Zirpen der Zikaden lauter, dann zog auch seine Herrin ihren Zauberstab hervor. Es war ein schönes Stück, aus dunkelrotem Kirschholz und so blitzblank poliert, dass man hätte glauben können, er wäre gerade erst gefertigt worden.

„Bist du bereit, mir zu dienen, wie du meinem Manne dientest?“, fragte sie.

Katsurou hob seinen Stab. „Ja“, entgegnete er. Rote Flammen schossen aus seinem Zauberstab hervor, legten sich um seine Hand, doch sie verbrannten sie nicht.

„Wirst du dein Leben für mich geben, sollte ich es je verlangen?“

„Ja.“

Weitere Flammen schlangen sich wie dünne Bänder um seine Finger.

„Wirst du stets in meinem Sinne handeln und meine Geheimnisse bewahren, als wären es deine eigenen?“

„Ja.“

„Dann soll es so sein.“

 

Magie schoss durch seinen Körper und hinterließ ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut. Doch Katsurou verzog keine Miene. Er wusste, das Kribbeln würde bald vergehen und dann wäre dieser Schwur nicht mehr, als eine Erinnerung, die sich irgendwo in seinem Kopf einnisten und ihn jedes Mal an seine Pflicht erinnern würde, wenn er schwach zu werden drohte.

Stumm sah er zu, wie Kiyo seiner Herrin auf die Füße half. Sie war keine große Frau, doch in diesem Augenblick, wirkte sie größer als der größte Mann.

Wortlos richtete die Dienerin ihren Kimono, strich ehrfürchtig die Falten glatt und begann sodann ihr Haar zu entwirren. Seine Herrin ließ sie gewähren, den Blick sorgenvoll zum Himmel gewandt und Katsurou wusste, was auch immer sie plante, der Erfolg lag einzig und alleine in den Händen der Götter.

Der Tiger von Kai


 

 

Warm summer morning

A royal, wild tiger sits

on a perfect throne

 

 

 

Unsicher zupfte Kiyo an den Ärmeln des Kimonos. Der weiche Stoff schmiegte sich an sie, wie eine zweite Haut, doch sie fühlte sich einfach nicht wohl in den fremden Kleidern. Von der Tür aus warf ihre Herrin ihr einen finsteren Blick zu und so ließ sie eilig wieder von den Ärmeln ab.

Sie wusste, sie durfte das nicht tun. Heute war sie Mochizuki Chiyome, Herrin über den Saku-Distrikt, einem wichtigen Teil der Shinano-Provinz*, und frischgebackene Witwe.

Unwillkürlich krallten sich ihre Finger wieder in die Ärmel ihres Kimonos. Sie wollte nicht Mochizuki-Hime sein.

 

Wenn der Daimyō* ihr nicht wohlgesonnen war, dann ... Sie schluckte. Sie musste ihre Rolle spielen. Wenn der Schwindel jetzt auffiel, würde er sie bestimmt hinrichten lassen und sie wollte nicht sterben.

Keiner von ihnen wollte sterben.

 

Unsicher blickte sie noch einmal zu den Anderen. Mochizuki-Hime hatte sich in einen schlichten Kimono gehüllt, doch für Kiyos geübtes Auge, sah sie nicht wie eine Zofe aus. Ihre Haut war zu hell, ihr Haar zu glänzend und ihre Nägel zu rot*. Dazu der strenge Blick und ihr anmutig erhobener Kopf. Sie schluckte noch einmal. Der Daimyō würde ihr gewiss nicht glauben.

 

Unwillkürlich ließ sie den Blick weiter schweifen, doch Matsumae-sama* würde ihr gewiss auch keine Hilfe sein. Der Samurai hatte noch auf der Türschwelle sein Katana* abgelegt, was bedeutete, dass er gegenüber den Wachen im Nachteil war.

Ganz davon abgesehen, dass er, sollte es zu Problemen kommen, natürlich zunächst versuchen würde, ihre Herrin in Sicherheit zu bringen.

Sie war nur das Bauernopfer. Austauschbar. Eine Marionette in teuren Kleidern. Kiyo zog den Fächer aus dem Ärmel und verschwand dahinter. Vielleicht würde ihr das helfen, ein bisschen überzeugender zu sein.

 

Dann endlich öffnete ein Diener die Schiebetür, doch ihre Scharade begann noch lange nicht. Es sollte noch eine kleine Ewigkeit dauern, bis das Quietschen der Tatami-Matten* endlich seine Ankunft verkündete.

Matsumae-sama senkte pflichtbewusst den Kopf, ihre Herrin fiel so beiläufig auf die Knie, dass Kiyo ihr die Zofe auf einmal doch abnahm. Und sie? Sie versuchte ihr Zittern durch schnelleres Fächern zu verbergen.

 

Der Mann, der schließlich durch die Tür trat, war imposant und angst einflößend auf einmal. Er trug eine Rüstung aus rot und goldfarben lackierten Metallteilen* und eine weiße Mähne auf seinem, mit langen Hörnern geschmückten, Helm.*

Kiyo starrte auf seine Brust, wo ein zartes Blau einen starken Kontrast zu der rot-goldenen Pracht drum herum bot. Es war nicht das erste Mal, dass sie einen Mann in voller Rüstung sah, doch die Meisten füllten ihre auf weit weniger unheimliche Weise aus.

 

Takeda Shingen* marschierte ohne ein Wort an ihr vorbei. Erst als er seinen Platz auf den Tatami-Matten eingenommen hatte, schenkte er ihr einen durchdringenden Blick.

„Er weiß es“, ging es Kiyo durch den Kopf, doch sie schaffte es irgendwie, den unerträglichen Gedanken in ihrem Innersten zu verschließen. Wer wusste schon, über welche Fähigkeiten der Tiger von Kai verfügte? Vielleicht vermochte er ihre Angst zu riechen, oder die kleine Stimme in ihrem Kopf zu hören, die ihr stets die schlimmsten Befürchtungen entgegen schrie? Gerüchte gab es viele und keines von ihnen verschaffte ihr eine positivere Ausgangssituation.

Kiyo verneigte sich. „Lord Takeda“, flüsterte sie, so wie sie es einst für genau solche Fälle gelernt hatte. „Ich danke Euch, dass Ihr uns empfangt.“

 

Der Mann schnaubte. „Als hätte ich eine Wahl“ platzte es brüsk aus ihm heraus, „Die Leichen auf dem Schlachtfeld sind noch nicht einmal ganz kalt. Ich bin durch ganz Shinano geritten* und nun finde ich in meinem Haus das Weib meines Neffen vor.“

Kiyo verneigte sich noch einmal. „Wir wären nicht gekommen, wenn es nicht wichtig wäre“, versicherte sie.

„Heutzutage glaubt jeder, er wäre wichtig“, donnerte der Daimyō, „Doch ich habe einen Krieg zu führen. Gute Männer sind gestorben und dieser Hund* ist immer noch dort draußen. Ich habe keine Zeit für sinnloses Geschwätz!“

Tränen schossen Kiyo in die Augen, während sie sich ein weiteres Mal verneigte. Konnte sie es wirklich wagen, dem Daimyō zu widersprechen oder sollte sie die Audienz als fehlgeschlagen beenden. Durfte sie das überhaupt?

Ihre Hände begannen stärker zu zittern, die Ablenkung durch den Fächer funktionierte nicht mehr, und obwohl sie es versuchte, schaffte sie es nicht die Tränen länger zurückzuhalten.

 

„Das genügt!“, erklang es von hinten und Kiyo erstarrte mitten in der Bewegung. Auch Lord Takeda rührte sich nicht.

„Es ist auch mein Wunsch. Uesugi sterben zu sehen“, erklärte ihre Herrin, „Doch wir können nicht zulassen, dass er unser ganzes Sein bestimmt. Ihr seid ein Mann des Glaubens*, Ihr solltet das verstehen.“

„Mein Glaube hält uns nicht am Leben“, erwiderte der Daimyō, „Doch mich dünkt, Ihr werdet mich nicht meinem Glauben überlassen, bis ich wenigstens gehört habe, was Euch auf dem Herzen liegt. Also sprecht!“

„Der Krieg ist grausam und ungerecht“, erwiderte Mochizuki-Hime, „doch er ist auch notwendig, um Männer wie Uesugi in ihre Schranken zu weisen. Dennoch verursacht er viel Leid. Wie viele Frauen mussten gestern erfahren, dass sie nun Witwen sind? Wie viele Kinder sind inzwischen ganz allein dort draußen? Wenn Ihr mir ein kleines Stückchen Eures Landes gebt, könnte ich dort eine Heimat für sie schaffen. Ein Zuhause für Mädchen und Frauen fern ab von den schrecklichen Gräuel des Krieges.“

Takeda warf den Kopf zurück und lachte. „Ihr klingt genau wie diese Gaijin*“, stellte er fest. „Ständig kommen sie zu mir und bitten um Platz für einen ihrer Tempel. Wollen den Bauern Trost spenden und unsere Seelen retten. Ich glaube, ich habe noch immer einen von ihnen in meinem Kerker.“

„Und da mag er auch bleiben.“ Es raschelte, als Mochizuki-Hime durch den Raum zu ihnen nach vorne trat. „Seht, ich wünsche nicht, das Wort der Götter zu lehren. Ich wünsche, den Heimatlosen eine Heimat zu geben. Das ist ein Unterschied.“

„Und dennoch ist sowohl das eine als auch das andere nutzlos für mich.“

Kiyo hielt den Atem an. Es war unheimlich, die strengen Worte direkt über sich zu hören. Am liebsten wäre sie weggerannt, doch sie wusste, das durfte sie nicht. Wenn diese Verhandlungen ihretwegen scheiterten, würde sie die Schmach nicht überleben.

„Gebt mir ein Jahr und ich werde Euch beweisen, wie nützlich ein Dorf voller Frauen sein kann“, forderte ihre Herrin.

 

Der Daimyō runzelte die Stirn. „Ihr wollt es beweisen?“, fragte er.

Kiyo vernahm keine Antwort, also ging sie davon aus, dass ihre Herrin genickt hatte.

„Ein Jahr und Ihr werdet es nicht mehr missen wollen“, hörte sie sie versprechen.

„Und wenn Ihr Euch irrt?“

„Dann könnt Ihr mit mir, wie mit Eurem Gaijin verfahren.“

 

Für einen Augenblick wurde es mucksmäuschenstill, dann begann Lord Takeda zu lachen. Er lachte und lachte, und als sein Gebrüll endlich verstummte, rang er sich ein knappes Nicken ab.

„Ein Jahr“, wiederholte er, „Nutzt es gut, denn es wird über Euer Leben entscheiden.“

 

Das Dorf Nezu


 

 

Moisture summertime

A very loud mosquito flies

above the village

 

 

 

„Du musst den Stab höher halten“, erklärte Chiyome und tippte mit der Fingerspitze gegen den Arm eines jungen Mädchens. Das kicherte albern und tat wie ihm geheißen, was dazu führte, dass der Stein sich besser als der Letzte in das Mauerwerk einfügen ließ.

Chiyome nickte dem Kind noch einmal zu, dann ging sie weiter.

 

Ein Stückchen den Weg hinauf saß Kiyo im Schatten eines großen Baumes und zeichnete mit geübter Hand Hiragana aufs Pergament. „Ma“, erklärte sie und zeigte mit der Hand auf eines der Zeichen. Mehrere Mädchen nickten. „Ma“, wiederholten sie im Chor.

 

Chiyome hielt für einen Moment inne und sah ihnen beim Üben zu. Es würde noch mehrere Tage dauern, bis sie das einfache Frauenalphabet ˗ die Hiragana* ˗ beherrschen würden. Erst danach konnten sie beginnen, ihnen die Schrift der Männer ˗ die Kanji* ˗ beizubringen.

Das Ganze war ein großes Projekt und Chiyome konnte noch nicht sagen, ob sie bis zum Ende des Jahres vorzeigbare Ergebnisse haben würden. Dennoch war das Ganze unabdingbar. Wenn diese Mädchen in Zukunft für sie arbeiten wollten, mussten sie Dokumente lesen können, egal ob sie aus der Hand einer Prinzessin oder der eines Daimyōs stammten.

„Me“, erklärte Kiyo und Chiyome setzte ihren Weg fort. Es schien, als habe ihre Zofe die Schüler gut im Griff.

 

Ein paar Meter weiter, saßen zwei ältere Frauen im Gras und nähten. Sie lächelten, als Chiyome an ihnen vorüberschritt. Eine von ihnen schlug nach einer Mücke. Überall in ihrem Bergdorf gab es Mücken.

Chiyome wusste nicht wieso, aber an manchen Tagen glaubte sie, dass es in ihrem Dorf mehr Mücken als Menschen gab.

Es waren miese, kleine Räuber, gegen die oft nur hartnäckiges Räuchern half und hartnäckiges Räuchern half leider nicht nur gegen Mücken. Unwillkürlich rümpfte sie die Nase, während sie weiter marschierte. Um den abgestorbenen Baum herum, über drei lange, flache Steine und schließlich noch ein Stück über die Bergwiese, deren Gras nie wirklich trocken zu werden schien.

Dann hörte sie die ersten Schüler lachen und ihr Schritt verlangsamte sich. Hier draußen, so weit abgeschottet wie irgendwie möglich, gab Katsurou seine Stunden.

 

Zwei Mädchen tänzelten umeinander herum, in der Hand ein Stück Holz, mit dem sie versuchten, einander zu schlagen. Eine von ihnen holte aus, Holz traf krachend auf Holz. Die anderen Schüler johlten, doch Katsurou schüttelte den Kopf.

„Der Tessen* ist kein Schwert“, knurrte er und die Kinder um ihn her verstummten, „Sein Vorteil liegt darin, einen Angreifer zu überraschen. Wie willst du das tun, wenn du stets selbst den Angriff führst? Geh und übe noch einmal die Grundhaltungen der Verteidigung.“

 

Das Mädchen eilte an Chiyome vorbei, während Katsurou sich ihrer Kontrahentin zuwandte. Er hatte kaum mehr als ein Nicken für sie übrig, doch das Strahlen ihrer Augen verriet deutlich, mehr Lob brauchte sie auch nicht.

„Die Nächsten“, befahl er und Chiyome beobachtete, wie sich zwei der älteren Mädchen erhoben. Ihre Bewegungen waren flüssiger und die Fächerattrappe wirkte glaubhafter in ihren breiten Gürteln. Beide Mädchen sahen einander an, sie lächelten sogar, bevor sie aufeinander losgingen. Holz prallte auf Holz. Eine der beiden wagte eine Drehung, doch ihre Konkurrentin kannte sich offensichtlich mit Tänzen aus und parierte, noch bevor ihre Gegnerin richtig in Stellung gekommen war. Das Mädchen strauchelte, fand irgendwie sein Gleichgewicht zurück und verfiel sodann in eine etwas defensivere Haltung.

 

Chiyome lächelte zufrieden.

Dafür, dass Katsurou zunächst beklagt hatte, dass kaum eines der Mädchen über genügend Körperkraft verfügte, um die verlangten Übungen richtig auszuführen, machten sie sich doch schon recht gut.

 

Noch etwas Training und sie würden den Bauernjungen in nichts mehr nachstehen, die jeden Abend, nachdem sie vom Feld zurückgekommen waren, darum bettelten, dass Katsurou ihnen weitere Tricks und Übungen mit dem Yari* zeigte.

 

Auf der Wiese hielten die beiden Kämpferinnen inne. Eine von ihnen verneigte sich, so wie sie es im Bordell sicher oft getan hatte und erhielt dafür von den anderen Schülern begeisterten Applaus.

Katsurou hob den Blick und für einen Moment sahen sie einander an, dann nickte er und Chiyome wusste, egal was auch geschah, wenn die Zeit reif war, würden ihre Schüler bereit sein. Zumindest was diesen Teil ihrer Ausbildung betraf.

 

Wortlos wandte sie sich ab und ging weiter. Sie musste noch nach den Feldern sehen, wo eine kleine Handvoll Bauern darum kämpfte, irgendwie genug Reis großzuziehen, damit sie alle über den Winter kamen. Es war die Aufgabe, mit der sie am wenigsten anfangen konnte und gleichzeitig auch die Wichtigste.

Sie musste fragen, ob sie immer noch genügend Leute auf den Feldern hatten oder ob sie noch jemanden abstellen mussten. Und natürlich, ob es vielleicht noch andere Probleme gab.

 

Verstauchte Knöchel und zerstochene Waden konnte sie bei Bedarf heilen und lieber bemühte sie sich um ein paar passende Heilzauber, als Arbeiter zu verlieren, die sie gerade dringend brauchte.

Wenn sie ihre Prüfung bestand, würde sie noch einmal über den Standort ihrer „Schule“ diskutieren. Sicher würde Lord Takeda einsehen, dass das Bergdorf zwar herrlich friedlich, aber keine endgültige Lösung war.

So viele Menschen ließen sich auf Dauer nicht von dem bisschen Reis ernähren und die Mücken ˗ Chiyome schlug nach einem besonders lästigen Exemplar ˗ waren definitiv auch keine gute Gesellschaft.

Aber das würde sie dem Daimyō schon erklären und wenn sie ihn persönlich mitten in den größten Mückenschwarm hineinführen musste, damit er verstand, dass auch ein so kleines Wesen wie eine Mücke zu einer großen Plage werden konnte, wenn es die richtige Unterstützung erhielt.

Der Himmelshund


 

Hot summer days

A wild, crazy tengu meets

a raging bull

 

 

Eiroku 5*.

 

Takeda Shingen war nicht begeistert gewesen, als er sein Pferd am Anfang des schmalen Bergpfades hatte zurücklassen müssen. Aber irgendwie war er ja selbst schuld. Hätte er die Frau mit ihrer wahnwitzigen Idee in ein weniger abgelegenes Dorf gesteckt, er müsste nun nicht laufen, um seinen Beweis einzufordern.

Stumm musterte er die Felswand zu seiner Linken. Irgendwie hatten es ein paar einsame Nadelbäume geschafft, sich auf dem kargen Felsen anzusiedeln. Sie bildeten, zusammen mit ihrem bizarren Wurzelwerk den einzigen Schutz vor herabfallenden Steinen.

Sein Bruder, Nobutatsu* folgte seinem Blick.

„Noch können wir umdrehen“, erinnerte er ihn.

Shingen schüttelte den Kopf. Das konnte er natürlich nicht. Er konnte keine Frau auf einen Berg schicken, während er sich selbst zierte hinaufzusteigen.

Außerdem, was sollte schon passieren?

Es hatte in den letzten Tagen nicht geregnet. Der Boden war ruhig und die Gefahr einschätzbar. Und sollte sich ihnen doch ein Strauchdieb in den Weg stellen ... Er warf einen Blick hinter sich, wo zwei seiner Wachen aufmerksam den Weg im Auge behielten. Sie waren fünf voll ausgerüstete Samurai. Sie auf diesem Weg anzugreifen, käme einem Selbstmord gleich.

„Mein Lord“, erklang es von vorne, und Shingen wandte seine Aufmerksamkeit seinem letzten Begleiter zu. Akiyama Nobutomo* befand sich bereits seit langer Zeit in seinen Diensten und hatte stets einen guten Rat für ihn parat. Nun legte er die Hand ans Ohr und signalisierte ihm zu lauschen.

 

Shingen spitzte seine Ohren, doch abgesehen von einem gelegentlichen Vogelzwitschern hörte er nichts.

„Ich höre nichts“, sprach sein Bruder die Tatsachen aus und Nobutomo nickte langsam.

„Findet Ihr das nicht auch merkwürdig?“, fragte er, „Auf einem Bergweg so weit fort von allen Menschen, sollte man doch viel mehr Vögel singen hören.“

 

Nobutatsu schüttelte den Kopf. „Es ist nur ein Bergweg“, erinnerte er ihn, „und den Vögeln ist vielleicht einfach nicht nach singen zumute. Vielleicht schwitzen sie genauso viel wie ich.“

Shingen erlaubte sich ein Lachen. Irgendwie hatte sein Bruder ja recht. Selbst hier, auf dem verhältnismäßig schattigen Bergweg war es unangenehm heiß und drückend.

„Es kann nicht mehr weit bis nach Nezu sein“, beruhigte er seine Begleiter und die Taktik schien zu funktionieren, denn sein Bruder leckte sich prompt über die Lippen.

„Ich hoffe, sie haben Sake* dort“, murmelte er zu niemand Bestimmtem und beinahe hätte Shingen noch einmal gelacht. Es gab wirklich kaum ein Problem auf der Welt, das sich nicht mit der Aussicht auf eine kühle Schale Sake lösen ließ.

 

Stumm marschierte er weiter, folgte Nobutomo um eine schmale Kurve herum und stellte zu seiner Enttäuschung fest, dass der Weg dahinter noch immer anstieg. Irgendwo krächzte eine Krähe.

 

„Vielleicht sollten wir eine kurze Pause einlegen, bevor wir den Rest des Weges hinaufsteigen“, riet Nobutomo und Shingen nickte angetan. Eine Pause war jetzt genau das Richtige, um die Stimmung seiner Gruppe zu heben.

Mit einem Stöhnen kam Nobutatsu neben ihm zum Stehen. Ihn würde die Pause sicherlich am meisten freuen. Shingen öffnete den Mund, halb bereit, einen dummen Witz über den Schweiß zu machen, der seinem Bruder auf der Stirn stand. Doch plötzlich zerriss ein Schrei die Stille.

 

Shingens Hand fuhr zu seinem Katana, sein Bruder machte einen schnellen Schritt zurück, dann platzte eine der Wachen um die Ecke.

„Lord Takeda, Lord Takeda! Ryo ist weg!“

 

„Was soll das heißen, Ryo ist weg?“, blaffte Shingen. „Wir sind auf einem verdammten Berg, da kann er doch nicht einfach verschwinden.“

„Ich bin vor ihm gegangen, weil der Weg schmaler wurde und als ich mich das nächste Mal umdrehte, war er fort.“

„Ist er vielleicht hinuntergestürzt?“, fragte Nobutatsu mit einem unsicheren Blick in den Abgrund.

Nobutomo schüttelte den Kopf. „Wenn du in den Abgrund stürzen würdest, würdest du dabei quieken wie ein Schwein“, belehrte er ihn. Shingen nickte. „Da ist etwas dran“, stimmte er seinem Vertrauten zu und ignorierte den beleidigten Blick seines jüngeren Bruders. Es war definitiv nicht gut, dass seine Wache einfach so verschwunden war.

„Ab sofort halten wir strenge Formation“, befahl er. „Jeder achtet auf seinen Vordermann. Los, weiter, die Pause ist gestrichen.“

 

 

Shingen stapfte hinter Nobutomo her. Der Weg war immer noch nicht wieder breit genug, um nebeneinander gehen zu können und das war schlecht. Hinter ihm hörte er seinen Bruder schwatzen. Seit Nobutomo seine Absturztheorie zerrissen hatte, überlegte er, welche andere Erklärung es für das Verschwinden des Mannes geben konnte.

„Vielleicht ist er desertiert?“, formulierte er seine neueste Theorie und brachte Shingen dazu, eilig den Kopf zu schütteln. Natürlich kam es vor, dass Männer desertierten, aber in der Regel taten sie so etwas, wenn ein Gefecht zu scheitern drohte, nicht wenn sie einem Bergweg folgen sollten. Außerdem ...

„Der Rest unserer Männer wartet mit den Pferden am Anfang des Pfades. Selbst wenn er beschlossen hätte zu verschwinden, würde er ihnen doch direkt in die Arme laufen. Das ergibt so keinen Sinn.“

Nobutatsu schnaubte. „Wenn er nicht gegangen ist und auch nicht abgestürzt, bleibt doch nur eines übrig, oder?“, fragte er.

Shingen rollte mit den Augen. Er wusste ganz genau, was jetzt kommen würde.

„Du wirst unserem Lord nicht ernsthaft erzählen wollen, sein Soldat wäre von einem Bären gefressen worden?“, entgegnete Nobutomo an seiner Stelle.

Shingen konnte das Kopfschütteln seines Bruders vor seinem inneren Auge sehen. „Kein Bär“, raunte er leise, „Ich denke, es war ... ein Tengu*.“

Nobutomo stöhnte genervt. „Ein Tengu“ wiederholte er, „Natürlich. Weil so oft Teile unserer Wachen von Tengus zerrissen werden.“

„Zumindest erklärt das sein Verschwinden“, hielt Nobutatsu tapfer dagegen, „Über deinem Dickschädel hast du immerhin nicht nach ihm gesucht.“

„Pass auf, dass ich dir deinen Dickschädel nicht spalte“, grollte Nobutomo zurück und Shingen erlaubte sich einen genervten Seufzer. „Könntet ihr euren Disput bitte auf später verschieben?“, fauchte er die beiden an.

So amüsant es manchmal auch war, ihnen beim Streiten zuzuhören, gerade war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

„Statusmeldung“, blaffte er nach hinten, doch außer einem leisen „Ähm“, Nobutatsus blieb die Antwort aus. Verärgert fuhr Shingen herum und sah nichts.

 

Denn nun war auch seine zweite Wache verschwunden.

 

Die Frau im Berg


 

 

Foggy mountain

the golden sun is useless

watch for the tiger

 

 

Nobutomo blickte den Bergweg hinauf und wieder hinab. Er musste zugeben, dass er keine Ahnung hatte, was den Wachen zugestoßen sein mochte. Er wusste nur eines: An einen Tengu glaubte er erst, wenn er vor ihm stand, oder flog, oder was auch immer Tengus sonst so zu tun pflegten.

Sein Lord schien ähnlicher Meinung zu sein, denn auch wenn sein Bruder sich alle Mühe gab, ihnen das Märchen vom Tengu schönzureden, noch hatte er nicht zum Rückzug geblasen. Vermutlich war das Dorf Nezu inzwischen eh näher, als ihr provisorisches Lager am Anfang des Pfades.

 

Langsam ging er weiter, tunlichst darauf bedacht, sich alle paar Schritte nach seinem Lord und Nobutatsu umzusehen. Auch wenn er Letzteren nicht sehen musste, um zu wissen, dass er immer noch da war.

So war es eben mit himmlischen Wesen. Wenn sie sich einmal einmischten, nahmen sie garantiert erst mal den Falschen mit.

Er seufzte und versuchte Nobutatsus Erzählungen auszublenden. Wenn es hier einen Feind gab, musste man ihn doch hören können. Für einen Augenblick konzentrierte er sich völlig auf die Welt um sich herum. Er lauschte auf jeden Vogelschrei, jede Krähe, jede Mücke, die in seine Nähe kam. Doch nichts. Das Einzige, was er hörte, war ein weiteres Märchen vom Tengu.

 

Hinter ihm stieß sein Lord unzufrieden die Luft aus.

Seine Nerven waren angespannt. Nobutomo hörte es an der Art, wie er atmete, sah es an der Weise, wie sein Blick umher glitt. Er war unruhig, wie ein Tiger, der seine Beute suchte, aber nicht fand. Beständig angestachelt durch das leidige Geplapper seines Bruders!

 

Nobutomo atmete tief durch. Es war nicht an ihm, Nobutatsu zu ermahnen. Es war ein Vorrecht seines Herren und damit lag es nicht in seiner Hand. Es ˗ Der Nebel kam so plötzlich, wie ein Wimpernschlag und hüllte sie binnen weniger Sekunden in eine dicke Wolke ein.

„Wo kommt das so plötzlich her?“, hörte er seinen Lord schimpfen und war froh, ihn noch immer hinter sich zu wissen.

„Drückt Euch an die Felswand!“, rief er in den Nebel hinein und machte sich sogleich daran, seinen Rat auch umzusetzen. Solange sie sich an der Wand hielten, sank die Gefahr, versehentlich in den Abgrund zu stürzen.

 

Seine Finger strichen über harten Stein und zeigten ihm so den Weg. Schritt für Schritt kämpfte er sich voran. Fühlte und tastete, bis seine Finger schließlich auf etwas Weiches trafen.

Einen Moment lang war er irritiert, dann schlug der Stein plötzlich seine Augen auf. Fremde Hände griffen nach seinen Schultern, es gab einen Ruck und plötzlich wurde alles schwarz um ihn herum.

 

 

Als er wieder zu sich kam, hörte er aufgeregtes Gekicher. Nobutomo hielt die Augen geschlossen und versuchte es erst einmal einzugrenzen. Drei oder vier Frauen schienen in unmittelbarer Nähe zu sein. Vorsichtig öffnete er die Augen und sah erst einmal nichts.

Gleißend hell schien die Sonne auf ihn herab und nahm ihm so die Sicht. Eilig kniff er die Augen wieder zu. So sehr ihn die Sonne auch störte, innerlich dankte er den Göttern, nicht irgendwo in diesem Berg gefangen zu sein.

Was war nur geschehen? Und ... Hatte man ihn wirklich in den Berg gezerrt? Verwirrt setzte er sich auf, ignorierte den Schwindel, der von ihm Besitz zu ergreifen drohte, und räusperte sich. Die Frauen, die bei genauerer Betrachtung doch eher Mädchen waren, hielten in ihrem Gekicher inne und starrten ihn unverhohlen an.

 

„Akiyama-sama, Ihr seid aufgewacht.“

Nobutomo drehte sich zur Seite und blickte direkt in das perfekt geschminkte Gesicht einer jungen Frau. „Ich bin mir sicher, Ihr habt Fragen. Wollt Ihr uns bei einem Becher Sake Gesellschaft leisten?“

Einen Augenblick lang überlegte Nobutomo „Nein“ zu sagen, doch dann hörte er eine bekannte Stimme und die Antwort blieb ihm im Halse stecken. „Ryo?“, rutschte es ihm heraus und die Frau ihm gegenüber nickte schüchtern.

„Die beiden sind vor Euch eingetroffen“, erklärte sie ihm, „Aber sie scheinen den Sake sehr zu mögen.“

Nobutomo zog scharf die Luft ein. Das diese beiden Taugenichtse den Sake mochten, daran hatte er keinen Zweifel. „Wo sind wir hier?“, verlangte er zu erfahren, während er sich umständlich aufrappelte. Wo auch immer er gelandet war, ein Gefangener war er scheinbar nicht. Immerhin nahm man Gefangenen in der Regel ihre Waffen ab und er trug seine noch.

„Ihr seid im Dorf Nezu“, erklärte die junge Frau und wartete geduldig, bis sich der Schwindel in seinem Kopf ein wenig gelegt hatte. „Bitte folgt mir zu Eurem Platz.“

 

Sein erster Schritt war noch ein wenig unsicher, doch danach wurde es von Sekunde zu Sekunde besser, und als er sich schließlich auf eine Tatami-Matte sinken ließ, fühlte er sich schon wieder so sicher, dass er nach einer Mücke schlagen konnte.

Seine Führerin kicherte leise. „Bemüht Euch nicht“, riet sie ihm, „immer wenn Ihr eine trefft, wachsen gleich zwei Neue nach.“ Nobutomo war sich nicht sicher, ob es sich um einen Scherz handelte, oder ob sie es ernst meinte, doch als sie ihm die Schale füllte, hörte er bereits erneut das Unheil verkündende Surren.

„Ihr habt wirklich ein Mückenproblem“, stellte er verwundert fest und erntete prompt ein Nicken dafür.

„Bedauerlicherweise“, erklärte die junge Frau, „Aber Mochizuki-Hime sagt, andere Probleme wären gerade dringlicher.“

„Mochizuki-Hime?“, fragte er.

Sie nickte noch einmal.

„Sie hat dieses Fest für Euch organisiert. Und wir würden wirklich gerne die Speisen auftragen, aber bedauerlicherweise sind noch nicht alle Gäste da.“

Nobutomo hüstelte. „Ich bin mir sicher, sie wären schneller gekommen, hättet Ihr verlauten lassen, dass es hier kühlen Sake gibt.“

„Vermutlich“, stimmte sie ihm zu, „aber das hätte sie sicher weit weniger beeindruckt.“

Ein Dorf voller Frauen


 

 

Highest mountain top

A scary yokai becomes

a clever woman

 

 

„Ein Tengu! Ein Tengu!“, brüllte es, kaum das sie vor den Männern appariert war. Chiyome legte den Kopf schief und sah die Beiden an. Lord Takeda starrte durch den sich auflösenden Nebel zurück.

„Mochizuki-Hime“, stellte er schließlich fest.

Sie lächelte und senkte ihr Haupt. „Lord Takeda“, entgegnete sie, „Ich freue mich, Euch heute -“

„Ein Tengu!“

Lord Takeda rollte mit den Augen und Chiyome beschloss, den Einwurf zu ignorieren. „In meinem Dorf begrüßen zu dürfen“, beendete sie den Satz. „Ich hoffe sehr, Euch hat unsere kleine Demonstration gefallen.“

„Ihr habt also diesen Nebel erzeugt!“

Chiyome nickte.

„Und Ihr habt meine Wachen entführt!“

Sie nickte noch einmal. „Ich kann Euch versichern, sie sind wohl auf und erfreuen sich bereits an unserem besten Sake.“

„Sake?“, fragte Lord Takedas Begleiter und Chiyome schenkte ihm ihr schönstes Lächeln.

„Ihr müsst nur noch um diese letzte Biegung herum“, versicherte sie ihm. Die beiden Männer lieferten sich ein Blickduell, das Lord Takeda beinahe mühelos gewann.

„Warum habt Ihr das getan?“, fragte er, während sein Begleiter stumm hinter ihm stehen blieb.

Chiyome lächelte weiter. „Ich sollte Euch doch beweisen, wozu ein Dorf voller Frauen in der Lage sein kann“, erinnerte sie ihn, „Nun, das habe ich hiermit getan. Und nun frage ich Euch - Habt Ihr noch immer keinen Platz für uns in Euren Reihen?“

 

Lord Takeda machte einen Schritt auf sie zu. „Ihr könnt Leute ungesehen von einem Pfad entführen. Ihr könnt Nebel machen und gute Krieger glauben lassen, die Welt der Yōkai* habe sich vor ihnen aufgetan.“

Chiyome lachte. „Das kann ich wohl“, stimmte sie ihm zu. „Und ich kann mich auch verkleiden, an Orten erscheinen, an denen ich schon einmal gewesen bin und ich verstehe mich sehr gut auf die verschiedensten Arten von Heilmitteln.“

Lord Takeda schenkte ihr einen langen Blick. „Ich nehme an, mit mir werdet Ihr Eure Geheimnisse nicht teilen wollen?“, fragte er.

Chiyome schüttelte den Kopf. „Selbst wenn ich es Euch erklärte, nicht jeder Mensch ist in der Lage dieses Wissen auch zu nutzen. Darum wähle ich meine Schüler alle sehr sorgfältig aus. Aber was wollt Ihr mit meinem Wissen, wenn ich Euch auch Ergebnisse liefern kann?“

Ihr Lächeln vertiefte sich.

„Ergebnisse“, wiederholte Lord Takeda und endlich hatte Chiyome das Gefühl, das er echtes Interesse an ihr zu entwickeln begann.

„Ich könnte für Euch spionieren“, schlug sie vor, „Ich könnte auch dafür sorgen, dass nicht jeder Eurer Feinde des Nachts heil nach Hause kommt. Meine Schüler haben fleißig gelernt, sie können viele Dinge tun und mit jedem Tag, der vergeht, werden es mehr und mehr.“

„Ihr müsst Uesugi wirklich hassen“, stellte der Daimyō trocken fest.

Sie nickte. „Das tue ich, in der Tat. Es gibt nur eine einzige Sache, die ich noch mehr verabscheue als diesen miesen Hund.“

Lord Takeda verschränkte die Arme vor der Brust. „Und das wäre?“

„Mücken. Ich hasse Mücken. Und weil das so ist, müssen wir uns dringend noch einmal über die Ausgangsbasis meiner Operation unterhalten.“

„Ihr mögt Euer Bergdorf also nicht?“, stellte Lord Takeda sachlich fest und Chiyome schenkte ihm ein weiteres Lächeln dafür. „So würde ich das nicht nennen“, verbesserte sie ihn, „Es ist ruhig, es ist abgelegen, aber leider gibt es hier einen nie enden wollenden Schwarm an Mücken!“

„Und jetzt wollt Ihr, dass ich einen anderen, abgelegenen Ort für Euch und Eure Schüler finde?“

Chiyome nickte noch einmal. „Vielleicht habt Ihr ja noch ein anderes Dorf im Nirgendwo, oder vielleicht auch einen anderen Berg?“

Lord Takeda überlegte. „Nun, Dörfer hab ich viele, und vielleicht fände sich auch noch ein Berg, aber sagt mir, wie steht Ihr eigentlich zu unbewohnten Inseln?“

 

 



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von:  Salix
2019-02-23T19:59:23+00:00 23.02.2019 20:59
Ein gelungener Höhepunkt. Erst in diesem Abschnitt wurde mir beim ersten Mal Lesen klar, dass die Geschichte im Harry Potter Universum spielt.
Insgesamt ist es eine sehr spannende Geschichte, die mich bis zur letzten Seite gefesselt hat.
Besonders gut gefällt mir die Vermischung von Magie und dem Ninja-Wesen. Von Chiyome Mochizuki hatte ich zuvor noch nie etwas gehört und freue mich, dass du mir durch deine Geschichte eine Epoche Japans nähergebracht hast mit der ich mich noch nicht beschäftigt hatte. Deine Beschreibungen der Lebensweise und der Ereignisse in der Geschichte sind einfach nur herrlich und gut zu lesen. auch das Innenleben und die Gefühle der Charaktere bringst du gut rüber.
Sehr gut gefällt mir auch, dass die Geschichte Fußnoten zum Verständnis und ein Literaturverzeichnis aufweist.
Das Einzige, womit ich ein wenig Probleme habe sind die Perspektivwechsel, die aus meiner Sicht das Lesen verkomplizieren, weil ich ständig überlegen musste, wer denn jetzt nun wieder der Erzähler ist.
Also noch einmal, vielen, vielen Dank für diese tolle Wichtelgeschichte!
Von:  Salix
2019-02-23T19:49:42+00:00 23.02.2019 20:49
Okay, ab hier ist der Punkt, wo mich deine Perspektivenwechsel sehr verwirrt haben und ich mich gefragt haben, warum du sie vorgenommen hast.
Die Geschichte wurde bis jetzt aus fünf verschiedenen Perspektiven geschrieben, der Samurai (sorry, habe mir den Namen jnicht gemerkt), Kiyo, Chiyome, Takeda Shingen, Nobutomo und das hat mich wirklich völlig verwirrt.
Außerdem hat es dazu geführt, dass ich eine gewisse Distanz zu den Charakteren der Geschichte behalten habe, da keiner so recht der Hauptcharakter, mit dem man sich als Leser identifizieren könnte, ist, obwohl die Geschichte in Chiyome Mochizuki einen inoffiziellen Hauptcharakter hat.
Auch kann ich diese Perskektivenwechsel nicht nachvollziehen (bis auf den, zu den angegriffenen Männern in der Schlucht, der zur Erhöhung der Spannung dient, in meinen Augen.)
Allerdings hast du schon dadurch Spannung in der das Chiyomes Leben und das ihrer Untergebenen verwirkt ist, wenn sie nicht beweisen können, dass ihr Unternehmen in Takeda Shingens Augen nützlich war.
Und ich gestehe ich habe mich gefragt, warum du nicht Chiyomes Perspektive für die gesamte Geschichte gewählt hast.

Ansonsten ist die Beschreibung der Szene so, dass sie mir deutlich vor Augen steht und mir Chiyomes Plan nun klar ist.
Von:  Salix
2019-02-23T19:38:13+00:00 23.02.2019 20:38
Du schaffst es wunderbar die Spannung zu steigern, welche in dieser gefährlichen Situation auf dem engen Bergweg herrscht. Nach und nach wird deutlich in welch bedrohliche Situation sich der Feldherr begeben hat und auch wie sich die Stimmung der Männer von anfänglichen Scherzen zu Furcht verschiebt.
Aus Sicht eines Schreibers kann ich super nachvollziehen, warum du diese Szene aus der Sicht von Takeda Shingen gesschrieben hast.
Persönlich wäre ich neugierig gewesen, wie die Sicht der Angreifer und der Strategin, die das geplant hat aussehen würde. Das ist wirklich nur Neugier, denn deine Beschreibung der ganzen Situation hier ist wirklich gut!
Von:  Salix
2019-02-23T19:22:41+00:00 23.02.2019 20:22
Zu diesem Kapitel habe ich nicht viel zu sagen, ich liebe deine Beschreibungen des Alltagslebens im Dorf Nezu. Es wird deutlich, was Chiyomes Ziel ist und wie sie das praktisch angeht.
Auch die Beschreibung der Mückenplage ist wunderbar!
Von:  Salix
2019-02-23T19:18:01+00:00 23.02.2019 20:18
Ich finde die Idee, dass die Zofe mit der Herrin den Platz tauscht super. Die Gefühle und Ängste von Kiyo sind wunderbar nachvollziehbar.
Das Lord Takeda erst durch Argumente, die ihm die Nützlichkeit dieses Vorhabens vor Augen führen, überzeugt wird mag ich sehr gern.
Etwas schwer nachvollziehbar finde ich, warum du die Perspektive der Zofe für diese Szene gewählt hast, wo allmählich klar wird, dass die eigentliche Hauptperson der Geschichte Chiyome Mochizuki ist. Die Szene aus ihrer Sicht, wäre sicherlich auf spannend. Aber das ist nur etwas, was mich verwirrt.
Und ebenfalls merkwürdig finde ich Chiyomes Angebot, als Edelfrau, dass Takeda sollte ihr Vorhaben misslingen mit ihr verfahren dürfte, wie mit den Christen in seinem Herrschaftsgebiet. Merwürdig finde ich es, da die HInrichtungen von Christen eine sehr unehrenhafte Todesart in Chiyomes Augen gewesen sein dürfte.
Von:  Salix
2019-02-23T19:08:52+00:00 23.02.2019 20:08
So, nach langer Wartezeit komme ich jetzt zum kommentieren. Ich werde zu jedem Kapitel etwas schreiben und am Ende eine Zusammenfassung meiner Meinung liefern.
Mir gefällt sehr gut, wie du den Beginn der Geschichte, die Ausgangslage schilderst. Der treue Samurai, der seiner Herrin dient, obwohl sein Lehnsherr (ihr Ehemann) in der Schlacht gefallen ist.
Spannend ist, dass du hier die Perspektive des dienenden Samurais und nicht die der Herrin gewählt hast. So is dem Leser noch unklar, wozu genau die Herrin sich entschlossen hat.
Auf das Harry Potter-Universum, war ich bei diesem Geschichtenbeginn nicht gekommen, weil es den Miniprolog, den du hier hast noch nicht gab. Das ist allerdings eine Sache, die mich hier etwas verwirrt. Der Miniprolog suggeriert einen "Geschichtstext" in einem "Lehrbuch", während die Geschichte selber aus der Sichtweise einer historischen Persönlichkeit geschrieben ist, wie es in Geschichtslehrbüchern eher selten vorkommt.


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