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Zukunft

Jounouchi/Yuugi
von

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Wer braucht schon einen Ring?

Yuugi starrte das Schaufenster des Schmuckladens vor ihnen eine ganze Weile an und Jounouchi machte sich auch nicht die Mühe seine Gedanken zu unterbrechen. Yuugis volle Aufmerksamkeit lag bei den schicken Accessoires vor ihnen und immer wieder kam ein anerkennendes gar staunendes Raunen über seine Lippen. Der Blonde warf einen genaueren Blick auf das Stück, das Yuugis gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein ledernes Armband mit silbernen Nieten und einen zusätzlichen Gürtel, um das ganze Teil noch mehr aufzuwerten. Jounouchi selbst hatte nie viel von Schmuck gehalten. Er trug eine Kette mit einem kleinen silbernen Anhänger. Nicht weil er das Teil besonders schick fand, sondern aufgrund des emotionalen Wertes. Seine Schwester hatte ihm diese Kette geschenkt und er trug sie seit Jahren nahe an seinem Herzen.
 

Jounouchi wusste, dass Yuugi nie sonderlich viel Selbstvertrauen gehabt hatte und er zeigte seine Interesse für Visual Kei nicht so offen, wie er es gerne wollte, da er befürchtete, das Ziel von Schikanen zu werden oder gar von den Lehrkräften seiner Universität verwiesen zu werden. Obwohl er darüber staunte, dass keiner der Dozenten je etwas über Yuugis außergewöhnliche Frisur gesagt hatte.
 

Yuugi kam dem Schaufenster noch ein Stück näher und drückte seine Hände gegen die Glasscheibe. Ein breites Grinsen zeichnete sich auf Jounouchis Lippen ab.
 

Dank Atem hatte sein kleiner Freund viel mehr Selbstvertrauen gewonnen und heute traute er sich auch, seine Lieblingsklamotten in der Öffentlichkeit zu tragen. Schon während ihrer gemeinsamen Schulzeit hatte Yuugi ein ledernes Halsband angelegt. Zunächst hatte sich Jounouchi gewundert, aus welchem Grund er dies tat, doch er erklärte sich Yuugis plötzlichen Wandel so, dass Atem diesen Kleidungsstil bevorzugte. Der Pharao achtete sehr auf sein Aussehen und war in der Hinsicht vielleicht sogar etwas zu eitel gewesen. Aber es war nicht so, dass Atem dies wollte, sondern dass Yuugi selbst gerne Leder und Nieten trug. Erst mit dem Pharao an seiner Seite hatte er den Mut gefunden, seinen Schmuck tatsächlich anzulegen, den er sonst geheim in einer Schublade versteckte.
 

Da Yuugi begeistert die Ware betrachtete, aber kein Wort sagte, entschied Jounouchi, dass er nun genug hatte. Er legte einen Arm um seinen Freund, sodass dieser verwundert aufsah und seinen Mund einen breiten Spalt öffnete. Yuugi wollte etwas sagen, aber verstand nicht, was in seinen blonden Freund gefahren war. Jounouchi grinste nur und zog ihn mit zum Eingang des Ladens.
 

„Ich habe unglaublich Lust mich im Laden umzusehen!“, lachte er vergnügt und zog Yuugi hinein durch die Tür. Die Türmechanik gab einen leisen Klingelton von sich, als sie den Schmuckladen betraten und die junge Frau am Tresen wirkte etwas verwundert, dass zwei junge Männer, in einer innigen Umarmung umschlungen, den Laden betraten, da sie es gewohnt war, dass meist junge Frauen und Schülerinnen durch die Tür hinein kamen. Routiniert begrüßte sie ihre Kundschaft und widmete sich wieder ihren eigenen Aufgaben.
 

Yuugi freute sich wie ein Honigkuchenpferd. Noch immer hatte der Blonde seinen Arm um ihn gelegt. Er machte auch keine Anstalten sich zu entfernen, viel mehr schien er die Nähe zu diesen warmen Körper zu genießen. Leider entfernte sich Yuugi dann doch von ihm, da er sich umsehen wollte. Yuugis Begeisterung für Accessoires war für den Blonden zwar nicht so gut nachzuempfinden, da er selbst nie die Notwendigkeit gesehen hatte, sich großartig herauszuputzen, trotzdem konnte er nicht anders, als es irgendwie niedlich zu finden, wie viel Begeisterung sein Freund für diese glitzernden Teile aufbringen konnte.
 

Jounouchi sah sich mit weit aufgerissenen Augen um. Er hatte nie die Notwendigkeit gesehen, einen Schmuckladen zu betreten und die hiesige Auswahl an Accessoires verschlug ihm den Atem. Es gab unglaublich viel, von dem er nicht einmal wusste, zu welchen Gelegenheiten man diese Schmuckstücke trug.
 

Funkelnde Ohrringe, Ketten, Armbänder und Schmuckstücke, die er nicht so recht einzuordnen vermochte, befanden sich in den Regalen und den gläsernen Vitrinen. Einige der Klunker brachten ihn dazu, verwundert die Augenbrauen zu heben und einen genaueren Blick drauf zu werfen. Exotische und kunterbunte Stücke waren wohl gerade in Mode. Er selbst konnte sich nicht so recht vorstellen, mit bunten Federschmuck oder Traumfängern als Ohrringen herumzulaufen, aber der Modesinn einer Frau unterschied sich stark von dem eines Mannes. Vielleicht konnte er deshalb diesem Trend nicht mehr als ein müdes Lächeln und einen entgeisterten Blick abgewinnen.
 

Wirklich schön fand er diesen Firlefanz nicht. Leicht gelangweilt, ließ er seinen Blick durch die Damenabteilung schweifen, ehe er sich umdrehte und Yuugi aufsuchte.
 

Die Herrenabteilung war nicht sonderlich groß und wurde von den Massen an Angeboten für Frauen überschattet. Er warf einen prüfenden Blick zu seinem bunthaarigen Freund, der sich nun das Lederarmband ansah, das ihn bereits im Schaufenster so gut gefallen hatte.
 

„Lass uns doch etwas im Partnerlook kaufen. Das Armband im Schaufenster hat dir doch so gut gefallen.“
 

Yuugi hob den Blick, als Jounouchi ihn ansprach und drehte sich zu ihm.
 

„Das ist doch gar nicht dein Stil und ich habe auch gar nicht so viel Geld dabei. Nur gucken reicht mir auch.“
 

„Ich habe noch genug Trinkgeld von meinem Job übrig.“
 

„Das geht nicht!“, rief Yuugi aus und legte das Teil zurück, das er bis eben in seiner Hand hielt.
 

„Ich spare noch ein bisschen und kaufe es mir selbst.“
 

„Unsinn. Ich will es. Du und Jii-chan schenkt mir immer so viel und ich möchte dir auch mal etwas zurückgeben.“
 

„Ich kann das nicht annehmen...“, murrte Yuugi und senkte verlegen den Blick.
 

„Sieh es... als Zeichen unserer Verbundenheit. Für einen richtigen Ring habe ich noch nicht genug beisammen“, lachte Jounouchi, zwinkerte vielsagend und griff nach zwei Armbändern, die ordentlich im Regal hingen. Eines drückte er Yuugi in die Hand und das andere legte er sich um, um zu prüfen, ob es passte. Mit ein paar geschickten Handgriffen stellte er das Armband ein, sodass es wie angegossen passte.
 

Yuugi starrte ihn mit breit aufgerissenen Augen an. Ihm fehlten die Worte.
 

„Hey, komm schon... was hast du erwartet? Wir sind schon zwei Jahre zusammen und irgendwann macht man sich doch Gedanken über die Zukunft. Und meine ist an deiner Seite.“
 

„Hey“, begann Yuugi und grinste verschmitzt.
 

„Das klingt ja so, als wolltest du mir einen Antrag machen.“
 

Es war nur ein Witz. Oder vielleicht auch nicht. Sie waren nun zwei Jahre so richtig zusammen, obgleich es sich schon viel, viel länger anfühlte. Aufgrund ihrer Lebensumstände und ihrer Berufswünsche waren sie beide sehr beschäftigt und hatten bisher noch nie so wirklich über das Thema Zukunft oder gar Heirat nachgedacht. Mal davon abgesehen, dass zwei Männer in Japan nicht wirklich heiraten konnten und es viel mehr um den Gedanken dahinter ging. Jounouchi lebte bereits bei der Familie Mutou. Kurz nachdem er die Schule abgeschlossen hatte, hatte er sich ordentlich mit seinem Vater gestritten. Danach hatte er den Entschluss gefasst, von dem er sich so viele Jahre so sehr gefürchtet hatte. Ihn allein zu lassen und sein eigenes Leben in den Griff bekommen. Jounouchi konzentrierte sich auf sein eigenes Glück.
 

Sein Vater war ständig betrunken, saß oder eher lag faul auf der Coach herum und starrte beinahe leblos auf den Fernseher. Durch seine endlosen Glücksspiele – Sportwetten und Automaten in Kasinos gehörten zu seinen Lieblingsbeschäftigungen – hatte er sich selbst so sehr verschuldet, dass regelmäßig Schuldeneintreiber an ihrer Haustür klopften. Wenigstens das Glücksspiel hatte er aufgegeben. Sicher nicht, weil er es wollte, sondern weil er fast überall Hausverbot hatte und er mehr als einmal als unangenehmer Kunde aufgefallen war. Jounouchi musste Verantwortung übernehmen, für die er noch viel zu jung war.
 

Also ging er arbeiten und begann die Schulden seines Vaters mit seinem hart erarbeiteten Geld zurückzuzahlen. Die Schulden hatte er endlich getilgt. Sein Schulabschluss stand bevor. Jounouchi hatte Jahre seines Lebens damit verschwendet, die Fehler seines eigenes Vaters wieder auszubügeln und auch wenn sein Vater sich bedankt hatte, hatte er nach wie vor das Gefühl, dass diesem nicht wirklich bewusst war, was Jounouchi geopfert hatte.
 

Auf Partys gehen? Nein, Spätschicht. Morgens pünktlich zur Schule? Eine absolute Seltenheit, immerhin musste er morgens noch Zeitungen austragen. Die wenige Freizeit, die er hatte, hatte er mit seinem besten Freund Yuugi verbracht und mit ihm gemeinsam war er in die Welt der Spiele abgetaucht. Eine Welt, fernab von den Problemen seines eigenes Lebens. Hier konnte er er selbst sein und sich selbst neu entdecken. Er lernte neue Seiten an sich selbst kennen und ihm wurde bewusst, wie sehr ihm Großvater Mutou und dessen Enkel am Herzen lagen. Wie gern er hier war. In diesem Spielladen, wo sie sich die neuesten Spiele ansahen! Die coolsten und angesagtesten Karten besprachen. Wo sie sich vor den Fernseher hockten und die neusten Videospiele zockten – doch dann kam der Abend und wenn er nicht zur Arbeit musste, ging er nach Hause.
 

Es war nicht wirklich sein Zuhause. Zuhause war man dort, wo man sich wohlfühlte und wo die Familie auf einen wartete und einen begrüßte, wenn man nach Hause kam. Hier saß er lediglich die Zeit ab, bis er zur Schule oder zur Arbeit musste. Eigentlich kam er nur zum Schlafen nach Hause und um seinen Vater zu versorgen, der selbst nichts auf die Reihe brachte und auf sich allein gestellt vermutlich verhungern würde, da er zu faul – oder besser gesagt zu besoffen – war, um das Haus zu verlassen.
 

Als sein Vater schließlich schuldenfrei war, verbesserte sich ihre Beziehung zu einander ein wenig. Jounouchi hatte keine richtige Bindung zu diesem Mann aufbauen können. Er war sein Vater. Sie waren blutsverwandt. Und sonst? Sie lebten unter einem Dach und er versorgte den Mann, der sein Leben aufgegeben hatte und genüsslich, mit einer Flasche Bier in der Hand, dabei zusah, wie sein Leben den Bach runterging. Der Anblick seines Vaters, wie er nach der Flasche griff, hatte Jounouchi abgeschreckt. Schon in jungen Jahren hatte er sich geschworen, niemals zu trinken.
 

Glücklicherweise mochte Yuugi auch keinen Alkohol, dieser liebte süße Getränke und Tee, aber mit Bier und sondergleichen konnte man ihn jagen. Er trank nur dann, wenn es die Situation verlangte und wenn, dann nippte er meist nur an seinem Glas und versuchte sich den endlosen Ekel, den er verspürte, nicht ansehen zu lassen. Bei einer Charity Veranstaltung oder einer Duel Monsters Gala musste man ja auch auf seinen Ruf achten. So hatte Jounouchi jemanden gefunden, der ihn bei Feierlichkeiten nicht dazu animierte, doch mal einen Schluck zu nehmen. Jounouchi fragte sich ja ohnehin, warum es so normal war, Alkohol zu trinken und warum manche Leute nicht auch ohne Promillewert Spaß haben konnten.
 

Mit Yuugi hatte er immer Spaß. Ja, mit Yuugi fühlte er sich wirklich daheim. Das Lachen der Mutous, ihre herzliche Wärme und wie sie ihn ansahen, all das gab ihm ein Gefühl von Geborgenheit und war etwas, das er in seinem Leben niemals wieder missen wollte. Schon in seiner Jugendzeit hatte er sich mehrmals bei dem Gedanken erwischt, wie schön es doch wäre, einfach im Haus der Mutous bleiben zu können. Fernab von seinem Vater. Von dieser muffigen Wohnung, die bis zum Himmel nach Alkohol und Schimmel stank.
 

Das kleine Zimmer, in dem Jounouchi lebte, war mindestens genauso erdrückend und deprimierend wie der Rest der Wohnung gewesen. Immerhin hatte Jounouchi seine ganze Kindheit und Jugend damit verbracht, das wenige Geld, das er hatte, auf die wichtigen Dinge zu verteilen. Nahrung, Schulden, Miete und natürlich die beschissenen alkoholischen Getränke seines Vaters, denn dieser war ohne Promille im Blut überhaupt nicht erträglich und eine Gefahr für sich selbst und andere. Wenn Jounouchi ihm nicht regelmäßig etwas zum Trinken brachte, verschlechterte sich seine Laune und er warf mit leeren Bierdosen um sich und fing an die gesamte Breitband Palette an Schimpfwörtern, die er kannte, herum zu brüllen, nur um schließlich seinen Willen durchzusetzen.
 

Ein erwachsener Mann, der wie ein kleines Kind Theater machte, wenn er nicht bekam, was er wollte, war etwas, wo jeder normal denkende Mensch den Kopf schütteln würde, doch Jounouchi nicht. Nein. Der Mann ist mein Vater, hatte er dann gesagt und fügte noch hinzu: Und ich bin sein Sohn. Es ist doch meine Pflicht, für ihn da zu sein!
 

Es ging nie darum, ob er hier sein wollte. Ob er glücklich war. Es ging lediglich um seine Verantwortung. Seine Pflicht als Sohn, sich um diesen Mann zu kümmern. Gerne hätte er gesagt, dass er gut mit ihm klar kam. Und im Groben war es ja auch nicht so, dass er ihn hasste. Er war diese Umgebung einfach so sehr gewohnt, dass er sich nie die Frage gestellt hatte, wie es anders sein könnte. Erst durch Yuugis Anwesenheit und dessen Welt, in die er eingetaucht worden war, hatte er den Mut gehabt, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Es war Yuugis Großvater, der ihm nach dem Schulabschluss ein neues Leben schenkte...
 

„Jounouchi... möchtest du nicht bei uns wohnen?“, fragte der bärtige Mann mit einem Lächeln und sah den Blonden an, der gerade dabei war, die neuesten Waren, die erst am frühen Morgen geliefert worden waren, in die hohen Regale einzuräumen, wo keiner in der Familie Mutou herankam. Ein großgewachsener, kräftiger Kerl wie Jounouchi war eine große Entlastung. Er half ungefragt im Laden. Er meckerte nie. Er kümmerte sich sogar um den Haushalt, obwohl ihn keiner darum bat.
 

Er gehörte schon längst zur Familie. Für Sugoroku war es undenkbar, dass dieser junge Mann irgendwann nicht mehr kommen würde. Außerdem hatte er schon seit Langem den Verdacht, dass er nicht nur 'ein' Freund war, sondern 'der' Freund seines Enkels. Auch wenn es nur eine Vermutung war und er niemals die Dreistigkeit hätte, dies offen auszusprechen und die beiden in Verlegenheit zu bringen, war es doch für jeden ersichtlich, dass Yuugi und Jounouchi eine besonders innige Freundschaft verband, die weit über das Kumpel-sein hinausging. Daher hatte Sugoroku sich gesagt, dass er gerne einen Schwiegerenkel wie Jounouchi hätte. Bodenständig, verlässlich und immer hilfsbereit.
 

Klar, er konnte auch ziemlich kindisch und temperamentvoll sein. Er hatte ebenso viele negative, wie positive Eigenschaften, trotzdem sah Sugoroku ihn als Teil seiner Familie. Er hatte ihm das Kartenspielen beigebracht und auch darüber hinaus verband ihn weitaus mehr mit den Blonden. Sugoroku fühlte sich verantwortlich für Jounouchi. Auch wenn er bereits 18 Jahre alt war und die Schule beendet hatte, konnte er die Sorge nicht abschütteln, dass er noch lange nicht erwachsen genug war, um auf sich selbst aufzupassen. Jounouchi neigte dazu, sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen, wenn er seine eigene Ehre oder die seiner Freunde in Gefahr empfand. Er handelte dann äußerst impulsiv und ohne nachzudenken, was ihn schon mehrmals in schwierige Situationen gebracht hatte.
 

Er wollte nicht, dass dieser leuchtende Stern, der stets andere mit seinem Strahlen erfreute, einfach verschwand und nie wieder sein Licht zeigte, nur weil er eine falsche Entscheidung fällte, die er nicht mehr rückgängig machen konnte. Sugoroku wusste um Jounouchis Familiensituation. Am Vorabend hatte er mit seiner Schwiegertochter darüber gesprochen. Yuusuke – gemeint war Yuugis Vater, der aufgrund seiner Arbeit fast nie zu Hause war und selten von sich hören ließ – hätte sicher entschieden abgelehnt und gesagt, dass ein 'Gossenkind' in diesem Haus nichts zu suchen hatte, aber Yuugis Mutter hatte genauso wie Sugoroku eine Bindung zu dem Blonden aufgebaut.
 

Auch sie war besorgt. Was würde aus dem Jungen werden, wenn er weiterhin bei seinem verantwortungslosen Vater blieb? Sollte dieses arme Kind etwa sein ganzes Leben lang, für seinen Vater schuften, nur um dessen Alkoholabhängigkeit zu finanzieren? Während er selbst am Hungertuch nagte? Auch Yuugis Mutter fühlte sich verantwortlich und so kam es, dass sie stets für eine Person mehr kochte, wissend, dass Jounouchi kommen und sich für das leckere Essen bedanken würde. Seine Komplimente waren erfrischend. Etwas vulgär manchmal. So betitelte er Curry als „unglaublich geil“ oder „affenscharf“, was ihr mehr als einmal ein ungläubiges aber auch amüsiertes Lächeln auf die Lippen zauberte und ihr Freude bereitete.
 

Jounouchis Art sich auszudrücken war außergewöhnlich. Er hatte auch nie mit Verwunderung reagiert, als sie anfing, ihn mit dem Vornamen zu nennen. Nur einmal, da hatte er Tränen in den Augen, doch diese hatte er unterdrückt und dann frech gegrinst. Für die Familie Mutou stand es fest, dass Jounouchi zur Familie gehörte. So schenkte Sugoroku ihm Booster Packs, weil er wusste, dass er selbst nicht genug Geld hatte, sich neue Karten zu kaufen. Doch Sugoroku wollte ihn siegen sehen – nicht, weil er sein Lehrmeister war, sondern weil er schon lange ein Teil ihrer Familie war.
 

Die Frage, die er stellte, meinte er vollkommen ehrlich.
 

Jounouchi stellte die Kisten ab und drehte sich zum alten Mann um. Verwundert legte er den Kopf schief.
 

„Jii-chan...?“, fragte er skeptisch, eine Augenbraue schoss in die Höhe und seine Lippen zitterten leicht.
 

„Na ja, ich werde alt und ich brauche jemanden, der mir im Laden hilft. Yuugi ist mit seinem Studium und seinem geheimen Projekt beschäftigt und es wäre schön, wenn ich jemanden so Verlässlichen wie dich im Haus hätte“, begann der alte Mann und atmete tief ein.
 

„Außerdem gehörst du doch zu uns. Ich finde, es wird endlich Zeit, dass mein Sohn nach Hause kommt.“
 

Jounouchi konnte die Tränen nicht unterdrücken.
 

Jounouchi hatte seinen Vater verlassen und war nur einen Tag später bei den Mutous eingezogen. Sein Vater war überhaupt nicht glücklich mit seiner Entscheidung. Aus Wut hatte er alle leeren Flaschen und Dosen, die in greifbarer Nähe waren, nach ihm geworfen und ihn angeschrien. Seitdem lebte er bei Yuugis Familie. Er hatte ein eigenes, wenn auch sehr kleines, Zimmer. Die meiste Zeit verbrachte er bei seinen Jobs und am Abend, wenn Yuugi endlich nach Hause kam, zockten sie gemeinsam Videospiele, bis es Zeit wurde, ins Bett zu gehen. Es war ein normales Leben. Unkompliziert. Sein jetziges Leben war einfach zu schön, um wahr zu sein und um nichts in der Welt wollte er diese Stabilität, diese Sicherheit und die Geborgenheit, die er im Hause Mutou empfand, tauschen. Seit vier Jahren lebte er bei den Mutous. Die Sorge um seinen Vater verblasste mehr und mehr.
 

Immerhin wurde sein Vater vom Staat aufgefangen und ab und zu schickte Jounouchi ihm noch kleine Geldmengen, aber die meiste Zeit konzentrierte er sich auf sich selbst und seine Zukunft. Jounouchi war nun 22 und Yuugi 21. Yuugis Geburtstag stand vor der Tür. In zwei Monaten würden sie nicht nur ihre erste eigene Wohnung, sondern auch Yuugis Geburtstag feiern.
 

Auch wenn es sich bei dem Armband nicht um einen Ring handelte, so gab es doch genügend Gründe, warum er dem Mann, den er über alles liebte und mehr als alles andere auf der Welt schätzte, ein Geschenk machen sollte. Und wenn sie schon zusammen wohnten, konnte man ja auch sagen, dass sie zusammenlebten und für Jounouchi stand da fest, dass ihre Beziehung gut genug lief, dass man davon sprechen konnte, dass es eine Sache für die sprichwörtliche Ewigkeit war.
 

Und für Yuugi stand auch fest, dass er sein Leben an der Seite von diesem Mann verbringen wollte.
 

Yuugis Wangen nahmen eine unnatürliche Farbe an und er räusperte sich, hielt dem Blonden das Armband hin.
 

Yuugi hatte schon mehrmals über ihre Beziehung nachgedacht und wie es weitergehen würde. Richtig heiraten ging nicht, da sie beide Männer waren und die japanische Regierung gleichgeschlechtliche Hochzeiten nicht duldete. Also kam die Frage nach Heirat nie so wirklich auf. Immerhin handelte es sich um etwas, das in weiter Ferne existierte, aber unerreichbar war. Aber trotzdem fragte er sich manchmal, wie es wohl wäre, wenn Jounouchi ihm einen Antrag machen würde. Was würde er sagen? Wie würde er reagieren? Oder wie würde Jounouchi reagieren, wenn Yuugi ihm die alles entscheidende Frage stellte? Es war ein Gedankenspiel und nichts, das sich wirklich erfüllen ließ.
 

Sie hatten schon häufiger Filmszenen nachgespielt und hinterher beherzt darüber gelacht. Ob Jounouchi es nun ernst meinte? Jounouchi grinste und entschloss sich mitzuspielen. Langsam ging er auf die Knie, räusperte sich einmal und warf Yuugi einen ernsten Blick zu.
 

„Nimmst du dieses Lederarmband an?“
 

Er hielt Yuugi das Lederarmband hin und wartete darauf, dass Yuugi seine Hand ausstreckte. Yuugi ließ zu, dass Jounouchi ihm das Armband anlegte. Als Jounouchi seinen Kopf wieder hob, waren seine Augen von seinen langen, blonden Ponysträhnen halb verdeckt und ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. Noch immer hielt er Yuugis Hand in seiner. Es war nur ein kleiner Moment und trotzdem schlugen ihre Herzen wie wild. Nur ein bisschen Theater. Ein Scherz. Ein absolut altmodisches Klischee.
 

„So etwas Kitschiges passt ja mal überhaupt nicht zu uns“, scherzte Yuugi, neigte seinen Kopf leicht zur Seite, sodass ihm seine Haare ins Gesicht fielen. Um seine Verlegenheit zu verbergen, fummelte er mit seiner freien Hand an seinen Haarsträhnen und vermied es Jounouchi anzusehen. Die Hitze auf seinen Wangen verriet weitaus mehr, als es ihm lieb war.
 

„Yeah, ist schon ziemlich cringy“, lachte der Blonde, der sich nun erhob und sich den Hinterkopf rieb.
 

Auch wenn es nur ein Scherz war, so waren ihre Gefühle dabei echt. Sie sahen sich tief in die Augen, dann kicherten sie leise und lachten immer lauter.
 

„Aber auch wenn es kitschig ist, ich meinte es ernst.“
 

Jounouchi zwinkerte und grinste breit.
 

„Du bist das Beste, das mir je passiert ist, Katsuya“, erklärte Yuugi. Worte wie Ich liebe dich brauchten sie nicht, da die Gesten allein ihnen Beweis genug für die Gefühle des Anderen waren. Yuugi mochte es, dass Jounouchi kein übertriebener Romantiker war. Er schenkte ihm keine Blumen oder brachte ihm Pralinen mit. Stattdessen kochte er Abendessen für die Familie oder brachte ausgeliehene Filme mit oder überraschte Yuugi mit einem neuen Duel Monsters Booster Pack oder Merchandise zu Spieltiten, die Yuugi besonders gerne mochte. (Jetzt, wo er sein Geld nicht mehr für seinen Vater ausgab, blieb ihm weitaus mehr für sich selbst übrig.) Sie brauchten sich nicht zu verstellen und sie verstanden einander ohne Worte.
 

Yuugi erwiderte sein Lächeln und gemeinsam begaben sie sich zum Tresen, um ihre Armbänder zu bezahlen. Für einen richtigen Ring war nicht genügend Geld da, aber musste dieses Zeichen der Verbundenheit unbedingt ein Ring sein? Reichte nicht auch eine Halskette oder gar ein Armband? Es ging doch ohnehin um den Gedanken dahinter und nicht um den Gegenstand an sich.
 

Jounouchi bestaunte das Lederarmband um sein Handgelenk und grinste breit.
 

„Ein richtiger Ring kommt noch“, murmelte Jounouchi als sie den Laden verließen.
 

„Ich weiß“, kam es von Yuugi, der verträumt vor sich hin lächelte.
 

Um nichts auf dieser Welt wollte Jounouchi dieses Glück, das er mit Yuugi und dessen Familie gefunden hatte, tauschen. Hier gehörte er hin. Hier wollte er bleiben. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er seinen Nachnamen schon längst in Mutou geändert, doch so einfach war das Ganze nun mal nicht. Katsuya Mutou, ja, das klang unheimlich schön.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Shu_Akai
2018-09-23T12:40:38+00:00 23.09.2018 14:40
Aww, wie süß. Schön das Großvater Mutou ihn als seinen Sohn betrachtet! Die Frage ob er bei Ihnen wohnen will, war toll.
Und zu sehen, das sie sich ein Partnerlook in Form eines Armbandes geholt haben, zeigt wie viel sie einander bedeuten. *schwärm*


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