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Rot und Blau

von

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Zwielicht

Stumm fiel der Schnee zu Boden und breitete langsam eine weiße Decke darüber aus.

Nachdenklich sah ich zum Himmel, versuchte kurz auszumachen wie viel Flocken wohl heute Nacht noch fallen würden.

Vermutlich war die Zahl gar nicht greifbar. Unbewusst schüttelte ich meine Haare etwas aus, da sich der Schnee dort ebenfalls niedergelassen hat.

Und auch wenn ich jetzt einen tollen, hässlichen und billige Mantel trug...war mir trotzdem relativ kalt.

Ich war von jeher eine Frostbeule und hier in Detroit hat sich das wahrlich nicht gebessert. Hier können die Winter auch mörderisch kalt werden, dabei hat der Winter gerade erst begonnen.

Kurz schielte ich zur Seite und erblickte den Androiden, der weiterhin gerade ausging.

Selbst auf ihm blieb der Schnee liegen. Sowohl Kleidung und Haar.

Gerade bei letzteren war ich versucht ihm durch das Haar zu wuscheln und ihm so von den Schneeflocken zu befreien.

Wie sich sein Haar wohl anfühlt? Genauso weich wie meines? Oder eher drahtig und rau?

Neugierig besah ich mir sein Haar weiterhin, während der Drang immer größer wurde, einfach sein Haar zu berühren und es heraus zu finden.

Der AK800 hat meinen Blick anscheinend registriert, denn er blickte mich nun direkt an.

"Stimmt etwas nicht?", fragte er direkt, was mich ertappt zusammen zucken ließ.

Mit großen Augen blickte ich in seine, woraufhin er den Kopf fragend etwas zur Seite neigte.

Kurz räusperte ich mich, ehe ich mich dann einfach dazu entschloss, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich war mir zudem ziemlich sicher, dass er garantiert auch ein Lügendetektor, oder ähnliches besaß. Also kann ich mir eine fade, zusammengesponnene Geschichte gleich sparen.

"Ich hab nur deine Haare bestaunt das ist alles...und ich frage mich, wie sich diese wohl anfühlen", sprach ich doch noch zögernd und stockend den letzten Teil.

Der Android ging weiter, besah mich aber weiterhin, diesmal hoch konzentriert. Erneut konnte ich in seinem Gesicht keine Regung erkennen, geschweige denn irgendeine Emotion.

Vermutlich denkt er, ich hab nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Aber die Blechbüchsen verhalten sich ja auch nicht viel besser, irgendwie muss das ja abfärben!

Frustriert seufzte ich auf und fuhr mir erneut durch mein eigens Haar um sie vom Schnee zu befreien. "Schon gut, vergiss am besten was ich gesagt hab"

Ehe Connor etwas sagen konnte, rannte ich vor, denn ich entdeckte das leere brennende Ölfass und die Kinder die darum standen und sich verzweifelt versuchen zu wärmen.

Das Mädchen mit den langen, blonden Locken entdeckte mich als erste und rannte freudestrahlend auf mich zu.

"Hannah, da bist du ja wieder! Ich hab dich schrecklich vermisst“, sprudelte es sogleich aus Amber heraus, als sie sich in meine Arme warf. Schmunzelnd drückte ich sie gleich an mich und versuchte den Schmutz von ihrer Wange zu wischen.

Mit großen Augen musterte sie mich aufmerksam, als sie wenige Schritte zurück getreten war um mich in Augenschein zu nehmen.

"Dir geht's ja wirklich besser", flüsterte sie beinahe ungläubig.

"Sag ich dir schon die ganze Zeit!", rief Adam nun genervt, als er sich zu uns gesellte. Auch er besah mich nochmal musternd, ehe er zufrieden nickte.

Auch wenn ich froh war, die beiden Nervensägen wieder zu sehen, so erkannte ich gleich, dass es den beiden nicht wirklich gut ging.

Hastig zerrte ich aus meiner Manteltasche Sandwich Packungen, die mir Connor gnädiger Weise noch gegeben hatte, und gab diese den Kindern. "Los, ihr müsst was essen", wies ich die beiden sogleich an.

Adam jedoch sah alles andere als begeistert aus. "Ist das dein ernst? Das sieht aus wie einmal gekaut und wieder ausgespuckt!"

Gerade wollte ich schimpfen, als der RK800 neben mir zum Stehen kam.

Amber und Adam sahen beinahe ehrfürchtig zu ihm auf und verstummten sogleich. Skeptisch besah ich mir das Szenario.

Was hat das denn zu bedeuten? Es wirkt ja fast so, als ob die beiden Kinder irgendwie Angst vor Connor hätten. Aber warum? Immerhin ich kann sagen, dass ich nicht die geringste Angst ihm gegenüber verspüre.

Er ist lediglich unheimlich.

Lächelnd hockte ich mich zu den Zwillingen hin und reichte ihnen das Essen. „Nun kommt schon, danach habe ich eine Überraschung für euch“

Amber bekam sogleich große Augen. „Was denn? Ist es eine schöne Überraschung?“

Ich grinste vielsagen und zwinkerte ihr zu. „Na klar, was glaubst du denn?“

Das Mädchen kicherte kurz vergnügt, dann biss sie in das Sandwich und begann langsam zu essen. Adam tat es ihr gleich, verzog jedoch frustriert das Gesicht und wollte vermutlich wieder irgendwas Negatives sagen.

Warnend hob ich eine Augenbraue, woraufhin er murrend stumm blieb und weiter aß.

Zufrieden besah ich mir nun die beiden Kinder und nickte ihnen zu. Schließlich müssen sie genauso bei Kräften bleiben, sogar mehr als ich.

Als sie endlich fertig waren mit essen, öffnete ich den Rucksack und ließ sie die gesammelte Kleidung hinaus ziehen. Es war Kindermode und hoffentlich auch die passende, denn ein zu kleiner Mantel hätte schlimmere Auswirkungen, als bei mir.

Ich würde das schon irgendwie Händeln können, aber nicht die Kinder.

Überrascht schreckte ich jedoch plötzlich hoch, als Androiden aus dem dunklen auf uns zu traten. Erneut so leise, das sie mal wieder zu spät bemerkt habe.

Josh erkannte ich als erstes wieder, er nickte mir lächelnd zu und kam sogleich zu mir. Immer noch vorsichtig musterte ich ihn und war nicht wirklich gewillt, ihn anzulächeln.

Schließlich sind wir nach wie vor Gefangene. Mehr, oder weniger. Und ich bin gewiss nicht gewillt, mit unseren Entführern Freundschaft zu schließen.

Sobald ich eine Gelegenheit sehe, werde ich sie ergreifen und mit den Kindern verschwinden.

„Dir geht es deutlich besser, das freut mich“, sprach mich Josh nun an, doch ich schnaubte nur leise vor mich hin.

„Danke, aber ich kann es selbst nicht ganz fassen“, sprach ich leise zu mir selbst und biss mir auf die Lippen. Mein Blick lag skeptisch auf Connor gerichtet, doch er blickte wiederum bedachtsam und ruhig zu Josh, der seinen Blick nun auch erwiderte.

„Wie sehen die Vorbereitungen aus?“, fragte der RK800 zu dem anderen Androiden, mit dem afroamerikanischen Aussehen. Dieser antwortete sogleich. „Markus wäre jetzt soweit, sie zu empfangen“

Augenblicklich erstarrte ich und riss erschrocken die Augen auf, als sich meine Gedanken bereits überschlugen und mir regelrecht schlecht wurde.

„Markus? Der Markus?“, fragte ich unsicher und erhob mich langsam, während ich Josh anstarrte, der meinen Blick jedoch ruhig erwiderte und nickte.

Der Android, der praktisch alles ins Rollen brachte und eine Revolution angezettelt hatte? Der Android, der es geschafft hatte, sämtliche Androiden wachzurütteln und sich seiner Revolution anzuschließen?

Der Android der dafür gesorgt hat, dass sämtliche Androiden in Detroit durchgedreht sind und daraufhin unzählige Menschen getötet haben?

Einschließlich den Vater von den Zwillingen. Kurz sah ich Bilder vor meinen Augen aufblitzen, die ich hastig zu verdrängen versuchte.

Ich will das ganze Blut einfach vergessen. Das Blut an den Wänden, auf dem Boden und an mir.

Eine kleinere Hand schloss sich um meine, woraufhin ich aus meinem Tagtraum erwachte und überrumpelt zu Amber sah, die mich unsicher musterte.

„Hannah, wer ist dieser Markus?“, flüsterte sie kaum hörbar, doch auch Sorge spiegelte sich in ihren Augen wieder. Vermutlich weil sie mein geschocktes Gesicht gesehen hat.

Unsicher sah ich drein, während ich abwog wie ich dem Kind Markus beschreiben sollte. Schließlich sind wir von Androiden umzingelt, die jedes einzelne Wort genau hören konnten.

Wenn wir dann von ihrem großen Anführer schlecht reden, was wird dann passieren? Vermutlich würden Köpfe rollen.

Gerade als ich mich mühevoll zu einem Lächeln durchrang und so neutral wie möglich antworten wollte, kam mir Adam bereits zuvor.

„Der Anführer dieser Blechbüchsen, verdammt! Der ist schuld daran, das Detroit hinüber ist!“, bluffte er wütend seine Schwester an, die daraufhin erschrocken zusammen zuckte. Sofort sammelten sich Tränen in ihren Augen, während sie sich entsetzt an mich klammert.

Unfassbares Entsetzten ergriff mich und ließ mich panisch zu dem Jungen sehen, der das jedoch anscheint nicht zur Kenntnis nahm. Sein Übermut in allen Ehren, aber gerade jetzt in diesem Moment ist der mehr als Unangebracht! Wegen ihm werden wir noch alle hingerichtet werden!

Ich warf Adam einen wütenden Blick zu, woraufhin er auch kurz betreten drein sah, sich aber doch wieder aufrappelte und entschieden drein sah. „Pah, ich sage lediglich die Wahrheit!“

Erneut murrte ich und schritt frustriert auf ihn zu. „Ja, aber die Wahrheit kann man manchmal auch schön verpacken, besonders dann, wenn wir von lauter Androiden umgeben sind die uns umbringen, wenn wir schlecht von ihrem verdammten Anführer reden!“, schrie ich ihn aufgebracht an.

Als ich jedoch bemerkte, dass nun sämtliche Augen auf mich gerichtet waren, hätte ich mich am liebsten selbst geohrfeigt.

Frustriert fuhr ich mir durch die Haare, während mir das Blut in die Wangen schoss. Nun sah ich bestimmt aus wie die reifste Tomate überhaupt.

Am liebsten würde ich im Erdboden versinken.

"Schafft uns schon hin, ehe es noch peinlicher wird für mich", sprach ich leise und sah betreten zu Boden.

Amber sah fragend zu mir hoch, drückte aber erneut leicht meine Hand um mir zu signalisieren, dass sie bei mir bleiben wird.

Adam stöhnte genervt auf, sagte aber auch nichts weiter. Seine Blicke dagegen sprachen Bände. Wenn er könnte, würde er vermutlich jeden Androiden einzeln zerlegen.

Josh ergriff als erstes Wort und dabei wirkte er regelrecht...peinlich berührt. Was eigentlich unmöglich sein müsste, immerhin ist er ja nur eine Maschine.

"Wir und auch Markus, werden euch nichts antun. Darauf habt ihr unser Wort"

In Adam schien es zu Brodeln, denn er lief nun auch rot an und wirkte regelrecht angespannt. Gerade als er den Mund öffnete, vermutlich um wieder irgendwas Kontraproduktives von sich zu geben, hielt ich ihm gekonnt den Mund zu und starrte ihn mahnend an.

Er blieb stumm und wir folgten, als die Androiden schließlich kurz darauf losgingen.

Während wir also durch Detroit gingen, sah ich nachdenklich zum Himmel hinauf. Er wurde ganz langsam etwas heller, es fing an zu dämmern.

Vermutlich habe ich mit den Kindern so viel Schlaf nötig, wie bis jetzt noch nie in meinem ganzen Leben.

Besorgt sah ich auf Amber hinab, die immer noch blass und erschöpft aussah. Auch die neuen Sachen die ich ihr gegeben habe, werden ihr nicht genug Wärme geben können.

Vermutlich dasselbe auch bei Adam, doch der würde das niemals so zeigen.

Er hasst es mehr denn je, Schwäche zu zeigen.

Mein Blick fiel nun wieder zur Dämmerung am Himmel, während es zusehendes etwas heller wurde am Himmel. Bald würde die Sonne aufgehen und dann würde es endlich heller sein, damit ich auch endlich wieder klarer sehen konnte. Die Dunkelheit behagt mir ganz und gar nicht.

Vielleicht entdecke ich dann auch nebenbei einen Fluchtweg, schließlich habe ich den Plan nicht aufgegeben. Nur etwas…zeitlich verschoben.

Ich schielte zu Adam, der neben mir lief und weiterhin ziemlich genervt drein sah. Alles an ihm schien danach zu schreien, sich schnellstmöglich von hier zu verdünnisieren.

Leicht lächelnd wuschelte ich durch sein Haar, was er mir sofort mit einem empörten Laut quittierte. Ich kam nicht umhin zu grinsen. „Was soll das? Du versaust meine Frisur“, zischte er mir frustriert entgegen und versuchte schnellstmöglich den katastrophalen Schaden zu richten.

Ich stieß ihn freundschaftlich gegen die Schultern und musste erneut schmunzeln. „Die ist eh nicht mehr zu retten. Bei keinem von uns“

Adam sah jedoch nicht sonderlich überzeugt aus und murmelte etwas Unverständliches, in seinen nicht vorhandenen Bart.

Ohne lange zu zögern ergriff ich seine Hand und zog ihn sachte an mich. Ruhig sah ich auf ihn hinab, denn er ist kurzzeitig erstarrt. „Mach dir keine Sorgen, ich bringe uns schon hier raus. Amber wird nichts passieren, versprochen“, flüsterte ich ihm leise ins Ohr, woraufhin Adam tatsächlich wieder aus seiner Lethargie erwachte.

Er sah zu mir auf, seine Augen schienen kurzzeitig zu glänzen. Doch schnell sah er wieder zu Boden und nickte nur knapp.

Sachte drückte er meine Hand und hielt sie fest. Ein warmes lächeln legte sich auf meine Lippen, ehe ich die Hände der Kinder sachte drückte.

Mir entging in diesem Moment, das wir beobachtet wurden.

Inzwischen war die Sonne aufgegangen und präsentierte uns einen wunderschönen Tagesanbruch. Amber neben mir seufzte verträumt und sah dann lächelnd zu mir auf. „Gefällt mir!“ Ich nickte und musste ebenfalls seufzen.

Als wir schon seit geraumer Zeit unterwegs waren und ich mehr als dankbar war, diesen miesen Vorort von Detroit hinter uns gelassen zu haben, so staunte ich nicht schlecht, als ich einen Turm in den Himmel ragen sah. Und wir liefen geradewegs weiter darauf zu.

„A-aber das ist ja der CyberLife Tower“, entfuhr es mir einfach überrascht.

„Dort leben die Androiden jetzt, zusammen mit unserem Anführer“, sprach Josh ruhig, jedoch zierte ein sanftes lächeln sein Gesicht.

Perplex schielte ich zu ihm, dann kurz zu den anderen Androiden um uns herum.

„Aber das ist doch praktisch der Ort, an dem ihr erschaffen wurdet und…programmiert wurdet? Wolltet ihr euch davon nicht lösen?“, fing ich zögerlich an.

Zumindest würde mir es so gehen. Wenn ich ein Android wäre, dann würde ich den ganzen Laden abreißen lassen.

„Wir sehen die Effizienz in diesem Gebäude, nicht seinen geschichtlichen Aspekt“, antwortete nun auch Connor und ließ mich neugierig aufhorchen.

Ich seufzte schwer und besah mir den gigantischen Turm, der in den Himmel ragte. Zwar konnte ich den Tower bereits sehen, doch ehe wir dort waren, würde es ein langer Weg werden. Zudem müssen wir über eine schier endlos lange Brücke gehen, ehe wir dann überhaupt erstmal angekommen waren.

Ich ächzte frustriert. „Das wird ein weiter Weg, da sind wir doch Stunden unterwegs“

Selbst wenn ich öffentliche Transportmittel wie die Pest hasse, so wäre ich mehr als Glücklich, wenn wir einfach ein Taxi rufen könnten, damit wir in ein paar Minuten dort wären.

Aber seit diesem Aufstand der Androiden, war das öffentliche Leben in Detroit komplett abhandengekommen. Es fahren weder Busse noch Taxis. Auch Züge waren nicht mehr hier langgefahren, geschweige denn andere Fortbewegungsmittel jeweiliger Art.

Sogar der Strom wurde abgeschaltet, zumindest vom öffentlichen Netz. Wie es mit dem W-LAN Netz aussah weiß ich nicht, aber vermutlich nicht viel besser.

Mein Smartphone ist verschwunden und liegt vermutlich irgendwo in der Villa von Familie Traynor.

Und erst jetzt wurde mir bewusst, wie blind wir eigentlich wirklich waren. Und wie abgeschnitten vom Rest der Welt, der wahrscheinlich eh wollte, das Detroit von der Landkarte komplett verschwindet.

Aber vermutlich wissen die Androiden ganz genau, was um sie herum geschieht. Immerhin haben sie Methoden, um Informationen schnell weiterzugeben.

Nachdenklich legte ich meine Stirn in Falten, bis ich bemerkte wie Amber meine Hand fester drückte und leicht daran zog. Etwas verwirrt sah ich auf sie hinab, doch als ich ihren Blick sah, war mir klar was sie plagte.

„Können wir mal eine Pause machen?“, warf ich in die Runde. Augenblicklich waren sämtliche Blicke auf mich gerichtet, was mich jedoch nicht wirklich behagte.

Verlegen sah ich drein. „Also wir Mädels müssen mal kurz verschwinden, wir sind gleich wieder da, versprochen“

Ich hoffe wirklich, dass sie verstanden haben um was es geht. Wenn ich ihnen jetzt noch die Komplexität des Menschlichen Harndrangs erläutern muss, bin ich endgültig hinüber für diesen noch recht jungen Tag.

Connor ergriff als erstes Wort und ließ mich beinahe erleichtert ausatmen. „Beeilt euch und geht nicht zu weit weg“

„Jaja, Chef“, murmelte ich unbewusst und zog Amber mit in ein nahes Dickicht. Immerhin war diese Gegend noch einigermaßen von Pflanzen bewachsen, was uns immerhin auch als Blickschutz dient. Wir gingen noch ein kleines Stück, bis ich eine große Trauerweide entdeckte. Fasziniert blieb ich stehen und betrachtete den Baum von oben bis unten.

Das Besondere an diesem Baum waren ohne Zweifel seine Äste, denn die wuchsen im Gegensatz zu den anderen Bäumen nicht der Sonne entgegen, sondern neigten sich Großteiles dem Boden zu.

Der Schnee hatte sich auf die großen Äste gelegt und ließ den Baum nun so wirken, als hätte er weiße Blätter. Wie lange, dicke Fäden die vom Baum hingen und fast den Boden berührten. Dazwischen ein paar Eiszapfen, die jedoch auch gut als Kristalle fungieren könnten.

„Hannah, bitte!“, flehte Amber beinahe und zappelte unentwegt hin- und her. Schnell löste ich mich von dem Anblick und ging mit dem Mädchen hinter die große Trauerweide.
 

Nachdem wir auch das geschafft hatten, wollte Amber sich rasch wieder anziehen. Denn man fror sich hier wortwörtlich den Hintern ab.

Doch just in dem Moment hielt ich inne, und besah mir die Verletzung an Ambers Oberschenkel, welches mir gerade jetzt ins Auge sprang.

Es sah aus, als hätte sie sich dort einen tiefen Schnitt zugezogen von etwas sehr, sehr scharfen. Doch die Wunde war bereits dabei zu verheilen. Grind hatte sich großflächig gebildet.

„Was ist da passiert?“, fragte ich sofort und deutete auf die Stelle.

Amber folgte meinem Blick, dann zog sie hastig ihre Hose hoch und sah mich beinahe erschrocken an. Fast so, als hätte ich etwas entdeckt, was ich lieber nicht gesehen haben sollte.

Skeptisch zog ich eine Augenbraue nach oben.

„Amber?“, fragte ich ruhig nach, doch sie ging bereits einige Schritte langsam zurück. „E-es ist nichts, ich habe mich nur geschnitten!“

Sofort wurde mein Gesichtsausdruck ernster und ich ging auf sie zu, während das Mädchen weiterhin mit entsetztem Blick zurück wich. „Und wo, wenn ich fragen darf? Du warst nirgends groß verletzt, als wir aus Detroit geflohen waren. Und diese Mistkerle in dieser Hütte hatten auch kein Messer dabei, das sie an dir gewetzt haben. Wo hast du also diese Schnittverletzung her?“, fragte ich nachdrücklich.

Das Mädchen stieß schließlich gegen die Rinde der Trauerweide und sah mich mit großen Augen an. Kritisch beäugte ich sie von oben bis unten und musterte sie.

„Sag es mir!“, sprach ich scharf und fordernd. Irgendwas in mir sagte, das hier was gewaltig im Argen lag!

Und dann war es bereits so weit und Amber brach in Tränen aus. Auch wenn ich hart bleiben wollte, so konnte ich es einfach nicht, als das Mädchen nun so laut und herzzerreißend weinte.

Hastig zog ich sie in meine Arme und strich sachte über ihren Kopf. „Amber“, sprach ich beruhigend auf sie ein, doch sie entzog sich mir schnell wieder und sah mich mit großen, verquollenen Augen an. Weitere Tränen liefen ihre Wangen hinab, doch sie fing an mit brüchiger Stimme zu reden.

„Ich…habe geschworen nichts zu sagen…“, flüsterte sie unsicher, was mich erneut in Alarm Bereitschaft versetzt. Beinahe drehte sich mein Magen um, während ich auf das hilflose Kind starrte, das sich heulend an mich krallte und regelrecht um Vergebung bettelt.

„Bitte sag es mir doch“, bat ich sie flehend und strich ihr eine Träne aus dem Gesicht, während sie leise vor sich hin schluchzte.

„Du...lagst im Sterben“, schluchzte sie erneut und erzitterte beinahe bei jedem Wort. Ihr Blick wirkte verklärt, als wenn sie mit ihren Gedanken gerade ganz woanders wäre, doch sie sprach mit brüchiger Stimme weiter.

„Adam und ich hatten so panische Angst um dich, dein Fieber sank nicht und Connor hat uns alles Haargenau beschrieben, wie deine letzten Stunden sein würden, bevor du schließlich an dieser Schipsas…Schapsas…dieser Blutvergiftung sterben würdest“

Etwas verwirrt sah ich drein, lauschte aber weiterhin dem Mädchen zu.

„Jedenfalls wussten wir alle, dass du sterben würdest. Es gab ja nicht mal ein Krankenhaus in der Nähe, das dich behandeln konnte. Aber wir wollten nicht das du stirbst und Connor wusste das…und deswegen…deswegen…“

Schnell packte ich sie an den Schultern und rüttelte sie nervös. „Verdammt, Amber was habt ihr getan?“, fragte ich mit erstickender Stimme und sah sie beinahe panisch an.

Ihre Augen glänzten erneut, dann sah sie mich so durchdringend an, dass ich beinahe schlucken musste. Sie wirkte gerade nicht wie ein Kind, sondern beinahe wie eine andere Person. Eine erwachsene Person.

„Also haben Adam und ich, dir ein Teil von uns gegeben“

Es dauerte einen kurzen Moment, ehe ich langsam begriff was mir das Mädchen soeben gesagt hatte. Dennoch klang es so abstrus, dass ich mir darunter nichts vorstellen konnte.

Bevor ich auch nur nachfragen konnte, hörte ich hinter mir das Knirschen von Schnee und Geäst. Hastig fuhr ich herum und blickte sogleich in braune, dunkle Augen die mich aufmerksam analysierten.

Sofort wurde mir wieder schlecht. Wenn es so weiter geht, war ich mir sicher mich zu übergeben.

„Was willst du hier?!“, fuhr ich aufgebracht den RK800 an und stellte mich schützend vor Amber. Mein Puls raste eh schon, da brachte mich dieser verdammte Android erst recht zum Explodieren!

Doch im Gegensatz zu mir, blieb er die Ruhe selbst. Das brachte mich noch mehr auf die Palme!

„Ich habe das weinen des Mädchens vernommen und wollte nur sichergehen, ob alles in Ordnung ist“, sprach der Android ruhig, ließ mich jedoch nicht aus den Augen. Vermutlich hat er längst analysiert, dass ich emotional ziemlich aufgewühlt bin.

Schnell wollte ich vorpreschen, um diesem verdammten Androiden zur Rede zu stellen. Irgendwas hat er den Kindern angetan, als ich ohnmächtig war und ich werde es zur Not aus ihm herausprügeln, um zu erfahren was passiert ist.

Doch ehe es soweit kommen konnte, umarmten mich kleine Arme von hinten und schlossen sich um meinen Bauch. Verwirrt drehte ich leicht meinen Rumpf und blickte hinter mich. Amber hatte ihr Gesicht in meinen Rücken gedrückt und schniefte weiterhin leise vor sich hin.

„Er hat uns geholfen, Hannah. Tu ihm nicht weh, bitte“

Ich biss mir auf die Lippe, dann sah ich zögerlich wieder nach vorn. Das Geräusch von näherkommenden Schritten alarmierte mich und ließ mich anspannen.

Misstrauisch starrte ich dem Androiden, namens Connor, direkt in seine Augen. Seine Augen wirken so menschlich, sie bewegen sich sogar leicht hin- und her wie bei einem echten Menschen. Sie waren nicht starr…und leer.

Ich schluckte, dann sah ich niedergeschlagen zu Boden. Am liebsten würde ich losheulen, genauso wie Amber es bereits tat.

Was soll ich nur tun?

Ich weiß es nicht, ich weiß es einfach nicht. Am liebsten wäre ich bei mir Zuhause in Tschechien und würde mir nach diesem komischen Alptraum einfach die Decke über den Kopf ziehen und weiterschlafen.

Doch alles in mir drehte sich, alles in mir war zum Bersten gespannt und ich war einfach nur überfordert mit allem.

Wenn ich mein Leben wirklich einem Androiden verdanke und den Kindern dazu…wie soll ich das je wieder gut machen?

In meinem Blickfeld tauchten nun die Lederschuhe von Connor auf, als er direkt vor mir stehen blieben. Beinahe stoisch starrte ich darauf, um mir nicht sein Gesicht angucken zu müssen. Doch ich wusste, ich muss ihn anschauen um Antworten zu bekommen.

„Was hast du nur getan, verdammt?“, murmelte ich beinahe erschöpft, ehe ich langsam wieder meinen Kopf hob und ihm entgegen blickte.

Er zeigte keinerlei Regung, was ihn wieder zum Androiden abstempelte. Frustriert sah ich woanders hin, dann zuckten jedoch leicht meine Mundwinkel, ehe ich lachen musste.

„Ich werde verrückt“, sinnierte ich verzweifelt, doch abrupt wurde dies verneint.

„Ich musste eine Entscheidung treffen. Meine Mission war die Kinder zu Markus zu bringen, du warst nicht Teil davon“

Perplex öffnete ich meinen Mund um etwas zu sagen, schloss ihn dann jedoch wieder. Erst wollte ich hören, was er mir zu sagen hat.

Gebannt hing ich an Connors Lippen, als er sogleich weiter sprach. „Es war nicht außer Acht zu lassen, dass diese Kinder eine starke emotionale Bindung zu dir aufgebaut haben. Dein Verlust hätte zu einem 90 prozentigen Scheitern der Mission geführt, aufgrund eines emotionalen Schocks der Primären Ziele. Eine Zusammenarbeit mit uns wäre demzufolge kaum möglich“

Ich schluckte, während ich ihn einfach nur anstarrte. Was er sagte…klang irgendwie so kalt.

Connor musterte mich erneut, dann legte er leicht den Kopf schief. „Aber ich empfand es nicht als richtig, dich sterben zu lassen. Du hast versucht Leben zu retten, außerdem wären die Kinder traurig über deinen Tod“

Ich glotze ihn wohl etwas fragwürdig an, denn Connor legte die Stirn in Falten. „Ich verstehe, dass du aufgewühlt bist“

Schnell schüttelte ich meinen Kopf um die wirren Gedanken abzuschütteln, dann sah ich ihn unsicher erneut an. Mein Herz schlug abermals schneller, während mir der kalte Schweiß in Sturzbächen den Rücken hinunter lief.

„Sag mir einfach was du mit den Kindern getan hast, bitte“, flehte ich beinahe.

Der AK800 sah mir erneut und die Augen und tatsächlich konnte ich jetzt endlich etwas wie Emotionen in seinem Gesicht erkennen. Etwas wie…Mitgefühl.

Doch dieser Eindruck verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war und ließ mich wieder völlig aufgelöst dastehen.

„Adam und Amber Traynor sind keine gewöhnlichen Menschen, sondern das Produkt einer jahrerlangen Forschungsarbeit, in Bezug auf genetische Mutationen. Richard Traynor ließ Teile seiner DNS so umstrukturieren, dass daraus ein perfekter Mensch geschaffen werden sollte; mit überlegener Intelligenz, erhöhter Widerstandskraft gegen jegliche Umwelteinflüsse und verlängerter Lebenspanne. Hinzu kam ein weiteres Projekt, welches bereits jetzt die erwartenden Berechnungen übertrifft“

Fassungslos sah ich ihn an, dann sah ich ebenso zu Amber, doch diese hatte nach wie vor ihr Gesicht in meinen Rücken gedrückt und bewegte sich nicht weiter. Zögerlich sah ich wieder zu Connor, zwar wollte ich ihn etwas fragen, doch mein Mund fühlte sich staubtrocken an.

„Nano-Androiden sind in dem Blut der Kinder eingesetzt wurden, so winzig, dass es kaum für das menschliche Auge sichtbar ist. Diese kleinen Maschinen sorgen dafür, dass das Immunsystem gestärkt wird. Krebszellen werden direkt angegriffen, anstatt mit einer Chemotherapie unnötig gesundes Gewebe zu zerstören. Hirnverletzungen und Organversagen werden nicht unweigerlich zum Tod führen, ebenso werden Verletzungen schneller heilen und wie du siehst, wurde deine Sepsis aufgehoben“

Erneut wurde mir kalt, meine Füße fingen an zu zittern und ich wankte unsicher zurück, während ich ungläubig den Androiden anstarrte. Alles in mir drehte sich…meine Gedanken, mein Orientierungssinn und vermutlich auch mein Verstand, den ich vermutlich gleich begraben konnte.

Er streckte die Hand nach mir aus, doch ich schlug sie ihm erschrocken zurück. Vor Schreck legte ich meine Hand an meine Hüfte, an die Stelle wo mich dieser Schuss getroffen hatte.

Die Stelle, die sich infiziert hatte und mich vermutlich das Leben hätte kosten sollen. Doch das tat sie nicht, weil Connor den Kindern vermutlich irgendwie Gewebeproben entnommen hat und mir wortwörtlich hineingedrückt hat.

Er ist immerhin darauf programmiert Abweichler zu jagen und nicht um chirurgische Meisterarbeit zu leisten.

Nun plumpste ich doch zu Boden und sah immer noch völlig fassungslos drein. Aber im Nachhinein, ergab das alles Sinn.

Damals als Connor zu mir gekommen war, während ich im Fieberwahn nur noch wahrnahm wie er seine Finger in die Wunde hineingedrückt hat. Jetzt weiß ich auch, warum meine Verletzung so unnatürlich schnell geheilt ist.

Langsam drehte ich mich um und blickte in Amber's verheultes Gesicht, während ich sie musterte.

Und ich weiß nun auch, warum die Kinder so elendig aussehen. Weil sie etwas mir gegeben haben, was eigentlich ihnen zusteht.

Ich schluchzte kurz, dann rieb ich mir schnell über die Augen und stand schwankend auf.

Entschlossen versuchte ich Connor in die Augen zu blicken.

„Lass mich raten, ich war vermutlich nicht mehr als ein Test, oder?“

Es dauerte nicht lange, bis er mir antwortete. „Korrekt, doch einer mit guten Absichten“

Frustriert schnaubte ich auf, während meine Augen zu schlitzen wurden.

„Was genau hat Markus vor?“, fragte ich ruhig.

Connor trat etwas zur Seite und zeigte mir nun die Richtung zum CyberLife Tower.

„Finde es selbst heraus“



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