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Black Magic: Night Stallion

[NaLu, Stingue]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, endlich das zweite Kapitel! :D Eigentlich hätte es schon gestern kommen sollen, aber der Gajevy-OS hat mir zu viel Zeit gestohlen. Dafür kommt es jetzt doch früher als gedacht, weil ich heute krank bin und daher nicht arbeiten konnte. u.u" Könnte sein, dass ich mich darum so schlecht konzentrieren konnte, ich hab irgendwie den ganzen Tag dafür gebraucht. X__X Von daher entschuldige ich mich auch, falls der Lesefluss zwischendurch irgendwie stockt. :/ Aber ich denke nicht! :)

Enjoy. Komplett anzeigen

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Nightly Apparition

Papa, du bist zuhause!“, freute sich Lucy unwillkürlich, als sie sah, wer da in der Eingangshalle stand und mit Capricorn sprach. Sie sprang die Stufen von der Galerie hinunter, um zu ihm zu eilen und zu umarmen.
 

„Hallo, Prinzessin.“, lachte Jude und erwiderte die Geste. „Ich bin gerade angekommen.“
 

„Aber wehe, du musst bald wieder weg.“, drohte sie und löste sich wieder von ihm, um ihm ein Lächeln zu schenken.
 

Ihr Vater war ein hochgewachsener Mann mit ergrauendem, blondem Haar und einem akkurat geschnittenen Schnauzer. Im Grunde war alles an ihm korrekt, geradezu pedantisch – seine Frisur, sein schicker Anzug, die blankpolierten Schuhe, sein Auftreten… Jude glaubte fest daran, mit gutem Beispiel voranzugehen und dass Souveränität beim Aussehen anfing. Dass er dadurch auf den ersten Blick distanziert, übermäßig ernst und streng wirkte, hatte ihn nie gestört.
 

„Ich tue mein Bestes.“, versprach er ernsthaft, obwohl er wusste, dass sie nur scherzte. Oder zumindest halb. Es wäre eine herbe Enttäuschung für sie, wenn er den Großteil der Zeit, die sie eigentlich gemeinsam als Familie verbringen wollten, doch in der Firma oder an der Strippe verbrachte. Außerdem sollte er Natsu kennenlernen und das war schlecht möglich, wenn sie sich vielleicht höchstens mal beim Mittagessen sahen!
 

„Das will ich ja wohl hoffen.“, erklärte Lucy und stemmte die Hände in die Hüften. „Ansonsten kannst du was erleben!“
 

„Das will ich natürlich unter allen Umständen vermeiden.“, neckte Jude zurück und lächelte ihr noch einmal zu, ehe er sich wieder an Capricorn wandte, der bereits Judes Mantel über dem Arm hielt. „Und kannst du bitte Miss Hartman die Nachricht zukommen lassen, dass ich mir ihren Vorschlag angesehen habe und im neuen Jahr noch einmal mit ihr darüber sprechen muss? So weit gefällt er mir allerdings, ich habe nur noch ein paar Anmerkungen.“
 

Der Butler neigte höflich den Kopf. „Natürlich, Mr. Heartphilia. Wünschen Sie sonst noch etwas?“
 

„Nein, danke, im Moment nicht.“, winkte Jude ab. „Jetzt muss ich erst einmal anständig meine Tochter und vor allem meine Frau begrüßen.“
 

Capricorns Mundwinkel zogen sich zu einem kaum bemerkbaren Lächeln nach oben. „Wie Sie wünschen. Rufen Sie mich, wenn sie noch etwas benötigen.“ Damit nahm er die Aktentasche und den Koffer auf, die nebeneinander auf den Fliesen der Halle gestanden hatten, und verschwand in Richtung von Judes Arbeitszimmer.
 

Dieser nahm einen langen, schwarzen Kasten von einem der Beistelltische hoch, auf dessen Deckel in fein geschwungener, silbriger Schrift der Name eines teuren Blumenhauses stand, und schlang einen Arm um Lucys Schultern. Er führte sie in die Richtung der Treppe. „Wo ist denn deine Mutter, Prinzessin?“ Unter seinem beherrschten Tonfall konnte sie die Freude und Aufregung heraushören.
 

„Vorhin wollte sie in den Wintergarten.“, antwortete sie amüsiert. Früher war es ihr peinlich gewesen, wie verliebt ihre Eltern auch nach Jahren Ehe noch waren. Inzwischen fand sie es wundervoll und einfach nur niedlich.
 

Irgendwann einmal wollte sie genau so eine Ehe führen, in der man sich auch noch nach Jahren darüber freute, den anderen einfach nur zu sehen, in der man ihm Geschenke mitbrachte, weil man halt wollte, in der man nach zehn, zwanzig, fünfzig Jahren noch immer so verliebt war wie zu Beginn und in der man mit aller Sicherheit wusste, dass man miteinander alt werden würde, weil es einfach undenkbar war, es nicht zu tun. Und wenn ihr nun dabei Natsus Gesicht vor dem inneren Auge erschien, so musste das niemand wissen. Oder noch niemand.
 

„Das hätte ich mir denken können.“, gab Jude zu und warf einen Blick aus dem Fenster. Inzwischen hatten sie den ersten Stock erreicht und somit eine schöne Aussicht über das Anwesen bis hin zu den Hecken, die den Rosengarten begrenzten.
 

In der Nacht hatte es, wie vorausgesagt, geschneit und so weit das Auge reichte erstreckte sich strahlend helles, in der blassen Wintersonne glitzerndes Weiß. Die Bäume und Büsche trugen weiße Mäntel, die Dächer waren unter weißen Hauben verschwunden und der Gärtner, dick eingemummt, war gerade dabei, einen der Hauptwege freizulegen.
 

Draußen war es klirrend kalt und anscheinend würde das auch noch eine Weile so bleiben. Beste Bedingungen also dafür, dass dieser Anblick sich in den nächsten Tagen nur geringfügig änderte. Es sollte klar und wolkenlos bleiben, auch nachts, was sie besonders erfreute.
 

Vielleicht konnte sie Natsu dazu überreden, eine Nacht mit ihr hoch auf einen der Türme zu steigen, auf dem fest ein hervorragendes Teleskop installiert war. Sie wusste, dass ihr Freund sich, anders als sie, nicht sonderlich für die Sterne interessierte, aber zu ein paar Kuschelstunden da oben würde er sicher nicht ‚Nein‘ sagen, oder?
 

Aber noch etwas Gutes hatte der Schnee und sie erklärte auch sofort: „Ist es nicht toll? So viel Schnee! Mama war heute Morgen guter Dinge, ich bin sicher, sie wird uns nachher zu einem Spaziergang drängen.“
 

„Das ist schön.“, stimmte Jude zu und wandte sich nach einem nachdenklichen Moment wieder seiner Tochter zu. „Capricorn hat mir vorhin berichtet, dass dein Freund den Weg hierher rechtzeitig gefunden hat, um diesem Schneetreiben zu entkommen.“
 

Lucys Gesicht hellte sich bei dem Gedanken an Natsu auf. „Oh ja! Da hat er echt noch Glück gehabt. Ich hoffe, die Straßen waren nicht glatt?“
 

„Naja, Glanville musste heute ein wenig langsamer fahren als gewöhnlich.“, gab Jude zu. „Aber dafür muss er dieses Jahr überhaupt nicht mehr fahren außer nach Hause. Für den Rest des Jahres hat er Urlaub.“
 

Lucy konnte ein erfreutes Lächeln nicht unterdrücken, immerhin bedeutete das, dass ihr Vater nicht so einfach wieder verschwinden konnte, wenn er seinen Fahrer für die kommende Zeit entlassen hatte. Natürlich, theoretisch konnte er sich auch selbst hinter das Steuer setzen und das Telefon würde auch nicht abgestellt werden, aber es war einfach nochmal ein zusätzliches Hindernis.
 

Inzwischen waren sie an Laylas Teezimmer angekommen und Lucy schob die Tür auf, um vor ihrem Vater hineinzugehen, der noch einmal seinen Kasten untersuchte. Der sah zwar noch immer aus, als würde er direkt aus der Fabrik kommen, aber aus Judes Sicht war für Layla nichts gut genug.
 

Überrascht blickte er auf, als ihnen glockenhelles, herzliches Gelächter entgegenscholl. Auch Lucy blinzelte verdutzt – die Gelegenheiten, zu denen sie ihre Mutter so hatte lachen hören, konnte sie an zwei Händen abzählen. Okay, das war natürlich etwas übertrieben, aber dennoch, Layla war nie eine sehr fröhliche Person gewesen, beschränkte sich meistens auf Lächeln und leises Lachen.
 

Rasch durchquerte sie den Raum, ihrem Vater auf den Fersen, der die Tür zum Wintergarten aufstieß. Sofort wurden die Geräusche lauter und Natsus Glucksen mischte sich unter Laylas Heiterkeit. Lucy konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Was hatte sie eigentlich erwartet? Ihr Freund war immerhin wandelnde gute Laune, dagegen konnte sich keiner wehren.
 

Natsu hockte auf einem der Stühle gegenüber dem Diwan, auf dem es sich ihre Mutter bequem gemacht hatte, und gestikulierte großartig mit den Armen. Tamino lag eingerollt auf dem Ohrensessel, der etwas abseits stand, und schien zu schlafen. Seine Schwanzspitze zuckte dabei leicht.
 

„… und dann hat er diesen Blumentopf genommen und-“ Er unterbrach seine Erzählung, als Laylas Blick an ihm vorbeiwanderte zu den beiden Neuankömmlingen.
 

Sofort hellte sich ihr Gesicht zu dem besonderen Lächeln auf, das sie nur für ihren Mann reserviert zu haben schien. „Jude! Du hast es noch geschafft!“, freute sie sich und sprang auf, um ihm in die Arme zu fallen.
 

Natsu schien es ihr nicht übelzunehmen, dass sie ihn komplett vergessen zu haben schien. Stattdessen huschte sein Blick zu Lucy hinüber und er grinste sie breit an, während er aufstand. Lucy trat zu ihm um sich an ihn zu kuscheln, als er sie in die Arme nahm und küsste.
 

„Deine Mutter findet Gray superwitzig.“, erklärte er so belustigt, dass er kicherte.
 

Lucy schnaubte und boxte ihm gegen die Schulter. „Ich bin ziemlich sicher, dass das an dir liegt und nicht an Gray.“ Von dem hatte sie bisher einen eher gelassenen und zurückhaltenden Eindruck bekommen. Der Clown in dieser Partnerschaft war eher Natsu.
 

„Och, zu viel der Ehre.“, wehrte der ab. „Gray kann sich ganz von allein zum Affen machen.“
 

„Das ist die eine Sache, in der du ihm auf alle Fälle überlegen bist.“, versicherte Lucy ihm, was ihm ein erfreutes Grinsen entlockte.
 

Die beiden hatten eine seltsame Rivalität am Laufen, die noch kurioser wurde dadurch, dass sie enge Freunde und Geschäftspartner waren und eigentlich zusammenarbeiten sollten. Aber gegen sowas war wohl kein Kraut gewachsen. Romeo und vor allem Cana schienen zum Glück etwas Ausgeglichenheit in die Angelegenheit zu bringen. Wer wusste schon, welchen Weg Slayer Investigations sonst genommen hätte.
 

„Das ist mehr, als er von sich behaupten kann.“, erklärte Natsu, als wäre die Fähigkeit ‚sich zum Affen machen‘ etwas, auf das man stolz sein konnte.
 

„Er hat dafür seine eigenen Vorzüge.“, zog Lucy ihn auf und hätte vermutlich noch eins draufgesetzt, wäre ihr nicht jemand lautlos um die Beine gestrichen. Mit einem Lächeln bückte sie sich, um Tamino aufzuheben und ihn zu kuscheln. Sein Fell war so seidenweich, wie es aussah, und er rieb schnurrend den Kopf an ihrer Wange.
 

Natsu schob die Hände in die Hosentaschen, er hatte schon ganz am Anfang gelernt, dass er Tamino besser nicht berührte. Der Kater hatte anscheinend etwas dagegen, wenn Männer ihn anfassten, während er sich von Frauen und Kindern gerne streicheln ließ. Gleich am ersten Tag hatte er Natsu ein paar hässliche Kratzer verpasst. Jude war nur minimal besser weggekommen. Capricorn hatte es gar nicht erst versucht.
 

Lucy warf ihrem Freund ein entschuldigendes Lächeln zu und wechselte dann das Thema: „Komm, ich stelle dich meinem Vater vor.“
 

Alle Sorgen, die Lucy sich wegen des Treffens zwischen Jude und dem neuen Mann in ihrem Leben gemacht hatte, waren soeben zum Fenster hinausgeflogen. Natürlich war Natsu jetzt, trotz eigenem Business, nicht gerade der respektabelste Mann der Welt und durch seine eher lockere Einstellung das komplette Gegenteil zu ihrem Vater. Dan auf jeden Fall würde bei einer Gegenüberstellung auf den ersten Blick einen besseren Eindruck hinterlassen.
 

Aber der erste Blick zeigte nun mal nicht immer die Wahrheit oder kam auch nur nahe dran. Allerdings war sie sich nun hundertprozentig sicher, dass Jude sich schon irgendwie mit Natsu anfreunden würde. Denn jemand, der seine Frau so zum Lachen brachte, hatte von Anfang an einen Stein im Brett bei ihm.
 

Also stellte sie Tamino wieder auf den Stuhl und ergriff Natsus Hand, dessen Finger sich sofort mit ihren verschränkten, um ihn zu ihren Eltern hinüberzuführen. Layla war inzwischen mit den zartrosa und weißen Rosen beschäftigt, die Jude ihr mitgebracht hatte, der sie mit einem sanften Lächeln beobachtete, das selbst sein Gesicht weich wirken ließ.
 

Er wandte sich dem jüngeren Paar sofort zu, als sie herantraten, und streckte grüßend eine Hand aus. Natsu erwiderte die Geste. „Hi, freut mich, dich endlich kennenzulernen.“, erklärte er, ehe Jude etwas sagen konnte. „Schicke Hütte, das hier. Lucy hat mich nicht mal vorgewarnt.“
 

Jude schenkte seiner Tochter einen liebevoll-nachsichtigen Blick. „Manchmal vergisst sie, dass normale Leute in anderen Verhältnissen leben.“, erklärte er. Da er selbst in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen war, konnte er sehr viel leichter nachvollziehen wie es war, nicht gerade in Geld zu schwimmen. „Aber sie gibt sich redlich Mühe.“ Er blinzelte ihr zu und Lucy verzog schmollend das Gesicht.
 

Layla kicherte und verteidigte ihre Tochter: „Das ist wohl kaum ihre Schuld.“
 

„Natürlich nicht, das haben wir uns zuzuschreiben.“, stimmte Jude zu und wandte sich wieder an Natsu: „Aber ich habe eben dein Auto bewundert. 67er Coupe? Und bestens erhalten trotz des täglichen Gebrauchs.“
 

Sofort hellte Natsus Gesicht auf. Über sein Auto konnte er ewig reden. „Sie hat mal meinem Vater gehört und jetzt kümmere ich mich um sie. Aber Capricorn hat mir anvertraut, dass du ein echter Fan von alten Bentleys bist. Die würde ich gern mal anschauen, das sieht man auch nicht alle Tage.“
 

Jude, der immer überraschend aufgeregt war, wenn sich jemand für seine Hobbys interessierte, stimmte sofort zu: „Wir können nachher gern mal in die Garage hinübergehen.“
 

Lucy fragte sich beiläufig, seit wann Natsu so eng mit dem Butler war, wechselte einen Blick mit ihrer Mutter, die ihr verschwörerisch zublinzelte. Wenigstens musste sie sich wirklich keine Sorgen mehr darum machen, ob ihr Vater und ihr neuer Freund sich verstanden. Irgendwie hatten sie trotz aller Unterschiede ein Thema gefunden, das sie beide interessierte – neben Lucy natürlich.
 

Dann unterbrach Layla das echte Männergespräch, indem sie ihren Ehemann sachte auf die Wange küsste und erklärte: „Wie wäre es, wenn ihr das ein andermal besprecht, wenn ihr unter euch seid? Ich wäre jetzt dafür, Aed Bescheid zu sagen, dass er den Kaffee richten kann.“
 

„Eine hervorragende Idee.“, stellte Natsu sofort fest und Jude schlang einen Arm um seine Frau. „Du hast natürlich recht, wie immer.“
 

~~*~~★~~*~~
 

Als Lucy erwachte war es dämmrig in ihrem Zimmer. Der silberhelle Schein des Mondes, verstärkt durch den reflektierenden Schnee, fiel durch die großen Fenster und tauchte den Raum in ein geheimnisvolles Licht. Alles wirkte farblos, die Schatten waren tief und dunkel und es schien ihr beinahe, als würde ihr ein Blick in eine andere, magischere Welt gewährt werden. Es war still im Raum und auch von draußen drangen keine Geräusche herein, die diese Ruhe stören konnten.
 

Verwirrt setzte Lucy sich auf und zog dann sofort fröstelnd die Decke über ihren nackten Körper. Warum war sie überhaupt aufgewacht? Nach dem langen Abend und den darauffolgenden… körperlichen Aktivitäten sollte sie eigentlich schlafen wie ein Baby.
 

Doch jetzt fühlte sie sich erstaunlich wach, wenn auch nicht unbedingt begeistert darüber, mitten in der Nacht zu erwachen. Morgen würde sie das ganz sicher spüren! Sie griff nach ihrem Handy, das neben ihr auf dem Nachttisch lag. 03:17 zeigte es an und sie verzog missmutig das Gesicht.
 

Es war eiskalt, warum auch immer, eigentlich war die Heizung an, und spät – oder früh, je nachdem, wie man es sah – und sie fühlte sich um ihren Schönheitsschlaf betrogen. Nicht, dass sie den unbedingt brauchte, aber sie wollten morgen Schlittenfahren gehen. Und wenn sie dabei auch nur ansatzweise mit Natsu mithalten wollte, brauchte sie alle Energie, die sie kriegen konnte.
 

Das kleine Gerät wieder weglegend, rollte sie sich herum um sich an Natsu zu kuscheln, der stets warm wie ein kleiner Ofen und im Moment… gar nicht da war. Schmollend stemmte sie sich auf ihren Ellbogen hoch und blickte sich im Zimmer um. Was sollte das denn jetzt? War Natsu auf der Toilette? War sie von seinem Fehlen im Bett geweckt worden?
 

Mit einem genervten Aufstöhnen ließ sie sich wieder nach hinten fallen und starrte einige Augenblicke an die Decke. Wann kam er denn endlich zurück? Sie brauchte doch ihren persönlichen Ofen…!
 

Doch Natsu war anscheinend ins Klo gefallen, denn er tauchte nicht so schnell wieder auf. Und wenn sie es sich recht überlegte, müsste sie ihn nicht eigentlich hören? Er gab sich zwar stets redlich Mühe, aber er war meistens ein ziemlicher Trampel. Sie streckte die Hand aus und tastete nach den Laken, wo er eigentlich liegen sollte. Sie waren schon kalt, ganz so, als wäre er schon eine Weile weg.
 

Verwirrt runzelte Lucy die Stirn. Wo zum Teufel trieb er sich denn um diese Uhrzeit herum? Schlagartig fiel ihr etwas ein, dass sie dazu brachte, sich ruckartig aufzusetzen. Er war doch nicht etwa auf Gespensterjagd gegangen?! Wenn doch, dann konnte er etwas erleben! Erst machte er mit seinen eklatanten Fragen alle Pferde scheu und dann nahm er sie noch nicht einmal mit, wenn er auf nächtliche Erkundungstour ging! Aber nicht mit ihr!
 

Entschlossen schwang sie die Beine aus dem Bett, obwohl die Kälte sie sofort attackierte, und suchte nach ihrem Pyjama, der ein wenig sehr im Zimmer verteilt war, um ungeduldig hineinzuschlüpfen. Beim Hinausgehen stieg sie in ihre Pantoffeln und schnappte sich ihren Morgenmantel. Während sie sich einhändig in die Ärmel kämpfte, kramte sie mit der anderen Hand in der Kommode herum, die im Vorraum stand. Hier musste doch irgendwo noch-
 

A-ha! Triumphierend hielt sie die soeben wiedergefundene Taschenlampe in die Höhe. Zwar war es durch den Mond und den Schnee hell genug, um relativ gut zu sehen, aber die Taschenlampe war in dieser Situation einfach besser.
 

So ausgestattet und mit einem Gefühl nach Abenteuern im Bauch verließ sie ihre Zimmerflucht und tapste in den Flur. Sie kam sich ein wenig albern vor – mitten in der Nacht auf Geisterjagd zu gehen war doch ein wenig kindisch, auch wenn man wusste, dass man tatsächlich fündig werden konnte – aber irgendwie hatte Natsu den Effekt, dass einem das egal war. Weil der Spaß des Augenblicks einfach mehr wert war als alle verurteilenden Blicke.
 

Aber wohin jetzt? Heartphilia Manor war groß und geräumig, ein echtes Herrenhaus eben, mit Räumen, die seit Jahren nicht mehr benutzt wurden, Dutzenden Zimmern, Fluren und Treppen und sogar ein paar Geheimgängen, die Lucy in ihrer Kindheit gern erforscht hatte. Dazu kam noch, dass sie nicht einmal wusste, ob Natsu überhaupt noch im Haus war und sich nicht irgendwo außerhalb herumtrieb. Außerdem konnte sie nicht davon ausgehen, dass er an Ort und Stelle blieb, und man konnte sich in dem Gewirr von Gängen und Räumen leicht verpassen.
 

Sein Handy lag, wie sie vorhin bemerkt hatte, ebenfalls noch auf dem Nachttisch und war ihr in diesem Sinne auch keine Hilfe. Ein wenig missmutig verzog sie das Gesicht – das alles hätte sie sparen können, wenn er sie nur von Anfang an mitgenommen hätte! – und beschloss dann, systematisch vorzugehen.
 

Natsu hatte noch nicht übermäßig viel von dem Gebäude gesehen, trotz der Tour am ersten Tag, und auch wenn er neugierig und wenig schüchtern war, hoffte sie, dass er erstmal in bekannten Gefilden blieb. Außerdem würde sie zuallererst nachsehen, ob seine Schuhe noch da waren.
 

Also bog sie nach rechts ab und nahm den schnellsten Weg in die Eingangshalle, in der auf einem extra dafür ausgebreiteten Teppich die Schuhe standen, mit denen sie am Vortag über eine Stunde durch den Schnee gestapft waren. Natsu hatte das Anwesen beinahe interessanter gefunden als das Haus selbst, aber zum Glück keine weiteren Geister mehr ins Gespräch gebracht. Auch Lucy hatte das Thema ruhen lassen, obwohl sie den Großteil der Zeit zu zweit verbracht hatten.
 

Aber es gab auch so viel zu entdecken und sie hatte mal wieder Plätze aufgesucht, die sie beinahe vergessen hatte. Nachher waren ihre Schuhe natürlich völlig durchweicht gewesen und Natsu hatte, wie das nun mal zu erwarten gewesen war, nur dieses eine Paar Winterstiefel dabei.
 

Zum Glück hatten ihre Eltern die jährliche Tradition eines Weihnachtsballs für Familie, Freunde, Geschäftspartner und vage Bekannte, die sie lange vor Lucys Geburt begonnen hatten, schon vor einiger Zeit ersatzlos aufgegeben. Natsu hätte sich auf einer solchen Veranstaltung nicht sehr wohl gefühlt…
 

Sie fand Natsus Stiefel glücklicherweise dort, wo er sie abgestellt hatte. „Okay, also was jetzt?“, fragte sie in die leere Halle und ließ den Lichtkegel ihrer Taschenlampe über die Täfelungen an den Wänden gleiten und die Zimmerpflanzen, die sich als unförmige, dunkle Silhouetten von dem Holz abhoben und so im Halbdunkel ziemlich unheimlich wirkten.
 

Tiefe Dunkelheit lauerte in den Ecken und der Schein der Lampe fing sich funkelnd in den facettenreichen Kristallen am Kronleuchter. Draußen schienen Schatten über den Schnee zu huschen und die Bäume waren monströse Gebilde im Hintergrund, die kahlen Äste wie vielgliedrige, greifende Hände…
 

Sie schrie erschrocken auf, als eine Gestalt am Fenster vorbeiflog, und erkannte erst einen Moment später eine Krähe, die sich wohl von dem Licht gestört gefühlt hatte. Eine Hand auf ihr wild klopfendes Herz gepresst, wandte sie sich entschlossen von den Fenstern ab. Das tat ihr nicht gut und wer hätte gedacht, dass das vertraute Heim so gruselig sein konnte? Vor allem, wenn man nachts allein auf Geisterjagd war…
 

Hoffentlich fand sie Natsu bald, sonst würde sie wieder in ihr warmes Bett kriechen, sich in die Decken einwickeln wie in einen Kokon und weiterschlafen. Er würde ja eh nichts finden, in Heartphilia Manor gab es keine Geister. Gespenstergeschichten ja, davon rankten sich ein paar um das alte Anwesen, aber echte Geister…?
 

Sie war hier aufgewachsen, sie würde das ja wohl wissen, wenn sie über all die Jahre einen unheimlichen Untermieter gehabt hätten, oder? Warum nur hatte Natsu überhaupt mit diesem Thema angefangen? Sich in Gedanken darüber aufregend, um sich vor dem Schauer abzulenken, der ihr über den Rücken rann, wandte sie sich wieder der Treppe zu, um zurück nach oben zu gehen. Das war der Teil des Hauses, der Natsu am vertrautesten war, und-
 

„Miss Lucy, was treibst du dich mitten in der Nacht hier herum?“
 

Mit einem lauten Aufkreischen ließ sie ihre Taschenlampe fallen, die klirrend auf dem Boden landete und einmal um sich selbst rollte, um dann gegen ein Paar große Füße zu rollen. Sie flackerte kurz.
 

„Ich entschuldige mich.“, sagte Capricorn ruhig und bückte sich, um die Lampe aufzuheben.
 

Lucy starrte ihn entgeistert an, kurz davor, sich in die Hosen zu machen, und ihr Herz schlug so schnell, dass das Blut in ihren Ohren rauschte. Erst nach einigen Augenblicken fing sie sich genug, um eine Antwort zu stottern: „Da-dasselbe kö-könnte ich di-dich auch fragen!“
 

„Ich habe etwas gehört und wollte überprüfen, ob alles in Ordnung ist.“, erklärte der Butler aufgeräumt. Manchmal glaube sie, Capricorn hätte die Ohren einer Fledermaus, denn er schien alles mitzukriegen, was sich im Haus abspielte. Schon seit Jahren fragte sie sich, wie er das machte. Sie selbst bekam meistens nicht einmal mit, wenn jemand klingelte.
 

„Vielleicht war das Natsu.“, vermutete sie und nahm dankend die Taschenlampe wieder entgegen, als er sie ihr reichte. Etwas in ihrem Inneren klapperte leise und das Licht flackerte erneut. Jetzt war das dumme Ding auch noch kaputtgegangen.
 

Auch Capricorn trug einen Morgenmantel über dem karierten Pyjama und an den Füßen ein paar Hausschuhe, die so aussahen wie Steinböcke. Layla hatte sie ihm einmal als Witz geschenkt und seitdem bestand er darauf, exakt die gleichen zu kaufen, wann immer die alten kaputtgingen.
 

„Er ist irgendwann verschwunden und ich befürchte, er ist auf Geisterjagd gegangen.“, erklärte Lucy auf seinen fragenden Blick. „Ich wollte ihn finden, bevor er Mama und Papa aufschreckt.“
 

„Ich bin sicher, deine Eltern werden davon nichts mitkriegen.“, beruhigte Capricorn sie, ohne darauf einzugehen, wie verrückt ihr Freund sich gerade verhielt. Sowas hatte auch er noch nicht erlebt, da war sie sich sicher.
 

„Das will ich ja wohl hoffen…!“, knurrte sie und leuchtete die Treppe nach oben. „Ich such ihn dann mal weiter. Du kannst ruhig wieder ins Bett gehen.“
 

„Was denkst du denn von mir?“, wollte er wissen und schüttelte den Kopf. „Dass ich dich allein suchen lasse? Auf keinen Fall. Außerdem kam das Geräusch aus dieser Richtung.“ Er deutete den Flur hinunter, der nach hinten ins Haus führte.
 

Sie hielt abrupt inne, schon sechs Stufen auf der Treppe. „… Oh.“, machte sie verlegen und kehrte wieder zurück. „Ich bin-“ Erneut wurde sie mitten im Satz rüde unterbrochen. „Oi, Lucy!“
 

Sie stieß einen weiteren erschrockenen Schrei aus und fiel beinahe von der Treppe, als sie in die Richtung umdrehte, aus der Natsus Stimme drang. Er stand in der nun halb geöffneten Tür zum Haushaltstrakt und ignorierte ihren Schreck in wahrer Natsu-Manier. Winkend kam er auf sie zu, wobei der Lichtstrahl seiner Taschenlampe wild über die Wand tanzte.
 

„Und Capricorn! Was macht ihr denn hier?“ Er sah sich um. „Ist das nicht ein etwas seltsamer Ort, um sich für einen Mitternachtsplausch zu treffen?“
 

„Mitternacht ist schon lange vorbei!“, belehrte Lucy ihn. Der hatte gut reden! Er war es doch, der mit all dem angefangen hatte!
 

„Egal, es ist mitten in der Nacht, das ist alles das gleiche.“, winkte Natsu ab und kam zu ihnen herüber. Im Gegensatz zu ihnen anderen hatte er sich nicht die Mühe gemacht, einen Morgenmantel überzuziehen. Nicht einmal Socken trug er an den Füßen; ihm musste bestimmt eiskalt sein.
 

„Das ist eine sehr lose Interpretation.“, warf Capricorn ein. „Wir sind es hier nicht gewohnt, dass sich jemand nachts herumtreibt.“
 

„Genau.“, stimmte Lucy streng zu, aber dadurch, dass sie Natsus Hand nahm und ihn auf die Wange küsste, nahm sie sich selbst den Wind aus den Segeln. „Hast du wenigstens gefunden, nach was du gesucht hast?“
 

Er zuckte mit den Schultern. „Schicke Schuhe.“, bemerkte er mit einem Blick auf Capricorns Füße, der kurz mit den Zehen wackelte und gemessen antwortete: „Vielen Dank.“ Das brachte ihm einen verdutzten Blick selbst von Natsu ein, der sonst jede Verrücktheit annahm, ohne mit der Wimper zu zucken.
 

Dann grinste Natsu und antwortete ihr endlich: „Nein, nicht wirklich. Aber ich hab ja auch nur auf gut Glück gesucht. Ich würde wirklich gern einen Blick in diese Notizbücher werfen, die deine Mutter erwähnt hat.“
 

„Also warst du tatsächlich auf Gespensterjagd?“, wollte sie wissen. „Du hättest mir ruhig Bescheid sagen können! Ich bin-“
 

Erneut wurde sie unterbrochen, diesmal von ihrem Vater, der von der Galerie herunterdonnerte: „Was zum Teufel ist denn hier los? Versammlung um Mitternacht?“
 

„Mitternacht ist längst vorbei, mein Schatz.“, belehrte Layla ihn.
 

Natsu grinste und Jude antwortete: „Darum geht es doch jetzt nicht! Aber könnt ihr das nicht am Tag machen?“
 

„Natsu musste seine Geister suchen.“, erklärte Lucy und trat ein paar Schritte zurück, damit sie zu ihren Eltern emporschauen konnte. Ihre Taschenlampe flackerte schon wieder. Sie würde Spetto am nächsten Tag bitten, ihr eine neue zu besorgen.
 

„Geister?“, wollte Jude verdutzt wissen, während Layla ein Lächeln hinter ihrer Hand versteckte.
 

„Er hat gleich bei seiner Ankunft gefragt, ob wir hier ein paar davon haben.“, berichtete sie und beugte sich vor, um einen Blick nach unten zu werfen und Natsu zuzuzwinkern. „Capricorn, hattest du schon Gelegenheit, nach den Notizbüchern zu suchen?“
 

„Leider nicht.“, erklärte der Butler. „Aber wenn es so eilig ist, werde ich mich gleich morgen darum kümmern.“
 

„So ein Blödsinn.“, schüttelte Jude den Kopf und Lucys Taschenlampe flatterte erneut. „Was ist denn jetzt los?“ Ärgerlich schüttelte sie das Ding. Ging es jetzt endgültig kaputt? Wenigstens hatten sie noch Natsus. Oder sie machten einfach das Licht an.
 

„Ach, ich weiß nicht, ob das so dringend ist.“, wehrte Natsu ab und sein Blick huschte zu ihr herüber. „In Wahrheit konnte ich einfach nicht schlafen und ich wollte Lucy nicht wecken, also bin ich aufgestanden.“
 

Lucy sah ihn verdutzt an und runzelte die Stirn. Hatte er nicht gerade selbst gesagt, dass er diese Bücher haben wollte? Und jetzt plötzlich doch nicht? Normalerweise war er doch nicht so zurückhaltend!
 

Das Licht flammte auf.
 

Nicht nur ihre Taschenlampen, nicht nur der Kronleuchter, sondern jede einzelne Lampe in der Halle, oben auf der Galerie, selbst die in den Fluren, die Lucy von ihrem Standpunkt aus sehen konnte. Über ihr summte der Lüster vor Elektrizität und sie trat einen vorsichtigen Schritt zur Seite. Sie erinnerte sich noch gut an den letzten Kronleuchter, unter dem sie gestanden hatte…
 

„Was ist denn je…?“, begann jemand laut, dann verloschen schlagartig alle Lichter wieder und sie standen in völliger Dunkelheit. Nur der Mond schien von draußen herein, viel zu schwach für ihre an helleres Licht gewöhnten Augen, als dass sie noch viel sehen konnten. Es war eisigkalt und Lucy konnte sehen, wie ihr Atem gefror.
 

„Wa-was das?“, stotterte Layla und ihrer Stimme war anzuhören, was für einen Schrecken ihr das Ereignis eingejagt hatte.
 

Jude war sofort bei ihr. „Bestimmt nur eine Störung im Stromkreislauf. Ich werde-“
 

Ein elektrisches Surren ertönte und dann spielten die Lichter am Kronleuchter verrückt, blitzten auf und verloschen in rasantem Rhythmus. „Das ist mir unheimlich.“, klagte Layla, gerade in dem Moment, als der Lüster zu schwingen und zu klirren begann, als die Glaskristalle gegeneinanderstießen.
 

Lucy starrte nach oben, wie festgenagelt am Boden und sie dachte irrwitziger Weise wo kommt jetzt schon wieder ein Todesfluch her?, während ein Funkenregen auf sie niederging. „Lucy!“ Natsus Ruf riss sie aus der Starre und sie sprang zur Seite, einen Moment ehe er packte sie und an sich zog. Er drehte sich weg, gerade in dem Moment, als über ihnen knallte.
 

Der Kronleuchter schlug mit einem kreischenden Klirren auf den Fliesen auf und das Glas zersprang in tausende kleiner Splitter, die wie Schrapnell durch die Luft schossen. Gleichzeitig barsten alle anderen Lampen im Raum unter Scheppern und Krachen und einer der Blumentöpfe explodierte regelrecht.
 

Jemand schrie laut auf und Lucy presste ihr Gesicht gegen Natsus Brust. Wie schaffte sie es nur immer, in solche Situationen zu geraten?!
 

„Was zum Teufel!“, brüllte Jude außer sich, die Fassung verlierend. Aus den Augenwinkeln konnte Lucy erkennen, wie Capricorn sich Blut aus dem Gesicht wischte. Es glänzte hell und rot in dem hellen Licht, das die Halle erfüllte… obwohl der Lüster auf dem Boden lag und jede andere Lampe zerstört war. Selbst die Taschenlampen waren zersprungen.
 

„Ich hab ehrlich nicht gedacht, dass das wirklich funktioniert.“, murmelte Natsu neben ihr und sie konnte erkennen, wie er nach oben starrte. Sie folgte seinem Blick und erstarrte. Dort, wo eben noch der Kronleuchter gehangen hatte, befand sich eine Gestalt aus reinem Licht, die Lucy einen Schauer über den Rücken jagte.
 

Sie hatte nur entfernt eine menschliche Form, eher ein Schemen, an dem vage eine Silhouette zu erahnen war, ein unförmiger Kopf, zwei Arme, die Beine waren nicht zu erkennen… Sie erstrahlte in einem überirdischen Schein, dem man sofort ansehen konnte, dass es nicht aus dieser Welt stammte, unheimlich und schaurig, so dass sie die fremde Andersartigkeit bis tief in die Knochen spüren konnte.
 

Plötzlich war Lucy kalt, auf eine nicht physische Art, als würde sie in ihrer Seele frieren. Gänsehaut überzog ihre Arme und kroch ihren Nacken hinauf, wo sich alle Härchen aufstellten. Ein Gefühl von Unfriede setzte sich in ihr fest, das von außen kam, Unruhe und Unstimmigkeit, als etwas das Gefüge des Diesseits störte.
 

War das… war das etwa ein… ein Geist?
 

Aber es gab keinen Zweifel, was auch immer das war, es war nicht normal. Es war übernatürlich, unirdisch. Magisch auf eine Art, die man tief im Inneren spüren konnte. Kein Trick, kein Kniff, kein Betrug konnte das vorgaukeln und es verstörte Lucy zutiefst. Dies war eine Berührung mit dem Tod auf eine Art, die selbst ein Dämon nicht hervorrufen konnte.
 

Irgendwie hatte sie sich einen Geist allerdings anders vorgestellt, schoss es ihr durch den Kopf, mehr wie in einem Horrorfilm oder… Aber warum beschwerte sie sich?! Sie wollte keine halbverrotteten, durchscheinenden Leichen sehen! Das hier erinnerte eher an Casper den freundlichen Geist, auch wenn diesem nie diese Aura von überirdischer Beklommenheit angehaftet hatte.
 

Ein Wesen aus dem Jenseits und es brachte mit sich eine Ahnung von Tod und Vergänglichkeit, die Lucy ihre eigenen Tränen schmecken ließ, während sie gleichzeitig das Gefühl hatte, zu ersticken. Irgendwo konnte sie ihre Mutter weinen hören und jemand – war das Capricorn? Sie hatte ihn noch nie die Fassung verlieren sehen und dieser Anblick verstörte sie beinahe ebenso wie der Geist selbst – murmelte ein Gebet vor sich hin. Ihr Vater dagegen gab keinen Laut von sich, nur Natsu war nichts anzuseh-
 

Ein schrilles Kreischen, das ihr durch Mark und Bein ging, so hoch, dass es die Fenster zum Klirren brachte, schnitt jeglichen Gedanken ab. Sie versuchte, das schreckliche Geräusch mit den Händen auszusperrend, doch das half nicht viel, verringerte die Lautstärke nur minimal.
 

Jemand brüllte laut, direkt neben ihr – Natsu. Auch er presste die Hände über die Ohren und krümmte sich wie unter Schmerzen. Reflexartig warf sie die Arme um ihn, um ihn an sich zu ziehen. Das Kreischen zerriss ihr beinahe das Trommelfell. „Aufhören, aufhören!“, schrie sie gegen den Lärm an, ohne Hoffnung, dass es tatsächlich etwas brachte.
 

Was konnte sie tun?! Fieberhaft versuchte sie, sich daran zu erinnern, was Natsu ihr über Geister erzählt hatte. Nicht sehr viel – sie hatten früher keinen Grund gehabt, tiefer auf das Thema einzugehen, und die letzten zwei Tage hatte sie es gewissenhaft vermieden, auch nur daran zu denken. Silber? Oder verwechselte sie das mit Werwölfen oder Vampiren? Eisen, Salz…? Oder kam ihr das jetzt nur in den Sinn, weil es in den Sinn, weil das in Filmen immer verwendet wurde, um Geister zu vertreiben, zumindest temporär? Aber auch das würde ihr jetzt auch schon helfen…!
 

„Bitte!“, rief sie flehend gegen das grelle Kreischen an. „Aufhören!“
 

Wider Erwarten stoppte das Geräusch tatsächlich. Ihre Ohren klirrten im Nachhall oder waren das die Scheiben in den Fenstern, die noch vibrierten? Die geisterhafte Erscheinung hing noch immer über ihnen und sie bewegte sich vage. Wellen von Kälte gingen von ihr aus, wie der Frost des Todes selbst.
 

Lucy tränten die Augen, als sie versuchte, mehr zu erkennen, eine menschliche Silhouette, ein Gesicht, irgendetwas. Aber es wurde nicht klarer, blieb weiterhin verschwommen und unförmig. War das überhaupt ein Geist? Nach ihrem Wissensstand war konnte die Antwort auf diese Frage genauso gut ‚Nein‘ sein.
 

„Scheiße, verdammte!“, fluchte Natsu laut und Lucy wandte sich ihm sofort zu.
 

„Geht es dir gut?“, wollte sie besorgt wissen, merkte selbst, wie nahe ihre Stimme der Panik war. Seine Augen wirkten in dem Licht noch dunkler, als sie sowieso schon waren. Er nickte hastig und rieb sich mit dem Handballen die Ohren. Dann sagte er nachdrücklich: „Fuck!“ Er warf der Erscheinung einen Seitenblick zu und machte sich daran, sich wieder aufzurappeln. „Was soll das!“
 

„…Blut…“, hallte es durch das Foyer und Lucy zuckte zusammen. Die Stimme war nur ein Wispern, aber trotzdem laut genug, dass sie Lucy durch Mark und Bein drang und den Raum gänzlich ausfüllte. Es war, als drang sie von weiter Ferner herüber, wie direkt aus dem Reich der Toten, hohl und widerhallend.
 

„…geweckt!“
 

„Oh nein, was soll das bedeuten?“, flüsterte Lucy verwirrt und schlug die Hände vor den Mund. Sie zitterte am ganzen Körper und von irgendwo drang noch immer das geflüsterte Gebet an ihre Ohren, das einen Moment später schon wieder übertönt wurde von der grauenhaften Stimme.
 

„…zu fressen…“
 

Warm und sicher schlossen sich Natsus Finger um ihre Hand und Lucy drückte sich dankbar an ihn. Sie war so froh, dass er hier war! Aber nicht einmal seine Sicherheit und Wärme reichte aus, um die Kälte aus ihrer Seele zu vertreiben und die Angst aus ihren Knochen.
 

„…Dunkelheit…“, hauchte es, leiser diesmal und noch schwerer zu verstehen als vorher schon. Die Erscheinung flackerte, als würde sie schwächer werden, und auch das Licht wurde langsam matter. Verschwand sie jetzt wieder…? Gott sei Dank…!
 

Nichtsdestotrotz hörte Lucy gespannt zu, als läge eine versteckte Botschaft hinter den Worten, die sie eigentlich gar nicht wissen wollte. Es war, als zwang sie jemand zum Lauschen und alles in ihr sträubte sich dagegen, sich einfach abzuwenden und die Hände über die Ohren zu schlagen. Wenn sie wenigstens mehr verstehen könnte, als nur diese gebrochenen Sätze, von denen nur einzelne Worte erkennbar waren, die ominös und unheilvoll genug waren.
 

„…Gewölbe … eingesperrt…“
 

Was versuchte dieses Wesen ihnen damit mitzuteilen? Versuchte es das überhaupt? Oder war es schlichtweg eine Drohung? Es klang zumindest so… Warum sonst sollte von Blut die Rede sein und davon etwas – oder jemanden, lieferte ihr Hirn wenig hilfreich – zu fressen.
 

„…Zeit!“
 

Das letzte Wort war ein Hauch, wie der letzte Atemzug eines Sterbenden, und gleichzeitig wie ein abschließender Glockenschlag, der durch ihre Glieder drang. Dann verlosch das Licht jäh und die Erscheinung verschwand so schnell, wie sie gekommen war.
 

Die Lebenden blieben zurück im Dunkel zwischen zerschlagenen Lampen und dem gefallenen Kronleuchter. Mit dem Geist löste sich die Spannung auf, die sich im Raum befunden hatte, entwich schlagartig wie Luft, nachdem man einen Luftballon angestochen hatte.
 

Stattdessen senkte sich durchdringende Stille über die Eingangshalle, die beinahe so unnatürlich wirkte wie die Erscheinung selbst.
 

Lucy rieb sich fröstelnd die Arme und fühlte sich, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Warum immer sie? Was hatte sie getan, das plötzlich um sie herum so übernatürliche Ereignisse geschahen? Sie hatte doch nur Weihnachten mit ihrer Familie feiern wollen…! Doch all das innerliche Jammern lenkte sie nicht von der Todeskälte und dem beklemmenden Grauen ab, die sie noch immer zu spüren vermeinte.
 

„Lucy?“, wollte Natsu wissen und legte ihr ohne Vorwarnung eine Hand auf die Schulter. Sie zuckte zusammen, aber sie drehte sich nicht zu ihm um. Aber seine warme Präsenz hinter ihr half ihr, genug Mut zu fassen um sich nach den anderen umzusehen.
 

Capricorn starrte noch immer mit weit aufgerissenen Augen auf die Stelle, an der die Erscheinung eben noch gewesen war. Seine Hand war um den Anhänger seiner Kette geschlossen, die er stets unter der Kleidung bei sich trug, und sein Gesicht war bleich wie der Tod. Stumm bewegte er noch die Lippen, doch kein Laut drang mehr darüber.
 

Dann blickte sie nach oben auf die Galerie, wo ihre Eltern Arm in Arm standen. Auch sie schienen nicht glauben zu können, was sie eben noch gesehen hatten, kalkweiß und verstört. Layla sah aus wie zu ihren schlimmsten Zeiten, das Haar aus dem geflochtenen Zopf gelöst, den sie zum Schlafen trug, ihr Vater völlig aus der Fassung gebracht.
 

„Was… Es… Das war…“, stotterte Jude vor sich hin, den Unglauben offen in der Stimme, die viel zu hoch für ihn war und nahe daran einfach zu kippen.
 

Layla sah nicht viel besser aus, eine Hand vor den Mund geschlagen irrte ihr Blick haltlos durch den Raum. „Was war das?“, wollte sie schließlich wissen, ihre Stimme schwankend, aber gleichzeitig seltsam ruhig.
 

„Das war offensichtlich ein Geist.“, antwortete Natsu, als wäre das selbstverständlich, und kratzte sich am Kopf. Er war der einzige, der nicht mitgenommen aussah. Oder zumindest nur wenig, doch sie konnte das Weiße in seinen Augen sehen. Anscheinend gewöhnte man sich nie gänzlich an eine Berührung aus dem Jenseits.
 

Doch selbst Lucy fühlte sich völlig durch den Wind, während er vor allem so aussah, als hätte er jede Menge Fragen. „Ich hab wirklich nicht gedacht, dass ich auf diese Art fündig werden würde!“, versicherte er.
 

Oben auf der Galerie verdrehte Jude die Augen und fiel ohnmächtig zu Boden, während Layla erschrocken aufschrie und an seine Seite eilte. „Jude!“
 

„Oh je.“, sagte Natsu, einen Moment, ehe Lucy erschrocken ausrief: „Papa!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Höhö, jetzt wird's langsam ernst. :D

Ich weiß, Jude wirkt ziemlich OoC. ^^" Aber ich habe mich an den wenigen Szenen von ihm orientiert, als er nicht der böse Vater war. Ich bin überzeugt, dass er nur so distanziert und missbräuchlich wurde, weil er mit Laylas Tod nicht zurecht kam, und mit ihr die Story ganz anders verlaufen wäre. Da sie hier ja noch lebt, hatte ich mit Jude einige Möglichkeiten und ich find es spannend, das zu erkunden. Außerdem finde ich den Kontrast zwischen Black Magic!Jude und Big Girls!Jude und der jeweiligen Beziehung zu Natsu sehr interessant. :)

Das nächste Kapitel ist auch schon zum Teil geschrieben, ich hoffe, ich komme nächste Woche dazu, es fertigzustellen. Zuerst einmal muss bzw. will ich mich Dragon Blade widmen, damit das pünktlich am Sonntag ein Update bekommt.

Ich würde mich über Feedback freuen und ansonsten bis nächstes Kapitel! :D
Gruß
Arian Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yosephia
2017-12-11T10:32:11+00:00 11.12.2017 11:32
Ich muss ja mal sagen, dass dieses Kapitel eine lustige Spannungskurve hat XD"
Von super süßen Fluff zu leichtem Gruselfaktor mit Humormomenten und dann auf einmal zum ausgewachsenen Spuk!
Aber versteh' das ja nicht als Kritik, das war in sehr gelungener Einstieg in das tatsächliche Genre der Story, das du im ersten Kapitel ja nur mal dezent andeuten konntest. Und der Fluff hat beim Lesen ja auch sehr viel Spaß gemacht :D

Die erste Szene war wirklich megafluffig, aber mir hat es sehr gefallen!
Klar, diese Version von Jude ist schon sehr ungewöhnlich, aber ich sehe es genauso wie du: Es gibt ein paar Szenen, die andeuten, dass Jude auch diese Art von Vater und Ehemann hätte sein können, bzw. sogar mal gewesen ist. Von daher fand ich persönlich es einfach niedlich, wie süß verliebt Jude noch immer in Layla ist. Und es ist doch wieder sehr typisch für ihn, dass er Layla immer Geschenke mitbringt.
Im Zusammenhang mit seiner Charakterisierung fand ich auch sehr passend die Erklärungen für sein diszipliniertes Verhalten, das auf viele so steif wirkt!

Dass Natsu Layla so zum Lachen bringen kann, wundert mich gar nicht. Layla war ja offensichtlich schon in GotA sehr angetan von Natsu, als der noch nicht einmal als tatsächlicher Partnerkandidat im Gespräch war, und jetzt hat sie ihn garantiert schon so richtig ins Herz geschlossen. Finde ich sehr putzig, dabei würde man auf dem ersten Blick wirklich annehmen, dass Natsu sich als Schwiegersohn nicht so gut macht XD"

Die kleinen Frotzeleien auf Grays Kosten fand ich super lustig und niedlich. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Ich würde mich megamäßig freuen, wenn du in diesem 'verse auch mal etwas zum Gratsu-Broship schreiben könntest! :D

Und dann die Begegnung Jude-Natsu! Ich fand das so witzig, dass die Beiden so schnell miteinander warm geworden sind und das auch noch über solch einem Thema - obwohl es gerade gepasst hat, dass es so ein Thema ist, auch wenn ich als Zuhörerin dabei zu Tode gelangweilt wäre, weil... Autos >_>

Die zweite Szene schlägt da ja schon sehr früh eine völlig andere Richtung ein, aber wie schon gesagt: Ich finde das sehr gut so. Dass Natsu einfach mal mitten in der Nacht aufsteht, um die Geister zu suchen, sieht ihm ähnlich! Wahrscheinlich ist das keineswegs nur seiner Vorliebe für Abenteuer geschuldet, so eine gewisse Ahnung hat er vielleicht schon, immerhin hat er ja schon einige Erfahrungen in der Hinsicht gemacht!

Ich fand es ja so mega lustig, wie sich alle nach und nach in der Eingangshalle eingefunden haben. Capricorns Pantoffeln (und der kurze Dialog zwischen ihm und Natsu dazu) waren zum Schreien XDDDD
Und wie Jude sich aufregt, während Layla fast schon Spaß an der Sache hat... XDDDD

Und dann schlägt die Stimmung wirklich sehr radikal um und das hast du wirklich so verdammt gut hingekriegt! Ich habe ja wirklich nur sehr, sehr wenig Gruselsachen gelesen, aber hier ging es so richtig unter die Haut! Die Sache mit den Lichtern, diese Erscheinung, der Schrei, zuletzt das mit dem Kronleuchter... Das hat sich alles immer mehr gesteigert und Lucys Gefühle dazu waren absolut nachvollziehbar! Jeder hätte sich an ihrer Stelle wahrscheinlich dieselben Fragen gestellt!

(Kann es sein, dass du Spaß daran hast, in längeren Serien Running Gags einzubauen, die eigentlich gar keine sein sollten? Wie in DB mit Lucys Entführungen oder hier mit den Kronleuchtern XD")

Dass der arme Jude nach all dem zusammen klappt, wundert mich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. So etwas passt ja so überhaupt gar nicht in sein sonst so wohlgeordnetes Weltbild und auch wenn er auf seine Art und Weise schon irgendwie taff ist, ist er in der Hinsicht wahrscheinlich wirklich nicht belastbar^^'

Also du merkst: Ich hatte viel Spaß an dem Kapitel :D
Ich freue mich schon auf das nächste!

Bis dann!
Yo


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