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Die 3/4-Gitarre

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Kameraden, die Vergangenheit holt unsere beiden Jungs wieder ein. :D Komplett anzeigen

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Party für´s Volk

Kai sah auf die Uhr. Noch 5 Stunden bis zum Konzertbeginn. Der Soundcheck zog sich immer so nervtötend in die Länge. Um so mehr, je unqualifizierter die Menschen an der Technik waren. Sie wollten den Soundcheck aber auch nicht den Staffs überlassen. Ihren Sound wollten sie schon vernünftig selber abnehmen. Jeder der Jungs gab sich redlich Mühe, freundlich mit der Beschallungs-Crew umzuspringen. Die taten ja bloß ihren Job und keiner unterstellte ihnen mutwillige Schlamperei. Aber manchmal waren die Plinsen einfach so furchtbar unfähig, daß das mit dem Freundlichbleiben echt schwer fiel. So wie heute. Auf den pampigen Vorwurf des Soundtechnikers, daß Uruhas Gitarre viel zu spitz klinge, hatte Kai in seiner Genervtheit bereits mit einem nicht minder pampigen 'Du hast doch ein ganzes Pult voll Knöpfe dort, dann dreh doch mal´n bissl dran rum!' geantwortet. Daraufhin war für eine Weile Ruhe in der Technikerinsel gewesen. Genau deshalb brachten sie lieber ihre eigenen Tontechniker mit.

„Okay, jetzt können wir die Gesamtabmischung machen“, schlug der Soundtechniker betont freundlich vor, um wieder etwas allgemeine Schönwetter-Stimmung zu fördern. Damit hatte die quälende Mühseligkeit, jedes Instrument einzeln feinabzustimmen, wohl endlich ein Ende. „Spielt doch mal einen Song, alle zusammen. Einverstanden?“
 

Ruki saß gerade mit übergeschlagenen Beinen in der dritten Reihe der Zuschauerfläche und verfolgte von dort aus das Geschehen auf der Bühne. Er sollte von da unten die Ohren spitzen, wie der Sound so klang und ob die Boxen von links und rechts gleichlaut waren, aber das war ihm ehrlich gesagt ziemlich Hupe. Er langweilte sich fürcherlich und hatte gerade überhaupt keine Lust zu gar nichts mehr. Es sollte einfach nur ein Ende nehmen. Da passte ihm der Vorschlag, die Gesamtabmischung in Angriff zu nehmen, gar nicht in den Kram. Dafür hätte er ja wieder aktiv werden müssen. Er hob sich sein Mikrophon vor die Nase. „Ich bleib hier sitzen und singe von meinem Stuhl aus, damit ich die Lautstärke-Balance weiter im Auge behalten kann“, stellte er klar. Über Lautsprecher, damit jeder ihn hörte, ohne daß er schreien musste.

„Nein, tust du nicht. Wir spielen 'cassis'“, legte Kai jedoch fest.

Ruki warf ihm einen giftigen Blick zu. Der Song lief auf drei Gitarren, da musste er zwangsläufig mitspielen. Er raffte sich aber gehorsam von seinem schönen Sitzplatz hoch, enterte wieder die Bühne und griff nach der Akustik-Gitarre, die er sich von Uruha geborgt hatte, da er ja bis heute keine eigene neue besaß. Natürlich war auch die viel zu groß für ihn. Aber das musste jetzt halt mal gehen. Es war für Ruki zwar sehr unbequem, aber nicht unmöglich, sie zu spielen. Kai hatte absichtlich darauf bestanden, heute auf dem Konzert 'cassis' zu spielen, um Ruki in Zugzwang zu versetzen, sich endlich eine neue Gitarre zu kaufen. Da der Sänger von seinen durchaus zahlreichen aber leider sehr erfolglosen Beschaffungsversuchen nie etwas erzählte, dachte Kai nach wie vor, er sei einfach nur zu faul und hätte sich bis jetzt immer noch nicht darum gekümmert.
 

Kyo spazierte in fröhlicher Selbstverständlichkeit auf die Tür zu, durch die eben schon ein Manager verschwunden war. Jedenfalls hatte es für Kyo eindeutig nach einem Manager ausgesehen. Und Kyo hatte in seinem Leben weiß Gott schon genug Manager gesehen, um einen zu erkennen, wenn er einen sah. Miyavi hatte einen großen Clou vor, soviel wusste er schon. Aber was, das blieb nach wie vor sein Geheimnis. Heute stand eine Konferenz zu diesem riesigen Projekt an. Die Beteiligten wurden zusammengetrommelt. Jetzt wollte er doch mal sehen, ob er nicht was rausfand. Man musste die Konkurrenz ja schließlich im Auge behalten.

Ein Türsteher vertrat ihm den Weg, kurz bevor er die Tür zum Gebäude erreichte. „Guten Tag, Sir. Kann ich helfen?“, wollte er höflich, aber kühl wissen.

„Nein, danke, ich finde den Weg schon selber“, versuchte Kyo sein Glück.

„Sie verstehen nicht. Das Gebäude ist heute leider geschlossen. Kein unbefugter Zutritt. Tut mir leid.“

„Ja, wegen Miyavis Konferenz, ich weiß. Da will ich ja hin.“

„Dann stehen Sie also auf der Liste der eingeladenen Gäste, Mister?“

So eine Liste gab es? Wie unangenehm. „Ich bin Kyo!“, stellte er klar, als sei das ja wohl Einladung genug. Vielleicht hatte der Kerl ihn bloß nicht erkannt. Kyo war ja in der Tat ein Verwandlungskünstler.

Der Türsteher nickte nur, ging aber nicht zur Seite.

„Von Dir en Grey! Der Sänger!“, legte Kyo nach.

Der Türsteher nickte wieder verstehend, gab den Weg aber weiterhin nicht frei.

„Kennen Sie Dir en Grey überhaupt?“, wollte Kyo angezinkt wissen.

„Sie stehen also nicht auf der Gästeliste?“, fragte der Mann nur emotionslos.

„Na schön, vielleicht geht es ja hiermit“, änderte Kyo seine Taktik und hielt ihm eine bunte Plastikkarte vor die Nase.

Der Security-Mensch nahm den ID-Pass an sich, las ihn aufmerksam, nickte dann wieder stoisch – langsam machte dieses Nicken Kyo echt wuschig – und warf ihm schließlich einen prüfenden Blick zu. „Dürfte ich wohl mal Ihren Personalausweis sehen?“
 

Nach dem schier endlosen Soundcheck verkrümelten sie sich alle in die Umkleide zur Kleideranprobe. Ruki war gespannt, ob sein Fetzen von Outfit jetzt inzwischen annehmbar war. Sie hatten seit dem Termin in der Schneiderei keine weitere Anprobe mehr gehabt. Es war pures Glück, ob die geänderten Sachen heute passen würden oder nicht. Ihre Schneider waren mit anwesend, wie bei jedem Konzert, und würden im Notfall noch hier und da schnell etwas abstecken, damit auf der Bühne alles da saß wo es hin sollte. Aber Ruki vertraute denen einfach mal. Bisher hatten sie ihre Arbeit immer zufriedenstellend erledigt. Er wurde auch nicht enttäuscht. Als er sein Oberteil hochhielt, um es sich anzusehen, wirkte es schon wesentlich cooler als letztes Mal. Die erbetenen Änderungen hatten echt was gebracht.

Gut, die Kleideranprobe war jetzt kein Zeitfaktor. Sachen anziehen, fertig. Die passten ja im Normalfall. Was nochmal richtig lästig werden würde, war die Maske. Das MakeUp aufgetragen zu bekommen, war das pure Grauen. Da saß man mitunter auch nochmal zwei Stunden und länger. Ihre Maskenbildner hatten einen Faible für puppenglatte Haut, auf der man keine noch so kleine Unebenheit mehr sah. Dafür wurde einem Schicht über Schicht von Abdeckpuder aufgetragen, die dann wieder ewig lange trocknen musste, um danach von der nächsten Schicht überkleistert zu werden. Am Ende war das Gesicht wie einbetoniert. Man musste sich vorher gut überlegen, mit welchem Gesichtsausdruck man zum Maskenbildner ging. Der blieb dann so, wenn der Maskenbildner mit einem fertig war. Die Fans sagten immer, daß sie doch auf Fotos auch mal lächeln sollten. Ging nicht, selbst wenn man wöllte, weil der viele Zement im Gesicht es einem gar nicht erlaubte! Für ihn als Sänger war das auf der Bühne besonders lästig, denn er musste ja nach Möglichkeit den Mund noch auf und zu kriegen.

„Reita?“

„Hm“, machte der Bassist nur lustlos. Auch er schien sich ganz seiner Langeweile hingegeben zu haben.

„Glaubst du, wir kriegen nochmal Ärger wegen LM.C?“, wollte Ruki wissen. Die anderen waren noch in der Umkleide. Da er und Reita alleine in der Maske saßen und sich niemand sonst – nichtmal ein Maskenbildner – hier herumtrieb, konnten sie ja offen darüber sprechen.

„Wir? Du, Ruki! Du ganz alleine!“, diagnostizierte Reita tonlos.

„Denkst du, ich hab die wirklich rausgekegelt? Der Chef von Pony Canyon hat doch bestimmt bloß überreagiert, oder?“

„Was weiß ich!?“, murmelte der Bassist mit geschlossenen Augen und gar nicht mehr richtig anwesend. Das war sein üblicher Gesprächskiller, wenn er keine Lust hatte, sich zu unterhalten. 'Selber Schuld.' oder 'Warum auch nicht?' taten es zur Not auch, wenn er eine Plauderei abwürgen wollte.

Ruki zog eine Schnute, suchte kurz nach einem neuen Gesprächsaufhänger, sah dann aber ein, daß es keinen Sinn hatte. Er würde von seinem Kumpel nur weitere, sinngemäße 'nicht-mein-Problem'-Antworten bekommen. Die Tür ging auf und Uruha kam herein, damit erübrigte sich das ganze Thema ohnehin. Ihm auf dem Fuß folgte einer der Maskenbildner. Oder 'MakeUp-Artists', wie sie sich lieber nannten. Auch so ein Modebegriff. Früher hatten die sich noch mit dem Rang eines Kosmetikers zufrieden gegeben, jetzt mussten sie schon 'Artists' sein. Einer hatte mal versucht, ihm den Unterschied zwischen einem Maskenbildner und einem MakeUp-Artist zu erklären. Die einen panschten nur mit Lippenstift und Eyeliner rum, die anderen modellierten einem mit Silikon und Plastik komplett neue Körperteile dran, oder so. Hörner, Schnäbel, Flügel, Schlappohren, weiß der Geier, jedenfalls so daß es am Ende echt aussah. War Ruki ehrlich gesagt ziemlich Schnuppe. Er saß hier in der Maske, also waren das in seinen Augen alles Maskenbildner. Hauptsache, die kamen langsam mal in die Gänge. Wenn jetzt schon der erste von denen hier eingeschwebt war, würde es wenigstens gleich losgehen, dachte er.

„So, dann legen wir mal los, was?“, lächelte der Maskenbildner fröhlich und griff nach einer Haarbürste, um sich über Uruha her zu machen.

„Bringt doch eh nix mehr, bei deinen drei Haaren“, scherzte Ruki.

„Doch, gerade! Je weniger Haare man hat, desto mehr muss man sortieren!“, gab Uruha schlagfertig zurück. Alle lachten.
 

Ihr Manager kam eine halbe Stunde später herein, als schon alle Gazettos ihre erste Schicht Spachtelmasse im Gesicht hatten. Das war neu. Ihr Manager war zwar auf allen Konzerten anwesend, aber sie bekamen ihn nur selten zu Gesicht. Nur wenn es Probleme gab. Und sie hatten nie Probleme. Sie waren ja schließlich The Gazette. Außerdem wurde ihr Manager dafür bezahlt, daß sie keine Probleme hatten. Kai schaute sofort alarmiert hoch, als der unerwartete Besuch erschien.

„Jungs, mal eine Frage ...“, begann er mit einem unterschwelligen Schmunzeln, als würde er das, was er zu sagen hatte, durchaus lustig finden. „Kyo von Dir en Grey ist vor einer Stunde von der Polizei verhaftet worden.“

„Wie hat er´n das geschafft?“, wollte Aoi wissen.

„Er hat versucht, mit einem gefälschten Ausweis Zutritt zu einer Konferenz von Miyavis Plattenlabel zu bekommen. Urkundenfälschung, würde ich mal sagen. Man vermutet, daß er die Konkurrenz ausspionieren wollte.“

„Nicht schlecht, der Junge. Und wieso müssen wir das wissen?“, hakte Kai nach.

„Nun ... auf dem Presseausweis stand 'Akira Suzuki' drauf.“

Reita wurde sofort knallrot, selbst durch die mehreren Schichten von MakeUp hindurch. Alle schauten ihn fassungslos an. 'Akira Suzuki' war sein bürgerlicher Name. Sein gefaketer Presseausweis, den er damals bei Kyo verloren hatte, als er Hals über Kopf aus dessen Spukhütte getürmt war, kam ihm schlagartig wieder in den Sinn.

„Reita, hast du eine Idee dazu?“, wollte der Manager kichernd wissen.

„Nein, wir haben keine Idee dazu“, klinkte sich sofort Ruki ins Gespräch ein. „Kyo hat sich wohl für clever gehalten und einen falschen Namen verwendet, um im Zweifelsfall nicht aufzufliegen.“

„Ja, genau das habe ich der Polizei auch gesagt“, lachte ihr Manager. „Dumm nur, daß der Türsteher auch seinen Personalausweis sehen wollte und dort ein anderer Name drauf stand als auf dem Presseausweis. Die Polizei hat sich dann bei der Zeitung erkundigt, auf die der Presseausweis ausgestellt war, und festgestellt, daß weder Kyo noch ein gewisser Akira Suzuki dort bekannt sind. Naja, wie auch immer, Reita. Ich wollte dir nur mitteilen, daß der falsche Presseausweis mit deinem Namen inzwischen durch den Aktenshredder gejagt wurde.“

Reita wurde vor Übelkeit kurz schwindelig und er musste sich schwer beherrschen, sich nicht verzweifelt mit den Händen durch das Gesicht zu fahren, wenn er die bisherige Arbeit der Maskenbildner nicht wieder zunichte machen wollte. Gott, wenn die Polizei Fingerabdrücke von dem Ding genommen hatte, würden sie auch seine eigenen darauf finden. Die mussten doch zwangsläufig drauf kommen, daß Reita dieses Ding irgendwann mal selber besessen hatte. Aber er wagte nicht, seinem Manager eine entsprechende Frage zu stellen, denn mit so einer Seltendämlichkeit würde er sich sofort verraten. So blieb ihm bloß, die Klappe zu halten und das Beste zu hoffen.

Ihr Manager verschwand lachend wieder nach draußen. Er schien die ganze Sache überaus witzig zu finden. Kyo hinter Gittern. Super.

„Reita, du bist ganz grün um die Nase“, bemerkte Kai überflüssigerweise.

Der Bassist schüttelte den Kopf. „Ich mach mir nur Sorgen, in irgendwas mit reingezogen zu werden.“ Das war nicht mal gelogen. Er hatte wirklich Angst, da mit reingezogen zu werden. Von 'unverschuldet' hatte ja keiner was gesagt.

„Hattest du mal so einen Presseausweis?“, wollte der Bandleader misstrauisch wissen.

„Ich ... ähm ... weiß nicht, ich hatte mal so ein Scherzartikel-Ding geschenkt bekommen. Das wird sicher noch irgendwo in meiner Wohnung rumfliegen. Ich wüsste nicht, wie Kyo da rankommen sollte.“

Kai verzog vielsagend das Gesicht.

„Und nein, ich hab das Ding nie verwendet!“, legte Reita also nach. Verdammt, er war so ein schlechter Lügner. Mit einem glatten 'nein' wäre es sicher besser gefahren als mit dieser zwielichtigen Halbwahrheit, die haarscharf an der Grenze zur Enttarnung balancierte.
 

Nachdem das Konzert und die Zugabe gelaufen waren – bis auf einen Patzer von Uruha wie immer perfekt, sie waren ja schließlich The Gazette – schob Reita plötzlich ziemlichen Zeitdruck. Er zerrte seinen Sänger förmlich am Schlawittchen aus der Konzerthalle heraus und sah zu, daß er mit ihm weg kam. Ruki war da jetzt nicht böse drüber, er wollte selber gern so schnell wie möglich zu seinem Schätzchen Koron zurück, aber so eilig hatte Reita es doch sonst nicht. Ruki fragte nach, was das sollte.

„Wir müssen rauskriegen, in welcher Polizeistation Kyo einsitzt!“, gab Reita aufgekratzt zur Antwort.

Ruki überlegte vergeblich, in welcher Hinsicht diese Aussage einen Sinn ergeben sollte. Wozu wollte Reita das wissen? Erneut nachfragen musste er nicht, denn aus dem Bassisten sprudelte es ganz von alleine weiter heraus.

„Wir müssen fragen, ob er vielleicht gegen Kaution wieder freigelassen wird!“

„Glaubst du, der Kerl ist so bettelarm, daß er die Kaution nicht selber docken könnte?“

„Ich bin ihm das schuldig! Er ist wegen meinem falschen Presseausweis eingebuchtet worden, Mann!“, jammerte Reita.

„Was ist das denn für ne Logik?“, debattierte Ruki verständnislos. „Sagt ja keiner, nur weil er im Besitz deines Presseausweises ist, daß er damit gleich loslaufen und sich überall als Presse-Futzi ausgeben muss. Da ist er ja wohl auch selber schuld.“

„Er wusste ja nicht, daß das Ding ne Fälschung ist!“

„Und? Ob gefälscht oder nicht, es war nicht seiner. Da stand 'Akira Suzuki' drauf. Er kann nicht mit fremden Ausweisen hausieren gehen.“

„Trotzdem ...“

„Wenn du mit deinem Geld nicht mehr weißt wohin, dann übernimm doch meine Schulden bei Pata“, schlug Ruki vor.

„Zahl erstmal DEINE Schulden an MICH, du Nase! Ich hab auch meinen Anteil an deiner blöden 2-Millionen-Yen-Schallplatte blechen müssen, die du auf dem Flohmarkt kaputt gemacht hast!“

„Pata hat sie kaputt gemacht! ... du Nase!“, äffte Ruki ihn nach. „Das muss ich mir von einem sagen lassen, der nichtmal eine Nase hat!“

Reita holte sauer Luft, um etwas zu erwidern, überlegte es sich aber im letzten Moment anders und winkte nur ab. Sinnlos. Mit diesem Sänger zu streiten, wenn der entschieden hatte unvernünftig zu sein, war vergebene Liebesmüh. Brachte nichts. Einfach aufs nächstgelegene Polizeirevier fahren und Ruki ungefragt mitschleppen, fertig.

„Ist dir eigentlich klar, daß du in arge Erklärungsnöte kommen könntest, wenn die auf der Wache mitkriegen, daß du dieser Akira Suzuki bist, dem der gefälschte Presseausweis eigentlich gehört?“, gängelte Ruki ihn weiter.

„Ist mir bewusst, ja. Darüber mach ich mir Gedanken, wenn es soweit ist.“

„Du hättest dich wenigstens noch ordentlich abschminken sollen, bevor du zur Polizei gehst. Du siehst mit dem zerlaufenen Kajal aus wie ein Horror-Clown.“

„Dann bin ich Kyo wenigstens mal ebenbürtig!“, gab Reita schnippisch zurück.

„Die Polizei wird dich einbuchten, so wie du aussiehst!“

„Halt jetzt den Rand, Mann! Ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren!“

Ruki lag schon der mehrdeutige, versaute Konter auf der Zunge, daß Reita ja echt arm dran sei, wenn er sich beim Verkehr konzentrieren müsse, um zum Ziel zu kommen, aber er ließ es wohlweißlich bleiben, bevor Reita noch richtig stinkig wurde. Er kannte seinen Kumpel Reita gut genug, um zu wissen, wann er aufhören sollte. Also verschränkte er nur die Arme vor der Brust, lehnte sich im Sitz zurück und schaute während der Autofahrt aus dem Seitenfenster hinaus. Als es ihm zu still und zu langweilig wurde, schaltete er lediglich noch das Autoradio an. Es war gerade auf CD-Wiedergabe eingestellt und es nudelte ein Song von D´espairs Ray. Ruki zog ungläubig eine Augenbraue hoch, sagte aber auch dazu nichts und ließ es einfach laufen. Auch der nächste Song war – logischerweise – wieder D´espairs Ray. Erst 'born', jetzt 'yami ni furu kiseki'. Ruki kam zu Bewusstsein, daß Reita offensichtlich das Immortal-Album im Player hatte. Und war erschrocken über sich selbst, daß er sowas wusste. Wann hatte er das letzte Mal zwei Lieder gehört und sofort sagen können, welches Album das war?
 

Die nächstgelegene Polizeistation. Ruki kräuselte nur die Lippen zu einem Schmollmund und blieb unbeirrt im Auto sitzen, ohne etwas zu sagen. Das sollte genügen, um zu verdeutlichen, daß er nicht aussteigen und mit reingehen würde. Sollte Reita sich da drin mal schön selber zur Feile machen.

„Bin gleich wieder da“, meinte Reita, der den Wink ganz richtig verstand. Aber auch er machte keine Anstalten, das Auto zu verlassen. So saßen sie eine gute Weile gemeinsam im Auto und starrten aus sicherer Entfernung das Polizeirevier an.

„Reita?“

„Was?“

„Ich glaube, du wirst in die Polizeistation reingehen müssen. Es sieht nicht so aus, als würden die zu dir rauskommen.“

Reita warf ihm einen bösen Blick von der Seite zu. „Ich warte echt auf den Tag, an dem dir mal die blöden Kommentare ausgehen.“ Derber als nötig riss er die Handbremse an und zog den Zündschlüssel. Nur zur Sicherheit. Er wusste, wozu Ruki fähig war, wenn er sich unbeaufsichtigt langweilte. Dann stieg er aus und stiefelte davon.
 

In der Polizeiwache war es unangenehm hell, wenn man von draußen kam. Draußen war es immerhin schon Nacht. „Guten Abend!“, grüßte eine freundlich lächelnde Dame am Empfangsschalter.

„Guten Abend.“

„Kann ich Ihnen helfen?“

Reita wägte seine Worte mit Bedacht ab. „Ich bin auf der Suche nach einem ... naja ... einem Mann, der vor ein paar Stunden festgenommen wurde. Ich wüsste gern, ob er schon wieder freigelassen wurde oder, wenn nicht, in welcher Polizeistation man ihn dann finden könnte.“

Die Dame nickte diensteifrig und legte die Finger auf die Tastatur ihres Computers, um sofort loszutippen, sobald sie wusste, was sie tippen sollte. „Wie ist denn der Name des gesuchten Herrn?“

Gute Frage, dachte Reita. Wie war Kyo´s bürgerlicher Name doch gleich gewesen? Tooru Nishi-..., Nishi-irgendwas. Nishimura, oder so ähnlich? Reita war sich gerade gar nicht mehr so sicher. Für ihn war der skurrile Kerl immer einfach Kyo gewesen. „Ähm, er ist mit einem gefälschten Ausweis auf den Namen Akira Suzuki rumgelaufen. Können Sie auch damit was anfangen? Sonst kann ich Ihnen nur seinen Künstlernamen sagen.“

„Ich versuch´s mal“, versprach sie und tippte. „Mh“, machte sie dann. „Da haben wir ihn ja. Mister Nishimura, genannt 'Kyo'. Er besteht jedenfalls darauf, mit 'Kyo' angesprochen zu werden.“

„Genau, das ist er!“

„Er wurde schon wieder entlassen. Nach Aokigahara.“

„Bitte was?“

„Steht hier“, meinte sie mit einem hilflosen Schulterzucken und einem Deut auf den Bildschirm vor sich. „Er wollte nach Aokigahara.“

„Das ist ein Wald. Am nördlichen Fuß des Fuji-san.“

„Ich weiß, der Wald der Selbstmörder, ich kenne die Legenden. Der Wald trägt den gleichen Namen wie die Stadt Aokigahara“

„Wieso schicken Sie jemanden, den Sie verhaftet haben, an so einen Ort?“, wollte Reita fassungslos wissen.

„Auf eigenen Wunsch. Er hat sich gegen Kaution freigekauft. Und als die Beamten ihn gefragt haben, wo sie ihn wieder abliefern sollen, hat er diesen Ort angegeben.“

„Das sind doch von hier aus 2 Stunden Autofahrt bis dort hin!“

„Ja. Aber mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.“

Reita überlegte hin und her, kam aber schnell zu dem Ergebnis, daß er seine Grübelei auf einen späteren Zeitpunkt verschieben musste und die Frau am Tresen nicht länger belästigen sollte. Er bedankte sich für die Auskunft und ging wieder.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2017-11-03T17:53:29+00:00 03.11.2017 18:53
Ich musste so lachen als kyo mit reitas gefälschten Ausweis sich rein schmuggeln wollte 😂😂
Nur schade das auf den ausweis Akira Stand 😂😂
Antwort von: Futuhiro
03.11.2017 19:03
Ich gebe zu, ich hab beim Schreiben den Türsteher ziemlich gefeiert. Immer nur unerschütterlich am nicken. :D

Wieder vielen Dank für´s Mitlesen und Kommentieren. ^_^
Von:  JINO
2017-11-03T14:37:28+00:00 03.11.2017 15:37
Wenn Kai wüsste…
Der würde graue Haare bekommen. :’D

Und was plant Kyo bitte? xD

Ohhhh Kyo… du Nase.. :’D
Hat er sich das Teil mal genauer angeschaut? Wohl eher nicht.. :’D

Na ob das eine gute Idee von Reita is? :’D

O_O Was will Kyo in dem Wald… O_O

Antwort von: Futuhiro
03.11.2017 15:58
> Wenn Kai wüsste…
> Der würde graue Haare bekommen. :’D

--> Aber sowas von. XD ... vor allem, wenn das ganze Kartenhaus von Vertuschungsversuchen dann in sich zusammenfällt. :D


> Hat er sich das Teil mal genauer angeschaut? Wohl eher nicht.. :’D

--> Doch, hat er schon. Er hatte nur nicht damit gerechnet, daß einer noch seinen Personalausweis dazusehen will. Er dachte, mit nem Presseausweis wird er einfach durchgewunken. XD


> O_O Was will Kyo in dem Wald… O_O

--> Klärt sich im nächsten Kapitel. ^_^

Grüße und wieder vielen Dank für den Kommi. :)


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