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Der Saphir der Halbblüter

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank an meinen Betaleser Ancalime, für neue Denkansätze und das Verbesserung von v.a Logikfehlern!!! :)) Komplett anzeigen

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Ich komme gerade nach Hause. Es ist ungefähr vier Uhr in der Früh. Die meisten schlafen um diese Zeit noch. Daher und dank der Dunkelheit, falle ich also nicht weiter auf, wenn ich in einem zerfetzten, blutverschmierten Hemd durch die Straßen laufe.
 

Zerfetzt und blutverschmiert? Ja, das ist nichts Neues. Beinahe alltäglich würde ich sagen. Aber glücklicherweise bin ich dieses mal glimpflich davon gekommen. Ein paar kleine Kratzer auf dem Oberkörper, die in wenigen Tagen als nichts weiter als ein heller Strich zu erkennen sind.
 

Wie auch immer. Ich gehe auf direktem Wege ins Badezimmer und werfe den überflüssigen Stofffetzen, mehr ist wirklich nicht übrig geblieben, in den Müll.
 

Dann greife ich nach dem Erste-Hilfe-Koffer, um nach einem Verband zu greifen. Mist. Ich dachte mir gestern Abend schon, dass ich den mal wieder auffüllen sollte.
 

Ich verdrehe leicht die Augen und hole stattdessen aus der Küche eine Rolle Zewa. Mit etwas Desinfektionsmittel säubere ich die Wunden und tupfe dann vorsichtig mit einem Tüchlein darüber. Danach tränke ich ein sauberes Handtuch in Wasser und binde es mir um den Oberkörper. Das sieht jetzt nicht sonderbar toll aus, wird aber bis morgen früh, oder eher gesagt später reichen.
 

Nach gefühlten Stunden lege ich mich ins Bett und schlafe ohne Probleme ein.
 

Ja, ungefähr so verläuft jede Nacht.
 


 

Als ich gegen Mittag aufwache, ist eigentlich schon alles Schnee von gestern. Lediglich die Wunden zeigen, was sich gestern Nacht abgespielt anhaben könnte und selbst die, sehen schon um einiges besser aus. Aber selbst wenn ich es jemanden sagen würde, würde es mir niemand glauben.
 

Und warum nicht? Weil ich ein Doppelleben führe. Genauer gesagt, bin ich ein Halbblüter. Zur Hälfte Mensch, zur anderen Hälfte ein Wolf. Zumindest ein Teil von mir ist das.
 

Meine Großmutter hatte sich einen Kampf mit einen Wolf geleistet, als sie noch jung war. Dabei wurden sowohl sie, als auch der Wolf verletzt. Lauter meiner Mutter hatte sich dann das Blut des Wolfes mit ihrem vermischt, wodurch sich Teile der Wolfs-DNA in ihre eingepflanzt haben. Ob das alles stimmt, kann ich nicht sagen, aber so lautet eben die Familiengeschichte und somit auch gleichzeitig das Familiengeheimnis. Jedenfalls wird seit dem das Gen auf der männlichen Seite der Swartz Familie weiter vererbt. Und ja - ich bin davon eben nicht verschont geblieben.
 


 

Wie auch immer. Nachdem ich mir ein ordentliches Frühstück geleistet hab, was etwa ein Dutzend Pancakes beinhaltet hat, ziehe ich mir etwas an und mache mich auf den Weg zur Apotheke. Die wundern sich bestimmt schon, wofür ich all den Verband brauche, den ich meist einmal die Woche holen gehe, aber das interessiert mich eigentlich recht wenig. Solange sie nichts über mich und meines Gleichen wissen, ist alles im grünen Bereich.
 

Als ich wieder zu Hause bin, mir letzten Endes doch den Verband um den Oberkörper gebunden habe und alles, was in irgendeiner Hinsicht darauf verweisen könnte, wie es letzte Nacht ausgegangen ist, also zerfetztes Shirt, blutiges Handtuch und rote Küchentücher, beseitigt habe, setze ich mich für einen Moment auf die Couch. Ich bin nicht viel zu Hause, deshalb ist es immer ganz schön, mal fünf Minuten seine Ruhe zu haben.
 

Wenn ich nicht gerade im Wald bin, sitze ich meist am See und spiele Gitarre. Mit meinen eigenen Texten und eigener Musik habe ich das Gefühl, dass es mich ausgleicht und so wieder Ruhe in mein Leben einkehrt.
 

Und weil ich nicht arbeiten gehe, kann ich meine Wohnung zwar bezahlen, allerdings nur sehr knapp. Deshalb suche ich nach einem Mitbewohner. Bzw. ich habe schon jemanden gefunden. Das Mädchen, das sich für das Zimmer interessiert kommt in ein paar Tagen. Ihrer Stimme nach zu urteilen ist sie etwa in meinem Alter. Aber auch wenn sie bereits Ü50 wäre, wäre es mir egal, denn ich brauche nur jemand, der mir hilft die Miete zu bezahlen und der Rest an ihr interessiert mich nicht.
 

Natürlich ist mir klar, dass das angesichts meines Geheimnisses nicht sehr schlau ist, aber sonst müsste ich umziehen und so Zentral finde ich so günstig keine andere Bleibe, aber doch so abgelegen, dass ich gleich am Wald bin. Es ist eben ideal.
 


 

Es klingelt. Ich zucke leicht zusammen, da ich damit nicht gerechnet habe. Ich bekomme nie Besuch. Ich stehe auf und gehe zu der Tür.
 

Als ich aufmache, sehe ich ein Mädchen vor mir. Sie ist sehr zierlich und schlank. Hat lange Blonde Haare und graue Augen. Mehr interessiert mich im Moment nicht
 

„D-Daemon?“, fragte sie mich geschockt und unsicher zugleich. Ich frage mich, woher sie mich kennt, denn ich habe hier in der Stadt keine Freunde oder Bekannte. Nicht mal dem Mädchen, das hier einzieht, habe ich meinem Namen verraten. Glaube ich zumindest.
 

„Kennen wir uns?“, frage ich gleichgültig und schau sie mit einem arroganten Blick an.
 

„Ich.. ähm.. nein. Ich bin Melody. Aber alle Leute nennen mich Mel. Ich wollte mir das Zimmer ansehen“, sagte sie, nachdem ich sie offenbar leicht aus dem Konzept gebracht habe. Ich nicke ihr leicht zu und lasse sie eintreten. Ich sage nicht viel, außer, dass ich sie kurz begrüße und ihr dann ihr Zimmer zeige. Es ist nichts besonderes, aber im Gegensatz zu anderen WG-Zimmern doch recht groß. Kurzerhand zeige ich ihr Küche, Bad und Wohnzimmer und in weniger als fünf Minuten ist alles abgeklappert.
 

„Es ist schön hier. Ich hätte nicht gedacht, dass es so... sauber ist“, sagt sie ruhig und lächelt mich sanft an, welches ich aber nicht erwidere.
 

„Ich bin nicht oft zu Hause. Was machst du überhaupt schon hier? Du wolltest doch nicht vor Mittwoch kommen“, sage ich etwas vorwurfsvoll, weil ich eigentlich die letzten wenigen Tage noch genießen wollte. Es wären die letzten gewesen, an denen ich ich selbst sein kann.
 

„Wollte ich auch. Aber ich habe morgen ein Fotoshooting und hatte gehofft, dass ich schon ein wenig früher kommen kann“, antwortet sie leise und man merkt an, dass sie doch ziemlich unsicher ist, weil sie früher gekommen war.
 

Ich verdrehe die Augen, aber so, dass sie es nicht sieht. Sie hilft mir immerhin, dass ich hier wohnen kann.
 

Gut, ob sie jetzt vier Tage früher oder später hier einziehen würde, wäre dann auch egal.
 

Ich bestätige ihr schließlich, dass sie bleiben kann. Nachdem sie sich gefühlte Tausend mal bedankt hat, geht sie die Treppen hoch und in ihr Zimmer. Naja, ist zumindest an zu nehmen.
 


 

Ich hingegen gehe in die Küche. Jeden Abend koche ich. Auch, als ich noch allein war, denn ich brauche die Kräfte für die Nacht. Ich entscheide einfach für uns beide und Koche Spaghetti. Ich gehe einfach davon aus, dass das jeder mag und somit auch Melody.
 

Nach etwa 20 Minuten höre ich, wie sie die Treppe runter schleicht und zu mir in die Küche kommt.
 

Sie stellt sich hinter mich, um mir über die Schulter zu schauen. Nah. Zu nah und zu aufdringlich.
 

„Was machst du da?“, fragt sie gut gelaunt und ich frage mich innerlich, ob es nicht offensichtlich ist, dass ich nicht gerade koche.
 

„Sieht man doch. Billard spielen“, gebe ich kalt und auch ein wenig genervt zurück. Ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand über die Schulter schaut. Nicht nur Sprichwörtlich, sondern auch in echt. Zudem war das auch nicht wirklich möglich. Viele kommen nicht damit klar, dass ich das sage, was ich denke. Ich bin zu direkt. Und somit gleichzeitig wohl ein absolutes, egoistisches, selbstsüchtiges Arschloch.
 

„Oh, sind wir heute mit dem falschen Fuß aufgestanden?“, fragt sie leicht lachend und knufft mich leicht in die Seite.
 

Ich sehe sie irritiert an. Bisher verließen immer alle den Raum, wenn ich das aussprach, was ich dachte. Ließen mich in Ruhe oder sie wurden nervös.
 

Aber nein. Sie lachte. Ich sah in ihre wunderschönen grauen Augen. Erst jetzt fielen sie mir wirklich auf. Sie waren hellgrau und um die Iris bildete sich ein dunkler Rand. Kurz glaubte ich, ich hätte diese Augen schon einmal gesehen, aber schüttelte den Gedanken sofort wieder ab. Ich war nicht gut darin, soziale Kontakte zu pflegen, also war es unmöglich, derartige Augen schon einmal gesehen zu haben. Aber sie faszinierten mich.
 

Sie schienen zu leuchten, zeigten keine Angst oder Scheu. Nein, sie strahlten etwas selbstbewusstes aus. Und ja.. es gefiel mir.
 

„Nein. Gar nicht. Nur nicht sehr gesprächig“, gebe ich immer noch in einem gleichgültigen Ton zurück und mache mich dann an die Spaghetti, um sie abzugießen.
 

„Oh... okey...“, gibt sie leise zurück. Ihr Stimme wirkte jetzt nicht mehr fröhlich, sondern eher niedergeschlagen. Es stimmt also doch, dass Frauen derartige Stimmungsschwankungen haben. Unglaublich, wie schnell das geht.
 


 

Wir sitzen am Tisch und essen unser Abendessen. Ich musste ehrlich gesagt aufpassen, dass mir nicht der Geduldsfaden reißt, denn Melody redet wirklich ununterbrochen. Und nachdem sie dann gefühlte 1000x erzählt hat, wie lecker das Essen doch sei, konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen.
 

„Ja, ich hab's verstanden. Willst du es vielleicht noch auf ein T-shirt drucken?“, platze es plötzlich aus mir heraus und starrte ihr genervt in die Augen. Ich weiß selbst, dass meine Kochkünste ganz gut sind. Sonst wäre ich längst verhungert, bei den Mengen die ich esse. Aber reicht es nicht, es einmal zu erwähnen und es dann einfach dabei zu belassen?
 

Sie schaut mich leicht schockiert an. Lächelt aber dann.
 

„Gar keine schlechte Idee. Wäre bestimmt witzig“, lacht sie schüchtern und konzentriert sich dann wieder auf die Nudeln. Allerdings war mir doch dieses eine kleine Funkeln nicht entgangen. Ich sah, dass ich sie damit verletzt hatte und es zerriss mich fast selbst, was für ein Arsch ich mal wieder war.
 

Aber es war besser so. Je weniger sie mich mochte und je weniger ich mit ihr zu tun hatte, desto besser für mich und meines Gleichen.

Der Rest des Essens verläuft schweigend. Immer wieder schaue ich zu Melody, doch sie weicht meinen Blicken aus, was mir natürlich um so mehr verdeutlichte, dass ich sie gekränkt hatte. Ich überlegte, ob ich mich dafür entschuldigen sollte, entschied mich aber dann schnell dagegen. Denn ich werde mich definitiv nicht dafür entschuldigen, für das, was ich bin. Und nur weil meine unausstehliche Klappe nun sie getroffen hatte, werde ich mich deshalb nicht rechtfertigen.

Zudem war es besser, wenn sie mich nicht leiden kann. Es würde vieles einfacher machen.

Nachdem wir etwas gegessen haben räume ich das Geschirr ab und stelle es in die Spülmaschine.

„Ich bin heute Abend nicht da. Musst nicht warten, bis ich komme“; gebe ich schließlich von mir und gehe ohne ein weiteres Wort in mein Zimmer. Ich gebe ihr nicht mal mehr die Chance, etwas darauf zu sagen, denn ich will ehrlich gesagt nur noch meine Ruhe.

 

Ich schaue auf die Uhr, sehe aber, dass es noch zu früh wäre, jetzt loszugehen. Zudem ist es noch nicht einmal wirklich dunkel und die Gefahr wäre zu groß, wenn ich mich in einen Wolf verwandeln würde, dass mich jemand sieht.

Ich schnappte mir also meinen Block, einen Stift und meine Gitarre und setze mich aufs Bett.

 

Who I am.

An unknown person.

Don't know who I am.

What happend the time before?

 

I live a life, I don't want that to live.

I have got an assignment, I don't want that to have,

I know People, I don't want that to know.

I have powers, I don't want that to have.

 

Wütend knüllte ich das Blatt Papier zusammen und werfe es auf den Boden. So ein Mist. Ich stelle meine Gitarre zu Boden und ziehe mich um. Dunkle Hose und schwarzer Hoodie. Während ich an Melodys Zimmer vorbeigehe rufe ich kurzerhand „Bin weg“, und schon bin ich auch schon aus der Haustür verschwunden.

Ich eile zum Waldrand, natürlich darauf bedacht, dass mich niemand sieht und bleibe hinter einer großen Eiche stehen.

Mit einer Hand umfasse ich mein Amulett. Es ist ein runder Anhänger, in den das Zeichen einer Triskele eingearbeitet ist. Also ein Dreieck, dessen Ecken jedoch wie Schnecken aussehen. Darum herum befinden sich mehrere kleine Edelsteine, kleine Saphire.

Es ist das Zeichen unseres Stammes, unserer Familie. Der Familie Swartz.

 

In meinem Kopf spreche ich die Worte „Verwandel mich“, und innerhalb weniger Sekunden, spüre ich ein Kribbeln, welches ich am ganzen Körper spüre. Ein zarter Wind umhüllt mich und der Körper leuchtet in einem gedämpften Licht auf. Schon werden aus den Fingern Krallen, aus den Händen und Füßen Tatzen und der Rest verwandelt sich ebenfalls in den Körper eines Wolfes und wird von einem warmen, flauschigen Fell überzogen.

Ich habe noch etwas Zeit, streiche also so lange durch die Wälder, bis es los geht. Ich gehe zu dem abgelegenen See, mitten im Wald. Dort ist eine kleine Lichtung, umgeben von Bäumen und das Wasser spiegelt jede Nacht die Sterne wieder, so dass der See aussieht, als würde er glitzern. Ich liebe diesen Ort. Er ist das komplette Gegenteil des nächtlichen Schauspiels, als das, was ich sonst erlebe. Hier ist es ruhig und man ist allein. Alles ist friedlich und man hört nichts weiter, als die kleinen Wellen, wenn der Wind durch das Wasser gleitet.

Ich lege mich an das Wasser, starre mein Spiegelbild an. Ich sehe in meine bernsteinfarbenen Augen, welche genau so aussehen, wenn ich ein Mensch bin. Mein Fell ist schneeweiß, lediglich ein wenig Dreck und Blut kleben an meinem Fell, was alles viel dramatischer aussehen lässt, als es eigentlich ist.

 

Ich liebe es ein Wolf zu sein, aber gleichzeitig verfluche ich dieses Leben. Als Wolf bin ich frei, muss mich nicht verstellen. Ich habe in meinem Dorf eine sehr „ehrenwürdige“ Aufgabe und bin dafür verantwortlich, mit ein paar anderen Wölfen, die Ältesten zu beschützen. Witzig nur, dass mich das Null interessiert. Sie sind die weisesten unseres Stammes, haben zu jeder Frage eine Antwort. Ohne sie würde unser ganzes Dorf zusammenbrechen und das blanke Chaos würde ausbrechen. Doch so wichtig es auch ist, dass wir sie beschützen, oder besser gesagt beschützen sollten, gibt es eine Regel, die wichtiger ist, als alles andere. Und zwar: dass unser Geheimnis geheim bleibt. Dass niemand etwas von uns erfährt. Warum? Ganz einfach. Was würden die Menschen tun, wenn sie wüssten, dass es uns gibt? Sie würden Experimente mit uns machen. Uns in Gefangenschaft halten und uns wie Zirkustiere behandeln. Unser Blut anzapfen, um an unsere DNA zu kommen und sie für eigene Zwecke zu nutzen.

Ja, das war der Nachteil am Wolfsein. Du lebst in Angst.

Aber Mensch zu sein ist auch nicht besser. Als Wolf hältst dich von allen fern, weil niemand etwas von dir wissen darf. Selbst dass ich Melody zu mir ziehen lassen habe war viel zu riskant. Aber ich kann auch nicht wegziehen. Eine günstigere Wohnung finde ich nicht und zum anderen ist hier meine Familie. Na ja, soweit man es Familie nennen kann. Wir sind zwar Rudeltiere, aber trotzdem ist es bei uns ziemlich kompliziert. Dadurch, dass wir die Ältesten schützen und alles tun, damit das Geheimnis bewahrt bleibt, werden viele Opfer gebracht. Näher muss ich nicht darauf eingehen.

 

Inzwischen ist es finster. Die Zeit ist also reif. Ich stehe auf und mache mich auf den Weg, um tiefer in den Wald zu gehen. Nach wenigen Minuten sehe ich schon die anderen Wölfe. Sie stehen im Kreis um eine kleine leere Fläche. Innerhalb des Kreises sind zwei weitere Wölfe. Der eine kohlrabenschwarz der andere eher bräunlich. Den Schwarzen kenne ich nicht wirklich, weiß nur, dass er sich einen guten Ruf erworben hat und ungeschlagen ist.

Genau. Wir kämpfen. Besser gesagt: illegal. Die einen machen es zum Vergnügen, die anderen, um ihre Kräfte zu messen. Ich mach es, um genug Geld zu verdienen. Durch meine ach so besondere DNA, verzichte ich auf den Kontakt zu Menschen. Zumindest so gut es geht.

Zum einen habe ich keinen Schulabschluss, oder zumindest keinen, der in der normalen Menschenwelt anerkannt werden würde und zum anderen habe ich keinen Job.

Außerdem würde es kein Unternehmen zwei Wochen mit mir aushalten. Ich wäre vermutlich schneller gekündigt, als ich mit der Wimper zucken kann.

 

Ich stoße zu der Runde hinzu, sehe, wie der Schwarze um einiges stärker und auch vorteilhafter kämpft, als sein Gegenüber. Ich setze mich in den Kreis, benehme mich so, als würde ich gerade ganz normal im Kino sitzen und mein Popcorn genießen, während der andere kurz davor ist, sein letztes Stündlein zu erleben.

Es sollte mir egal sein. Der Braune geht mich nichts an, aber irgendwie auch doch. Hier im Kampf ist jeder auf sich allein gestellt. Es zählen keine Freundschaften, denn hier werden Freunde tatsächlich zu Feinden und bringen sich sogar gegenseitig um, wenn es sein muss.

Aber nein. Ich muss mich natürlich wieder überall einmischen. Kurz bevor der Stärkere zu seinem letzten Angriff starten kann, stelle ich mich schützend vor den Braunen. Mit einer einfachen Kopfbewegung zeige ich ihm, dass er abhauen soll, was dieser auch im nächsten Moment tut. Glückspilz und Feigling dachte ich mir zugleich. Den werde ich mir später vorknöpfen.

 

Sofort erheben sich die Anderen, höre das Fletschen ihrer Zähne und wie sie sich am liebsten auf mich stürzen würden.

„Sieh an, sieh an. Wen haben wir denn da? Ich dachte du hättest letzte Nacht deine Lektion gelernt, Daemon. Mischst du dich immer noch in die Angelegenheiten anderer ein?“, sagt der Schwarze und läuft von der einen Seite, zur anderen. Immer hin und her. Seine grünen Augen leuchten vor Zorn, vor Blutrünstigkeit. Doch er macht mir keine Angst. Im Gegenteil. Je länger er mich so anstarrt, um so lieber würde ich mich auf ihn stürzen und mich an ihm rächen. Seine Krallen kann ich immer noch auf meinem Oberkörper spüren.

„Lass. Ihn. In Ruhe.“, antworte ich mit leiser Stimme. Aber nicht leise, im Sinne von ruhig, sondern eher bedrohlich. Meine Krallen, bohren sich immer mehr in den dreckigen Boden, mache mich darauf gefasst, ihm jeden Moment an die Gurgel zu springen.

„Sonst was? Läufst du davon, wie jedes Mal?“, lacht der andere und scheint für einen Moment abgelenkt.

Genau das ist meine Chance. Ich stoße mich kräftig vom Boden ab, und greife den anderen an. Ich stoße ihn zu Boden, beiße ihn nicht gerade sanft in den Nacken. Doch er rappelt sich schnell auf und die Rollen von Angreifer und Angegriffener werden schnell vertauscht. Ich spüre seine Krallen, wie sie mir über das Auge und an der Schnauze vorbei schrammen und ein stechender Schmerz sorgt dafür, dass ich winsle. Ich spüre die Wärme, wie sie sich über meine Gesichtshälfte ausbreitet und weiß nur zu gut, dass sich mein helles Fell gerade blutrot färbt.

Auch ich greife erneut an und verletze ihn an der Seite, allerdings vermutlich nicht so stark, wie er mich.

Wir fletschen mit den Zähen, bellen uns an und verletzen uns gegenseitig. Erst als ein paar Wölfe doch dazwischen greifen, bevor es völlig eskaliert, drehen wir uns den Rücken zu und gehen verschiedene Wege.

 

Ein paar Minuten, nachdem das Adrenalin wieder vorüber ist, spüre ich das wirkliche Brennen in meinem Gesicht. Auf dem rechten Auge ist die Sicht etwas verschwommen und ich merke auch erst jetzt, dass ich auf dem hinteren linken Bein humpel. Er hatte mich doch schwerer erwischt, als ich zu Beginn dachte, aber es sind keine Verletzungen, die irgendwelche Schäden hinterlassen. Schon morgen wird es besser sein. Zumindest rede ich mir das ein. Und meistens hilft es auch.

Doch bevor ich nach Hause gehe, gibt es noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Ich bring ihn um.

Ich muss nicht lange suchen, denn ich weiß, dass auch er regelmäßig am See ist. Er hat mir schließlich den Ort gezeigt und sagte selbst, dass er gern dort ist. Und ich befürchte, dass ich ihn ab sofort noch viel öfter um diese späte Uhrzeit dort vorfinden werde.

 

„Sag mal, bist du jetzt vollkommen bescheuert?“, frage ich ohne Vorwarnung, als ich den Wolf mit dem bräunlichen Fell, wie geahnt, am See vorfinde. Diese zuckt kurz zusammen und schaut zu mir. Ich sehe, wie er aufstehen will, seine Verletzungen aber offensichtlich zu groß sind, dass er wahrscheinlich nicht mal in der Lage ist, von allein zurück ins Dorf zu laufen.

Als ich neben ihm stehe und sehen kann, dass es sowohl sein linkes Vorderbein, als auch den Rücken und die Seite ziemlich erwischt hat, braust sich in mir ein Gefühl zusammen, das ich nicht genau beschreiben kann. Es ist eine Mischung aus Wut und Mitgefühl. Verständnislosigkeit und doch Erbarmen. Aber am meisten plagt mich das Gefühl von Schuld. Wäre ich nur schon früher dort gewesen.

Nachdem ich im Kopf die Worte „Verwandel mich zurück“ gesprochen habe und ich wieder die Körperform eines Menschen angenommen habe, ist dieser immer noch ruhig.

„Du bist so ein Idiot. Warum bist du hier, Andrew? Ich hab dir gesagt, dass ich das regel!“, pfeife ich schließlich meinen kleinen Bruder zusammen.

„Du kannst mir nicht befehlen, was ich zu tun und lassen habe! Und woher soll ich wissen, was du schon wieder im Schilde führst? Du meldest dich doch nie!“, gibt dieser genauso gereizt zurück. Er wird von einem gedämmten Licht umhüllt und verwandelt sich dann ebenfalls in seine menschliche Form zurück. Es ist jedes Mal unheimlich ihn zu sehen, denn er ist das absolute Ebenbild von mir. Genau, wir sind Zwillinge. Und ja, er ist mein kleiner Bruder. Ich bin genau sechs Minuten und zweiunddreißig Sekunden älter als er.

Witzigerweise sehen wir uns in unserer Wolfsgestalt überhaupt nicht ähnlich. Liegt wohl an den völlig unterschiedlichen Charakteren. Andrew ist mehr der familiäre und ruhige. Jedes Mädchen, oder jede Wölfin, liebt seinen Charme und sein warmes Herz. Ich hingegen bin einfach ein Arsch.

Auch er hat diese bernsteinfarbenen Augen. Sein dunkelblondes Haar ist leicht gelockt, genauso wie meines. Würde er stehen, wäre ich aber ungefähr fünf Zentimeter größer. Ich sag doch: Kleiner Bruder.

 

„Halte dich aus Sachen raus, die du nicht verstehst!“, gebe ich gereizt zurück, als ich mich schließlich daran mache, mich um seine Wunden zu kümmern. In Menschengestalt sieht das alles noch viel schlimmer aus. Sein T-shirt ist leicht zerfetzt und die einzelnen Wunden sorgen dafür, dass dieses beginnt, sich rot zu färben.

„Du hast Glück, dass du nicht tot bist“, füge ich hinzu und hoffe ihm somit klar zu machen, dass das wohl die dämlichste Aktion gewesen war, die er hätte tun können.

Er zuckt kurz zusammen, als ich mit etwas Wasser aus dem See, seine Wunde reinige. Dann nehme ich mein Halstuch und binde es ihm vorsichtig um die Seite. Das ist zwar nicht perfekt, hält aber provisorisch, bis er sich von den Ältesten helfen lassen kann.

Die Ältesten haben die Macht uns zu heilen, leider aber auch nur sie. Denn niemand sonst, hat die Gabe erhalten. Wäre auch zu schön gewesen.

 

„Warum kommst du nicht mehr zurück?“, fragt Andrew mich nach ein paar Minuten des Schweigens.

„Die Ältesten sind schon am überlegen, ob etwas mit dir passiert sein könnte. Und ganz nebenbei, ich mache mir auch Sorgen, Daemon! Du bist nicht mehr du selbst!“, fragt mich mein Bruder weiter. Ich wage einen kurzen Blick zu ihm, wünschte aber sofort, dass ich es nicht getan hätte. Denn seine Augen zeigen tatsächlich das Gefühl von Sorge, was mir sofort wieder Schuldgefühle bereitet.

„Nicht mehr ich selbst? Wie würdest du dich fühlen, wenn du nicht weißt, wer du bist? Wenn du dich nicht mehr an dein Leben erinnern kannst? “, antworte ich darauf ziemlich ruhig. Ruhiger als gedacht. Ich setze mich hin und lehne mich rücklings an einen Baum. Meinen Arm stütze ich auf mein aufgestelltes Knie ab, um meinen Kopf daran anzulehnen.

„Wenn wir keine Zwillinge wären, wüsste ich nicht mal, ob ich dir glauben kann, dass du mein Bruder bist“, füge ich hinzu und merke sofort, dass ich das lieber nicht hätte sagen sollen. Aber es ist doch so. Wenn man sein Gedächtnis verliert, wem soll man dann trauen?

Andrew setzt sich neben mich, versucht ein gequältes Stöhnen zu unterdrücken, aber sein schmerzerfülltes Gesicht verrät ihn mehr als deutlich. Auch er lehnt sich mit dem Rücken an den Baum und schweigt für eine ganze Weile.

 

„Wir brauchen dich, Daemon. Wir sind im Dorf nicht mehr sicher.“, fängt er leise an zu erzählen und ich merke, dass es ihm wirklich schwer fällt, darüber zu sprechen. Klar, unser Dorf ist irgendwie meine Heimat, aber irgendwie auch nicht.

Aber für meinen Bruder ist das Dorf alles. Nach dem Tod unserer Eltern, welche für die Ältesten ihr Leben gelassen haben, ist er ganz ins Dorf gezogen. Die Halbblüter, die er dort kennt, sind seine Familie. Aber ich? Ich kann das nicht.

„Du weißt genau, warum ich nichts mehr mit dem Dorf und vor allem den Ältesten zu tun haben will“, sage ich leise und schaue auf die gleichmäßigen Wellen des Wassers, welche durch die leichte Brise erzeugt werden.

„Und du weißt, dass die Ältesten die wichtigsten im Dorf sind. Es ist uns eine Ehre für sie zu kämpfen“, versucht er sich zu rechtfertigen, aber mir entweicht nur ein hysterisches Lachen.

„Eine Ehre? Das heißt du würdest dein Leben für sie geben, obwohl sie für den Tod unserer Eltern verantwortlich sind?“, frage ich forsch und obwohl ich hoffe, dass er mich auch nur ansatzweise verstehen kann, weiß ich, dass er es nie tun wird.

„Daemon... Natürlich vermisse ich Mum und Dad genauso sehr wie du. Aber.. die Ältesten sind nun mal der Grund, warum wir leben. Sie geben uns Sicherheit und ein zu Hause. Und du weißt, ohne sie, könnten wir unsere Kräfte nicht kontrollieren, wodurch unser Geheimnis gelüftet würde. Du weißt es!“.

Ich beiße die Zähne zusammen. Ich weiß nicht, wie oft wir dieses Gespräch hatten, seit dem unsere Eltern tot waren, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Wie könnte man jemandes Leben schützen wollen, der für den Tod der Menschen verantwortlich ist, die man liebt.

 

Ich weiß sehr wohl, dass er Recht hat, Und ich weiß, dass wir ohne die Ältesten nicht lebensfähig sind. Die anderen des Dorfes sagen, sie seien 'Priester', auch wenn ich das ziemlich übertrieben finde. Sie unterscheiden sich von uns, weil sie kräftiger sind. Sie sterben nicht wie wir, an Altersschwäche oder einer anderen kleinen, für uns aber tödlichen Wunde, sondern können nur dann sterben, wenn der Saphir zerstört wird. Der Legende nach, sollen sie selbst aus dem kostbaren Edelstein geboren worden sein. Ob das wahr ist? Gute Frage.

Sicher ist jedoch, sie haben die Macht uns zu heilen. Sie geben uns ein sicheres zu Hause, aber dummerweise sind sie auch der Grund, warum wir undercover leben können. Also, dass unser Geheimnis sicher bewahrt werden kann.

 

Jeder unseres Stammes hat ein Amulett. Jede Familie ein anderes, weshalb Andrew das Gleiche hat, wie ich. Unsere Eltern hatten ebenfalls das Gleiche. In jedes einzelne ist der Saphir eingearbeitet, dabei spielt es keine Rolle, ob es mehrere kleine oder ein großer Saphir ist, denn in jedem Amulett befindet sich die gleiche Menge.

Saphir ist die Quelle unserer Kraft und ermöglicht es uns somit, in einen Wolf zu verwandeln. Doch da unsere DNA zur Hälfte aus Menschen DNA besteht, verwandeln wir uns unkontrolliert, wenn wir diesen Edelstein nicht mit uns tragen. Die Ältesten wachen über den größten Saphir des gesamten Kontinents. Er ist in einer unterirdischen Höhle versteckt und nur sie haben die Möglichkeit zu diesem Ort zu gelangen. Wir können nur mit der Hilfe der Ältesten diesen Ort betreten. Denn nur sie können das Tor zu der Höhle öffnen, da sie so eng mit dem Edelstein verbunden sind.

Deshalb schützen wir sie. Zumindest die meisten von uns.

Denn jedes mal, wenn ein weiterer Halbblüter geboren wird, wird von diesem Edelstein eine klitze kleine Menge entnommen und in ein neues Amulett eingearbeitet. Somit können wir unsere Kraft immer kontrollieren. Allerdings erst, wenn wir alt genug sind.

Sollte das Militär oder der Staat die Ältesten jedoch gefasst bekommen, wären wir in größter Not. Klar, eine gewisse Zeit lang können wir durchhalten, aber da die weiteren Nachfolger nicht an den Saphir kommen, ist es nur eine Frage der Zeit bis man uns entdeckt.

Zudem sind die Menschen herzlos und arrogant. Mit Hilfe der Ältesten, oder besser gesagt durch Zwang, würden sie direkt zum Saphir geführt werden, welcher von ihnen gestohlen werden würde. Und das nur aus Geldgier und Selbstegoismus.

„Du bist einer unserer besten Kämpfer. Du hast durch die illegalen Kämpfe genug Erfahrung...“,

„Vergiss es!“, unterbreche ich meinen Bruder und funkel ihn wütend an.

„Willst du mich wirklich dazu überreden jetzt auch noch meinen Allerwertesten für die Schmarotzer von Ältesten herzuhalten? Willst du mich echt dazu überreden mich, deinen Zwillingsbruder, in die Schlacht zu begeben und mein Leben auf's Spiel zu setzen?“, fahre ich fort und schaue ihn mit einer Unglaubwürdigkeit an, die ich selbst nicht von ihm erwartet hätte.

„Es geht nicht nur, um die Ältesten! Es geht um uns alle! Man hat uns verraten, Daemon! Mich, dich, das ganze Dorf! ​sie wissen über uns Bescheid!“, fügt er hinzu. Ich kann die Verzweiflung in seiner Stimme hören. Ich weiß selbst, dass das nichts Gutes heißt, wenn das Militär und der Staat tatsächlich von uns wissen. Gründe dafür gibt es genug. Aber ich will damit nichts zu tun haben. Nicht mit dem Militär, nicht mit dem Dorf, wo ich nebenbei sowieso niemanden kenne, und erst recht nicht mit diesen Ältesten.

„Wenn ​sie unser Versteck finden, werden sie uns gefangen nehmen! Und viel schlimmer noch, sie werden früher oder später den Saphir finden! Und was dann? Sie werden ihn zerstören und uns unsere Kraft nehmen! Willst du das wirklich?“, fragt mich Andrew weiter. Ich schaue ihn nicht an, antworte auch nicht sofort darauf. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt nicht vollkommen auszuticken und meine Gedanken zu sortieren. Aber nein. Ein Wolf mehr oder weniger würde die Schlacht nicht ausmachen. Ich will damit nichts zu tun haben. Ich werde mich nicht für die Älteste opfern, dafür, dass sie es sowieso nicht interessiert. Nein. Niemals.

„Tut mir leid, Andrew. Aber ich werde euch nicht helfen.“, sage ich leise und stehe auf. Ich will mich darüber nicht weiter mit ihm unterhalten geschweige denn, gibt es dazu auch nicht mehr zu sagen.

„Du lässt damit nicht nur das Dorf im Stich. Sondern auch mich, Daemon!“, ruft er mir hinterher. Ich weiß, dass er etwas derartiges nie gesagt hätte, wenn es ihm nicht unglaublich wichtig gewesen wäre. Ich bleibe für einen Moment stehen, drehe mich aber nicht noch einmal zu ihm um. Es versetzt mir einen Stich ins Herz, das er mir das vorhält, aber ich kann es ihm nicht verübeln, denn er hat Recht. Mal wieder. Aber er muss mich auch verstehen können, auch wenn er das nie tun wird.

„Ich weiß. Es tut mir leid. Wirklich“, sage ich, ohne mich zu ihm umgedreht zu haben und gehe schließlich weiter, zurück nach Hause. Mitten in der Nacht. Ungefähr vier Uhr in der Früh. Mit einem zwölf Zentimeter Kratzer im Gesicht. Und einem völlig miserable Gespräch mit meinem Bruder. Kann es denn noch schlimmer kommen?

Inzwischen ist es kurz vor fünf Uhr, als ich zu Hause ankomme. Meine Kapuze habe ich übergezogen, um mich vor dem Wind zu schützen. Gut, dass mich nicht alle Passanten anstarren.

Leise stecke ich den Schlüssel in das Schloss. Als ich die Tür öffne, ist es stockdunkel, was heißt, dass Melody schon schlafen ist. Leise öffne ich die Tür, doch ich habe mich nicht mal in den Raum umgedreht, wird plötzlich das Licht eingeschaltet. Mist.

„Verdammt Daemon! Wo. Warst. Du? Hast du mal auf die Uhr gesehen?“, fragt sie aufgebracht und schreit mich beinahe schon an. Ich ziehe leicht den Nacken ein und kneife die Augen zusammen. Vielleicht war das mit der Mitbewohnersache doch keine so gute Idee.

„Daemon rede mit mir! Ich habe mir Sorg-... Oh mein Gott,

was ist passiert?“, fragt sie auf einmal sanft und total besorgt, als ich mich zu ihr umdrehe und meine Kapuze abziehe. Sofort kommt sie einen Schritt auf mich zu und legt vollkommen selbstverständlich ihre Hand an meine Wange, um mein Gesicht zu ihrem zu drehen.

Mich durchfährt es, wie ein Blitzschlag und schließe die Augen, aber mehr aus dem Grund, um der Situation entfliehen zu können, als das ich es genießen würde. Nach wenigen Sekunden ziehe ich den Kopf zur Seite, damit sie von mir ablässt,

„Es ist nichts. Nur ein Kratzer“, gebe ich leise zurück, so als ob es das normalste wäre, mit einer Zentimeter langen Wunde nach Hause zu kommen, welche sich über das Augen und über die halbe Wange ziert.

„Nur ein Kratzer? Hast du dir das Ding mal angesehen?“, fragt sie hysterisch und legt erneut ihre Hand in meinen Nacken, damit ich ihr direkt ins Gesicht sehe und sie meine Verletzung begutachten kann.

Ich antworte nicht mehr, hoffe einfach, dass sie mich in Ruhe lässt und es darauf belässt. Aber wäre auch zu schön gewesen.
 

Ohne ein weiteres Wort zieht sie mich ins Badezimmer und schwingt mich mit einem Schwung so auf den Badewannenrand, dass es Befehl genug ist, da sitzen bleiben zu müssen. Sie nimmt ein kleines Handtuch und taucht dieses in etwas Wasser, nur um im nächsten Moment damit in meinem Gesicht herumzufummeln. Etwas widerwillig lasse ich es über mich ergehen. So nach dem Motto: Je ruhiger ich bin, desto schneller bin ich hier wieder weg.
 

Während sich ihr Blick auf meine Wange konzentriert, bin ich von ihren Augen gefangen. Das Grau in ihnen glitzert, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob dies aufgrund von Tränen ist, oder ob sie einfach nur zu aufgewühlt ist, um klar denken zu können. Ich beobachte ihre Gesichtszüge. Ihre Wangenknochen sind leicht hoch und sie hat eine kleine, aber feine, Stupsnase. Ihre Lippen sind eher schmal, aber schön geschwungen, auch wenn die Mundwinkel leicht nach unten zeigen. Unwillkürlich, bleibt mein Blick an ihnen schönen Lippen hängen. Denke daran, wie es wäre, sie jetzt küssen zu können. Ihre sanften Lippen auf meinen zu spüren und sie leicht aber bestimmt auf meinen Schoß zu ziehen, nur damit ich meine Hand in ihrem Haar vergraben kann. Wie sie wohl reagieren würde? Würde sie mich zurückstoßen? Mich schlagen? Oder vielleicht sogar zurück küssen?

Mag sein, das ich nicht sonderlich mit ihr auskomme, oder auch nicht auskommen will, weil es einfach nicht geht. Aber ich bin immer noch ein Mann. Wolf hin oder her.
 

„Was ist passiert...?“, fragt sie erneut, nachdem wir ein paar Minuten des Schweigens hinter uns gebracht haben und ich eigentlich schon gehofft hatte, dass ich da drum herum komme.

„Das geht dich nichts an“, gebe ich kalt zurück und merke genau, wie sie für einen Augenblick in ihrer Bewegung inne hält, um mir in die Augen sehen zu können. Genau deshalb, wollte ich dieses Gespräch umgehen, weil ich wusste, ich würde sie verletzen. Doch so sehr ihre Augen ihre Verletzlichkeit auch zum Ausdruck bringen können, bleibe ich in meiner gewohnten kühlen Haltung und tu so, als ob mir alles egal wäre.

„Warum bist du so?“, fragt sie beinahe verzweifelt und ich merke genau, wie sie mit den Tränen zu kämpfen hat.

„So... kalt und abwertend. Warum... behandelst du mich so, als ob ich es nicht verdient hätte, mit dir befreundet sein zu können?“, fragte sie weiter und ich sehe, wie ihr nun wirklich die erste Träne über die Wange läuft, sie diese aber schnell wegwischt, in der Hoffnung ich hätte es nicht gesehen.

Aber das habe ich. Und... es versetzt mir einen Stich ins Herz, sie so zu sehen. Am liebsten würde ich sie in den Arm nehmen und ihr die Wahrheit sagen. Aber es geht nicht. Wenn es wahr ist, dass der Staat und das Militär über uns bescheid wissen, wäre jeder weitere genauso sehr in Gefahr, der von uns weiß.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, gebe ich deshalb im selben monotonen Ton zurück, wie ich auch schon die ganze Zeit mit ihr rede.

„Natürlich tust du das. Man Daemon wir... ich...“, sie pausiert kurz und wendet den Blick zu Boden, so als ob sie nachdenken würde, was sie jetzt sagen will. Sie schüttelt schließlich nur mit dem Kopf und schaut mich wieder an.

„Wir wohnen zusammen. Findest du nicht, wir sollten wenigstens versuchen miteinander auszukommen?“, fragt sie hoffnungsvoll. Ihre Stimme ist brüchig, ihre Unterlippe zittert. In ihren Augen ist ein Hauch von Hoffnung zu erkennen, welchen ich sofort wieder zunichte mache.

„Kein bedarf“, gebe ich zurück. Muss mich selbst zusammen reißen, genauso kühl zu klingen, wie davor. Mich so zu verhalten, als ob ich sie verletzen will. So, als ob ich das absolute Arschloch wäre. Es mir egal wäre, was sie dabei fühlt. Und es funktioniert. Sowohl zum Glück als auch leider.

Ich höre, wie sie Luft holt und diese ihr im Hals stecken bleibt. Offensichtlich war das die einzige Antwort, mit der sie nicht gerechnet hat. Ich schaue sie mit einer Verachtung an, dass ich mich selbst kaum wiedererkenne. Sie hält meinem Blick für wenige Sekunden stand, nickt dann leicht und dreht sich ohne ein weiteres Wort um, um in ihrem Zimmer zu verschwinden.
 

Erst jetzt merke ich, wie ich die Luft angehalten habe, denn ich atme einmal tief durch und schließe die Augen, um meinen Herzschlag wieder in Ruhe zu bringen. Es war definitiv keine gute Idee, sich einen Mitbewohner zuzulegen. Mit den Konsequenzen hatte ich nicht gerechnet.

Ich bleibe einen Moment ruhig sitzen und erhebe mich dann, um mich im Spiegel betrachten zu können. Und nein, ich sehe nicht in das Gesicht des Wolfsjungen, dessen Gesicht gerade völlig entstellt ist, sondern ich schaue in die Augen eines selbstsüchtigen, arroganten, herzlosen Arsches.

Ich drehe das eiskalte Wasser auf und klatsche mir eine volle Ladung ins Gesicht. Das Brennen, welches ich dabei an der Wunde spüre gibt mir irgendwie das Gefühl von Bestätigung. Ich hab es ja auch nicht anders verdient.

Mein Blick schweift etwas weiter abwärts, bis ich mein Oberteil zu Gesicht bekomme. Glücklicherweise nicht zerrissen, aber dreckig und mehrere rote Flecken bilden sich darauf ab. Zum Glück hat mir Melody nicht auch gleich noch den Hoodie vom Leib gerissen. Denn was sie darunter vorfände, würde ihr vermutlich nicht nur den Atem stocken lassen. Und damit meine ich nicht, dass ich einen trainierten Körper habe.

Mit einem kräftigen Schub, dass die Wände des Hausen wackeln, knalle ich die Badtüre von innen zu und schließe diese ab. Vorsichtig ziehe ich mir schließlich den Pullover aus und sehe den leicht rot gefärbten Verband noch von gestern Mittag.

Darauf bedacht, ja nicht zu schnell den Verband zu lösen, nehme ich ihn von meinem Körper.

Wir haben zwar nicht die Fähigkeit uns selbst zu heilen, wenn wir in Lebensgefahr schweben, so wie die Ältesten, trotzdem heilen unsere Wunden schneller, als die von gewöhnlichen Menschen.

Mit etwas Wasser und Desinfektionsmittel reinige ich mir den Oberkörper, damit ich ihn mir wieder verbinden kann.

Innerhalb weniger Minuten ist alles erledigt. Schnell beseitige ich die verräterischen Spuren und ziehe mich danach in mein Zimmer zurück.
 

Ich schmeiße mich auf mein Bett, starre an die Decke. Durch die dünne Wand höre ich immer wieder das Schluchzen und Schniefen von Melody. Ich schließe die Augen und atme tief durch. Ich hatte nie die Absicht sie so sehr zu verletzen. Aber sie mischt sich in Angelegenheiten ein, die sie nichts angehen und sorgt dafür, dass ich unvorsichtig werde. Unvorsichtig gegenüber meines Gleichen und meines Geheimnisses. Außerdem wäre es nicht auszudenken, was das Militär mit ihr anstellt, wenn sie über uns bescheid wüsste.

Ach verdammt dieses Mädchen wohnt noch nicht einmal 24h hier und ich habe sie jetzt schon zu tiefst verletzt. Ich bin wirklich mehr Wolf als Mensch.
 

Kurzerhand greife ich nach meiner Gitarre und klimper ein wenig vor mich her. Die leisen Töne beruhigen mich jedes mal, wenn ich gestresst oder aufgewühlt bin. Ich setze mich mit dem Rücken an die Wand. Ich meine sogar, dass meine Töne, welche ich spiele, Melody beruhigen. Denn ihr Schluchzen wird leiser und auch ihr Weinen hört sich nicht mehr ganz so unkontrolliert an. Ich meine, dass ihr Bett direkt an der selben Wand, wie meines steht, bin mir aber nicht ganz sicher. Nicht, dass es mich wirklich interessieren würde. Aber ich habe das Gefühl, mich mit der Gitarre vielleicht ein wenig entschuldigen zu können.

Ich spiele ein paar Takte, weiß selbst nicht genau, woher ich sie kenne. Ich glaube ich kannte sie schon, bevor ich diesen Unfall hatte. Jedenfalls konnte ich sie spielen, obwohl ich sie nie zuvor gehört habe. Immer wieder reime ich mir Zeilen zusammen, welche vielleicht dazu passen könnten, aber ich bringe einfach nichts zu Stande, was mich auch nur ansatzweise überzeugt.
 

Ich werde von den Sonnenstrahlen geweckt, welche durch die einzelnen Schlitze des Rollladens in das Zimmer scheinen. Noch immer liege ich nur in meiner dunkeln Hose und dem Oberkörperverband im Bett, die Gitarre neben mir. Ich musste offensichtlich eingeschlafen sein. Ich gehe ins Bad, um mich frisch zu machen. Als ich in den Spiegel schaue, erschrecke ich mich beinahe vor mir selbst. Dieser.. Kratzer sieht halt schon echt scheiße aus. Ich meine zwar, dass es schon ein wenig abgeheilt war, aber eine Narbe wird mich wohl doch immer daran erinnern. Schließlich schnappe ich mir ein doch noch sauberes T-shirt, was noch im Badezimmer liegt, und ziehe es mir über.

Ich will gerade die Treppen runter gehen, da bleibt mein Blick an der geschlossen Tür von Melody hängen. Ich weiß, dass ich das nicht tun sollte, trotzdem kann ich mich nicht dagegen wehren. Leise trete ich zu der Tür und öffne diese einen Spalt. Ich sehe Melody schlafen. Dummerweise muss ich lächeln, was ich eigentlich überhaupt nicht sollte. Leise schleiche ich mich zu ihr ins Zimmer, knie mich leise vor ihr Bett, welches wirklich an der selben Wand, wie meines steht, um ihre Gesichtszüge zu beobachten. Sie hat die Bettdecke bis zu ihrer Nase hochgezogen und sich vollkommen eingekuschelt. Irgendwie.. süß. Nein überhaupt nicht süß.

Ihr Wangen zeigen die Spuren von getrockneten Tränen und ihre wunderschönen Augen, welche ich leider nicht begutachten kann, sind glaube ich sogar leicht geschwollen.

Sofort überkommt mich wieder das Gefühl von Schuld und ein kleiner Schmerz macht sich in meiner Brust bemerkbar, welcher nicht aufgrund der sichtbaren Wunden zurückzuführen ist.
 

Sie gibt einen kleinen, verträumten Ton von sich, was mich dazu veranlasst, doch lieber das Zimmer zu verlassen, bevor es doch auffällig werden würde.

Ich gehe in die Küche und richte Frühstück an. Ich entschließe mich für mein WEB-Frühstück. Waffeln, Eier, Bacon. Dem kann niemand widerstehen. Es ist meine Art mich für gestern zu entschuldigen, ohne diese Worte aussprechen zu müssen. Nicht nur, dass ich so etwas nicht kann, sondern sie auch nicht denken soll, sie würde mir etwas bedeuten. Das würde alles nur in einer Katastrophe enden.

Ich richte gerade die letzten Waffeln auf einen kleinen Teller, da höre ich, wie Melody die Treppe hinunter schlendert und auch schon eine Sekunde später in der Küche steht.

„Guten Morgen neuer Mitbewohner“, sagt sie so gut gelaunt, wie nur möglich, was mir aber sofort wieder die Brust zusammenziehen lässt. Sie versucht fröhlich und normal zu klingen, aber ich weiß genau, dass sie nicht so fühlt. Und noch viel schlimmer ist, dass ich daran Schuld bin.

„Guten Morgen, Mel“, sage ich. Eher gesagt, will ich es sagen, doch es bleibt mir im Halse stecken. Es überrascht mich selbst, dass ich sie auf einmal mit ihrem Namen anspreche. Dazu noch, mit ihrem Spitznamen. Sie 'Melody' oder gar nicht erst mit ihrem Namen anzusprechen gab mir immer das Gefühl, die Distanz zu ihr bewahren zu können. Doch innerhalb von 24h hatte sie wirklich geschafft, mich von diesem Gedanken zu verabschieden.
 

Schließlich stelle ich ihr den Teller mit den Waffeln vor die Nase und warte auf eine Reaktion, was sie wohl dazu zu sagen hat. Wie egoistisch von mir.

„Wer bist du und was hast du mit Daemon angestellt?“, fragt sie schließlich doch leicht lachend und sowohl sie als auch ich, können uns ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Sofort hebt sich ihre Stimme wieder und das lebensfrohe, was allein durch ihre Worte und ihre Tonlage zum Ausdruck gebracht wird, erfüllt wieder den Raum.

Ich antworte darauf nicht, was hätte ich auch sagen sollen? Stattdessen setze ich mich ihr gegenüber und schiebe ihr die Teller mit Eier und Bacon entgegen. Ja.., vielleicht wollte ich auch nur mein schlechtes Gewissen beruhigen. Oder sie vielleicht auch erneut von meinen Kochkünsten überzeugen. Wer weiß das schon?

Dankend nimmt sie an und während sie konzentriert versucht, das WEB-Frühstück unfallfrei auf ihren Teller zu befördern, bleibt mein Blick an ihrem Mund hängen, als sie wohl unbewusst die Zunge dabei herausstreckt. Unwillkürlich frage ich mich, ob sie überhaupt davon weiß.

Ich muss mir selbst auf die Unterlippe beißen, um nicht ein verräterisches Grinsen zu bekommen und wende deshalb meinen Blick schnell ab.

Auch wenn es nicht ganz ausgesprochen ist und wohl doch noch ein wenig hinterher hängen wird, weiß ich, dass sie die Nachricht hinter diesem Frühstück versteht. Und ich bin ihr auch sehr dankbar, dass sie mich dafür nicht noch weiter löchert. Auf der anderen Seite hoffe ich, dass sie nichts falsches hinein interpretiert. Denn... eigentlich sollte ich ihr aus den Weg gehen. Mehr als eine Mitbewohnerin, sollte Mel nicht sein.
 

Ein paar Minuten lang verläuft das Essen schweigend. Ich weiß nicht wie es ihr geht, aber mir ist die Stille absolut peinlich. Ich denke daran, wie ich sie zum ersten mal gesehen habe. Sie wirkte schüchtern und so unwahrscheinlich. Eher so, wie ein normales Mädchen, dass man leicht übersieht. Aber jetzt.. allein ihre Augen faszinieren mich mehr, als alles andere, was ich je zuvor bei einem Mädchen gesehen habe.

„Du modelst?“, frage ich auf einmal und merke erst ein paar Sekunden später, dass ich diese Frage laut ausgesprochen habe.

„Du sagtest, du wärst früher gekommen, weil du heute ein Fotoshooting hast. Du modelst also?“, erkläre ich, nachdem Mel mich leicht verwirrend anschaute. Ein verlegenes Lächeln macht sich auf ihren Lippen bemerkbar und ihre Wangen nehmen eine angenehme rote Farbe an die, wie ich zugeben muss, ihr wirklich gut steht.

„Ein bisschen. Eher neben her, um mir ein paar Euro zu verdienen. Aber inzwischen kann ich davon ganz gut Leben“, sagt sie schüchtern, während sie mit ihrer Gabel in meinem preisgekrönten Frühstück herumstupft und nur winzige Krümel in den Mund nimmt.

„Wolltest du das schon immer machen?“, frage ich als nächstes und beiße mir danach selbst auf die Zunge, da ich doch mehr Interesse zeige, als ich eigentlich wollte.

Kurz hält sie Inne und ich meine sogar zu sehen, dass sich ihr Kiefer verspannt. Sie schaut mich an und überlegt wohl genau, was ihre nächste Antwort sein wird. Upps.

„Nicht wirklich. Ich bin vor ein paar Jahren dazu gekommen, weil ich den Menschen zeigen wollte, dass sie ihren Körper lieben sollen, so wie er ist und sich nicht schämen müssen“, sagt sie dann leise. Ihr Ton ist ruhig und sehr ernst. Trotzdem ist genau herauszuhören, dass dieser Beruf oder gar Hobby ihre Leidenschaft ist und dafür brennt. Ich habe das Gefühl, dass etwas passiert sein muss, dass sie aufgrund dieser Inspiration zum Model geworden ist. Traue aber mich nicht nachzufragen.

Wahrscheinlich auch besser so.
 

Ich laufe durch den Wald. Denke daran, wie es wohl weiter geht. Mit Mel. Mit dem Dorf. Was passiert, wenn das Militär von uns erfährt. Was mit Andrew geschehen wird, wenn ich mich wirklich nicht einschalte. Ob mir alles egal sein wird, oder ob ich mir später selbst in den Arsch beiße, weil ich nichts unternommen habe.

Als ich mir sicher bin, dass ich tief genug im Wald bin und mich niemand sieht, umfasse ich mein Amulett mit meiner Hand und spreche, wie gewohnt, die Worte „Verwandle mich“ in meinem Kopf. Wieder wird mein Körper von einer angenehmen Wärme umhüllt und meine Haut beginnt leicht zu prickeln. In einer kleinen Pfütze sehe ich genau, wie mir plötzlich eine lange Schnauze und die dazu passenden Wolfsohren wachen. Abgesehen von den bernsteinfarbenen Augen erinnert nichts mehr daran, das ich ebenfalls ein Mensch bin.
 

Zielstrebig laufe ich zu unserem Dorf, welches tief im Wald versteckt ist. Manchmal verirren sich Tiere hierher, aber Menschen haben es bisher nicht gewagt, so sehr den Wald zu erforschen. Zudem ist unser Dorf von einer Art Schutzzauber umgeben, weshalb es sich nur unseres Gleichen zeigt oder demjenigen, dem wir vertrauen und lieben.

Und ja.. auch hier haben die Ältesten wieder ihre Finger im Spiel. Ich vermute es liegt am Saphir. Dass er eine Kraft frei gibt, die uns umhüllt und Sicherheit gibt. Allerdings weiß keiner unseres Stammes genau, wie es funktioniert und die Ältesten geben derartige Geheimnisse nicht Preis. Als ob wir es jemanden erzählen würden. Ist ja nicht so, dass es hierbei auch um unser Leben geht.
 

Ich laufe unter zwei abgebrochen Bäumen hindurch, die mit viel Fantasie einem Tor gleichen. Ich schließe für einen Augenblick die Augen und im nächsten Moment sehe ich unser Dorf. Besser gesagt: Es war unser Dorf. Denn das, was ich vorfinde, hat mit dem, was ich kenne nichts mehr zu tun. Es ist zerstört. Einfach alles ist niedergemetzelt worden. Was ist passiert?

Noch immer stehe ich am Eingang. Habe das Gefühl, dass ich mich nicht mehr bewegen kann. Das Blut gefriert in meinen Adern, das Gefühl von Angst überkommt mich. Was war nur passiert? Egal wo ich hinschaue, alles ist zerstört. Jede einzelne Hütte, jedes Zelt. Es gibt mehrere Stellen, an denen es brennt. Lose Pfeiler und Äste liegen auf dem sonst so ordentlichen Boden. Aber das schlimmste sind die roten Stellen. Rot, vom Blut der anderen Halbblüter. Mal sind nur einzelne Spritzer auf dem Boden oder den Gerüsten der Häuser zu sehen, welche gerade noch so stehen. Es gibt einzelne Pfützen und mehre Wölfe und Menschen liegen verletzt auf dem Boden.

Immerhin kann ich auf den ersten Blick keinen Toten sehen. Welch eine Erleichterung.
 

„Daemon...“, höre ich die Stimme meines Bruder, der langsam in Wolfsgestalt auf mich zu trottet und sich das Schauspiel mit den selben traurigen Augen anschaut, wie ich.

„Andrew... was ist passiert?“, frage ich leise, nachdem sich dieser neben mich stellt und genauso geschockt über seine Heimat schaut.

„Sie haben uns gefunden. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben den Schutzwall zu durchqueren. Irgendjemand muss ihnen geholfen haben. Von allein würden sie es nie schaffen...“, erklärt er leise und ein kleines Winseln seinerseits folgt.

„Wir hatten keine Chance...“, beendete er letzten Endes den Satz und ich spüre seinen prüfenden Blick, wie er auf mir ruht. So als wolle er aus mir herauslesen, ob ich Mitleid und Trauer empfinde. Dabei kann ich selbst nicht genau identifizieren, wie ich mich fühle. Natürlich ist eine Spur von Mitleid in mir, allerdings habe ich mit dem Dorf nichts zu tun. Ja, sie sind meines Gleichen und ich weiß, dass ich mich um diese Familie kümmern sollte. Aber seit dem Unfall sind sie alle fremd.

„Gibt es... haben sie welche..?“, mir bleibt das Wort im Halse stecken. Ich traue mich nicht den Satz auszusprechen. Ich weiß nicht, warum ich es wissen will, ob es wirklich Tote gibt. Vielleicht, um mir selbst bewusst zu werden, dass ich mich falsch entschieden hatte. Das ich meines Gleichen hätte helfen müssen.

Andrew wendet seinen Blick ab, schaut nun zu Boden und lässt die Ohren hängen. Das heißt nichts Gutes. Hätte ich mir auch selbst denken können. Allein bei dem Anblick der Blutlachen, müsste ich es mir selbst erschließen können.

„Ein paar... wir werden heute Abend zu Ehren der Verstorbenen eine Zeremonie durchführen. Wirst du kommen?“

Ich starre weiter auf das Spektakel, beobachte, wie die übrigen Halbblüter, die teilweise als Menschen und teilweise als Wolf herumlaufen, gemeinsam das Schlachtfeld hier aufräumen.

Ich antworte Andrew nicht, was offensichtlich Antwort genug ist. Warum soll ich zu einer Beerdigung, wenn ich diese Personen nicht einmal kenne?
 

Schließlich trete ich an meinem Bruder vorbei, ohne auch nur ein weiteres Wort gesagt zu haben. Lautlos streiche ich durch das Dorf, wenn man es denn noch so nennen kann. Darauf bedacht, mein weißes Fell nicht noch mehr mit roten Flecken zu besudeln, schleiche ich mich durch das Chaos. Überall sehe ich, wie sie versuchen Flammen zu löschen, beschädigte Häuser irgendwie zu retten und ein mal erblicke ich sogar, wie sie einen Toten bergen. Wäre ich doch niemals hergekommen.

Meine Ohren zucken leicht, als ich das Geheule kleiner Welpen wahrnehme. Ich wende meinen Blick zur Seite, sehe einen kleinen Wolf, wie er hinter einer Mauer verschwindet und immer wieder kurz zu sehen ist. Der Laute nach zu urteilen, müssten es aber drei Welpen sein. Doch ihr kleines, noch nicht ganz ausgereiftes Bellen ist flehentlich, voller Sorge. Ihr Winseln verdeutlicht ihre Verzweiflung und ich habe Angst zu sehen, weshalb sie so trauern.

Mit großen, aber dennoch langsamen Schritten trete ich zu der Wand, weiß eigentlich genau, dass ich umkehren sollte, damit ich dieses Bild nicht sehen muss, was sich jetzt gleich in mein Gedächtnis einbrennen wird und ich nie wieder vergessen kann. Ich fürchte mich vor dem Anblick und was ich dabei fühlen werde.

Ich habe das Ende der Mauer noch nicht einmal erreicht, sehe ich mehrere kleine Pfotenabdrücke, die offensichtlich von den Kleinen stammen müssen. Rote Pfotenabdrücke, aus Blut.

Kurz halte ich inne, weiß ganz genau, was mich um die Ecke erwartet. Aber meine Neugier ist nun mal doch zu groß, um weiter gehen zu müssen.

Und dann sehe ich es. Eine Blutlache und inmitten dieses Bades ein braun-grauer Wolf. Eine Wölfin. So wie es aussieht, die Mutter der Kleinen.

Die Schnauze des Wolfes ist leicht geöffnet, die Zunge hängt leblos heraus. In der Brust und in der Schulter sind mehrere, genau platzierte Wunden zu sehen. Das Militär hat also wirklich unser Dorf gefunden. Diese Spuren von Pistolenkugeln sind Beweis genug.
 

Einer der Welpen stützt sich mit den Forderpfoten leicht auf die Schnauze der toten Wölfin, versucht sie aufzuwecken und winselt sie leise an. Ich selbst kenne sie nicht, fühle aber mit den Kleinen. Mag sein, dass ich ein herzloser Arsch bin, aber auch ich kann sentimental werden, wenn drei kleine Jungen gewaltsam ihre Mutter verloren haben.

Die anderen beiden Welpen streichen mir auf einmal um die Beine, scheinen vollkommen aufgelöst und wollen mich offensichtlich dazu animieren, ihrer Mutter zu helfen. Aber sie ist tot. Und wenn das Herz einmal aufgehört hat zu schlagen, können selbst die Ältesten nicht mehr helfen. Sie können noch so schwere Wunden heilen, solange noch ein Puls zu fühlen ist, aber nicht die Toten wieder zum Leben erwecken. Leider.

Sanft stupse ich den Kleinen an, der noch immer versucht die Wölfin zu wecken, der dann wenige Schritte Abstand nimmt und sich zu seinen Brüdern gesellt.

Ich weiß nicht warum, aber spontan fallen mir für die drei die Namen Tick, Trick und Track ein.
 

Mit drei einfachen Worten verwandle ich mich in einen Menschen zurück. Die Welpen erkennen mich an meinem Geruch, wachsen damit auf, dass wir uns immer wieder in einen Menschen und einen Wolf verwandeln, weshalb ich sie wohl nicht erschrecke oder verscheuche. Könnte aber auch sein, dass der Schock ihrer Mutter noch zu tief sitzt.

Ganz kurz, kraule ich die Kleinen, bis mein Blick wieder zu der Wölfin wandert. Ich atme tief durch, und hebe sie dann vorsichtig hoch, um sie zu dem Ort zu bringen, an dem die Zeremonie stattfinden wird und auch die anderen Opfer liegen werden.

Tja.. damit ist das saubere T-shirt wohl doch nicht mehr sauber.

Die Kleinen laufen ihrer Mutter hinterher, folgen uns auf Schritt und Tritt. Doch auch die Blicke der anderen Halbblüter kann ich deutlich auf mir spüren. Allerdings weiß ich nicht, ob es daran liegt, dass ich einen Wolf im Arm trage, oder ob ich mich beim 'aufräumen' und bergen der toten engagiere.

Vermutlich von beidem etwas.

Schließlich lege ich den braun-grauen Wolf in ein Loch, wo auch bereits vier weitere vorzufinden sind. Einer davon ist ebenfalls ein weiblicher Wolf, der ein rabenschwarzes Fell hat. Ich meine, sie schon öfters an der Seite des schwarzen Wolfes aus den illegalen Kämpfen gesehen zu haben, vermutlich seine Schwester. Die anderen drei Halbblüter kenne ich nicht.

Man kann von Glück sprechen, dass es bisher nur so wenige Todesopfer gibt, wenn das Militär uns mit Schusswaffen angreift, während wir nur uns selbst zur Verteidigung haben.

Ich gebe den Kleinen die Möglichkeit sich zu verabschieden, kann ihr verzweifeltes Winseln kaum mit anhören. Es erinnert mich daran, wie wir unsere Eltern verloren haben.

Es war kurz nach dem Unfall, als ich dachte, es könnte sich langsam alles wieder zum Guten wenden. Tja, falsch gedacht. Wir hatten uns bereits vor zwei Jahren mit den Menschen angelegt, allerdings waren es einfache Jäger. Meine Eltern wollten sie vom Dorf verjagen, damit sie uns nicht verraten. Nur wenige Sekunden später, wurden Schüsse abgefeuert und sie lagen bewegungslos auf dem Boden. Hätte Andrew mich nicht zurück gehalten, hätte ich das Schicksal mit ihnen geteilt.
 

Dabei fällt mir auf, nicht einen einzigen Menschen habe ich gesehen, der an seinen Verletzungen erlegen ist. Sie sind zu stark, und wir zu schwach. Es ist ein Kampf, der nicht gewonnen werden kann. Zumindest nicht von uns.

Ich seufze einmal, werfe eine Hand voll Blumen in das Grab, welche bereit gestellt wurden und mache mich auf den Weg zurück zum Dorf. Die Zeremonie findet erst heute Abend statt, aber da muss ich nicht dabei sein. Das muss reichen.

Dabei fällt mir auf: Tick, Trick und Track folgen mir. Super.. als hätte ich nicht schon genug zu tun.

„Wo warst du? Ich dachte schon du wärst gega-... Ist das Blut an deinem T-shirt.“, fragt Andrew leicht wütend, aber dann besorgt, als er mich wieder in das Dorf kommen sieht. Natürlich mit den Welpen im Schlepptau. Auch er hat sich bereits wieder in einen Menschen verwandelt. Ich schaue mein Ebenbild an, kann erkennen, dass ihn das alles ziemlich belastet. Aber ich meine zu erkennen, dass er froh ist, dass ich geblieben bin.

Seine nackte, durchtrainierte Brust hebt und senkt sich schnell. Sein leicht gelocktes Haar klebt ihm an der Stirn und an den Seiten. Ich glaube, ich sehe gerade so ähnlich aus. Nur, dass ich nicht Oberkörperfrei herumlaufe, sondern in einem blutverschmierten T-shirt.

„Ja.. aber nicht meins. Die Mutter der drei Kleinen hier hat es erwischt“, sage ich leicht betroffen, aber dennoch kalt. Ich kannte sie ja nicht. Lediglich die Welpen bringen mein Herz zum schmelzen, wenn sie mich weiter so traurig und flehend anschauen. Am liebsten würde ich sie Melody zeigen, sie würde sich sicher freuen, sie kennen zu lernen. Aber wie sollte ich ihr das erklären?

Auch Andrews Blick wandert nun zu den Jungen, kniet sich dann zu ihnen und krault sie sanft. Ja, er ist halt immer noch der ruhigere, sozialere von uns beiden.
 

„Kannst du auf sie aufpassen?“, frage ich leise und bin überrascht, dass mir deren Wohlergehen anscheinend doch wichtiger ist, als ich dachte. Denn ich weiß, dass Andrew gut auf sie aufpassen wird. Er hat ein Herz für kleine Wolfskinder.

„Würdest du hier bleiben, könntest auch du selbst auf sie aufpassen. Sie scheinen dich zu mögen“, gibt er leicht gereizt zurück und ich weiß, dass er darauf angespielt, dass ich nicht hier lebe.

„Ob sie mich mögen, ist mir egal. Und nein, ich werde auch nicht hier bleiben. Was soll ich hier? Selbst die Ältesten sind wahrscheinlich sicherer, wenn ich nicht hier lebe“, antworte ich genauso genervt und funkle ihn böse an.

Er seufzt leise gibt aber dann doch ein Nicken von sich. Ich wusste, ich kann mich auf ihn verlassen.

Ich werfe noch einen Blick auf Tick, Trick und Track, bin davon überzeugt, dass ich sie nicht mehr sehen werde. Allerdings bin ich auch genauso sehr vom Gegenteil überzeugt.
 

Ich laufe zurück nach Hause. Ob Mel schon mit ihrem Fotoshooting fertig ist? Ich hoffe nicht. Wie soll ich ihr das Blut erklären, wenn sie daheim auf mich wartet? Allerdings beginnt langsam die Abenddämmerung und ich bezweifle, dass sie den ganzen Tag dort sein wird. Na ja. Hoffen wir das Beste.

Als ich unser zu Hause schon von weitem sehen kann, erkenne ich, dass im ersten Stockwerk Licht brennt. Also in Melodys Zimmer. Super. Das Glück verfolgt mich weiter.

Leise stecke ich also den Schlüssel in das Schloss, trete ein und schließe die Tür wieder so leise, dass man eine Haarnadeln fallen hören kann. Leise ziehe ich die Schuhe aus, damit ich mich die Treppe hoch und ins Badezimmer schleichen kann.

Jetzt nur noch die letzte Stufe und dann...

„Hey Daemon. Ich hab gar nicht gehört, wie du gekommen.. oh Gott. Ist das Blut?“, fragt sie ebenfalls. Jedoch nicht wütend, sondern besorgt und geschockt. Wie komme auch immer ich in derartige Situationen?

„Ja... aber nicht meins“, erkläre ich auch ihr und hoffe, dass sie mich dann in Ruhe lässt. Kann ja schlecht erklären, dass es in einem geheimen Dorf voller Halbblüter einen Angriff gab und ich geholfen habe die Toten zu bergen.

„Was ist denn passiert? Von wem ist das?“, fragt sie immer noch aufgebracht und schafft es endlich ihren Blick von dem rot gefärbten T-shirt abzuwenden, um mir in die Augen zu schauen.

Gott diese Augen. Wie ich dieses Grau liebe und der leicht dunkle Rand verleiht ihnen eine Ausstrahlung, die ich nie zuvor bei jemanden anderen gesehen habe. Ich muss mich zwingen, meinen Blick von ihren Augen zu lösen, dummerweise bleibt dieser dafür an ihrem Mund hängen. Es überkommt mich die Frage, was ich dafür geben würde, um nur ein einziges Mal diese Lippen küssen zu können.

Die einzige spontane Antwort ist darauf: alles.

Dabei weiß ich, dass ich das nicht denken sollte. Aber sie hat etwas an ihr, was mich magisch anzieht. Sie gibt mir das Gefühl, als würden wir uns ewig kennen, dabei sind es nicht mal 48h. Und innerhalb dieser Zeit hat sie mehr Macht über meinen Körper erhalten, als jeder Kampf, den ich geführt habe.

„Daemon? Rede mit mir!“, fordert sie mich. Ich wende den Blick ab. Habe wohl ein paar Sekunden zu lange auf die schmalen, aber bestimmt super weichen Lippen gestarrt. Wie peinlich. Allerdings kann ich mir auch nicht ansehen, wie verzweifelt sie mich gerade anschaut. Allein die Vorstellung bricht mir das Herz.

„Das...-“, ich pausiere einen Moment. Überlege, wie genau ich aus dieser Sache herauskomme, ohne gleich wieder das Arschloch spielen zu müssen und die Sache gimpflich zu beenden.

„Das geht mich nichts an? Schon kapiert! Aber weißt du was? Es geht mich etwas an! Wir sind Freunde, Daemon! Und-“.

„Wir sind keine Freunde, Melody! Wir sind Mitbewohner! Nicht mehr und nicht weniger! Nicht einmal Bekannte sind wir, klar?“.
 

Bricht es einfach aus mir heraus. Ich habe das Gefühl, nur so kann ich sie in Sicherheit wiegen. Sie soll mich nicht mögen. Sie soll mich hassen, so sehr, wie ich sie gern hassen wollen würde, es aber nicht kann. Sie zieht scharf die Luft, welche ihr im Halse stecken bleibt. Allein mit diesem Satz habe ich sie mehr verletzt, wie jeden noch so weiteren Wolf, dem ich bei einem dieser beschissenen Kämpfe eine Lektion erteilt habe. Und ich bin mir sicher, diese Wunde wird nicht so schnell heilen, wie die gerade zu offensichtlichen Wunden.

Aber es ist gut so. Vielleicht habe ich ja Glück – oder auch Pech, wie man es nimmt – und sie zieht wieder aus.

Dann wäre alles wieder so einfach wie davor. Abgesehen davon, das ich die Wohnung nicht bezahlen könnte. Aber, das ist auch nur nebensächlich.
 

Ihre Schultern fallen schwer zu Boden. Ihre Augen weiten sich, schauen mich noch geschockter an als zuvor, als ich wieder mit einer blutigen Geschichte vor ihr aufgetaucht bin. Sie werden glasig, sehe genau, wie sie mit den Tränen kämpft. Sie will etwas sagen, denn sie öffnet den Mund, doch kein Ton entweicht ihrer Kehle. Die Unterlippe zittert leicht und der Kiefer ist angespannt. Ich bin echt der perfekte Arsch für solche Aktionen.

Ich sehe nur noch, wie sie die Augen zusammen kneift und die Hände vor ihr schönes Gesicht wirft. Denn dann rennt sie an mir vorbei und stapft die Treppe hoch. Ein lautes Zuknallen der Türe – ihrer Türe – ist der Beweis dafür, dass ich es absolut verschissen habe.
 

Ich sollte froh sein. Denn vermutlich habe ich es geschafft, dass sie nie wieder ein Wort mit mir wechseln wird. Dadurch erfährt sie nie die Wahrheit über mich und gleichzeitig ist sie in Sicherheit.

Denn sollte der Staat tatsächlich herausfinden, dass sie über uns bescheid weiß, liegt nicht nur unser Leben auf dem Spiel. Sie werden nicht davor zurückschrecken, ihre jede einzelne Information aus dem Finger zu saugen. Sie haben schon herausgefunden, wo wir leben, wie man in unser Dorf gelangt. Wir wissen jedoch nicht, was genau und wie viel sie über uns wissen. Ob sie von den Ältesten wissen und der Wirkung des Saphirs.

Sicher ist, dass sie uns wollen, um uns zur Show zu stellen und somit Geld zu kassieren. Und je mehr sie von uns kriegen, desto schwerer wird es für uns, dagegen anzukämpfen und je wieder ein Leben in Ruhe und Frieden zu führen. Und so egoistisch und selbstsüchtig wie die Menschen sind, werden sie nicht Ruhen, bis sie jeden einzelnen von uns haben.

Es ist zweitrangig, wenn sie mich kriegen, aber ich kann es Mel nicht antun. Dass sie sie foltern werden, nur damit sie mit jeder Kleinigkeit herausrückt. Das würde ich mir selbst nie verzeihen, wenn sie meinetwegen solche Erfahrungen machen müsste.
 

Ich gehe ins Bad, ziehe mir die versauten Klamotten aus und nehme erst mal eine Dusche. Es ist beinahe unheimlich wie sehr sich das Wasser rosa-rot färbt. Noch viel unheimlicher ist aber, kein einziger Tropfen Blut stammt von mir.

Jeder Wassertropfen auf meiner Haut gibt mir für einen kurzen Moment das Gefühl, alles vergessen zu können. Das angenehme Wasser und die Hitze lassen mich in eine Welt eintauchen, in der ich mich für einen kleinen Augenblick aus der Realität entfliehen kann. Da habe ich keine Verantwortung. Kein Geheimnis. Kann ganz ich selbst sein und muss keine Angst haben, dass das Militär jeden Moment vor der Haustür stehen könnte.
 

Aber das Hier und Jetzt sieht eben anders aus. Es ist düster und gefährlich. Traurig und definitiv jedes gegenteilige Gefühl von Glück, was man auch nur im entferntesten in Erwägung ziehen könnte, spiegelt die Welt wieder. Meine Welt.

Ich steige aus der Dusche und schlüpfe in eine Jogginghose. Ein Blick in den Spiegel verrät, dass ich diesen hässlichen Kratzer lieber verbinden oder zumindest mit einer Heilsalbe präparieren sollte, doch ich entscheide mich dagegen.

Ich weiß nicht warum, aber wieso sollten meine Wunden heilen dürfen, wenn ich jemand anderen nur immer und immer wieder verletze?

Ich gehe in mein Zimmer, schmeiße mich auf mein Bett und starre an die Decke. Nicht einmal die Gitarre könnte mich jetzt aufheitern. Dafür sind die Schluchzer zu laut und das verzweifelte Weinen auf der anderen Seite der Wand zu heftig. Kein einziger Ton könnte dieses übertrumpfen. Ich wünschte, ich könnte es ignorieren, aber allein die Tatsache, dass ich derjenige bin, der sie verletzt hat, lässt mich mit ihr leiden. Jedes mal, wenn sie Luft holt, nur um erneut wieder völlig unkontrollierte Töne von sich zugeben, lässt meine Brust zusammenziehen.

Ich liege direkt an der Wand. Meine Stirn und die Beine sind an sie gelehnt, so als ob ich direkt neben Mel liegen würde. Am liebsten würde ich diese Mauer aufreißen, sie in den Arm nehmen und sagen, wie leid es mir tut. Aber es geht nicht. Trotzdem gibt es mir das Gefühl ihr nahe zu sein, näher, als es ich mir erhoffen sollte.Aber ich denke, wünsche und befürchte zugleich, dass sich diese Chance niemals ergeben wird. Genauso wenig glaube ich, dass ich in nächster Zeit ein Wort mit ihr wechseln werde, geschweige denn sie mir über den Weg laufen wird. Und das, obwohl wir zusammen wohnen.

Tja... da kann selbst mein WEB-Frühstück nicht weiter helfen.

Etwa eine Woche ist nun vergangen, seit ich Mel vorgeworfen habe, wir wären weder Freunde noch Bekannte. Es ist nicht so, dass ich mich gern mit ihr versöhnen würde, aber das tägliche Weinen, was ich von meinem Nachbarzimmer aus höre, macht mich fertig und bereitet mir schlaflose Nächte. Doch sobald ich mir selbst mal in den Arsch trete und Mel abfangen will, um mit ihr zu reden, geht sie an mir vorbei und würdigt mich keines Blickes.

Nur einmal hat sie mich angesehen. Mit einem Blick voller Enttäuschung, wenn nicht sogar einem Hauch von Hass. Aber ich kann es ihr nicht verübeln. Doch schmerzten ihre Worte fast noch mehr.

„Du sagtest wir sind keine Freunde! Dann belasse es dabei und lass mich ein für alle Mal in Ruhe! Mehr, als mit dir wohnen zu müssen, will ich nicht mehr mit dir zu tun haben!“, hatte sie gesagt.

Immer und immer wieder laufen mir diese Worte durch den Kopf. Sorgen dafür, dass ich schlaflose Nächte verbringe und langsam nicht mehr weiß, wie ich das alles machen soll.

Dadurch, dass sie Abstand zu mir hält, sie mir nicht mal mehr die Chance gibt ihr näher zu kommen – was im übrigen eigentlich gut sein sollte – vermisse ich sie. Nicht ihren Aufenthalt in meiner Nähe, sondern die freundschaftliche Liebe, die sie mir von der ersten Sekunde an geschenkt hatte, als sie eingezogen ist. Ich vermisse das Leuchten in ihren Augen, die Fröhlichkeit in Ihrer Stimme. Die gute Laune und immer diese kleinen Anmerkungen, wenn ich ihr gegenüber nicht wirklich freundlich war. Aber jetzt war ich nicht nur unfreundlich. Nein, ich war ihr gegenüber ein egozentrisches Arschloch und habe sie behandelt, wie sie es auf keinen Fall verdient hat.

Durch ihre Distanz ist mir – Wohl oder Übel – bewusst geworden, welchen Einfluss sie auf mich hat. Allein durch ihre Nähe habe ich das Gefühl, ich kann nicht mehr atmen. Mein Puls verdreifacht sich und meine Gedanken kreisen um nichts anderes mehr, als den Wunsch, ihr ununterbrochen in die Augen sehen und ihre Lippen kosten zu können.

 

Ich stehe in der Küche, so wie jeden Morgen der letzten Tage. Der Bacon brutzelt in der Pfanne, während die Waffeln im Waffeleisen vor sich her garen. Ein süßlicher angenehmer Duft erfüllt den Raum und wieder hoffen ich, dass Mel davon angezogen wird. Nachdem nun alles fertig ist, richte ich den Tisch. Teller, Messer und Gabel, die Waffeln, Rührei und natürlich der knusprig angebratene Bacon.

Mit einem letzten Blick überprüfe ich, ob alles hergerichtet ist und nicke dann minimal zufrieden.

Ich warte noch ein paar Sekunden, höre, dass es in der oberen Etage still bleibt und gehe dann leise die Treppen hoch, um mich in mein Zimmer zu verziehen.

So in etwa läuft es gerade täglich, aber mir ist schon auch bewusst, dass es mit einem einfachen Frühstück nicht ungeschehen gemacht werden kann. Aber ich will ihr trotzdem zeigen, dass ich sie nicht vergessen habe und ich sie schätze.

 

Ich höre, wie sich Mels Türe öffnet und wie kurz darauf das Wasser im Bad angemacht wird. Ich stelle mich an die geschlossene Tür, natürlich an die Tür meines Zimmers und nicht die, des Badezimmers. Ich lausche nach jedem Atemzug, den sie von sich gibt. Höre danach, was sie gerade macht und versuche ein weiteres leises Schluchzen nicht an mich heran zu lassen.

Dann geht sie die Treppe runter. Ganz leise öffne ich die Tür, damit ich hören kann, was genau sie vorhat. Die Kühlschranktüre wird geöffnet, also muss sie in der Küche sein. Dann muss sie auch mein Frühstück gesehen haben. Kurz klimpern ein paar Flaschen, danach wird die Tür auch schon wieder geschlossen. Es dauert einen Moment, bis ich wieder ein Geräusch wahrnehme. Allerdings, ist das das einzige Geräusch, was ich nicht hören wollte. Es war die Haustür. Die offensichtlich von außen geschlossen wurde. Na toll.

 

Niedergeschlagen stapfe ich die Treppe runter und sehe entmutigend, dass immer noch alles genauso da steht, wie zuvor. Immer noch die gleiche Anzahl an Baconstreifen. Der Waffelturm beträgt die gleiche Höhe und nicht mal eine winziger Teil des Rühreis wurde angerührt. Super. Seit einer Woche spielen wir dieses Spiel. Müsste meine Entschuldigung nicht langsam angekommen sein?

Bevor wieder alles in den Müll geworfen wird, mache ich mich selbst an die Arbeit, mein preisgekröntes Frühstück zu verputzen. Durch die Wolfs DNA könnte ich 24h am Tag essen. Ziemlich nervig und auch ziemlich teuer, wenn man es auf lange Sicht sieht.

 

Tja. So schnell wird Mel wohl nicht zurück kommen. Ich weiß nicht einmal wo sie ist. Ob sie ein Fotoshooting hat, ob sie Freunde gefunden hat und zu ihnen geht, ob sie einfach spazieren geht. Keine Ahnung.

Und das beunruhigt mich. Wenn ich wenigstens wüsste, was sie macht und ich weiß, dass es ihr dort besser geht, als bei mir, wäre das schon sehr hilfreich.

Ich streiche wieder als schneeweißer Wolf durch die Wälder. Seit dem Angriff auf das Dorf, bin ich weder dorthin zurückgekehrt, noch habe ich meinen Bruder gesehen. Dementsprechend war ich selbstverständlich auch nicht auf der Beerdigungszeremonie. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ich da auch nicht hätte hingehen sollen.

Ich machen mich wieder zum See, habe irgendwie das Gefühl, dort auf meinen Bruder zu treffen. Weniger gehe ich dorthin, um ausgerechnet ihn zu sehen, aber die Kleinen machen mir doch ein bisschen Sorgen.

Doch als ich ankomme, kann ich niemanden entdecken. Keine Menschenseele, keinen Wolf, keinen Halbblüter, niemand.

Vermutlich sind sie immer noch damit beschäftigt das Dorf wieder aufzubauen.

 

Ich liebe diese Stille, atme die frische Waldluft ein und habe das Gefühl für einen Moment einfach ich selbst sein zu können. Ich muss mich meinem Bruder gegenüber nicht erklären, muss keine Fassade aufrecht erhalten, wenn Mel vor mir steht. Ich gehe ein paar Schritte auf den See zu, bis ich direkt am Ufer stehe und mein Spiegelbild betrachten kann. Der Kratzer ist nicht mehr zu sehen. Nur wenn man genau hinschaut, ist eine blasse Narbe zu erkennen, die aber von genug Fell gut verdeckt wird. Immerhin ist das erledigt.

Ich lehne mich näher zum Wasser, um etwas trinken zu können. Das Wasser ist eiskalt, aber das Brennen in meinem Hals, was ich deshalb spüre, ignoriere ich gekonnt.

Mein Kopf schellt in die Höhe und meine Ohre spitze ich, als ich das Knacken eines Astes höre.

Ich bleibe wie angewurzelt stehen, bewege mich keinen Millimeter. Ich rechne schon damit, dass das Militär um die Ecke schellt und ich Pistolenschüsse höre.

Aber was ich sehe, ist nicht das Militär. Nein, ganz und gar nicht.

Ich sehe sie. Melody. Und sie sieht mich. Mir bleibt das Herz stehen und würde ich jetzt eine Hose tragen, hätte ich gesagt, mein Herz ist mir gerade herein gerutscht. Ich stehe immer noch da, sehe sie von der Ferne an. Uns trennen etwa zehn Meter, aber niemand von uns bewegt sich, wir schauen uns nur an.

Ich befürchte, ob sie weiß, wer ich bin. Ob mich meine bernsteinfarbenen Augen verraten? Aber dazu ist die Distanz wohl doch zu groß.

 

Ich beobachte sie ganz genau, was sie jetzt macht. Es ist das erste mal seit Tagen, dass ich sie ansehen kann, ohne, dass sie mich mit einem verachtenden Blick anschaut. Doch kann ich ihre Verletzlichkeit genau erkennen. Ihre Augen sind gerötet, ihr wunderschönes langes, blondes Haar ist etwas zerzaust und ihre Wangen haben jegliche Farbe verloren. Dunkle Ringe zieren ihre Augen und ich meine sogar zu erkennen, dass sie ein wenig zittert.

In ihrer Hand hält sie ein Bild, leider sehe ich nur die Rückseite. Doch kann ich genau erkennen, dass die Ränder leicht schwarz und eine Ecke sogar abgerissen ist, wenn nicht sogar abgebrannt ist. Jedoch nur ein kleiner Teil, so als ob man es sich anders überlegt hätte und das Feuer gerade noch rechtzeitig gelöscht wurde.

Wie gern würde ich jetzt zu ihr gehen. Mich leicht an sie schmiegen, um sie zu wärmen. Ihr Geborgenheit zu geben und mich bei ihr entschuldigen. Auch dieses Bild macht mich neugierig. Sie hält es in den Händen, als wäre es ein wertvoller Schatz und kein Geld der Welt könnte dem gerecht werden.

 

Immer noch treffen unsere Blicke aufeinander, keiner wendet Seinen ab. Ich mache einen kleinen Schritt auf sie zu, werde aber aus meiner Trance gerissen, als ich ein Stück hinter mir, das Knacken mehrere Äste höre. Sofort schellt mein Blick zur Seite. Etwas entfernt sehe ich, wie sich ein Welpe, hinter einem Baum hervor schleicht. Es ist Tick. Oder Trick. Oder Track. Wie auch immer. Jedenfalls, einer von diesen Dreien.

Als ich jedoch wieder in Mels Richtung schaue, ist sie verschwunden. Wo ist sie hin?

 

„... Daemon...“, höre ich Andrew leise sagen. Jedoch ist es keine Begrüßung. Es ist mehr eine Bemerkung, dass er mich gesehen hat. Die drei kommen zu mir, springen um meine Pfoten. Sie freuen sich wie kleine Kinder. Gut, sie sind Kinder, doch kann ich damit nicht umgehen.

Wer weiß, ob ich je mit Kindern umgehen konnte? Es ist letzten Endes auch unwichtig. Fakt ist, es geht mir auf die Nerven.

Ich gehe einen Schritt weiter, lasse die Jungen hinter mir und gehe langsam auf meinen Zwillingsbruder zu. Ich habe ihn seit dem nicht mehr gesehen, als ich das Dorf das letzte Mal verlassen habe. Zugleich war ich natürlich auch nicht auf der Zeremonie, welche für die Verstorbenen veranstaltet wurde.

„Wo warst du? Wir hatten gehofft, du würdest kommen“, beginnt er schließlich leise, aber doch auch gereizt das Gespräch. Ich wusste, ich würde da nicht drum herum kommen.

„Wie oft muss ich dir das noch sagen? Ich will mit alle dem nichts zu tun haben!“, antworte ich im selben Ton, bin schon wieder kurz davor, ihm den Rücken zu zukehren.

„Wir sind deine Familie. Du gehörst zu uns und als Halbblüter ist es deine Pflicht..-“.

„Meine Pflicht? Sag du mir nicht, welche Pflichten ich habe, Andrew! Ich bin nicht derjenige, der unsere Eltern verrät. Sondern du!“, unterbreche ich ihn wütend, fletsche leicht mit den Zähnen und muss aufpassen, ihm nicht an die Kehle zu springen. Klar, er ist mein Bruder, aber ich werde nie verstehen können, warum er unbedingt sein Leben für diejenigen opfern will, die für den Tod unserer Familie – und damit meine ich wirklich nur unsere Familie – verantwortlich sind.

 

Ich höre ein Seufzen seinerseits. Es ist offensichtlich, dass wir niemals über dieses Thema reden können, ohne dass einer von uns beiden – meistens ich – die Nerven verliert. Um mich zu sammeln, wende ich meinen Blick von ihm ab, atme ebenfalls einmal tief durch. Ich sehe zu den Jungen, die gerade vergnügt miteinander raufen und sich im Dreck welzen. Ach es war bestimmt alles so viel einfacher, als wir noch Kinder waren.

„Was macht ihr hier? Im Dorf ist es für die Kleinen sicherer“, frage ich schließlich, um das Thema zu wechseln, obwohl ich mir selbst kein Wort glaube. Das Militär ist bei uns eingebrochen, hat es geschafft, unseren Schutzwall zu durchqueren. Also.. sind sie im Dorf genauso schutzlos, wie sonst auch.

„Es wird Zeit. Sie müssen trainieren, um die Prüfung bestehen zu können, damit sie ihr Amulett bekommen“, antwortet er darauf und folgt meinem Blick. Tick, Trick und Track scheint dies überhaupt nicht zu interessieren. Wie gern würde ich mich erinnern, wie wir unsere Prüfung gemacht haben.

„Wenn sie die Prüfung bestehen, haben sie, abgesehen von mir, niemanden, der sie zum Saphir begleitet. Kommst du mit? Sie würden sich freuen“, fragt er mich vorsichtig. Ich will eigentlich nicht, denn sie gehen mich nichts an.

Aber es reizt mich auch, denn es würde mir die Möglichkeit geben, Teile meiner Vergangenheit, Erinnerungen, die ich vergessen habe, wieder erleben zu dürfen und vielleicht sogar die Chance zu haben, mich wieder zu erinnern.

 

Diese Prüfung ist einer der wichtigsten Ereignisse in unserem Leben. Sie ist der Schritt in unsere Zukunft. Als Kind müssen wir eine Prüfung ablegen, um zu beweisen, dass wir dazu in der Lage sind die Ältesten später einmal beschützen zu können.

Ich selbst kann mich nicht erinnern, doch es heißt, dass diese Prüfung aus drei Teilen besteht. Zum einen wird die Schnelligkeit und Reaktion getestet. Also wie schnell renne ich, um jemanden zu entkommen und kann ich schnell genug reagieren, wenn mein und das Leben der anderen in Gefahr ist. Als nächstes wird die Geschicklichkeit geprüft. Also anschleichen, jagen, die Fährte aufspüren. All diese Dinge die helfen, einen Feind auffinden zu können.

Zu guter Letzt, die Kampffähigkeit. Ist der Wolf stark genug, um sein Volk zu beschützen und bereit Opfer zu bringen.

 

Wenn wir älter werden, wird der menschliche Teil unserer DNA etwas dominanter, weshalb wir beginnen uns zu verwandeln. Wenn man es mit Menschen vergleichen würde, könnte man sagen, wir kommen in die Pubertät.

Zu Beginn bekommt jeder nur einen einfachen Saphir. Er ist als kleiner Stein in eine einfach Kette verbaut. Den bekommen wir schon nach wenigen Jahren, meistens schon nach einem, aller höchstens zwei. Er dient allein dazu, dass unsere Kräfte kontrolliert bleiben und uns nicht verraten, denn dieser unterdrückt jegliche Kraft, damit wir uns überhaupt nicht mehr verwandeln, bis wir das Amulett erhalten.

Doch ein paar Jahre später, steht die Prüfung an. Die Kleinen müssen beweisen, dieses Laster tragen zu können. Sie müssen anerkennen, wie wichtig unser Geheimnis ist und niemand davon erfahren darf.

Nur wenn man diese Prüfung besteht, wird man als vollwertiges Mitglied anerkannt und bekommt sein Amulett. Dies entscheidet sich allerdings erst in der Höhle, wenn die Welpen mit dem Saphir in Verbindung kommen, denn es ist der Beweis dafür, dass wir unserer Aufgabe bewusst sind und bereit sind jedes Opfer zu bringen, um unseres Gleichen zu schützen.

Meiner Meinung nach ist es vollkommen absurd die Jungen schon so früh zu prüfen, ob sie in der Lage sind, das Volk zu bewachen. Es sind schließlich immer noch Kinder und es würde vollkommen genügen, wenn die Test auch noch einige Jahre später durchgeführt werden.

 

Normalerweise gehen die Eltern mit. Es ist ein Ereignis, was unter den einzelnen kleinen Familien stattfindet und deren Verbundenheit stärken soll. Die Welpen bekommen ihr Amulett, welches haargenau so aussieht, wie das, der Eltern. Doch nun sind die Drei allein, haben nur noch Andrew und mich. Ich weiß, dass mein Bruder das alleine schafft und er mich dazu nicht braucht. Aber.. vielleicht besteht tatsächlich die Möglichkeit wieder meine Erinnerungen zu bekommen, wenn ich etwas erlebe, was mir bereits bekannt vorkommen sollte.

 

„Ja.. vielleicht. Ich schau mal.“, antworte ich, wie gewohnt, kalt. Denn ich würde sie nicht begleiten, weil es mir wichtig wäre. Sondern aus reinem Eigennutz. Daraufhin warte ich auf Andrews Reaktion. Doch es kommt nichts. Ich kann mir denken, welche Worte jetzt in seinem Kopf herumschwirren, aber ich lasse mir nichts von meinem kleinen Bruder vorschreiben. Nicht von ihm und erst Recht nicht von den Ältesten.

Mehrere Minuten stehen wir einfach nur da und beobachten die Welpen, wie sie spielen und sich gegenseitig necken. Es ist beinahe eine Schande die Jungen schon so früh zu irgendwelchen Prüfungen zu animieren. Ihnen einzureden, dass es eine Ehre sei, später einmal ihr Leben für jemand anderen zu lassen. Und mittlerweile befürchte ich sogar, dass ich genauso reagieren würde, wenn mich der Gedächtnisverlust nicht sowieso schon in eine so labile psychische Lage versetzen würde.

Wenn du nicht weißt, wem du vertrauen kannst, du nicht weißt, wer Freund und wer Feind ist, vertraust du nur noch dir selbst und hörst auf niemanden mehr. Egal, was alle anderen sagen.

Denn wenn du dich nicht an dich selbst halten kannst, an wen denn dann?

 

Ich lasse sie schließlich allein. Zu Hause wartet immer noch ein Problem, dass ich gerne klären würde. Zumindest, wenn Melody mich lässt und ich mich entschuldigen kann. Ich streiche durch den Wald, überlege mir hunderte von Sätzen, wie ich am besten ein klärendes Gespräch anfange. Suche nach Lösungen, eine plausible Erklärung zu finden, warum ich so asozial ihr gegenüber bin, ohne sie in Schwierigkeiten zu bringen. Aber.. es lässt sich nichts finden. Entweder ist es völliger Schwachsinn, oder es ist viel zu offensichtlich, dass es gelogen ist. Und mich entschuldigen, nur um danach wieder mit einer Lüge alles zu zerstören, kann ich mir sparen.

Doch leider erreiche ich nicht einmal den Waldrand. Denn ich werde aufgehalten. Von jemanden, den ich ungern begegnen will. Am liebsten, nie direkt gegenüber stehen will. Denn sein rabenschwarzes Fell, lässt jedem noch so tapferen Halbblüter eine Gänsehaut verpassen.

Seine smaragdgrünen, leuchtenden Augen, rauben einen den Atem und entzieht einem die Wärme aus dem Körper.

Es ist er. Der schwarze Wolf. Der, aus den illegalen Kämpfen.

Ich weiß nicht einmal seinen Namen und ehrlich gesagt, will ich ihn auch gar nicht wissen.

Er kommt auf mich zu. Mit langsamen, große Schritten. Seine Ohren sind etwas angewinkelt, sein Blick lässt er nicht von mir und immer wieder streicht er sich mit der Zunge über die Zahnreihen.

Eins ist sicher. Wenn dieses Gespräch hier beendet ist, geht es entweder für ihn, oder für mich nicht besonders gut aus.

Hoffen wir, dass ich mich irre.

„Was willst du?“, gebe ich leise zurück. Aber nicht leise vor Angst, sondern bedrohlich.

„Behandelt man so seine alten Freunde? Du solltest mich inzwischen kennen, Daemon“, gibt dieser ebenso bedrohlich, aber doch mit einem ironischen Unterton zurück.

Mag sein, dass ich nachts während den Kämpfen immer wieder auf ihn getroffen bin. Manchmal gegen in gekämpft habe, doch mehr, außer zu wissen, was seine Krallen mit meinem Gesicht anstellen können, will ich auch gar nicht über ihn wissen.

„Liegt vielleicht daran, weil ich dich nicht kennen will!“.

Die Spannung ist deutlich zu spüren. Wir beide laufen unruhig im Kreis, stehen uns zu jeder Zeit gegenüber, sind darauf gefasst, wenn man jetzt angegriffen werden würde. Ich bin auf der Hut, beobachte jeden noch so kleinen Millimeter, den mein Gegenüber hinter sich lässt. Ein tiefes Knurren entweicht meiner Kehle, muss aufpassen mich nicht zu verlieren.

Wie ich diesen Kerl doch hasse.

Auch von seiner Seite ist eine nicht wirklich definierbares Geräusch zu hören. Ich meine, es gleicht einem gekünstelten Lachen, doch kann ich mir das nicht vorstellen.

Plötzlich bleibt er stehen, wendet sich etwas mehr in meine Richtung. Abrupt tue ich es ihm gleich, jedoch gehe ich nicht einen Schritt auf ihn zu, sondern einen zurück. Irgendwie ist mir das nicht geheuer und ich befürchte, dass das hier kein gutes Ende nehmen wird.

„Es sollte mich nicht wundern. Du hast allen Grund dazu.“

„Wovon redest du?“, frage ich gereizt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was er meint. Ich habe nichts verbrochen.

„Gedächtnis verloren. Keinen guten Kontakt zu deinem Bruder. Keine Freunde. Keine Eltern und das aufgrund der Ältesten. Ich kann wirklich nachvollziehen, warum du uns an das Militär verraten hast. Aber soll ich dir was sagen? Dafür wirst du büßen!“.

Sofort legt er seine Ohren wieder an und beginnt mit den Zähnen zu fletschen. Sein Kopf ist auf Brusthöhe geduckt und die spitzen Schulterblätter stechen deutlich hervor. Sofort überkommt mich die Panik und ich gehe weitere Schritte zurück. Wovon redet er? Ich habe niemanden verraten. Niemals würde ich meinen Bruder so sehr verletzten und seine nicht blutsverwandte Familie, das Dorf, in Gefahr bringen. Die anderen Halbblüter und das Dorf sind seine Heimat und ich würde nie etwas tun, was ihn verletzt. Mag sein, dass sich einiges zwischen uns verändert hat, aber er ist immer noch die einzige Familie, die ich habe.
 

„Ich habe euch nicht verraten! Was soll der Scheiß?“, presse ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor und gehe in Abwehrposition. Natürlich nicht, ohne meinen Feind aus den Augen zu lassen.

„Du hast meine Schwester auf dem Gewissen! Du bist ein Mörder!“

Ich kann nicht mal mehr erwidern, da höre ich ein aggressives Bellen und eine Sekunde später kann ich gerade noch der rabenschwarzen Pfote ausweichen.

Ich will diesen Kampf nicht. Klar, ich kann ihn nicht leiden, aber ich kämpfe nicht für etwas, was ich nicht getan habe.

„Ich habe niemanden umgebracht!“, gebe ich zurück und hoffe, dass ich ihn besänftigen kann. Aber seine leuchtend grünen Augen sind erfüllt von Hass. Seine Krallen bohren sich immer tiefer in den Boden, erkenne genau, wie blutrünstig er wird. Am liebsten würde er mir seine Zähne in den Hals rammen und mir einmal den kompletten Rumpf aufschlitzen. Ich kann es ihm ablesen, wie wenn jeder normale Mensch, die Tageszeitung liest.
 

Gerade noch rechtzeitig weiche ich aus, bevor er mich am Nacken packen und am liebsten nicht mehr loslassen will. Ich will nicht kämpfen, doch wird mir nichts anders übrig bleiben. Er ist getrieben von dem Hass und gleichzeitig der Verzweiflung, dass ihn der Wunsch, an mir Rache zu üben, niemand mehr nehmen kann. Wenn ich mich nicht verteidige, wird mich sein Wahnsinn in den Tod führen. Und das kann ich meinem Bruder nicht antun. Den Welpen nicht und vor Allem Mel nicht. Ich bin ihr eine Erklärung schuldig, warum sie gesehen hat, was sie sehen musste. Warum ich mit blutverschmierten T-shirt auftauche und ihr nie erklären, wie es dazu gekommen ist. Warum ich sie ständig im Ungewissen lasse. Und die wird sie bekommen. Irgendwann.
 

Dieses mal bin ich derjenige, der in die Offensive geht. Ich gehe auf ihn zu. Mein Ziel ist es eigentlich in seinen Hals zu beißen, doch er ist zu schnell, weshalb ich nur sein Ohr erwische und im nächsten Moment einen metallischen Geschmack schmecke. Doch es scheint, als würde ihn das nicht interessieren. Denn ohne dass ich auch nur reagieren kann, springt er mich an, dass ich zu Boden falle. Ich brauche eine Sekunde, um mich wieder zu orientieren, doch er lässt mir nicht genug Zeit, um aufzustehen. Ich drehe mich auf den Rücken, strecke die Pfoten in die Höhe, um ihn von mir fernzuhalten. Mit geöffneten Maul und lauten knurren versuche ich ihm zu drohen. Ihm Angst einzujagen. Meine Zähne streifen seine Schnauze. Ich habe keine Möglichkeit auszuweichen, nimmt mich in die Mangel, dass ich ihm ausgeliefert bin. In mir steigt die Panik auf. Plötzlich spüre ich seine Zähne, wie sie sich in meinen Hals bohren, mein dichtes Fell und die darunter liegende Fettschicht ohne Probleme durchdringen. Ein stechender, kaum auszuhaltender Schmerz durchfährt mich und ich kann nicht anders, als auf zu winseln. Sogar beinahe flehentlich höre ich mich an und es nervt mich selbst, dass er mir so schnell solche Töne entlockt hat.

In mir sammelt sich das Adrenalin. Es versetzt mir einen Schub. Mit aller Kraft stoße ich den schwarzen Wolf von mir, der ein paar Schritte zurück taumelt. Das ist meine Chance, wieder aufzustehen. Ohne auch nur nachzudenken, gehe ich auf ihn los, bin von meinem Tun überzeugt. Ich lasse mich nicht nieder machen, gebe mich nicht so schnell geschlagen. Doch dieser Gedankengang, mir selbst Mut zuzusprechen, war der größte Fehler, den ich machen konnte. Ich war abgelenkt von mir selbst und von meinen Gedanken. Von der egoistischen Selbstsicherheit, die mich gerade zu ins Verderben bringt.
 

Plötzlich durchfährt mich ein Brennen, welches sich durch den gesamten Körper zieht. Ich spüre, wie sich seine Krallen, durch mein Rumpf bohren und mich von jetzt auf gleich jeglicher Kampfgeist, jede Kraft, die ich zu gern aufbringen würde, um ihn anzugreifen, verlässt. Gerade bin ich noch auf ihn losgegangen, voller Energie, voller Elan und bevor ich mich versah, ein Moment der Unachtsamkeit, bin ich nicht mehr, als ein Häufchen elend. Ich liege auf dem Boden, habe das Gefühl mich nicht mehr bewegen zu können. Mein Atem geht schnell, mein Brustkorb hebt und senkt sich unkontrolliert. Ich sehe, wie sich mein schneeweißes Fell auf der Brust, auf einmal blutrot färbt. Rot, von meinem eigenen Blut, welches mir augenscheinlich ununterbrochen aus dem Rumpf quillt. Ich schließe für einen Moment die Augen, habe das Gefühl, meine letzten Sekunden zu erleben, so sehr schmerzt es und es werden vermutlich auch bald meine letzten sein, wenn die Blutung nicht sehr bald gestoppt wird.

Ich habe sie vor Augen, Melody. Würden das hier wirklich die letzten Minuten sein, wäre sie mein letzter Gedanke. Dann würde ich mit einer letzten schönen Erinnerung gehen.

Als ich die Augen öffne, sehe ich den rabenschwarzen Körper direkt vor mir. Er schaut auf mich herab, so als ob ich vor ihm knien würde.

„Du wirst sterben. So, wie meine Schwester durch deine Hand sterben musste“.

Höre ich, als er sich meinem Ohr nähert und diese letzten Worte hinein raunt. Sie verpassen mir eine unangenehme Gänsehaut und ich spüre genau, wie mit jeder Sekunde später, mir die Wärme aus dem Körper entflieht.

Ich will etwas sagen, ihn sogar um Hilfe bitten, aber kein Wort verlässt meine Kehle. Ich schmecke einen metallischen Geschmack, habe das Gefühl, dass er mir den Hals zuschnürt.

Dann sehe ich nur noch, wie sich der schwarze Körper entfernt und mich hier vollkommen allein zurück lässt.
 

Die Kälte drängt sich in jeden Winkel meines Körpers. Will mich zwingen, die Augen zu schließen. Aber ich habe Angst. Angst davor, dass wenn ich es jetzt tue, ich sie nie wieder öffnen werde und nie wieder diese unglaublich, faszinierenden mausgrauen Augen sehen kann. Ich darf nicht aufgeben. Ich weiß, es wird mich jemand finden. Ich weiß es. Ich kann nicht gehen. Kann Melody nicht alleine lassen. Ich denke daran was wohl ist, wenn ich sie nie wieder sehen kann. Beziehungsweise ich von heute auf morgen nicht mehr auftauchen werde. Was würde sie machen? Wahrscheinlich wäre sie nicht mal all zu wütend. Im Gegenteil. Es würde mich wundern, wenn sie um mich trauern würde, so wie ich sie behandelt habe. Aber nein. Mein Egoismus ist zu groß, sie jetzt schon alleine zu lassen. Nicht, bevor ich nicht einmal diese Lippen kosten und ihr wunderschönes Lachen noch einmal hören durfte.
 

In meinem Kopf spreche ich die Worte „Verwandle mich zurück“. Dieses mal ist es jedoch keine angenehme Wärme, die meinen Körper umhüllt, sondern ein beinahe quälender, nicht enden wollender Schmerz erfüllt mich. Ich will aufschreien, doch es geht nicht. Es fühlt sich an, als würde jemand mit einer glühenden Eisenstange in meine Haut bohren, dass ich sogar glaube, für einen kurzen Moment das Bewusstsein verloren zu haben.

Als ich nach gefühlten Stunden, die eigentlich nur wenigen Sekunden waren, endlich wieder meine menschliche Form angenommen habe, robbe ich mich zum See. Allerdings nicht auf dem Bauch, sondern auf der Seite. Denn als ich an mir herunter sehe, sehe ich ein Bild, was ich mein Leben lang nicht vergessen und auch von drei großen Narben jeden Tag erinnert werde. Über meine Brust, ziehen sich drei große, tiefe, Kratzer, die aussehen, als hätte sich eine wild gewordene Bestie an mir vergriffen – was ja in gewisser Weise auch stimmt.

Als ich endlich das Wasser erreiche, sehe ich mein Spiegelbild, welches mir nicht einmal mehr ähnelt. Meine hellblonden Haare sind zerzaust und Dreck hat sich in einzelnen Strähnen verfangen. Meine bernsteinfarbenen Augen sind trübe, haben nicht mehr diesen Glanz. Und von meiner Gesichtsfarbe wollen wir gar nicht erst anfangen. Sämtliches Rosa ist mir entwichen und leichte dunkle Ringe bilden sich unter meinen Augen ab. Und diese Bisswunde am Hals macht es auch nicht gerade besser.

Das T-shirt, wenn man es noch so nennen kann, ist nichts weiter, als ein Stofffetzen. Es hängt nur noch an wenigen Ecken zusammen und das Weiß, was es zuvor war, ist inzwischen an den meisten Stellen in ein volles Dunkelrot getunkt.

Gott.. zum Glück muss Mel mich nicht so sehen.
 

Beinahe schon wütend reiße ich mir den übrig gebliebenen Stoff vom Körper, was ehrlich gesagt leichter ist, als ich erwartet hatte und werfe ihn regelrecht ins letzte Eck. Gut, es ist nur wenige Zentimeter von mir entfernt ist, weil ich die Kraft dazu nicht mehr habe.

Mit der Hand, welche ich zu einer kleinen Schale geformt habe, greife ich in das eiskalte, kristallblaue Wasser und schütte dieses über meine Brust. Ich verziehe das Gesicht, als mich erneut ein stechender Schmerz durchfährt. Durch die Kälte fühlt es sich an, als ob ich gerade von tausenden von Nadelstichen durchbohrt werden würde.

Immer und immer wieder versuche ich die Wunde so gut es geht zu reinigen, wobei ich mir manchmal ein schmerzvolles aufstöhnen nicht unterdrücken kann.
 

Ich liege auf dem Rücken. Noch immer im Dreck, vollkommen erschöpft und viel zu schwach, um nach Hilfe zu rufen geschweige denn aufzustehen. Ich liege einfach nur da, starre in den Himmel. Nehme meine Umgebung nicht wahr, male mir nur die verschiedensten Bilder aus, welche die Wolken ergeben. Die Wärme verlässt meinen Körper immer mehr, die Kälte breitet sich aus, sorgt dafür, dass ich die Schmerzen nur noch im Hintergrund wahrnehme. Zumindest, solange ich mich nicht bewege.

Ich schließe die Augen. Wünsche mir, ich könnte die Zeit zurück drehen. Ich wünschte, ich hätte Mel die Wahrheit erzählt. Meine Chance genutzt, mehr Kontakt zu ihr zugelassen. Dass ich sie so behandelt hätte, wie sie es verdient und sie nicht Nächte lang, wegen mir, geweint hätte.

Aber man kann die Zeit nicht ändern. Wer weiß. Vielleicht ist es auch einfach mein Schicksal allein sterben zu müssen. Verdient hätte ich es.

Ich sehe Mel vor mir. Ihre mausgrauen Augen, die nach außen hin immer dunkler werden. Ihre wunderschönen schmalen Lippen und ihre glatten blonden Haare, wie sie leicht über ihre Schulter fallen. Wie wohl ihre Bilder vom Fotoshooting aussehen. Ich bezweifle, dass diese noch schöner sein können, als sie sowieso schon ist. Ich stelle mir vor wie es wäre, sie zu küssen, ihr zarten Lippen auf meinen fühlen zu dürfen. Habe sogar das Gefühl, spüren zu können, wie sie ihre Hand an meine Wange legt, wodurch sich beinahe automatisch mein Herzschlag erhöht. Ich habe das Gefühl, ihr Wärme zu spüren.
 

Ich öffne die Augen. Sehe in ihre Augen. Doch sie leuchten nicht, wie ich es mir vorgestellt habe. Nein, sie glitzern, vor Angst und Trauer. Tränen sammeln sich in ihnen. Genauso hat sie ausgesehen, als ich ihr sagte, dass wir keine Freunde sind.

„Daemon... was ist passiert?“, sagt sie verzweifelt. Ihre Stimme ist brüchig. Beinahe nicht mehr, als ein einfaches Piepsen. Hatte sich so ihre Stimme angehört, als sie mich zum ersten Mal mit diesem Kratzer am Auge und das zweite Mal mit dem blutüberströmten T-shirt vor ihr stand? Ich bin mir sicher, keine Angst heraus gehört zu haben. Sondern nur Besorgnis und Unwissenheit.

„Daemon! Sag doch was! Irgendwas!“, höre ich sie als Nächstes sagen. Sie will schreien, aber ein Kloß in ihrem Hals hindert sie daran. Moment. Das hatte sie noch nie zu mir gesagt, da bin ich mir sicher. Ich spüre, wie meine Schultern geschüttelt werden. Bewusst, aber sanft. Und ich bin mir auch ganz sicher, das hatte sie nie zuvor bei mir getan.
 

Ich blinzle einmal. Dann ein zweites Mal. Ich sehe sie tatsächlich vor mir. Immer noch. Ich habe die Augen offen und bin bei vollem Bewusstsein. Sie ist es wirklich. Sie kniet hier, direkt neben mir und schaut mir direkt in die Augen.

„Mel..?“, hauche ich immer noch vollkommen erschöpft. Kurzerhand spannt sich meine Brust an, als ich ihren Namen ausspreche. Ihren Spitznamen, wohlgemerkt. Erneut unterdrücke ich schmerzvolles Stöhnen.

Ich höre sie einmal erleichtert aufatmen und sehe, wie sie den Kopf ganz kurz senkt, um sich selbst wieder zu beruhigen.

„Gott sei Dank, du bist wach. Ich hatte solche Angst dich verloren zu haben“, sagt sie nun etwas erleichterter und ich meine auch, dass sich ihre Stimme etwas gefestigt hat. Ich will darauf etwas antworten, doch wüsste ich nicht, was in dieser Situation angemessen wäre.
 

Ich beobachte, wie sie mein zerrissenes Shirt mit der Spitze in das Wasser taucht und schon im nächsten Moment, kann ich den kalten Stoff auf meiner Haut spüren. Ich beiße mir auf die Zähne, unterdrücke den Schmerz. Dabei ist allein an der Wunde zu erkennen, dass es nicht möglich ist, keine Schmerzen zu haben. Immer wieder vernehme ich kleines Schluchzen. Sehe, wie sie ihre Tränen schnell wegwischt, sobald sie sich ihren Weg über die Wangen bahnen, damit ich es nicht sehe. Doch kann sie sie nicht vor mir verbergen.

Und wieder weint sie. Meinetwegen. Vielleicht hätte ich sie nie bei mir einziehen lassen sollen. Vieles wäre für sie so vieles einfacher gewesen, wenn sie mich nicht kennen gelernt hätte.
 

„Es tut mir leid. Ich wollte dich nie so sehr verletzen“, sage ich nach ein paar Minuten des grauenvollen Schweigens. Kurz hält sie in ihrer Bewegung inne, schaut mir direkt in die Augen, was meinen Herzschlag kurz aussetzen lässt. Doch dann schaut sie weg, kümmert sich weiter darum, meine Wunden zu reinigen, ohne auch nur auf meine Worte zu reagieren. Ich verlange nicht, dass sie antwortet, auch nicht, dass sie mir verzeiht. Aber ich will, dass sie weiß, dass ich es ernst meine.

Sie scheint in Gedanken versunken zu sein, während sie weiter das Blut von meiner Brust wischt. Aber genau darauf achtet, nicht mit dem Stoff in die offene Wunde zu gelangen. Ein paar weitere Sekunden vergehen, bis sie sich schließlich zurück fallen lässt und die Hände auf ihrem Schoß faltet. Ihr Blick ist immer noch gesenkt.

„Warum tust du es dann? Warum sagst du mir nicht, was passiert ist? Wie du... in solche Situationen kommst?“, fragt sie verzweifelt und schaut mich wieder an. Verdammt, diese Augen. Aber was soll ich ihr sagen? Dass mich ein schwarzer Wolf angegriffen hat, weil er mich für den Tod seiner Schwester verantwortlich macht? Den ich zufällig verstanden hab, weil ich ebenfalls ein Halbblüter bin und die zweite Hälfte meines Lebens als Wolf verbringe? Bin gespannt, was sie dazu sagen würde.
 

Ich schaue nur zur Seite, antworte ihr auf diese Fragen wieder nicht, so wie die letzten Male auch. Und bevor ich diesen Moment zerstöre und sie wieder verletze, schweige ich lieber. Aber keine Antwort, ist bekanntlich auch eine Antwort.

Ich höre ihr Seufzen. Es ist eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. Tolle Kombination.

Ich spüre ihren Blick, wie er auf mir ruht. Sie versucht, etwas an mir abzulesen, doch das haben schon viele versucht. Wie ist noch gleich das Gegenteil der Menschen, von denen man behauptet, sie seien ein offenes Buch? Ich bin jedenfalls das passende Gegenstück dazu.

Ich traue mich nicht, ihr ins Gesicht zu sehen. Wenn sie mich weiter so flehend anschaut, werde ich mein Geheimnis nicht mehr lange wahren können.
 

„Das... ist mir noch nie aufgefallen. Es ist wunderschön“, sagt sie leise und ich spüre für eine Sekunde, wie ihre Finger mein Schlüsselbein streifen. Ich schaue auf ihre Hand, in der sie mein Amulett hält. Ich schlucke einmal, hoffe sehr, dass sie nicht Verdacht schöpft. Aber als mir die Worte ein zweites Mal durch den Kopf gehen, hänge ich mich mehr an den Worten „.. noch nie..“ auf. Ich meine, es bestand ja auch keine Chance, dass sie es sieht. Wir sind uns aus dem Weg gegangen und sonst verstecke ich es unter meinem Oberteil.

„Wie auch? Es gab keine Gelegenheit dazu. Du wohnst erst seit ein paar Tagen bei mir“, frage ich leicht skeptisch und presse die Worte irgendwie heraus, um nicht nur ein qualvolles Stöhnen von mir zu geben.

Abrupt lässt sie es los, darauf bedacht, mich nicht zu berühren. Sie schaut zur Seite, aber mehr als ein Nicken, bekomme ich nicht zu sehen oder zu hören. Ob ich wieder zu kalt war? Ich kann mit Menschen einfach nicht umgehen. Oder mit sonst irgendjemanden.
 

Ohne ein Wort zu sagen, schiebt sie ihre Hand leicht unter meine Schulter und versucht mich anzuheben. So gut es geht, will ich mich selbst erheben, aber ich bin doch ziemlich geschwächt.

Etwas unbeholfen und ein wenig ungeschickt, schaffen wir es endlich mich auf die Beine zu stellen. Ich werfe meinen Arm um ihre Schultern, während sie ihren um meinen Rücken legt, um mich zu stützen. Die Stimmung zwischen uns ist angespannt. Niemand sagt ein Wort. Lediglich ich gebe unverständliche Töne von mir und Mel weißt mich immer wieder daraufhin, aufzupassen, wo ich hintrete. Schleppend kommen wir vorwärts und ich sehne mich schon danach, endlich in meinem Bett zu liegen und diesen Tag hinter mir zu lassen. Kann es denn überhaupt noch schlimmer werden?

Als wir zu Hause ankommen, will ich eigentlich auf direktem Wege ins Bett. Aber mit einem einzigen Schwung, wo ich darauf achten muss, mein Gleichgewicht zu halten, um nicht auf die Nase zu fliegen, zerrt mich Melody ins Badezimmer. Ohne, dass ich auch nur reagieren kann, zwingt sie mich auf dem Rand der Badewanne Platz zu nehmen, wobei ich kurz aufpassen muss, nicht vornüber umzukippen. Ich sehe, wie sie den Verbandskasten herausholt, jedoch jeglichen Blickkontakt meidet. Kein gutes Zeichen. Sie hat Fragen.

Sie kniet sich vor mich, beginnt erneut das Blut, welches sich um die Wunde wieder gesammelt hat, zu entfernen. Dabei entgeht mir nicht, dass sie sich darauf konzentrieren muss, mich nicht die ganze Zeit anzustarren. Könnte ich mir aber auch eingebildet haben, schließlich zieht sich dieser Scheiß über meine komplette Brust, weshalb sie ja auf meinen Oberkörper schauen muss.

Immer wieder öffnet sich ihr Mund, doch sie schließt ihn wieder, ohne, dass auch nur Worte folgen. Sie will etwas sagen, ich sehe es ihr an, aber sie traut sich nicht. Oder sie will es nicht. Wie auch immer.

 

„Also schön. Du hast Fragen. Was willst du wissen?“, frage ich schließlich nach wenigen Minuten des Schweigens und beiße mir selbst auf die Unterlippe, da ich ihr dieses Angebot gemacht habe. Ich sollte froh sein, dass sie mich nicht löchert, so halte ich sie aus dem ganzen Mist hier raus. Aber der Wunsch ihre Stimme zu hören, nachdem ich schon befürchtet hatte, ich würde es nie wieder tun, war zu groß.

„Du wirst sie mir doch sowieso nicht beantworten“, gibt sie leise, beinahe nur in einem flüstern, zurück, während sie das rot gefärbte Tuch in den Mülleimer wirft und einen Verband und ein paar Tupfer aus dem Verbandskasten holt.

Und da hat sie wahrscheinlich Recht. Ich werde nicht auf jede Frage antworten können. Zumindest nicht genau die Wahrheit erzählen. Aber.. ich will sie nicht schon wieder im Ungewissen lassen. Früher oder später bringe ich sie mit den ganzen offenen Antworten und Taten noch um den Verstand.

„Ich.. werde dir nicht alles beantworten können. Aber ich kann es versuchen“, gebe ich schließlich leise zurück und hoffe so, dass sie mein Kompromiss annimmt. Kurz verziehe ich das Gesicht, weiche ein paar Zentimeter zurück, als sie mir den Tupfer auf die offene Wunde legt und mit ihrer Hand dagegen drückt. Scheiße tut das weh. Dann folgt ein kleines Nicken.

Ich beobachte sie, während sie sich ihre Worte genau überlegt, es aber tunlichst vermeidet, mir dabei in die Augen zu sehen.

„Okay. Ich weiß, ich wiederhole mich. Aber.. wirst du mir je erzählen, was passiert ist? Warum du beinahe täglich ​so nach Hause kommst?“.

Ich wusste, dass das kommt. Die Verzweiflung in ihrer Stimme ist deutlich zu hören und es bricht mir wieder das Herz, dass ich sie nicht einweihen kann. Aber.. ich will sie doch nur beschützen.

„Vermutlich nicht. Du.. wirst mir vertrauen müssen“, antworte ich wahrheitsgemäß. Doch kaum habe ich den Satz beendet, folgt ein hysterisches, unnatürliches Lachen.

 

„Vertrauen? Daemon, wenn ich nicht zufällig dort gewesen wäre, wärst du tot! Verstehst du! Wie soll ich dir da vertrauen können? Mit der Angst, dass du jeden Tag, von heute auf morgen einfach nicht mehr zurück kommst?“, fragt sie mit schriller Stimme und fuchtelt vor lauter Verwirrung und Unwissenheit unkontrolliert mit den Armen vor sich her. Ich würde vermutlich genauso reagieren.

Ich schaue sie an, würde gerne etwas antworten, was sie besänftigt. Aber das Schlimme ist: Es gibt nichts. Sie hat Recht. Jeden Tag besteht die Gefahr, dass wir sterben. Mal davon abgesehen, dass ein Autounfall, ein überraschender Herzinfarkt oder etwas dergleichen wohl kaum auftreten wird, kämpfe ich jeden Tag mit meinem Leben. Wenn ich nicht in den illegalen Kämpfen daran zu Grunde gehe, dann ist es früher oder später das Militär. Oder ein wild gewordener Wolf, der sich nicht mehr unter Kontrolle hat.

 

Ein paar Sekunden schaue ich sie an, dann wende ich den Blick zur Seite. Ich überlege, was ich sagen kann, aber bevor ich die richtigen Worte finden kann, höre ich sie nur seufzen.

Für einen Moment bleibt sie still vor mir sitzen. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, wie sie mein Amulett anschaut. Wieder denke ich an ihre Worte: „ Das... ist mir noch nie aufgefallen. Es ist wunderschön“. Immer und immer wieder rufe ich mir die Worte 'Noch nie' in den Kopf. Als würde sie darauf andeuten, mich schon ewig zu kennen.

Im nächsten Moment, tippt sie mir mit ihrem Finger auf die Brust, werde dadurch aus meinen eigenen Gedanken gerissen. Als ich zu ihrem Finger sehe, erkenne ich, wie sie das eine Ende der Binde dort festhält und mich geradezu auffordert, dieses festzuhalten.

Ich tue, wie sie mir befiehlt. Während ich sie ablöse, streifen sich unsere Finger und ich kann nicht anders, als diese klitze kleine Berührung, die sich für mich wie ein angenehmer Stromschlag anfühlt, genießen zu können.

 

Mit ihren Armen langt sie um meinen Oberkörper, um die Binde um mich zu wickeln. Ich kann selbst nicht genau sagen, ob es gewollt von mir ist, oder rein zufällig war. Doch kaum beugt sie sich etwas näher zu mir, streift meine Nase und meine Lippen leicht ihre Wange und über ihren Hals. Ich schließe die Augen, habe das Gefühl, diesen unglaublich einfachen, aber doch irgendwie sehr intimen Moment für immer abspeichern zu können. Ich atme tief ein, nehme ihren Duft in mir auf. Ein angenehmer Duft von Waldluft erfüllt meine Nase, doch den Geruch von Rosenblätter kann ich ebenfalls wahrnehmen. Vermutlich von ihrem Parfüm. Rosen sind meine Lieblingsblumen, hab ich eben beschlossen.

Für den Bruchteil einer Sekunde hält sie inne, als ich sie am Hals berühre und meine Lippen sie streifen, doch dann macht sie weiter, wie zuvor.

 

„Was ist mit deinen Eltern?“, fragt sie irgendwann. Vermutlich, um die unangenehme Stille zu durchbrechen und das Thema zu wechseln, nachdem ich ihr wieder keine Antwort auf ihre vorherige Frage geben konnte.

„Meine Eltern? Was soll mit ihnen sein?“, frage ich leicht verwirrt. Ich mein, es gibt so viele Themen und sie sucht sich ausgerechnet das Thema Familie aus. Nicht gerade der Gesprächsstoff, den ich am meisten liebe.

„Na ja.. du hast sie nie erwähnt und ich habe sie hier auch noch nie gesehen“, sagt sie leise, während sie das Ende des Verbandes einschlägt, damit dieser nicht mehr verrutscht. Ich überlege kurz, ob ich die Wahrheit sagen soll, doch früher oder später wird es sowieso herauskommen.

„Sie sind tot. Unfall..“, sage ich schließlich leise, auch wenn die letzte Bemerkung gelogen ist. Aber so stellt sie keine weiteren Fragen.

Witzigerweise, verließen diese Worte meine Lippen einfacher als gedacht. Und das, obwohl ich immer noch einen Hass auf die Ältesten habe und ihr Tod immer noch nicht ganz überwunden ist.

Sofort schnellt ihr Blick zu mir und das Entsetzen ist ihr offenbar ins Gesicht geschrieben. Die Röte entweicht ihren Wangen und die Augen weiten sich vor Schock.

„Deine Eltern sind...? Ich meine.. T-Tut mir leid.. das wusste ich nicht“.

Sagt sie leicht aufgebracht und ich habe sogar das Gefühl, dass sie diese Nachricht mehr berührt, als es eigentlich sollte. Ich will sagen, dass es ihr nicht leid tun muss, doch erscheint mir das irgendwie sinnlos und auch nicht wirklich angemessen.

 

Sie wartet einen kurzen Moment, um sich zu sammeln. Zumindest hat es für mich den Anschein. Dann greift sie nach einem weiteren Tuch und legt ihre Hand leicht an meine Wange, um meinen Kopf leicht zur Seite zu neigen. Wäre ich nicht so übermüdet und auch körperlich ziemlich am Ende, würde ich dieser Berührung ausweichen. Denn ich weiß, dass ich das nicht zulassen sollte. Je mehr ich zulasse, desto schwieriger wird es mein Geheimnis zu wahren und sie in Sicherheit zu wiegen. Doch viel schlimmer ist es, meine Gefühle dabei zu unterdrücken, weshalb ich leider nicht leugnen kann, dass ich diese Geste mehr als genieße. Ich habe das Gefühl, dass sie mich ein wenig beruhigt und mir in dieser Nacht Halt gibt, nachdem das alles so chaotisch verlaufen ist.

„Was.. ist mit deinem Bruder?“.

„Meinem Bruder? Du kennst Andrew? Woher?“, frage ich doch wirklich sehr neugierig und bin mehr als gespannt, was sie darauf antwortet.

„Ich.. ähm.. hab ihn auf der Straße gesehen und mit dir verwechselt. Ich.. ich wusste ja nicht, dass du einen Zwillingsbruder hast“, sagt sie leicht überfordert und ich habe sogar das Gefühl, dass sie nach Worten suchen muss, um sich zu erklären. Irgendwie erscheint mir das ein wenig seltsam.

„Und... wann..?“, frage ich vorsichtig. Sie kennt mich ja gerade mal zwei Wochen und soweit ich mich erinnere ist Andrew... eigentlich kaum noch als Mensch auf den Straßen unterwegs. Nur noch im Dorf, oder als Wolf streicht er durch die Wälder.

„Vor ein paar Jah-, Tagen. Vor ein paar Tagen“, korrigiert sie sich selbst. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich wirklich erschöpft bin, aber ich meinte, sie wollte Jahre und nicht Tage sagen. Aber.. es hört sich auch ziemlich ähnlich an.

 

Ich belasse es dabei. Sowohl ihr, als auch mir ist anzusehen, dass wir beide ziemlich mitgenommen aussehen und dringend Schlaf benötigen. Wir wären beide nicht in der Lage, jetzt noch ein erfolgreiches Gespräch zu führen, ohne, dass es wieder im Streit endet.

Ich spüre, wie sie immer wieder auf die Wunde an meinem Hals herum tupft und ein paar leicht überhörbare Worte vor sich her murmelt. Ich meine, sie sagt etwas wie: „Ist das ein Biss? Von einem Tier?“, oder etwas dergleichen. Jedenfalls gehe ich nicht darauf ein und hoffe so, dass sie keine weiteren Fragen mehr stellt.

Schließlich klebt sie mir ein überdimensionales Pflaster an den Hals und streicht mir mit ihren Fingerspitzen noch einmal sanft darüber. Ein leicht Gänsehaut überzieht meinen Körper und ich muss aufpassen, dass mich nicht ein zu lauter Seufzer über die Lippen huscht.

Ich weiß, dass ich das nicht zulassen sollte und, dass es nicht fair ist, sie im Unwissen zu lassen. Und es tut mir leid, dass ich sie mehr als ungerecht behandelt habe, aber trotzdem bin ich eine ehrliche Haut. Und ja, wäre sie nicht gekommen, wären es vermutlich wirklich meine letzten Minuten dort gewesen. Wer weiß was jetzt im Moment wäre, wenn sie mich nicht nach Hause gehieft hätte? Ich will es mir gar nicht vorstellen.

„Danke, dass du mir das Leben gerettet hast..“, sage ich schließlich leise und wende meinen Kopf leicht in ihre Richtung, um nach ihrem Blick zu suchen.

Sie entfernt sich wenige Zentimeter von mir, so dass wir uns in die Augen sehen können, doch wendet sie ihre Hand nicht von meiner Wange. Oh Gott.. ich hätte nicht in ihre Augen schauen sollen. Sie ziehen mich in ihren Bann, das Grau zieht mich magisch an. Ich sollte es nicht tun, es ist falsch.

Mein Blick wandert zu ihren Lippen. Und wie oft habe ich mir schon gewünscht, sie einmal schmecken zu dürfen. Alles würde ich dafür tun, sie ein einziges Mal küssen zu können. Doch es geht nicht. Ich bringe sie Gefahr, lasse zu viel zu.

Unsere Gesichter nähern sich, kann den rosigen Duft noch viel intensiver wahrnehmen, was mir sofort den Herzschlag in die Höhe treiben lässt. Nur noch wenige Zentimeter trennen uns voneinander, kann ihren Atem auf meinen eigenen Lippen spüren. Ihr Griff, der von meiner Wange in meinen Nacken übergeht, übt leichten Druck aus, ist aber immer noch zu zaghaft. Zum Glück, denn nur so habe ich die Möglichkeit zu fliehen.

Ich darf es einfach nicht zulassen. Es geht nicht.

„... Danke für alles...“, sage ich schnell, wende meinen Blick ab und bahne mir einen Weg an ihr vorbei. Schnellstmöglich verschwinde ich aus dem Bad, ziehe mich in mein Zimmer zurück und knalle die Tür hinter mir zu. Mit dem Rücken lehne ich mich gegen die Türe und atme einmal tief durch, während ich die Augen schließe. Beruhige dich, spreche ich mir selbst zu und hoffe so meinen extrem schnellen Herzschlag wieder zu senken. Das war knapp.

 

Anders als erwartet, verlief die Nacht sehr ruhig. Nachdem ich ins Zimmer geflüchtet bin und mich ins Bett gelegt hab, bin ich sofort eingeschlafen. War ja auch alles ziemlich nervenaufreibend.

Im Moment stehe ich im Bad und starre für einen Moment in den Spiegel, während ich die Arme auf dem Waschbecken abstütze. Ich habe zwar die Nacht durchgeschlafen, doch sind die dunklen Augenringe deutlich zu erkennen. Meine bernsteinfarbenen Augen kann ich kaum offen halten und meine blonden Strähnen hängen mir leicht ins Gesicht.

Ich klatsche mir eine Hand voll kaltes Wasser ins Gesicht, um wach zu werden.

Vorsichtig löse ich das Pflaster von meinem Hals. Ich meine sogar, dass die Bisswunde schon ein wenig besser aussieht. Allerdings, kann ich das von den drei überdimensionalen Kratzern auf meiner Brust nicht ganz behaupten. Sie leuchten immer noch knallrot und sind auch am Rand deutlich angeschwollen. Es ist eben eine offene Fleischwunde. Das wird eine Weile dauern. Immerhin schmerzt es nicht mehr ganz so heftig, wie gestern, ist aber trotzdem deutlich zu spüren.

 

Schließlich wickle ich meinen Oberkörper wieder ein, wobei ich unwillkürlich an Mel und ihre Hände denken muss, wie sie mir über den Körper streiften. Als sie mir über die Haut strich und ich ihren süßlichen, rosigen Duft einatmen konnte. Dabei mit meiner Nasenspitze und meinen Lippen leicht ihren Hals berührte und ich schließlich in diese fantastischen mausgrauen Augen sehen konnte. Und oh Gott.. wie sehr hätte ich mir gewünscht, sie küssen zu können. Einmal in den Genuss kommen, diese Lippen mit meinen berühren zu können und selbst kosten zu dürfen, wie sie sich anfühlen.

 

Aber es geht nicht. Beinahe hätte ich es zugelassen, dass wir uns zu nahe stehen. Dann würde sie früher oder später die Wahrheit über mich herausfinden und wenn es hart auf hart kommt, schreckt das Militär nicht davor zurück, jegliche Information aus ihr herauszuquetschen, damit sie unsere Schwachstelle erfahren – der Saphir.

Nicht auszudenken, was passiert, wenn sie ihn tatsächlich in die Hände bekommen. Nicht nur, dass der Edelstein uns erlaubt uns zu tarnen und uns unsere Kräfte verleiht. Aber die Höhle, in welcher er versteckt ist, ist dessen Quelle. Da jeder noch so kleine Stein, welcher in unser Amulett eingearbeitet ist, von dem Hauptsaphir stammt, sind wir mit ihm verbunden. Und wenn der Saphir aus der Höhle entnommen werden würde, wäre er von seiner Quelle getrennt und verliert seine Kraft, also auch wir verlieren unsere Kräfte. Wir sind abhängig von ihm.

Das kann ich Mel nicht antun. Zum einen kann ich nicht von ihr verlangen, dass sie unser Geheimnis geheim halten muss. Zum anderen würde ich es mir nie verzeihen, wenn ihr wegen mir etwas geschieht.

 

Ich schließe für einen Moment die Augen. Entweder riskiere ich, dass ihr und meines Gleichen etwas geschieht, dafür kann ich ihr nahe sein, was aber aufgrund ihrer Gefühle nicht einmal sicher ist. Oder ich benehme mich weiter wie ein Arschloch und verletzte sie immer wieder aufs Neue, dafür ist sie in Sicherheit. Auch, wenn ich dafür in Kauf nehmen muss, dass sie mich dafür hasst. Aber lieber lebe ich mit dem Wissen, dass sie mich hasst, weiß aber dafür, dass ich sie beschützen kann.

 

Ich seufze und öffne wieder die Augen. Mein Entschluss steht fest. Ich ziehe mir ein frisches T-shirt über und schmiere über die Bisswunde noch einmal eine dicke Schicht Wund- und Heilsalbe, damit diese dann bald verheilt ist. Dann sind bald nichts weiter als weiße Flecken zu erkennen, so wie die Narbe über meinem Auge.

Ich gehe in die Küche und mache Frühstück. Allerdings kein WEB-Frühstück, sondern beinahe schon ein trostloses und nicht wirklich liebevoll hergerichtetes.. etwas.

Nicht, dass sie es mir nicht Wert wäre, mein Spezialfrühstück herzurichten, aber so wird schnell klar, dass ich mich ihr nicht weiter nähern will und es sich nichts ändern wird, nur weil sie mir das Leben gerettet hat. Beziehungsweise.. ich mich ihr nicht weiter nähern kann.

Ich lege ein Brot auf den Tisch, das glaube ich schon ein paar Tage alt und von daher auch schon trocken aussieht und hart wie Stein ist. Wurst und Käse sind zum größten Teil auch abgelaufen und nicht mehr genießbar. Es ist noch früh und ich hätte eigentlich genug Zeit, noch schnell einkaufen zu gehen. Nötig wäre es zumindest. Aber.. so ist es besser. Jedenfalls ist das alles nicht sehr appetitlich und selbst mir, der essen kann, wie ein Wolf – im wahrsten Sinne des Wortes - vergeht bei diesem Anblick der Appetit.

Tut mir leid, Melody.

„Guten Morgen“, höre ich Melody fröhlich sagen, als sie die Treppe hinunter stapft um mich, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, zu umarmen und küsst mich auf die Wange. Wäre die Situation eine andere, würde ich mich darüber mehr als freuen und aufgrund meines sehr schnell schlagenden Herzens knallrot anlaufen.

Doch um den Schein aufrecht zu bewahren, versuche ich jedes noch so kleine Gefühl zu unterdrücken und werfe ihr einen fragvollen und gleichzeitig wütenden Blick zu.

Sie scheint aus ihrer Trance zu erwachen, denn beschämt schaut sie zur Seite, trotzdem kann ich erkennen, wie sich die Röte bis zu ihrem Hals ausbreitet. Wie süß.
 

Ohne auch nur darauf zu antworten setze ich mich an den Tisch, sie mir gegenüber. Kaum sitzt sie auf dem Stuhl, schaut sie leicht enttäuscht über den nicht gerade liebevoll hergerichteten Frühstückstisch und kramt etwas angewidert die Wurstschüssel durch.

„Wie geht’s dir? Hast du noch starke Schmerzen?“, fragt sie, nachdem wir uns eine Zeit lang nur angeschwiegen haben und eine peinliche Stille den Raum erfüllte.

„Passt schon.“, antworte ich kalt und vermeide es, ihr dabei auch nur ansatzweise ins Gesicht zu sehen, doch antwortet sie darauf nicht mehr. Die Botschaft, die ich ihr leider zukommen lassen muss, ist also angekommen.

„Ich.. hab nachher noch ein Fotoshooting, aber wenn du willst, können wir danach etwas zusammen machen“, sagt sie leicht nervös, während sie die erste trockene Scheibe Brot mit Butter bepinselt.

„Keine Zeit“, antworte ich, mehr oder weniger, wahrheitsgemäß. Ich hatte vor mit Andrew über Mel zu reden, aber das müsste natürlich nicht ausgerechnet heute sein. Es war zumindest geplant.

„Ach so, schade. Aber, vielleicht wann anders?“, fragte sie und als ich ihr einen kurzen abwertenden Blick zuwerfe, kann ich erkennen, wie sich ein kleines, sehr unsicheres Lächeln auf ihren Lippen widerspiegelt, sich in ihren Augen aber die Hoffnung breit macht.

„Da hab ich dann auch keine Zeit“, gebe ich erneut kalt zurück und hoffe, dass sie mich nicht weiter löchert, um unangenehmeres zu vermeiden. Trotzdem muss ich mir ebenfalls ein nervöses Lächeln unterdrücken, denn es freut mich natürlich, dass Mel Zeit mit mir verbringen will, obwohl ich sie wie unter aller Sau behandelt habe. Ich an ihrer Stelle, würde das wahrscheinlich nicht wollen.
 

Ich zucke kurz zusammen, als sie das Messer lautstark auf dem Tisch ablegt und mich mit einer Mischung aus Trauer und Wut anschaut.

„Sag doch einfach, dass du nichts mit mir unternehmen willst, anstatt dich wieder wie ein Arsch aufzuführen und mich ins Leere laufen zu lassen!“.

Sagt sie mit gereizter Stimme, was mich aber witzigerweise anzieht. Ich habe sie noch nie so erlebt. Immer war sie das liebe und brave Mädchen, die ihre Verletzlichkeit nur zu deutlich zeigt. Aber diese Wut und gleichzeitig die Leidenschaft, die sie in ihrer Stimme aufbringt, lassen mich verrückt werden. Trotzdem darf es nicht sein.

„Es geht nicht nur darum, dass ich nichts mit dir unternehmen, sondern darum, dass ich überhaupt nichts mit dir zu tun haben will. Überall, wo ich bin, bist du auch. Egal, ob in der Küche, im Bad oder sonst wo. Sogar im Wald hast du mich aufgesucht“, bricht es dann plötzlich aus mir heraus. Mir ist klar, dass das kein wirklich logisches Argument ist, denn wir wohnen schließlich zusammen und da lässt es sich nicht vermeiden, sich über den Weg zu laufen.

„Wenn ich dich daran erinnern dürfte, wärst du jetzt Wolfsfutter, wenn ich dich nicht im Wald gefunden hätte! Zudem habe ich dich nicht aufgesucht, sondern bin zufällig dort vorbei gekommen!“.

Ha Ha, Wolfsfutter – beinahe hätte ich sogar gelacht. Dieses Mal antwortet sie lauter, was mich gleich wieder einmal mehr beeindruckt. Wie ich es doch liebe, wenn sie mir widerspricht und keine Scheu davor hat mir doch mal die Meinung zu geigen. Es macht ein Mädchen gleich viel attraktiver, wenn sie es sich nicht gefallen lässt, sich herum kommandieren zu lassen.

„Warum hast du mich dann überhaupt bei dir einziehen lassen, wenn ich dich sowieso ununterbrochen nerve! Ich hab keine Lust mich ständig von dir erniedrigen lassen zu müssen!“, fragt sie wütender, während sich ihre Wangen feuerrot färben, weil ihr das Blut vor Adrenalin in den Kopf schießt.

„Sehr gute Frage! Dann hau doch ab, wenn du kein Bock mehr auf den Shit hier hast!“, bricht es plötzlich aus mir heraus und schon im nächsten Moment bereue ich das, was ich gesagt habe. Denn ich will nicht, dass Mel auszieht und.. mich verlässt. Die Worte schossen mir durch den Kopf und waren schneller ausgesprochen, als ich es mir eigentlich gewünscht hatte, wofür ich sofort die Rechnung bekomme.
 

Mels Gesichtsausdruck wird auf einmal aschfahl und die Röte verschwindet schneller, als mir lieb ist. Ihre angespannten Muskeln erschlaffen und ihr Mund öffnet sich geschockt, doch sie kann nichts sagen. Ich habe sie verletzt. Kein Tag vergeht, an dem ich das nicht schaffe. Ihre Schultern hängen auf einmal zu Boden und ich kann sehen, wie sich eine Träne über ihre Wange bahnt. Ich schließe die Augen und schlage die Hände vors Gesicht. Dann schaue ich sie wieder an, da läuft ihr bereits die zweite Träne herunter und die Unterlippe beginnt leicht zu zittern. Ich will gerade dazu ansetzen, etwas zu sagen, da erhebt sie sich von ihrem Stuhl und schaut mich vorwurfsvoller an, als je zu vor.

„Du kannst mich mal..“, sagte sie ruhig, beinahe schon bedrohlich, was mir umgehend das Herz zusammenziehen lässt. Ich sehe nur noch, wie sie auf einmal aus der Küche rennt und schließlich die Treppen hoch verschwindet. Noch bevor sie ihre Zimmer Türe lautstark zuknallt, dass sogar die Möbel wackeln, höre ich deutlich, wie sie laut schluchzt und beginnt zu weinen. Super, mir ist der Appetit vergangen.

Dabei, hab ich doch eigentlich genau das erreicht, was ich wollte. Mel hasst mich. Aber leider, schmerzt dieser Gewinn mehr, als ich es mir erhofft hatte.
 

Eine angenehme Wärme und ein leichtes Kribbeln umhüllt mich. Aber auch ein Brennen in meiner Brust ist deutlich spürbar, als ich die Worte „Verwandle mich“ in meinem Kopf spreche und ich mich wieder mal in einen schneeweißen Wolf verwandle.

Mit gespitzten Ohren und aufrechter Haltung stolziere ich durch den Wald, immer wachsam, dass keine Menschen in der Nähe sind, die uns gefährlich werden könnten.

Ein letztes Mal schaue ich mich um, bevor ich wieder das Tor zu unserem Dorf betrete, in dem ich unter zwei bestimmten Bäumen hindurch laufe.

Als ich in meine wirkliche Welt, in die ich normalerweise hingehöre, eintauche, begegne ich schon den ersten Wölfen und Menschen, die mich freundlich grüßen. Anstandshalber grüße ich natürlich zurück, obwohl ich keine Ahnung hab, wer das alles ist.

Ohne wenn und aber mache ich mich auf die Suche nach Andrew. Ich dachte eigentlich, ich würde ihm am See treffen, aber dort war er nicht.

Als ich mich ein wenig nach ihm umsehe, sind kaum noch Spuren vom frühsten Kampf zu sehen. Ein paar Einkerbungen der abgeschossenen Patronen, die das Militär abfeuerte, sind noch an vereinzelten Holzstangen zu sehen oder liegen auf dem Boden, aber sonst erinnert kaum noch etwas an das Ereignis. Bis noch auf die Kleinigkeit, dass beinahe jedes Zelt und jede Hütte neu aufgestellt werden musste.
 

Schon nach wenigen Minuten finde ich meinen Zwillingsbruder am Rande des Dorfes. Er liegt in Wolfsgestalt auf dem Boden und hat seinen konzentrierten Blick auf die Welpen gerichtet. Diese scheinen wohl gerade kämpfen zu üben, während Andrew versucht wohl jede noch so kleine Bewegung von ihnen einstudieren zu wollen.

Wow, als ich die drei das letzte Mal gesehen hab, waren sie gefühlt nur halb so groß. Jetzt reichen sie mir, wenn sie aufrecht stehen, in etwa bis zur Brust.

Ich nähere mich ein paar Schritte und mache mich bereits vom Weiten mit einem einfachen Bellen bemerkbar, um ihn nicht vollkommen zu erschrecken.

Als er mich sieht erhebt er sich und wirft Tick, Trick und Track ein ernstes Bellen zu, was ihnen wohl zeigt, dass sie Pause haben.

„Was für eine Überraschung dich hier zu treffen, Daemon. Was machst du hier?“, fragt mein Bruder tatsächlich etwas irritiert, aber dennoch glücklich.

„Freue dich nicht zu früh, ich bin hier, weil ich dich etwas fragen will“, beginne ich schließlich in einem etwas ernsteren Ton, was mich auch selbst überrascht.

„Warum hast du mir nicht erzählt, dass du Melody kennst?“, frage ich vorwurfsvoller, als ich es eigentlich geplant hatte.

Andrew verdreht leicht die Augen und bleibt dann kurz vor mir stehen.

„Weil es nicht wichtig ist. Ich muss dir nicht jede Kleinigkeit erzählen und du musst nicht auf mich aufpassen. Du bist nur sechs Minuten älter“, rechtfertigt sich mein Bruder und schaut dann zu den Kleinen, um sie im Auge zu behalten.

„Sechs Minuten und zweiunddreißig Sekunden. Wie hast du sie kennen gelernt?“, frage ich, obwohl Mel mir diese Frage eigentlich schon beantwortet hat. Aber aus irgendeinem Grund, wollte ich ihre Aussage doch nochmal bestätigt haben. Nicht, dass ich ihr nicht glauben würde, aber dass sie sich selbst korrigieren musste, hinterlässt doch einen eigenartigen Nachgeschmack. Aber auch Andrew bestätigt mir, dass Melody ihn vor ein paar Tagen mit mir verwechselt hat. Also muss es wohl stimmen.

„Warum warst du in der Stadt? Seit dem Tod von Mum und Dad bist du doch noch nie außerhalb des Dorfes gewesen“, frage ich dann doch ziemlich skeptisch. Seit ihrem Tod hat sich mein Bruder vollkommen ins Dorf zurückgezogen und ich habe ihn seit dem auch noch nie in der Stadt gesehen.

„Ich musste nach dem Angriff auf das Dorf einfach mal raus und den Kopf frei bekommen. Es war reiner Zufall, Daemon. Außerdem.. ist sie süß“.

„Süß?“, frage ich ihn ungläubig und muss aufpassen ihm nicht gleich an die Kehle zu springen.

Andrew hingegen muss nur leicht lachen und schaut dann wieder zu mir.

„Ja, süß. Sie ist klug und nett. Und du kannst nicht leugnen, dass sie gut aussieht“, fügt er noch hinzu und schaut mich mit einem schelmischen Grinsen an, welches ich ihm am liebsten aus dem Gesicht kratzen würde.

Mir gefällt nicht, dass er das sagt. Nein, es macht mich wütend und ich merke genau, wie wenig es mir passt, dass er Melody mag. Offensichtlich ein wenig zu sehr mag.

In mir staut sich die Eifersucht auf, denn mein Bruder hat Recht. Sie ist wirklich süß. Ich habe ihre Liebe nicht einmal verdient, so wie ich sie behandle, aber trotzdem ist sie immer nett und freundlich. Von ihrem Aussehen ganz zu schweigen.

Und es macht mich vollkommen kirre, weil ich weiß, dass ich nicht der einzige bin, der dies an ihr schätzt.
 

Ohne auch nur darauf zu antworten, da ich nicht garantieren kann, dass ich meine Krallen noch viel länger bei mir behalten kann, drehe ich mich um, um das Dorf wieder zu verlassen.

Doch ich komme nicht weit, da ich von einem weiteren Wolf aufgehalten werde. Zumindest von seinem Anblick, denn dieser steht mehrere Meter von mir entfernt, doch sein Blick durchbohrt mich, so dass ich sogar kurzzeitig befürchte, er könne meine Angst spüren, die sich in meinem Körper ausbreitet, wenn ich in diese rachsüchtigen smaragdgrünen Augen sehe.

Der schwarze Wolf, dessen Name mir immer noch unbekannt ist und es hoffentlich auch für immer bleiben wird, bleibt wie angewurzelt stehen, genauso wie ich. So wie es aussieht, war er wohl gerade dabei ein rohes Reh zu zerfleischen, denn es liegt nicht viel mehr als Haut und Knochen eines Wildviehs vor ihm. Das frische Blut, läuft aus seinem Maul, tropft auf dem Boden. Mit der Zunge fährt er sich über die rot gefärbten Zähne, lässt seinen Blick nicht von mir ab.

Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich an unsere letzte Begegnung denke und ich mir ausmale, dass das zerfetzte Reh eigentlich auch ich sein könnte.

Ich kann es nicht deuten, aber er nickt nur leicht und kümmert sich dann wieder um seine Mahlzeit. Ich weiß immer noch nicht, was das zu bedeuten hat, aber es bereitet mir ein ungutes Gefühl im Bauch und ich befürchte, dass da auch noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.
 

„Daemon, warte!“, reißt mich plötzlich Andrew aus meinen Gedanken und schließt zu mir auf. Noch immer starre ich auf den Unbekannten, der Blick meines Bruder folgt meinem. Er scheint zu bemerken, dass etwas vorgefallen sein muss, doch er fragt nicht. Auch von dem Zwischenfall am See scheint er nichts bemerkt zu haben, da er nicht nachfragt, geschweige denn, deutet auch nichts darauf hin. Mein Fell ist wieder gesäubert und dicht genug verwachsen, dass die Wunden am Rumpf kaum zu sehen sind. Muss ja ein Vorteil haben, einen von Fell überzogenen Körper zu haben.

„Morgen ist die Zeremonie der Kleinen. Wirst du kommen?“, fragt er schließlich, tritt vor mich, um mir in die Augen zu sehen und mir somit das Sichtfeld zu versperren.

Wenn ich ehrlich bin, wäre ich sogar sehr gespannt, wie diese Zeremonie abläuft, da ich mich an meine nicht erinnern kann und gern wissen würde, ob es wirklich so fantastisch ist, wie immer alle sagen. Man spricht von einer unterirdischen Höhle, die einer Tropfsteinhöhle ähnelt und von einem royalblauen Licht erhellt werden soll, welches vom Saphir abgegeben wird.

Außerdem habe ich vielleicht die Chance, mich an meine Vergangenheit zu erinnern. Zumindest an einen kleinen Teil.

Ich schaue ihn an, wende meinen Blick dann zur Seite und erblicke dann die Kleinen, die fröhlich im Dreck spielen und keinerlei Sorgen haben. Ob Andrew und ich uns damals auch so benommen haben?

„Sie haben die Prüfungen wirklich gut gemeistert. Es dürfte kein Zweifel bestehen, dass sie bestanden haben und nun als vollwertiges Mitglied anerkannt werden. Ich bin mir sicher, dass sie ihr Amulett bekommen. Ich weiß doch, dass du trotzdem an den Dreien hängst.“, versucht mich Andrew noch einmal zu überreden.

Ich habe nicht daran gezweifelt, dass sie die Prüfung bestehen werden. Dafür sind sie viel zu aufgeweckt und lebenslustig, als sich ihre Zukunft durch so einen Mist, einer völlig schwachsinnigen Prüfung, zu verbauen. Denn solche Wölfe benötigen wir für den Schutz der Ältesten, die ja dann morgen auch dabei sein werden. Vielleicht sollte ich mir das Ganze nochmal überlegen. Sie suchen Wölfe, die sich gut in das Dorf integrieren können und den Ernst der Lage verstehen. Jede Sekunde genießen, aber trotzdem einsatzbereit sein können, wenn es darauf ankommt – also nicht solche, wie mich. Damit sind Tick, Trick und Track wohl wirklich die beste Wahl.
 

„Na schön. Ich werde morgen da sein“, gebe ich genervt von mir und hoffe, dass das Ganze wirklich so wird, wie ich mir das Vorstelle und mir auch helfen wird. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich es auch für die Welpen mache. Ich hab sie doch irgendwie liebgewonnen, aber auf sie aufpassen kann ich trotzdem nicht. Andrew ist derjenige von uns beiden, der ein warmes Herz hat und mit Kindern umgehen kann, nicht ich.

Ganz kurz tippt er mich mit seiner Schnauze an, wohl um mir zu danken, oder es zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Dann folgt ein bestimmtes, ernsteres Bellen seinerseits und schon stehen die Welpen in Reihe und Glied neben ihm.

Ich kann nur staunen, wie gut Andrew sie in der kurzen Zeit trainiert hat. Denn wenn man sie so sieht, glaubt man nicht daran, dass sie vor etwas mehr als zwei Wochen ihre Mutter verloren und ihre Prüfung abgelegt haben. Womöglich hat die Wölfin schon gute Vorarbeit geleistet. Nun sitzen sie hier und strahlen etwas aus, was jede Mutter stolz machen würde, wenn ihre Kinder am morgigen Tag ihr Amulett bekommen. Sie sitzen wirklich, wie drei junge Beschützer des Dorfes da. Gerader Rücken und die Brust nach vorn gerichtet. Schnauze hoch und die Augen fixieren einen unsichtbaren Punkt, der ihre volle Konzentration erlangt. Sie werden so schnell erwachsen.
 

Ich muss mir ein kleines Lachen verkneifen, obwohl ich mir nicht mal erklären kann, warum ich lachen muss.

Mit einem weiteren kurzen Anstupsen verabschiede ich mich von Andrew und den Kleinen. Ich werfe zwar noch einen Blick zu dem schwarzen Wolf, doch er ist nicht mehr zu sehen. Nur noch die Reste seiner Beute deuten darauf hin, dass er einmal dort gestanden haben muss.

Ich gehe also wieder durch das Tor und mit einem weiteren Wimpernschlag stehe ich auch schon wieder im altbekannten Wald. Mit schnellen Schritten eile ich zum Waldrand und verstecke mich hinter einem Baum, bevor ich wieder auf die Straßen gehe. Mit den Worten „Verwandle mich zurück“ verwandeln sich innerhalb von Sekunden meine Klauen wieder zu Händen und Füßen und aus der langen Wolfsnase wieder eine kleine Menschenstupsnase.

Dann muss ich nur noch meine Beine in die Hand nehmen und nach Hause gehen, doch dort erwartet mich etwas völlig anderes, als eigentlich geplant.

Und zwar Melody. Mit gepackten Koffern.

„W-Was hast du vor?“, frage ich mit leiser Stimme, als sie ihren dunkelblauen Maxi-Koffer die letzte Stufe herunter hieft und sich auf den Boden kniet, um ihre Schuhe anzuziehen, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.

„Nach was sieht es aus, Daemon? Ich verschwinde, ich ziehe aus“, sagte sie in einem lauten, bestimmten Ton, der ihre Trauer und ihre Wut deutlich zum Ausdruck bringt, während sie energisch den Reißverschluss ihrer Stiefel zuzieht.

„Ausziehen? Aber warum? Wo willst du denn hin?“, frage ich geschockt und ja, ich mache mir Sorgen. Wenn ich mir nur vorstelle, dass sie irgendwo auf der Straße herumirrt und die Nacht alleine in der Dunkelheit verbringen muss, stellen sich mir die Nackenhaare auf.

„Ich hab einfach kein Bock mehr, mich von dir anzupampen an anmaulen zu lassen! Ich werde schon was finden“.

Sie wird schon was finden? Das heißt, sie hat nicht mal einen Ort, wo sie unterkommt. Das wollte ich nie. Nie hatte ich das Ziel, dass sie wie ein obdachloser im Park auf einer Bank schläft. Vor allem sind wir hier in der Nähe vom Wald, wo die Straßen nachts nicht sonderlich beleuchtet werden und auch nicht genug Menschen auf der Straße sind, wenn etwas passieren sollte. Sollte ihr wegen mir etwas passieren, nur weil ich sie vergrault hab, würde ich mir das ein Leben lang vorwerfen. Ich kann sie nicht gehen lassen. Ich will sie doch nur beschützen.

„Mel.. komm schon. Ich hab es nicht so gemeint“, versuche ich sie zu beruhigen und will sie daran hindern diese Türschwelle ein aller letztes Mal zu überqueren.

„Nein, Daemon. Ich kenne dich inzwischen lange genug, um zu wissen, dass das, was du sagt, immer ernst gemeint ist“, protestiert sie und richtet sich nun auf, um mich anzusehen. Das schlimme ist allerdings, dass sie Recht hat. Alles was ich sage, meine ich ernst. Wenn es sie ankotzt, wie ich mit ihr umgehe, soll sie ausziehen. Das Problem ist, dass ich das nicht will. Ich bereue zwar, was ich gesagt habe, trotzdem ist meine Meinung immer noch die Selbe, auch wenn mir das nicht passt, wie sich Melody entscheidet.

„Ach Melody... die letzte Nacht war hart und ich bin einfach noch ein wenig übermüdet. Nimm es dir doch bitte nicht so zu Herzen“, versuche ich sie erneut zu beruhigen. Würde allerdings so jemand mit mir reden, würde ich demjenigen wahrscheinlich eine scheuern.

Ihre Augen verengen sich schmalen schlitzen, die Lippen presst sie aufeinander und ich kann erkennen, wie sie gegen ihre Tränen ankämpft.

„Lass deine schlechte Laune nicht an mir aus! Egal, was ich mache, es ist falsch. Du behandelst mich, als wäre ich jemand nutzloses, der es nicht Wert ist respektvoll behandelt zu werden. Ich weiß, dass das mit mir scheiße ist, aber ich kann doch nichts dafür. Ich verstehe einfach nicht, was ich getan habe, warum du mich so sehr hasst, dass du mich nicht mehr kennen willst. Wir waren Freunde Daemon...“, beginnt sie wütend, doch je länger sie versucht sich zu rechtfertigen, desto dünner und zitternder wird ihre Stimme, ihre Augen glasiger.

Aber, ich verstehe sie nicht. Was genau, ist scheiße an ihr? Dass sie hier wohnt? Ich will sie nicht kennen? Wovon redet sie? Wir [style type="italic"]waren[/style] Freunde? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir uns je gut verstanden haben, als sie bei mir eingezogen ist. Aber hassen, kann ich sie auch nicht.
 

Ich will etwas sagen, doch kein Ton verlässt meine Lippen. Ich bin überfordert, von ihren Worten, ihren Andeutungen oder auch Behauptungen und ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Ich verstehe nur Bahnhof.

„Du hast dich verändert Daemon... seit dem Unfall bist du nicht mehr du selbst..“.

„Warte! Unfall? Du weißt davon?“, frage ich geschockt und starre sie mit einer Ungläubigkeit an, die ich selbst von mir nicht gewohnt bin. Denn ich bin mir zu tausend Prozent sicher, dass ich ihr nie davon erzählt habe.

„Was soll das heißen „Du weißt davon?“? Ich war dabei!“.

Beinahe schon verzweifelt schreit sie mich an und nun rinnt ihr auch die erste Träne über die Wange.

Melody war dabei? Das heißt, wir hatten den Unfall gemeinsam, was wiederum bedeutet...
 

Ich kann meine Gedanken nicht zu Ende bringen, denn mit einem Mal greift sie nach ihrem Koffer und schiebt sich an mir vorbei. Ohne auch darüber nachzudenken, packe ich Mel am Handgelenk, um sie davon abzuhalten mich zu verlassen.

„D-Du warst bei dem Unfall dabei? Das heißt, wir.. wir kannten uns schon bevor du hier eingezogen bist.“, stelle ich fest und spreche eigentlich mehr mit mir selbst, als mit ihr.

„Natürlich! Daemon, wir waren die besten Freunde. Ich kann einfach nicht verstehen, warum du mich vergessen willst“.

„Mel ich will dich nicht vergessen. Ich habe dich vergessen..“, beginne ich und versuche mich irgendwie zu erklären. Aber sie schaut mich nur mit einem Blick an, der eine Mischung aus Wut und Verständnislosigkeit zeigt. Das war wohl nicht gerade die beste Antwort.

Sie schnieft einmal und will sich von mir wegreißen, doch ich lasse sie nicht los. Denn wenn ich sie jetzt gehen lassen, verliere ich sie für immer.

„Genauer gesagt, kann ich mich an nichts erinnern. I-Ich habe bei dem Unfall mein Gedächtnis verloren...“, sage ich leise, es ist beinahe nur ein flüstern. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Es ist nicht viel mehr, als ein Flehen, eine Verzweiflung, mit der ich zu ihr spreche.

Ihr angespannten Gesichtszüge lockern und die wunderschönen mausgrauen Augen weiten sich. Ihr Mund bleibt einen Spalt offen stehen und die Wut, die sie zuvor noch erfüllt hat, verblasst auf einmal in, ich kann es nicht ganz deuten, Verständnis?

„Du.. kannst dich wirklich nicht an mich erinnern?“, fragt sie ebenfalls leise und kommt wieder einen Schritt auf mich zu, schaut mir direkt in die Augen. Vermutlich sucht sie nach einer Lüge, aber wie soll ich sie anlügen, wenn ich sie vergessen habe? Ich schüttele nur langsam mit dem Kopf, senke meinen Blick zu Boden, weil ich ihr Mitleid nicht sehen will.
 

Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Ich habe meine beste Freundin wieder gefunden, eine Person, der ich vertrauen sollte und die vermutlich immer für mich da war. Und ich habe nichts besseres zu tun, als sie wie Abschaum zu behandeln und ihr das Herz zu brechen. Wie gern würde ich mich am liebsten selbst Ohrfeigen.

Ohne, dass ich darauf auch nur irgendwie hätte reagieren können, nimmt mich Melody in den Arm. Sie stellt sich auf Zehnspitzen, um mir ihre Arme um den Nacken zu legen und mich festzuhalten. Kurz bin ich überwältigt, denn mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Schließlich schlinge auch ich meine Arme um ihren schmalen Oberkörper und ziehe sie fest an meine Brust. Ich dachte, sie würde mich einfach stehen lassen und mich nicht mal mehr mit ihren süßen vier Buchstaben anschauen. Aber ich habe schon in den letzten Tagen gemerkt, dass sie ein warmes Herz hat und immer erst an die anderen denkst, bevor sie ihren eigenen Bedürfnissen nachkommt. Sie ist erfüllt von Liebe und jetzt im Moment danke ich ihr mehr dafür, dass sie einfach nur da ist, als sie es wahrscheinlich vermutet.
 

„W-Was ist denn das letzte, woran du dich erinnerst?“, fragt sie schüchtern, nachdem sie sich wieder von mir gelöst hat und mich ein wenig unsicher anschaut.

„Nichts.. ich weiß nur, dass ich im Krankenhaus aufgewacht bin und Andrew neben mir saß. Ich weiß nicht mal, ob ich ihm geglaubt hätte, dass er mein Bruder ist, wenn wir keine Zwillinge wären“, sage ich ebenso leise und schau beschämt zur Seite.

Ihrerseits folgt nur ein kleines Nicken und für einen kurzen Augenblick schweigen wir beide. Eine unangenehme Spannung liegt zwischen uns und ich habe einfach keine Ahnung, wie das jetzt zwischen uns weitergehen soll.

Aus ihrer Tasche kramt sie dann ein kleine Foto heraus. Sofort erkenne ich es wieder. Die dunklen Ränder und die abgerissene oder gar abgebrannte Ecke erinnern mich sofort wieder daran, als ich sie im Wald gesehen habe, und wie traurig sie darauf geschaut hat.

Kurz schaut sie es an, dann huscht ihr ein unsicheres Lächeln über die Lippen. Sie drückt mir das Bild in die Hand, schaut mich erwartungsvoll an.

Als ich meinen Blick senke, erkenne ich zwei Kinder, vielleicht zwischen sieben und acht. Ein Junge und ein Mädchen. Sie wirken glücklich, so als ob sie keine Sorgen in ihrem Leben haben. Sie stehen Arm in Arm da und grinsen bis über beide Ohren. Aber auch ich muss lächeln, als ich die Hasenohren erblicke, die der Kleine mit seinen Fingern bildet und hinter dem Kopf des Mädchens hervorschauen lässt.
 

„Das sind wir...“, erklärt sie leise und wischt sich die einzelne Träne weg, die bereits vorhin über ihre Wange gelaufen war.

Ja, es ist offensichtlich eine Ähnlichkeit zu erkennen. Der Junge hat die selben bernsteinfarbenen Augen und immer noch die gleichen strohblonden Haare, wie ich. Das Mädchen ist Melody aus dem Gesicht geschnitten und hat das gleiche bezaubernde Lächeln, wie sie.

„Erinnerst du dich...?“, fragt sie erneut und ich spüre, dass sie wirklich hofft, dass ich ihr die Frage bejahen kann, doch so sehr ich versuche mich zu erinnern, es klapp einfach nicht, weshalb ich sie mit einem leichten Kopfschütteln schon wieder enttäuschen muss.
 

Inzwischen sitzen wie auf der Couch. Wie wir dort hin gekommen sind, weiß ich nicht mal mehr genau. Noch immer halte ich das Bild in den Händen und betrachte unser altes Kinderfoto. Dabei starre ich mehr auf sie, als auf alles andere und versuche irgendwie, dieses Ereignis wieder in meine Erinnerungen zu rufen, aber es passiert einfach nichts.

Immer wieder streiche ich mit dem Finger über die leicht abgebrannte Ecke, so als ob ich es mit ein paar Berührungen reparieren könnte. Der Zustand des Bildes lässt nur erahnen, in welchem Chaos das ganze geendet haben muss.

„Ich konnte es gerade noch aus dem Auto holen bevor es völlig verbrannt ist“; sagt sie schließlich leise, als sie meine monotonen Bewegungen bemerkt.

„Was ist denn passiert?“, frage ich ebenso leise und habe eigentlich schon angst, alles darüber zu erfahren. Natürlich habe ich Andrew gefragt, aber er sagte nur, dass er nichts wisse und die Polizei nur etwas von einem Autounfall gesagt habe.

Melodys Blick, der bis eben auch noch auf dem Foto ruhte, wendet sich nun zu Boden und ich höre,wie sie einmal tief durchatmet.

„Wir wollten an die Nordsee. Einfach mal für ein paar Tage weg und den ganzen Stress vergessen. Aber wir haben uns gestritten, wie so oft in der letzten Zeit. Und mal wieder wegen Andrew“, sagt sie leise und sie muss kurz pausieren.

Ich überlege, ob ich dazwischen reden soll, entscheide mich aber dagegen, da es ihr offensichtlich schwer fällt darüber zu reden.

„Es hat ein paar Wochen zuvor angefangen, dass wir uns immer häufiger wegen ihm gestritten haben. Du sagtest, ich solle mich von ihm fernhalten und nicht mehr in seine Nähe gehen. Ich hab die Welt nicht mehr verstanden, weil wir drei eigentlich immer gute Freunde waren. Von heute auf morgen warst du auf einmal so abweisend, ihm gegenüber“.

Wir haben uns wegen meinem Bruder gestritten? Aber ich verstehe nicht warum. Hätte Andrew mir so etwas nicht erzählt?

„Jedenfalls... wollte ich das nicht, weil er trotzdem auch mein Freund ist und du mir nie einen Grund dafür genannt hast. Wir haben uns angeschrien und dann... sind wir von der Straße abgekommen“.

Ich weiß nicht genau, was ich darauf sagen soll. Noch immer starre ich auf das Bild, schenke aber nur ihr meine Aufmerksamkeit.

Natürlich, die Beziehung zu meinem Bruder ist immer noch nicht das Beste, aber ich komme gut mit ihm aus – zumindest für meine Verhältnisse. Aber es ist trotzdem so, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen und ich habe stark das Gefühl, dass es etwas gibt, was Andrew mir verheimlicht und wovon Melody nichts weiß. Kurz glaube ich sogar, es ist ganz gut mein Gedächtnis verloren zu haben.
 

Ein paar weitere Minuten vergehen, die wir schweigend neben einander verbringen. Als ich mich endlich dazu zwingen kann, nicht mehr wie ein Abhängiger mich an dieses Bild festzukrallen, hebe ich es Melody vor die Brust, damit sie es wieder an sich nehmen kann. Doch sie schenkt mir nur ein kleines Lächeln.

„Behalte es... ich glaube du brauchst es dringender, als ich“. Ich weiß zwar nicht, ob das positiv oder negativ gemeint ist, aber ich bin ihr trotzdem dankbar, dass ich es behalten darf. Wer weiß, wozu es mir verhilft.

„Warum... hast du dich nie gemeldet, nach dem Unfall?“, frage ich ehrlich gesagt etwas zögerlich, nachdem ich das Bild auf den Tisch gelegt habe und sie mit einem neugierigen Blick anschaue.

„Bei dem Unfall... ist einiges schief gegangen. Und ich... ich habe...“, ihr bleiben die Worte im Halse stecken und ich sehe, wie ihr erneut eine Träne die Wange hinunter läuft. Ihr entweicht die Farbe aus dem Gesicht und als ich meine Hand leicht auf ihre lege, ist diese eiskalt. Mir wird es ganz mulmig und ich fürchte mich davor, was sie mir gleich sagen wird – wenn sie es überhaupt sagen wird. Doch sie beendet ihren Satz nicht. Sie schließt ihre Augen, presst ihre Lippen leicht zusammen. Dann steht sie einfach auf und geht aus dem Wohnzimmer, die Treppen hinauf in ihr Zimmer.
 

Ich bin etwas überfordert, weiß nicht genau, was ich machen soll. Soll ich ihr nach? Oder sie lieber in Ruhe lassen? Auf der einen Seite würde ich sie einfach nur liebend gern in den Arm nehmen, um sie zu trösten. Aber auf der anderen Seite, denke ich, dass sie einfach nur Zeit für sich braucht.

Doch mein Egoismus ist stärker, vielleicht ist es dieses mal auch reine Fürsorge. Nachdem ich ein paar Sekunden vollkommen regungslos da saß, entscheide ich mich doch dafür, ihr nachzugehen. Ich weiß immer noch nicht, ob es die richtige Entscheidung ist, aber ich habe das Gefühl, jetzt für sie da sein zu müssen.

Aber als ich zu ihrem Zimmer trete steht sie da. Einfach nur da. Bewegungslos und vollkommen steif vor dem Spiegel. Sie starrt ihr Spiegelbild an, so als ob sie sich zum aller ersten mal sehen würde. Nur in ihrem langen Oberteil, ohne Hose, was ihr nicht ganz bis zum Knie reicht, ober dennoch lang genug ist, um alles wichtige zu verdecken.

Ich erkenne, wie ihre Schultern leicht beben. Immer wieder ist ein kleines Schluchzen und Schniefen wahrzunehmen, was mir sofort das Herz zusammenziehen lässt.

Doch so gern ich diesen Anblick auch genießen würde, bleibt mir beinahe das Herz stehen und ich merke, wie mir auf einmal ganz anders wird. Ohne mich selbst im Spiegel sehen zu müssen, weiß ich, dass mein Gesicht aschfahl und mir jede Selbstsicherheit aus dem Körper entwichen ist. Denn es gibt eine ganz bestimmte Stelle, von der ich meinen Blick nicht mehr abwenden kann. Genau. Von ihrem Bein.

Noch immer starre ich auf ihr Bein. Ich kann meinen Blick nicht abwenden, so sehr ich es auch versuche. Die Prothese zieht mich beinahe magisch an, sorgt dafür, dass mir die Farbe aus dem Gesicht weicht und kein Ton mehr meine Lippen verlässt.

„Als ich zu mir gekommen bin, hab ich dich gesehen. Du warst bewusstlos und ich hab versucht dich aufzuwecken, aber du hast nicht auf mich reagiert“, beginnt sie. Wird aber durch ihr eigenes Schluchzen unterbrochen und muss für einen Moment pausieren. Auch sie starrt das künstliche Bein ihres Spiegelbildes an.

„Dann kamen auch schon die Sanitäter. Sie haben dich aus dem Wagen gezogen, während die Feuerwehrleute versucht haben die Beifahrertür zu öffnen, aber sie hat geklemmt. Plötzlich gab es einen lauten Knall. Ich erinnere mich noch daran, wie ich glaubte nie wieder hören zu können. Dann spürte ich nur noch einen einzigen Schmerz, der sich von meinem Fuß, bis über mein komplettes linkes Bein gezogen hat. Es ist wie, als würdest du in eiskaltes Wasser springen und millionen von Nadelstichen spürst, nur hundert Mal schlimmer“.

Sie dreht sich zu mir herum, erst jetzt kann ich meinen Blick davon lösen und ihr in die Augen sehen.

Das Weiß ihrer Augen ist gerötet, ihre Wangen zeichnen deutliche Spuren ihrer Tränen und ihre Schultern hängen beinahe schon verzweifelt zu Boden.
 

Ich kann nicht anders, gehe einen Schritt auf sie zu und nehme Melody in den Arm.

Automatisch schmiegt sie sich an meine Brust, ich lege meine Arme um ihren Körper und drücke sie fest an mich.

Der ganze Stress und jeglicher Streit scheint vergessen zu sein. Es fühlt sich an, als würden wir uns ewig kennen, was wir anscheinend auch tun, aber nun habe ich auch das Gefühl, ihr nicht mehr fremd zu sein. Vermutlich fühlt es sich an, wie früher, als wir wirklich gute Freunde waren und wir als wirklich gute Freunde füreinander da waren. Sie lässt sich völlig fallen, weint in meinen Oberkörper und ich lasse es einfach geschehen. Jetzt gerade will ich für sie da sein. Ihr keinen Vortrag halten oder versuchen mit sinnlosen Worten zu besänftigen, denn das würde nichts bringen. Immer wieder beben ihre Schultern, ihr Weinen wird durch meinen Körper gedämpft, ist aber trotzdem deutlich zu hören. Ich streiche ihr sanft über das Haar, bis über ihren Rücken. Immer die selben gleichmäßigen Bewegungen, bis ich das Gefühle habe, sie wird etwas ruhiger. Ich merke, wie sehr sie es einfach nur braucht gehalten zu werden und zu wissen, dass ich im Moment für sie da bin. Und auch in Zukunft sein werde.
 

Ein paar Minuten verweilen wir in dieser Position. Immer noch drücke ich sie fest an meine Brust, gebe ihr sogar einen kleinen Kuss ins Haar, habe aber ein wenig Angst davor, dass sie meinen schnellen Herzschlag bemerken könnte. Doch glaube ich letzten Endes, dass dieser sie möglicherweise etwas ruhig stellt. Ich würde gerne etwas sagen, doch wüsste ich nicht was ich auf diese Geschichte erwidern soll, ohne mein nicht wirklich angebrachtes Mitleid auszusprechen. Außerdem will ich den Moment nicht ruinieren, denn es ist das erste Mal, dass keine Mauer zwischen uns steht und wir einfach nur Freunde sein können und uns nicht gegenseitig die Haare ausreißen.

„Ich.. habe dich nicht besucht, weil ich mir Vorwürfe gemacht habe“, beginnt sie erneut, um meine Frage zu beantworten und ich weiß jetzt schon, dass ich eigentlich nicht genau hören will, was sie zu sagen hat. Aber die Wahrheit war noch nie einfach.

„Ich habe mir vorgeworfen, dass dieser Unfall meine Schuld ist. Weil ich wieder mit dem Thema Andrew angefangen habe und wir uns wieder gestritten haben. Hätte ich nicht nochmal dieses Thema aufgegriffen wären wir nicht von der Fahrbahn abgekommen und der Unfall wäre nie passiert. Andrew hat mich kurz danach im Krankenhaus besucht. Ich habe mich erkundigt, wie es dir geht, weil ich dich seit Tagen nicht gesehen hatte, aber er meinte nur, dass du mir das nie verzeihen würdest. Er sagte, du würdest mich dafür verantwortlich machen und vor allem... würdest du nichts mit einem Krüppel, wie mir, zu tun haben wollen“.

Ich muss mich zusammenreißen, nicht vollkommen auszurasten. Kurz höre ich auf, ihr über den Rücken zu streichen, balle meine Hand zur Faust und muss tief einatmen, um nicht etwas zu sagen, was ich vielleicht bereuen werde. Ich beiße die Zähne zusammen und spanne die Muskeln an, sodass ich das Gefühl habe, sie sogar schon zittern zu spüren. Am liebsten würde ich sofort los sprinten und meinen Bruder zur Rede stellen. Dass er mich angelogen hat, ist die eine Sache. Aber auch eine Freundin, offensichtlich eine der wichtigsten Personen meines früheren Lebens, genauso anzulügen und diese Lüge in meinem Namen aufzutischen, lässt das Glas überlaufen. Ich fühle mich von ihm verraten, denn ich dachte immer, er wäre noch die einzige Person, der ich trauen kann. Aber da hatte ich mich wohl getäuscht. Vor lauter Enttäuschung, hätte ich noch in dieser Nacht meine Beine in die Hand genommen, um Andrew aufzusuchen. Aber ich weiß, dass ich Mel das jetzt nicht antun kann. Noch immer hängt ihr der Unfall in den Knochen und ich weiß, wie sehr sie mich braucht und ich jetzt für sie da sein muss.

„Es ist nicht deine Schuld, Mel. Es war ein Unfall und dafür kann niemand etwas. Ich hätte dich besucht, wenn ich mich erinnert hätte. Aber Andrew hat mir nie etwas von dir erzählt. Bevor du hier eingezogen bist, kannte ich dich eigentlich nicht mal“, antworte ich leise und versuche sie ein wenig davon zu überzeugen, dass nicht sie die Verantwortung tragen muss.
 

Wenige Zentimeter entfernt sie sich, damit sie mir ins Gesicht sehen kann. Ich lasse meinen einen Arm um sie, während ich meine andere Hand leicht an ihre Wange lege, um ihre Tränen sanft wegwischen zu können. Aber wieder komme ich nicht drum herum auf ihre Lippen zu schauen und mir vorzustellen, wie es wäre, sie zu berühren. Vor allem jetzt, wo zumindest ein teil der Wahrheit ans Licht gekommen ist und ich weiß, wie nah wir uns schon früher standen. Vermutlich würde das den Kuss in ein ganz anderes Licht stellen. Aber ob das sicher ist, kann auch niemand sagen.

Es dauert ein paar Sekunden, bis ich meinen Blick lösen kann, um ihr in die Augen zu sehen. Sie sind glasig und ihre Wangen sind gerötet. Es bricht mir immer wieder das Herz sie so leiden zu sehen. Aber jetzt besteht zum ersten Mal die Möglichkeit, dass sich alles zum Guten wendet und ich nicht mehr das Arschloch spielen muss.

Für einen kurzen Moment befürchte ich, dass sie über mein Geheimnis Bescheid wissen könnte. Aber vermutlich wäre ihr mein Amulett dann schon viel früher aufgefallen und sie wäre nicht so beunruhigt, wenn ich erst nachts – möglicherweise in einem blutverschmierten T-shirt – aufkreuze.

„Warum hat Andrew uns angelogen..?“, fragt sie beinahe schon verzweifelt. Ich muss zugeben, das habe ich mich auch schon gefragt. Mel sagt, dass wir uns immer wieder wegen ihm gestritten haben, also muss er etwas wissen, was wir nicht wissen und auch nicht herausfinden sollen. Aber... er ist mein Bruder. Zwillingsbruder. Mel ist eine gute Freundin. Kann er dann nicht einfach mit uns reden?

„Keine Sorge.. ich frage ihn morgen früh gleich“, antworte ich besänftigend und schenke ihr ein kleines Lächeln, während ich ihre hoffentlich letzte Träne von der Wange streiche. Ich will dieses Thema eigentlich für heute abhaken, denn es deutlich zu sehen, dass sie darunter leidet und ich mache mir auch nur unnötige Gedanken darüber. Auch sie schenkt mir ein echtes, aufrichtiges Lächeln, aber ihre Augen erzählen noch einmal eine ganz andere Geschichte. Das grau glitzert noch von ihren Tränen, spiegelt ihre Trauer und Verzweiflung wieder. Aber haben sie auch einen Glanz, der ihr Glück deutlich zeigt und die Erleichterung klar zum Ausdruck bringt.

Noch einmal gebe ich ihr einen kleinen Kuss ins Haar, bis sie sich schließlich löst und sich ins Bett legt. Es ist schon spät und für uns beide war der Tag ziemlich nervenaufreibend. So kindisch es auch klingen mag, sorge ich dafür, dass sie richtig zugedeckt ist und sich wohl fühlt – so fern es in der jetzigen Situation möglich ist. Es erscheint mir wichtig, bei ihr zu bleiben, bis sie eingeschlafen ist. Ich glaube zwar, dass es nicht all zu lange gedauert hat, bis sie ins Land der Träume fiel, trotzdem erscheinen mir die Sekunden, in denen ich sie einfach nur beobachte und jedes noch so kleine Detail ihres Gesichts einstudiere, wie ein Moment der Ewigkeit. Ich weiß nicht wie lange ich noch vor ihrem Bett saß, nur um sie anzuschauen und mir sicher zu sein, dass sie ruhig schläft. Aber als auch mir die Augen zufielen, bin auch ich ins Bett, um mit dem heutigen Tag endlich abzuschließen. Allerdings nicht, ohne, dass ich Andrew meinen letzten Gedanken für diesen Tag widmete.
 

Inzwischen ist es wieder früh am Morgen. Ich bin schon außer Haus gegangen, als Mel noch schlief. Die ganze Sache mit dem Unfall und dem Wissen, dass Andrew uns etwas wichtiges verheimlicht ließen mich kaum schlafen. Außerdem wollte ich es so schnell wie möglich mit ihm klären. Es muss ja einen Grund geben, warum er uns all die Jahre angelogen hat.

Als Wolf, will ich gerade durch das Tor laufen, was mich in das geheime Dorf führt, da kommen mir die Welpen mit meinem Bruder im Schlepptau entgegen.

„Gut, dass du schon da bist. Wir treffen die Ältesten an der Höhle“, sagt Andrew ohne zu zögern oder jegliche Anzeichnen einer Begrüßung.

Kurz bin ich verwirrt, dann fällt mir ein, heute ist ja die Zeremonie von Tick, Trick und Track. Ich antworte meinem Bruder nicht, werfe ihm lediglich einen bösen Blick zu. Zu gern würde ich ihn direkt darauf ansprechen, aber ich beschließe mich noch ein wenig zurück zu halten. Zumindest bis die Zeremonie vorbei ist und die ganze Anspannung gelockert ist. Außerdem, sollte mir diese Zeremonie tatsächlich helfen ein paar Erinnerungen wieder zu erlangen, will ich es bestmöglich vermeiden, diese zu verpassen.
 

Still folge ich den anderen Halbblütern auf Schritt und Tritt. Allerdings darauf bedacht ein paar Schritte Abstand zu halten. Kurz erkundigt sich mein Bruder, ob alles in Ordnung sei, doch ich stimme nur mit einem Nicken zu und versuche mich schnell auf etwas anders zu konzentrieren, bevor ich die Fassung verliere.

Wir gehen langsam auf den Eingang der Höhle zu. Je näher wir kommen, desto deutlicher erkennen wir die Umrisse von drei weiteren Wölfen. Den Ältesten, genauer gesagt. Es ist echt unglaublich, wie ähnlich sie sich doch sehen. In ihrem Aussehen, sind sie kaum zu unterscheiden. Nur in ihrer Größe kann man sie auseinanderhalten. Der Größe nach aufgestellt, treten sie aus dem Schatten hervor, erst jetzt, sind sie deutlich zu erkennen. Ihr Fell ist grau, allerdings ist die Bauchpartie bei allen dreien weiß. Ihre kristallblauen Augen werden in der Sonne reflektiert, strahlen aber eine Kälte und Distanz aus, was mir nicht ganz geheuer ist. Am liebsten würde ich ihnen an die Kehle springen.

„Willkommen“, sagen sie im Einklang, bleiben ein paar Zentimeter vor Andrew stehen, neben dem sich die Welpen im Reih und Glied und aufrechter Haltung aufgestellt haben. Ich hingegen halte lieber einen gewissen Sicherheitsabstand. Ich kann nicht garantieren, dass der Tag gut für die Ältesten ausgeht, wenn sie sich weiter so arrogant präsentieren und sich so aufführen, als wären sie etwas besseres. Sie haben immer noch den Tod unserer Eltern auf dem Gewissen und das nur, weil sie ihnen eingeredet haben, sie müssen alles tun, damit das Dorf nicht gefunden wird. Aber sie interessiert das einfach nicht. Ich kann Andrew nicht verstehen, wie er im Falle eines Falles tatsächlich sein Leben für sie geben würde, um ihr Leben zu retten.
 

Sie werfen einen prüfenden Blick auf die Welpen, wenden ihnen aber dann den Rücken zu und gehen zu der Höhle. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, folgen wir ihnen. Noch ist nichts besonderes zu erkennen. Eine einfache Höhle, wie sie jeder kennt. Stein, Felswände und noch mehr Stein. Es dauert etwa fünf Minuten, bis wir in eine Sackgasse gelangen. Der Größte der Ältesten tritt einen Schritt näher an die Wand. Er, sowie die anderen beiden, besitzen einen Anhänger, der wie ein spitzer, geschliffener Edelstein aussieht. Erst senkt er den Kopf, damit ihm die Kette um den Hals und der Kristall zu Boden fällt. Beinahe schon vorsichtig nimmt er ihn zwischen die Zähne, um diesen dann auf Augenhöhe in eine Art Schlüsselloch zu stecken, welches sich beinahe unsichtbar in der Wand befindet. Wie durch Zauberhand erscheint der Umriss eines runden Tores in der Wand, welches sich Sekunden später in Luft auflöst und wir in ein royalblaues Licht getaucht werden. Aber nichts davon kommt mir bekannt vor.

Die drei Ältesten gehen vor und betreten den Durchgang. Wir anderen folgen ihnen, bis sich das Tor hinter uns wieder schließt. Wir laufen weiter durch eine Höhle. Von der Decke ragen Stalaktiten hinunter, die teilweise so tief hängen, dass man drum herum laufen muss. Die Wände sind verziert, mit einzelnen kleinen Kristallblumen, welche aus der Wand ragen. Es ist kein langer Gang, nur wenige Meter, bis wir erneut in einer Sackgasse landen. Doch dort steht der Saphir. Die Quelle unserer Kraft. Ein hoher, schmaler Edelstein, der spitz zuläuft. Er hat die gleiche Form, wie der Kristall der drei grauen Wölfe. Das royalblaue Licht, welches von ihm abgegeben wird, wird an den einzelnen Edelsteinen an der Wand reflektiert und erzeugt ein Lichtspiel, was man nicht beschreiben kann und mit eigenen Augen gesehen haben muss. Doch wieder kommt mir dies nicht bekannt vor.
 

Tick, Trick und Track, bleiben vor dem Saphir stehen, während Andrew und ich etwas Abstand halten. Der Mittelgroße der grauen Wölfe, verwandelt sich vor unseren Augen in einen Menschen zurück. Die Bezeichnung 'Die Ältesten', passt wie die Faust auf's Auge. Vor uns steht ein älterer Mann. Gefühlt, um die sechzig Jahre alt, dabei weiß ich, dass dieser schon einige hundert Jahre älter ist. Sein Haar ist mausgrau, genauso wie sein Wolfsfell. Er wirkt etwas gebrechlich, hat aber trotzdem nicht so ganz den Eindruck, als ob er jeden Moment zusammenklappen würde. Aber er hat auch als Mensch diesen arroganten Gesichtsausdruck, für dem ich ihm am liebsten seine kristallblauen Augen auskratzen würde, die als einziges in Wolfsgestalt genau gleich bleiben. Ich muss nicht weiter darüber nachdenken, wie die anderen wohl in ihrer Menschengestalt aussehen. Denn es ist üblich, dass wir als Zwillings- oder Drillingspack geboren werden. In dem Fall müssten diese also genauso aussehen.

Er nimmt den Jungen ihren Saphir ab, der noch immer als einfacher Stein als Kette verbaut ist. Die drei Ältesten gehen nun um den Edelstein herum, dass sie nun mit dem Rücken zur Wand stehen und ihre Blicke zu uns gerichtet sind. Derjenige, der den Kleinen ihre Ketten abgenommen hat, tritt einen Schritt näher auf den Saphir zu. Mit einer Hand bildet er eine Schale, in welche er die Edelsteine hält und formt mit seiner anderen Hand den passenden Deckel dazu.

Er beginnt irgendwelche Worte zu Sprechen, die ich nicht verstehe. Vermutlich Latein oder irgendeine andere tote Sprache, die kein Mensch, Wolf oder Halbblüter kann. Und wieder lassen sie ihre besserwisserische Art hervorblicken.

Plötzlich beginnt das Innere seiner Hand im selben Blauton zu leuchten, wie der Saphir. Ich muss mir beinahe ein stolzes Grinsen verkneifen, denn dies bedeutet, dass sie ihre Prüfung bestanden haben und nun als vollwertiges Mitglied des Dorfes anerkannt werden. Die Kräfte und Ergebnisse der einzelnen Prüfungen werden auf gewisse Art im Saphir gespeichert. Mit den Worten der Ältesten wird der Saphir aktiviert und erlaubt uns, unsere Gestalten zu wechseln. Die ist aber nur möglich, wenn sie die Prüfungen erfolgreich absolviert haben.
 

Für einen kurzen Moment herrscht stille und alle sind von dem Spektakel gefesselt, was sich gerade in dessen Händen abspielt. Einige Sekunden später, erlischt das Licht und er öffnet wieder seine Hände. Die Hand, in der er die Amulette hält reicht er dem Kleinsten der Ältesten, welcher diese an den Ketten mit dem Maul hochhebt und sich den Jungen nähert.

Während er ihnen nun ihre Amulette um den Hals hängt, erkenne ich, wie es geformt ist. Es hat eine runde Form. In der Mitte befindet sich ein fünfzackiger Stern, dessen Spitzen am äußeren runden Rand befestigt sind. Direkt in der Mitte des Sternes und zwischen jeder Zacke sind die einzelnen Saphire eingearbeitet. Wie ein Amulett aussieht, können wir nicht bestimmen, nicht einmal die Ältesten. Es ist reiner Zufall, wie das Zeichen aussieht. Ich weiß zwar nicht, wie das Amulett der Wölfin aussah, aber es wird das selbe gewesen sein, da alle einer Familie das Gleiche haben – so wie auch Andrew und ich. Zumindest haben sie so immer etwas bei sich, was sie an ihre Mutter erinnert.
 

Zwar können wir nicht entscheiden, wie das Amulett aussieht, doch erleben wir drei verschiedene Phasen, die unser Amulett jeweils verändern. Zu Beginn ist es der einfache Stein, der nur dafür da ist, dass die menschliche DNA unterdrückt wird und wir uns nicht unkontrolliert verwandeln. Als nächstes folgt die Zeremonie, die man in etwa im Alter der Welpen absolviert. Dabei entsteht das Amulett, was alle in einer Familie haben. Zu guter Letzt folgt die letzte Veränderung. Und zwar, wenn sich ein Habblüter-Paar dazu entscheidet einen Bund einzugehen. Dabei werden sie erneut in die Höhle geführt und deren Amulette, die bis zu diesem Zeitpunkt noch verschieden sind, werden zu einem Symbol vereinigt. Somit erhält jede Familie ihr eigenes Wahrzeichen.
 

Zu guter Letzt machen die Älteste eine Art Verbeugung, sagen aber kein Wort. Es soll wohl „Willkommen“ oder „Glückwunsch“ heißen. Aber reden wird heutzutage ja überbewertet. Schließlich folgen wir ihnen wieder aus der Höhle und sehen nur noch, wie sie ohne ein weiteres Wort wieder im Wald verschwinden. Ich kann sie einfach nicht leiden. Arrogante alte Säcke, die sich für etwas besseres halten.

Allerdings sind die jetzt gerade mein kleinstes Problem. Denn noch immer steht das klärende Gespräch mit Andrew an.

Aber irgendetwas sagt mir, dass dies kein gutes Ende nehmen wird.

Wir entfernen uns immer weiter von der Höhle, machen uns auf dem Weg zum Dorf. Die Welpen toben vor unseren Füßen herum und necken sich gegenseitig. Offensichtlich sind sie erleichtert und freuen sich, dass alle nun ihr Amulett bekommen haben.

Tick, Trick und Track gehen vor, durch das Tor, was in das Dorf führt. Aber bevor Andrew ihnen folgen kann, beiße ich ihm einmal unsanft in den Hals, um ihn aufzuhalten.

„Was sollte das?“, fragt mein Bruder etwas gereizt, nachdem dieser sich wütend zu mir umgedreht hat und leicht knurrt.

„Das sollte ich dich fragen. Warum hast du Mel und mich angelogen?“, gebe ich genauso wütend zurück und falle sofort mit der Tür ins Haus.

Der Gesichtsausdruck meines Bruders wechselt von zornig in überrascht. Er wendet seinen Blick ab, schaut mich nicht mehr an und seine Stimme wechselt von aggressiv in eingeschüchtert.

„I-Ich weiß nicht, was du meinst“, gibt dieser unschuldig zurück und winkelt leicht seine Ohren an.

Ich hingegen gehe einen Schritt auf ihn zu. Kann mir ein aufgebrachtes Schnauben nicht unterdrücken und fletsche leicht mit den Zähnen.

„Lüg mich nicht schon wieder an! Warum ist die Beziehung damals zwischen uns auf einmal so zerbrochen? Warum haben Mel und ich uns immer wieder wegen dir gestritten?“.

Doch Andrew antwortet nicht. Noch immer schaut er zur Seite und lässt den Kopf langsam zu Boden sinken.

Ich suche seinen Blick. Will endlich wissen, was er mir die Jahre verschwiegen hat. Kurz erfassen meine Augen seine. Er spielt zwar den Unschuldigen, doch zeigen seine bernsteinfarbenen Augen das genaue Gegenteil.

„Andrew rede endlich mit mir! Was verschweigst du uns?“.

„Verdammt Daemon. Ich hab mich in Mel verliebt!“.
 

Ich bleibe geschockt stehen, bin nicht fähig mich zu bewegen oder ihm darauf zu antworten. Er sagte zwar, dass er Mel süß fände, aber trotzdem hätte ich nicht gedacht, dass er solche Gefühle für sie hegt.

Auch ihm steht der Schock ins Gesicht geschrieben und er scheint selbst überrascht, wie plötzlich es ihm über die Lippen geplatzt ist. Er lässt die Ohren und Schultern sinken. Lässt den Kopf hängen und ein herzzereißendes Winseln entflieht ihm.

Noch immer starre ich ihn an. Will ihn nach einer Erklärung fragen. Zu viele Frage schwirren mir durch den Kopf. Ist das Grund, warum wir plötzlich so ein schlechtes Verhältnis hatten? Dann müsste ich davon gewusst haben. Warum hat es mir etwas ausgemacht? Habe ich schon vor dem Unfall etwas für Mel gefühlt? Warum hat er nie mit uns geredet?
 

Die Fragen scheinen mir offensichtlich auf der Stirn zu stehen. Denn Andrew seufzt einmal, bis er endlich beginnt zu erklären.

„Ich bin Melody verliebt, seit ich mich erinnern kann. Aber du und Mel ward immer die besten Freunde und ich war immer das fünfte Rad am Wagen. Als ich dir dann von meinen Gefühlen für Mel erzählt habe, bist du völlig ausgetickt und sagtest mir, ich solle mich von ihr fernhalten. Ich hätte wissen müssen, dass du genauso für sie fühlst, so wie du sie immer angesehen hast“, sagt mein Bruder, muss aber kurz pausieren, um selbst tief durchatmen zu können.

Zumindest ist jetzt klar, warum Mel so viel Einfluss auf mich hat. Ich mag vielleicht mein Gedächtnis verloren haben, aber nicht meine Gefühle für sie.

„Als du bei dem Unfal dein Gedächtnis verloren hast, dachte ich, dass es meine Chance sei. Ich dachte, wenn Mel glaubt, dass du nicht mehr mit ihr befreundet sein willst, könnte ich mich ihr nähern. Für sie da sein und sie unterstützen. Aber nein. Das einzige woran sie dachte, warst du. Daemon hier, Daemon da, Daemon überall. Ich konnte machen, was ich wollte. Immer hat sie von dir geredet aber nie hat sie in mir mehr gesehen, als einen normalen Freund“.

Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Aus eigenem Egoismus, hat mich mein Zwillingsbruder die ganze Zeit angelogen und das obwohl er wusste, dass er der einzige war, dem ich vertraute.
 

Ich gehe einen Schritt zurück, würde ihn zu gern angreifen, aber irgendetwas hindert mich daran. Dabei kann ich mir nicht erklären, was es sein soll. Noch nie hat mich etwas oder jemand so sehr enttäuscht, wie mein eigener Bruder.

„Ich glaub's nicht. Du hast mich die ganze Zeit angelogen. Die ganze Zeit, hast du mir etwas vor gemacht und das nur, weil du in Melody verliebt bist? Wie konntest du mir das antun?“, frage ich tatsächlich mehr als überfordert. Meine Stimme ist leise, ruhig. Aber nicht ruhig, weil ich entspannt bin, sondern ruhig, vor Zorn und Trauer zugleich.

„Ich wusste mir nicht anders zu helfen, Daemon..“.

„Nicht anders zu helfen?!“, bricht es aus mir heraus. „Du hast mein Vertrauen missbraucht! Ich dachte du wärst mein Bruder und ich kann mich auf dich verlassen!“, konfrontiere ich ihn und beginne lautstark zu knurren, kann mich gerade noch zurückhalten, ihm nicht meine Pfote ins Gesicht zu rammen.

„Ich war verzweifelt!“, versucht sich mein Bruder zu rechtfertigen.

„Du hast keine Ahnung, was es heißt, verzweifelt zu sein! Wie es ist, sich an nichts mehr zu erinnern und sich Menschen anvertrauen zu müssen, die du noch nicht einmal kennst! Du bist -“, ich werde von einem Knacken unterbrochen. Ohne, dass ich es kontrollieren kann, spitzen sich meine Ohren und ich drehe mich mit dem Rücken zu meinem Bruder, um in den dunklen Wald sehen zu können. Ich schaue jeden Zentimeter ab. Für ein Reh oder ein Eichhörnchen war das knacken zu laut, aber ich kann nichts erkennen. Vermutlich habe ich mich getäuscht und es war doch nur ein einfaches Waldtier.

Also wende ich mich wieder meinem Bruder zu um meinen Satz zu beenden. Er hat ebenfalls die Ohren gespitzt und seinen Blick zu den Bäumen gewendet hat. Doch nachdem auch er nichts erblickt hat, wendet er seinen Blick wieder zu mir.

„Es tut mir leid, Daemon. Wirklich...“, versucht er sich zu entschuldigen, doch im Moment ist einfach das Gefühl von Wut und Enttäuschung so viel stärker, dass ich nichts anderes als Hass und Verachtung spüren kann.

„Ich will dich nicht mehr sehen, Andrew... du bist nicht mehr mein Bruder...“, sage ich leise und drehe mich um, um mich auf den Heimweg zu machen. Doch bevor ich mich versehe, steht der bräunliche Wolf auch schon wieder vor mir.

„Das kannst du nicht machen! Du bist meine Familie!“.

„Falsch! Ich war nie deine Familie! Seit dem Unfall war ich für dich immer nur eine Last! Deine Familie war immer das Dorf und die Ältesten! Was mit mir war, hat dich nie interessiert! Lieber würdest du für die Ältesten dein Leben lassen, als deinen Bruder zu beschützen!“, werfe ich ihm vor und fletsche mit den Zähnen. Am liebsten würde ich mit meiner Klaue ihm einmal über das Gesicht fahren, doch ist er immer noch die letzte Familie, die ich habe – mehr oder weniger – wenn man es Familie nennen kann, von seinem Zwillingsbruder belogen und betrogen zu werden.

„Daemon bitte, du bist doch mein Bruder“.

„Nein. Nicht mehr, Andrew.“
 

Mit diesen Worten lasse ich den Wolf stehen. Gehe an ihm vorbei und warne ihm mit einem aggressive Knurren, falls er mich schon wieder versuchen sollte aufzuhalten.

Ich gehe durch den Wald, zurück zum Waldrand, um Melody schließlich die Botschaft zu überreichen.

Zuerst sind meine Schritte schnell und schwer. Vor Wut stampfe ich beinahe jedes Mal meine Pfote in die Erde, um Dampf abzulassen. Doch je weiter ich mich von ihm entferne und je länger ich über die gerade geschehene Situation nachdenke, desto mehr übermannt mich die Trauer.

Aus meinen schnellen, schweren Tritten, wird ein langsamer und kaum noch wahrzunehmender Gang.

Meine verengten Augen locker sich wieder, doch sind die Lider halb geschlossen und bringen meine Enttäuschung deutlich zum Ausdruck. Kopf, Ohren und Schultern hängen zu Boden und lassen einen außenstehenden nur erahnen, welche Nachricht einen Wolf dazu gebracht haben muss, wie ein Häufchen Elend auszusehen.
 

Am Waldrand spreche ich wieder die Worte in meinem Kopf, die mir Hände und Füße verleihen, und meinen Pelz verschwinden lassen. So sehr ich das angenehme Prickeln eigentlich sehr angenehm finde, kann ich es dieses Mal nicht genießen. Es gibt mir das Gefühl, als hätte ich mit einem Teil meines Lebens abgeschlossen und ich diesen Teil nie wieder aufnehmen kann.

Ich lehne mich gegen den Baum und schließe die Augen, atme einmal tief durch, bevor ich mich auf den Heimweg mache und Mel gegenüber zu stehen.

Natürlich freue ich mich auf sie, vor allem jetzt, nachdem wir uns endlich aussprechen konnten und die Wahrheit wissen. Na ja, Geheimnis hin oder her. Es ist im Moment unwichtig wer oder was ich bin. Wichtig ist nur, dass wir endlich – wieder - Freunde sind.

Nach ein paar Minuten, in welchen ich mir überlegt habe, wie ich es Melody so schonend wie möglich beibringen kann und mir ein paar mögliche Sätze zurecht gelegt habe, mache ich mich auf den Weg nach Hause.

Immer und immer wieder gehe ich die Sätze in meinem Kopf noch einmal durch, doch je öfter ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst, dass auch diese sie nicht verschonen und trotzdem verletzen werden.

Andrew war ihr Freund. Seit wir Kinder waren, waren wir ein Trio, sagte sie zumindest. Ist doch klar, dass es sie verletzen wird, egal wie einfühlsam und schonend ich es auch versuche. Aber die Wahrheit war in den meisten Fällen noch nie schön.
 

Ich komme zu Hause an, bleibe vor den drei Stufen noch einmal stehen und atme tief durch, dann gehe ich auf die Tür zu. Doch was ich sehe, lässt mir den Atem stocken. Ich habe die Haustür nicht einmal erreicht, da sehe ich, wie sie einen Spalt geöffnet ist. Ich bin mir zu einhundert Prozent sicher, dass ich sie geschlossen habe und auch Mel würde sie nicht einfach offen stehen lassen.

Eine unangenehme Gänsehaut überzieht meinen Körper und ich spüre, wie es mir kalt den Rücken hinunter läuft. Mit zittriger Hand greife ich nach dem Türknauf, um die Tür schließlich ganz zu öffnen.

Es ist nichts zu sehen, zumindest nichts auf den ersten Blick. Es ist still, zu still. Wäre Melody da, müsste wenigstens der Fernseher an sein, das Wasser der Dusche müsste laufen oder das Brutzeln einer Pfanne müsste zu hören sein. Nicht einmal die Stimme eines Radios ist zu hören. Irgendetwas stimmt nicht, ich kann es fühlen.

Ich gehe einen Schritt weiter, versuche keinen Ton von mir zu geben, obwohl ich am liebsten sofort in ihr Zimmer stürmen oder zumindest ihren Namen rufen würde. Aber da ich nicht weiß ob überhaupt jemand im Haus ist, der ihr möglicherweise etwas antun wird, wenn ich mich nähere, gehe ich lieber auf Nummer sicher.

Leise, aber so schnell wie möglich gehe ich die Treppen hoch. Jetzt erst erblicke ich ein paar Blutstropfen. Ich bekomme Panik. Hoffe sehr, dass es nicht ihres ist.

Die letzte Stufe überspringe ich und öffne schließlich langsam die Türe ihres Zimmers.
 

Alles ist verwüstet. Ihre Kleider sind verstreut, Möbel sind zerbrochen, Galssplitter liegen auf dem Boden, Die Kommode und der Stuhl sind umgekippt. Aber sie ist nicht zu sehen. Nicht ein Anzeichen dafür gibt es, dass sie sich irgendwo versteckt haben könnte.

Mit wackeligen Beinen trete ich in das immer. Jeder Schritt knirscht durch das zerbrochene Glas. Ich bleibe vor ihrem Bett stehen, sehe auf dem Boden ein kleines Medaillon. Ich knie mich zu Boden, um es aufzuheben. Als ich es öffne, erkenne ich ein Bild zweier Kinder. Es sind die selben Kinder, wie auf dem Foto. Es sind wir.

Spätestens jetzt ist sicher, es ist etwas passiert. Ich weiß, wie sehr ihr diese Bilder bedeuten. Niemals würde sie es einfach liegenlassen oder wegwerfen.

Ich spüre, wie sich meine Muskeln anspannen, meine Augen sich verengen und sich die Zähne zusammenpressen.

Ich richte mich auf und atme einmal tief ein. Mein Geruchssinn ist geschärft. Zum einen kann ich Melodys Duft auffindig machen. Natürlich, es ist ihr Zimmer. Aber dort ist auch noch etwas anderes. Es ist ein Duft, den ich kenne, ich aber nicht zuordnen kann. Er kommt mir bekannt vor, ich weiß es. Aber mir will nicht einfallen, zu wem dieser Duft gehört.
 

Mir entflieht ein wütendes und zugleich besorgten Schnauben. Ohne darüber nachzudenken verwandle ich mich in einen Wolf.

Renne aus dem aus Haus, denke nicht daran, ob mich jemand sehen könnte.

Ich gehe der Fährte nach. Sie führt mich durch den Wald, durch einen der dunklesten Gebiete, die ich kenne. Ich renne einfach weiter. Der Wind brennt mir in den Augen, mehrere Ästen ragen mir immer wieder ins Gesicht und hinterlassen einen stechenden Schmerz, aber es ist mir egal. Das Einzige voran ich denken kann ist Melody und die Hoffnung, dass es ihr gut geht.

Ich beginne zu hecheln, merke, wie mir die Luft ausgeht und meine Kehle zu brennen beginnt. Aber ich ignoriere es. Die Angst, dass Melody etwas passiert sein könnte, treibt in mir eine Kraft an, die ich vorher nicht kannte. Aber sie lässt mich alles vergessen, nur um bei ihr sein zu können.
 

Die Fährte führt mich bis zum anderen Ende des Waldes, sogar über den Wald hinaus. Inzwischen ist es Abends und die Sonne geht bereits unter. Doch bin ich weder erschöpft noch müde. Meine Sinne sind schärfer als je zuvor und ich denke nicht daran eine Pause einzulegen. Ich schleiche mich aus dem Wald. Immer noch als Wolf folge ich der Straße, über die mich der bekannte Geruch des Fremden und Melodys Rosenduft führt.

Mit meiner Schnauze überfliege ich den Aspahlt, bis ich schließlich vor einem Haus stehe.

Das perfekte Versteck, dachte ich mir. Wer erwartet schon, dass jemand in einem Haus gefangen genommen wird, das mitten im Wohngebiet steht. Die Fassade bröckelt schon und die Fenster sind verstaubt. Die Wände sind schon mit Efeu verwachsen. Steht also vermutlich leer.

Schnell schaue ich mich um und verwandle mich dann wieder in einen Menschen zurück, nachdem hier keine Menschenseele zu erkennen ist.

Als ich meine Hand an die Tür lege, geht diese beinahe schon von selbst auf. Das Schloss sollte also dringend mal repariert werden. Als ich eintrete, knarren die morschen Dielen und die Schaniere der Tür quietschen, so dass es einem kalt den Rücken hinunter läuft. Zu sehen ist ein schmaler Flur und eine alte, zerbrechliche Treppe. Die Wände sind grau und bröckeln auch schon, wie die Fassade. Möbel sind keine zu sehen.

Steht also wirklich leer.
 

Ich trete einen Schritt ein, sehe wie eine der Türen angelehnt ist, während die anderen geöffnet sind. Mein Instinkt führt mich direkt zu dieser Tür und öffne sie langsam.

Und dann sehe ich sie. Melody. Ihre Hände sind an ein Heizungsrohr gebunden und ihr Mund mit einem Stofftuch verbunden.

„Melody..“, entflieht es mir und ohne zu zögern gehe ich zu ihr, um mich vor sie zu knien. Mein Herz macht einen Sprung vor Erleichterung, denn schwere Verletzungen kann ich keine sehen – zumindest nicht äußerlich. Lediglich ein paar kleine Kratzer zieren ihr Gesicht und vermutlich auch unterhalb der Kleidung.

„Bleib ruhig, ich hol dich hier raus“, versuche ich sie zu beruhigen, nachdem sie zusammen zuckte und mich ansieht.

Vorsichtig nehme ich ihr den Stoff vom Mund und lege meine Hand an ihre Wange, um zu beruhigen und zeigen, dass sie in Sicherheit ist.

Ihre mausgrauen Augen glitzern und sind leicht angeschwollen. Ihre geröteten Wangen zeigen getrocknete Spuren der Tränen und sonst zittert sie am ganzen Körper.

„Was machst du hier? Wie hast du mich gefunden?“, fragt sie vollkommen überfordert, aber sie scheint froh zu sein, dass ich bei ihr bin. Zumindest hoffe und denke ich das.

„Das spielt jetzt keine Rolle. Keine Sorge, ich bringe dich in Sicherheit“, sage ich sanft und schenke ihr ein kleines Lächeln.
 

Ich will mich gerade daran machen ihre Fessel von den Händen zu lösen, da höre ich das Knarren der Dielen und das Quietschen der Tür. Automatisch rutscht Melody näher zur Wand ich kann beinahe schon fühlen, wie sehr sich ihre Muskeln anspannen.

Als ich meinen Blick hebe und in ihre Augen sehe, kann ich die pure Verzweiflung, Angst und Furcht in ihnen ablesen.

Ich habe mich nicht einmal umgedreht, sitze immer noch mit dem Rücken zu dem Fremden. Der mir bekannte Duft steigt mit wieder in die Nase, doch kann ich ihn immer noch keiner Person zuordnen.

Langsam erhebe ich mich, drehe mich nun zu der Person um. Und dann sehe in sie. In die smaragdgrünen Augen, die es mir jedes mal kalt den Rücken hinunter laufen lassen.

„So schnell sieht man sich wieder, nicht wahr, Daemon?“, höre ich ihn mit seiner dunklen, rauen Stimme sagen.

Ich kenne die Person nicht, was nicht ganz ungelogen ist. Ich kenne seine menschliche Form tatsächlich nicht, nicht seinen Namen. Er ist mir Fremd, aber ich will ihn auch nicht kennenlernen, egal, wie oft wir uns noch über den Weg laufen, dennoch verraten ihn seine Augen.

Es kann sich nur, um den schwarzen Wolf handeln.

„Lass sie gehen“, antworte ich darauf hin nur und stelle mich schützend vor Mel. Doch dieser gibt nur ein bitteres Lachen von sich.

„Warum sollte ich? Sie ist mein Gast“.

„Du hälst sie gefangen! Sie hat mit alle dem nichts zu tun! Du willst mich, also lass sie gehen!“, versuche ich es erneut, um ihr Leben zu schützen. Ich muss Melody nicht ansehen, um zu wissen, wie verwirrt sie doch aussehen mag.

„Du hast mir meine Schwester genommen, jetzt werde ich dir dein Mädchen nehmen“, gibt dieser bedrohlich zurück und ich sehe, wie seine Augen sich verengen.

Die Sonne, welche ihm in den Rücke scheint, verleiht ihm eine noch sehr viel schrecklichere und grausamere Ausstrahlung. Sein Schatten wird vor meine Füße geworfen, sorgt dafür, dass er noch größer und bedrohlicher wirkt.

„Ich habe dir gesagt, dass ich mit dem Militär nichts zu tun habe! Ich habe sie nicht zum Dorf geführt! Es muss jemand anders gewesen sein und ist somit für den Tod deiner Schwester verantwortlich ist!“, versuche ich mich zu rechtfertigen, doch er hört nicht auf mich und kommt ein paar Schritte auf mich zu.

„Du kennst doch den Spruch, Deamon. Auge um Auge“, - er kommt einen weiteren Schritt auf mich zu.

„Zahn um Zahn“, - seine Augen strahlen eine Bosheit aus, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt und ein hässliches Grinsen macht sich auf seinen Lippen breit.

„Mädchen um Mädchen!“.
 

Fast gleichzeitig verwandeln wir uns in einen Wolf. Knurren uns an und fletschen mit den Zähnen.

Schnell gehe ich einen Schritt zur Seite, bevor er mir mit seiner Klaue einmal über das Gesicht fahren und mein schneeweißes Fell blutrot färben kann.

Knurren und Bellen erfüllt den Raum. Kräftig stoße ich mich mit meinen Hinterbeinen ab, um ihn anzugreifen. Doch weicht dieser zu schnell zurück, dass ich mit meiner Tatze nur seine Schnauze streife und nicht richtig erwische. Kann nicht genug Druck ausüben, um ihn zu verletzten und somit zu warnen.

Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit sorgt dafür, dass die Rollen von Angreifer und Angegriffener vertauscht werden.

Der schwarze Wolf kommt immer mehr auf mich zu. Stampft mit seinen Pfoten auf den Boden, dass ich das Gefühl habe, der Boden könnte jeden Moment unter mir zusammen brechen. Immer wieder gehe ich einen Schritt zurück, bis er mich schließlich in die Ecke des Zimmers drängt und ich mit dem Rücken an der Wand stehe.

Ich blicke in die smaragdgrünen Augen. Sie leuchten vor Bosheit, vor Aggressivität. Mit seiner Zunge fährt er sich über die vorderen Reißzähne und ein tiefes, grauenvolles Brummen entflieht ihm.

Ich versuche stark zu sein, knurre ebenfalls. Klar, ich bin ein Arsch, doch bin ich keiner, der Spaß daran hat, meinen Gegenüber zu töten – im Gegensatz zu dem schwarzen Wolf.
 

Ich sehe zu Melody, sollte dies wirklich mein letztes Stündlein sein, will ich, dass sie das letzte ist, was ich sehen darf.

Sie sieht mich an. Ihre Augen treffen meine. Aber sie sieht mich nicht an, als wäre ich ein Monster oder ein Tier. Ihr Augen zeigen Angst und Besorgnis. Tränen bahnen sich einen Weg über ihre Wangen und ihre Lippen zittern.

Mein Herz beginnt zu rasen und ich weiß, dass das nicht nur aufgrund des Adrenalins ist, welches gerade durch meinen Körper strömt.

Mit ihren Lippen formt sie meinen Namen, doch weiß ich nicht genau, ob dies wegen der Angst ist, oder weil sie nun die Wahrheit über mich kennt. Ihr Lippen öffnen und schließen sich wieder. Sie will etwas sagen, doch kein Ton entflieht ihr.
 

„Pass auf!“, presst sie hervor. ich kann gerade noch den Krallen meines Gegenübers ausweichen und springe zur Seite, stehe nun mit dem Rücken zu Melody. Der Raum wird durch unser Knurren und Fauchen erfüllt. Immer wieder hört man das Getrampel unserer Pfoten, wenn wir einen Angriff starten und nach einem Fehlschlag wieder auf dem Boden aufkommen.

Ich kann ihren Blick beinahe spüren, wie er uns durchbohrt. Eine Mischung aus Angst, Verzweiflung und Verwirrung. Aber dennoch hab ich das Gefühl, dass sie mir Kraft gibt.

Der schwarze Wolf und ich hecheln, sind beide schon außer Atem und unsere Kräfte gehen mehr und mehr zu Ende.

Noch einmal nehme ich mich zusammen, versuche alle Kräfte noch einmal zu sammeln, um die Sache endgültig zu beenden.

Was er Melody angetan hat, werde ich ihm nicht verzeihen. Nicht zu vergessen, dass wegen ihm beinahe mein letztes Stündlein geschlagen hat.

Ich stoße mich mit meinen Hinterbeinen ab und starte einen Frontalangriff. Meine Vorderpfoten recke ich in die Höhe, bringe genug Kraft auf, um ihn auf den Boden zu drängen und ihm ein wehentliches Winseln zu entlocken. Es fast schon wie Musik in meinen Ohren, ihm die Schmerzen zufügen zu können, die er Melody angetan hat.

Ich fahre ihm einmal über das Gesicht und beiße ihm in den Nacken. Der metallische Geruch von Blut steigt mir in die Nase und ich spüre, wie sein Körper unter meinen Zähnen zusammenzuckt, sich dann nicht bewegt.
 

„Daemon hör auf!“, höre ich Melodys schrille Stimme rufen.

Ich schaue zu ihr und erblicke sie mit meinen Wolfsaugen. Ihre Augen sind mit Tränen gefüllt.

„Das bist nicht du.. so was würdest du nie tun...“, redet sie auf mich ein und das Zittern ihrer Stimme verrät mir, wie sehr sie dieses Schauspiel doch geschockt haben muss.

Jetzt erst finde ich wirklich zu mir zurück und sehe, was sich in den letzte Minuten abgespielt hat. Noch immer habe ich ihr den Rücken zugewendet, starre auf den schwarzen Wolf. Er hat die Augen geschlossen, ich schmecke sein Blut, aber sein Rumpf bewegt sich auf und ab. Er atmet also. Ich schätze, damit wären wir quitt.

Langsam drehe ich mich zu Melody um, sehe ihr entsetztes Gesicht, was mir eine unangenehme Gänsehaut verpasst. Ich wollte nie, dass Melody mich so sieht. Als Wolf, als ein wildes Tier. Sie muss mich für ein Monster halten. Vielleicht... war auch das einer der Gründe, warum ich ihr nichts verraten habe. Weil ich nicht wollte, dass sie die Freundschaft kündigt und den Kontakt abbricht. Aber jetzt ist es zu spät. Sie hat gesehen, wer ich wirklich bin.

Wieder spreche ich die Worte, die mich wieder ein Mensch werden lassen in meinem Kopf, um wieder meine ursprüngliche Form anzunehmen. Ich gehe auf sie zu und knie mich vor sie, schau ihr in die Augen.

Es stimmt schon: Blicke sagen mehr als Worte.
 

„Ist er tot..?“, fragt sie leise. Nur ein Hauchen verlässt ihre Lippen und ihr Körper zittert. Ich schüttele leicht mit dem Kopf.

„Nein, er atmet. Ist nur bewusstlos“, antworte ich ebenfalls leise und merke, wie meine Stimme dabei zittert. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Stimme jemals so brüchig war. Sie löst etwas in mir aus, was ich nicht beschreiben kann, aber ich erkenne mich selbst kaum wieder.

„Du bist ein Wolf..“, sagt sie in der selben Tonlage. Es ist mehr eine Feststellung, als eine Frage. Spricht eher zu sich selbst, als zu mir.

„...ja...“, ist das Einzige, was ich darauf antworten kann. Es jetzt noch zu leugnen wäre Irrsinn. Das was sie gesehen hat, kann man nicht verstecken und kann auch nicht schön geredet werden. Es ist die Wahrheit.

„Du bist ein Wolf...“, wiederholt sie sich. Doch es hört sich an, als müsse sie sich selbst davon überzeugen, dass das, was sie gesehen hat, kein Traum war und sie nicht verrückt ist. Ihr Brust hebt und senkt sich schnell, als müsse sie nach Luft rangen, weil sie das alles nicht begreifen kann.

Ich hatte gehofft, ich würde mich besser fühlen, wenn sie einmal mein Geheimnis kennt, aber offensichtlich überfordere ich sie nur.
 

Vorsichtig lege ich meine Hand an ihre Wange, schau ihr in die mausgrauen Augen, die im Moment mehr trübe sind, als alles andere. Ich schenke ihr ein kleines Nicken, will ihr zeigen, das sie nicht verrückt ist. Sie hält inne, schaut mir ebenfalls in die Augen. Ihre Pupillen weiten sich, ich glaub erst jetzt realisiert sie, was geschehen ist und erkennt, wer und was ich wirklich bin.

„Hast du Angst...?“, frage ich sie leise. Ich sollte sie sicherlich fragen, wie sie sich fühlt und wie es ihr geht. Aber mein Ego ist zu groß. Denn ich fürchte mich davor, dass sie Angst vor mir haben könnte. Es scheint mir irgendwie richtig, sie das zu fragen.

Sie beruhigt sich. Ihre Muskeln entspannen sich und ihr Atem wird wieder langsamer. Sie schüttelt mit dem Kopf, ohne ihren Blick abzuwenden.

„Nein... ich vertraue dir...“, antwortet sie leise. Allein mit diesen Worten schafft sie es, mein Herz zum Stillstand zu bringen und wäre die Situation eine andere, würde ich sie glatt dafür küssen. Stattdessen schenke ich ihr ein kleines, ehrliches Lächeln. Ich kann mich nicht daran erinnern, ob ich sie überhaupt jemals angelächelt habe, seit sie bei mir wohnt. Vor dem Unfall sicherlich öfters. Aber es scheint egal zu sein, wie ich war, denn auch sie muss lächeln, obwohl ich mir nicht erklären kann, wieso. Aber es freut mich und lässt mein Herz höher schlagen, sie so glücklich zu sehen.

„Ich bring dich nach Hause..“, sage ich leise und nehme meine Hand von ihrer Wangen, um ihr die Fesseln abnehmen zu können. Ich meine sogar ihren Blick spüren zu können, wie sie mich dabei beobachtet. Vielleicht ist es auch nur Wunschdenken, aber trotzdem lässt es meinen Blutdruck erhöhen.

Sanft streiche ich dabei ihre Hände, löse ihr vorsichtig die Fessel von den Handgelenken, welche leicht gerötet sind. Allein dafür, könnte ich dem schwarzen Wolf die Kehle umdrehen, aber jetzt ist Melody einfach wichtiger.
 

Vorsichtig hebe ich sie hoch, lege einen Arm um ihren Rücken, den anderen unter ihre Knie. Es scheint ihr unangenehm, sie dort zu berühren, denn sie wendet ihren Blick zur Seite. Zu gern würde ich etwas sagen, aber ich kann die schmale, harte Prothese deutlich spüren. Etwas unsicher legt sie ihren Arm um meinen Hals, um sich festhalten zu können, schaut mich schüchtern an. Mit einem Lächeln signalisiere ich ihr, dass sie sich nicht schämen braucht, sie kann ja schließlich nichts dafür. Ich bin gefahren.

Ich weiß nicht, ob sie meinen Blick versteht, aber ihre Mundwinkel heben sich ebenfalls ein bisschen und ich meine spüren zu können, wie sich ihr Körper entspannt.
 

Auf den ganzen Weg nach Hause wechseln wir kein Wort. Es ist keine unangenehme Stille, eigentlich ist es das erste Mal, dass wir uns anschweigen und wir beide uns einfach wohl fühlen können. Zumindest geht es mir so. Ich hoffe natürlich, dass es ihr genauso ergeht. Sie scheint entspannt, aber erwische ich sie immer wieder dabei, wie sie für kurze Zeit in die Ferne starrt und dann versucht mich unbemerkt zu mustern. Es muss hart sein, dass alles auf die Weise erfahren zu müssen, unter diesen Umständen. Irgendwann wollte ich es ihr sagen, das bin ich ihr schuldig, nachdem sie mich ständig in solchen – Zuständen – sehen musste und sie mir das Leben gerettet hat. Aber ich wollte nie, dass sie es auf diese Weise erfährt.

„Du musst mich nicht tragen... ich bin nicht verletzt...“, sagt sie leise, nachdem ich sie knapp fünfzehn Minuten auf den Armen halte.

Aber ich denke nicht einmal im Traum daran, sie den Weg nach Hause laufen zu lassen. Zum einen kann ich nicht einschätzen, ob sie den Weg mit der Prothese wirklich schafft, da es doch noch ein ganzes Stück ist. Nicht dass ich daran zweifeln würde oder ihr Mitleid schenke. Ich will nur vorsichtig sein, da ich mich damit einfach nicht auskenne. Zum anderen könnte der Schock noch zu tief sitzen und das Adrenalin unterdrückt den Schmerz. Sollte sie wirklich verletzt sein, wird es nur schlimmer und das will ich ihr nicht auch noch antun.

Und drittens – der wahrscheinlich einzig wahre Grund – will ich sie nicht loslassen. Zum ersten Mal kann ich sie in den Armen halten, sie spüren und ihr die Liebe geben, die sie verdient. Nachdem ich so ein Arschloch war, will ich es wieder gut machen. Nicht zu vergessen, habe ich mich schon lange danach gesehnt ihr näher zu kommen, doch das war bisher einfach nicht möglich.

Klar... den Wunsch sie einmal küssen zu dürfen wird wohl auch ein Traum bleiben, aber zumindest kann ich jetzt ehrlich zu ihr sein. Endlich ist klar, wer sie für mich ist und auch schon immer war. Endlich besteht die Chance zumindest eine freundschaftliche Beziehung aufzubauen und ihr somit etwas näher zu kommen. Und jetzt, wo es endlich soweit ist, will ich es einfach nur genießen und den Moment auskosten. Ich vermute, ich werde Melody nicht so schnell wieder Händen tragen können.

„Nein, ist schon gut. Versuch dich auszuruhen, bis wir daheim sind. Es war ein anstrengender Tag“, antworte ich darauf hin nur leise und schau sie sanft an. Sie antwortet nur mit einem Nicken und lehnt ihren Kopf an meine Brust.
 

Beinahe bete ich schon, das sie meinen schnellen Herzschlag nicht hört. Es ist mehr als verräterisch, wenn dein Herz so schnell schlägt, dass du Angst haben musst, es würde herausspringen.

Immer wieder schaue ich sie an. Beobachte ihr süßes Gesicht, während sie sich ausruht. Sie hat sich an mich gelehnt, den Kopf an meine Brust. Die Augen sind geschlossen und einen Arm noch immer um meinen Hals gelegt, der andere liegt ruhig auf ihrem Bauch. Womöglich ist sie eingeschlafen, kein Wunder bei der Aktion.

Sie atmet ruhig, ruhiger als gedacht. Ich komme nicht drum herum und gebe ihr einen kleinen Kuss ins Haar, wobei mir ihr Rosenduft in die Nase steigt. Sie wird es nicht merken, aber das ist unwichtig. Und selbst wenn, vielleicht beruhigt es sie und sie kann mir glauben, dass ich in Zukunft alles dafür tun werde, dass es ihr gut geht.
 

Nach etwa zwei Stunden sind wir zu Hause, doch kein Muskel schmerzt mir. Ich achte darauf sie nicht aufzuwecken, als ich die Türe aufschließe. Erst will ich sie in ihr Zimmer bringen, da fällt mir ein, dass dort noch das absolute Chaos herrscht und das muss sie ja nicht sehen. Vorsichtig lege ich sie auf das Sofa und decke sie sanft zu. Sie gibt ein wohliges Geräusch von sich, was mich leicht lächeln lässt und streiche ihr eine Haarsträhne hinters Ohr, welche ihr ins Gesicht gefallen ist.

Sie soll sich erst mal ausruhen, dann reden wir weiter.

Noch einen kurzen Moment beobachte ich sie, dann stehe ich auf und gehe in ihr Zimmer, um alles wieder aufzuräumen.

Möbel stelle ich wieder auf, Glasscherben kehre ich zusammen, ihre Klamotten hänge ich ordentlich auf und hänge sie ihr in den Schrank. Während ich alles wieder auf Fordermann bringe, stoße ich erneut auf ihr Medaillon. Ich befreie es von Schmutz und Staub und lege es ihr auf das zurechtgemachte Bett. Ich stelle mir schon ihr Lächeln vor, wenn sie es sieht, was mich automatisch auch glücklich werden lässt.
 

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie muss ich an unser Gespräch denken, als sie mir damals die Brust verarztet hat. Der Moment, als ich ihr die Chance gab Fragen zu stellen, ich diese aber nicht oder zumindest nicht Wahrheitsgemäß beantwortet habe. Ich bin mir sicher, es wird wieder so sein, mit dem Unterschied, dass ich sie dieses Mal nicht belügen werde. Ich habe Angst davor, ihr die Wahrheit zu erklären, auf der anderen Seite, ist es befreiend und irgendwie bin ich erleichtert, es ihr anvertrauen zu können. Ich musste Jahrelang alleine damit auskommen und jetzt hab ich eine Freundin, die mich akzeptiert, wie ich bin und mit der ich über alles Reden kann.
 

Noch immer schaue ich auf das Medaillon. Überlege mir, wie das Gespräch wohl laufen wird, doch egal welche Szenarien ich mir auch vorstellen würde, es würde so oder so anders verlaufen. Ich seufze einmal leicht und räume den Rest auf, bis ich mich wieder auf den Weg zu Melody mache.

„Daemon!“, höre ich es plötzlich panisch aus dem Wohnzimmer kreischen. Ohne Zweifel ist es Melody, deren Stimme hysterisch und vollkommen verzweifelt durch das ganze Haus schallt.

Sofort renne ich die Treppe hinunter, ins Wohnzimmer, wo ich sie zuvor schlafend auf dem Sofa abgelegt hatte. Sie sitzt aufrecht, ihre Augen sind geweitet und starren an die Wand. Ihr Brustkörper hebt und senkt sich unkontrolliert und ihren schnellen Atem, kann ich Meter weit hören.

Ohne auch nur darüber nachzudenken eile ich zu ihr und setze mich neben sie, um Mel in den Arm nehmen zu können. Ihr Shirt ist leicht durchnässt und bei jedem Atemzug presst sich ihr Oberkörper gegen meinen.

Ihr ganzer Körper bebt, ein herzzerreißendes Schluchzen verlässt immer wieder ihre Lippen, welches sich so anhört, als hätte sie es aus einer dunklen Ecke ihres Inneren heraus gegraben.
 

Meine Arme habe ich um ihren schmale Körper gelegt, fahre mit gleichmäßigen Bewegungen über ihren Rücken, um sie zu beruhigen. Eine Hand lege ich in ihr Haar, um ihren Kopf in meine Brust betten zu können und ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Als ob ich ein Baby im Arm halten würde, wiege ich sie immer wieder wenige Millimeter von links nach rechts.

Mehrere Minuten verweilen wir so, bis ich schließlich meine, dass sich Melody etwas beruhigt hat. Denn inzwischen sind ihre Schultern entspannter und ihr Weinen ist ruhiger geworden.

Vorsichtig löse ich mich wenige Zentimeter, lege eine Hand an ihre Wange, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Noch immer bahnen sich Tränen über ihre Wangen, welche ich ihr mit dem Daumen sanft weg wische.

Ich blicke direkt in ihre glasigen mausgrauen Augen. Ihre Pupillen bewegen sich immer wieder von der einen Seite zur anderen und bringen ihre Angst deutlich zum Ausdruck. Wie gern wüsste ich, was sie geträumt hat, es war offensichtlich ein Albtraum. Wahrscheinlich fühlte sie sich behütet, als ich sie auf dem Arm trug und bei ihr war. Erst, als ich sie abgelegt und mich entfernt hatte, schlief sie schlechter.

Wie egoistisch jetzt daran zu denken, dass sie mit mir besser schlafen konnte und schönere Träume hatte.
 

Ohne, dass ich etwas hätte tun können, wandert mein Blick zu ihren Lippen. Ihre Unterlippe zittert, genauso sehr, wie ihre Hand, die sie unsicher auf meine legt und für einen kurzen Moment ihre Augen schließt, um die Berührung genießen zu können. Ihr Gesicht presst sie etwas stärker gegen meine Hand. Ich kann nicht sagen wieso, aber ich vermute, um zu spüren, dass ich bei ihr bin und meine Nähe noch stärker spüren zu können. Mein Herz spielt vollkommen verrückt, dass ich befürchte, es würde jeden Moment aus meiner Brust herausspringen.

Noch immer ist mein Blick auf ihre Lippen konzentriert. Wie es wohl wäre sie jetzt, genau in dieser Situation, zu küssen. Ob sie wohl erwidern würde? Auch... wenn ich ihre Gefühlslage dabei vollkommen ausnutzen würde.

Und dann, berühre ich sie. Meine Lippen berühren ihre. Das witzige ist, ich hatte mich keinen Millimeter bewegt. Sie war es, die ihren Mund auf meinen drückte. Für einen Moment bin ich unfähig mich zu bewegen und zu erwidern. Starre unerwartet auf ihre geschlossenen Augen, bleibe wie angewurzelt sitzen, bis ich realisiere, was ich eigentlich gerade erlebe. Der Wunsch, von dem ich dachte es würde immer einer bleiben, geht jetzt gerade in Erfüllung. Ich weiß nicht, wie oft ich mir vorstellte sie zu küssen, aber eines ist sicher. Keine Vorstellung ist mit diesem Erlebnis, diesem Gefühl zu beschreiben.

Ich schließe meine Augen, lenke meine volle Konzentration einzig und allein in diesen Kuss. Vorsichtig, mehr als zaghaft bewegen sich unsere Lippen. Ein unsicheres herantasten, aber dennoch voller Leidenschaft. In meinem Bauch toben die Schmetterlinge, mein Herz klopft so laut, dass selbst ein hörgeschädigter diese Schläge hören würde. Eine plötzliche Hitze ergreift mich, lässt mein Blut pulsieren und mir die Röte ins Gesicht schießen.
 

Ich kann nicht einschätzen, wie viel Zeit vergangen ist, bis wir uns trennen und ich sofort das Gefühl habe ihre Lippen zu vermissen. Wir schauen uns an, Melodys Augen sind geweitet, glitzern nicht mehr vor Tränen sondern vor... Glück?

Sofort wendet sie ihre Blick ab, räuspert sich nervös und legt die Arme um ihren Körper, so dass ich gezwungen war, meine Hand von ihrer Wange zu nehmen.

„E-Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Es war nur... I-Ich dachte du seist... oh Gott, Daemon...“, stottert sie vollkommen verunsichert vor sich her. Beinahe überkommen mich die Schuldgefühle, da sie aufgrund des Kusses und wegen mir in dieser Situation steckt, vor allem nachdem der Tag sowieso schon so schrecklich gewesen sein muss.

Trotzdem kann ich mir nicht den Gedanken verkneifen, dass aufgrund des Kuss so verlegen ist – möglicherweise, weil er ihr genauso gefallen hat wie mir – und dabei auch noch total süß aussieht.

Ich kann nicht anders und nehme sie einfach wieder in den Arm. Will ihr zeigen, dass sie sich keine Gedanken machen muss und ich sie deshalb nicht verurteilen werde. Sie ist vollkommen durch den Wind.

Es ist nicht so, dass ich den Kuss nicht gewollt oder nicht genossen hatte. Trotzdem wäre es etwas anders gewesen, wenn der Kuss aufgrund einer anderen Situation zustande gekommen wäre.

„Ist... schon in Ordnung...“, sage ich leise. Ist schon in Ordnung? Innerlich könnte ich mich selbst Ohrfeigen. Etwas besseres fällt mir nicht ein? Wahrscheinlich verunsichere ich sie nur mehr, als dass ich sie tröste.

„Beruhige dich erst Mal. Was ist denn los?“, frage ich sanft und habe ein wenig das Gefühl meine Unsensibilität wieder gut machen zu können, wenn ich nicht weiter darauf herumreite. Wie Egoistisch zu denken, ich würde ihr gut tun.

Dabei lehne ich ihren Kopf wieder an mich und streiche ihr sanft durchs Haar.

Von ihr flogt ein tiefes Seufzen und kleines Schniefen. Es fühlt sich so an, als würde sie ihre Augen schließen, um sie auf die jetzigen Worte vorbereiten zu können.

„Ich... hab geträumt, dass er dich umgebracht hat. Dieser schwarze Wolf. Wie er dich angesehen hat, aus seinen blutrünstigen grünen Augen. Verdammt ich hatte solche Angst, du seist tot!“, brüllt sie die letzten Worte beinahe hysterisch und schlägt ein Mal Verzweifelt gegen meinen Oberkörper.

Somit ist wenigstens erklärt, warum sie vollkommen aufgewühlt ist. Wahrscheinlich war sie einfach nur verwirrt und hat mich deshalb geküsst. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte. Aber innerlich hatte ich mir schon gewünscht, dass mehr... ein gewisses Gefühl... dahinter steckt.
 

„Keine Sorge, du bist in Sicherheit. Das war nur ein Traum“, flüstere ich beinahe nur in ihr Ohr und halte sie weiterhin fest im Arm. Sie lässt sich vollkommen fallen, ist zu schwach um sich dagegen zu wehren oder irgendwelche Muskeln anzuspannen

„Aber du... du bist kein Traum, oder? Was ich gesehen habe, war keine Einbildung. Du... bist ein Wolf, nicht wahr..?“, fragt sie unsicher und schaut mich mit ihren grauen Augen an, als hätte sie Angst davor, ich würde sie für verrückt erklären. Doch ich kann nichts anderes tun, als ihr mit einem Nicken die Wahrheit zu bestätigen.

„Warum... hast du es mir nie gesagt...?“.

Und schon beginnt, wie zu erwarten, die nächste Fragerunde. Dabei bin ich doch eher überrascht, wie ruhig sie reagiert. Ich mein, der Tag war wirklich nicht leicht.

Sie seufzt einmal und schaut mich mit großen Augen erwartungsvoll an. Auch ich schließe für einen Moment die Augen und atme tief durch.

„Weil du dir nur unnötig Sorgen gemacht hättest und es nicht wichtig war“.

„Unnötige Sorgen? Daemon glaubst du, es geht mir besser und ich würde mir keine Sorgen machen, wenn ich jeden Tag damit rechnen muss, dass du wieder in einem zerfetzten, blutverschmierten T-Shirt zu Hause auftauchst! Als ich dich da halb tot an dem See gefunden hab und jedes Mal, wenn du das Haus verlässt, Angst haben muss, dass du vielleicht nicht mehr wieder kommst!?“.
 

Ja... so viel zum Thema ruhig. Aber ich kann es ihr nicht verübeln. Sie hat ja Recht. Noch nie habe ich mich in ihre Lage versetzt und versucht zu verstehen, wie sie sich fühlen muss, wenn sie mich so sieht. Dabei ist es vollkommen einleuchtend, dass sich ein Mädchen Sorgen macht, wenn ihr Freund – ein Freund – in solch einem Outfit jeden Abend nach Hause kommt. Oder vielleicht gar nicht mehr.

Ich senke meinen Blick, versuche mich in sie hineinzuversetzen und ja, es tut mir wirklich leid, dass sie all das miterleben musste. Schließlich wollte sie nur eine günstige Wohnung und ein paar Fotoshootings hinter sich bringen. Dass es einen Wolf gratis dazu gibt, konnte sie ja nicht ahnen.
 

Am liebsten würde ich irgendetwas erwidern, aber nichts würde diese Lüge rechtfertigen. Ich schaue sie mit gesenktem Kopf an. Sehe, wie sie mich noch immer erwartend anschaut, schließlich aber doch mit einem Seufzen aufgibt. Na super... wahrscheinlich habe ich sie schon wieder verletzt.

„Die ganzen Wunden... Sie kommen davon, weil du ein Wolf bist?“, fragt sie dann, um das Thema zu wechseln. Dies bestätige ich ebenfalls mit einem Nicken.

„Was ist passiert? Wer tut dir das an? Warum bist du immer voller Blut und deine Shirts sind zerrissen?“, fragt sie weiter. So schnell, dass ich das Gefühl habe, sie würde ohne Punkt und Komma reden. Ihre Stimme wird lauter, vor Verzweiflung. Ich will nicht wissen, was gerade in ihr vor geht.

„War es er? Der, der mich entführt hat? Dieser schwarze Wolf?“.

Sie lässt mir kaum Zeit zu antworten. Ich kann verstehen, dass sie endlich wissen will, was sich hier abspielt.

„Ja... er war es. Du musst wissen, eigentlich darf niemand wissen, dass es uns gibt. Dummerweise haben der Staat und das Militär von uns erfahren und sind in unser Dorf eingebrochen. Aber eigentlich ist dies von einem Schutzwall umgeben. Nur derjenige, der reines Herzens ist oder einer Person, der wir vertrauen kann diesen Wall durchbrechen. Anders gesagt, es muss einen Verräter geben, der uns enttarnt hat. Bei diesem Angriff ist seine Schwester ums Leben gekommen und aufgrund der letzten Jahre und Ereignisse, ist er fest davon überzeugt, dass ich der Verräter bin. Deshalb wollte er sich an mir rächen... und hat versucht dir weh zu tun. Dabei war das alles, was ich verhindern wollte. Ich wollte dich einfach aus der Sache heraushalten, weil es viel zu gefährlich ist.“, versuche ich ihr so einfach wie möglich zu erklären.
 

Sie schaut mich einfach nur an. Es scheint, als müsse sie das alles erst einmal verdauen. Ich muss nichts sagen, um zu wissen, dass Melody nicht daran zweifelt, dass ich damit nichts zu tun habe. Würde sie es tun, säße sie nicht noch auf der Couch und würde mir zuhören.

Nach ein paar Minuten folgt ein Nicken. Sie scheint es verstanden zu haben und nachvollziehen zu können. Auch, dass es nicht meine Absicht war, sie in das hier hineinzuziehen und ich deshalb nichts gesagt habe, ist wohl deutlich geworden und sie scheint es begriffen zu haben. Ich dachte zuerst sie sei wütend, aber im Moment sieht sie einfach nur erschöpft aus.
 

Ich senke meinen Blick, kann sie so nicht ansehen. Es verletzt mich einfach nur, dass sie meinetwegen so leidet. Mein Blick fällt auf ihre Hände. Ich habe sie noch nie genau beobachtet. Sie sind eher klein und zierlich. Aber gepflegt. Außer ihr Nagellack. Er ist abgesplittert, vermutlich bei dem versuch sich zu wehren. Ihre Finger sind verknotet, als müsse sie sich selbst halten, um nicht nervös mit dem Zipfel ihres T-shirts zu spielen. Rote Ränder umringen ihre Handgelenke, die von den Fessel zurückgeblieben sind. Beinahe selbstverständlich fahre ich leicht meiner Hand darüber, als müsse ich mich selbst bestätigen, dass sie echt waren und nicht nur eine Täuschung aufgrund des Schattens sind. Wäre aber auch zu schön gewesen.

Schnell stehe ich auf und gehe ins Badezimmer. Innerhalb weniger Sekunden bin mit einer Wund- und Heilsalbe wieder bei Melody. Vorsichtig verstreiche ich das weiße Zeug auf ihren Handgelenken. Ich spüre ihren Blick, wie er auf mir ruht. Als ich sie ansehe, schenkt sie mir ein kleines Lächeln, welches ich erwidere.
 

Kaum habe ich die Hand versorgt, spüre ich ihre kalten Fingerspitzen an meinem Hals. Ich spüre, wie sie die Konturen der Kette meines Amuletts nachfährt. Ich hatte beinahe schon vergessen, wie es sich anfühlt sie so nah zu spüren. Ich kann nicht leugnen, dass mir diese Geste durchaus gefällt. Jede noch so kleine Berührung fühlt sich an, als würde mich ein Stromschlag durchfahren. Es ist beinahe so, als wir im Bad waren und sie mir den Verband um die Brust legte. Seit dem waren wir uns nicht mehr so nah. Und ich muss zugeben, ich hatte diese Nähe vermisst.

Sie umgreift die Kette und zieht das Amulett hervor, welches ich normalerweise immer unter meinem T-shirt versteckt habe. Sie hält es in der Hand, mustert jede Linie genau.

„Es gehört auch dazu, nicht wahr?“, fragte sie leise. Ich weiß genau, dass damit auf dieses ganze Wolfsein anspielt.

„Ja. Die Steine sind Saphire. Sie sind der Grund, warum wir Halbblüter uns in einen Menschen oder einen Wolf verwandeln können“.

„Halbblüter?“, fragt sie weiter und wendet nun ihren Blick vom Amulett ab, um mich ansehen zu können.

„So nennen wir uns, da unsere DNA zur Hälfte aus Wolfs und zur anderen Hälfte aus Menschen DNA besteht. Wir absolvieren Prüfungen, um zu beweisen, dass wir es würdig sind diese Ehre zu tragen“.

Melody schaut mich an, als würde sie nur Bahnhof verstehen. So einfach wie möglich versuche ich ihr also zu erklären, wie dieses Gen in die Familie gelangt ist. Durch den damaligen Kampf meiner Großmutter. Welche Bedeutung der Saphir für uns hat. Dass er unsere Lebensquelle ist und wir durch ihn undercover leben können. Die vier Phasen und Wandlungen unseres Amuletts und dass wir Prüfungen absolvieren müssen. In welcher Verbindung die Ältesten zum Saphir stehen. Dass sie die Einzigen sind, die Zugang zu dem Edelstein haben und wir deshalb von ihnen abhängig sind.
 

Es gibt so viel zu erzählen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll. Melody scheint mir zwar die komplette Zeit über ihre Aufmerksamkeit, allerdings bin ich mir nicht sicher, ob sie irgendetwas davon verstanden hat. Ab und zu nickt sie, sagt aber sonst kein Wort, sondern starrt entweder auf das Amulett oder schaut mir in die Augen. Auch wenn ich letzteres bevorzuge, weiß ich nicht genau, was ich aus ihren Augen herauslesen soll. Erleichterung? Überforderung? Angst? Müdigkeit? Glück? Ich kann es nicht sagen. Vermutlich eine Mischung aus allem.
 

Leicht lege ich eine Hand auf ihre und lächle sie sanft an. Es ist auch vollkommen egal, ob sie es verstanden hat, oder nicht. Ich habe ihr gesagt, was los ist, ihr erklärt, warum ich es ihr nicht gesagt habe und dargestellt, was genau ich bin und was für ein Leben ich lebe. Und das alles zeigt und ist der eindeutige Beweis dafür, dass ich ihr vertraue. Ihre Freundschaft und ihre Person wertschätze. Ich muss sie nicht mehr belügen, kann offen zu ihr sein und das wird unsere Beziehung – freundschaftlicher Basis – um einiges vereinfachen. Vielleicht haben wir jetzt endlich die Chance, uns gegenseitig respektvoll zu behandeln. Beziehungsweise... ich kann Melody endlich respektvoll behandeln. So mit ihr umgehen, wie sie es verdient und für sie da sein. Dieses Gespräch ist für uns beide so viel mehr bedeutsamer, als nur etwas über meine Geschichte herauszufinden. Es ist heißt für uns, der Neustart einer einzigartigen Freundschaft.
 

„Was ist mit deinen Eltern?“, fragt sie erneut und schaut mich unsicher an. Irgendwie ist die Frage doch berechtigt. Denn was wahr war und was nicht, kann sie wohl erst jetzt filtern.

„Sie waren Halbblüter, wie ich. Aber das Gen vererbt sich bei uns nur auf der männlichen Seite. Mein Vater hat meine Mutter in Dorf kennengelernt“, erkläre ich.

„Sind sie... noch am Leben...?“. Melody schaut mich mit einem hoffnungsvollen Blick an. Jetzt weiß ich, warum sie beim letzten Mal so geschockt darüber war. Sie kannte meine Eltern wohl und waren vermutlich auch ihre zweite Familie, wenn wir so gute Freunde waren. Doch ich muss sie enttäuschen und schüttele mit dem Kopf.

„Nein... Kurz nach dem Unfall starben sie durch Jäger, die sie erschossen hatten“, stelle ich es richtig und erkenne, wie das Rot ihre Wangen verlässt. Sie wendet ihren Blick ab und murmelt ein paar unverständliche Worte. Ich schätze mal dieses Standard „Es tut mir leid“, obwohl dies keinesfalls nötig wäre.
 

Sie sieht so bedrückt aus, dass ich nicht anders kann, als sie wieder in den Arm zu nehmen. Kurz scheint sie überrascht, aber dies legt sich schnell. Denn auch sie legt ihren Kopf auf meine Brust und lässt sich mit ihrem Gewicht gegen mich fallen. Ich vergrabe meine Nase in ihrem Haar und atme ihren Rosenduft ein. Wie ich Rosen doch liebe. Sanft fahre ich mit einer Hand immer wieder an ihrem Arm auf und ab.

„Was... ist mit Andrew? Ist er auch... ein Halbblüter...?“, fragt sie nach ein paar Minuten des Schweigens.
 

Ach ja, das Thema Andrew hatte ich schon vollkommen verdrängt. Es ist nicht gerade das Thema, worüber ich jetzt gern reden würde. Aber der Tag ist sowieso schon für den Arsch. Kommt es da auf eine schlechte Neuigkeit mehr oder weniger echt auch noch an?

„Heute Morgen... du warst schon weg. Warst du bei ihm, weil er uns angelogen hat, oder? Was hat er gesagt?“, fragt sie weiter, doch ohne mich anzusehen und bleibt ruhig sitzen. Ihre Stimme ist ruhig. Zu ruhig für diese Situation. Aber sie ist mit den Nerven einfach am Ende, dass ich am überlegen bin, eine neue Story zu erfinden. Aber früher oder später würde sie es sowieso herausfinden und ich will das jetzige Vertrauen auch nicht ausnutzen. Ich seufze einmal, bis ich mit der frohen Botschaft herausrücke.

„Ja, er ist ein Halbblüter. Und ja, ich war heute Morgen bei ihm, um ihn zu fragen, warum er das getan hat“, beginne ich leise.

Ich will nicht näher auf das Thema Andrew eingehen. Ich weiß, dass er mein Bruder ist – zumindest biologisch – aber ich schaff es im Moment einfach nicht ihm zu verzeihen. Jahrelang hat er mir zugesehen, wie ich unter dem Gedächtnisverlust gelitten habe. Zwar hat er versucht mich dabei zu unterstützen, hat mir aber nur weitere Lügen aufgetischt und mein Vertrauen missbraucht. Kann man so etwas tatsächlich wieder verzeihen?
 

Ich hatte gehofft, das würde Melody für's Erste reichen, aber ist doch selbstverständlich, dass sie jetzt alles wissen will. Und wenn sie wieder anlüge würde, würde zwischen uns nur eine neue Mauer entstehen lassen.

„Was hat er gesagt..?“, fragt sie erneut und löst sich langsam aus der Umarmung, um mir in die Augen sehen zu können. Noch immer habe ich meine Hand leicht an ihrer Schulter abgelegt und schaue ihr ins Gesicht. Unwillig auch auf ihre Lippen, wobei mir der Kuss wieder in den Sinn kommt.

Auf der einen Seite bin ich mehr als glücklich, ihre Lippen gespürt zu haben, denn ich hatte mir nichts sehnlicher gewünscht. Auf der anderen Seite zerreißt es mir das Herz.

Sie hatte schlecht geträumt und war durcheinander. Der Kuss kam nur zustande, weil sie dachte ich würde sterben oder sei bereits tot. Also nur aus reiner Fürsorge und nicht, weil Gefühle dahinter stecken, für die es sich lohnt, zu kämpfen.
 

Ihre Augen sind trübe und die Lider sind leicht geschlossen. Dunkle Ringe sind erkennbar und ihr Haar ist zerzaust.

Ich bin fest davon überzeugt, dass sie sich erst ausruhen sollte, bevor ich ihr die Wahrheit erzähle, doch ich weiß, dass sie zu dickköpfig ist, um das zuzulassen.

„Andrew hat erzählt, dass.. er in dich verliebt ist“, beginne ich leise und wende meinen Blick ab. Ich will nicht sehen, wie ihre Augen anfangen zu leuchten, wenn sie davon erfährt. Versteht mich nicht falsch, liebe es, wenn sie glücklich ist. Aber sollte sie dieses Wissen glücklich machen, würde in mir eine Welt zusammenbrechen.

„Er.. er tut was? Ist das sein Ernst?“, fragt sie ungläubig, etwas aufgebracht und lauter. Ich bin mir nicht sicher, aber ich meine Wut herauszuhören.

„Er lügt uns die ganze Zeit an und behauptet jetzt, er sei in mich verliebt? Was soll das für eine Liebe sein, das Vertrauen der anderen auszunutzen!?“, fragt sie tatsächlich etwas aggressiv und fuchtelt gereizt mit den Armen herum.

Als ich zu ihr aufblicke, erkenne ich eine deutliche Falte auf ihrer Stirn und wie ihre Wangen vor Wut feuerrot geworden sind. Ich muss mir ein kleines Schmunzeln verkneifen. Nicht, weil sie sich so sehr über meinen Zwilling aufregt, sondern weil es einfach nur süß ist, wie sich ihre Wangen färben und sie etwas überfordert mit ihren Armen so tut, als würde sie eine Fliege verscheuchen.
 

Doch das ändert nichts an der Wahrheit und dem Geständnis.

„Andrew sagte, er sähe seine einzige Chance darin, dich anzulügen und dich mir zu verschweigen, um an dich heranzukommen. Er hatte sich erhofft, wenn du glaubst, ich würde dich hassen, würdest du mehr Zeit mit ihm verbringen und dich in ihn verlieben“, erkläre ich es vorsichtig weiter und beobachte sie weiter.

Melody starrt mich unglaubwürdig an. Mit einem Schwung erhebt sie sich von der Couch und geht im Wohnzimmer auf und ab. Sie redet so schnell, dass ich kaum ein Wort verstehe. So habe ich sie noch nie erlebt – vielleicht früher einmal – aber ich muss mir wirklich ein Lächeln verkneifen.

Doch kommen mir auch wieder Andrews Worte in den Kopf: „Ich hätte wissen müssen, dass du genauso für sie fühlst, so wie du sie immer angesehen hast […] Das Einzige woran sie dachte, warst du“.

Ich wage es kaum den Gedanken auszuführen. Aber wäre es möglich, dass Melody und ich damals füreinander Gefühle hegten, aber wir beide einfach Angst hatten, diese zu äußern. Vielleicht wäre so vieles anders gekommen.
 

„Ich glaub es einfach nicht! Wie kann man so egozentrisch und ichbezogen sein! Lieber lügt er dich – seinen Bruder! - und mich – seine angebliche Liebe! - an, nur weil er seine Gefühle nicht im Griff hat?“, ruft sie aufgebracht und bleibt abrupt stehen, um mich anzusehen. Ihre Augen sie glasig und verengt, ihre Wangen so rot, wie eine Tomate und mit ihren Händen fährt sie sich immer wieder durch ihre zerzausten Haare. Irgendwie ist es ein wenig belustigend, dass sie Andrew nicht ernst nimmt und auf meiner Seite steht.

Ist sie nicht zauberhaft?
 

Kurz schaue ich sie an, dann zu Boden. Bin mir nicht ganz sicher, ob ich es ansprechen soll. Aber ich hab das Gefühl, dass es mir Gewissheit geben wird. Dass es wichtig ist. Für uns beide.

„Andrew meinte, es hätte nie etwas genützt, weil du wohl... immer nur an mich gedacht hättest“, frage ich unsicher. Habe zum ersten Mal seit dem Unfall das Gefühl, verlegen zu sein und rot zu werden. Gefühle sind doch ein einziger Fluch.

Ich muss sie nicht ansehen, um zu wissen, dass Melody den Kopf ebenfalls zu Boden wendet und die Arme um sich schlingt. Sie scheint wohl genauso empfindlich darauf zu reagieren, wie ich.

„Das stimmt... Wir waren beste Freunde und es hat mir das Herz gebrochen, zu 'wissen', dass du nichts mehr von mir hören willst. Ich habe mir das nie verziehen, weil ich das Thema Andrew während der Autofahrt schon wieder aufgegriffen habe und wir deshalb den Unfall hatten“, sagt sie leise und setz sich wieder neben mich.

Natürlich, der beste Freund. Wäre ja auch zu viel verlangt, wenn da mehr gewesen wäre. Aber selbst wenn, wer sagt, dass es heute immer noch so wäre.
 

„Außerdem... war ich seit ich mich erinnere in dich verliebt...“, sagt sie so leise, das ich es kaum verstehe. Trotzdem habe ich jedes Wort genaustens verstanden und richte sofort meinen Blick auf sie.

„Aber das ist lange vorbei. Ich musste ja dann auch irgendwie weitermachen“, fügt sie schnell hinzu, wieder mit etwas lauterer Stimmt. Unsicher schaut sie mich an und versucht mit einem gekünstelten Lächeln die peinliche Situation zu überspielen.
 

Doch während sie darüber lachen kann, zerreißt es mir das Herz. Andrew hat dafür gesorgt, dass ich wohl nie wieder die Chance habe, ihr näher zu kommen, als nur reine Freundschaft.

Ich sehe sie an, zwinge mich auch zu einem unnatürlichen Lachen, wenden aber dann beide absolut peinlich berührt die Blicke wieder ab.

„Ich... war auch in dich verliebt. Sagt Andrew zumindest. Das war wohl der Grund, warum ich nicht wollte, dass ihr euch trefft...“, gebe ich schließlich schneller zu, als ich es eigentlich geplant hatte. Ihr spüre, wie sie mich durch ihre mausgrauen Augen anschaut und ich meine sogar gehört zu haben, wie sie die Luft eingezogen, bisher aber noch nicht ausgeatmet hat.

„Aber seit dem Unfall, hab ich wohl sowohl meine Erinnerungen, als auch meine Gefühle verloren“, reiche ich schnell nach, um mich aus der Situation zu retten. Doch könnte ich mir sofort selbst eine Ohrfeige verpassen.

Meine Gefühle verloren? Das heißt ich habe Melody indirekt ins Gesicht gesagt, dass ich nichts – weder Freundschaft noch... irgendetwas anderes – für sie empfinde. Ich eine gefühllose Puppe bin, ein Arsch, der keinerlei Empathie empfinden kann. Das heißt, ich habe meine Chancen endgültig verspielt. Wie sehr kann man sich das eigene Glück eigentlich vermiesen?
 

Jetzt höre ich Melody ausatmen. Lauter, leicht zitternd. Na super und ich hatte gehofft wir hätten es endlich hinter uns, dass ich sie andauernd verletzen werde. Ich will mich erklären, ihr sagen, das ich das so nicht gemeint habe. Aber wie bitte soll das funktionieren, ohne mich dabei vollkommen zu blamieren oder ohne ihr zu gestehen, was sie eigentlich für mich bedeutet, obwohl ich für sie nur noch ein Freund bin.

Eine unangenehme Still breitet sich zwischen uns aus. Ich traue mich nicht, sie anzusehen. Zu sehen, welche Gefühle ihre Augen widerspiegeln.

Mehrere Minute verweilen, in welchen wir uns anschweigen und auf einem gewissen Abstand bleiben, uns ja nicht berühren.
 

Ich höre Melody seufzen und sehe, wie sie ihren Kopf auf ihren Arm legt. Ihr Körper fällt erschöpft gegen die Sofalehne und das Gesicht vergräbt sie in der Ellenbeuge.

Ihr Schultern beben und immer wieder dringt ein kleines Schluchzen und Schniefen hervor.

Ich sitze neben ihr, kann nichts anderes machen, als sie zu beobachten. Ich fühle mich so hilflos und überfordert, weiß nicht, was ich tun soll. Die einzige Person, die mir noch etwas bedeutet – zudem sehr viel bedeutet – sitzt weinend neben mir und ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll.

Am liebsten würde ich sie einfach an mich drücken, ihr einen Kuss ins Haar geben und ihr über den Rücke streichen. Ihr sagen, dass ich für sie da bin, sie mit mir über alles reden kann. Aber ich bin einfach nicht fähig mich zu bewegen. Stattdessen höre ich ihrem Weinen zu, was mir jedes Mal aufs Neue diese Schmerzen spüren lässt.
 

„Das.. ist doch alles nicht möglich. Ich dachte, ich kenne dich und Andrew. Und jetzt erfahre ich, dass alles, was wir gemeinsam erlebt haben, eine einzige Lüge war“, sagt sie verzweifelt. Ich habe Mühe sie zu verstehen, weiß aber genau was sie sagen will, ohne jedes Wort genau wahrnehmen zu können. Schuldbewusst schaue ich sie an. Ich wünschte ich könnte etwas für sie tun, aber im Moment glaube ich einfach nur, dass sie kurz ihre Ruhe braucht, um alles zu verdauen. Den ganzen Tag kam sie nicht dazu, einmal über all das nachzudenken und nun sind wir an dem Punkt angekommen, bei dem sie einfach nicht mehr stark sein kann.

Vorsichtig lege ich meine Hand an ihre Schulter. Will ihr einfach nur zeigen, dass ich für sie da bin und ich ihr die Zeit gebe, die sie jetzt braucht. Doch ohne, dass ich etwas hätte tun können, stützt sie sich von der Couch ab und lehnt sich gegen mich, dass ich aufpassen muss, nicht nach hinten umzukippen.
 

Ihre zarten, kleinen Hände krallen sich an meinem Shirt fest, als würde sie vergeblich nach Halt suchen. Als wäre ich ihr Fels in der Brandung, an dem sie sich klammern kann, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt.

Ich lege meine Arme um sie und drücke sie eng an meinem Körper. Gebe ihr die Nähe, die sie braucht, die ich ihr in den vergangen Wochen nicht geben konnte, sie aber in den letzten Jahre benötigt hat.

„Es tut mir leid“, hauche ich ihr leise ins Ohr. So einfühlsam und warm, wie ich es zuvor noch nie getan habe. Mit einem Mal entspannt sich ihr Körper und ein erschöpftes, aber auch zufriedenes Seufzen entweicht ihren Lippen. Mit einem Nicken antwortet sie darauf, als wolle sie sagen, dass man es jetzt nicht mehr ändern kann. Allerdings bleibt sie ruhig sitzen, macht keinerlei Anzeichen dafür, dass sie aufstehen und sich von mir trennen will. Auch ich will mich nicht von ihr entfernen, ganz im Gegenteil. Ich wünschte, wir wären uns näher. Nicht einmal unbedingt körperlich. Aber freundschaftlich, eine gewisse Basis aufbauen zu können. Nicht mehr diese Mauer zwischen uns zu haben, auch wenn diese inzwischen beginnt zu bröckeln. Aber ich will einfach nicht mehr diese Distanz zwischen uns haben. Und so selbstbewusst, arrogant und kühl ich manchmal auftrete, bin ich mich nicht sicher, ob ich diese Mauer länger ertragen will und kann.
 

„Warum hast du es mir nie gesagt?“, fragte sie nach einer Weile des Schweigens. Kurz halte ich in meiner Bewegung inne, streiche ihr aber dann vorsichtig weiter über den Rücken.

„All die Jahre, Daemon. Die ganze Zeit warst du ein Wolf und trotzdem hast du mir nichts gesagt. Ich dachte, du vertraust mir“, sagt sie einem verzweifelten Ton und ich merke, wie sie den Tränen schon wieder nahe ist..

„Natürlich vertraue ich dir. Ich weiß, dass ich dir damals vertraut habe, denn auch heute tue ich es. Ich habe es dir nicht gesagt, weil niemand von uns Halbblütern wissen darf, Melody. Es ist zu gefährlich, wenn jemand anderes davon weiß. Ich wollte dich einfach nur beschützen“, antworte ich ihr darauf und hoffe, dass sie es nachvollziehen kann.

„Zu gefährlich für jemand anderen – einen Menschen? Mich beschützen? Wovor?“, fragt sie weiter. Aber vollkommen ruhig, beinahe nur in einem Flüsterton. Sie ist definitiv übermüdet.

Ich schaue auf sie herab, sehe, wie sie Mühe hat, ihre Augen offen zu halten und immer wieder mehrfach blinzelt, um nicht einzuschlafen. Sie sehnt sich beinahe nach einer Mütze Schlaf, doch im Moment scheint ihr die Erklärung und die jetzige Ehrlichkeit wichtiger zu sein, als alles andere.
 

„Niemand darf über uns Bescheid wissen. Nicht nur, dass das Militär und der Staat sowieso schon von unserer Existenz wissen, aber würden nun auch noch andere Menschen davon erfahren, wären sie in Gefahr. Ich hab dir doch vom Saphir erzählt. Wie wichtig er für uns ist und wir ohne ihn nicht leben können. Der Staat will ihn für sich selbst, aus Geldgründen, vermuten wir. Er strebt nach Macht, Erfolg und Reichtum, es ist ihm egal, ob andere Wesen dabei geschadet werden. Das Problem ist, wir wissen nicht, wie viel sie bereits über uns wissen und eine Ahnung davon haben, welche Bedeutung der Saphir für uns hat. Und wenn jemand anderes – zum Beispiel du – darüber wüsstest, würde das Militär nicht davor zurückschrecken, dir etwas anzutun, nur an Informationen zu kommen. Und ich würde es mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustößt, nur weil ich dir mein Geheimnis anvertraut habe“, versuche ich es ihr so einfach wie möglich zu erklären, auch wenn das alles doch ziemlich kompliziert ist.
 

Ich weiß nicht, warum mir der letzte Satz über die Lippen gekommen ist. Ich hatte das Gefühl ihr zeigen zu müssen, dass sie mir wichtig ist. Vielleicht kann ich so meinen zuvor gesagten Satz wieder etwas rechtfertigen und wieder gut machen. Sie soll nicht glauben, dass sie mir nichts bedeutet, denn das tut sie nicht.

Von ihr folgt nur ein kleines Nicken und ein kleines überhörbares Danke. Ich weiß nicht, wofür sie mir dankt. Vielleicht, weil ich ehrlich zu ihr bin, oder dafür, weil ich sie einfach nicht mit in etwas hineinziehen wollte, wofür sie keine Schuld trägt. Fast bin ich sogar ein wenig beleidigt, dass sie nicht mehr dazu sagt, aber ich kann sie verstehen und belasse es dabei. Ich will sie nicht jetzt noch mit weiteren Fragen bombadieren.
 

Ein paar Minuten verweilen wir so, bis ich irgendwann das Gefühl habe, dass Melody sich beruhigt hat. Ihr Atem ist gleichmäßig und ihr Schluchzen hat schon vor ein paar Minuten aufgehört. Ich hebe meinen Kopf an, den ich zuvor auf ihrem abgelegt hatte, und mustere sie vorsichtig. Ihr Arme hängen schlaff hinunter und mit ihrem gesamten Körpergewicht, lehnt sie sich gegen mich. Ihre Augen sind geschlossen, doch kann ich die getrockneten Tränen auf ihren Wangen deutlich sehen. Sie ist – endlich – eingeschlafen. Ihr Körper braucht die Ruhe und ich bin froh, dass sie diese endlich finden kann.

Ganz vorsichtig, darauf bedacht sie nicht zu wecken, hebe ich sie hoch, um sie auf ihr Zimmer zu tragen.

Schritt für Schritt schleiche ich mich die Treppe hinauf und lege sie behutsam in ihrem Bett ab.

Doch bei dem Gedanken, sie könnte aufgrund von Albträumen schon wieder aufschrecken und Angst haben, dreht sich mir der Magen um. Also beschließe ich bei ihr zu bleiben.

Ich kann nicht sagen, ob es tatsächlich nur aus diesem Grund ist, oder ob ich nach einem Grund suchen wollte, um bei ihr bleiben zu können. Denn auf keinen Fall möchte ich sie jetzt alleine lassen.
 

Leise lege ich mich neben sie, so, dass unsere Gesichter zueinander zeigen. Ich beobachte ihre Gesichtszüge. Sie sind vollkommen erschlafft, vor Erschöpfung. Sie wirkt friedlich, aber ihr Körper hat diese Ruhe jetzt auch dringend benötigt. Mit einem Finger streiche ich ihr leicht über die Wange, kann mir ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Noch einmal überlege ich, ob ich ihr einen kleinen Kuss geben soll, nur um ihr zu zeigen, dass sie nicht allein ist natürlich. Doch ich entscheide mich dagegen.

Letzten Endes schließe ich die Augen und merke nur noch im Halbschlaf, habe kaum noch Kontrolle darüber, wie ich einen Arm um Meldoy lege und sie an mich heranziehe, nur um in dieser Position einzuschlafen.

Kapitel 15

 

Als ich am nächsten Morgen aufwache, schläft Melody noch. Ich bin sowohl überrascht, als auch nicht, dass ich mich total ausgeschlafen und wohl fühle. Auf der einen Seite hatte ich vermutet, dass diese Nacht die Hölle wird, da ich mir Sorgen um Mel gemacht habe, wie sie wohl schläft oder doch wieder Albträume hat. Auf der anderen Seite war mir klar, dass ich neben ihr nur gut schlafen kann.

 

Als ich sie begutachte, spüre ich erst nach einigen Sekunden, wie sich ein Lächeln auf meinen Lippen widerspiegelt. Mel macht irgendetwas mit mir, was ich nicht beschreiben kann. Seit dem Unfall habe ich mich nicht mehr so wohl und geborgen Gefühlt und seit dem sind nun fast drei Jahre vergangen. Drei Jahre lang habe ich mir eine Fassade aufgebaut, weil ich nicht wusste wie ich damit umgehen soll. Vor allem nach dem Tod unserer Eltern, ist eine Welt für mich zusammen gebrochen und ich hatte niemanden mehr an dem ich mich festhalten kann. Es fühlte sich an, als würde ich Jahre lang in ein tiefes, schwarzes, endloses Loch fallen und Melody ist endlich der Fels, an dem ich mich festhalten kann, um mein Fallen zu stoppen.

Ich glaube, sie weiß gar nicht, was für einen Einfluss sie auf mein Leben hat und was genau ich ihr zu verdanken habe. Denn ist lange her, seit ich mich wieder jemanden öffnen konnte. Seit sie von meinem Geheimnis weiß, auch wenn das erst seit gestern ist, habe ich in dieser Zeit mehr gelächelt, als in den letzten Jahren zusammen. Die anfängliche Mauer ist zusammengebrochen, stattdessen ist ein Band entstanden, was uns zusammenhält. Auch, wenn ich mir mehr wünschen würde, würde ich nun alles auf der Welt dafür aufgeben, damit unsere Freundschaft bestehen bleibt und ich sie nie wieder verlieren muss. Ich wüsste nicht, ob ich es noch einmal schaffen würde, mein Leben weiterzuleben, wenn ich wieder einen Menschen verlieren würde, der mir mehr bedeutet, als alles andere.

 

Während ich sie beobachte, schießen mir Zeilen durch den Kopf, die perfekt für ein neues Lied passen würden.

Es ist lange her, dass mir von jetzt auf gleich Zeilen einfallen, die mir sogar einigermaßen gut gefallen und ich nicht zwanghaft nach den passenden Worten suchen muss. Zudem ist in letzter Zeit einfach so viel passiert, dass ich nicht dazu gekommen bin, ein neues Lied zu schreiben und ein paar Takte auf meiner Gitarre zu komponieren.

Leise schleiche ich mich aus dem Bett, nachdem ich einen letzte Blick auf sie geworfen und eine Haarsträhne hinter ihr Ohr gestrichen habe.

 

Darauf bedacht sie nicht zu wecken krame ich nach einem Block und einem Stift, in der Hoffnung, mir entflieht der Text nicht gleich wieder. Nachdem ich in einer Schublade neben ihrem Bett Papier und Stift gefunden habe, setze ich mich vor ihr Bett, so dass ich mich mit dem Rücken an die Bettkante lehnen kann.

 

[style type="italic"] There's only a certain amount.

A human can occur.

But what follows is often just more torture.

 

So let my message seeping in.

Because I show you my world tonight.

 

A halfbreed at it's purest stage.

Often thrown in the cage.

To defend what I cherish the most.

I close myself, my pride is lost.

 

So let my message seeping in.

Because I show you my world tonight.

 

You hope it was a dream.

But you will see.

It's all true.

 

So let the message seeping in.

Because I showed you my world tonight. [/style]

 

Mehrmals lese ich mir den Text durch. Es ist ein der Text, der mich nach langer Zeit wieder gefällt und wahres mit sich trägt.

„Das ist schön..“, höre ich es plötzlich leise hinter mir eine zu bekannte Stimme sagen und spüre ihren Atem in meinem Nacken. Ich drehe mich zu Melody um, sehe sie leicht lächelnd an und bedanke mich mit einem kleinen Nicken.

Ein wenig unsicher streckt sie ihre Hand nach dem Text aus, um, welchen ich ihr auch gebe.

Ich erkenne genau, wie ihre grauen Augen den einzelnen Zeilenfolgen und habe das Gefühl, als würde sie jedes Wort in sich aufnehmen.

Nach wenigen Sekunden reicht sie mir den Text wieder.

„Es stimmt... ich hatte wirklich gehofft, es wäre ein Traum. Aber ich bin froh, dass es keiner ist. Weil... ich weiß, dass du mich nicht anlügst und du mir vertraust. Das bedeutet mir sehr viel“, sagt sie leise und auf ihren Wangen bildet sich ein kleiner Rosaton, der meinen Herzschlag nur in die Höre treiben lässt.

„Ich hab ja jetzt viel gehört. Aber würdest du mich wirklich mal mit in deine Welt nehmen? Mir alles zeigen?“, fragt sie weiter und schaut mich hoffnungsvoll an.

„Ich denke, ich kann dich mit in unser Dorf nehmen. Denn wenn sich die Tore für dich öffnen, besteht zwar kein zweifel, dass sie dich akzeptieren, aber ich kann dir nicht garantieren, dass sie glücklich darüber sind. Vor Allem, weil.. die beiden.. auch dort sein werden“, versuche ich ihr deutlich zu machen.

Ich muss keine Namen nennen, denn sie weiß genau, dass mit den „beiden“, Andrew und der schwarze Wolf gemeint sind. So wenig ich beide im Moment leiden kann, kann ich es jedoch nicht ändern und sie gehören zu unserem Rudel dazu. Trotzdem will ich es vermeiden, den beiden über den Weg zu laufen. Man muss jan ichts provozieren und ich kann nicht garantieren, dass ich meine Klauen festhalten werde, wenn sie mir über den Weg laufen.

 

Meldoy nickt verständnisvoll und schweigt für einen Augenblick. Es scheint, als wolle sie sich das Ganze noch einmal überlegen. Doch schneller als erwartet, beharrt sie schließlich darauf, doch meine Heimat einmal sehen zu wollen.

Mir gefällt das zwar gar nicht, aber ich will ihr nicht widersprechen. Sie ist stur und dickköpfig. Und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist es nicht nötig, darüber zu diskutieren.

Manchmal ist diese Eigenschaft echt nervig, aber bin ich trotzdem in jeder Hinsicht dankbar, dass sie diese hat. Denn wäre sie nicht so, wer weiß, ob wir uns jetzt so gut verstehen würden oder ob ich überhaupt noch am leben wäre. Sie war schließlich diejenige, die nicht aufgegeben hat, den Kontakt zu mir zu suchen.

 

„Danke, dass du heute Nacht bei mir geblieben bist“, sagt sie leise und schaut verlegen zur Seite. Ich kann jedoch nicht anders und kann meinen Blick nicht abwenden. Wie ich es liebe, wenn ihr Wangen rot werden.

„Keine Ursache. Es ist schließlich auch meine Schuld, dass du... nicht gut schlafen konntest“, fahre ich fort, darauf bedacht das Wort 'Albtraum' nicht zu verwenden.

„Stimmt...“, sagt sie, lacht jedoch leise dabei, was mir das Gefühl gibt, das sie es mir nicht übel nimmt.

„Du könntest dich dafür ja mal ordentlich entschuldigen...“, fährt sie leise fort, so dass ich es kaum hören kann.

Augenblicklich habe ich ganz andere Vorstellung, als mich mit diesem einfach Satz, einer Tasse Kakao oder irgendetwas anderes zu entschuldigen.

Und ich will nicht ausschließen, dass ihre Lippen in meiner Vorstellung dabei den Hauptteil einnehmen würden. Oder ihr Körper. Aber darum geht es nicht.

 

Mit einem tiefen Atemzug versuche ich meinen schnellen Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bekommen und versuche mit einem unnatürlichem Räuspern die unangenehme Situation zu überspielen. Als ob dies möglich wäre.

Schließlich setze ich doch ein kleines freches Grinsen auf.

„Mit einem WEB-Frühstück?“, frage ich schließlich und hoffe mich mit meiner zu langem Pause nicht verraten zu haben.

Auch sie muss leicht grinsen und antwortet mit einem Nicken.

 

Ich stelle gerade den Teller mit Waffeln auf den gedeckten Tisch, als Melody die Küche betritt. Zusammen setzen wir uns an den Tisch und wünschen uns gegenseitig einen guten Appetit. Witzig, bisher haben wir das noch nie und wir wohnen seit nun knapp einem Monat zusammen. Kaum zu glauben, was innerhalb dieser vier Wochen alles passiert ist.

Dabei fällt mir etwas auf, was mir schon lange hätte auffallen müssen. Ein wenig unsicher, lege ich mein Besteck bei Seite und wende meinen Blick an Melody, die mich etwas überrascht anschaut.

„Sag mal, du weißt nun einiges über mich. Du kanntest meine Eltern, meinen Bruder, waren Nachbarn. Weißt nun, wer und was ich eigentlich bin. Aber... ich weiß gar nichts über dich“, beginne ich vorsichtig und schaue sie gespannt an.

„Über mich gibt es nichts wichtiges zu erzählen“, sagt sie beinahe nur in einem Flüsterton uns dreht ihre Gabel unsicher zwischen Daumen und Zeigefinger.

„Kann nicht ich entscheiden, ob es für mich wichtig ist...?“, frage ich ebenfalls leise und schaue sie sanft an.

Ich höre sie tief durchatmen, dann nur das Geschirr klappern, als sie Gabel beiseite legt. Für einen Moment habe ich das Gefühl, dass sie einfach aufstehen und gehen will, aber sie bleibt sitzen.

 

„Wir sind aufgrund des Jobs meines Vaters weggezogen. Da war ich gerade einmal drei Jahre alt. Wir sind bei euch gegenüber eingezogen, wodurch wir uns kennengelernt haben und Freunde wurden. Wie dem auch sei. Mein Vater... hatte ein Alkoholproblem. Oft hat er es an meiner Mutter oder mir ausgelassen. Wenn ich mit neuen blauen Flecken oder Wunden aufgetaucht bin, sagte ich, ich wäre vom Fahrrad gestürzt, gegen einen Laternenmast gelaufen oder von der Treppe gefallen. Euch die Wahrheit erzählt, habe ich nie. Aber ich denke, eure Eltern hatten es vermutet. Oft haben sie mich eingeladen und ihr wart im Prinzip meine zweite Familie“, erzählt sie leise, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Ich vernehme ein kleines Schniefen und sehe, wie ihr eine Träne über die Wange tropft.

Jetzt kann ich auch erst nachvollziehen, warum es sie so sehr verletzt hat, als ich mich nicht an sie erinnerte – und es eigentlich immer noch nicht kann – und sie dachte, ich würde sie hassen. Es muss sich für sie anfühlen, als hätte sie ein Familienmitglied verloren.

„Immerhin hat sich meine Mutter inzwischen von meinem Vater getrennt und ist mit ihrem jetzigen Freund zusammen, der sie gut behandelt. Und wenn sie glücklich ist, bin ich es auch“, fährt sie fort und schaut mich nun mit einem ehrlichen Lächeln an.

„Was ist nach dem Unfall passiert...?“, fahre ich leise fort. Es ist vielleicht egoistisch, sie so auszufragen. Vor allem weil ich nicht weiß, wie sehr sie das alles noch verletzt. Aber ich habe das Gefühl mehr über sie erfahren zu wollen. Und... möglicherweise hilft es mir meine Erinnerung zurückzuerlangen, wenn sie mir erzählt, was passiert ist. Auch, wenn ich das bezweifle.

„Nachdem die Sanitäter mich aus dem Wagen gezogen haben, weiß ich eigentlich nichts mehr. Ich bin bewusstlos geworden. Ich weiß noch, als ich aufgewacht bin, lag ich in diesem hässlichen Raum. Ich weiß auch nicht, aber alles erinnerte mich an die Farbe Grau. Ich war allein in dem Zimmer und hörte nur das monotone Piepen der Maschinen. Als ich mich umsah und schließlich auf mein Handy schaute, waren von heute auf morgen zwei Monate vergangen. Der Arzt meinte, ich läge beinahe acht Wochen im Koma. Kannst du dir das vorstellen? Es werden dir einfach acht Wochen deines Lebens genommen. Die bekommst du nie wieder zurück“, sagt sie leise und kämpft erneut gegen die Tränen. Wieder atmet sie durch und schließt für einen Moment die Augen, um wieder zur Besinnung zu kommen.

„Ich hatte eine ganze Weile Phantomschmerzen. Also, ich habe Schmerzen in meinem Bein gespürt, obwohl sie gar nicht da waren. Ich war lange in einer Physiotherapie, bis ich endlich einigermaßen mit dem Bein allein klar kam. Ohne meine Mutter und ihren Freund hätte ich das niemals geschafft... auch Andrew hat mich in der Zeit unterstützt. Aber ich konnte ja nicht wissen, dass er mir nur aus Eigennutz zur Seite gestanden hat“.

 

Bei Andrews Namen verkrampft sich augenblicklich mein Körper und am liebsten würde ich jetzt sofort losgehen. Ihn dafür ein blaues Auge verpassen und sagen, was für ein arroganter Arsch er doch ist. Dabei dachte ich immer, diese Rolle würde ich in der Familie einnehmen und mein Zwillingsbruder wäre der charmantere, freundlichere und selbstlosere von uns beiden.

Trotzdem muss ich zugeben, dass ich einen kleinen Hauch von Dankbarkeit verspüre, dass er Mel unterstützt hat, als ich es nicht getan habe.

„Dein Bein. Hast du deshalb angefangen zu modeln?“, frage ich vorsichtig und beobachte ihre Reaktion. Ich weiß nicht, ob es Absicht oder unbewusst ist. Aber ich meine zu erkennen, wie sie unterhalb des Tisches ihre Hand auf ihr linkes Bein legt. Es folgt ein deutliches Nicken. Aber es scheint nicht traurig oder gequält zu sein. Sie blickt mir in die Augen und schaut mich mit einem aufrichtigen Lächeln an.

„Ja! Ich will den Menschen, vor allem den Mädchen, da draußen zeigen, dass sie sich für ihr Aussehen nicht schämen müssen, nur weil sie anders sind.

Weißt du, Menschen nennen jemanden fett, weil er zu viel wiegt. Aber niemand weiß, dass er eine Krankheit hat.

Menschen nennen jemanden hässlich, weil er keine Haare hat. Niemand weiß, dass er gegen Krebs kämpft.

Menschen nennen ein Mädchen Schlampe, weil sie mit 16 Mutter ist. Aber niemand weiß, dass sie mit 15 vergewaltigt wurde.

Ich will den Menschen einfach zeigen, dass es egal ist, was andere denken. Nur du musst dich in deinem Körper wohl fühlen, weil du der einzige bist, den es etwas angeht. Und sonst niemanden“.

Ich kann nicht anders, als Melody anzustarren. Ihre Worte berühren mich mehr, als alles andere, was ich in letzter Zeit gehört habe. Und ich bewundere sie. Ich bewundere sie für ihre Stärke, für ihre Einstellung zum Leben. Ich kann wahrscheinlich gar nicht nachvollziehen, wie viel und wie lange sie in ihrem Leben bereits gelitten hat – und nicht wenig habe ich dazu beigetragen. Und trotzdem kämpft sie immer weiter. Sie ist lebensfroh, hat immer ein Lächeln auf den Kippen und gibt niemals auf. Sie steht zu sich selbst, zu ihrem Bein. Ist anderen ein Vorbild und ist der selbstloseste Mensch, den ich kenne. Ganz im Ernst – wie kann man ein Mädchen wie sie, nicht lieben?

 

Bei dem Gedanken, zucke ich selbst zusammen. Es ist das erste Mal, dass ich daran denke, Melody zu lieben. Bisher hieß es immer, sie sei eine gute Freundin, sie bedeute mir sehr viel, ich wolle nicht ohne sie leben. Doch nie wollte ich mir eingestehen, sie wirklich zu lieben. Ich wollte sie immer von mir fernhalten, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Doch jetzt, wo sie sowieso alles weiß, schaff ich es einfach nicht mehr, mich von ihr fernzuhalten. Sie hat einen Platz in meinem Herzen gestohlen, den niemand mehr aus sie füllen kann. Es mag kitschig klingen. Aber jetzt erst habe ich gelernt, was es heißt zu sagen, diese Person ist meine Welt.

Ich will gerade auf ihren rührenden Worte antworten, höre ich unerwarteterweise die Türklingel läuten. Kurz schaue ich Meldoy irritiert an, vielleicht erwartet sie ja Besuch. Doch mit einem kurzen Schulterzucken und ebenfalls überraschendem Blick gibt sie mir zu verstehen, dass sie ebenfalls niemanden erwartet. Gerade will ich aufstehen um zur Tür zu gehen, doch mit einer einfach Handbewegung, gibt Melody zu verstehen, dass sie schon nachsehen wird. Ich weiß nicht warum, vielleicht, weil sie denkt, so mein Geheimnis besser wahren zu können. Der Gedanke ist zwar sinnlos, doch bin ich ihr trotzdem dankbar, dass ich mich mit niemanden sonst abgeben muss. Es ist immer noch nicht meine stärke, empathie- und verständnisvoll mit anderen umgehen zu können.
 

Ich kann mich nicht daran erinnern, wann überhaupt die Klingel jemals geläutet hat, abgesehen von diesem einem Mal, als Mel hier aufgetaucht ist. Gerade wegen dem Unfall und der Tatsache, dass ich ein Halbblüter bin, ein Mitglied eines geheime Dorfes, bin ich von der Außenwelt abgeschoben, habe keinerlei soziale Kontakte. Keinen Job oder sonst irgendetwas. Die Post und Briefe werden in ein Postfach gelegt, welches am anderen Ende der Stadt ist und ich nur einmal alle paar Wochen abholen gehe. Und selbst dann, ist dieses Fach eher leer, als dass ich irgendwelche Umschläge vorfinden würde. Über das Internet bestellen oder allgemein Information im Internet über mich bekannt zu geben, tu ich schon gleich gar nicht. Man sieht also, wir tun alles, um unerkannt zu bleiben. Zumindest tu ich das.
 

Durch einen schrillen Schrei und ein lautes Knallen der Tür, werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Sofort stehe ich auf und eile zu Melody, die sich bereits mehrere Schritte von der Tür entfernt hat und sich mit dem Rücken fest gegen das Treppengeländer stützt. Die Angst ist ihr ins Gesicht geschrieben. Egal was sich vor der Tür befindet, ich kann es nicht leiden, wenn dieses Etwas, so einen Einfluss auf Melody hat.

„Melody... beruhige dich. Was ist passiert?“, versuche ich sie erst zu beruhigen und nehme sie in den Arm. Mir ist egal, was vor der Tür ist, denn Mel hat für mich höchste Priorität.

Sanft drücke ich sie an mich, doch ihr Körper bebt beinahe mehr, als ein Erdbeben und immer wieder vernehme ich einzelne Bruchstücke von Wörtern, die für mich keinen Sinn ergeben.

Erneut versuche ich sie zu fragen, was passiert ist. Was genau sie vor der Tür gesehen hat und wovor sie solche Angst hat. Doch sie ist vollkommen durch den Wind und stammelt nur Worte wie „da...“, „Tür...“ und „Er...“ hervor.

Währenddessen klingelt es immer und immer wieder. Bei jedem Ton verkrampft sich ihr Körper erneut, dass sie sich verzweifelt die Ohren zuhält. Das geht eindeutig zu weit.
 

Ich atme tief durch, nehme meine Kampfstellung ein und richte mir die Worte, welche mich in einen Wolf verwandeln lassen, in meinem Kopf zurecht.

Mit einem Schwung reiße ich die Tür auf, um endlich zu sehen, was sich davor verbirgt. Doch kaum habe ich die Tür geöffnet, kann ich meine Faust nicht zurückhalten und schlage diesem jemand mit voller Wucht ins Gesicht. Ich meine sogar zu hören, wie dessen Nase unnatürlich geknackt hat. Ein schmerzvolles Aufstöhnen seinerseits und er taumelt ein paar Schritte zurück.

Ich setze zum zweiten Schlag an, doch gerade noch rechtzeitig kann Melody mich zurückhalten, bevor meine Faust nur sein rechtes Auge erwischt hätte.

„Alles klar.. ich schätze, die habe ich verdient...“, sagt er in einem unterdrückten Ton, um nicht zu zeigen, dass der Schlag doch ziemlich heftig war.

Langsam steht er wieder relativ sicher auf den Beinen und richtet sich auf. Es ist nun das zweite Mal, dass ich in diese gottverdammten smaragdgrünen Augen schaue, die der Unbekannte hat. Und jedes Mal, wenn ich diese sehe, würde ich am liebsten wieder zuschlagen.
 

„Was willst du hier?“, greife ich den schwarzen Wolf an, der aber in seiner Menschengestalt vor mir steht. Sein pechschwarzes Haar ist zerzaust und hängt ihm ins Gesicht. Blut strömt ihm aus der Nase, über die Lippen, bis zum Kinn. Zum Glück – die Nase ist gebrochen.

„Daemon, bleib ruhig... sieh doch... “, höre ich es Melody leise, beinahe schon schüchtern hinter mir sagen.

Ruhig bleiben? Bei ihm? Nachdem er solch einen Einfluss auf sie hinterlassen hat? Wie kann sie dabei so bedacht bleiben und nicht vollkommen austicken?

Ich schaue sie an, direkt ins Gesicht. Ihre Augen lösen in mir tatsächlich etwas aus, was mich hinunterfahren lässt. Ich atme einmal tief durch und wende meinen Blick dann wieder an ihn.

Er hält sich inzwischen seinen Ärmel unter die Nase, um das Blut zu stoppen. Ich hoffe doch vergebens.
 

Doch erst jetzt bemerke ich den Rest. Seine Haare sind zerzaust, aber nicht, weil sie so gestylet wurden, sondern aufgrund eines Kampfes. Mehrere kleine Schrammen zieren bereits sein Gesicht, welche schon vorhanden waren, bevor ich ihm die Nase gebrochen hatte. Die Kleidung ist zerfetzt und unter den Rissen, des schwarzen Pullovers und der schwarzen Jeans, dringen mehrere Blutspuren hervor.

Während ich auf der einen Seite Mitleid habe, fluche ich auf der anderen innerlich, dass diese Spuren leider nicht meinetwegen vorhanden sind.
 

„Kann.. ich kurz mit euch reden..?“, fragt der schwarze Wolf, oder Mensch, ein wenig verunsichert. Gerade will ich dagegen protestieren, als Melody mich unterbricht und ihn herzlich hinein bittet. Ich schaue sie verständnislos an und versuche ihr zu verstehen zu geben, ob sie überhaupt weiß, was sie gerade tut.

Kurz schaut sie mich an. Ihr Blick ist klar und ihr Verstand scheint wohl voll funktionsfähig zu sein, auch wenn ich davon nicht gerade überzeugt bin. Sie stützt ihn beim Hineingehen und ich sehe, wie sie ihn ins Wohnzimmer führt. Noch immer stehen ich vollkommen perplex in der Tür.

Nach wenigen Sekunden komme ich wieder zu mir und folge ihr. Mit einem etwas ernsteren Blick und einem Augendrehen deute ich ihr, dass sie mir in die Küche folgen soll. Ich gebe ihr nicht mal Zeit zum antworten, da gehe ich bereits in die Küche.
 

„Was soll das? Hast du vergessen, was der dir angetan hat?“, frage ich vorwurfsvoll und schau sie wütend an.

„Natürlich nicht! Aber hast du ihn dir mal angesehen?“, fragt sie ebenfalls etwas lauter, lässt sich aber nicht von mir unterkriegen, was sie sofort wieder interessant und attraktiv werden lässt.

„Das ist doch nur eine Masche! Der Typ schreckt vor nichts zurück!“.

„Das glaube ich nicht! Er hat nicht mal versucht uns etwas anzutun. Er hat sich nicht gewehrt, als du ihn geschlagen hast. Er hat uns lediglich gefragt, ob er mit uns reden kann!“, kontert sie und schaut mich wütend an.

„Gib ihm wenigstens die Chance, sich zu erklären, warum er hier ist!“, fügt sie hinzu und sieht mich flehend an.

Ich seufze hörbar und schließe für einen Moment die Augen. Ich bin nicht begeistert ihn anzuhören, geschweige denn, ihn in unser Wohnzimmer zu lassen. Noch immer habe ich die Bilder vor Augen, wie er Mel festgekettet und wie sie ausgesehen hat, als er sie in diesem leerstehendem Haus festhielt. Nicht zu vergessen, hat er versucht mich am See verbluten zu lassen. Die drei Narben auf meiner Brust sind immer noch deutlich sichtbar und erinnern mich jeden Tag daran, welchen Hass ich doch auf ihn habe. Ich kann einfach nicht verstehen, warum Mel ihm helfen will.
 

Ich spüre, ihre Hand an meinem Arm, und wie sie einen Schritt auf mich zukommt. Augenblicklich hab ich das Gefühl weniger Luft zum atmen zu haben und wie meine komplette Aufmerksamkeit nur noch auf sie gerichtet ist. Wie schafft sie das immer nur?

„Daemon... wenn du ihn nicht anhörst oder ihn verurteilst, bist du kein Stück besser, als er. Natürlich hat er Fehler gemacht und ja ich weiß, was er dir und mir angetan hat. Wir haben lange genug darüber gesprochen. Aber gib ihm wenigstens die Chance zu reden. Vielleicht... entschuldigt er sich ja“

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht!“, bricht es aus mir heraus und funkle sie wütend an. Der schwarze Wolf und sich entschuldigen? Das sind zwei Wörter, die niemals in einem Satz vorkommen sollten.

„Daemon bitte... gib ihm nur die eine Chance. Danach kannst du ihm immer noch ein blaues Auge verpassen“, sagt sie ruhig und schenkt mir ein kleines Lächeln.

Wie ich ihren Humor doch liebe. Ich sehe ihr in die Augen, erkenne, dass sie tatsächlich glaubt, er sei hier um sich zu entschuldigen. Ich seufze und nicke schließlich widerwillig.
 

Zurück im Wohnzimmer, bleibe ich jedoch auf der Hut und beobachte ganz genau, wie Melody sich um die Nase meines Gegenübers kümmert. Ich spüre einen Drang von Eifersucht, was mir ganz und gar nicht gefällt. Müssen Meldys Lippen so nah an seinen sein? Muss sie ihre Hände an seinen Nacken legen, nur um mit der anderen Hand die Nase zu versorgen? Muss sie sich überhaupt um ihn kümmern? Zum Glück wagt er es kaum sie auch nur anzusehen, sondern erwidert meinen Blick nur ganz kurz und starrt die meiste Zeit nur auf den Boden.

„Also nochmal. Warum bist du hier?“, fordere ich schließlich, nachdem ich diese Nähe meiner Meinung nach schon zu lange zugelassen habe. Melody warnt mich mit einem vielsagendem Blick, doch diesen ignoriere ich ausnahmsweise.

Für einen kurzen Moment hält der Wolf meinem Blick stand, senkt seinen Kopf aber dann seufzend.

„Hör zu, das alles.. tut mir wirklich leid“.

Mir entweicht ein unnatürliches Lachen, wodurch ich ihn unterbreche.

„Ich meine es ernst! Dass ich dich beschuldigt habe, das Dorf verraten zu haben, die Sache am See und mit... ihr..“. Kurz streift sein Blick zu Melody, dann schaut er wieder mich an. Ich muss jedoch aufpassen, keinen Lachanfall zu bekommen. Ich glaube ihm kein Wort.
 

„Ach ja? Von wo kommt auf einmal der Sinneswandel?“, frage ich belustigt und verschränke die Arme vor der Brust. Ich gebe ehrlich zu, auf diese Antwort bin ich mehr als gespannt.

„Wegen Andrew...“, antwortet er leise, aber bestimmt. Er verzieht keine Miene, sondern starrt mich einfach nur an. Mir hingegen vergeht augenblicklich das Lachen und das Blut in meinen Adern gefriert.

„Andrew? Was hat er damit zu tun? Hat er irgendwas gesagt? Wenn ja, will ich es nicht hören!“, schreie ich beinahe durch das ganze Haus und gehe aufgeregt hin und her.

Wieder höre ich Melody verzweifelt meinen Namen sagen, doch ich gehe nicht darauf ein. Ich will einfach nichts mehr von ihm wissen, egal wie sehr Mel mich doch darum bittet, ihn anzuhören.
 

„Andrew hat nichts gesagt. Im Gegenteil, Daemon. Er hat geschwiegen, die ganze Zeit. Er war es!“. Der Wolf erhebt sich und stellt sich direkt vor mich. Ich verstehe kein Wort, von dem, was er sagt.

„Daemon... als ich dachte, du warst es, der uns verraten hat, hab ich mich getäuscht. Andrew war es. Er hat uns an den Staat verraten. Und er war es, der das Militär direkt zu uns geführt hat!“, fährt er fort. Ich starre ihn ungläubig an. Andrew hat das Dorf verraten? Aber sie sind seine Familie. Sie haben ihm vertraut, so wie ich ihm vertraut habe. Alles, was mein Bruder je getan oder gesagt hat, war eine einzige Lüge.

„Versteh doch endlich! Seinetwegen öffnen sich die Tore für die Feinde! Seinetwegen wurden Opfer gebracht! Seinetwegen, werden genau in diesem Moment, unseresgleichen abgeschlachtet! Jetzt gerade sterben sie! Wir befinden uns im Krieg, Daemon!“.

Die Stimme des Wolfes hallt in meinem Kopf, als wäre sie hunderte Kilometer von mir entfernt. Ich habe das Gefühl, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen werden und ich falle in ein nicht enden wollendes schwarzes Loch. Die letzten drei Jahre meines Lebens waren nichts weiter als eine Lüge. Alles was ich dachte, war sinnlos. Der damalige Angriff, war Andrews Schuld. Seinetwegen ist die Mutter der Welpen ermordet worden und er nimmt sie auf, als wären sie seine eigenen Kinder. Vermutlich war es nichts weiter, als sein Schuldgefühl, was ihn dazu veranlasst hat, sich um Tick, Trick und Track zu kümmern und sie auszubilden.

Die ganze Zeit hatte ich Angst, ich dürfte mich Melody nicht nähern, weil wenn sie zu viel wüsste, das Militär sie schnappen könnte, nur um an Informationen zu kommen. Dabei hatten sie bereits alles, was sie wissen mussten. Alle Informationen, bekam sie von Andrew, aus erster Hand.

Ich kann einfach nicht glauben, dass Andrew der Dorn im Auge ist, der uns verraten hat. Der Dorn, von dem alle dachten, er hätte ein reines Herz, wäre vertrauenswürdig und selbstlos. Doch er ist nur dieser eine Dorn, der uns alle ins Verderben bringen wird.

Doch stellt sich mir eine Frage: Warum?
 

„Daemon...?“, höre ich Melodys sanfte Stimme leise hallen. Als ich wieder zu mir finde, steht sie direkt neben mir und schaut mich besorgt an, hat ihre Hand an meiner Schulter gelegt. Dann schaue ich wieder zu dem Wolf.

„Egal. Es ist mir egal. Ich will nichts mehr mit Andrew zu tun haben!“, funkle ich ihn wütend an.

„Das kannst du nicht tun! Du gehörst zum Rudel, Daemon! Es ist deine Pflicht!“.

„Erzähl du mir nicht, was meine Pflichten sind! Seit dem Unfall ist das Dorf nicht mehr meine Heimat!“, kontere ich, fest von meinem Argument überzeugt. Ich habe einfach das Gefühl, je mehr Abstand ich von den übrigen Halbblütern und Andrew habe, desto besser wird es mir gehen. Die letzten Jahre haben sie mir auch nicht gut getan.

„Daemon bitte! Vielleicht hört Andrew ja auf dich!“, versucht er mich weiter zu überreden, doch ich kann mir ein ironischen Lachen nicht verkneifen.

„Auf mich hören? Du hast keine Ahnung! Selbst wenn ich euch helfen würde, ein weiterer Wolf würde kein Unterschied machen! Wenn er das Militär in das Dorf geführt hat und wir im Krieg stehen, können wir nichts ausrichten! Ihre Waffen sind viel wirkungsvoller und gefährlicher!“.

„Wir haben bereits Hilfeboten zu den benachbarten Rudel geschickt, aber sie sind bisher noch nicht eingetroffen. Bitte... du lässt damit nicht nur dich oder deinen Bruder im Stich. Sondern das gesamte Dorf und es werden unschuldige Halbblüter sterben. Jeder wird sterben!“
 

Diese drei letzten Worten bringen mich zum schweigen. Ich sollte bei „jeder“ eigentlich an die Ältesten denken, ohne die der Spahir nicht beschützt und wir unsere Kräfte nicht kontrollieren können. Aber witzigerweise denke ich nicht an die drei grauen Wölfe, die sich für etwas besseres halten. Nein, ich denke an die anderen drei. Die drei, obwohl ich es mir eigentlich nicht eingestehen wollte, die mir wirklich ans Herz gewachsen sind. Die drei Welpen... Tick, Trick und Track.

So betrachtet, wäre ich vermutlich doch ziemlich betroffen, vielleicht auch einen Hauch verzweifelt, wenn einem von ihnen etwas zustoßen würde. Sie sind irgendwie doch eine ganz kleine Familie für mich, auch wenn sich Andrew mehr um sie gekümmert hat.

„Na schön... lass uns gehen...“, antworte ich fest entschlossen, nachdem ich mit einem letzten Seufzen meine letzten Zweifel besiegt habe und mache mich auf dem Weg zur Tür.

„Ich komme mit euch“, höre ich es hinter meinem Rücken sagen und bleibe augenblicklich stehen, nur um mich zu Melody umzudrehen.

„Kommt nicht in Frage! Du bleibst hier in Sicherheit!“, schreie ich sie beinahe schon an, so dass ich mich kaum wiedererkenne.

„Bitte lass mich euch irgendwie helfen...“, fleht sie schon fast und schaut mich mit ihren mausgrauen Augen an.

„Nein... glaub mir, du hilfst mir mehr, wenn ich weiß, dass es dir gut geht. Ich... würde mir nur Sorgen machen. Ich komme wieder“, rede ich ruhig auf sie ein.

Ich hatte gar nicht bemerkt, wie ich einen Schritt auf sie zugegangen war und habe nun beide Hände an ihren Schultern abgestützt.
 

Allerdings, zweifelte ich selbst an meinen Worten. Wenn Andrew tatsächlich das Militär zum Dorf geführt hat, ist die Chance zu überleben, mehr als gering. Wir sind ihnen unterliegen. Während sie Maschinengewehre und weitere Militärwaffen haben, haben wir nichts, außer unsere Klauen und Zähne. Während sie aus meterweiter Entfernung abfeuern können, sind wir auf direktem Angriff angewiesen. Wie sollen wir das überleben?

Melodys Augen werden feuchter, ihre Pupillen weiten sich und ich höre, wie ihr Atem zittert, wenn sie einatmet.

„Du lügst...“, sagt sie verzweifelt und krallt sich hoffnungslos an meinem Shirt fest. Sie befürchtet wohl, das Selbe und weiß genau, wie unsere Chancen stehen.

Ich kann es kaum ertragen sie so zu sehen. So ausgeliefert. Sie wirkt so viel weicher, schwächer als sonst. Sie steht vor mir, als wäre sie ein kleines Mädchen, dass ihre Eltern anbettelt, den Teddybär wieder zubekommen. Die alles tun würde, um nur diesen einen Wunsch erfüllt zu bekommen.

Aber so gern ich sie bei mir haben würde, will ich ihr das nicht zumuten. Ich kann mich viel mehr auf Andrew und den Angriff konzentrieren, wenn ich weiß, dass es ihr gut geht. Vor allem, sollte ich wirklich fallen, will ich nicht, dass sie mich so sieht.

Und das ist wohl der Grund, warum ich das tue, was ich in meinen schönsten Träumen nie gewagt hätte.

Ich küsse sie. Einfach so. Es ist mir egal, was danach passiert. Denn es ist vermutlich die letzte Chance, die ich jemals haben werde. Ich stecke so viele Gefühle in diesen Kuss, vermutlich auch Gefühle, von denen ich nicht mal wusste, dass ich sie habe. Aber eines weiß ich inzwischen, auch, wenn ich es mir nie eingestehen wollte. Ich wollte immer eine gewisse Distanz wahren, immer eine Fassade haben, die mich schützt. Aber sie, Melody, bringt einfach meine Mauer zum fallen und weckt Gefühle, die ich seit drei Jahren nicht mehr gespürt habe.

Denn geliebt, habe ich seit her nicht mehr. Es ist nicht nur eine Phase des Verknalltseins. Ich habe das Gefühl bei Melody ich selbst sein zu können, egal ob Mensch oder Wolf. Und sie akzeptiert mich, mit meinen Macken und meiner schlechten Laune. Und ich liebe sie, wie sie ist. Und dafür muss sie sich nicht einmal verstellen.
 

Langsam löse ich den Kuss und sehe in ihre mausgrauen, überraschten Augen. Es ist deutlich zu sehen, dass sie damit nicht gerechnet hatte, aber das spielt keine Rolle mehr. Ich hoffe nur, dass wir später noch die Chance haben miteinander zu reden. Und egal, was dafür nötig ist, ich werde alles tun um dieses Gespräch zu ermöglichen.

„Ich komme wieder... versprochen...“.

Mit diesen Worten kehre ich ihr schweren Herzens den Rücken zu und verlasse mit dem Wolf das Haus.

Wir rannten durch den Wald, beide inzwischen als Wolf. Noch immer konnte ich den schwarzen Wolf nicht wirklich ausstehen, aber ich kann ihn nun auch nicht mehr als mein Feind betiteln. Deshalb schwirrte für einen Moment der Gedanke in meinem Kopf, ihm nach seinem Namen zu fragen, ließ es aber bleiben. Wir wollen es mal nicht übertreiben. Schließlich ist das, was er Mel und mir angetan hat unverzeihlich. Zumindest für eine gewisse Zeit lang. Außerdem haben wir gerade andere Probleme.

 

Wir hatten das Dorf noch nicht einmal erreicht, erfüllte schon der Gestank von Blut und totem Fleisch meine Nase. Abrupt bleibe ich stehen, spüre ganz genau, wie sich jedes einzelne Härchen meines Körpers aufstellt. Meine Lungen brennen, habe das Gefühl immer mehr Sauerstoff zu benötigen. Durch das Hecheln gelangt der Geruch und somit irgendwie auch der Geschmack von totem Fleisch in meinen Rachen und für einen kurzen Moment muss ich mich zusammen reißen, um mich nicht zu übergeben.Wir haben das Tor nicht einmal durchquert, werden wir von einem Leichenhaufen begrüßt, von dem ich mir erträumt hatte, so etwas niemals sehen zu müssen. Was viel schlimmer war, es waren deutlich mehr Halbblüter als Menschen.

Auch der schwarze Wolf bleibt neben mir stehen. Schaut ebenfalls geschockt über das Schlachtfeld. Mehre Wölfe liegen auf dem Boden, alle davon tot. Die einen sind durchlöchert, wurden mit gefühlten zwanzig Kugeln zu Boden gemetzelt um auch sicher zu sein, dass dieser keine Gefahr mehr ist. Andere zeigen große Löcher, vermutlich aus einer größeren, bedrohlicheren Waffe, welche direkt auf dessen Herz gefeuert wurde und nichts weiter, als ein klaffendes Loch zurück ließen. Wieder andere zeigen Schnitt wunden, welche durch Dolche zustande kamen und schließlich auch durch das Messer erdolcht wurden.

Vorsichtig tapse ich an den Leichen vorbei, versuche mein schneeweißes Fell nicht zu besudeln, doch das wird heute nicht möglich sein. Früher oder später werde ich einen roten Mantel tragen, egal ob der Mantel aus meinem Blut oder dem eines anderen besteht.

 

„Daemon!“, höre ich den Wolf rufen. Wäre ein Mensch in der Nähe, würde er nur ein einfaches Bellen wahrnehmen.

Mein Kopf schellt in seine Richtung und ohne weiter darüber nachzudenken eile ich sofort zu ihm.

Doch als ich bei ihm ankomme, habe ich das Gefühl, mein Herz wird in tausend Teile zerfetzt.

Mir entflieht ein trauriges, verzweifeltes Winseln. Vorsichtig stupse ich mit meiner Schnauze seine an, hoffe auf ein Lebenszeichen, doch vergebens. Sein braun-graues Fell ist blutüberströmt und mehre Löcher zieren seinen Rumpf. Das Maul ist leicht geöffnet, die Zunge hängt leblos heraus und die toten, leeren Augen starren einen an, dass es einem Angst einjagen könnte.

„Oh mein Gott... Ob sie es bereits wissen...? Wie sie sich wohl fühlen...?“, sage ich leise, ohne meinen Blick von ihm abzuwenden. Wenn es für mich schon so schlimm ist, will ich nicht wissen, wie sich die anderen beiden anfühlen muss. Erst die Mutter, jetzt der Bruder. Und das alles nur wegen Andrew.

Kurz schaue ich mich um, erblicke in dem ganzen Getümmel eine einzelne weiße Blume, die das ganze Spektakel überlebt hat. Vorsichtig nehme ich den Stiel zwischen die Zähne, um diese zu pflücken, nur um sie dann auf dem blutgetränkten Körper abzulegen.

„Wir müssen los... bevor es mehr Opfer geben wird“, sage ich leise und höre ein bestätigendes Schnauben, meines Partners.

Ein letztes Mal stupse ich ihn mit meiner Schnauze an, bis der schwarze Wolf und ich Track dort alleine zurück lassen und ins Dorf kehren.

 

Als wir das Tor durchqueren, werden wir von einem Lärmpegel überrascht, der alles übertönt, was sich je zuvor gehört habe.

Schüsse fliegen umher, Wölfe heulen schmerzerfüllt auf und Menschen schreien entweder vor Qual oder vor Triumph aus vollster Seele.

„Achtung!“, höre ich den schwarzen Wolf rufen, kaum nachdem wir mit allen vier Pfoten im Dorf stehen und werde von ihm zur Seite geschubst. Gerade noch so kann ich im Augenwinkel erkennen, wie ein Projektil uns ganz knapp verfehlt hat.

„Such du Andrew! Ich kümmere mich um die anderen!“, ruft er, noch bevor ich überhaupt realisiert habe, was gerade passiert ist. Alles passiert so schnell, dass man es kaum mit dem bloßen Augen verfolgen kann. Ich kann nicht einmal mehr antworten, da sehe ich schon, wie der schwarze Wolf in die Schlacht rennt, um für die anderen sein Leben zu riskieren. Ich hatte nicht einmal die Chance mich zu bedanken.

 

Schnell rapple ich mich also auf, versuche mich erst einmal zu orientieren, was genau sich hier genau abspielt, aber selbst die Zeit wird mir nicht gegeben. Ich erblicke einen der Soldaten, vielleicht zehn Meter von mir entfernt, wie er sich in den Schlamm kniet und sein Gewehr auf mich richtet. Ohne nachzudenken spannen sich meine Muskeln an und ich renne auf ihn zu. Kann geschickt seinen Schüssen ausweichen. Lediglich ein kaum merklicher Streifschuss erfasst mich an der Schulter, der beinahe lächerlich wirkt. Mit einem lauten knurren und gefletschten Zähne springe ihn direkt an, nur um ihn mit einem einzigen festen Druck in den Hals zu beißen. Aus seinem Mund entflieht ein grausamer Schrei, so als würde man ihn für einen Horrorfilm aufnehmen. Doch schon nach wenigen Sekunden, bleibt dieser reglos liegen und der metallische Geschmack in meinem Mund wird immer intensiver.

Ich habe keine Zeit darüber nachzudenken, gerade jemanden umgebracht zu haben. Wer weiß, wenn es er war, der Track auf dem Gewissen hat, geschieht es ihm Recht. Auch wenn ich ihn in dem Falle auch gern noch etwas länger leiden lassen hätte.

Aber Zeit ist kostbar, und kostbar ist das Leben.

 

Ich verschwende keinen weiteren Gedanken an den Toten, mache mich stattdessen weiter auf die Suche nach Andrew. Immer wieder weiche verschieden großen Projektilen aus und steige über Leichen. Leider mehr Wölfe, als Menschen.

Ich zucke zusammen, als ich ein Schuss höre, der Gefühlt direkt neben meinem Ohr ausgelöst wurde und ein qualvolles Winseln folgt. Direkt neben mir steht ein Soldat mit seiner Waffe, welche aus der Mündung noch immer raucht und auf einen Wolf gerichtet ist. Wie konnte ich den nur übersehen?

Ohne zu zögern greife ich den Menschen von hinten an, beiße ihm in den Nacken und reiße ihn nach hinten, so dass dieser das Gleichgewicht verliert und auf den Rücken fällt. Die Waffe hatte er dabei fallen lassen.

Voller entsetzen starrt er in meine Augen, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Doch für Mitleid ich keine Zeit. Ich beiße zu, einmal, zweimal, bis der Körper unter meinen Zähnen kläglich aufhört zu versuchen sich zu befreien und ruhig liegen bleibt. Erst dann lasse ich von ihm ab und blicke in das völlig entstellte Gesicht des Menschen.

Blanker Egoismus ergreift mich und ich lasse ihn liegen. Mehr Gleichgültigkeit als jetzt, hatte ich den Menschen gegenüber noch nie gezeigt.

Schnell eile ich zu dem Wolf, hoffe, dass er noch am Leben ist. Er ist verletzt und liegt auf dem Boden. Doch als ich zu ihm trete, richtet er sich auf und steht wieder auf den Beinen. Gott sei Dank er lebt. Sein linkes Vorderbein ist angehoben. Dort an der Schulter hat ihn der Schuss getroffen, aber er ist nicht tödlich verwundet. Es ist ihm anzusehen, dass die Wunde schmerzt, aber es ist wohl auszuhalten und er ist fest davon überzeugt, seinem Volk weiter zu helfen. Mir fällt ein Stein vom Herzen.

Mit einem kurzen Nicken, bedankt er sich. Ich nehme dies mit einem weiteren Nicken zur Kenntnis, dann trennen sich wieder unsere Wege.

 

Doch leider haben nicht alle so viel Glück. Ich finde genug, die nur noch geschwächt sind, die kaum noch aufstehen können und den Gegnern vollkommen ausgeliefert sind.

Als wäre ich in Zement getreten, bleibe ich stehen. Ich weiß nicht warum, aber alles scheint auf einmal so fern. Ich habe das Gefühl jeden Schuss, jeden Schrei drei Mal so intensiv zu hören, wie zuvor. Alles bewegt sich in Zeitlupe, doch alles was ich sehe, ist das Blut und das Sterben meiner eigenen Leute.

Genau meiner Leute. Sie gehören zu meinem Rudel und sind meine Familie. Zumindest waren sie das mal und nur, weil ich durch diesen beschissenen Unfall mich nicht mehr an sie erinnern kann, heißt das nicht, dass sie nicht mehr zu meinem Leben gehören.

Leider fällt mir das zu spät auf und wenn der Kampf hier vorbei ist, werde ich den meisten niemals sagen können, wie wichtig sie mir doch sind. Und ich werde mich auch nie dafür entschuldigen können, dass ich ihnen gegenüber so unfair war obwohl mich immer alle herzlich willkommen geheißen haben, als ich auftauchte.

Meine Blicke fixieren sich auf die Wölfe, doch jeden, den ich sehe, stirbt. Wird er schossen oder mit Messern, welche die Männer an ihren Gürteln tragen erstochen. Wir haben nicht den Hauch einer Chance. Wir sind zu wenige und viel zu schwach.

 

„Andrew...“, sage ich leise. Er ist der einzige, der das jetzt noch abbrechen kann. Ich muss ihn finden. Ihretwegen. Für das Dorf und das Leben der Bewohner.

Ich schlängele mich durch die einzelnen Kämpfe, versuche mich nicht ablenken zu lassen.

Dann dort, irgendwo am Rande des Dorfes erblicke ich einen blonden Haarschopf und blicke schließlich mein direktes Ebenbild.

„Andrew!“, rufe ich bestimmt und eile zu ihm. Als ich vor ihm stehe, dreht er sich in meine Richtung und richtet sein Gewehr auf mich. Kaum zu glauben. Nicht nur, dass er uns verraten hat, sondern nun kämpft er auch noch gegen seinesgleichen. Ausgerechnet in der Form, die uns vernichten wird. Als Mensch.

Ich hoffe, er hört mir zu, wenn ich ebenfalls in seiner Form vor ihm stehe. Dass er mich nicht direkt als Feind sieht, wenn ich mich in einen Menschen zurück verwandle. Also spreche die Worte in meinem Kopf, die Fell und Klauen verschwinden und Arme und Beine entstehen lassen. Mit langsam Schritten gehe ich auf ihn zu, meine Körperhaltung ist leicht geduckt und meine Hände hebe ich auf Hüfthöhe, um zu zeigen, dass ich unbewaffnet bin und nur mit ihm reden will.

„Andrew! Bitte beende es! Sofort!“, rufe ich meinem Bruder zu, doch in dieser Lautstärke habe ich sogar Probleme, mich selbst zu verstehen.

„Niemals! Es ist zu spät!“, schreit dieser ebenfalls zurück.

„Ich verstehe das nicht! Warum das alles? Warum hast du dein Volk verraten? Warum kämpfst du gegen deine Familie! Sie haben dir vertraut!“

„Wegen dir, Daemon! Alles was ich tat, tat ich wegen dir! Du bist an allem Schuld!“, schrie mein Bruder erneut.

Für einen Moment war ich unfähig mich zu bewegen, wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Meine Schuld? Ich habe doch gar nichts getan. Oder doch? Doch glücklicherweise erspart er mir die Frage und antwortet direkt, so als ob er sie bereits in meinen Gedanken gelesen hätte.

Moment: Sind das etwa Tränen in seinen Augen?

„Du... du warst so verzweifelt, so introvertiert, nach dem Unfall. Ich dachte... es wird alles gut. Es ging dir besser und unsere Eltern haben dich immer unterstützt. Aber dann mussten sie sterben! Gerade dann, als alles wieder besser wurde. Also bin ich zu ihnen. Zum Staat, habe ihn um Hilfe gebeten. Im Gegenzug dafür habe ihm von uns erzählt, unsere Geheimnisse und alles über den Saphir. Sie werden Mum und Dad zurück bringen, dafür bekommen sie den Saphir!“

 

Ich traute meinen Ohren kaum. Das alles, weil er für mich unsere Eltern wieder zurückbringen soll? Auf der einen Seite, war ich gerührt. Auf der anderen Seite könnte ich ihm den Kopf abreißen. Was könnte schon ein normaler Mensch ausrichten? Sie haben keine Kräfte und sind schwach. Nicht einmal die Ältesten haben die Gabe die Toten wieder aufzuwecken. Jede noch so große Wunde können sie heilen, aber wenn das Herz still steht, sind auch sie machtlos. Wie soll ein Mensch bitte einen anderen Menschen auferstehen lassen, wenn es nicht mal unseren heiligsten Halbblüter schaffen?

 

Gerade wollte ich auf Andrews Rede antworten, als plötzlich ein ohrenbetäubender Lärmpegel erreicht wird.

Sowohl Andrew als auch ich wenden den Blick in die andere Richtung und sehen, wie die benachbarten Rudel endlich eintreffen. Mein Herz setzt für einen Moment aus und ein Gefühl der Hoffnung macht sich wieder in meiner Brust breit. Vielleicht haben wir doch noch eine Chance.

Ich wende mich wieder Andrew zu, der beinahe verzweifelt über das Schlachtfeld schaut und genau erkennt, wie die Rollen von Angreifer und Angegriffener vertauscht werden.

Die Ankunft der Verbündeten weckt in jedem noch einmal ein wenig Mut, so dass sich alle noch einmal aufrappeln und die Menschen angreifen. Nun sind wir diejenigen, die in der Überzahl sind und die Menschen in die Knie zwängen.

„Beende es! Du siehst doch, was los ist! Es ist vorbei!“, versuche ich ihn aus seiner Trance zu erwecken und hoffe, dass er es endlich einsieht, aber keine Spur von Reue ist in seinem Gesicht abzulesen.

„Vergiss es! Es wird funktionieren! Sie haben es mir versprochen!“.

„Andrew... das, was sie dir versprochen habe, war heiße Luft! Es ist gelogen! Mum und Dad werden nicht wieder leben!“, versuche ich ihn zur Vernunft zu bringen, doch seine Gesichtszüge verhärten sich nur und sein Griff festigt sich um die Waffe, dass seine Fingerknöchel schon weiß hervorstehen.

„Halt die Klappe, Daemon! Sie haben es versprochen! Sie werden es tun!“, wiederholt er sich. Nun fließen tatsächlich Tränen über seine Wange und ich kann deutlich sehen, wie schlimm das ganze für ihn sein muss. Kein Wunder, oder? Er ist gerade dabei seine eigene Familie zu verraten, nur um seine andere Familie wieder zum leben zu erwecken. Aber man muss der Wahrheit nun mal ins Auge sehen.

„Sie sind tot! Kapier es! Nicht einmal die Ältesten können sie wieder lebendig werden lassen! Sie sind tot! Für immer!“.

 

Ich spüre nichts weiter, als einen kräftigen Stoß und einen darauffolgenden Luftzug an meinem Ohr. Ich glaube, für wenige Sekunden bewusstlos gewesen sein zu müssen, denn als ich die Augen öffne, durchfährt mich ein dumpfer Schmerz, der sich durch meinen gesamten Kopf zieht und ich verziehe das Gesicht. Der Knall einer Waffe hallt in meinem Ohr und verursacht einen unangenehmen Tinnitus.

Ich bemerke erst jetzt, dass ich auf dem Boden liege, irgendjemand hat mich wohl zu Boden gerissen. Mein Blick fällt auf meinen Bruder, doch was ich sehe, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.

Sein Gesicht ist aschfahl, seine Hände sind noch immer ans Gewehr gelegt und zittern so stark, dass man meinen könnte, es fände ein Erdbeben statt. Sein Blick fixiert nur einen einzigen Punkt, welcher aber nicht ich bin.

Doch am meisten schockiert mich: Aus der Mündung der Pistole kommt Rauch. Er hatte geschossen. Mein Bruder hatte auf jemanden geschossen. Derjenige, von dem ich nie erwartet hätte, er könnte einer Fliege etwas zu leide tun.

 

Reflexartig taste ich nach meiner Brust, doch ich bin unverletzt. Dafür wird mir etwas anderes Schlagartig bewusst. Hätte mich nicht jemand zur Seite gestoßen, hätte mein eigener Zwillingsbruder, ohne zu zögern, mich erschossen.

Ich wende also meinen Blick in die Richtung, in welche mein Bruder schaut. Langsam – zu langsam vermutlich, aber ich habe Angst zu sehen, welcher Anblick mich erwartet. Die anderen Opfer, das spritzende Blut oder die entstellten Gesichter waren irgendwie unnahbar, kamen nicht an mich heran. Aber diesen Anblick zu sehen, davor grauste es mir. Denn nur deswegen, weil mich dieser Halbblüter zur Seite geschubst hatte, konnte ich überleben.

Doch als ich die Umrisse meines Retters erkenne, bleibt mir der Atem weg und mein Herz setzt aus. Ich renne auf denjenigen zu, knie mich davor, um meine Hand auf die Wunde zu pressen. Ich hatte nicht einmal gemerkt, wie ich zu weinen angefangen hatte. Denn derjenige, der mich rettete, war kein Halbblüter, es war ein Mensch.

Ohne dass ich es etwas tun können, und auch ohne sie aufhalten zu wollen, fließen mir die Tränen über die Wange. Mein Herz rast vor Angst und Besorgnis. Beinahe mit meinem kompletten Gewicht stütze ich mich auf ihre Herzpartie, in welche die Kugel eingedrungen war. Doch der Blutstrom, welcher sich die ganze Zeit einen Weg durch meine Finger bahnte, will einfach nicht aufhören.

„V-Verdammt Melody... was machst du hier? Ich hab dir gesagt, du sollst zu Hause bleiben!“, rufe ich vor lauter Verzweiflung und weiß nicht, was ich tun soll. Meine Stimme ist laut, aggressiv. Eine Mischung aus Wut und Hoffnungslosigkeit.

„Jetzt kannst du dein Versprechen halten... du kannst wieder zurück nach Hause...“, sagt sie leise. Zu leise. Ich kann nicht einschätzen, ob sie zu schwach ist, um ihre Stimme zu festigen, oder ob sie mich einfach nur versucht zu beruhigen.

Mein Blick wandert immer wieder zu meinen Händen, die mit ihrem Blut besudelt sind, zu ihren Augen. Ihre Augen glitzern, es sind deutliche Tränen zu erkennen, auch wenn sie sie zurückhalten will.

Ich schließe für einen Moment die Augen, atme tief durch, um mich zu beruhigen – vergebens.

„Kannst du nicht einmal auf mich hören? Ich will dich doch nur beschützen!“, sprudelt es aus mir heraus. So vorwurfsvoll sollte es gar nicht klingen, aber ich kann einfach nichts dagegen machen. Meine Angst hat die Kontrolle über mich übernommen.
 

Melody sieht mir in die Augen, ein Lächeln macht sich auf ihren Lippen sichtbar und jetzt fließt ihr auch die erste Träne über die Wange. Sie mustert jedes kleine Detail, welches sich in meinem Gesicht verbirgt. Ich will nicht wissen, welchen Anblick sie gerade sehen muss. Ich kann mir gut vorstellen, wie viel fremdes Blut an meinem Gesicht klebt – und buchstäblich auch an meinen Händen.

Ich schaue sie an, es sieht so aus, als müsse sie genau überlegen was sie sagt.

„Das hast du damals auch gesagt...“, sagt sie leise. Ich verstehe sie kaum, kann es hauptsächlich nur an ihren Lippen ablesen.

Doch ich verstehe nicht, wovon sie redet.

„Bei dem Unfall, hab ich dir was verschwiegen. Ich wusste nicht, ob es wichtig war. Für mich, war es das. In dem Auto, noch bevor die Sanitäter kamen, waren wir für einen kurzen Moment beide wach. Wir haben uns einfach nur angesehen. Du hast mich angesehen, als wäre ich dein größter Feind. Als hätte ich dich enttäuscht und du nie wieder ein Wort mit mir reden wollen würdest. Du sagtest genau das selbe: „Kannst du nicht einmal auf mich hören...? Ich will dich doch nur beschützen...!“. Dann hast du den Kopf zur Seite gedreht und wurdest bewusstlos“, Meldoy verzieht einmal schmerzvoll das Gesicht und muss pausieren, um wieder an genug Sauerstoff zu gelangen. Besorgt schaue ich sie an, kann noch nicht einmal genau realisieren, was sie gesagt hat.

„Ich hab es dir nicht erzählt, weil ich Angst hatte. Ich dachte, du würdest mich rausschmeißen und den Kontakt ganz abbrechen, wenn du es weißt. Ich hatte befürchtet, du wärst genauso enttäuscht von mir gewesen, wie damals. Und ich glaube, das war auch der Grund, warum ich Andrew seine Lüge so schnell geglaubt habe. Es tut mir leid, Daemon“.
 

Für einen Moment schließe ich die Augen. Ihre Worte bewegen etwas in mir, was ich nicht beschreiben kann. Ein seltsamen Kribbeln durchfährt mich und ein unangenehmer Druck macht sich in meinem Kopf spürbar. Ich versuche die Schmerzen zu unterdrücken, um nicht von Mels Wunde abzulassen und die Blutung weiterhin zu stoppen.

In meinen Kopf hallt alles, verschiedene Stimmen und Sätze fliegen wirr herum und unterschiedliche Bilder sehe ich von meinem inneren Auge, die mir nach und nach immer bekannter vorkommen.

Ich sehe Melody, wie ich sie zum ersten Mal vor unserer Haustür gesehen habe. Damals noch, als meine Eltern lebten und wir Kinder waren.

Mehrere Bilder als Wolf. Die Übungsstunden, die Prüfung und als ich mit Andrew und unseren Eltern zum Saphir geführt wurden, um unser Amulett zu erhalten.

Die Situation, als ich mich mit Andrew gestritten habe, als er mir von seinen Gefühlen für Mel erzählt hat.

Sogar der schwarze Wolf taucht ein paar mal auf. Aber so wie es aussieht, hatten wir uns damals schon nicht wirklich gut verstanden.

Der Unfall... Ich sehe sie vor mir, wie sie mich mit ihren wunderschönen Augen verzweifelt angesehen hat. Die Worte 'Es tut mir leid' auf ihren Lippen zu lesen sind, aber ihr kein Ton entweicht. Und schließlich auch meine Worte, die sie mehr verletzten, als alles andere.
 

Ich lasse den Kopf sinken, lasse den Tränen freien Lauf. Wie konnte ich nur so etwas zu ihr sagen. Wir waren Freunde. Beste Freunde. Ich war – und bin – in sie verliebt und das einzige, was ich kann, ist es ihr Vorwürfe zu machen und sie zu behandeln, als wäre sie es nicht würdig, mit mir befreundet zu sein. Ich werde wohl nie verstehen können, warum sie all die Jahre mit mir befreundet war.

„Melody... ich...“, versuche ich einen klaren Satz zu formulieren, doch finde die richtigen Worte nicht.

Behutsam legt sie ihre schwache Hand, an meine Wange. Zu sehen, wie ihre Hand und der Rest ihres Körpers immer mehr an Farbe verliert macht mir Angst. Ich kann sie nicht auch noch verlieren. Nicht jetzt.

„Ich muss dir noch etwas sagen. Ich habe dich angelogen...“, fährt sie fort. Ich habe das Gefühl eine Achterbahn der Gefühle zu fahren. Es ist einfach alles zu viel. Vor allem sagt man so etwas nur, wenn man später keine Gelegenheit mehr dazu hat. Und diesen Gedanken will ich mir nicht ausmalen. Sie wird nicht sterben – nicht hier und nicht jetzt.

Ich will sie aufhalten etwas zu sagen, doch sie lässt mich nicht zu Wort kommen.

„Als ich dir sagte, ich hätte keine Gefühle mehr für dich, war das gelogen. Eine Zeit lang habe ich es geschafft, weiterzumachen und das alles hinter mir zu lassen. Aber als du in der Tür standest, kam einfach alles wieder hoch. Ich liebe dich immer noch und ich habe nie damit aufgehört“.
 

Ich schaue ihr in die Augen. Wie sehr ich mich doch auch über ihre Worte freuen will, habe ich doch das Gefühl, dass in mir eine Welt zusammenbricht.

Mir entflieht ein hilfloses Schluchzen, sehe in ihre wunderschönen Augen. Sie zeigen keine Angst, keine Lüge. Es scheint, als müsste sie stark genug für uns beide sein, denn ich habe keine Kraft mehr, habe das Gefühl, dass mir jegliche Energie aus den Fingern gesaugt wird. Je mehr ihr Blut über meine Finger rinnt, desto mehr habe ich das Gefühl, dass auch mir die Lebenskraft genommen wird.

Ich versuche zu lächeln, auch wenn das im Moment wohl ziemlich schief aussieht. Selbstverständlich bin ich froh, dass Mel die selben Gefühle hegt. Doch wünschte ich, der Moment wäre ein anderer. Denn sie sagt diese Worte nur, weil sie weiß, dass sie später nicht mehr die Chance haben wird.

„Mel ich... ich liebe dich auch. Schon seit ich dich das erste Mal gesehen habe. Als du zum ersten Mal vor unserer Haustür standest, als wir noch Kinder waren. Die ganze Zeit über...“, bringe ich gerade so zwischen den Zähnen hervor. Muss jedoch aufpassen, nicht vollkommen zusammenzubrechen.
 

Doch Mel schaut mich einfach nur an und schenkt mir ein Lächeln. Ein echtes, ehrliches, aufrichtiges Lächeln. Die Tränen, welche sich zuvor gebildet haben, bahnen sich jetzt einen Weg über ihre Wange. Aber nur eine einzelne findet ihren Weg, bis diese im Gras verschwindet.

„Du erinnerst dich...“. Es ist eine Feststellung, keine Frage. Allein das wissen, dass ich mich an sie und unsere Zeiten erinnere, scheint sie wohl glücklicher zu machen, als alles andere. Es scheint, als wäre es ihr egal, dass gerade im Sterben liegt, Hauptsache, ich weiß, wer sie ist.

Ich bestätige dies mit einem kleinen Nicken. Würde gerne etwas sagen, schaff es aber nicht meine Stimme zu festigen.

„Versprichst du mir etwas...?“, fragt sie leise weiter und schaut mich nun mit einer leicht ängstlichen Miene an.

Wiederum nicke ich: „Alles...“.

„Vergiss mich nicht...“.
 

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, schließt sie die Augen und ihre Hand fällt schwach, leblos von meiner Wange zu ihrem Bauch hinunter.

Ich schreie verzweifelt nach ihr. Rufe ihren Namen, doch sie reagiert nicht. Sie zuckt nicht einmal mehr mit der Wimper. Ich rüttle sie an den Schultern, klopfe ihr leicht mit einer blutverschmierten Hand gegen die Wange, doch bewegt sich keinen Millimeter und die Augen bleiben geschlossen.

Ruckartig presse ich ihren Körper an meinen, vergrabe meine Nase in ihrem Haar und schreie mehrfach auf.

Es fühlt sich an, als würde ein Teil von mir sterben. Als würde jemand mit einer glühend heißen Eisenstange direkt in mein Herz bohren und bereitet mir die schlimmsten Qualen, die ich noch nie zuvor gespürt habe.

Meine Tränen laufen unkontrolliert, fließen nach und nach über meine Wange, bis sie in Melodys Haar verschwinden. Wieder lege ich meine Hand auf ihr Herz, versuche die Blutung zu stoppen, in der Hoffnung, es ist noch nicht zu spät und die Ältesten können ihr helfen. So lange ihr Herz schlägt, bestehe die Chance sie zu retten.

Doch als ich meine Hand auf ihr Herz lege, steht dieses bereits still. Ihr Herz hat aufgehört zu schlagen.

Doch ich will es nicht wahrhaben.Ich kann sie nicht verlieren. Ohne Mel, habe ich niemanden mehr und ich kann nicht noch einmal jemanden verlieren, den ich liebe. Immer und immer wieder rufe ich ihren Namen. Küsse sie – ich weiß nicht wie oft – auf den Mund, auf die Nasenspitze, auf die Wange und auf die Stirn. Doch es nützt nichts. Sie bekommt es nicht mal mehr mit. Mel ist tot.

„Daemon!“.

Ich drehe mich in die Richtung, aus der mich die Stimme gerufen hat. Denke aber nicht einmal im Traum daran, Mel loszulassen. Drehe lediglich den Kopf in die Richtung und presse ihren Körper noch enger an meinen, falls jemand auf die Idee kommen sollte uns zu trennen.

Der Wolf – oder inzwischen – Junge mit den smaragdgrünen Augen und dessen Name ich immer noch nicht kenne rennt auf uns zu. Hinter ihm, die drei gräulichen Wölfe mit dem weißen Bauch. Es sind die Ältesten.

Ich will etwas sagen, doch mein verzweifeltes Schluchzen lässt es nicht zu. Der schwarze Wolf ist aschfahl und es scheint so, als wäre ihm das Gesicht eingeschlafen. Mit zitternden Knien setzt er sich zu uns auf den Boden und legt entschuldigend, mitleidend seine Hand auf meine Schulter.

Ich wehre mich nicht dagegen, will es auch gar nicht. Ich verdanke ihm mein Leben. Genauso, wie ich es Mel zu verdanken habe. Nur mit dem Unterschied, dass Melody für mich gestorben ist.

 

„Ihr Herz schlägt nicht mehr...“, ist das einzige, was mir über die Lippen kommt. Zu mehr bin ich nicht im Stande und breche erneut in Tränen aus.

„Es tut uns leid...“, höre ich einen der Ältesten sagen, auch wenn ich nicht genau sagen kann, welcher es war, was mir aber auch egal ist. Denn nun sind auch sie nicht mehr im Stande ihr Leben zu retten.

Der schwarze Wolf schaut mich an, allerdings kann ich seinen Blick nicht richtig deuten. Er wirkt nachdenklich. Als ob er überlegen würde, aber das sagen soll, was ihm gerade im Kopf herumschwirrt.

„Daemon... ich glaube, es gibt noch einen Weg ihr Leben zu retten...“, sagt er vorsichtig und wendet seinen Blick an die Ältesten, die den Blick mit einer kalten, gefühllosen Miene erwidern.

„Was? Welchen? Was soll ich tun?“, frage ich aufgebracht. Es ist mir egal, was dafür nötig ist. Ich werde alles dafür tun.

„Du kennst das Gesetzt. Niemand erklärt sich für so etwas bereit“, sagt der älteste des Trios, immer noch an den schwarzen Wolf gerichtet.

„Welches Gesetzt? Worum geht es? Ich werde tun, was nötig ist“, mische ich mich ein, und habe ein klein wenig Hoffnung, doch noch einmal in ihre mausgrauen Augen sehen zu dürfen.

 

Der jüngste der Ältesten tritt einen Schritt auf mich zu und schaut mich an.

„Um ein Leben aus dem Totenreich zurück zu holen, ist ein anderes Opfer nötig. Wenn sie leben soll, muss jemand anderes sterben, um das Gleichgewicht der Erde wiederherzustellen“, erklärt er ruhig und schaut mich durch seine kristallblauen Augen an. Doch für mich besteht kein Zweifel.

„Dann werde ich an ihrer Stelle sterben“, sage ich ohne darüber nachzudenken.

„Das nützt nichts, Daemon. Sie liebt dich und du liebst sie. Wenn sie leben kann und du nicht, würde sie unglücklich sein und um dich trauern. Zudem würde sie es sich nie verzeihen, dass du ihretwegen gestorben wärst, nachdem sie deines rettete.“, unterbricht mich der schwarze Wolf.

Dummerweise hat er Recht. Aber ich kann ihren Tod auch nicht einfach so hinnehmen. Ich muss doch alles tun, um sie zu retten.

„Ich mach das... rettet Melodys Leben und nehmt meines“, fährt der schwarze Wolf fort und stellt sich aufrecht hin, mit dem Rücken zu mir und wendet sich somit an die Ältesten.

„Auf keinen Fall!“, versuche ich ihn aufzuhalten, doch er unterbricht mich.

„Doch! Wie gesagt, es nützt nichts, wenn du deines geben würdest. Außerdem... wäre es mir eine Ehre. Ich habe euch beiden viel angetan und verletzt. Habe dich beschuldigt ohne nachzudenken. Hätte dir beinahe das Leben genommen und Melody entführt. Ich will nicht einmal Vergebung dafür, denn das kann man nicht. Aber so kann ich vielleicht meine Fehler wieder gutmachen“, erklärt er leise, aber voller stolz. Ich bin beinahe gerührt von seinen Worten, doch sie überraschen mich so sehr, das sich nicht in der Lage bin zu antworten. Dann spiegelt sich auf seinen Lippen ein Lächeln wider.

„Und... vielleicht sehe ich ja dann meine Schwester wieder. Ihr habt euch zwei, aber hier habe ich niemanden mehr. So wäre ich wieder mit ihr vereint“, fügt er zu guter Letzt noch hinzu.

 

Inzwischen hatte er sich wieder neben mich gekniet und seine Hand an meine Schulter gelegt. Ich glaube, er weiß gar nicht, was er gerade für mich tut und wie viel mir das bedeutet.

Wenn er das wirklich tun würde, würde er mir damit das zweite Mal das Leben retten. Denn würde ich Melody verlieren, wüsste ich nicht, was ich tun würde. Ich bezweifle, dass ich in der Lage wäre, mein Leben selbstständig weiter zu leben, so dass es auch lebenswert wäre. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich Andrew je wieder anvertrauen würde, geschweige denn, ob ich je wieder mit ihm reden würde, wenn er Melody auf dem Gewissen hätte.

 

Apropo Andrew: An ihn hatte ich nicht einmal mehr gedacht. Vorsichtig, beinahe ein wenig unsicher wende ich meinen Blick an meinen Bruder. Doch er steht noch immer genauso da, wie zuvor. Die Hände krampfen sich um die Waffe und aus seinen Augen ist reinste Angst, Schuld und Verzweiflung herauszulesen. Der Rauch aus der Mündung der Pistole hat zwar nachgelassen, ist aber immer noch deutlich sichtbar. So viel Zeit kann also noch gar nicht vergangen sein. Dabei fühlte es sich an, als wären Stunden vergangen. Endliche, qualvolle Stunden.

Doch ich kann nichts sagen, da merke ich, wie die Ältesten einen Schritt auf mich zukommen und mich ein Stück von Melody trennen. Zuerst will ich protestieren, lasse es aber doch zu.

Sie liegt nun auf dem Rücken. Mitten im Gras. Erst jetzt fällt mir der tatsächliche Blutverlust auf und ich habe Angst, dass sie zu viel Blut verloren hat und man sie nicht mehr retten kann. Ich sitze an ihrer Rechten und halte ihre Hand. Mustere ihr Gesicht, hoffe so sehr, dass alles gut ausgeht.

 

Aufmerksam beobachte ich, was genau sie jetzt vor haben. Der Älteste des Trios verwandelt sich in einen Menschen, tritt einen Schritt vor, nur um sich dann neben Melody zu knien. Die anderen beiden machen es ihm nach, mit dem Unterschied, dass sie sich neben den schwarzen Wolf stellen und umrunden.

Der Älteste nimmt sein Amulett von seinem Hals und legt es über die Stelle, in der die Kugel Mel getroffen hat. Direkt auf ihr Herz. Die anderen beiden laufen um den Jungen mir den smaragdgrünen Augen herum, streichen dabei mit den Händen dauerhaft über Schulter und Schlüsselbein.

Auf einmal beginnen alle drei gleichzeitig irgendwelche Worte zu sprechen, die kein Mensch oder Halbblüter versteht. Vermutlich Latein oder irgendeine andere tote Sprache.

Die Stelle, in der die Kugel eingedrungen war, beginnt im selben Blauton aufzuleuchten, wie der Saphir. Wie durch Zauberhand verschließt sich die Wunde und nichts weiter als eine kleine Narbe bleibt übrig.

Ich kann kaum glauben, dass dies wirklich passiert. Noch immer traue ich mich nicht, den Gedanken vollkommen zu beenden, dass Mel jeden Moment aufwachen könnte. Ich habe zu große Angst davor, mir Hoffnungen zu machen und dann doch enttäuscht zu werden.

Ich kann meine Augen nicht von ihrem Gesicht lassen. Die ganze Zeit hoffe ich, dass sie ihre Augen öffnet und ich wieder die Chance habe, in diese zu blicken.

 

Ich hatte nicht einmal bemerkt, wie ich die Luft angehalten habe. Erst, als mir der Luftmangel auffällt, atme ich erst einmal tief durch. Mein Herz rast so schnell, dass ich das Gefühl habe, es müsste jeden Moment explodieren.

Und dann öffnet sie tatsächlich ihre Augen. Das Grau leuchtet heller und funkelt mehr als je zuvor.

In mir breitet sich ein Gefühl von Glück aus, was sich nicht beschreiben lässt. So viele Gefühle treffen auf einmal zusammen, dass ich nicht in der Lage bin klar zu denken.

Meinen Tränen lasse ich freien Lauf und lächle sie überglücklich an. Sie wirkt noch etwas schwach, vermutlich durch den vielen Blutverlust, doch sie erwidert es.

Ich lege meine Hand an ihre Wange und küsse sie. Es ist ein besonderer Kuss. Ein Zeichen des Neuanfangs, ein Zeichen von Glück und ein Zeichen der Liebe. Es stecken so viele Emotionen in diesem einen Kuss, dass ich kaum realisiere, was um uns herum passiert. Jetzt, für diesen Moment, zählt einzig und allein dieser Kuss.

 

Als ich mich etwas widerwillig löse, sehe ich, wie auch ihr eine Träne, die Wange hinunter rinnt. Vorsichtig wische ihr diese mit dem Daumen weg und lächle sie einfach nur an.

„Ich hatte solche Angst...“, gebe ich leise zu und blicke ihr in die Augen. Sie scheint noch ein wenig benommen, kann vermutlich noch nicht ganz realisieren, was genau passiert und wie das alles möglich ist.

Ich will ihr die Frage beantworten, bis mir der schwarze Wolf wieder in den Sinn kommt. In mir macht sich ein mulmiges Gefühl breit, denn da Mel nun wieder am Leben ist, heißt es, dass das Gleichgewicht der Welt außer Kontrolle ist.

Ein wenig eingeschüchtert richte ich mich auf und blicke zu dem schwarzen Wolf, welcher noch immer von den anderen beiden Ältesten umrundet wird.

Auch er wird in saphirblaues Licht getaucht und umhüllt. Es weht ein leichter Wind. Aber er ist nicht unangenehm kalt, sondern eher wohlig warm, auch wenn dies nicht ganz mit der Frabe harmoniert, um umhüllt den Jungen voll und ganz. Einzelne Blätter haben sich in dem Strudel verfangen, welche mich am Arm streifen und ebenfalls ihre Runden um den Wolf ziehen.

 

Ich hatte damit gerechnet, ein verängstigendes Gesicht zu sehen, oder zumindest einen Hauch von Unsicherheit in seinen Augen lesen zu können. Doch nichts davon traf ein. Die Augen des schwarzen Wolfes strahlen Freude aus.

Ich will zu ihm, stehe sogar schon auf den Beinen. Ich habe irgendwie das dringende Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen, ihm zu danken. Doch ich erkenne bereits, wie sein Körper beginnt sich aufzulösen. Ich kann bereits durch ihn hindurchsehen, sehe die Menschen hinter ihm, die sich um uns versammelt haben, was mir bis dahin noch nicht einmal aufgefallen war.

Fast ein wenig hilflos betrachte ich ihn, wie er sich Stück für Stück auflöst, während die Ältesten immer weiter um hindurch laufen, wodurch unser Blickkontakt immer und immer wieder unterbrochen wird. Doch sein Lächeln gibt mir das Gefühl keine Angst haben zu müssen. Er wirkt fast ein wenig glücklich mit seiner Entscheidung und gibt mir auch Gewissheit, dass er keine Schmerzen hat. So kann er wenigstens friedlich sterben.

Mit meinen Lippen forme ich ein „Danke“, es ist das einzige, was mir im Moment einfällt. Von ihm folgt nur noch ein kleines Nicken, mit einem dazu passendem, aufrichtigem Grinsen.

Ich will ihn nach seinem Namen fragen, doch bevor ich ihm die Frage stellen kann, löst sich einen Moment später sein Körper vollkommen in Luft auf und eine Art Geist in Wolfsform – in seiner Wolfsform – erscheint. Es ist nur eine Art Standbild, als ob auch sein Wolfsein sich von der Erde verabschieden müsste. Sein Ebenbild erscheint im blauen Licht und als dieses verschwindet, ist ein letztes Heulen – sein Heulen – zu hören.

Nun hat er Melodys Platz im Himmel eingenommen.

 

„Daemon..? Was ist passiert..?“, fragt Melody vorsichtig.

Ich drehe mich zu ihr um und sehe, wie sie versucht sich aufzurichten.

Ich beuge mich zu ihr hinunter und helfe ihr beim aufstehen. Noch immer ist sie ziemlich wackelig auf den Beinen, weshalb ich den Arm um sie gelegt lasse, damit sie sich an mir abstützen kann. Doch glaube ich nicht, dass jetzt der richtige Moment ist, um ihr alles zu erklären, weshalb ich nur in Kurzfassung das wichtigste anreiße, ihr aber erkläre, dass ich ihr später noch alles genauer erzählen werde.

 

„Andrew!“.

Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen und mein Blick, der eben noch auf Mel gerichtet war, schellt erst zu meinem Bruder, dann zu der Stimme, die nach ihm gerufen hat. Sie gehört dem ältesten des Trios.

Erst jetzt, nachdem sich das ganze Drama etwas gelegt hat, fällt mir auf, dass sich das gesamte Dorf um uns herum versammelt hat. Wie lange sie wohl schon da stehen?

Beinahe automatisch halte ich nach Tick und Trick Ausschau, doch ich kann sie nirgendwo erkennen. In mir macht sich leichte Panik breit. Hoffentlich ist ihnen nichts passiert und sie machen keine Dummheiten, wegen ihrem Bruder.

Von den Menschen ist keine Spur mehr zu sehen. Lediglich mein Bruder ist der letzte, der von ihnen übrig geblieben ist. Die Wölfe der benachbarten Rudel stehen ebenfalls um uns herum, sind ebenfalls mit Blut besudelt. Ich habe den Kampf und die Flucht der Feinden nicht einmal mehr mitbekommen.

Ich war einfach nur auf Melody fixiert.

 

„Andrew, was du getan hast, war Verrat“, beginnt der Älteste.

„Deinetwegen sind Freunde und Verwandte gestorben. Du hast dem Staat unsere Geheimnisse anvertraut. Es wird für uns nie wieder möglich sein, ein Leben ohne Beobachtung und Kontrolle des Staates leben zu können. Wir müssen ab sofort ständig mit neuen Gefahren rechnen, müssen immer auf der Hut sein.

Schlimmer ist jedoch, dass du nicht nur dich selbst, sondern auch deine Familie und uns alle in Gefahr gebracht hast. Du hast uns verraten und unser Geheimnis an die Öffentlichkeit verkauft. In früheren Zeiten lautete das Urteil bei Verrat: Todesstrafe“.

Mir bleibt für einen Moment das Herz stehen. Der Älteste blick erst zu mir, dann zu seinen Brüdern, die kurz zwei Worte miteinander wechseln.

„Wir sind uns jedoch einig, es bei einer Verbannung zu belassen. Deine Abreise muss sofort stattfinden. Solltest du zurückkehren, werden wir auf die alten Methoden zurückgreifen müssen“.

 

Ich höre schweigend zu, habe den Blick inzwischen zu Boden gesenkt. Am liebsten würde ich dagegen protestieren, doch ich habe nicht das Recht dazu. Es ist nun mal wahr. Andrew ist Schuld an unserem Unglück und da kann ich nichts daran ändern. Unser Schutz steht an erster Stelle, steht teilweise sogar über der Familie. Man muss die Konsequenzen für seine Fehler tragen können.

Melodys Griff um meinen Arm festigt sich. Ich wende meinen Blick zu ihr und bemerke, wie sie mich besorgt anschaut. Doch ich gebe ihr zu verstehen, dass es mir gut geht. Jedoch weiß ich nicht genau, ob es gelogen ist, oder nicht.

Auf der einen Seite ist Andrew mein Bruder, Zwillingsbruder. Er ist meine Familie und der letzte, der noch übrig ist.

Auf der anderen Seite hat er mich verraten und angelogen. Hat mir die drei Jahre nach dem Unfall etwas vorgelogen, meine Freundin verheimlicht und ihr ebenfalls Lügengeschichten erzählt. Nicht zu vergessen, sein Rudel und somit unsere Sicherheit an den Staat verraten.

Wie gern würde ich ihm verzeihen. Am liebsten würde ich ihm in den Arm nehmen, sagen, dass wir das vergessen und von vorn anfangen. Aber das kann ich nicht. Jetzt noch nicht. Vielleicht irgendwann mal. Wenn sich das Drama gelegt hat, wieder normaler Alltag eingekehrt ist.

Möglicherweise bin ich dann bereit, meinen Bruder aufzusuchen und alles in Ruhe noch einmal mit ihm zu besprechen. Auch in der Lage, ihm zu vergeben. Aber jetzt im Moment, kann ich das einfach noch nicht.

 

Mit einem leisen krachen lässt mein Bruder das Gewehr fallen. Ich richte meinen Blick auf ihn. Seine Augen zeigen Verzweiflung und Reue. Aber auch Verständnis. Für wenige Sekunden schauen wir uns einfach nur an. Wir müssen beide nichts sagen. Wir wissen beide, was der jeweils andere denkt.

Ihm scheint die Sonne in den Rücken, so dass beinahe nur eine schwarze Silhouette zu erkennen ist. Ich erkenne, wie er mit seiner Hand das Amulett umgreift, was uns beide noch miteinander verbindet. Ich besitze schließlich das selbe. Im Farbenspiel des Sonnenuntergangs verwandelt er sich in einen Wolf, kehrt dem Dorf den Rücken zu, bis er schließlich in Richtung Horizont verschwindet.

 

Melodys Hand verknotet sich mit meiner und ich schenke ihr ein kleines Lächeln. Allerdings bereitet mir noch eine Sache Bachschmerzen. Ohne ein Wort zu sagen, ziehe ich sie mit mir mit. Zielsicher laufe ich zu Track. Ich bin mir sicher, dass ich die beiden dort finden werde. Wir treten aus dem Tor und finden das bereits erwartete Blutbad vor. Ich brauche nur wenige Sekunden, um Tick und Trick tatsächlich bei ihrem Bruder vorzufinden.

Es bricht mir das Herz ihr Winseln zu hören und zu sehen, wie sie immer und immer wieder den toten Körper ihres Bruders anstupsen und hoffen, er würde sich doch noch bewegen.

Natürlich gäbe es auch hier die Möglichkeit das Verfahren anzuwenden, was auch bei Mel angewendet wurde. Doch wird es keine Freiwilligen geben, die ihr Leben geben werden.

Langsam gehe ich auf sie zu und knie mich zu ihnen. Melody bleibt vorerst ein paar Schritte zurück.

Sanft Streiche ich ihnen durch das Fell und nehme sie in den Arm. Ich weiß nur zu gut, wie sie sich fühlen. Mir ging es nicht anders, als Mel tot vor mir lag.

Ich versuche ihnen Mut zuzusprechen, sie zu trösten. Aber ich weiß, dass es nichts nützen wird und beide die Zeit brauchen werden, um zu trauern.

Ich blicke noch einmal auf Track. Die schneeweiße Blume, welche ich zuvor auf seinen Körper gelegt hatte, ist inzwischen blutrot. Ich wische mir eine Träne weg, lasse die beiden dann alleine und gehe wieder zu Melody. Ich will ihnen die Zeit geben, die sie brauchen. Sie nicht drängen und auch nicht, dass sie Tränen unterdrücken, nur weil ich bei ihnen sitze.

 

Inzwischen ist es mitten in der Nacht. Wir haben uns zuerst um die Verstorbenen gekümmert, bevor wir das Dorf geräumt haben. Das gesamte Dorf – zumindest die, die übrig geblieben sind - haben sich um ein großes Feuer versammelt. Unter der Feuerstelle ist die Grube, in welchen die Toten geborgen worden sind. Es war ein trauriges Spektakel. Es wurde kaum ein Wort gesprochen. Nur das Weinen, Winseln und Aufheulen der Halbblüter hat man gehört, während sie vor dem Grab standen und Blumen, besondere Gegenstände oder etwas anderes, was sie emotional mit verstorbenen Freunden und Verwandten verbinden. Alle hatten sich in einer Reihe aufgestellt, um nach und nach seine letzten Worte an diejenigen zu richten, welche demjenigen wichtig war.

Unheimlich ist jedoch der Gedanke, dass jeder einzelne von uns mindestens einen Halbblüter kannte, der in dieser Grube liegt, wenn nicht mehrere.

Ich hatte zwar in den letzten Jahren nicht viel Kontakt zu dem Dorf, dennoch ist es beunruhigend, dass auch ich zwei der Gefallenen kannte. Als ich an der Grube stand, richteten sich meine Worte an Track. Wie ich ihn kennengelernt hatte, was für Zeiten wir durchgemacht haben, welch sich auf die Übungsstunden, die Prüfung und der Vergabe des Amuletts beziehen.

Aber meine meisten Worte und Gedanken gingen an den schwarzen Wolf, der noch nicht einmal in dieser Grube lag, sondern direkt seinen Platz im Himmel eingenommen hatte. Still dankte ich ihm. Sage die Worte, dich ihm gern persönlich gesagt hätte, bevor er vor meinen Augen verschwand. Zu gern hätte ich seinen Namen gewusst. Natürlich, ich könnte jemand anderen fragen, aber ich wollte es nicht. Es würde mir nicht das Gefühl geben, dass ich ihn persönlich kenne. Ich kenne ihn unter dem Namen 'schwarzer Wolf' oder als den 'Jungen mit den smaragdgrünen Augen'. Ein stiller, namensloser Held, der mir das Leben rettete. Eine gewisse Anonymität verleiht es ihm, wenn ich seinen Namen nicht weiß. Aber irgendwie passt es ja auch. Denn den Namen seines Schutzengels kennt man ja auch nicht.

 

Als ich meine Worte zu Ende gedacht hatte, musste ich leicht lächeln. Ich bin mir fast sicher, wenn wir uns später einmal in einem anderem Leben kennenlernen werden, könnten wir gute Freunde werde.

Ich schau zu Melody, die am anderen Ende des Feuers steht und mich beobachtet. Sie stand ebenfalls vor der Grube, ist aber logischerweise schon vor einigen Sekunden, wenn nicht Minuten – ich weiß nicht, wie lange ich davor stand – weiter gelaufen, um auf mich zu warten. Sie schenkt mir ein fürsorgliches Lächeln und wendet ihren Blick nicht ab, bis ich schließlich bei ihr bin, um mich neben sie zu stellen.

 

Inzwischen ist es stockdunkel und wir stehen alle versammelt um das Feuer und starren in die Flamme. Es werden Lieder angestimmt. Zur Eröffnung ein einziges Totenlied, um jeden einzelnen zu ehren. Doch zuletzt waren es hauptsächlich Lieder über Mut, Tapferkeit und Loyalität. Wir feiern die Kraft und den unglaublichen Kampfgeist, den jeder einzelne an den Tag gelegt hat und feiern diejenigen, die aufrichtig in den Kampf gestiegen sind, um ihresgleichen zu verteidigen. Wir ehren sie mit Respekt und Dankbarkeit. Denn nichts auf der Welt, kann ein Leben ersetzen. Und das wollen wir deutlich machen.

 

Es ist beinahe ein Mechanismus. Blind, ohne sie anzusehen, greife ich nach Melodys Hand und um schließe sie mit meiner. Ohne zu zögern erwidert sie meinen Griff, bis sich unsere Finger verknoten. Jetzt erst blicke ich zu ihr, sodass ich ihr direkt in die Augen sehen kann, welche durch das Feuer jedoch einen Orangeschimmer haben. Wir schenken uns beide ein kleines Lächeln. Wir wissen beide, was es zu bedeuten hat. Es ist nicht nur, ein Händchenhalten, weil die Stimmung einen Hauch von Romantik ausstrahlt, oder weil die Situation so emotional ist. Es ist ein Händchenhalten und ein Lächeln für das Leben. Auf ein neues Leben. Auf ein besseres und ehrliches Leben. Ein Leben in Zweisamkeit und als Paar. Zusammen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (20)
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Von:  Sanda-San
2017-07-29T21:24:19+00:00 29.07.2017 23:24
wusste ich ja gar nicht, dass Melody Gefühle.^^
Von:  Sanda-San
2017-07-21T10:55:03+00:00 21.07.2017 12:55
Puh nun habe ich bis hier hin gelesen...
Traurig das die Eltern Tod sind von Deamon. *seufz*
Nett ist aber das Andrew wieder zurück von der Stadt...er war ja für einen Zeitraum verschwunden.
Tja, wann wird sich Mel wieder Erinnern?**
LG Sanda:)
Antwort von:  FanFicFreak98
21.07.2017 14:54
Mel hat ihre Erinnerungen nicht verloren, sondern Daemon :3
LG FanFicFreak98
Antwort von:  Sanda-San
21.07.2017 19:05
Ja, bisschen verwirt mit den Namen...sorry!"**
Von:  Sanda-San
2017-07-19T17:38:36+00:00 19.07.2017 19:38
Ich habe mal zwei Kapitel weiter gelesen.
Die Halbblüter scheinen sich nicht gerade gut zu verstehen.

Von:  Sanda-San
2017-07-17T21:00:29+00:00 17.07.2017 23:00
Gut, gut, gut!
Ich habe mal zwei Kapitel weiter gelesen.
Im Kapitel 3 hat der Wolf einen Dämonen als Mitbewohner bekommen. Nicht leicht diese Sache zu Meistern.
Echt traurig wie die Hintergrund Geschichte ist von Andrew und Mel. Die Zwillinge. Wenn ich das richtig aufgefasst habe.
(**)^^
Antwort von:  FanFicFreak98
19.07.2017 12:49
Dir Zwillinge sind Daemon und Andrew :3
Voll lieb, dass du weiter liest immer ein Review dalässt!! Das freut mich total :3*-*
LG FanFicFreak98
Antwort von:  Sanda-San
19.07.2017 13:27
Das ist nett. Ich hoffe das ich die zwei nicht erneut verwechsle...LG^^
Von:  Sanda-San
2017-07-16T19:51:30+00:00 16.07.2017 21:51
Ein schönes Kapitel. Ich mag weiter lesen. Ich finde besonder gut den Anfang hier.
Wie der Mensch sein Leben lebt mit seiner DNA. Er liebte es ein Wolf zu sein.
Es klingt ein bisschen traurig die Worte...
Who I am.
An unknown person.
Don't know who I am.
What happend the time before?

I live a life, I don't want that to live.
I have got an assignment, I don't want that to have,
I know People, I don't want that to know.
I have powers, I don't want that to have.
Dennoch klingt es gut. (**)
Von:  Sanda-San
2017-07-16T09:04:00+00:00 16.07.2017 11:04
Husch*
Ich bin neu. Nicht ganz neu. *grins*
Ich lass dein 1. Kapitel mal durch und finde es gut. Mal abgesehen von den Zeitformen und Grammatik.
Da gegen bin ich auch kein Super-Held. Trotzdem finde ich gut gemacht^^
Von:  Sundy
2017-07-08T20:54:47+00:00 08.07.2017 22:54
Jetzt bleibt fpro mich immernoch die Frage offen wo die Welpen hinkommen. Ob er sie zu sich nimmt oder ob sie bei den Leuten aus dem Dorf bleiben.
Antwort von:  FanFicFreak98
19.07.2017 12:51
Hey ^^
So jetzt einmal DANKE, dass du immer mitgefiebert und ein Review dagelassen hast! Ich hab mich immer sehr gefreut :3
Ich dachte, ich bedanke mich am Ende einmal richtig, bevor ich jedes Mal das Selbe antworte.
LG FanFicFreak98^^
Von:  Sundy
2017-07-05T18:34:01+00:00 05.07.2017 20:34
😭 Das darf auf keinen Fall so enden. Sollte sie jetzt nicht irgendwie wiederbelebt werden können bin ich mir sicher kann Andrew sich sein Grab schaufeln.
Von:  Sundy
2017-06-25T19:21:27+00:00 25.06.2017 21:21
Verdammter Mist ich habe so das Gefühl Andrew hat gerade Mel erschossen oder zumindest angeschossen.😲
Von:  Sundy
2017-06-20T20:33:43+00:00 20.06.2017 22:33
Oh oh na das kann was werden. Ich bin gespannt wie das Dorf aussieht. Das wird garantiert nicht gut ausgehen wenn er auf seinen Bruder trifft. Mich würde es interessieren ob er die Welpen bei sich aufnimmt und vor allem auf das Gespräch mit Melody bin ich gespannt.


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