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Der Saphir der Halbblüter

von

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„W-Was hast du vor?“, frage ich mit leiser Stimme, als sie ihren dunkelblauen Maxi-Koffer die letzte Stufe herunter hieft und sich auf den Boden kniet, um ihre Schuhe anzuziehen, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.

„Nach was sieht es aus, Daemon? Ich verschwinde, ich ziehe aus“, sagte sie in einem lauten, bestimmten Ton, der ihre Trauer und ihre Wut deutlich zum Ausdruck bringt, während sie energisch den Reißverschluss ihrer Stiefel zuzieht.

„Ausziehen? Aber warum? Wo willst du denn hin?“, frage ich geschockt und ja, ich mache mir Sorgen. Wenn ich mir nur vorstelle, dass sie irgendwo auf der Straße herumirrt und die Nacht alleine in der Dunkelheit verbringen muss, stellen sich mir die Nackenhaare auf.

„Ich hab einfach kein Bock mehr, mich von dir anzupampen an anmaulen zu lassen! Ich werde schon was finden“.

Sie wird schon was finden? Das heißt, sie hat nicht mal einen Ort, wo sie unterkommt. Das wollte ich nie. Nie hatte ich das Ziel, dass sie wie ein obdachloser im Park auf einer Bank schläft. Vor allem sind wir hier in der Nähe vom Wald, wo die Straßen nachts nicht sonderlich beleuchtet werden und auch nicht genug Menschen auf der Straße sind, wenn etwas passieren sollte. Sollte ihr wegen mir etwas passieren, nur weil ich sie vergrault hab, würde ich mir das ein Leben lang vorwerfen. Ich kann sie nicht gehen lassen. Ich will sie doch nur beschützen.

„Mel.. komm schon. Ich hab es nicht so gemeint“, versuche ich sie zu beruhigen und will sie daran hindern diese Türschwelle ein aller letztes Mal zu überqueren.

„Nein, Daemon. Ich kenne dich inzwischen lange genug, um zu wissen, dass das, was du sagt, immer ernst gemeint ist“, protestiert sie und richtet sich nun auf, um mich anzusehen. Das schlimme ist allerdings, dass sie Recht hat. Alles was ich sage, meine ich ernst. Wenn es sie ankotzt, wie ich mit ihr umgehe, soll sie ausziehen. Das Problem ist, dass ich das nicht will. Ich bereue zwar, was ich gesagt habe, trotzdem ist meine Meinung immer noch die Selbe, auch wenn mir das nicht passt, wie sich Melody entscheidet.

„Ach Melody... die letzte Nacht war hart und ich bin einfach noch ein wenig übermüdet. Nimm es dir doch bitte nicht so zu Herzen“, versuche ich sie erneut zu beruhigen. Würde allerdings so jemand mit mir reden, würde ich demjenigen wahrscheinlich eine scheuern.

Ihre Augen verengen sich schmalen schlitzen, die Lippen presst sie aufeinander und ich kann erkennen, wie sie gegen ihre Tränen ankämpft.

„Lass deine schlechte Laune nicht an mir aus! Egal, was ich mache, es ist falsch. Du behandelst mich, als wäre ich jemand nutzloses, der es nicht Wert ist respektvoll behandelt zu werden. Ich weiß, dass das mit mir scheiße ist, aber ich kann doch nichts dafür. Ich verstehe einfach nicht, was ich getan habe, warum du mich so sehr hasst, dass du mich nicht mehr kennen willst. Wir waren Freunde Daemon...“, beginnt sie wütend, doch je länger sie versucht sich zu rechtfertigen, desto dünner und zitternder wird ihre Stimme, ihre Augen glasiger.

Aber, ich verstehe sie nicht. Was genau, ist scheiße an ihr? Dass sie hier wohnt? Ich will sie nicht kennen? Wovon redet sie? Wir [style type="italic"]waren[/style] Freunde? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir uns je gut verstanden haben, als sie bei mir eingezogen ist. Aber hassen, kann ich sie auch nicht.
 

Ich will etwas sagen, doch kein Ton verlässt meine Lippen. Ich bin überfordert, von ihren Worten, ihren Andeutungen oder auch Behauptungen und ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Ich verstehe nur Bahnhof.

„Du hast dich verändert Daemon... seit dem Unfall bist du nicht mehr du selbst..“.

„Warte! Unfall? Du weißt davon?“, frage ich geschockt und starre sie mit einer Ungläubigkeit an, die ich selbst von mir nicht gewohnt bin. Denn ich bin mir zu tausend Prozent sicher, dass ich ihr nie davon erzählt habe.

„Was soll das heißen „Du weißt davon?“? Ich war dabei!“.

Beinahe schon verzweifelt schreit sie mich an und nun rinnt ihr auch die erste Träne über die Wange.

Melody war dabei? Das heißt, wir hatten den Unfall gemeinsam, was wiederum bedeutet...
 

Ich kann meine Gedanken nicht zu Ende bringen, denn mit einem Mal greift sie nach ihrem Koffer und schiebt sich an mir vorbei. Ohne auch darüber nachzudenken, packe ich Mel am Handgelenk, um sie davon abzuhalten mich zu verlassen.

„D-Du warst bei dem Unfall dabei? Das heißt, wir.. wir kannten uns schon bevor du hier eingezogen bist.“, stelle ich fest und spreche eigentlich mehr mit mir selbst, als mit ihr.

„Natürlich! Daemon, wir waren die besten Freunde. Ich kann einfach nicht verstehen, warum du mich vergessen willst“.

„Mel ich will dich nicht vergessen. Ich habe dich vergessen..“, beginne ich und versuche mich irgendwie zu erklären. Aber sie schaut mich nur mit einem Blick an, der eine Mischung aus Wut und Verständnislosigkeit zeigt. Das war wohl nicht gerade die beste Antwort.

Sie schnieft einmal und will sich von mir wegreißen, doch ich lasse sie nicht los. Denn wenn ich sie jetzt gehen lassen, verliere ich sie für immer.

„Genauer gesagt, kann ich mich an nichts erinnern. I-Ich habe bei dem Unfall mein Gedächtnis verloren...“, sage ich leise, es ist beinahe nur ein flüstern. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Es ist nicht viel mehr, als ein Flehen, eine Verzweiflung, mit der ich zu ihr spreche.

Ihr angespannten Gesichtszüge lockern und die wunderschönen mausgrauen Augen weiten sich. Ihr Mund bleibt einen Spalt offen stehen und die Wut, die sie zuvor noch erfüllt hat, verblasst auf einmal in, ich kann es nicht ganz deuten, Verständnis?

„Du.. kannst dich wirklich nicht an mich erinnern?“, fragt sie ebenfalls leise und kommt wieder einen Schritt auf mich zu, schaut mir direkt in die Augen. Vermutlich sucht sie nach einer Lüge, aber wie soll ich sie anlügen, wenn ich sie vergessen habe? Ich schüttele nur langsam mit dem Kopf, senke meinen Blick zu Boden, weil ich ihr Mitleid nicht sehen will.
 

Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Ich habe meine beste Freundin wieder gefunden, eine Person, der ich vertrauen sollte und die vermutlich immer für mich da war. Und ich habe nichts besseres zu tun, als sie wie Abschaum zu behandeln und ihr das Herz zu brechen. Wie gern würde ich mich am liebsten selbst Ohrfeigen.

Ohne, dass ich darauf auch nur irgendwie hätte reagieren können, nimmt mich Melody in den Arm. Sie stellt sich auf Zehnspitzen, um mir ihre Arme um den Nacken zu legen und mich festzuhalten. Kurz bin ich überwältigt, denn mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Schließlich schlinge auch ich meine Arme um ihren schmalen Oberkörper und ziehe sie fest an meine Brust. Ich dachte, sie würde mich einfach stehen lassen und mich nicht mal mehr mit ihren süßen vier Buchstaben anschauen. Aber ich habe schon in den letzten Tagen gemerkt, dass sie ein warmes Herz hat und immer erst an die anderen denkst, bevor sie ihren eigenen Bedürfnissen nachkommt. Sie ist erfüllt von Liebe und jetzt im Moment danke ich ihr mehr dafür, dass sie einfach nur da ist, als sie es wahrscheinlich vermutet.
 

„W-Was ist denn das letzte, woran du dich erinnerst?“, fragt sie schüchtern, nachdem sie sich wieder von mir gelöst hat und mich ein wenig unsicher anschaut.

„Nichts.. ich weiß nur, dass ich im Krankenhaus aufgewacht bin und Andrew neben mir saß. Ich weiß nicht mal, ob ich ihm geglaubt hätte, dass er mein Bruder ist, wenn wir keine Zwillinge wären“, sage ich ebenso leise und schau beschämt zur Seite.

Ihrerseits folgt nur ein kleines Nicken und für einen kurzen Augenblick schweigen wir beide. Eine unangenehme Spannung liegt zwischen uns und ich habe einfach keine Ahnung, wie das jetzt zwischen uns weitergehen soll.

Aus ihrer Tasche kramt sie dann ein kleine Foto heraus. Sofort erkenne ich es wieder. Die dunklen Ränder und die abgerissene oder gar abgebrannte Ecke erinnern mich sofort wieder daran, als ich sie im Wald gesehen habe, und wie traurig sie darauf geschaut hat.

Kurz schaut sie es an, dann huscht ihr ein unsicheres Lächeln über die Lippen. Sie drückt mir das Bild in die Hand, schaut mich erwartungsvoll an.

Als ich meinen Blick senke, erkenne ich zwei Kinder, vielleicht zwischen sieben und acht. Ein Junge und ein Mädchen. Sie wirken glücklich, so als ob sie keine Sorgen in ihrem Leben haben. Sie stehen Arm in Arm da und grinsen bis über beide Ohren. Aber auch ich muss lächeln, als ich die Hasenohren erblicke, die der Kleine mit seinen Fingern bildet und hinter dem Kopf des Mädchens hervorschauen lässt.
 

„Das sind wir...“, erklärt sie leise und wischt sich die einzelne Träne weg, die bereits vorhin über ihre Wange gelaufen war.

Ja, es ist offensichtlich eine Ähnlichkeit zu erkennen. Der Junge hat die selben bernsteinfarbenen Augen und immer noch die gleichen strohblonden Haare, wie ich. Das Mädchen ist Melody aus dem Gesicht geschnitten und hat das gleiche bezaubernde Lächeln, wie sie.

„Erinnerst du dich...?“, fragt sie erneut und ich spüre, dass sie wirklich hofft, dass ich ihr die Frage bejahen kann, doch so sehr ich versuche mich zu erinnern, es klapp einfach nicht, weshalb ich sie mit einem leichten Kopfschütteln schon wieder enttäuschen muss.
 

Inzwischen sitzen wie auf der Couch. Wie wir dort hin gekommen sind, weiß ich nicht mal mehr genau. Noch immer halte ich das Bild in den Händen und betrachte unser altes Kinderfoto. Dabei starre ich mehr auf sie, als auf alles andere und versuche irgendwie, dieses Ereignis wieder in meine Erinnerungen zu rufen, aber es passiert einfach nichts.

Immer wieder streiche ich mit dem Finger über die leicht abgebrannte Ecke, so als ob ich es mit ein paar Berührungen reparieren könnte. Der Zustand des Bildes lässt nur erahnen, in welchem Chaos das ganze geendet haben muss.

„Ich konnte es gerade noch aus dem Auto holen bevor es völlig verbrannt ist“; sagt sie schließlich leise, als sie meine monotonen Bewegungen bemerkt.

„Was ist denn passiert?“, frage ich ebenso leise und habe eigentlich schon angst, alles darüber zu erfahren. Natürlich habe ich Andrew gefragt, aber er sagte nur, dass er nichts wisse und die Polizei nur etwas von einem Autounfall gesagt habe.

Melodys Blick, der bis eben auch noch auf dem Foto ruhte, wendet sich nun zu Boden und ich höre,wie sie einmal tief durchatmet.

„Wir wollten an die Nordsee. Einfach mal für ein paar Tage weg und den ganzen Stress vergessen. Aber wir haben uns gestritten, wie so oft in der letzten Zeit. Und mal wieder wegen Andrew“, sagt sie leise und sie muss kurz pausieren.

Ich überlege, ob ich dazwischen reden soll, entscheide mich aber dagegen, da es ihr offensichtlich schwer fällt darüber zu reden.

„Es hat ein paar Wochen zuvor angefangen, dass wir uns immer häufiger wegen ihm gestritten haben. Du sagtest, ich solle mich von ihm fernhalten und nicht mehr in seine Nähe gehen. Ich hab die Welt nicht mehr verstanden, weil wir drei eigentlich immer gute Freunde waren. Von heute auf morgen warst du auf einmal so abweisend, ihm gegenüber“.

Wir haben uns wegen meinem Bruder gestritten? Aber ich verstehe nicht warum. Hätte Andrew mir so etwas nicht erzählt?

„Jedenfalls... wollte ich das nicht, weil er trotzdem auch mein Freund ist und du mir nie einen Grund dafür genannt hast. Wir haben uns angeschrien und dann... sind wir von der Straße abgekommen“.

Ich weiß nicht genau, was ich darauf sagen soll. Noch immer starre ich auf das Bild, schenke aber nur ihr meine Aufmerksamkeit.

Natürlich, die Beziehung zu meinem Bruder ist immer noch nicht das Beste, aber ich komme gut mit ihm aus – zumindest für meine Verhältnisse. Aber es ist trotzdem so, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen und ich habe stark das Gefühl, dass es etwas gibt, was Andrew mir verheimlicht und wovon Melody nichts weiß. Kurz glaube ich sogar, es ist ganz gut mein Gedächtnis verloren zu haben.
 

Ein paar weitere Minuten vergehen, die wir schweigend neben einander verbringen. Als ich mich endlich dazu zwingen kann, nicht mehr wie ein Abhängiger mich an dieses Bild festzukrallen, hebe ich es Melody vor die Brust, damit sie es wieder an sich nehmen kann. Doch sie schenkt mir nur ein kleines Lächeln.

„Behalte es... ich glaube du brauchst es dringender, als ich“. Ich weiß zwar nicht, ob das positiv oder negativ gemeint ist, aber ich bin ihr trotzdem dankbar, dass ich es behalten darf. Wer weiß, wozu es mir verhilft.

„Warum... hast du dich nie gemeldet, nach dem Unfall?“, frage ich ehrlich gesagt etwas zögerlich, nachdem ich das Bild auf den Tisch gelegt habe und sie mit einem neugierigen Blick anschaue.

„Bei dem Unfall... ist einiges schief gegangen. Und ich... ich habe...“, ihr bleiben die Worte im Halse stecken und ich sehe, wie ihr erneut eine Träne die Wange hinunter läuft. Ihr entweicht die Farbe aus dem Gesicht und als ich meine Hand leicht auf ihre lege, ist diese eiskalt. Mir wird es ganz mulmig und ich fürchte mich davor, was sie mir gleich sagen wird – wenn sie es überhaupt sagen wird. Doch sie beendet ihren Satz nicht. Sie schließt ihre Augen, presst ihre Lippen leicht zusammen. Dann steht sie einfach auf und geht aus dem Wohnzimmer, die Treppen hinauf in ihr Zimmer.
 

Ich bin etwas überfordert, weiß nicht genau, was ich machen soll. Soll ich ihr nach? Oder sie lieber in Ruhe lassen? Auf der einen Seite würde ich sie einfach nur liebend gern in den Arm nehmen, um sie zu trösten. Aber auf der anderen Seite, denke ich, dass sie einfach nur Zeit für sich braucht.

Doch mein Egoismus ist stärker, vielleicht ist es dieses mal auch reine Fürsorge. Nachdem ich ein paar Sekunden vollkommen regungslos da saß, entscheide ich mich doch dafür, ihr nachzugehen. Ich weiß immer noch nicht, ob es die richtige Entscheidung ist, aber ich habe das Gefühl, jetzt für sie da sein zu müssen.

Aber als ich zu ihrem Zimmer trete steht sie da. Einfach nur da. Bewegungslos und vollkommen steif vor dem Spiegel. Sie starrt ihr Spiegelbild an, so als ob sie sich zum aller ersten mal sehen würde. Nur in ihrem langen Oberteil, ohne Hose, was ihr nicht ganz bis zum Knie reicht, ober dennoch lang genug ist, um alles wichtige zu verdecken.

Ich erkenne, wie ihre Schultern leicht beben. Immer wieder ist ein kleines Schluchzen und Schniefen wahrzunehmen, was mir sofort das Herz zusammenziehen lässt.

Doch so gern ich diesen Anblick auch genießen würde, bleibt mir beinahe das Herz stehen und ich merke, wie mir auf einmal ganz anders wird. Ohne mich selbst im Spiegel sehen zu müssen, weiß ich, dass mein Gesicht aschfahl und mir jede Selbstsicherheit aus dem Körper entwichen ist. Denn es gibt eine ganz bestimmte Stelle, von der ich meinen Blick nicht mehr abwenden kann. Genau. Von ihrem Bein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Sanda-San
2017-07-21T10:55:03+00:00 21.07.2017 12:55
Puh nun habe ich bis hier hin gelesen...
Traurig das die Eltern Tod sind von Deamon. *seufz*
Nett ist aber das Andrew wieder zurück von der Stadt...er war ja für einen Zeitraum verschwunden.
Tja, wann wird sich Mel wieder Erinnern?**
LG Sanda:)
Antwort von:  FanFicFreak98
21.07.2017 14:54
Mel hat ihre Erinnerungen nicht verloren, sondern Daemon :3
LG FanFicFreak98
Antwort von:  Sanda-San
21.07.2017 19:05
Ja, bisschen verwirt mit den Namen...sorry!"**


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