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This Great And Little Gift

[NaLu | Lucy vs. Jude]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, bevor ich jetzt weggehe, noch schnell das Kapitel. :)

Enjoy. Komplett anzeigen

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8. Kapitel, in dem es knallt

„…und Erza hat den Kerl nur angegrinst. Dann ging es los und der Kampf hat keine Minute gedauert, ehe sie ihm den Garaus gemacht hat. Der hat hinterher ganz schön blöd aus der Wäsche geglotzt…“ Natsus Stimme lullte sie in einen dösigen Dämmerzustand und ihre Gedanken waren träge und dumpf.
 

Die sommerliche Hitze lag jetzt Ende Juli unerträglich schwer über Magnolia und die Sonne knallte mit voller Wucht vom wolkenlosen, strahlend blauen Himmel hinunter. Die Luft war stickig und es regte sich kein Lüftchen, so dass man schon in Schweißausbrüche verfiel, wenn man einfach nur im Schatten saß und nichts tat.
 

Lucy hatte den Kopf auf der Hand abgelegt, die sie mit dem Ellbogen auf der Tischplatte abgestützt hielt und lächelte ihn an. Seine Hände wedelten weit ausgreifend in der Luft herum und sie war froh, dass sie sich einen Platz abseits von den anderen besetzten Tischen ausgesucht hatten, ansonsten würde er auf diese Art vermutlich jemandem die Nase brechen.
 

„… Gray hat den Kampf natürlich gewonnen. Der Kerl mag vielleicht ein Idiot sein und kann mir niemals das Wasser reichen, aber…“
 

Das Eis, das er vor sich stehen hatte, zerfloss derweil zu einer Soße, während Lucy an ihrer Eisschokolade nippte. Ihr Freund erzählte ihr gerade von dem Kampfturnier, das er, Gray und Erza am letzten Freitag bestritten und mit ihrer Gruppe natürlich gewonnen hatten. Vermutlich gab es kein Turnier, dass sie verloren hatten, seit Erza ihrem Verein beigetreten war.
 

Sie bedauerte es sehr, nicht dabei gewesen zu sein, wie sie es eigentlich stets versuchte, auch wenn sie sich nicht sonderlich für den Sport interessierte. Doch Jude hatte sie unbedingt auf ein Geschäftsessen mitnehmen wollen, von dem sie sich nicht hatte loseisen können. Er hatte etwas von einer ‚wertvollen Erfahrung für die Zukunft‘ gesprochen und davon, dass sie nicht die einzige war, die aus diesem Grund dabei sein würde.
 

Das hatte sie rasch gemerkt, als der Geschäftspartner seinen hoffnungsvollen Sohn vorgestellt hatte – ein junger Wirtschaftsstudent, nur drei Jahre älter als sie, mit einem blassen Gesicht und etwas zu viel Appetit. Sie hatte ihrem Vater einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen und den Sohn freundlich-distanziert behandelt, so dass jede Hoffnung auf ein weiteres Treffen, unter welchem Vorwand auch immer, im Keim erstickt wurde.
 

Das war nicht das erste Mal, dass Jude so etwas versucht hatte, doch die Typen, die er ihr vorstellte, ließen zu wünschen übrig, vor allem, wenn sie sie mit Natsu vergleich. Außerdem hatte sie jetzt echt keine Lust auf solche Komplikationen und sowieso etwas ganz anderes im Kopf!
 

Ein Baby zum Beispiel, das ihr mehr und mehr ans Herz wuchs, obwohl es noch nicht einmal so groß war wie ein Apfel. Ein Baby, das sie zur Adoption freigeben wollte, damit sich alle damit verbundenen Komplikationen in Luft auflösten – zumindest fast alle. Ein Baby, das ihr gesamtes Leben durcheinanderbrachte und sie in solche Dilemmas warf.
 

Ein Baby, von dem sie weniger und weniger dachte, dass es anderswo besser aufgehoben war als bei den eigenen Eltern.
 

„… hab den Kerl ziemlich schnell auf die Matte geschickt. Er war ganz gut, aber das reicht nun mal nicht…“
 

Gewaltsam riss sie sich wieder in die Gegenwart zurück und konzentrierte sich wieder auf ihren Freund. Seine Augen funkelten lebendig und schienen Funken zu sprühen, so begeistert war er von den Ereignissen, über die er berichtete. Mit den Händen machte er Bewegungen und Kampfabläufe nach und einmal war er sogar aufgesprungen, um seinen Punkt klar zu verdeutlichen.
 

„… und dann habe ich so zugeschlagen, siehst du, und danach…“
 

Dabei drohte ein breites Grinsen sein Gesicht in zwei Hälften zu teilen und sie fragte sich, ob ihm die Wangen nicht schon schmerzten. Er war so niedlich, wenn er sich für etwas begeisterte. Am liebsten wollte sie ihn in die Arme nehmen und abküssen, wenn er sich so verhielt. Auf ihr Gesicht schlich sich jedes Mal ein Lächeln, mal mehr, mal weniger auffällig, wenn sie ihm zusah, wie er sich immer mehr in seine Begeisterung hineinsteigerte.
 

Erza nannte es ihr Ich in so verliebt, dass ich hirntot bin-Lächeln und auch wenn Lucy jedes Mal heftig dagegen protestierte, musste sie ihrer Freundin insgeheim doch zustimmen. Natsu machte sie manchmal ein wenig blöd.
 

Lucy konnte sich schon jetzt vorstellen, was für ein guter Vater er sein würde. Begeistert, liebevoll, sanft, immer für sein Kind da, niemals unfair, beschützend, stark, unterstützend, etwas verrückt…
 

„… er hatte vier Beine und fünf Arme und seine Haut war grün. Als ich ihm gegenübergetreten bin, sagte er…“
 

Dieser plötzliche Gedanke schockte sie in die Gegenwart zurück und unwillkürlich setzte sie sich gerader auf und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf Natsu. Es war nicht so, dass sie ihm nicht zuhören wollte. Doch sie konnte sich einfach nicht konzentrieren, ihre Gedanken rutschten immer wieder ins Leere ab und durchliefen seltsame Kurven. Also beschränkte sie sich darauf, ihn anzusehen, verliebt zu lächeln und an den richtigen Stellen zu nicken.
 

„…war ganz schön kompliziert, gegen all diese Arme anzukommen, wo ich selbst ja nur zwei habe…“
 

Sie hatte es immer noch nicht geschafft, vernünftig mit ihm über das Baby und die Zukunft zu sprechen. Sie hatte es nicht einmal hingekriegt, ihm die Ultraschallbilder zu zeigen, die er doch ein Recht hatte zu sehen und die er auch sicher sehen wollte. Doch jedes Mal hatte sie wieder den Schwanz eingezogen, dabei sah sie ihn jeden Tag und der Termin bei Grandine lag schon fast eine Woche zurück. Die Bilder, die sie in ihrer Handtasche mit herumschleppte, schienen ihr ein Loch in die Tasche zu brennen.
 

Immer wieder dachte sie an diesen Moment zurück, an dem sie ihr Baby, dieses kleine Würmchen in ihrem Bauch, zum ersten Mal gesehen hatte. Die überwältigenden Gefühle, die sie überkommen hatten und ihr noch immer die Tränen in die Augen trieben, wenn sie zu lange daran dachte oder selbst die Ultraschallbilder herauszog.
 

Ihr Entschluss, eine Adoption durchzuziehen, geriet dadurch doch gehörig ins Wanken. Aber wie sollte sie jemals eine logische, vernünftige Entscheidung treffen, wenn sowas sie immer durcheinander brachte und ihr einen Knüppel zwischen die Beine warf?!
 

„…und dann sagte das Alien, dass ich der beste Kämpfer im Universum bin und sie haben mich glatt zum König ernannt.“
 

„Klingt gut.“
 

„Ich weiß! Ich meine, ich komme jetzt echt weit herum und kann total verschiedene Aliens bekämpfen! Leider muss ich Earthland verlassen und kann dich darum nicht mehr so oft sehen. Aber ich bemühe mich, dich und unser Kind so oft zu besuchen wie möglich.“
 

„Hört sich toll a… Was, warte!“ Entsetzt riss sie die Augen auf. Natsu würde weggehen?! Wohin denn?!
 

Doch er grinste sie nur frech an. „Hörst du mir jetzt wieder zu? Ich habe dir in den zehn Minuten erzählt, wie ich die Krieger vom Planeten Arcia nacheinander besiegt habe.“
 

„Ich… oh…“ Sie lächelte entschuldigend und rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Es ist nur so heiß…“, versuchte sie sich herauszureden. „Und ich hab letzte Nacht schlecht geschlafen.“ Das zumindest war keine Lüge. Obwohl sie tagsüber weiterhin müde war und sich angewöhnt hatte, mittags ein kleines Schläfchen zu halten, wachte sie nachts immer wieder auf und hatte Probleme beim Einschlafen. Vielleicht hing das zusammen, aber da sie Ferien hatte, versuchte sie so gut, die Schläfrigkeit ging zu ignorieren.
 

Aber Natsu war natürlich sofort besorgt. „Geht es dir gut? Isst du genug?“
 

Sie hätte beinahe gelacht; natürlich dachte er sofort ans Essen. „Jaja.“, beruhigte sie ihn. „Das ist ganz normal, dass lässt irgendwann von alleine wieder nach. Hoffentlich, bevor die Schule wieder anfängt.“ Dann konnte sie sowas echt nicht mehr gebrauchen.
 

„War ja klar, dass du dir ausgerechnet darum Sogen machst.“, neckte er sie und stand auf, um sich auf die Bank neben sie zu setzen und sie in die Arme zu ziehen. Er küsste sie erst auf die Schläfe, dann auf die Nase und schließlich auf den Mund und Lucy schloss die Augen und genoss die Zuneigungsbekundungen einfach. Sie ließ die Finger durch seine weichen Haare gleiten und fühlte sich sicher und geborgen in seinen Armen. Auch wenn es etwas heiß war.
 

Er war schon immer süß gewesen, ohne sich dafür anstrengen zu müssen. Etwas gedankenlos und sehr unromantisch und manchmal etwas begriffsstutzig, aber niemals unaufmerksam ihr gegenüber. Außerdem hatte er keine Probleme damit, Zärtlichkeiten auch in der Öffentlichkeit zu zeigen und sie hatte jemanden wie ihn gar nicht verdient.
 

Sie presste ihm noch einen kurzen Kuss auf die Lippen und schob ihn dann von sich. Verwirrt ließ er sich gegen die Lehne zurücksinken, aber sie schenkte ihm nur ein beruhigendes Lächeln. „Ich habe noch etwas für dich.“, erklärte sie ihm und angelte nach ihrer Handtasche, die neben der Bank auf dem Boden stand.
 

Sofort breitete sich wieder ein Grinsen über sein Gesicht aus. „Was denn?“
 

Sie zog den einfachen Briefumschlag hervor, in dem sie die Bilder untergebracht hatte. Dies war der beste Augenblick, den sie sich dafür erhoffen konnte, und wenn sie es jetzt nicht tat, konnte sie sie gleich wegwerfen. „Ich hab den richtigen Moment gesucht.“, erklärte sie, auch wenn das nur die halbe Wahrheit war. „Letzte Woche war ich wieder bei Dr. Marvell.“
 

Noch immer wirkte er verwirrt, nahm den Umschlag aber entgegen und öffnete ihn erwartungsvoll. Er warf ihr einen verwirrten Blick zu, während er die Papiere herauszog; offenbar hatte er keine Ahnung, worum es sich dabei handelte. Gespannt faltete er sie auseinander und sie konnte den Moment, an dem er begriff, was das war, genau sehen.
 

Sein Gesicht wechselte von dem verwirrt-erwartungsvollen Ausdruck zu etwas Anderem, etwas … so liebevollen, sehnsüchtigen, hoffnungsvollem, das sich ihr Herz in ihrer Brust zusammenzog. Plötzlich hatte sie einen schweren Stein im Magen, ein ungutes Gefühl, das mit jeder Sekunde, die sie ihn beobachtete, zunahm.
 

Über Natsus Gesicht breitete sich jetzt ein Lächeln aus, nicht das übermütige Grinsen, das er so freizügig verschenkte, sondern diese Geste, die sonst nur für sie selbst und ganz besondere Momente vorbehalten war, zärtlich, sanft und voller Liebe. Seine Augen schienen zu strahlen und waren das etwa Tränen, die er wegblinzelte? Der Knoten in ihrem Magen vergrößerte sich und sie versuchte, ihn zu ignorieren und nicht daran zu denken, was er bedeutete.
 

„Ist das…?“, begann er, aber er schien den Satz nicht vollständig aussprechen zu wollen.
 

Sie rang sich ein Lächeln ab, das erstaunlich einfach zu ihr kam, und nickte. „Ja.“, sagte sie und spielte nervös mit dem Saum ihres Tops. „Tut mir leid, ich hab ein wenig lange gewa-“
 

Ungestüm zog er sie erneut in die Arme und presste er ihr die Lippen auf den Mund. Er küsste sie mit aller Macht und einer solchen Intensität und Innigkeit, dass ihr angst und bange wurde. Sie erwiderte die Geste, doch sie kam sich mit einem Mal unzulänglich vor, als könnte sie mit ihm und seinen Gefühlen nicht mehr mithalten.
 

Mit einem leisen Seufzen schloss sie die Arme um seinen Nacken und versuchte, den Kuss mit der gleichen Stärke zu erwidern, doch sie fürchtete, dass sie ihm nicht gerecht wurde. Hinter ihrem Rücken konnte sie das Papier knistern hören und sie hoffte sie würden in diesem Anfall von Begeisterung nicht zu sehr zerknittert werden.
 

Sie wusste nicht, wie lang sie sich küssten, doch als sie sich endlich wieder voneinander trennten, war ihre Schokolade lauwarm und in Natsus Eisschale befand sich nur noch eine völlig zerschmolzene Suppe. Doch er schien das nicht einmal zu bemerken, denn sein Blick kehrte immer wieder zu den Bildern zurück und hafteten daran, während ein Lächeln seine Lippen umspielte.
 

Nein, heute konnte und wollte sie nicht mit ihm dieses ernste Gespräch über die Zukunft führen. Selbst wenn sie sich bereits entschieden hätte, selbst dann würde sie es verschieben. Natsu würde heute zu nichts mehr zu gebrauchen sein und sie wollte ihm die Freude nicht verderben.
 

Stattdessen kam ihr eine wichtige Erkenntnis und sie fragte sich, ob es das für sie selbst einfacher machen würde. Denn vielleicht war das keine Entscheidung, die man Vernunft und Logik überlassen konnte. Vielleicht ging es hier um reine Emotionen.
 

Und die steuerten sie im Moment in eine ganz bestimmte Richtung.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

„Natsuuuuu.“, jammerte sie in ihr Handy, kaum dass er abgenommen hatte. „Bring mir Eis.“
 

„Was?“ Seine Stimme klang verschlafen, was daran liegen mochte, dass sie ihn geweckt hatte. Es war mitten in der Nacht, drei Uhr vierundzwanzig, wie ihr Funkwecker ihr mitteilte. Vor ihren Fenstern herrschte stockdunkle Finsternis, nur durchbrochen von den fernen Sternen und dem Mond. Sie konnte das Sternbild des Löwen von ihrem Bett aus erkennen.
 

„Ich will Eis.“, wiederholte sie klagend und tief theatralisch. „Schokolade und Erdbeere.“
 

„Lucy…“, begann Natsu und dann konnte sie ihn gähnen hören. Im Hintergrund konnte sie Stoff rascheln hören. „Aber es ist schon so spät!“
 

„Es ist deine Schuld, dass ich jetzt Eis will.“, versicherte sie ihm überzeugt. So ganz fehlerfrei war diese Logik natürlich nicht, aber das interessierte sie jetzt nicht. Sie wollte, dass er kam und mit ihr kuschelte und ihr Eis brachte.
 

„Und bei euch im Haus gibt es keines?“ Er klang jetzt viel wacher.
 

„Nein. Vielleicht.“, schmollte sie. „Ich weiß aber nicht, wo. Bring mir welches?“
 

„Aber…“ Er unterbrach sich. „Also gut. Bin gleich da. Bis dann.“ Damit legt er auf.
 

Verdutzt starrte sie auf ihr Smartphone, das ihr mitteilte, dass das Gespräch beendet war. Sie hatte gedacht, er würde sehr viel länger protestieren. Aber sie wollte nicht darüber jammern, dass etwas nach ihrem Willen ging, darum legte sie ihr Handy auf den Nachttisch und rollte sich auf den Rücken. Sie rutschte ein wenig herum, bis sie eine bequeme Position gefunden hatte und starrte nach oben an die Decke.
 

Viel konnte sie nicht erkennen, da sie kein Licht angemacht hatte. Nur das sanfte, aber klare Licht des Vollmondes erhellte den Raum. Sie fühlte sich gut, ruhig und zufrieden. Zwar hatte sie gelernt, den Heißhunger auf seltsame Sachen in geordnete Bahnen zu lenken, doch weg war er deswegen nicht.
 

Als Resultat davon nahm sie zu, sehr zu ihrem Verdruss. Es war nicht viel, aber sie bemerkte es, wenn sie auf ihre Waage stieg. Natürlich war ihr klar, dass das nicht nur auf ihre Essgewohnheiten zurückzuführen war, aber trotzdem störte es sie. Sie versuchte, die Gewichtszunahmen, die in den nächsten Monaten eh nur noch größer werden würde, zu verdrängen und wog sich einfach nicht mehr. Sie war immer stolz auf ihre schlanke Figur gewesen. Aber das schien ihr im Moment nur ein kleines Opfer zu sein.
 

Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie an den wahren Grund dachte, warum sie zunahm. Das zu große Shirt, das sie für die Nacht trug, war bei ihren Verdrehungen hochgerutscht, so dass sie ihre Hände einfach auf den nackten Bauch legen konnte. Man konnte schon etwas sehen, wenn auch nicht viel. Eigentlich war es kaum bemerkbar und vermutlich glaube jeder, der es doch tat, dass sie in letzter Zeit einfach zu viel aß.
 

Immerhin war sie schon in der zwölften Woche und damit schon fast am Ende des ersten Trimesters. Im Internet hatte sie gelesen, dass das in Ordnung war und auch wenn bei vielen Frauen vor allem in der ersten Schwangerschaft erst später etwas bemerkbar war, war es doch nicht ungewöhnlich. Glücklicherweise konnte sie die kleine Wölbung noch leicht unter ihrer Kleidung verbergen.
 

Aber sie war da und das machte alles sehr real, realer noch als vorher. Es machte sie glücklich auf eine Art, die sie vorher noch nicht gekannt hatte. Und es machte ihr unendliche Angst. Was, wenn doch noch etwas schieflief? Was, wenn sie es nicht hinbekamen? Was, wenn sie einfach zu jung waren, um gute Eltern zu sein? Was, wenn Igneel es auch nicht gut aufnehmen würde, so wie Jude? Was, wenn sie nachher auf der Straße stand, nur mit dem Baby? Was, wenn das Geld fehlte? Was würde ihr Vater tun, wenn sie ihm davon erzählte?
 

Und warum tat ihr Hirn gerade so, als hätte sie sich bereits dafür entschieden, das Baby zu behalten?
 

Aber in Momenten wie diesen war es leicht, diese negativen Gedanken beiseite zu schieben und sich nur auf das Gute zu konzentrieren. Sie würden die Probleme schon irgendwie überwinden. Das war das, was sie immer taten. In solchen Momenten konnte sie sich einfach nur freuen und so tun, als würden keine Probleme auf sie zukommen, keine schweren Entscheidungen und kein Krach mit ihrem Vater.
 

Ihr Handy pfiff und riss sie aus den Gedanken. Ich bin gleich da, lässt du mich rein?, sagte der Text, den Natsu ihr geschickt hatte. Lucy legte das Gerät wieder ab und kletterte aus dem Bett um in den Wintergarten hinüber zu huschen. Die Terrasse hatte eine Treppe, die in den Garten hinunterführte, was ihr schon mehr als einmal zu Gute gekommen war.
 

Jetzt zog sie den Riegel zurück, der die Glastür geschlossen hielt, und trat hinaus. Ihre Augen brauchten eine Weile, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, doch trotz des hellen Mondlichtes konnte sie im Garten kaum etwas erkennen, da er tief im Schatten lag.
 

Darum bemerkte sie Natsu auch erst, als er die Treppe heraufkam. Er grinste ihr entgegen, in T-Shirt und Shorts gekleidet, mit einer Tüte vom 24-Stunden-Supermarkt unter den Arm. „Hey.“, begrüßte er sie zärtlich und nahm sie in die Arme.
 

Lucy erwiderte den Kuss. „Tut mir leid, dass ich dich mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt habe.“, sagte sie schuldbewusst, während sie hineingingen. Oder zumindest versuchte sie, diese Empfindung in ihre Stimme zu legen.
 

„Nein, tut es dir nicht.“, widersprach Natsu, aber sein breites Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht, also war er ihr wohl kaum böse. „Ich habe dir dein Eis mitgebracht, wie gewünscht.“ Triumphierend zeigte er seine Tüte vor und Lucy jauchzte erfreut auf.
 

Sie holten sich Löffel aus ihrer kleinen Küche und gingen dann ins Schlafzimmer hinüber, wo Lucy sofort wieder unter ihre dünne Decke kroch. Es war zwar nicht kalt, aber außer dem T-Shirt und einem Höschen trug sie nichts und die Gemütlichkeit des Bettes war nicht zu überbieten.
 

Natsu entledigte sich seiner Schuhe und seiner Hose, so dass er nur in Boxershorts und Shirt auf das Bett kletterte. Er setzte sich im Schneidersitz vor sie auf das Laken und öffnete die Tüte. „Wie gewünscht“, begann er und holte mit großer Geste die erste Packung hervor. „Schokolade und Erdbeere.“
 

Lucy warf die Arme um seinen Hals und drückte ihm einen heftigen Kuss auf die Wange. „Du bist der Beste!“, erklärte sie im Brustton der Überzeugung und riss ihm beinahe einen der Kartons in der Hand, um ihn ungeduldig aufzureißen.
 

„Du hast es aber eilig.“, lachte Natsu, während er ihrem Beispiel folgte und die andere Packung öffnete. Lucy schnappte sich einen Löffel und griff zu. Das Eis sah aber auch zu köstlich aus mit den Schokosplittern oben drauf. Es war so cremig, dass es auf der Zunge geradezu zerging, und Lucy stöhnte genießerisch auf.
 

Nach ein paar Löffeln streckte sie die Hände aus. „Gib mir von dem anderen.“, verlangte sie und Natsu reichte ihr beinahe hastig die Packung, damit sie auch dabei zulangen konnte. Eine Weile genossen sie ihr Eis und die Zweisamkeit, während Natsu über seinen Tag in der Werkstatt erzählte und sie mit einigen Anekdoten über Spetto und Aed aufwarten konnte, die heute einige seltsame Aktionen veranstaltet hatten, bei denen es angeblich darum gegangen war die Küche gründlich zu säubern.
 

Manchmal beneidete sie ihn darum, dass er bereits genau wusste, was er mit seinem Leben tun würde – und das schon, bevor dieses andere kleine Problem dazugekommen war. Seit er klein war und gerade mal ein Radkreuz tragen konnte, hatte er festgelegt, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Er hatte schon damals Begeisterung für diese Arbeit aufgebracht und sie hatte nicht nachgelassen. Im Gegenteil, je mehr er sich hineinvertiefte, desto größer wurde seine Leidenschaft.
 

Seit er fünfzehn war, half er ganz offiziell aus, inzwischen wusste er beinahe genug, um die praktische Prüfung zum Kfz-Mechaniker ohne große Vorbereitung zu bestehen. (Mit der theoretischen sah das natürlich anders aus.) Auch dieses Jahr in den Sommerferien war er meist in der Werkstatt zu finden, wenn man ihn suchte und er nicht bei seinen Freunden oder beim Training zu finden war. Dort verdiente er sich etwas Geld dazu oder bastelte an einem der Oldtimer-Projekte, wie er die Restaurationen alter Autos nannte.
 

Lucy hörte ihm aufmerksam zu, auch wenn sie nur die Hälfte von dem, was er ihr erzählte, verstand, da all diese Fachsimpeleien über ihr Wissen gingen. Außerdem genoss sie seine Nähe, die nächtliche Ruhe, das friedliche Gefühl und die innere Ausgeglichenheit und Zufriedenheit, die sie seit ein paar Tagen gepackt hatte. Dann erinnerte sie sich an etwas, auf das Grandine sie hingewiesen hatte.
 

„Hey.“, fiel sie Natsu ins Wort, der sich nicht davon stören ließ, sondern einfach verstummte. „Meine zweite Ultraschalluntersuchung steht bald an. Wollen wir das Geschlecht des Kindes wissen?“ Dabei strich sie sich leicht mit der Hand über den Bauch.
 

Natsu, der sich lang auf dem Bett ausgestreckt hatte, blickte zu ihr hoch. Dann wanderte sein Blick zu ihrer Leibesmitte hinunter und blieb auf der sanften Wölbung hängen, auf der ihre Hand lag. Sie konnte den Ausdruck, der auf seinem Gesicht lag, nicht genau deuten – liebevoll, zärtlich, sehnsüchtig? Erneut zog sich der Knoten in ihrem Magen zusammen, den sie jedes Mal spürte, wenn sie mit ihm über das Baby sprach.
 

Er öffnete den Mund und holte tief Luft und die nächsten Worte waren offensichtlich gut überlegt: „Willst du es denn?“
 

Lucy zog sich eine der Eispackungen heran und schob sich einen besonders vollen Löffel in den Mund, um nicht sofort antworten zu müssen. Sie war berührt von seiner Rücksichtnahme ihr gegenüber, aber sie hatte sich noch keine Gedanken über dieses Thema gemacht und warum hatte sie es überhaupt angesprochen?
 

Die drängendere Frage war doch wirklich, ob sie das Kind überhaupt behalten wollten.
 

Würde es nicht viel schwieriger sein, es wegzugeben, wenn sie wussten, ob es in Junge oder ein Mädchen war? Oder würden sie es nicht ertragen zu wissen, dass dort ein Kind von ihnen herumlief, ohne es zu kennen, ohne zu wissen, ob sie eine Tochter oder einen Sohn hatten? Außerdem… außerdem war sie schlichtweg neugierig. Sie wollte es wissen.
 

„Ich will es wissen.“, erklärte sie darum bestimmt.
 

Natsu strahlte sie an. „Ich auch. Ich bin … ziemlich aufgeregt.“ Er fuhr sich durch die Haare und sah genauso ruhelos aus, wie er sagte. Doch er sah auch glücklich aus, stolz und erwartungsvoll und plötzlich hatte sie keinen Hunger mehr. Sie legte den Löffel weg und suchte angestrengt nach einem anderen Thema.
 

„Hier, schau.“ Sie zog ihr Shirt hoch. „Man kann schon ein kleines bisschen sehen.“
 

Er starrte erst sie an, dann ihren Bauch und die kleine Wölbung. Auf seinem Gesicht breitete sich ein solch offensichtlicher Ausdruck von bezaubertem Staunen und Verwunderung aus, dass sich ihr Herz schmerzhaft zusammenzog. Als er sich aufrichtete und vor sie kauerte und dann einen vorsichtigen, schmetterlingszarten Kuss auf ihren gerundeten Bauch drückte, stiegen ihr beinahe die Tränen in die Augen.
 

Ganz unabhängig von ihr, würde Natsu es ertragen, das Baby wegzugeben?
 

Wenn sie ihn sich jetzt so ansah und wie er sie – nein, nicht sie, das Baby und sie – behandelte, als würden sie zerbrechen, wenn er zu grob wurde, dann glaubte sie das nicht. Natsu würde es niemals ertragen, sich von dem Kind zu trennen, das er bereits jetzt mit einer solchen Intensität liebte und da, endlich hatte sie den Gedanken in Worte gefasst, der sie schon bedrängte, seit sie ihm die Ultraschallbilder gezeigt hatte.
 

Aber konnten sie beide das wirklich hinkriegen? Natsu war nicht gerade der verantwortungsbewussteste Typ auf dem Planeten… Und sie selbst… Wäre ein Kind in einer anderen Familie nicht besser aufgehoben? Aber wie sollte sie ihrem Freund das erklären? Plötzlich fühlte sie sich unendlich müde und wie konnte sie dieses Problem je lösen? Sie wollte sich jetzt keine Gedanken um dieses Thema machen.
 

„Lass uns schlafen gehen, ja?“ Sie stand auf, um das bereits halb geschmolzene Eis in das Kühlfach zu stellen. Natsu saß auf der Bett kannte, als sie zurückkam, seine Hose bereits in der Hand, als erwartete er, dass sie ihn wieder wegschickte. Aber das würde sie jetzt nicht übers Herz bringen, nicht um seinetwillen und nicht für sie.
 

Er kroch bereitwillig unter die Decke, als sie einladend neben sich auf die Matratze klopfte. „Wir müssen nur schauen, wie wir dich morgen rausschmuggeln, ohne dass mein Vater davon erfährt.“, murmelte sie schläfrig, als er sie an sich zog.
 

„Das kriegen wir schon hin.“, lenkte er ab. „Notfalls versteck ich mich unter dem Bett.“
 

Lucy grinste müde und kuschelte sich noch enger an ihn. Seine Brust presste sich beruhigend an ihren Rücken und seine Hand lag beschützend auf ihrem Bauch und diese Geste brach ihr fast das Herz.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

„Lucy!“ Judes laute Stimme riss sie rüde aus ihren Träumen. Schlaftrunken setzte sie sich auf und blickte sich verwirrt um. Natsu lag neben ihr und schlief noch, auch wenn er sehr unruhig wirkte und mürrisch die Stirn runzelte, weil jemand seinen Schlummer störte.
 

„Lucy!“ Schwere Schritte näherten sich der Tür. „Du wirst doch wohl um diese Zeit nicht mehr schlafen?“
 

Plötzliche Panik packte sie. Wenn ihr Vater sie und Natsu zusammen im Bett erwischen würde, selbst komplett bekleidet (naja, halb bekleidet), war es aus! Verzweifelt rüttelte sie die Schulter ihres Freundes, der davon aufwachte. Er wirkte für einen Moment völlig orientierungslos, doch als er sie erkannte, warf er ihr ein erfreutes Lächeln zu.
 

„Hey, Luce…“, nuschelte er, aber sie ließ ihm keine Zeit.
 

„Mein Vater ist hier!“, zischte sie und Natsu starrte sie verwirrt an, als wären ihre Worte nicht zu ihm durchgedrungen. „Steh auf! Beeil dich!“
 

Es klopfte an der Tür, laut und heftig. Sie warf einen Blick auf die Uhr – halb Zwölf. Kein Wunder, dass Jude bei ihr auf der Matte stand. Normalerweise war sie spätestens um neun auf und wollte er sie heute irgendwohin mitnehmen? Was hatte sie vergessen? Panik machte sich in ihr breit und sie fuhr sich fahrig durch die Haare.
 

„Wir wollten doch zum Stiftungsessen gehen.“, erklang Judes Stimme von draußen und ihr fiel siedend heiß ein, dass sie tatsächlich danach gefragt hatte, etwas mehr mit der Layla-Heartphilia-Stiftung zu tun zu haben. „Bist du angezogen?“
 

„I…ich bin gleich da!“, rief sie. „Ich muss wohl verschlafen haben!“ Sie kletterte aus dem Bett und schnappte sich ihren Morgenmantel von dem kleinen Hocker, auf den sie ihn letzte Nacht achtlos geworfen hatte. „Beeil dich!“, fauchte sie Natsu leise an, der langsam aus dem Bett rollte.
 

„Ich…“, begann er, aber er hatte keine Chance mehr, den Satz fertig zu sprechen, denn Jude rief von draußen. „Ich komme jetzt rein.“ und öffnete im selben Moment die Tür.
 

Lucy erstarrte mitten in der Bewegung, ihren Mantel zu schließen. „Nein! Du ka…“, begann sie gerade aufgebracht, aber weiter kam sie nicht, denn der Blick ihres Vaters fiel auf Natsu. Lucy konnte fühlen, wie die Stimmung umschwenkte und plötzlich schien es sehr viel frostiger im Raum zu sein.
 

Jude musterte den Pinkhaarigen mit eiskaltem Blick, dann wandte er sich zu seiner Tochter. In seinem Gesicht war deutlich zu lesen, was er von der Situation hielt – gar nichts. „Was soll das?!“, donnerte er. „Was hat der in deinem Schlafzimmer verloren?!“
 

„Meine Hose.“, antwortete Natsu frech und Jude lief rot an vor Zorn.
 

Lucy wurde blass. Schlimm genug, dass sie verschlafen und Jude sie erwischt hatte, aber jetzt wurde Natsu auch noch unverschämt. Am liebsten hätte sie letzteren angepflaumt, aber vielleicht sollte sie sich erst einmal mit dem dringenderen Problem beschäftigen. Ihr Vater wurde auch schon ungeduldig und sein Zorn schien mit jeder Sekunde mehr zu wachsen.
 

„Nun?“, verlangte er und sie hob begütigend die Hände.
 

„Er hat mir gestern Abend noch etwas vorbeigebracht.“, erklärte sie betont ruhig. Das war ja sogar die Wahrheit. „Und weil es schon so spät war, hab ich ihn gebeten zu bleiben. Wir haben nur geschlafen.“ Sie war froh, dass man den Kragen ihres Shirts unter dem Morgenmantel erkennen konnte und Natsu nur die Hose ausgezogen hatte.
 

„Und gekuschelt.“, fügte Natsu hinzu und Lucy hätte ihm am liebsten ein Kissen an den Kopf geworfen. Konnte er nicht einmal im Leben die Klappe halten?!
 

Auf Judes Stirn begann eine Ader zu pochen, aber seine Stimme blieb ruhig, als er sprach, ein eindeutiges Anzeichen dafür, wie zornig er tatsächlich war. „Ich habe dir gesagt, dass du dich nicht mehr mit diesem ... Jungen abgeben sollst.“, erklärte er beherrscht. „Und ich erwarte, dass du meinen Wünschen Folge leistest.“
 

Lucy öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Ton drang über ihre Lippen. Natsu war es, der die unangenehme Stille durchbrach, indem er nach seiner Hose angelte und hineinschlüpfte. Wenigstens einmal hatte er jetzt nichts zu sagen.
 

Jude wandte sich mit einem enttäuschten Herunterziehen seiner Lippen von ihr ab und bestimmte in die Richtung des Pinkhaarigen: „Du verschwindest jetzt von hier. Ich möchte dich hier nicht wiedersehen. Und von meiner Tochter hältst du dich auch fern.“
 

Der Angesprochene runzelte die Stirn und seine Augen funkelten zornig. „Das ist ja wohl Lucys Entscheidung. Und solange sie mir nicht sagt, dass ich Leine ziehen soll, werd‘ ich sie nicht einfach im Stich lassen.“ Das hätte Lucy auch niemals angenommen, aber hätte er das nicht trotzdem für sich behalten können?
 

Jude drehte sich prompt wieder zu ihr. „Nun? Sag es ihm.“
 

Sie starrte ihn an, wie er da so stand, das Gesicht beherrscht und in voller Erwartung, dass sie seiner Aufforderung Folge leistete. Natsu stand neben ihm, mit funkelnden Augen und wütend zusammengezogenen Augenbrauen. Er erwartete jetzt sicher, dass sie ihrem Vater erklärte, dass sie ihn niemals verlassen würde.
 

Aber Lucy konnte das beides nicht.
 

Sie konnte Natsu nicht aufgeben und sie konnte sich nicht direkt gegen Jude stellen. Das hatte sie noch nie getan und er war doch ihr Vater! Sie senkte den Kopf und kämpfte mit den Tränen. Warum stellten sie sie vor so eine Entscheidung?! Wie konnte sie einen von ihnen wählen?
 

„WA...!“, begann Jude lautstark, dann unterbrach er sich selbst und fuhr in gemäßigter Lautstärke, aber nicht weniger heftig fort: „Lucy! Was soll das? Wirst du wohl endlich einsehen, dass dieser Kerl nicht der Richtige für dich ist?! Du hast etwas Besseres verdient, als einen ... einen Automechaniker! Für dich steht die Welt offen und du wirst alle Möglichkeiten haben, wenn du es jetzt nur schaffst, dich von diesen Kindereien und wirren Teenagerphantasien zu befreien und dich nicht von deinen Hormonen leiten zu lassen! Du musst dich nicht mit Leuten wie ihm abgeben. Nimm endlich Vernunft an!“
 

„A...aber...“, stotterte Lucy, überrascht und wütend und etwas furchtsam. Was sollte sie nur tun? Natsu wegzuschicken stand außer Frage, aber sie konnte doch Jude nicht einfach so widersprechen!
 

„Lucy kann ja wohl ihre eigenen Entscheidungen treffen! Sie ist erwachsen!“, schnappte Natsu wütend, die Hände zu Fäusten geballt. Er schien zu vibrieren vor Zorn und seine dunklen Augen funkelten. „Und sie ist einer der vernünftigsten, klügsten Menschen, die ich kenne!“
 

„Das erstaunt mich nicht.“, höhne Jude schneidend. „Allzu viele werden es wohl kaum sein.“
 

Diesmal war es Natsu, der rot anlief. „Sie haben kein Recht, so über mich zu sprechen. Woher wollen Sie wissen, wer ich bin und wen ich kenne? Sie machen sich überhaupt nicht die Mühe, mich kennenzulernen, sondern erlauben sich, über mich zu urteilen, nur weil Sie reicher sind als wir anderen! Ficken Sie sich!“ Die rüde Geste, die er hinterher schickte, half nicht, aber sie machte die Sache auch nicht schlimmer.
 

Die Sache konnte nicht mehr schlimmer gemacht werden.
 

Jude blickte ihn unbeeindruckt an und wandte sich dann an Lucy, die ob Natsus Worten blass geworden war. „Oh ja, ich sehe, warum du seine Gegenwart genießt.“, bemerkte Jude trocken. „Welch gewählte Ausdrucksweise. Intellektuelle Gesellschaft wie wir sie uns wünschen. Bist du auch schon so tief gesunken?“
 

Natsu explodierte. „Sie haben auch kein Recht, so mit Lucy zu sprechen! Was wissen sie schon von uns? Von ihr? Sie kennen sie ja überhaupt nicht mehr! Sie sind so verbohrt in Ihre Firma und Ihren Ruf und Ihr Geld, dass Sie Ihre eigene Tochter vergess-“
 

Das Klatschen von Judes Hand auf Natsus Wange war so laut, dass Lucy erschrocken zusammenfuhr. Natsus Kopf wurde herumgerissen und seine wütende Tirade verstummte abrupt.
 

Fassungslos starrte er den älteren Mann an, während sein Finger nach seinem Gesicht tasteten, wo er ihn getroffen hatte. Es lief langsam rot an und Natsu schien nicht ganz zu begreifen, was eben geschehen war. Was auch immer er erwartet hatte, Tätlichkeiten waren es nicht, weswegen er nur den Mund öffnete, aber keinen Ton herausbrachte.
 

Jude starrte ihn unter zusammengezogenen Augenbrauen und bebenden Nasenflügeln an, die Hand noch zum Schlag erhoben. Er war offensichtlich ebenfalls erstaunt über seine Tat, aber nicht gewillt, sich davon aus der Bahn werfen zu lassen, auch wenn er eben absolut die Kontrolle verloren hatte. Noch nie hatte Lucy ihn in diesem Zustand gesehen.
 

„Nein.“, sagte er, die Stimme vorsichtig beherrscht. Er richtete sein Jackett und wandte sich mit kalter Stimme an seine Tochter: „Ich erwarte, dass er innerhalb einer Minute von hier verschwunden ist, sonst lasse ich ihn vom Sicherheitspersonal entfernen. Wir sprechen uns noch. Das Essen ist damit abgesagt.“
 

Dann drehte er sich um und stolzierte aus dem Zimmer, ohne ihr Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. Die beiden Jugendlichen blickten ihm nach, Natsu noch immer vor Wut bebend, Lucy betreten und ängstlich und sehr, sehr zornig. Doch worüber, konnte sie nicht sagen – Jude, weil er Natsu geschlagen hatte? Oder Natsu, weil er Jude so provoziert hatte?
 

„Du gehst jetzt besser.“, sagte sie, ehe ihr Freund den Mund öffnen konnte, und dann senkte die Stimme, damit wirklich nur er sie verstand. „Ich treffe dich gleich am üblichen Ort.“
 

Natsu verzog unwillig das Gesicht, antwortete aber nichts, sondern folgte ihrer Aufforderung. Mit heftigen Schritten verließ er ihr Schlafzimmer und sie hatte das Gefühl, dass er nicht nur auf Jude zornig war.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

Natsu schickte ihr eine Nachricht, dass er im Mustang auf sie wartete, also blieb sie im Zimmer, bis das Hausmädchen ihr Frühstück gebracht hatte, und verschwand dann durch den Wintergarten nach draußen. Ohne Zweifel hatte Jude den Sicherheitsdienst bereits angewiesen, sie nicht hinauszulassen, also versuchte sie es gar nicht erst durch den Vorderausgang, sondern steuerte gleich die Stele der Mauer an, über die sie klettern konnte. Das war auch der Weg, den Natsu in der letzten Nacht genommen hatte – die Wachmänner hätten ihn kaum hereingelassen.
 

Jetzt schwang Lucy sich mit geübter Leichtigkeit auf die Bäume und auf der anderen Seite in dem kleinen Wäldchen wieder hinunter. Den roten Mustang konnte sie schon von weitem zwischen den Stämmen sehen und sie beschleunigte ihre Schritte.
 

Natsu lehnte mit vor der Brust überkreuzten Armen an der Kühlerhaube und blickte ihr entgegen. Sie fühlte, wie sich bei seinem Anblick ein erleichtertes Lächeln über ihr Gesicht ausbreitete und sie winkte ihm entgegen, während sie sich für die letzten Meter in leichten Trab versetzte.
 

Doch er erwiderte die Gesten nicht, also blieb sie verwirrt stehen, als sie ihn erreichte, ohne ihm um den Hals zu fallen. Seine Haltung hatte sich nicht gelockert, als sie ihn erreichte, und er wirkte unnahbar und abweisend und keines seiner üblichen erfreuten Begrüßungsgrinsen zierte sein Gesicht.
 

Die kurze Zeit, die sie gebraucht hatte, um den richtigen Augenblick abzupassen und hierher zu kommen, hatte gereicht, damit seine Wange deutlich rot wurde und bereit begann, anzuschwellen. Sie riss die Augen auf und streckte im Reflex die Hand danach aus. „Mein Gott, das sieht ja schlimm aus!“, rief sie aus, aber er drehte unwillig den Kopf weg.
 

„Was sollte das?“, wollte er wissen und seine Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn. „Du hättest ruhig auch etwas sagen können oder brauchst du erst eine schriftliche Einladung?“
 

Lucy wich zurück. „Was willst du damit sagen? Es ist doch klar, dass mein Vater so reagiert, wenn er uns zusammen im Bett findet!“ Normalerweise lenkte er ein, wenn es um Jude ging. Er wusste, dass Familien nicht immer einfach waren und Lucys Lage war kompliziert. Also ging er dem Heartphilia-Patriarchen so gut wie möglich aus dem Weg und vertraute ihr, wenn sie sagte, dass alles okay war.
 

Heute jedoch schien er nicht in Stimmung zu sein, die Sache auf sich beruhen zu lassen. „Und? Ist das ein Grund, ihm nicht zu sagen, wie die Lage aussieht? Warum hast du diesem Arsch nicht gesagt, wie das zwischen uns aussieht!? Ich habe nicht vor, dich einfach ohne Kampf gehen zu lassen. Vorher nicht und jetzt erst recht nicht!“
 

„Ich will dich ja auch nicht verlieren. Und solange ich noch mitbestimmen kann, werd ich das auch nicht tun!“ Das war ein Versprechen, dass sie ihm aus tiefstem Herzen geben konnte.
 

Doch Natsu blieb unerbittlich. „Weißt du, was ich befürchte? Dass er dich nicht mehr lange mitbestimmen lässt, sondern einfach entscheidet. Und was wirst du dann tun, hm? Nicken und Ja sagen wie immer und brav tun, was er von dir verlangt?“
 

„Ich tue nicht immer, was er will!“, fauchte sie zurück, langsam wurde sie selbst wütend. Was bildete er sich eigentlich ein?! Nur weil er keine Probleme mit Igneel hatte, bedeutete das nicht, dass andere genauso viel Glück hatten! „Und was soll ich bitte schön tun?! Er ist mein Vater! Ich kann ihm nicht sagen, dass er sich nicht in mein Leben einmischen darf!“
 

„Und warum zum Teufel nicht? Mein Vater schreibt mir auch nicht vor, mit wem ich abhängen oder ausgehen darf! Er wirft mir höchstens Kondome an den Kopf!“
 

„Wäre schön, wenn du dich an einem gewissen Tag daran erinnert hättest, dann säßen wir jetzt nicht in diesem Schlamassel! Was interessiert dich das überhaupt! Er ist mein Vater! Ich muss mit ihm zurechtkommen! Und das ist auch schon schwer genug, ohne dass du ihm sagst, dass er sich ficken soll oder ich ihm nichts bedeute!“
 

Für einen Moment starrte Natsu sie verständnislos an, als könnte er nicht begreifen, was sie eben gesagt hatte. „Lucy, er hat mich geschlagen!“, brüllte er. „Was denkst du, wie lange es noch dauert, bis er dich schlägt?“
 

Sie wich zurück. Zuerst wollte sie zurückschreien und alles abwehren, aber dann merkte sie, dass das keinen Zweck hatte. Natsu würde nicht von seinem Standpunkt abweichen, nicht, solange er so zornig war und nicht klar denken konnte.
 

Aber er hatte Unrecht. Ihr Vater würde niemals Hand an sie legen.
 

Also bemühte sie sich um einen möglichst ruhigen Tonfall, als sie antwortete: „Er wird mich nicht schlagen. Und es tut mir leid, dass er dir eine Ohrfeige gegeben hat, das hätte er nicht tun dürfen. Aber du hättest ihn auch nicht so provozieren dürfen!“
 

„Ach ja, also bin ich jetzt Schuld dafür, dass er sich nicht beherrschen kann?! Nein, Lucy, du darfst keine Entschuldigungen für ihn machen! Das hat er sich selbst zuzuschreiben!“
 

Sie presste die Lippen wütend aufeinander, um sich einen Moment zu verschaffen, in dem sie sich zusammenreißen konnte. „Ich mache keine Entschuldigungen für ihn. Er ist einfach nur besorgt um mich und versteht nicht, dass das unnötig ist.“
 

„Nein, er macht sich nur Sorgen um deinen Ruf! Oder besser, um seinen Ruf! Und was wird er wohl tun, wenn du ihm das sagen wirst?!“ Mit beiden Händen deutete Natsu auf ihren Bauch und sie legte reflexartig ihre Hand darüber. „Außerdem ist es seine Schuld, dass er keine Ahnung von mir hat! Oder uns. Oder dir! Merkst du nicht, dass du ihm als Mensch völlig egal bist und er dich nur als einen weiteren Teil seines Besitzes ansieht, über den er bestimmen kann, wie er will?! Den er benutzen kann, wie es ihm gerade passt?!“
 

Diesmal war es Lucy, die rot sah, und losschrie, ehe er mit seiner Tirade fortfahren konnte: „Natsu! Jetzt gehst du zu weit!“ Sie stieß ihn mit dem ausgestreckten Zeigefinger vor die Brust und gestikulierte wild. „Mein Vater ist vielleicht selber schuld, dass er dich nicht kennt, aber du kennst ihn auch nicht! Wie kannst du nur so etwas über ihn sagen?! Ich liebe meinen Vater und er liebt mich!“
 

Natsu war ihren heftigen Handbewegungen ausgewichen, in dem er einen Schritt zurückgewichen war. Jetzt warf er die eigenen Hände in die Luft und gab auf. „Fein!“, raunzte er. „Wenn du das so siehst, dann müssen wir gar nicht mehr darüber reden! Du kannst mich ja anrufen, wenn du zur Vernunft gekommen bist!“ Damit riss er etwas zu heftig die Autotür auf und stieg ein.
 

Fassungslos schaute Lucy ihm zu. So etwas hatte er noch nie getan! „Natsu, ich…“, begann sie, aber das Knallen der Autotür schnitt ihr das Wort ab. Noch ehe sie etwas tun konnte (was, hätte sie eh nicht gewusst, sie war nicht bereit, von ihrem Standpunkt abzuweichen), heulte der Motor auf und der Mustang machte einen Satz, so schnell beschleunigte er. Sie konnte dem davonrasenden Wagen nur noch nachschauen und ihr stiegen Tränen der Wut in die Augen.
 

„Schön!“, brüllte sie ihm hinterher, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt und vor Anspannung vibrierend. „Wenn du es so willst!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ups. Das lief wohl nicht so gut...

Sorry, dass das Kapitel so lang war, aber ich wollte das so ein einem hochladen und nicht irgendwo einen Bruch reinmachen.
Ich muss ehrlich sagen, ich bin sehr stolz auf dieses Kapitel. Eigentlich stammt der Konflikt, den ich in Geschichten einbauen, von äußeren Einflüssen. In diesem Fall geht das natürlich nicht, weil es hier um etwas anderes geht. Darum sind solche Streits nichts, mit was ich Übung habe, aber ich finde, sie sind mir ganz gut gelungen!
Trotzdem bin ich immer sehr dankbar über Hinweise und Meinungen!

Dann bis nächste Woche! :)
Gruß
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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Yosephia
2016-09-25T10:49:34+00:00 25.09.2016 12:49
Oh wow! Ich muss zugeben, dass mich dieses Kapitel überrascht hat!
Aber von Anfang an...

Die erste Szene war einfach extrem süß! Die "hirntote" Lucy ist echt süß und ich hatte das ganz deutlich vor Augen, wie die Beiden da sitzen und wie Natsu ganz begeistert vom Kampfturnier erzählt! Einfach Natsu, wie wir ihn kennen und lieben! *~*
Seine Methode, sie aus ihren Tagträumen zu reißen, fand ich echt super. Das war so goldig! Hat einfach toll zu Natsu gepasst *schmacht*
Und seine Reaktion auf die Ultraschallbilder... Hach, ich liiiiiiiiebe Natsu in diesem 'verse! Er ist so treuherzig und warmherzig und... einfach fantastisch! >//////////////<

Schön fand ich dabei auch - und auch in den folgenden Szenen -, dass Lucys innerer Konflikt bezüglich der Adoption sich fortsetzt und weiter entwickelt. Ihre Erkenntnis, dass das keine rein logische Entscheidung werden kann, war ein wichtiger Schritt, denke ich!

Der nächtliche Anruf war irgendwie niedlich und es war soooo toll, dass Natsu gar nicht so lange protestiert hat. Das sind so die kleinen, aber feinen Anzeichen dafür, dass er bereits versucht, Verantwortung zu übernehmen und Lucy zu unterstützen, wo es ihm eben möglich ist. Das ist auch sehr IC, denn wenn es darauf ankommt, kann Natsu sehr wohl feinfühlig sein. Insbesondere in Bezug auf Lucy. Da gab es im Manga durchaus übertragbare Situationen!

Was ich mir für dich sehr knifflig vorstellen kann, ist Lucys innerer Konflikt und ihre Entwicklung. Sowohl die körperliche als auch die hormonell/emotionale. Ihre ständigen Bedenken wegen der Adoption, ihre Hemmungen, mit Natsu darüber zu reden, ihre allmählich immer stärker anklingende Vorfreude auf das Kind, ihre Ängste... Sie schleppt da wirklich eine Menge mit sich herum und so sehr ich mir auch wünschen würde, sie würde mal Klartext sprechen, kann ich doch gleichzeitig voll und ganz verstehen, warum sie das nicht schafft. Sie steckt in einer grässlichen Situation und so lieb Natsu auch ist, er macht ihr das nicht unbedingt leichter!

Der Konflikt mit Jude war heftig und es war echt fies von Jude und Natsu, Lucy vor die Wahl zu stellen, obwohl in gewisser Hinsicht Beide es nur gut gemeint haben. Mir tat Lucy schrecklich Leid und es war absolut nachvollziehbar, warum sie nichts sagen konnte.
Dass Natsu ausfallend wird und damit letztendlich Jude dazu provoziert, ihn zu schlagen, war auch sehr plausibel, wenn auch wirklich heftig.

Und es war eine passende Erklärung, warum Natsu tatsächlich mal nachtragend ist und Lucy Vorwürfe macht. Er macht sich große Sorgen um sie und hat wahrscheinlich sogar echte Angst, dass Jude sie auch schlagen könnte. Und weil das bei ihm und Igneel so ganz anders läuft, kann er wohl nicht nachvollziehen, warum Lucy aller Probleme zum Trotz so sehr an ihrem Vater hängt. Dass er da auch wütend auf Lucy ist, ist sehr passend.
Und natürlich lässt Lucy sowas nicht einfach auf sich sitzen. Sie ist nun einmal Lucy und hat jede Menge Temperament!

Ich bin wirklich gespannt, wie sich dieses Konflikt lösen wird!
Ich kann auch nicht so richtig einschätzen, ob sie das alleine machen werden oder ob da doch jemand nachhelfen wird. Natsu und Lucy sind Beide ganz schöne Sturköpfe, also brauchen sie eigentlich schon jemanden, der sie aufeinander zu schubst, aber andererseits kann ich mir schwer vorstellen, dass sie Gray oder Erza ins Vertrauen ziehen werden, wo die Beiden doch auch mit der anderen Partei befreundet sind. Obwohl es wohl sowieso sehr schnell rauskommen wird, da Natsus Wange wohl einige Fragen aufwerfen wird...
Ach, ich wünschte, ich könnte jetzt schon das nächste Kapitel lesen! >___<


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