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Unseen Souls

von

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11

Resigniert ging ich meiner Wege. Einfach kreuz und quer durch das Hauptquartier und ich meinte, meine Gedanken im Griff zu haben aber das hatte ich so gesehen noch nie. Wenn sie sich nicht auf Kanda richteten, dann auf andere Thematiken und von ihnen musste es viele geben, denn als ich irgendwann stehenblieb und aufblickte, wusste ich weder, wo ich war, noch wie lange mich meine Beine getragen hatten.

Hinter einem nahen Fenster lag die finstere Nacht, leise umflatterte mich Timcanpy und kaum hatte er sich auf meinem Kopf niedergelassen, spähte ich um mich. Ein Flur. Ich drehte mich zur anderen Seite, erspähte eine Treppe und setzte mich wieder in Bewegung. Das Laufen tat gut und irgendwann wurde die Umgebung wieder vertrauter. Ich blieb im Treppenhaus stehen.

Es war die richtige Etage und von meiner Tür blickte ich unweigerlich zu jener anderen.

Sie lag meinem Raum fast gegenüber, doch verbarg derzeit niemanden hinter sich.

Und ich kam nicht um ein müdes Lächeln, bevor ich in meinem Raum verschwand und mich dazu zwang, mich hinzulegen. Schlaf war in dieser Lage ohnehin das Beste, um die Zeit zu überwinden.
 

Ich schlief, wenn auch nicht lange.

Gerade war ich zu mir gekommen, da richtete ich mich auch schon auf. Ein Gähnen stieg in mir empor und beiläufig erwischte ich Tim, der sich von der Matratze erhob, mit dem Ellbogen, bevor ich mir das Gesicht rieb. Mein Mund schmeckte fade, das Haar stand mir zu berge und großzügig half ich etwas nach, indem ich mich ausgiebig kratzte. Wieder erhob sich der Golem in die Luft und stoisch hob ich die Hand zu einem stummen Morgengruß.

Da war er also, der neue Tag.

Müde blinzelnd blieb ich sitzen, rollte mit den Schultern und grübelte, weshalb mir dieser Tag so wichtig erschien. Ich presste die Lippen aufeinander, verspielt verbiss sich Tim im Stoff der Decke und abwesend stellte ich mich einem kurzen Kräftemessen. Er zog, ich zog und dann fiel es mir ein. Sofort ließ ich die Decke los und kam auf die Beine. Eilig zog ich ein Hemd hervor, wand mich unterdessen schon aus dem alten und sah mich nach meinen Schuhen um. Ich war wach und ich hatte es eilig.

Die Antworten auf meine Fragen warteten. In der Wissenschaftsabteilung. Bei Komui.

Ich musste sofort dorthin.

Was sagte mir meine Intuition?

Unter der kühlen Luft des Treppenhauses atmete ich tief durch.

Wenn das Schicksal der Hoffnung die Dramatik vorzog, spürte man es bisweilen. Schon wenn man die Augen öffnete, gab es Befürchtungen, die der Wahrnehmung nicht entgingen, die so pessimistisch waren und sich letzten Endes doch leider nur als Realismus entpuppten. Gegen diese Tatsachen anzukämpfen war erbärmlich. Eilig bog ich um eine Ecke.

In gewissen Lagen war Hoffnung nicht viel mehr als Verzweiflung und das Streben nach dem Sieg eine Ausflucht, um das Unvermeidliche hinauszuzögern. Eine einzige Erfahrung war es, die bis heute einen bitteren Geschmack hinterließ. Bis heute so spürbar. Bis heute so präsent, doch die abgrundtief finsteren Vorahnungen, die mich einst zu Suman führten, begleiteten mich hier und jetzt nicht.

Ich hatte nicht das Gefühl, diesen Weg besser nicht zu gehen und meine Schritte verlangsamten sich nicht. Ich erreichte die große Tür, griff nach der Klinke und der Anblick, der sich mir bot, hob eine immense Last von meinen Schultern.

Es war das gewohnte Seufzen und Stöhnen, das mir entgegen zog, die Folgen einer durchgearbeiteten Nacht. Vermutlich hatte jeder viel zu tun gehabt, doch es blieb bei dieser Erschöpfung, neben der weder Stille noch bedrückte Mienen das Bild beherrschten. Jonny schnarchte, Rokujugo schwebte von Regal zu Regal und River schwenkte den Kaffee in seiner Tasse, während ein wahrer Redeschwall über ihn hereinbrach. Er kam von Komui, der neben ihm am Tisch lehnte.

Es war alles in Ordnung. Neben der Tinte zahlreicher Kopien roch es hier auch nach Erfolg.

„Einen schönen Morgen wünsche ich dir.“ Komuis verzerrte, todernste Miene hatte die alte Entspannung inne, als er mich begrüßte. Seine Lippen konnten wieder lächeln, während ich näher trat.

„Erzähl.“

Für Floskeln blieb keine Zeit.

„Es ist gut ausgegangen.“ Jetzt stieß er doch ein Seufzen aus, bettete die Hand auf meiner Schulter und führte mich mit sich. Wir schlenderten zu seinem Büro. „Linali und Marie waren pünktlich. Gott sei Dank. Das Gefecht endete gegen acht Uhr.“

Vor einer Stunde.

„Und wie geht es allen?“

Ebenso gut hätte ich die Frage auf Kanda beziehen können, denn nur ihn hatte dieser Kampf nicht wenige Stunden sondern länger als eine ganze Nacht gedauert.

„Linali geht es gut.“ Lächelnd stemmte sich Komui gegen die Tür. „Sie hat etwas Rauch geschluckt aber sie meinte, es wäre in Ordnung, also musst du dir keine Sorgen machen.“

Stirnrunzelnd folgte ich Komui durch das Meer der Unterlagen.

„Sie hat sich beeilt und war eine halbe Stunde früher da. Und dann hat sie sich gut geschlagen.“ Beiläufig wurde die Tasse auf dem Tisch abgestellt und resigniert blieb ich neben dem Sofa stehen. „Wie es nicht anders von ihr zu erwarten war. Immerhin ist sie mein Fleisch und Blut.“

„Mm-mm“, murrend nickte ich.

„Sie ist mit Marie noch vor Ort.“ Komui sank hinter den Schreibtisch. „Wir hatten Glück.“

Somit rückte er an den Unterlagen und schaffte so auch nicht viel mehr Ordnung. Auch an der Tasse wurde gedreht und nach wenigen Momenten des Schweigens beschloss ich, mich nach Kandas Vorbild zu richten und seiner speziellen Form der Kommunikation, die mir schwerfiel - direkte Fragen.

„Was ist mit Kanda?“, tat ich es dennoch und auf der anderen Seite des Schreibtisches wurde eine Grimasse gezogen.

„Wäre seine Vernunft doch ebenso groß wie sein Eifer“, antwortete er letztendlich. „Er hätte sich vor Ort erholt und sich anschließend der alten Mission gewidmet. Dass ich ihn zurückrief, gefiel ihm wenig. Was ist nur mit ihm los?“

Endlich wusste ich, was ich wissen wollte.

Er kehrte also zurück.

Es blieb bei wenigen weiteren Worten, bevor ich Komuis Büro verließ und mich mit Tim auf den Weg zum Frühstück machte. In der gestrigen Nacht hätte ich nicht gewagt, einen so glimpflichen Ausgang zu erwarten. Er hatte in viel zu weiter Ferne gelegen, doch nun blieben das Gefecht und die damit verbundene Aufgebrachtheit nur Erinnerungen.

Die Hände in den Hosentaschen durchstreifte ich die Gänge und lauschte dem leisen Hallen meiner Schritte.

Was war dieses Gefühl?

Wie konnte ich definieren, was mich beschäftigte?

Etwas regte sich in mir, weder unangenehm noch lästig.

Was war es?

Ich blieb stehen. Das Ziel lag neben mir aber während Tim sich bereits an der Klinke zu schaffen machte, stand ich nur dort.

Erleichterung?

Selbstverständlich, aber war es nur das?

Ein Kopfschütteln überkam mich. Es war mehr, weitaus mehr, und als ich mich der Tür zuwandte, fand ich endlich das passende Wort.

Stolz.

Ich verfolgte Tims erfolglosen Kampf. Ich war stolz auf meinen Kameraden, der nach drei Missionen noch genug Kraft besaß, einen zehnstündigen Kampf fast im Alleingang zu entscheiden.

Was war das nur für ein Teufel?

Er hatte den Sieg errungen und das einzige, was ich tat, war wie ein Tölpel an ihm zu zweifeln. Als hätten die Gefechte, die ich gemeinsam mit ihm schlug, nie existiert. Ich wusste doch, wie stark er war.

Vermutlich war meine vergangene Sorge nicht viel mehr als blanker Egoismus, aus Furcht vor einem Verlust.

Möglicherweise hatte ich nie um ihn Angst gehabt sondern vielmehr um mich selbst.

Ich ließ ihn nicht gehen.

Nicht nachdem ich diesen Riss in seiner Barriere fand.
 

Trödelnd erreichte ich die Theke. Die Tür zur Küche war geschlossen und so spähte ich zurück und in die Halle. Sie war gut besucht zu dieser Stunde und auch die Gesprächigkeit der Hungrigen war heute enorm. Vermutlich war mein Thema auch ihr Thema. Gewisse Dinge sprachen sich hier schnell herum.

So wandte ich mich ab, hob den Fuß auf die Zehen und drehte ihn gedankenverloren. Die Tür der Küche regte sich nicht und so stemmte ich das Kinn in die Handfläche und spähte Tim nach. Er flatterte zu jener Tür, als wäre er es, der Hunger hatte aber als er das Ziel erreichte, tat sich auch nicht viel.

„Jerry.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein Murmeln. Mein Fuß begann über den steinernen Boden zu scharren. „Jerry.“

Ich hatte Hunger. Die Lage war so ernst wie jeden Morgen auch.

Lauter rufen wollte ich nicht, also hoffte ich auf Tim und als dieser nach weiteren Momenten in die Klinke biss, da bewegte sich die Tür endlich. Mit einem Mal wurde sie aufgerissen, Tim fortkatapultiert und dann sah ich einen jungen Hilfskoch näher straucheln. In der einen Hand hielt er einen Kochlöffel, die andere wischte er hastig an der Schürze ab und wie nervös wirkte er, als er auf der anderen Seite der Theke zum Stehen kam.

„Guten Morgen!“, ächzte er. „Was darf ich Ihnen bringen?“

Stirnrunzelnd lehnte ich mich zur Seite und spähte an ihm vorbei.

„Wo ist Jerry?“

„Jerry. Äh.“ Er kratzte sich am Kopf. Aus der Küche glaubte ich aufgebrachte Stimmen zu hören. „Er macht Besorgungen in der Stadt. Er hat uns kurz das Feld überlassen.“

Das schien wirklich ein schweres Feld zu sein.

„Na dann.“ Kapitulierend rappelte ich mich auf. „Ich möchte fünf Croissants mit Erdbeermarmelade, ein paar Rühreier, Vanille-Pudding, Mango-Saft, Pfannkuchen, Himbeerjoghurt, Kuchen...? Ja, irgendeinen Kuchen. Zwei Brötchen mit Pflaumenmus, Schokoladenmüsli und Windbeutel. So viele, wie ihr da habt.“ Die waren wirklich lecker. „Und Kakao. Ach, anstatt der Rühreier doch lieber zwei Omelettes aber ohne Basilikum. Habt ihr noch die süßen Cornflakes?“

„Eh“, brachte der junge Mann hervor, bevor ich abwinkte.

„Gut, keine Cornflakes. Aber noch die Müsli-Riegel. Vier davon und zum Schluss…“ Ich verengte die Augen, rieb mir das Kinn und grübelte. „Lasagne.“

Der Mund meines Gegenübers öffnete und schloss sich. Ich erwartete, dass er sich in die Küche zurückzog aber er blieb stehen. Erwartungsvoll hob ich die Augenbrauen und nach wenigen Sekunden brach er in fahriges Lachen aus.

„Also Pfannkuchen und… eh… Müsli?“

„Schoko-Müsli“, verbesserte ich.

„Okay… ähm…“, plötzlich begann er sich umzuschauen. Der Kochlöffel fand seinen Platz auf dem Tresen und so begann er seine Hosentaschen abzutasten. Was er suchte, erfuhr ich nicht sofort aber meine Gesichtsmuskeln zog es nach unten, als er einen Notizblock zückte und die Suche, wahrscheinlich nach einem Stift, hektisch fortsetzte. „Einen Moment.“

Seufzend machte ich es mir wieder bequem und verfolgte den Kampf, bis er fündig wurde und zu kritzeln begann.

„Fünf Croissants.“ Ich fing von vorne an. „Erdbeermarmelade.“

„Moment.“ Wieder kratzte er sich den Kopf. „Der Stift tut’s nicht mehr. Ich gehe schnell einen Neuen holen.“

Träge ließ Tim die Flügel über meine Ohren hängen und so wie sie hing auch ich kurz darauf dort. Erst jetzt fiel mir Jerrys unglaubliches Gedächtnis auf. Hoffentlich kam er schnell zurück. Der Jungkoch tat es und zückte den neuen Stift.

„Also vier Croissants mit Marmelade und…“

„Fünf“, unterbrach ich ihn.

„Natürlich, also fünf mit Marmelade.“

„Erdbeermarmelade. Vanille-Pudding und Mango-Saft.”

„Moment.“ Er kam nicht nach und naserümpfend lugte ich zur Seite, bis sich seine Stimme erhob.

„Saft.“

„Mangosaft, Pfannkuchen, Himbeerjoghurt, Kuchen.“ Müde verfolgte ich, wie er kritzelte. „Zwei Brötchen mit Pflaumenmus, Schokoladenmüsli und Windbeutel.“

„Eh.“ Eilig kratzte er sich mit dem Stift die Nase. „Wie viele Brötchen?“

Ich schöpfte tiefen Atem.

Heute war es schwer. Gerade in Momenten wie diesen bemerkte ich, wie wenig ich geschlafen hatte und neigte dazu, niederträchtig zu werden. Irgendwie passierte es dann auch.

„Sagte ich doch“, murrte ich und der junge Mann schluckte.

„Drei?“

„Ich sagte ‚zwei’.“

Hastig strich er durch. „Okay, zwei Brötchen.“

„Gib mir zwei Doppelte.“

„Mit… äh… Apfelmus?“ Keuchend blickte er auf.

Dumpf traf meine Stirn auf das Holz. Ich befürchtete, allmählich wirklich genervt zu sein und was er als nächstes auf den Zettel schrieb, interessierte mich herzlich wenig.

„Und dann“, seine Stimme drang kaum noch zu mir, „Milch?“

„Kakao.“

„In Ordnung. Und dazu“, in seinem Kopf arbeitete es, während er auf den Zettel starrte und die Lippen zu einem schmalen Strich presste, „Nudeln?“

Unter einem Ächzen sank ich wieder auf den Tresen zurück. „Keine Nudeln.“

„Hatten Sie das nicht gesagt?“

„Orientiere dich an meinem Widerspruch.“ Murrend rieb ich mir die Augen. „Kollege, du hast es hier mit Hungrigen zu tun. Ist dir heute schon jemand an dieser Theke gestorben?“

„Wie bitte?“ Er verstand es nicht.

„Moin“, erhob sich da plötzlich eine bekannte Stimme und als ich mich aufrichtete, schleppte sich River das letzte Stück und suchte Halt auf der Theke. Mit ihm schien es zu Ende zu gehen und kaum dass er mich erreichte, war mein Gesicht wieder entspannt. Kurz lächelte ich ihm zu.

„Fünf Donuts“, wandte ich mich dann erneut an den Koch und hektisch wurde notiert. „Vier Müsli-Riegel und Lasagne.“

Der junge Kerl kniff die Augen zusammen aber er kam hinterher und wirkte erleichtert, bevor er kehrt machte und zur Küche zurück rannte. Ernüchtert sah River ihm nach, während ich ihm winkte.

„Danke.“

„Ich spüre meine Beine nicht mehr.“ Stockend regte sich River neben mir auf der Theke und beiläufig nickte ich, die Küchentür stets im Blick behaltend.

„Ich glaube, ich sterbe“, wurde da weitergeächzt. „Aber diesmal wirklich.“
 

Wir verbrachten schöne Momente miteinander, bevor ein anderer ebenso überforderter Hilfskoch meine Bestellung aus der Küche schleppte. Es schien alles da zu sein aber irgendwie sah es aus wie lieblos zusammengeschmissen. Es fehlte Jerrys Liebe, in der er alles so zurechtrückte, dass die Augen getrost mitessen konnten.

Während River seine karge Bestellung nuschelte, zog ich mich an einen der Tisch zurück. Gewartet hatte ich heute so lange wie noch nie und deshalb hoffte ich, dass das Essen dafür besonders gut schmeckte. Der Mango-Saft war lecker und schnell ausgetrunken, der Pudding etwas fade und spätestens als ich die Lasagne kostete, fror ich ein, schöpfte tiefen Atem und schluckte den Happen letztendlich mit viel Mut. Was für ein Start in den neuen Tag.

Mürrisch schob ich die Lasagne bei Seite, versenkte die Gabel im Kuchen und sah ihn trocken auseinander bröckeln. Die Windbeutel waren gut aber der Himbeerjoghurt schmeckte nicht nach Himbeere und nachdem sich einige andere Sachen auch als Zumutung entpuppt hatten, brachte ich das Ganze kommentarlos zurück und verließ den Speisesaal.

Mit welchen sinnlosen Tätigkeiten ich den Tag füllen würde, wusste ich noch nicht.

Mein Zimmer war wie immer wenig verführerisch und so betrat ich wieder die Wissenschaftsabteilung, wo ich sofort von Johnny geschnappt wurde. Ich bekam doch etwas zu tun. Etwas, worauf ich keine Lust hatte aber es war mir lieber, als wieder Stunde um Stunde dort zu sitzen und nichts zu tun.
 

So machte mich auf den Weg in die Stadt.

Ich endete als Kurier. Nachdem mich Johnny überredete, ein bestelltes Buch abzuholen, hatte es auch noch andere gegeben, die mich mit Aufgaben beluden und so sah ich einigen Erledigungen entgegen.

Es war eisig kalt und der Weg zur Stadt lang, doch die Stadt bot möglicherweise die Gelegenheit, etwas heiterer zu werden.

Bald erreichte ich mein Ziel und tauchte mit übergestreifter Kapuze in die Menschenmassen. Die Besorgungen würden genug Zeit kosten und so bahnte ich mir meinen Weg zielstrebig zu jener Buchhandlung. Ich fiel kaum auf, bewegte mich in der Masse und tat es unauffällig.

Das Gesicht zumeist leicht gesenkt, den Sitz der Kapuze mit der Hand überprüfend und nur kurz spähte ich in beide Richtungen, bevor ich mich durch die Tür der Buchhandlung schob.

Es war ein älterer Laden und sofort zog mir der für Bücher typische Geruch entgegen. Zwischen den hohen Regalen bewegten sich Menschen, in einer Ecke wurde gelesen, die Fächer durchstöbert und ich zog an all dem vorbei und trat an den Tresen. Eine ältere Frau blickte von einigen Unterlagen auf, musterte mich innig und wurde rechtzeitig von dem Zettel abgelenkt, den ich ihr mit einem knappen Lächeln reichte. Nickend nahm sie ihn entgegen und verschwand in den hinteren Räumen des Geschäftes.

Hier war alles in Bewegung. Die Welt war so hektisch und ich blieb so reglos, als wäre ich kein Teil dieser Gesellschaft, sondern viel mehr ein Punkt, um den sich alles drehte und am Ende doch gar nichts.

Langsam hob ich die Schultern, ließ sie sinken und hielt nach der Frau Ausschau. Sie schien länger zu brauchen und so versenkte ich die Hand unter der Kapuze, um mich zu jucken. Vor mir lagen uninteressante Broschüren und abrupt lösten sich meine Augen von ihnen, als ich neben mir eine weitere Regung ausmachte. Etwas hatte meine Beine gestreift und schweigend musterte ich diesen kleinen Jungen, der neben mir stehen geblieben war. Er interessierte sich für das raschelnde Papier kleiner Hefte und betastete es begeistert.

Wie schön musste es sein, wenn die Welt so voller Geheimnisse war.

Ich löste die Augen nicht von diesem Kind, betrachtete es abwesend und ohne zu blinzeln. Von dem Papier wanderte die kleine Hand zu einer Wollmütze. Etwas zerzaust ragten die Strähnen des brünetten Haars unter ihr hervor, während die Augen des Jungen mit jedem Augenblick der Erkundung größer wurden.

„Quience.“ Nur leise erhob sich eine Stimme in meinem Rücken. Ich nahm sie kaum wahr, doch der Junge reagierte. Es fiel ihm schwer, sich zu lösen, doch er wandte sich um und mit ihm tat auch ich es. Kaum erblickte ich diesen Mann, der nahe der Tür auf den Jungen wartete, da eilte dieser schon an mir vorbei, folgte dem Wink seines Vaters und still verfolgte ich die Bewegung der großen Hand, die sich auf die Mütze bettete und dem Jungen ein leises Lachen entlockte.

Nur einmal blinzelte ich, bewegte die Hände in den Hosentaschen und geschwind nahm der Mann seinen Sohn auf den Arm. Er hielt ihn sicher, gab ihm Schutz, gab ihm Geborgenheit, während er mit ihm auf die Straße trat.

Leise meldete sich das Glöckchen, als sich die Tür hinter ihnen schloss.

„… ung…?“

Noch immer starrte ich auf den Punkt, an dem die Masse die beiden verschluckte. Meine Hände waren so nervös wie zuvor, regten sich unablässig, ballten sich zu Fäusten und entspannten sich.

„Verzeihung?“ Erst jetzt drang die Stimme zu mir und als ich mich umdrehte, stand da die Verkäuferin, die mir die Bestellung reichte. Nach einem kurzen Zögern nahm ich sie entgegen. Was war das?

Ein Comic.

„Stimmt etwas nicht?“, erkundigte sich die Verkäuferin da schon, doch ich schüttelte den Kopf, hob verabschiedend das Heft und verließ den Laden. Zurück in das Getümmel.

Meine Stimmung würde sich bessern. Ganz bestimmt. Irgendwann.

Ich legte wenig Wert darauf, den Menschen auszuweichen, war nicht aufmerksam genug, um ihnen Beachtung zu schenken, sah nur die Schuhe, die an mir vorbeizogen und hüllte mich tiefer in den Mantel, während Schultern mich leicht streiften.

Ich wollte mich nicht verkriechen, mir war nur kalt.

Schon suchte meine Hand in der Hosentasche nach dem nächsten Zettel.

Noch eine Bestellung für einen Wissenschaftler und fürs erste interessierte ich mich nur für die Adresse. So blickte ich zum Straßenschild auf und verschaffte mir Orientierung. In der klirrenden Kälte zog ich die Nase hoch und schob mich an einem Straßenstand vorbei.

Es war voll. Ich war in den Mittagstumult geraten und hielt mich irgendwann nahe den Häuserwänden. Eine Straße, noch eine, und endlich sah ich das Schild des richtigen Ladens und stahl mich abermals aus der Kälte. Es war ein kleiner, staubiger Laden für Büroartikel, in dem wenig Betrieb herrschte. Die hölzernen Vitrinen hatten bisher wenig Interessenten angelockt und hinter der Kasse saß nur eine alte Frau, die aussah, als würde sie schlafen.

Leise schloss sich die Tür hinter mir, während ich mich umblickte. Es roch nach Tinte und allerlei anderem, was ich nicht definieren konnte. Ist tastete nach meiner Kapuze und streifte sie von meinem Schopf, während ich mich der Kasse näherte.

Es gab dicke, in Leder eingebundene Mappen und Schreibwaren. Wenn die Auswahl auch nicht groß war, etwas hatte dieser Laden an sich. Ich nahm kaum wahr, wie sich die Tür hinter mir erneut öffnete, betrachtete mir eine Schatulle und streckte gerade die Hand nach ihr aus, als ich von einer Schulter schroff zur Seite gedrängt wurde.

„Beweg dich, Opa!“ Stöhnend zog ein junger Mann an mir vorbei, trat zur Kasse und riss die Frau mit seinem Temperament aus dem Halbschlaf. Die Schatulle war nicht mehr interessant, meine Augen folgten nur diesem Mann.

„Wie, Sie haben das nicht!“ Ächzend raufte er sich die Haare, während die alte Frau mit den Schultern zuckte. „Wo kriege ich das denn sonst her?“

„Da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen.“

Langsam tastete ich in meiner Hosentasche nach dem Zettel und näherte mich der Kasse.

Ein kühler Schauer überkam mich, doch es blieb ein kurzer Moment, bevor ich die Fassung wieder erlangte.

Es war alles in Ordnung.

Abermals tief durchatmend trat ich neben den Mann, der die Hände auf den Tresen niedergehen und die Verkäuferin zusammenzucken ließ.

„Das ist der dritte Laden, in dem ich bin!“, erregte er sich, als ich neben ihm stehenblieb, gemächlich den Zettel auseinanderfaltend. „Ich habe keine Lust, noch alle anderen Läden abzuklappern und, hey!“ Beiläufig streckte sich mir sein Arm in die Quere. „Drängle dich nicht vor!“

Ich betrachtete mir seinen Arm, betrachtete mir auch sein Handgelenk und nachdem die alte Frau noch einmal mit den Schultern zuckte, erhielt ich die volle Aufmerksamkeit des Mannes.

„Ich sagte, du sollst dich nicht…“

So wie er sich zu mir wandte, so blickte ich auf und mit einem Mal verstummte er. Unsere Augen trafen aufeinander, still hielt ich seinem Blick stand und um meine Laune stand es beileibe nicht zum Besten. Ein irritiertes Zucken fuhr durch seine Mimik, während ich das Braun seiner Augen erforschte und den Zettel zwischen den Fingern wendete.

Kaum bewegten sich seine Lippen unentschlossen, da taxierte ich ihn schärfer und sah ihn um einen Schritt zurückweichen. Noch ein Schritt, bis er sich aus meinem Blickwinkel schob und es war eine wüste Beleidigung, unter der er letztendlich den Laden verließ.

Während die alte Frau dem unangenehmen Gast nachblickte, reichte ich ihr den Zettel. Diesmal war es ein Federhalter, den ich an mich nahm und ein weiteres Mal auf die Straße hinauszutreten, fiel mir diesmal nicht mehr so leicht.
 

Wer rechnete damit, dass ein Einkauf solche Wendungen nahm?

Wenn schon der Verlauf einer Mission selten dem Plan entsprach, könnte sich nicht zumindest an diesem Tag alles so entwickeln, wie ich es erwartet, oder doch eher hoffte?

Dass ich ungestört Erledigungen machte und mich dabei mit jedem Schritt entspannte, weil es nichts gab, das meiner angeschlagenen Laune gefährlich werden könnte.

Meine Miene war finster und meine Lippen versiegelt.

Auch im nächsten Laden beließ ich es dabei, wortlos das kleine Paket an mich zu nehmen und mich wieder dem Getümmel auszuliefern. Und stetig nahm ich wahr, was ich sonst durch Gewohnheit vergaß.

Blicke und Aufmerksamkeit. So tief ich die Kapuze auch in mein Gesicht zog, es blieben Gesten und Mimiken, deren Ursprung ich auf mich bezog.

Wie tückisch waren die wenigen Stunden Schlaf. Sie verleiteten zu Übermut.

Als mich keine Stunde später der eisige Wind auf der offenen Straße erfasste, trat ich in ein Gasthaus. Nach dem unzumutbaren Frühstück verlangte mein Magen nach Versorgung und den wenigen Gästen den Rücken kehrend, schob ich mich auf einen Hocker an der Theke. Kurz den Schnee vom Mantel geschüttelt und schon streifte ich mir die Kapuze vom Kopf und entdeckte Tim auf dem Hocker neben mir.

Es war eine füllige Frau, die kurz darauf zu mir trat, währenddessen ein Glas abtrocknend.

„Na“, sagte sie, „du siehst aber durchgefroren aus.“

Ich wusste, dass es in manchen Gaststätten Brauch war, Gerede als Vorspeise zu servieren, nur stand mir nicht der Sinn danach, also versuchte ich den Keim in einer beiläufigen Kopfbewegung zu ersticken.

„Machen Sie mir bitte ein paar Sandwichs.“

Mehr musste man nicht sagen, doch die Frau seufzte nur und schrubbte weiter an dem Glas.

Verstohlen behielt ich sie im Blick.

„Du kommst nicht von hier, oder? Sonst wüsstest du, dass diese Gaststätte das beste Gordon Bleu macht und würdest es sofort kosten. Wie wär’s? Sandwichs bekommst du doch überall.“

„Dann geben Sie mir Gordon Bleu.“

Es war der Weg des geringsten Widerstandes aber sie stand noch immer dort und putzte.

„Das ist eine gute Wahl“, freute sie sich und griff nach dem nächsten Glas. „Du wirst nicht enttäuscht sein. Aber weißt du was?“

Stoisch schüttelte ich den Kopf. Die Sachen, die ich derzeit wusste, wollte sie sicher nicht hören.

„Wir haben gerade ein Angebot. Wenn du zwei Gordon Bleus bestellst, bekommst du das Zweite zum halben Preis.“

„Geben Sie mir acht.“

„Oh.“ Endlich hielt sie inne. Das Glas wurde sinken gelassen. „Soviel kannst du essen?“

Unweigerlich erinnerte mich diese Szene an das Trauerspiel im Speisesaal.

Heute an Essen zu gelangen, war so unsagbar schwer.

„Du siehst gar nicht aus, als würdest du wirklich soviel essen können.“

Ich schöpfte tiefen Atem und rieb mir den Mund. Hier und heute hatte ich nicht zu heucheln und nichts vorzugeben, was ich nicht war. Hier war ich mit all meinen Launen und Abneigungen, ohne gute Miene zum bösen Spiel.

Sie verzog skeptisch das Gesicht.

„Ziemlich mager, wenn du mich fragst. Weißt du?“ Heimlichtuerisch lehnte sie sich zu mir und ich mich um ein Stück zurück. „Wir haben einen Stammgast, der hat einmal zehn Stück gegessen. Er hält den Rekord. Aber im Gegensatz zu dir sah er auch so aus. Ziemlich dick.“ Sie sprach weiter und nach wenigen Sekunden spähte ich zur Seite. Würde Kanda hier sitzen, wäre die Frau längst still und bei der Arbeit. Bei ihm wäre es nicht so weit gekommen, doch meine Verstimmtheit wurde wohl zu sehr von Schweigsamkeit begleitet, als dass ich dasselbe Resultat erzielen könnte.

„Das müsstest du dir mal anschauen.“ Sie redete immer noch.

„Würden Sie sich um meine Bestellung kümmern?“, unterbrach ich sie.

„Oh, natürlich.“ Ihr Lächeln führte mir vor Augen, wie sanft sich meine Stimme trotzdem noch anhören musste. Meine Bitterkeit schien weder offensichtlich noch ernstzunehmend und still ertrug ich weitere inhaltslose Worte, bevor sie sich zur Küche bewegte und sich kümmerte.

Den Ellbogen auf die Theke und das Kinn in die Handfläche gestemmt, sah ich sie verschwinden. Tim gesellte sich zu mir, fand seine Bequemlichkeit auf meiner Schulter und sein Interesse an meinen Haaren. Resigniert und reglos ließ ich ihn an meinen Strähnen rupfen. Die Wirtin kehrte bald zurück aber glücklicherweise fand sie einen anderen Gast, der sich ihr Geplapper anhören wollte und einen wichtigen Teil beisteuerte.

Ich fand es in Ordnung, ungestört auf mein Essen zu warten. Ich hatte Zeit, denn es war nur noch ein Weg, der vor mir lag. Von der Theke spähte ich zu den Tischen, spähte weiter zur Tür und kam mit einem Mal nicht umher, die Augen zu verdrehen und mich abzuwenden. Zwei Männer betraten die Gaststätte und nicht nur ihre Mäntel kannte ich. Auch eines der beiden Gesichter. Zwei Finder hatten sich vor der Kälte zurückgezogen und natürlich dauerte es nicht lange, bis ich gesichtet wurde.

„Oh, Walker, ich grüße Sie.“ Neben mir blieben sie stehen und gaben sich mit einer wortlosen Handgeste zufrieden. Mit einem von ihnen hatte ich vor nicht allzu langer Zeit eine beschwerliche Mission bestritten. Und ich hatte ihn gern.

Eigentlich.

„Wir haben uns ja lange nicht gesehen.“

Ich rieb mir die Mundwinkel und lugte zu den beiden.

„Das ist Allen Walker“, wandte sich der eine an den anderen, mir Unbekannten. „Von dem ich dir erzählte.“

„Wirklich?“ Der Zweite staunte und meine Hand wanderte zur Wange und rieb sie. „Die Zusammenarbeit mit Ihnen wurde in höchsten Tönen gelobt. Es ist schön, dass es auch so freundliche Exorzisten gibt. Hoffentlich kann ich Ihnen auch einmal auf einer Mission behilflich sein.“

Um Gottes Willen.

Der alte, kühle Schauer überkam mich und ließ mich kurz die Augen schließen.

Das hatte man also von seiner Freundlichkeit.

„Wie geht es Ihnen?“

„Es ist kalt und ich bin müde, habe Hunger und will nicht reden.“

Neben mir herrschte Schweigen, als ich mich wieder zur Theke wandte.

„Macht´s gut.“

Beirrt wechselten die beiden Blicke. Ihnen fehlten die Worte und hoffentlich fielen sie ihnen auch nicht mehr ein. Kurz darauf erhob sich neben mir ein Räuspern.

„Na gut“, sagte der mir bekannte Finder, während der andere den Freundlichsten aller Exorzisten verwirrt anstarrte. „Dann gehen wir mal und machen uns wieder an die Arbeit.“

Nicht einmal zu einem Winken war ich imstande, bevor sich die beiden zurückzogen.

Ich bemerkte kaum, wie finster mein Gesicht geworden war und wie zusammengesunken meine Haltung. Erst die Wortkargheit, die die Wirtin an den Tag legte, als sie mein Essen brachte, ließ mich meinen Anblick vermuten.

Es ging bergab.

Jetzt überfiel mich die seltene Sehnsucht nach meinem Zimmer, nach meiner Stille und meiner Einsamkeit.

Dann hatte ich meine Bestellung vor mir.

Sie war gekommen, mein Appetit vergangen aber ich griff trotzdem nach dem Besteck. Ich würde essen, den letzten Laden aufsuchen und dann eilig aus dieser Stadt verschwinden. Letzten Endes aß ich auf. Es schmeckte zu gut, um weggeworfen zu werden, doch brachte mich in weitere Probleme, als ich der Wirtin den leeren Teller zuschob. Meine abschreckende Aura schien nicht mehr intensiv genug, denn sie weitete die Augen.

„Da schau her!“, ächzte sie und stemmte die Hände in die Hüften. „Das hätte ich ja nicht gedacht! Und dann noch so schnell!“

Ich begann bereits in den Taschen des Mantels zu suchen, doch ging leer aus. Naserümpfend griff ich also nach einer Serviette, fand auch einen Stift und begann zu schreiben.

„Ich glaube, du könntest den Spitzenreiter herausfordern. Wenn du mal nicht sogar elf Gordon Bleus schaffst! Ich verstehe gar nicht, wie ihr das macht. Vor allem bei dir! Wo geht das ganze Essen nur hi…“

„Schicken Sie die Rechnung dahin“, unterbrach ich sie und schob ihr die Serviette zu. Sie starrte auf die Schrift, während ich vom Hocker rutschte, um weiterem Gerede zu entgehen.

„Dahin?“ Irritiert schüttelte sie den Kopf, als ich auf die Beine kam und mir Tim von der Schulter zog.
 

Der alte, eisige Wind peitschte mir sofort entgegen und ließ Tim davontreiben. Ich zog den Stoff meines Mantels enger und fixierte die Kapuze mit der Hand. Inmitten des dichten Schneegestöbers war das nächste Straßenschild kaum zu erkennen.

Wohin musste ich jetzt? Wo war der Zettel?

Wieder begann ich zu suchen, wieder ächzte ich und spätestens jetzt bereute ich es, die Botenrolle übernommen zu haben.

Es war ein altes Uhrengeschäft, das ich nach kurzer Orientierungslosigkeit sowie Suche betrat. Die letzte Station und ich konnte es nicht eilig genug haben, mit diesem Ausflug abzuschließen. Hierher hatte mich Komui geschickt, denn mein Engagement hatte sich rasch herumgesprochen.

Jetzt nur kein weiteres Herauszögern, bloß kein weiteres Gespräch aber der Mann hinter der Theke sah nicht aus, als könnte er diese Wünsche befolgen. Eine dicke Hornbrille saß auf seiner Nase und er rückte an ihr, als ich ihm den Zettel reichte. Besser zu sehen schien er durch die Brille nicht, denn in den nächsten Momenten starrte er auf den Zettel, als hätte er Hieroglyphen vor sich.

Sein Gesicht verzog sich zu zahlreichen Ausdrücken, während meines immer länger wurde.

Resigniert stand ich dort und saugte an meinen Zähnen.

„Ähm.“ Er kratzte sich am Kopf, sah zu mir auf. „Die Bestellung. Ist die ganz sicher von hier?“

„Keine Ahnung.“

„Mm, da müsste ich mal kurz nachfragen.“ Der Zettel wurde abgelegt und die Gangart des Mannes war genauso träge wie seine Redensart. Er bewegte sich wie in Zeitlupe in die hinteren Räume.

Gleich, sagte ich mir, gleich war es soweit. Gleich könnte ich gehen. Verschwinden. Und das sagte ich mir noch eine ganze Weile, bis der Mann zurückkehrte, wieder auf den Zettel starrte und nachdachte. Unruhig verlagerte ich das Gewicht von einem Bein auf das andere und presste die Lippen aufeinander.

„Ja, doch“, murmelte der Mann dann endlich. „Jetzt erkenne ich es. Einen Moment.“

Es kam selten vor, dass ich so wenig Geduld hatte, so gereizt war und jedes Wort hinter den Lippen verschloss in der Befürchtung, jedes von ihnen könnte sich als unfein entpuppen. Die Tatsache, dass ich einige Minuten warten gelassen wurde, änderte daran nicht viel und kaum kam der Mann zurück und kaum machte er Anstalten, mir eine kleine Schatulle zu reichen, da nahm ich sie ihm aus der Hand und verließ den Laden.

Irgendetwas hatte er mir noch zugenuschelt, doch meine Ohren vertrugen nichts mehr und auch mit der überfüllten Straße wollte und konnte ich es von jetzt an nicht mehr aufnehmen. Eine nahe Gasse war es, die mich lockte und so verließ ich die Straße und stahl mich in den schmalen Gang.

Im Grunde war ich nur umhergelaufen und dennoch fühlte ich mich so endlos marode.

Die Augen auf den Boden gerichtet, schob ich mich an Mülltonnen vorbei und stieg über undefinierbare Schrottteile.

Jetzt war mir sogar Müll lieber als menschliche Gesichter und so hielt ich mich weiterhin in den Gassen, ging meinen Weg versteckt und ließ auf diese Weise fast die gesamte Stadt hinter mir.

Nur vereinzelte Flocken begleiteten mich, nur wenige Geräusche neben dem Knacken des Schnees.

Tim flog voraus, leicht taumelnd in den Böen und kurz beobachtete ich ihn, bevor ich auf die Gestalt eines Mannes aufmerksam wurde, der mir entgegen kam.

Noch jemand, der sich von den Straßen fernhielt.

Wieder wich ich einigen Mülltonnen aus.

Es waren nur noch wenige Schritte, die mich von dem Mann trennten. Kurz regte ich die Finger in den Handschuhen, überprüfte ihren Sitz und beiläufig blickte ich auf, als die Gestalt des Mannes mich erreichte. Mit einem Mal fielen seine Schritte aus dem Rhythmus, verfielen einer gewissen Hektik und nur kurz registrierte ich seine Hand, die eilig unter seinem alten, abgenutzten Mantel verschwand. Eine rasche Bewegung und wie kalt blitzte die Klinge eines Messers auf, das er plötzlich hervorzog.

„Gib mir dein…!“ Abrupt verstummte er, als meine Finger seine Hand zu fassen bekamen.

Mein rechter Arm reagierte sofort, war meiner Wahrnehmung weit voraus, als er den Mann zur Seite zog, ihm das Gleichgewicht entriss und ihn gegen die nahe Mauer lenkte. Stolpernd prallte der Mann gegen das Gestein, bevor ich an ihm vorbeizog und es war nur ein kurzes Ächzen, das an meine Ohren drang.

Wenn etwas kam, kam es geballt und müde tastete ich wieder nach meinem Handschuh. So schnell wie dieser Moment kam, so schnell hatte ich mit ihm abgeschlossen, doch das dumpfe Geräusch, das sich daraufhin hinter mir erhob, ließ mich innehalten. Flatternd erreichte mich Tim, als ich mich umdrehte.

Bewusstlos war der Mann zusammengebrochen und während ich mir seinen reglosen Körper betrachtete, entspannte sich mein Gesicht. Nur die Bewegungen seines Bauches zeugten davon, dass er noch am Leben war und lange betrachtete ich ihn mir, bevor ich zu meiner Hand spähte.

War ich wirklich so missmutig?

Mein Körper hatte reagiert und das mit einer Kraft, die ich nicht angewendet hätte, wäre ich in diesen Momenten bei Verstand gewesen. Es war nicht meine Art. Ganz sicher nicht, auch wenn ich in jedem Mensch nicht unbedingt einen Freund sah.

War mein Frust so groß, dass ich ihn auf andere zu lenken hatte, um mich zu entladen?

Wie tief hatte mich dieser Tag sinken lassen?

Er, zog es mir dabei durch den Kopf, er musste enden.
 

-tbc-



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kanda-Lavi
2017-08-10T17:39:58+00:00 10.08.2017 19:39
So wie versprochen bin ich wieder da~
Ich sehe gerade du hast schon geantwortet. Da macht es doch glatt noch mehr Spaß einen Kommi zu schreiben XD
Eigentlich hätte ich ja alles zusammen in einem Kommi hochgeladen, aber da ich gesehen habe, dass du so wenig Feedback bekommst dachte ich mir, dass ich das einfach schon mal früher hochlade und dir damit halt zeige, dass doch Jemand Interesse an deiner Geschichte hat. Sehr viel Interesse sogar. Und ich hoffe sehr, dass du Teil 2 auch beenden wirst. Das wäre ein Traum, denn mittlerweile liebe ich die Geschichte mega.


Ja, ich fange mal wieder mit etwas an was mich stört, aber da wirst du mich wieder etwas Besseren belehren schätze ich.

Hmmmmm, eigentlich ist es ja ein wenig unlogisch...
Allen wird von der Mission abgezogen weil er eine starke Verletzung hat und soll umgehend zum Hauptquartier gehen. Er ist ganz ALLEIN zurück gefahren mit all den Schmerzen. Was wäre wenn er bewusstlos geworden wäre weil der Schmerz zu stark wäre? Was wäre wenn Akuma auf der Reise Bekanntschaft mit ihm gemacht hätten? In dem Zustand hätte Allen nie und nimmer überlebt, deswegen hätte Komui logischerweise entweder Tiedoll/Chaoji zur Begleitung mitschicken müssen oder aber noch einen Exorzisten hinterher, der ihn begleiten würde dann. So robust Allen auch ist... er ist nicht unsterblich. Also entweder war es beabsichtigt von dir, dass Komui tatsächlich so unverantwortliche Befehle durchgibt, oder du hast das warum auch immer nicht wirklich mit bedacht.

Soviel zum Thema Gesellschaft XD. Allen bekommt mein tiefstes Mitleid, dass sich bei ihm momentan wirklich nichts bessern möchte ist schön heftig. Und dann möchte er mit Miranda sprechen um sich abzulenken und diese wirkt eher wie ein Geist denn ein Mensch. Schade, dass er nicht zumindest gelächelt hat als sie sich wieder hingepackt hat, aber dazu ist er wohl kaum noch in der Lage, was?

Uiiii was für ein geniales Kapitel. So komplett voller Spannung. Die Telefone alle besetzt um die Exorzisten in der Nähe allesamt nach Russland zu Kanda zu lotzen, der mit den ganzen Findern dort ganz schön in der Tinte sitzt. Klar, dass Allen sich da enorm viel Vorwürfe macht, immerhin hätte er dort sein können wenn seine Verletzung nicht gewesen wäre. Was anderes außer Däumchen drehen und bangen bleibt ihnen allen nicht übrig. Vor allem denke ich, dass Allen jetzt ganz genau weiss wie sich Komui jedes Mal aufs Neue fühlen muss dort zu sitzen und nicht viel mehr machen zu können als Befehle zu erteilen. Er kann nicht kämpfen, kann seiner „Familie“ nicht mit einer Waffe unter die Waffe greifen, sondern nur mit Wissen und Worten. Denn ich bin mir sehr sicher, dass auch Komui sich zu solchen Zeiten immer mies fühlt, so wie Allen eben.


Ich muss echt gestehen, dass ich momentan gar keine Lust auf das Lesen habe, deswegen wird das mit dem Kommi wohl noch eine ganze Weile dauern und hoffe, dass du mir das nicht zuuuu krumm nimmst. Hab einfach keine Lust gerade irgendwas mit Buchstaben anzurühren und werde erst dann wieder lesen wenn ich soweit bin. Warum ich das gerade schreib weiss ich nicht XD. Immerhin bekommst du den Kommi eh erst später... egal... weisst du zumindest Bescheid warum es gedauert hat.

Eine Frage hätte ich da mal: Animexx ist in Sachen DGM eigentlich recht Tod und Fanfiktion dagegen eigentlich noch manchmal halbwegs lebend. Warum lädst du deine Story zusätzlich nicht dort auch noch hoch? Ich glaube es würde einige geben, die das dort lesen würden, allein weil ich einige von dort kenne. Musst du natürlich nicht machen aber irgendwie wäre das cool. Dann würdest du denke ich sogar mehr Feedback bekommen als nur von mir halt. Und ausserdem gibt es da viele Yullen Fans neuerdings.

Hahahaha. Allen fragt wie es ausgegangen ist und Komui quatscht fast nur über Lenalee wie es ihr geht. Aber ob Mari & Kanda irgendwelche Schäden davon getragen haben das juckt keinen :D. Gut, dass Allen da noch mal nachhakt.

Ich mag die Szene als Allen essen bestellen möchte und sich mit einem anderen Koch als Jerry herum schlagen muss. Es ist gut mal zu sehen wie überfordert Köche auch mal sein können, gerade wenn die Bestellung so dermaßen groß ist wie die von Allen. Ob du wohl mehrmals nachschauen musstest bei dem Essen was Allen bestellte als er es wiederholte? Ich jedenfalls hätte es gemusst, weil ich sonst vermutlich nicht klar gekommen wäre mit der ganzen Sache. Es ist faszinierend wie sehr seine Laune sich dann auch verändert hat, also die von Allen, dass er dann plötzlich doch sehr resginiert war von dem jungen Koch ihm gegenüber was ich nicht ganz verstehen kann. Er ist es gewohnt, dass er seine Bestellung aufgibt und sie sofort gemacht wird, aber so ein Kerl, der kaum die Welt gesehen hat wird sich das wohl nicht alles merken können schätze ich. Er hätte ruhig ein klein wenig mehr Rücksicht nehmen können, also gedulgier sein XD. Wie gesagt war aber eine geniale Szene.

Warum hat der Mann den Laden verlassen als die beiden sich angesehen haben? Hatte er Angst vor Allen sein Mal? Oder hab ich irgendwie wieder nicht ganz richtig aufgepasst und die Hälfte verpasst?

Einen Fehler muss ich dir aber unter die Nase reiben. Es heißt Cordon Bleu. Oder hast du es absichtlich Gordon Bleu immer geschrieben, weil das son Nebenprodukt von dem Cordon Bleu ist?

Allen wird ja depressiv XD. Ne Spaß, aber neuerdings ist seine Laune echt im Keller was ja selbst die Finder gut mitbekommen haben und sich darüber wunderten.

Ich werde den Teil es Kommis jetzt schon hochladen. Einfach weil ich danach eine wirklich gaaanze Weile weg sein werde und ich nicht riskieren will, dass der Kommi irgendwie abhanden kommt. Deswegen sag ich mal ich „beglücke“ dich jetzt und bin mega gespannt darauf was du so antworten wirst und wie du dich erklären wirst.
Ansonsten einen schönen Abend.
LG
Yuki-kun
Antwort von: abgemeldet
11.08.2017 09:36
Huuimuui :D
Erst einmal danke für den Tipp. Hab die Story jetzt auch auf Fanfiktion veröffentlicht.
Und zu deiner Kritik... du machst mich echt auf Sachen aufmerksam, auf die ich nie gekommen wäre. Im Fall von Allens Verletzung habe ich gar nicht daran gedacht. Ich meine, er ist zwar verletzt aber nicht komplett hilflos, eben nur nicht einer Mission gewachsen, zu der es 100%tig zu Kämpfen kommen wird. Klar hätte er angegriffen werden können aber wenn es kein Großangriff gewesen wäre, wäre es wohl damit zurecht gekommen. Am Ende wird es sich wohl um eine Angelegenheit handeln, die durch den Plot und die allg. Länge der Story zu kurz gekommen ist. Das wird vermutlich noch öfter vorkommen. Ändern werde ich es nicht. Wäre zuviel Arbeit und bisher bist du auch die Einzige, die darauf aufmerksam geworden ist. :P

Und ja, bei der Bestellung musste ich nachschauen. Wäre ich ein Koch, dann könnte ich mir das auch nicht merken.
Jedenfalls hat Allens Laune bis dahin schon einen tiefen Abstieg genommen und die Bestellung war ein weiterer Faktor. Klar hätte er rücksichtsvoller sein können aber es ging darum, dass er es eben nicht mehr sein kann, weil er am Ende ist und ich ihn aus dieser anderen Perspektive beleuchten wollte. Natürlich kennt man Allen als geduldigen Menschen etc. aber meine Version ist der Story angepasst. Mein Allen ist etwas angeschlagen und zeigt dadurch Verhaltensmuster, die man eigentlich nicht von ihm kennt. Sowieso bin ich ein Fan des Zynismus'. :D
Das war auch nicht das letzte Mal.

Der Mann verließ den Laden, nachdem sie sich ansahen - jupp. Damit wollte ich darauf hinweisen, wie Allens Gesicht zu dem Zeitpunkt aussah. Nämlich nicht sehr lustig und neben dem Schreck, eben keinen alten Mann vor sich zu haben, wird der Typ das gesehen haben. Allen war im Badassmode und ich denke, das ist schon eindrucksvoll.

Gordon Bleu ist kein Nebenprodukt, sondern einfach nur falsch geschrieben. :D
Werde ich ändern. Nobodys perfect.

Wieder einmal danke für das feedback und deine Zeit.
Wenn ich die Story auf Fanfiktion uppe, werde ich darauf achten, die Kaugummi-Szenen etwas zu kürzen.

Grüße - Asche


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