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For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky

von

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Dorian

Er sollte Cullen erst am Abend wiedersehen.

Nach einem kurzen Frühstück trennten sich ihre Wege, und kaum hatte Dorian den Turm verlassen und war auf die Brücke zur Bibliothek hinausgetreten, wurde er auch schon von zwei von Lelianas Spionen empfangen, die ihn mit wenigen, aber sehr nachdrücklichen Worten dazu aufforderten, sie zu ihrer Herrin zu begleiten. Dorian runzelte die Stirn, doch er folgte ihnen ohne Widerworte, interessiert daran zu hören, was Leliana ihm mitzuteilen hatte. Er hatte bislang erst wenige Gelegenheiten gehabt, mit ihr zu sprechen, doch jede dieser Unterhaltungen hatte dieselbe Art von Nervenkitzel mit sich gebracht, wie ein Treffen von Magistern in Tevinter. Leliana war eine Meisterin des Verhörs und der suggestiven Bemerkungen, und jedes Wort und jede Geste wollten genau abgewogen sein, um nicht ihr Misstrauen zu erregen oder versehentlich Informationen preiszugeben, die man am liebsten für sich behalten hätte.

Dieses Mal hielt sie sich jedoch nicht lange mit Formalitäten auf, sondern kam sofort zum Punkt, sobald Dorian an sie herangetreten war.

„Ich habe eine Aufgabe für Euch“, sagte sie, nachdem sie ihm zur Begrüßung kurz zugenickt hatte und ihren Untergebenen mit einer knappen Geste zu verstehen gegeben hatte, sie allein zu lassen.

Dorian sah sie einen Moment lang fragend an, dann fiel sein Blick auf die Dokumente, die sie auf ihrem Schreibtisch ausgebreitet hatte.

„Dies sind Unterlagen der Grauen Wächter, die Loghain hatte entwenden können, bevor er uns kontaktiert hat – laut ihm handelt es sich dabei um Korrespondenzen mit ihren Verbündeten“, erklärte Leliana. „Ein Großteil davon ist allerdings in einem geheimen Code verfasst...“

Dorian räusperte sich. Es war eine ungewöhnliche Anfrage, aber keine, der er nicht gewachsen wäre.

„Die Entschlüsselung von Geheimschriften ist nicht unbedingt mein Spezialgebiet, aber ich werde mein Bestes geben“, versprach er.

Zu seiner Überraschung warf sie ihm jedoch nur einen ungehaltenen Blick zu.

„Der Code ist nicht das Problem“, erwiderte sie. „Meine Leute haben bereits die ganze Nacht damit zugebracht, ihn zu übersetzen.“

Sie schob eines der Schriftstücke zu ihm hinüber. „Das Problem ist die Sprache, in der die Nachrichten verfasst wurden.“

Dorian sah einen Moment lang auf den Brief herab.

Dann weiteten sich seine Augen.

Er überflog den Text, bevor er ihn beiseiteschob und nach einem anderen Dokument griff. Auch hier war das Resultat das gleiche. Leliana trat einen Schritt vom Tisch zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, während Dorian sich durch ein Dutzend weiterer Dokumente wühlte, überall mit demselben Ergebnis.

„Das kann nicht sein“, stieß er schließlich hervor. „So weit kann ihr Einfluss noch nicht reichen...!“

„Also handelt es sich tatsächlich um Schriften der Venatori?“, fragte Leliana. „Was sagen sie?“

„Ich...“ Dorian nahm einen der Briefe in die Hand. Seine Augen verengten sich. „Mit Sicherheit kann ich das noch nicht sagen. Ich werde ein paar Stunden brauchen, um alle Dokumente durchzugehen.“

Leliana runzelte die Stirn.

„Dies ist kein gewöhnliches Tevinteranisch“, erklärte Dorian, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. „Dies ist noch nicht einmal die gehobene, geschwollene Sprache, die im Magisterium so gerne verwendet wird.“

Er sah sie an. „Diese Briefe sind in einem Dialekt verfasst, der seit langer Zeit – womöglich seit Jahrhunderten – nicht mehr im Imperium gesprochen wird. Selbst mir fällt es schwer, ihn zu lesen und zu verstehen, darum brauche ich schlichtweg mehr Zeit.“

Leliana starrte ihn einen Moment lang an, als würde sie ihre Optionen abwägen.

Doch sie schien zu dem Schluss zu kommen, dass sie keine Wahl hatte, und so nickte sie schließlich knapp.

„Nun gut“, erwiderte sie. „Ihr habt bis zur Abenddämmerung Zeit, um Antworten zu finden. Dann werdet Ihr mir Eure Ergebnisse mitteilen.“

Dorian nickte und sammelte die Briefe ein, um sich unverzüglich in die Bibliothek zu begeben und mit der Arbeit zu beginnen. Doch bevor er ihr den Rücken kehren konnte, ließ Lelianas Stimme ihn noch ein letztes Mal innehalten.

„Und Dorian...?“

Er sah auf.

„Packt schon mal Eure Sachen. Ihr werdet die Inquisitorin in zwei Tagen auf ihrer Reise in die Westgrate begleiten.“

 

Für die nächsten Stunden war Dorian so vertieft in seine Arbeit, dass er selbst Essen und Trinken vergaß. Erst als sich sein Magen am frühen Nachmittag lautstark zu Wort meldete, sah er von den Dokumenten auf und rieb sich erschöpft die Augen.

Nach einem kurzen Kampf mit sich selbst raffte er sämtliche Briefe und die Notizen, die er sich dazu gemacht hatte, zusammen und brachte sie in sein Zimmer, das er zur Sicherheit mit einem mechanischen und mehreren magischen Schlössern absicherte, bevor er sich in die Küche begab, um noch ein paar Reste vom Mittagessen zu ergattern. Ein paar charmante Worte und ein strategisch platziertes Lächeln später zog er sich mit einem Teller wieder in sein Zimmer zurück, um seine Arbeit fortzusetzen.

Der Teller stand noch immer unangerührt auf seinem Tisch, als er Stunden später schließlich den letzten Brief zur Seite legte und sich mit einem Seufzen zurücklehnte. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihm, dass ihm noch eine knappe Stunde bis zur Abenddämmerung blieb, und Dorian nutzte die Zeit, um endlich etwas zu essen. Während er den kalten Eintopf hinunterschlang, dachte er an Cullen, der die Festung am Morgen verlassen hatte, um die Truppen im Tal zu sichten, und der vor Sonnenuntergang nicht zurückkehren würde. Was bedeutete, dass Dorian die Gelegenheit haben würde, in Cullens eigenem Bett auf ihn zu warten – und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er sich das überraschte Gesicht des Kommandanten vorstellte.

Doch das Lächeln verschwand wieder, als er an Lelianas Worte dachte.

Eine Reise in die Westgrate würde nicht nur bedeuten, dass er Cullen über Wochen hinweg nicht sehen würde, es würde auch heißen, dass der andere ohne ihn die Nächte verbringen musste und die vollen Folgen des Lyriumentzugs zu spüren bekommen würde, ohne dass Dorians Magie sie lindern konnte.

Es war ein Gedanke, der Dorian das Herz brach und ihn zugleich mit ohnmächtiger Wut erfüllte – zu wissen, dass er helfen konnte, aber durch die Umstände nicht in der Lage dazu sein würde. Und das Schlimmste daran war, dass Cullen es schlichtweg hinnehmen würde, wie er alles kommentarlos hinnahm, was seine eigene Person betraf. Er würde Dorian bitten, sich keine Sorgen zu machen, und wenn er weg war, würde er im Stillen leiden. Wie er sein Leben lang gelitten hatte, weil er dachte, dass dies alles war, was das Leben ihm zu bieten hatte – dass dies alles war, was er verdiente.

Dorian schloss die Augen und rieb sich das Gesicht.

Vor seiner Abreise würde er mit Cullen über diese Dinge reden müssen, ob es dem anderen gefiel oder nicht.

 

„Zwei Dinge“, sagte Dorian, als er Leliana wenig später gegenüberstand. „Erstens: mein Verdacht hat sich bestätigt, dass eine direkte Korrespondenz zwischen Corypheus und einem Mitglied der Grauen Wächter – oder jemandem, der ihnen sehr nahe steht – vorliegt. Corypheus selbst wird in den Briefen nie beim Namen genannt, aber es ist offensichtlich, dass er hier gemeint ist.“

Er blickte auf seine Notizen herab.

„Zweitens: Corypheus und seine Anhänger haben Pläne für die Grauen Wächter – große Pläne. Die Briefe enthalten Informationen über Truppenstärken und Blutopfer und magische Praktiken, die so finster sind, dass sie selbst in Tevinter verpönt wären... und ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal sagen würde.“ Dorian holte tief Luft. „Ihr Vorhaben scheint die gesamte Gemeinschaft der Grauen Wächter zu betreffen, nicht nur die aus Orlais, sondern Wächter aus ganz Thedas. Was mir jedoch nicht ganz klar ist, ist, wieso in keinem der Briefe von Weisshaupt die Rede ist. Es scheint, als würde die Führung der Grauen Wächter für die Pläne von Corypheus keine Rolle spielen. Irgendetwas muss dort vor sich gehen, irgendetwas, was sie am Eingreifen hindert.“

Leliana sah ihn scharf an.

„Wird irgendwo erwähnt, welche genauen Absichten Corypheus und die Venatori mit den magischen Ritualen verfolgen und wieso sie ausgerechnet die Grauen Wächter dafür benötigten?“

Doch Dorian schüttelte nur den Kopf. „Nicht in diesen Briefen, nein. Ihre genauen Ziele müssen bereits in früheren Nachrichten besprochen werden sein, was wir hier jedoch haben, sind Ausschnitte aus späteren Unterhaltungen. Ich nehme an, Loghain hatte nicht die Gelegenheit, weitere Dokumente zu stehlen, ohne entdeckt zu werden.“

Leliana lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und legte die Fingerspitzen aneinander.

„Ich verstehe“, sagte sie schließlich. „Ein kleiner Einblick ist immer noch besser, als gar nichts.“

Sie nickte ihm zu. „Danke für Eure Mühe. Ihr habt gute Arbeit geleistet.“

Dorian neigte den Kopf, bevor er ihr seine Notizen reichte und sich mit einer kurzen Verbeugung verabschiedete.

Während er die Treppe des Turms hinabstieg, legte sich ein triumphierendes Lächeln auf sein Gesicht.

Dies war der Grund, weshalb er der Inquisition beigetreten war, dafür war er hier: um mit seinem Wissen weiterzuhelfen und Informationen zur Verfügung zu stellen, durch die die Inquisitorin und ihre Verbündeten dem Feind immer einen Schritt voraus sein würden.

So erschöpft und müde er darum auch war, er hatte sich schon lange nicht mehr so gut gefühlt.

 

Zu Dorians Überraschung brannte Licht in den Fenstern von Cullens Arbeitszimmer.

Als er eintrat, merkte er jedoch, dass es die Kerzen waren, die Cullens Sekretäre aufgestellt hatten, um ihre Arbeit in der Abwesenheit ihres Kommandanten erledigen zu können. Die beiden tauschten wortlos einen Blick, als sie Dorian sahen, bevor sie ihre Dokumente ordentlich in einer Ecke des Schreibtischs aufeinanderstapelten und sich erhoben, um den Turm zu verlassen.

Selbst Cullens Sekretäre schienen begriffen zu haben, welcher Art ihre Beziehung war, und Dorian war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Doch seine Unsicherheit hielt nicht lange an. Er trat an eines der Bücherregale heran und zog einen Band heraus, dessen Titel ihm unbekannt war, dann stieg er die Leiter zu Cullens privatem Zimmer hinauf und legte sich auf sein Bett, um in Ruhe zu lesen, während er auf den anderen Mann wartete.

Ein kühler Luftzug weckte ihn mitten in der Nacht und als Dorian schlaftrunken den Kopf hob, erkannte er, dass er mit dem Gesicht auf dem aufgeschlagenen Buch eingeschlafen war. Irgendwo neben ihm waren Schritte zu hören, und er nahm in der Dunkelheit eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr und drehte den Kopf zur Seite.

„Mmh'as?“, fragte er die Welt im Allgemeinen und erhielt als Antwort nur ein leises Lachen.

Eine Hand fuhr sanft durch seine Haare.

„Schlaf weiter“, murmelte Cullen, der neben ihm am Bett stand, bevor er damit fortfuhr, sich auszuziehen.

Wenig später neigte sich die Matratze neben Dorian, als Cullen zu ihm ins Bett stieg. Dorian zögerte kurz, doch dann rollte er sich zu dem anderen hinüber und wurde von dessen offenen Armen empfangen. Während er das Gesicht an Cullens Schulter schmiegte, stieß Dorian ein Seufzen aus. Er wollte nicht darüber nachdenken, dass er all dies bald wieder verlieren würde, nachdem er es gerade erst gefunden hatte, und dass dies ihre vorletzte gemeinsame Nacht war, bevor er für viele Wochen auf Reisen gehen würde.

Und er wollte erst recht nicht darüber nachdenken, wie abhängig er mittlerweile von dieser Nähe war.

Während Cullens Finger sacht durch seine Haare kämmten, schloss Dorian die Augen und war bald wieder eingeschlafen.



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