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Yasashikunai Mirai

Tsuzuku x Meto
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Soo, passend zum neuen Jahr gibt's jetzt auch ein neues Kapitel ^^
Koichi zu schreiben, fällt mir immer leichter. Ich weiß noch nicht genau, wo das mit ihm in dieser Geschichte hinsteuert, da muss ich mich von meinen Ideen überraschen lassen. Komplett anzeigen

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[Koichi] Act 6

Der 6. März begann für mich damit, dass ich mit leichten Kopfschmerzen aufwachte und feststellte, dass ich mich im Schlaf vollkommen in meiner Bettdecke verheddert hatte. Ich konnte mich nicht wirklich daran erinnern, etwas geträumt zu haben, doch anscheinend hatte ich eine recht unruhige Nacht hinter mir, denn wie ich einen Moment später bemerkte, lag ich falsch herum im Bett, spürte das Kopfkissen an meinen Füßen.

Seufzend wickelte ich mich umständlich aus der Decke, setzte mich auf und betrachtete einen Moment lang einfach mein pinkschwarzes Schlafzimmer, bevor ich aufstand und begann, meine Klamotten für heute rauszusuchen.
 

„Kocha, was ist eigentlich los mit dir?“, murmelte ich auf dem Weg ins Bad zu mir selbst und sah mich im Vorbeigehen im Flurspiegel an.

Oh mein Gott!

Ich starrte mein Spiegelbild ziemlich fassungslos an, denn das, was mich da anschaute, hatte weniger Ähnlichkeiten mit mir, als vielmehr mit einer Art Gespenst. Nicht nur, dass meine Haare einem Vogelnest ernste Konkurrenz machten, ich hatte außerdem dunkle Schatten um die Augen und war recht blass um die Nase.

Willens, meine Schönheit umgehend wiederherzustellen, huschte ich ins Bad, direkt unter die Dusche, und griff dann, als ich mit Duschen fertig war, tief in meine Make-up- und Styling-Trickkiste, um mich wieder in den hübschen, schlafstörungsfreien Koichi zurück zu verwandeln, als den ich mich kannte.
 

Als ich mir schließlich wieder einigermaßen gefiel und öffentlichkeitstauglich aussah, war es schon ziemlich spät und ich musste das Frühstück in meiner Wohnung ausfallen lassen. Stattdessen würde ich mir wohl am Bahnhof ein Sandwich oder dergleichen holen. Ich schnappte mir meine Handtasche, kuschelte mich in meine Jacke und verließ meine Wohnung in Richtung Bahnstation.

Im Zug hörte ich ziemlich laut Musik, um wach zu werden und in Schwung zu kommen. Es war immer noch dämmrig draußen und ich war froh, dass der Bahnhof gut ausgeleuchtet war.
 

Kaum ausgestiegen, sah ich Meto auf einer der Bänke sitzen. Er wirkte jedoch ziemlich tief in Gedanken versunken und bemerkte mich erst, als ich direkt vor ihm stand und laut „Hey!“ sagte. Er schrak ein wenig zusammen, sah auf und erkannte mich.

„… Hi, Koichi …“, sagte er leise.

„Na, bereit für deinen ersten richtigen Arbeitstag?“, fragte ich.

Meto nickte und sein Gesicht hellte sich etwas auf.
 

Wir verließen den Bahnhof in Richtung unseres von nun an gemeinsamen Arbeitsplatzes und ich versuchte, eine Unterhaltung mit ihm anzufangen, indem ich danach fragte, wie es Tsuzuku ging und ob dieser seinen Wunschjob bekommen hatte.

Meto nickte und erzählte mir, dass sie beide, um diesen Erfolg zu feiern, zusammen schwimmen gewesen waren.
 

Ich konnte mir das nur zu gut vorstellen. Und ich musste zugeben, dass mich nach meiner Recherche letztens irgendwie doch ein wenig interessierte, wie Tsuzuku sich verhielt, wenn er mit Meto allein war. Das zwischen den beiden war so innig und besonders, dass ich … nun ja, ein wenig neidisch war. Immerhin hatte ich selbst zurzeit nicht mal die Aussicht auf ein baldiges Ende meines Singledaseins.
 

„Koichi?“, riss mich Meto mit leiser Stimme aus meinen Gedanken. „Kann ich… dich was …fragen?“

„Was denn?“

Es dauerte einen Moment, bis Meto antwortete, er blickte zu Boden und schien nicht recht zu wissen, ob er diese Frage nun stellen sollte oder lieber nicht. „…Hat Tsuzuku …mal was zu dir gesagt, ob… irgendwas …mit ihm ist?“

Meto wusste es also auch nicht, genau wie ich. Wir schienen in Bezug darauf, dass Tsuzuku irgendwas mit sich herumschleppte, in derselben Lage zu sein, nicht zu wissen, was mit ihm los war.

„Na ja …“, sagte ich, „er hat mir nur gesagt, dass er nicht darüber sprechen kann. Dass er noch Zeit braucht. Dir sagt er also auch nicht mehr?“

Meto nickte wieder.
 

„Was …hat er dich… denn gebeten, nachzuschauen…?“, fragte er dann.

Erst wusste ich nicht, ob ich ihm das sagen sollte. Schließlich war es etwas gewesen, um das Tsuzuku mich im Vertrauen gebeten hatte, und vielleicht wollte er nicht, dass ich mit Meto darüber sprach. Doch andererseits … wenn es vielleicht mit dem zusammenhing, weshalb wir beide uns solche Sorgen um ihn machten, hatte sein fester Freund doch irgendwo ein Recht darauf, dass ich ihm sagte, was ich wusste.

„Ich weiß gar nicht, ob du das wissen sollst …“, sagte ich. Wir hatten inzwischen das Café erreicht und ich blieb stehen.

„Kocha, sag’s mir, bitte… Ich mach… mir Sorgen um Tsu, …und wenn du …was weißt…“

„Also gut“, erwiderte ich. „Komm mit, ich sag es dir in der Umkleide, okay?“
 

Nachdem wir dann das übliche ‚Guten Morgen‘ und so weiter mit meinen Kollegen hinter uns gebracht hatten, zu zweit in der Umkleide standen und uns umzogen, erzählte ich Meto, was ich genau für Tsuzuku recherchiert hatte und was dabei herausgekommen war.

Ich verschwieg sämtliche Namen irgendwelcher Störungen, da ich mir absolut sicher war, dass besser keiner der beiden solche unheimlichen Bezeichnungen erfuhr, und sagte wahrheitsgemäß, dass ich rein gar nichts davon hielt, Tsuzukus nächtliches Verhalten in irgendeiner Form als gestört zu deklarieren.
 

„So ähnlich… sag ich ihm… das auch immer…“, sagte Meto leise. „Aber …er scheint …da nicht auf mich …zu hören. Eigentlich weiß er… dass ich… es mag, …wenn er so …dominant ist…“

„Hat er eigentlich mal irgendwo ein Buch über psychische Störungen gelesen, oder wie kommt er darauf, sich da als krank zu bezeichnen?“, fragte ich.

Meto schüttelte den Kopf. „Hab ich …noch nie gesehen, …dass er …so ein Buch… hatte…“

„Kennst du dich überhaupt irgendwie mit so was aus, also mit psychischen Sachen?“

Wieder Kopfschütteln seitens Meto. „Gar …nicht…“

„Ich auch nicht. Na ja, ich weiß ein bisschen was, so das, was man so hört und so. Aber was Tsuzuku sich da zusammendenkt, versteh ich auch nicht.“
 

In dem Moment kam Haruma, einer meiner Kollegen, herein. „Wo bleibt ihr denn?“

„Wir hatten noch was zu besprechen“, sagte ich, sah Meto noch einmal von oben bis unten an (er trug das blaue Kleid und die Perücke, die ich letztes Jahr in meinem Lieblingsladen für ihn ausgesucht hatte), befand sein Outfit für süß und fühlte mich ein bisschen wie sein Senpai. Ich wollte mein Bestes geben, dass er sich hier wohl fühlte und gern arbeitete.

„Komm, Meto, der Chef will dich sehen“, sagte Haruma.
 

Meto wirkte unheimlich aufgeregt, als wir zum Büro unseres Chefs gingen. Verständlich, war es doch meinem Wissen nach das erste Mal, dass er sich für einen Job vorstellte. Er hatte mir erzählt, dass er seit dem Schulabschluss nichts mehr wirklich gemacht und seine Tage stattdessen im Park verbracht hatte. Grund dafür war wohl sein Problem mit dem Sprechen.

Bevor ich die Bürotür öffnete, legte ich Meto kurz die Hand auf die Schulter. „Du schaffst das schon.“

Er nickte etwas unsicher, atmete tief durch und betrat das Büro.

Ich wandte mich meiner Arbeit zu, die wieder einmal darin bestand, Kuchen aus dem Kühlraum in die Theke zu bringen und die Selbstreinigungsautomatik der Kaffeemaschinen anzuwerfen. Schon standen die ersten Mädels vor der Tür, die hier frühstücken wollten, und ich öffnete die Eingangstür, begrüßte die Gäste mit meinem üblichen Lächeln und erkannte unter ihnen auch die eine oder andere Stammbesucherin.
 

Als ich schon mitten bei der Arbeit war, kam Meto endlich von dem Gespräch zurück. Er strahlte glücklich und ich freute mich unheimlich, ihn jetzt zu meinen Kollegen zählen zu dürfen. An seinem Kleid glitzerte das mit silbrigem Glitter verzierte Namensschild mit der Katakana-Aufschrift ‚Meto‘ und er schien sehr stolz darauf zu sein.

„Na, geschafft?“, fragte ich.

Er nickte strahlend, legte dann den Kopf ein wenig schief und sah mich mit großen Augen an.

„Und jetzt sagst du nichts mehr?“

Breites Grinsen, Kopfschütteln und lautloses Lachen war die Antwort.

Die Mädchen am Tisch hinter mir machten sich gar nicht erst die Mühe, ihr begeistertes Quietschen zu unterdrücken.

„Meto-chaaaan!“, rief eine. „Einen Chai-Tee bitte!“

Er sah mich fragend an und ich ging mit ihm zur Theke, um ihm zu zeigen, wie man so einen Tee zubereitete.
 

Der Vormittag lief ziemlich gut. Ich kam zuerst zwar kaum selbst dazu, die nach mir rufenden Mädchen zu bedienen, weil ich mich heute erst einmal mehr um Meto kümmern wollte, doch mit der Zeit kam er immer besser allein zurecht und ich konnte mich wieder meiner eigenen Arbeit zuwenden.

Es machte mich ziemlich happy, zu sehen, wie er aufblühte und fast die ganze Zeit über lächelte. Wenn Meto so strahlte, dann konnte ich gut nachvollziehen, warum Tsuzuku ihn als seine Sonne bezeichnete und so sehr liebte. Für jemanden wie Tsu, der im Leben solche Dunkelheit erlebt hatte, war ein so süß lächelnder, lieber Mensch wie Meto wie geschaffen.
 

Die Mittagspause konnten wir leider nicht zusammen verbringen, da es um die Zeit eine Menge für mich zu tun gab und ich deshalb meine etwas nach hinten verschieben musste, während Meto schon gegen zwölf Uhr eine Pause machen konnte. Er wirkte ein bisschen erschöpft, was ja kein Wunder war, schließlich war er Arbeit nicht gewöhnt. Doch es schien ihm gut zu gefallen und er hatte offenbar eine Rolle gefunden, die er hier spielen konnte und mit der er auch gut ankam.
 

Am Nachmittag hatten wir dann endlich wieder eine Gelegenheit zu einer gemeinsamen Pause. Wir standen im Hinterhof an der Wand, ich rauchte und bot Meto auch eine Zigarette an. Doch er schüttelte den Kopf.

„Ich hab dich doch schon rauchen gesehen“, sagte ich.

„…Will aber …aufhören“, antwortete er. „Tsu …raucht schon… so viel…“

Ich nickte. Mir war auch schon aufgefallen, dass Tsuzuku, seit er es sich wieder leisten konnte, sehr viel rauchte, und fand es da verständlich, wenn Meto damit aufhören wollte.
 

„Sag mal …“, begann ich, „Ohne dich jetzt irgendwie ausfragen zu wollen … Aber, na ja, ich wüsste gern, wie Tsuzuku eigentlich auf die Idee kommt, seinen Anteil an eurem Intimleben als krank zu bezeichnen. Er ist doch immer lieb zu dir, oder?“

Meto sah mich überrascht an, ein leichter Rotschimmer schlich sich auf seine Wangen und er nickte mit einem kleinen Lächeln. „Ja, ist er. Ich… liebe ihn, und er mich… Deshalb versteh ich’s ja nicht. Er… scheint …zu denken, dass er …mich bedrängt. Nur …weil er mir… ein Mal wehgetan hat. Und dann …ist er auch wieder …anders, kann… kaum die Hände …von mir lassen…“

„Habt ihr seitdem noch mal … miteinander geschlafen?“

„Ja… Und es war schön, …total schön…“
 

„Du hältst mich jetzt für neugierig, oder?“, fragte ich, zugegeben ein wenig unsicher.

Meto lachte, wirkte auf einmal total selbstbewusst und sagte dann, ohne Stocken: „Alles okay, Koichi. Es tut gut, mal mit jemandem darüber zu reden.“

Ich staunte ein wenig. Der Sprachfehler ließ Meto irgendwie so schüchtern und unsicher wirken, doch das war er gar nicht. Zumindest nicht immer. Er war viel mutiger, stärker und selbstbewusster, als er auf den ersten Blick wirkte. Wo auch immer dann sein Problem mit dem Sprechen her kam.
 

„Ich würde euch einfach gern helfen, wenn ich kann und darf“, sagte ich.

„Natürlich… darfst du“ antwortete er.

Den Rest der Pause redeten wir über nicht mehr und nicht weniger als Metos Gefühle für Tsuzuku, ungefähr das, was die beiden zusammen taten, und dass Tsu sich irgendwie verändert hatte.

Mit jedem Satz stockte Meto weniger, sprach flüssiger und wirkte dadurch selbstsicherer. Ich hatte das Gefühl, dass er jetzt endlich wirklich Vertrauen zu mir gefasst hatte, und war mir im Klaren darüber, dass es etwas Besonderes war, wenn er so einfach mit mir sprach. Schließlich wusste ich, dass er lange Zeit nur mit Tsuzuku so flüssig hatte sprechen können.
 

Als wir zurückgingen und uns wieder unserer Arbeit zuwandten, hatte ich das Gefühl, mich mit Meto richtig angefreundet und ihm auch ein wenig geholfen zu haben.

Der weitere Nachmittag verlief ähnlich gut wie der Vormittag und als Meto und ich abends zusammen zum Bahnhof gingen, fragte ich mich, ob Tsuzukus erster Arbeitstag ähnlich gut gelaufen war. Ich hoffte es sehr, denn so, wie er im Moment drauf war, konnte er beruflichen Misserfolg ganz sicher nicht gebrauchen. Ich spürte, dass seine allgemeine Stimmung wieder auf recht unsicherem Boden stand, und etwas in mir erwartete schon, dass es in nächster Zeit schwer mit ihm werden würde.

„Meto?“, fragte ich den Jungen neben mir deshalb, „Kannst du Tsuzuku sagen, er soll mich heute Abend noch mal anrufen?“

„Ja, klar. Kann er ja jetzt. Ich sag’s ihm.“
 

Der Zug in meine Gegend kam früher als der, den Meto nehmen musste, und so ließ ich ihn kurz darauf auf dem Bahnsteig zurück und fuhr nach Hause. Schon in der Bahn hatte ich ein etwas seltsames, irgendwie nicht sehr gutes Gefühl, und als ich ausstieg und in Richtung meines Zuhauses lief, wurde dieses Gefühl immer stärker, bis ich, als ich die Tür aufschloss und die Treppe rauf ging, merkte, dass meine Hände zitterten.

Auf einmal wurde mir seltsam klar, dass ich allein lebte, meine Eltern weit weg waren und ich im Gegensatz zu Meto niemanden hatte, der mich abends empfing, in den Arm nahm und mit mir das Bett teilte. Jetzt am ganzen Körper zitternd, suchte ich meinen Wohnungsschlüssel raus, er fiel zu Boden, ich hob ihn auf, versuchte, die Tür aufzuschließen und traf das Schloss erst beim dritten Versuch.
 

Ich zerrte mir die Schuhe von den Füßen, zog meine Jacke aus und lief automatisch ins Wohnzimmer zum Kotatsu, den ich einschaltete und mir dann Tee machen wollte. Beruhigungstee, damit ich mich wieder einkriegte und darüber nachdenken konnte, was denn eigentlich mit mir los war.

Fast wäre mir die Tasse auch noch runtergefallen, ich hielt sie geradeso fest und ein bisschen Tee schwappte heraus, landete auf dem Küchenfußboden. Leise fluchend, stellte ich die Tasse ab und wischte den Fleck mit einem nassen Lappen auf, dann nahm ich mir den Tee und ging ins Wohnzimmer, setzte mich an den Kotatsu und wartete.
 

Was war denn nur mit mir los? Warum machte es mir auf einmal etwas aus, dass ich eben allein lebte, Single war und im Moment auch keine Aussicht auf eine Freundin hatte? Bisher hatte ich damit doch ganz gut gelebt. Ich war sogar ein bisschen stolz darauf gewesen, dass ich mein Leben so gut allein hinbekam und dadurch Kapazitäten frei hatte, anderen Menschen zu helfen, denen es nicht so gut ging wie mir. Menschen wie Tsuzuku, der ja wirklich litt und Dinge erlebt hatte, die nicht wieder gut zu machen waren. Ihm wollte ich, so gut es eben ging, helfen, und da konnte ich es nicht gebrauchen, dass es mir auf einmal auch schlecht ging, wo ich doch eigentlich gar keinen Grund dazu hatte.
 

In dem Moment hörte ich mein Handy im Flur klingeln. Gerade hatte ich an Tsu gedacht und jetzt war es sicher er, der mich anrief, weil ich ihn über Meto darum gebeten hatte.

Ich fischte mein Handy aus meiner Handtasche und hob mit einem leisen „Ja?“ ab und ging ins Wohnzimmer zurück.

„Koichi?“, hörte ich Tsuzuku am anderen Ende der Leitung fragen.

„Japp“, erwiderte ich, versuchend, fröhlich zu klingen.

„Du wolltest, dass ich dich anrufe?“

„Ja. Du hattest doch heute deinen ersten Tag in dem Tattoo-Studio und da wollte ich fragen, ob alles gut gelaufen ist.“
 

Eine kurze Stille folgte, ich hörte ein paar Geräusche im Hintergrund, so als ob er von einem Raum in einen anderen ging, dann antwortete er: „Ja, alles gut.“ Und dann: „Na ja … so ganz nicht. Ich hab irgendwie so eine seltsame Angst vor den Leuten. Dass sie schlecht von mir denken, verstehst du?“

„Wieso sollten sie das?“

„Ich komm von der Straße. Und wie ich aussehe …“

„Dein Aussehen wird in einem Tattoo-Studio wohl das geringste Problem sein“, sagte ich. „Und dass du mal auf der Straße gelebt hast, müssen ja nicht alle wissen.“

„Sie wissen es aber. Weil ich es erzählt habe.“

„Warum erzählst du das denn, wenn du doch Angst hast, dass die Leute dich dafür verurteilen?“

Stille. Dann: „Ich weiß es nicht. Ich hab‘s einfach so erzählt.“

Der Tonfall, in dem Tsuzuku das alles sagte, gefiel mir irgendwie nicht. Es war derselbe Tonfall, in dem er mich um die Recherche zu seinem Bettverhalten gebeten hatte. Er klang leicht ironisch, jedoch nicht so wie sonst, und hatte eine deutliche Spur von Aggression gegen sich selbst.
 

Ich schwieg einen Moment, wusste erst nicht, was ich erwidern sollte, und dann sagte Tsuzuku ganz leise: „Koichi, ich hab Angst. Ich hätte da heute einmal fast gebrochen. Ich will davon weg, aber ich merke, wie es mich einholt. Es kommt immer näher …“ Jetzt klang er wirklich nicht mehr gut. Fast schon panisch. Und ich spürte, dass er nah dran war an dem, was er vor Meto und mir verschwieg. Ganz nah.

„Hast du da mal mit der Psychologin vom Tempel darüber gesprochen?“, fragte ich.

„Nein.“

„Warum denn nicht?“

„Weil ich … Ich kann nicht darüber reden. Die Psychologin würde doch sofort merken, dass ich …“

„Dass du was?“

Dieses Gespräch ging eindeutig in eine sehr gefährliche Richtung. Ich war in diesem Moment nicht wirklich in der Lage, Tsuzuku zu helfen, da ich innerlich immer noch mit meinem plötzlichen eigenen Problem zu kämpfen hatte. Doch er schien auf einmal beinahe gewillt, endlich zu sagen, was mit ihm los war, und da durfte ich ihn doch jetzt nicht abblocken, oder?

„Tsu…“, begann ich, doch da hörte ich ein Klicken in der Leitung und dann dieses nervenzerreißende Tuten, das Zeichen, dass er aufgelegt hatte. Ich starrte das Handy in meiner Hand ein paar Momente lang an, dann sprang ich auf, trank den letzten Rest Tee aus und lief in den Flur, zog meine Jacke und meine Schuhe an, lief aus der Wohnung und in Richtung Bahnstation.
 

Ich rannte, so schnell ich konnte, die kalte, nächtliche Märzluft brannte in meinen Lungen und als ich keuchend den kleinen Bahnhof erreichte, fuhr gerade die Bahn ein, für das Viertel, in dem Tsuzuku und Meto lebten. Ich stieg ein, die Bahn war so voll, dass ich stehen musste, und erst jetzt spürte ich richtig, dass ich Angst um Tsuzuku hatte. Ich hatte Angst, dass er rückfällig wurde, dass er erbrach und sich verletzte, was ich zwar zum Glück noch nie direkt mitbekommen hatte, aber eben wusste, dass er das schon oft getan hatte.
 

Als die Bahn hielt, stieg ich aus und lief schnell weiter, und mit jedem meiner Schritte nahm meine Sorge weiter zu. Wenn Tsuzuku nicht so einfach aufgelegt hätte, wäre ich jetzt vielleicht nicht ganz so besorgt gewesen, aber so machte ich mir furchtbare Gedanken. Auch, wenn Meto ja sicher bei ihm war.

Ich erreichte das Haus, sah in einem Fenster im zweiten Stock Licht brennen und klingelte Sturm bei dem Schildchen mit der Aufschrift ‚Aoba & Asakawa‘. Es dauerte für mein Gefühl viel zu lange, bis der Türöffner summte, ich die Tür aufdrückte und durchs Treppenhaus nach oben rannte.
 

Völlig außer Atem kam ich an der Wohnungstür an, musste mich erst wieder ein wenig fangen und klingelte dann wieder Sturm. Ein paar Sekunden, Schritte, dann öffnete Meto die Tür. Und er sah ziemlich genau so besorgt aus, wie ich mich fühlte.

„Koichi …“, sagte er leise. „Was …?“

„Wo ist Tsuzuku?“, fragte ich, immer noch keuchend davon, dass ich die Treppen raufgerannt war.

Meto sah mich traurig und ängstlich an und sagte dann: „Im Bad. Er … hat sich eingeschlossen.“

Ich schob Meto zur Seite, rannte zur Badezimmertür und rüttelte an der Klinke. Abgeschlossen.

„Tsu, ich bin‘s, Koichi! Mach auf!“, schrie ich.

Er antwortete nicht, aber ich hörte ihn schluchzen. In meinem Kopf lief unser Telefongespräch wie ein Tonband ab, immer wieder, das, was er gesagt hatte. Er war so nah dran gewesen, mir zu sagen, was mit ihm los war, und wahrscheinlich hatte das irgendwas in ihm hochgeholt.
 

Meto stand hinter mir und sagte leise: „Es ging ihm schon nicht gut, als ich nach Hause kam. Ich … weiß nicht, was mit ihm los ist …“

„Tsuzuku, hör mir zu!“, rief ich gegen die verschlossene Tür. „Entweder du machst jetzt auf und sagst uns verdammt nochmal endlich, was mit dir los ist, oder ich breche die Tür auf!“

Er antwortete nicht, schluchzte immer noch.

„Meto, hast du mitbekommen, ob er … gebrochen hat?“, fragte ich leise.

Meto schüttelte den Kopf. „Ich glaube, nicht.“

Ich hörte ein leises Geräusch von der anderen Seite der Tür, dann leise Schritte und schließlich Tsuzukus tränenerstickte Stimme: „Ihr … macht euch jetzt Sorgen, oder?“

„Natürlich!“, rief Meto, schob mich zur Seite und rüttelte an der Türklinke. „Tsu, bitte, mach auf!“
 

Es dauerte wieder einen Moment, dann klackte das Schloss, der Schlüssel wurde umgedreht und die Tür einen Spalt breit geöffnet. Ich stellte sofort meinen Fuß in die Tür, aber das war gar nicht notwendig, denn Tsu machte keine Anstalten, sie wieder zuzumachen. Er stand einfach nur da, mit rotgeweinten Augen, Tränen auf den Wangen, leicht zerzausten Haaren, zerkratzten Händen, die Unterlippe blutig gebissen, und wirkte wieder so traurig und hilflos, wie ich ihn damals kennen gelernt hatte.

Ich blickte auf seinen rechten Arm, wo ja zwischen den Tattoos noch ein wenig Platz war, doch ich konnte zum Glück keine tiefen Kratzer oder gar Schnitte erkennen. Gut, er war wenigstens nicht so schlimm rückfällig geworden. Was aber nichts daran änderte, dass ich mir unheimlich große Sorgen um ihn machte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war das Koichi-Kapitel mit viel Meto und 'nem Cliffhanger am Ende.

Fürs nächste Kapitel empfehle ich dieses Mal wirklich Taschentücher. Es ist schon in Arbeit und ich hab beim Schreiben schon selber welche gebraucht.

Bis dann, meine Lieben ^^
glG
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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: daietto_usagi
2016-01-07T23:02:48+00:00 08.01.2016 00:02
Vorwort: Eeeeeeeendlich kann ich das Koichi-Kapitel lesen.
Hab mir eben gedacht: "Boahr ist die langweilig. Hab ich nichts, was ich jetzt noch machen kann?" Und dann ist mir eingefallen, das hier doch noch eine super Kapitel auf mich wartet. *_* Bin so gespannt, Koichiiiii~ >//u//< Okay, ich muss mich beruhigen und einfach anfangen. Und los gehts~

*keine Minute später nach Beginn des Lesens*
XD Hahahhaha "schlafstörungsfreien Koichi ", wie geil. Ja das kann ich mir so gut vorstellen,
das Koichi sich selbst erstmal argwöhnisch im Spiegel ansieht und sich selbst fragt, wer das denn bitteschön ist. Den Blick kann ich mir bei der Beschreibung echt gut vorstellen. Klar, das das ein Koichi nicht lange so lassen kann und sich wieder hübsch machen muss. <3 Aber ich glaube selbst mit Vogelnest sieht er sicher dennoch sweet aus. XD >u<

Ach gott, der Moment, wo Meto stolz mit seinem Namensschild kam. <3 So süß.
Also wird Meto jetzt ein schweigender Kellner. Das hat was. Gott, ich will dahin. >u< Will in das Cafe!!!
Ich wäre auch Stammkundin. XD Auf jeden Fall.

Die nächste Sequenz, als Koichi allein nach Hause ging... q.q ...da blutet mein Herz wieder.
Aber ganz ehrlich. Die Sätze, wo Koichi dachte: "....der mich abends empfing, in den Arm nahm und mit mir das Bett teilte." ...da musste ich so schlucken. Das ist fast 1:1 genau das was ich mir auch öfters gedacht habe. Erst vor kurzen bekam ich plötzlich so eine Unruhe, als ich abends allein über den Parkplatz nach der Arbeit lief und in die Ferne sah. Wie sehr wünschte man, man würde von einer geliebten Person abgeholt werden. Umarmt werden. Man sofort jemand haben, wo man sich sicher und geliebt fühlt. Wo man einfach weiß.... "Hey... da hat jemand auf mich gewartet. Drauf gewartet, das ich von der Arbeit komme und mich endlich sehen kann." Boahr das Gefühl raubt mit grad schon wieder ein wenig die Luft und schnürt meinen Hals erneut zu. Also ich kann Koichi da echt gut verstehen, wenn es das so fühlt und denkt. Das ist die Sehnsucht, die einen mit den Jahren Misserfolg in dem Bereich einen irgendwann echt zerreißt. Ich warte nur auf den Moment, wo meine Seele diese Sehnsucht nicht mehr aushalten kann. Irgendwann kommt der Tag und davor hab ich etwas Angst. Dieses mikroskopische Ding namens "Hoffung" das es vor dem Zerreißen Rettung gibt...naja...das Ding... ist halt....mikroskopisch...gleicht nichtmal einen Staubkorn..

Das Telefonat ist glaub ich ein solcher Punkt kurz vorm Zerreißen bei Tsuzuku gewesen.
Er hat einfach aufgelegt, weil er nicht weiter wusste und der Druck in ihm, niemand über seine Gedanken und Ängste sprechen zu können, brachte ihn an so einen Punkt. Koichi's Reaktion ist die selbe, wie ich sie hatte , als ich auch einmal so eine ähnliche Situation mit jemand hatte. Wenn man plötzlich Panik bekommt und man losrennt und zu der Person will, weil man Angst hat, der diese Person sich gleich was antut.... das ist grauenvoll und wünsch ich niemand. Koichi war in der Situation und gott sei Dank hat Tsuzuku die Tür doch noch geöffnet. Darum bin ich sehr gespannt wie es weiter geht.
Antwort von: Harulein
08.01.2016 07:49
Yaaay! *o* Ein Review wie ein Geburtstagsgeschenk! *ganz dolle freu*

Der Vorschlag, dass Meto in so einem Café arbeiten soll, ist mir schon vor längerer Zeit gemacht worden, und jetzt konnte ich das endlich umsetzen. Ich will da auch hin, weil wegen Kocha süß und Meto cute und jaa~ *-*

Naah, Usagilein ... Q.Q *dich vorsichtig umarm* Oh man, das ist eigentlich echt nicht meine Art und Absicht, Leute so traurig zu machen und so, aber irgendwie scheine ich ja so zu schreiben ...

Tsuzuku war halt kurz davor, zu sagen, was eigentlich mit ihm los ist, was er da mit sich rumschleppt. Und ... na ja, das nächste Kapitel wird ja wieder aus seiner Sicht und ... nya, jetzt spoiler ich mal nicht.

Vielen Dank fürs Revi ^^
ganz liebe Grüße
Haru


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