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My Dear Brother

The Vampires
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
VORSICHT und TRIGGER WARNUNG
Dieses Kapitel ist ein Bonus Kapitel und gehört nicht zur weiterlaufenden Story! Willst du nach dem Prolog weiterlesen, klicke bitte zum nächsten Kapitel!


Ein Bonus Kapitel - als Dankeschön für knapp 100 Favoriten!! Vielen herzlichen Dank an alle meine lieben Leser und Kommentarschreiber, die mit Hiro und Yoshi mitgefiebert haben!!

TRIGGER WARNUNG: In diesem Bonus wird über Depression gesprochen. Darunter auch selbstverletzendes Verhalten und Persönlichkeitsstörungen. Bitte nicht lesen, wenn solche Themen triggern oder schlechte Gefühle auslösen!

Es wird aus der Sicht von Kiyoshi geschrieben, das wird aber sehr deutlich. Zudem wird hier noch einmal auf das Tier in Kiyoshi eingegangen. Der Bonus spielt vor und während der ersten zwei Kapitel. Wer also ein bisschen vergleichen will, kann sich vorher gerne die ersten zwei Kapitel noch einmal durchlesen... ;-)

Viel Spaß beim Lesen!! Und noch einmal vielen herzlichen Dank an alle!!
ヽ(〃v〃)ノ





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Das Tier - BONUS

»Hiroshi wird uns bald besuchen kommen. Treffe Vorbereitungen«, hallte es in meinem Kopf wider und die Stimmung nahm schlagartig eine Wendung.

»Hiro.... shi?«

Vater nickte, schwenkte sein Glas Blut und nippte kurz daran. Sein Blick galt dem Kamin, in dessen die Flammen loderten und das sonst dunkle Wohnzimmer in ein rotes Licht tunkten.

»Dir ist bewusst, dass er nichts von dir weiß. Ich überlege noch, wie ich euch dann vorstellen werde. Aber versuch es nicht ... auf deine Art, verstehst du, Kiyoshi? Keine düsteren Bemerkungen. Auch keine Sarkastischen oder Ausfälligen.«

Ich nickte nur stumm, sah auf den Boden. Völlig unangenehm berührt stand ich im großen Türrahmen, der das Wohnzimmer vom Esszimmer trennte. Mamoru saß Zeitung lesend am Esstisch und wartete indirekt auf weitere Anordnungen meines Vaters.

Schließlich hörte ich ein Seufzen vom Kamin. Der Blick galt nun meiner schmächtigen Erscheinung.

»Bitte, Kiyoshi... Ich bin am Ende meines Lateins. Du möchtest nicht meine Hilfe, du möchtest nicht die Hilfe eines Therapeuten... Du möchtest wohl in dieser Badewanne voller Selbstmitleid sitzen, hm?«

Seine Worte stachen in meiner Brust wie tausend Messerstiche. Es war, als würde da noch etwas in mir leben. Etwas, was sich nur vage an einer Klippe entlang hangelte und drohte abzustürzen. Jeden Augenblick.

Vaters Augen durchbohrten mich, schließlich stand er auf. Der Blick wurde schlagartig sanft und suchte keinen Schuldigen mehr, sondern eine Antwort.

Ich wich einen Schritt zurück.

»Ich möchte, dass es dir gut geht. Das ist der Grund, wieso ich Hiroshi hole. Vielleicht kann er dir helfen. Er ist immerhin dein Zwilling.«

Meine Augenbrauen zogen sich zusammen.

»... Bullshit.« Zittrig und noch immer nicht über die Tatsache hinweg, dass ich meinen Bruder kennen lernen sollte, zog ich die Arme vor meine Brust; die leichten Rötungen unter dem Hemd verbergend.

»Wie soll mir ein Mensch helfen? Schwach und so zerbrechlich? Er sollte nicht kommen ...«

Geräuschvoll stellte mein Vater das Glas auf den kleinen Tisch ab und setzte sich wieder schwungvoll in den großen Samtsessel.

»Mach, was du willst, Kiyoshi. Ich habe keine Ahnung, was ich noch tun soll. Du kannst mich noch so sehr für die Verwandlung hassen, es ist aber nun mal geschehen. Deine Mutter und ich wollten dich nicht sterben lassen.«

»Ihr hättet es lieber lassen sollen ... Dann wäre jeder glücklicher geworden.«

Manchmal stieg es einfach in mir hoch. Diese Wut über mich selbst. Über meinen Vater. Und vielleicht auch ein bisschen über Hiroshi, den ich nicht mal kannte.

»Kiyoshi, bitte. Sprich nicht so über sie ... Sie ist eine wundervolle Mutter und-«

»Wieso hat sie mich dann verstoßen?!«, platzte es aus mir raus.

Es endete immer gleich. Jede Diskussion mit ihm. Am Ende ging es immer um Mutter und Hiroshi. Wieso ich hier mein Dasein fristen musste, in diesem dunklen Haus voller Trauer und verlorenen Erinnerungen, während Hiroshi mit Mutter im Süden sich die Sonne auf den Bauch scheinen ließen.

»Sie hat dich nicht verstoßen, wie oft soll ich es dir noch sagen? Seit so vielen Jahren erkläre ich dir, dass das eine gemeinsame Entscheidung war, euch zu trennen!«

Gereizt drehte ich den Kopf weg. Doch Vater ließ mich nicht zu Wort kommen; fuhr mit einer gereizten und doch leisen Stimme fort:

»Ihr beide wart nun mal Menschen... Und du bist gestorben... Kein Elternteil möchte sein Kind sterben sehen. Es war nun mal die einzige Möglichkeit, dich zu retten. Mach mir deswegen keinen Vorwurf, dass ich dich in ein ewiges Leben geholt habe, um den Tod zu umgehen.« Seine Augen fixierten das Glas, welches er langsam wieder in die Hand nahm und somit seine Ausgangsstellung wieder einnahm. »Dass ein Vampir-Kind nicht unter Menschen leben kann, ist dir doch klar. Du bist ein schlauer Junge. Also musstest du hierher. ... Und erfülle ich dir nicht jeden Wunsch, den du hast?«

Ich öffnete meinen Mund, wollte das sagen, was ich immer darauf sagte, doch er fiel mir abermals ins Wort.

»Nein, ich kann dich nicht zu einem Menschen machen, Kiyoshi. Und selbst, wenn ich es könnte, würde es deinen angeborenen Herzfehler mit Sicherheit nur wieder aufleben lassen. Finde dich damit ab, dass du ein Wesen bist, für dessen Existenz andere morden würden. Viele Menschen wollen wie wir sein. Aber du bist es.«

...

Wie kann man nur so sein wollen? Ein Tier? Ein lustgetriebenes Stück Fleisch, welches von Blut anderer lebt?

»Versuch positiv zu denken.«

Ich hasste diesen Satz. Ich hasste ihn so sehr.

Mit zusammengepressten Lippen, ließ ich die Hände gen Boden fallen und sah mit unterdrückter Wut zu meinem Vater.

»War's das? ... Kann ich gehen?«

Für einen Moment schien er zu überlegen und nickte schließlich, schwenkte das Glas in meine Richtung und seufzte leise. »Ja, Kiyoshi. Bitte denk dran noch etwas zu trinken, bevor du schlafen gehst.«

Ja, sicher. Damit ich nicht wieder Amok laufe.

Mit einer 180 Grad Wendung stampfte ich die Treppe hoch und verschwand sofort in meinem Zimmer. Nicht mal abschließen konnte ich. Der Schlüssel wurde mir nach einem misslungenen Versuch genommen.

 

Ich klappte den Laptop auf und schaltete ihn an. In der Zeit, in der er hochfuhr, starrte ich in die Schwärze hinter meinem Fenster.

Hiroshi soll mir helfen? In welchem Universum soll das geschehen? Er ist ein Mensch, er kennt mich nicht, ja, er weiß ja nicht mal um meine Existenz bescheid.

Mutter wollte wohl nichts mehr mit uns zu tun haben, nachdem sie Hiroshi als ihren einzigen Sohn anerkannte.

Ich frage mich, wieso Mutter einwilligte, ihren einzigen Sohn in ein Nest voller Vampire zu schicken. Meine Vermutung lag darin, dass Vater geplaudert hatte. Wie es um mich stand. Dass er Mutter überzeugen konnte, dass sie ihn hierher schicken würde.

Nach all den Jahren liebten sie sich ja doch noch. Wie Vater häufig abwesend im Studio saß und sich die alten Bilder von ihr ansah. Völlig neben der Spur blendete er alles aus und erinnerte sich an die Zeit, in der sie noch hier wohnte.

Aber so groß konnte die Liebe nicht gewesen sein, wenn sie weder selber ein Vampir werden, noch ihren zweiten Sohn haben wollte. Geschweige denn weiterhin hier wohnen wollte, sondern das Weite im Süden suchte.

 

Mein Laptop war mittlerweile hochgefahren, sodass ich ins Internet gehen konnte. Die paar Hausaufgaben aus unserem Lernportal der Schule löschte ich sofort und beschloss sie nicht zu machen.

Stattdessen suchte ich nach ihm. Gab seinen Namen in eine Suchmaschine ein und sah sofort sein Gesicht. Nein, mein Gesicht.

Nur in glücklich.

Er lachte, im Hintergrund einige andere Menschen. Es sah wie ein Mannschaftsfoto aus. Vom Sport oder von irgendetwas anderem. Der Link wurde mir versperrt, sodass ich keinen Zugriff auf den Inhalt der Seite hatte.

Schlussendlich kam ich auf seine Facebook-Seite. Auch hier konnte ich mir nicht alles anschauen, da ich selber kein Facebook besaß und auch nicht mit ihm "befreundet" war.

Etwas lustlos klickte ich in seiner Chronik rum und sah mir einige Bilder an.

»Hiroshi ... «, flüsterte ich seinen Namen und blieb bei einem alten Profilfoto stehen. Seine Haaren waren länger und er sah jünger aus, doch genau in dieser Perspektive sah er mir wie aus dem Gesicht geschnitten aus. Mit den Haaren, den Augen, den Lippen. Doch wie immer am Grinsen. Es gab kein Bild, wo er nicht Lächelte.

Es stimmte mich traurig und ich klappte enttäuscht den Bildschirm runter.

 

»Wie immer tut es weh über ihn nachzudenken... «

Vorsichtig schob ich die Ärmel von meinem Hemd hoch und strich über die bereits verheilten Stellen. Vielleicht war das etwas Gutes. Die Haut blieb immer glatt. Egal, was ich tat. Selbst wenn ich den Knochen freilegte. Es wuchs wieder zusammen. Und hinterließ nicht mal eine Narbe.

Schnell zog ich den Ärmel wieder über die Handgelenke und schlurfte ins Bett, da klopfte es kurz an der Tür.

»Ja?«

Die Tür öffnete sich leise und Mamoru trat einen Schritt hinein.

»Der junge Herr Kiyoshi sollte noch ein bisschen trinken. Ich habe Ihnen ein Glas gebracht.« Mit den Worten trat er ein Stückchen mehr in den Raum und stellte das Glas am Schreibtisch ab. Nickend bedankte ich mich, vermied aber den Augenkontakt.

»Junger Herr. Ich weiß, wie schwer es Ihnen zurzeit mit Ihrem Vater ist. Aber bitte haben Sie weiterhin den Blick nach vorne gerichtet. Ich bin mir sicher, dass, wenn der andere junge Herr hier ist, sich die Dinge ändern werden.«

Mit einem müden Lächeln nickte ich abermals. »Danke, Mamoru. Das denke ich auch. Er wird sicherlich aus allen Wolken fallen, wenn er mich sieht. Einen Zwilling zu haben ist ja schon selten genug. Wenn er dann auch noch ein Vam-«

»Sie wissen, dass Ihr Vater angeordnet hat, dass der junge Herr Hiroshi nichts von diesem Belangen erfahren sollte«, fiel mir Mamoru höflich, aber bestimmend ins Wort.

Wieso musste mich denn jeder immer unterbrechen? Ich legte eh schon wenig Wortwahl an den Tag. Am besten schwieg ich gleich.

»... Ich weiß«, knurrte ich dann mit dem Lächeln aus meinem Gesicht verschwindend. »Obwohl ich der Meinung bin, dass er ruhig seinen Ursprung wissen darf. Nur, weil Ai das nicht will ... Vielleicht findet er es ja cool.«

Mamoru seufzte nur leise und sah mich erziehend an. »Junger Herr Kiyoshi... Bitte hören Sie einmal auf das, was Ihr Vater sagt. Er wird seinen Grund haben.«

»Ja-ha.«

Damit beendete ich das Gespräch und stand noch einmal auf, warf aus dem silberfarbenen Döschen eine Pille ins Glas und schwank es solange, bis sich die Flüssigkeit rot verfärbte. Mit dieser Bewegung verschwand auch Mamoru wie ein Geist aus meinem Zimmer und hinterließ eine weitere unheilvolle Stimmung. Normalerweise war Mamoru derjenige, der mir immer zusprach. Der mir wenigstens ein bisschen Mut machte, dass die Ewigkeit nichts ist, vor der man sich fürchten müsste. Dass man zwar in der Dunkelheit lebt, aber sie mit Licht füllen kann, wenn man nur will. Aber dieser Wille fehlte mir. Was sollte schon so hell sein, dass es das tote Herz eines Depressiven erhellt...

Ich schmunzelte über mich selber und trank zügig das synthetische Blut, bevor ich zurück ins Bett fiel und die Augen schloss.

 

In dieser Nacht schlief ich ausgesprochen ruhig. Ich träumte von Hiroshi. Wie er bei mir war. Und obwohl sein Gesicht nur Schemenhaft zu erkennen war, spürte ich seine Wärme. Und einen Herzschlag.

Es fühlte sich so echt an, dass ich mir instinktiv an die Brust fasste und davon aufwachte. Es wirkte für einen Moment so, als hätte ich seinen Herzschlag gehört.

 

 

Die Tage verflogen wie im Nu. Meine Nervosität breitete sich exponential aus und fraß regelrecht mein Denkvermögen. Immer wieder schaute ich mir die gleichen Facebook-Bilder an und analysierte sein Gesicht. Wie sich wohl seine Stimme anhören würde? Was für eine Hautfarbe er in Wirklichkeit hat? Ob er tattowiert ist? Ob er Rechtshänder oder Linkshänder ist?

Ich suchte für alle Fragen eine Antwort und konnte nur wenige beantworten. Wie zum Beispiel die Lieblingsfarbe und was er für Unterwäsche trug. Denn die Hose hing ihm teilweise in den Kniekehlen, sodass man freie Sicht auf seinen Hintern hatte. Wieso man so etwas auf Facebook stellte, war mir unbegreiflich.

Immer wieder klickte ich auf die Bilder. Andere Menschen waren zu sehen, mal sogar eine Frau, die ihn küsste. Das Bild war jedoch 2 Jahre alt. Ob er noch mit der Frau zusammen ist? Ob sie überhaupt ein Paar waren?

Er schien ein immer-froher Junge zu sein, der viele Freunde hatte und genauso viel Unsinn im Kopf.

Wo ich die Bilder zuerst mit Unwohlsein betrachtet hatte, schob sich Neugierde vor und ließ mich regelrecht auf seine Ankunft hinfiebern.

 

Der Tag bevor er kam, wurde mir schlecht. Die Neugierde und das Verlangen, ihn kennen zu lernen, schlug in regelrechte Übelkeit um und ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Wie in Trance lag ich auf meinem Bett und starrte auf dem Fenster. In meiner Verzweiflung und meiner Wut über mich selber, dass mich mein eigener Bruder so aus der Fassung bringen konnte, obwohl er nicht mal anwesend war, hatte ich mich erneut geschnitten. Das Blut lief an meinem Arm entlang und bahnte sich den Weg unter mein Hemd. Wieso war ich so schwach? Wieso ließ mich ein Gedanke so zittern?

Was, wenn er mich nicht mögen würde? Was, wenn er sich sogar vor mir ekeln würde? Er würde mit Sicherheit spüren, dass ich anders war. Vielleicht würde ich mich nicht beherrschen können? Und ihn anfallen?

 

Sofort wurde mir noch schlechter. Der Gedanke, wie ich diesen Hals beißen und sein Blut trinken könnte... Das lebendige Blut, das menschliche Blut, was im Grunde wie meins wäre.

Unbewusst leckte ich über meine Lippen und seufzte sehnsüchtig, hielt mir den blutenden Arm und presste auf die Wunden.

»Ich weiß nicht, ob ich es ertragen würde, dich zu sehen... Hiroshi... «

 

Wirklich, ich war mir nicht mehr sicher. Zuerst wollte ich ihn nicht hier haben, dann sofort, jetzt wieder nicht. Diese Launen, sie kamen und gingen. Ich wusste nicht wieso. Wahrscheinlich, weil man mich mit meinen Gedanken allein ließ.

Vorsichtig richtete ich mich auf und starrte in den regnerischen Tag. Ich hatte wieder einmal Schule geschwänzt, weil ich die Nacht nicht gut geschlafen hatte. Wie hatten zunehmenden Mond... Ein wirklich unpassender Zufall, dass ausgerechnet Hiroshi kommen sollte. Vater versicherte mir, dass er Hiroshi darum beten wird, abzuschließen.

Doch ich war mir sicher, dass er das irgendwann nicht mehr tun würde. Aus Spaß. Aus grundloser Freude daran zu erfahren, was dann passieren würde. Das schloss ich allein aus den Bildern, wo er einfach mal so aus dem zweiten Stock seines Schulgebäudes gesprungen war. Adrenalin-Junkie.

Ich hörte Vater reden. Dann Mamoru. Sie richteten sein Zimmer her. Es sollte das letzte im Gang sein.

Schwermütig schluckte ich und kuschelte mich in eine Decke. Morgen war es soweit. Und ich fühlte mich so schlecht. So furchtbar schlecht.

Vater bat mich, nicht so zu sein, wie ich war.

Aber das konnte ich nicht.

 

 

 

»Villa.«

 

Da war sie. Die Stimme.

Schweigend saß ich am Fensterbrett; hatte das Auto schon von weitem kommen sehen. Kerzengrade verfolgte ich sie mit meinem Blick und wartete die Sekunden ab, die sie von der Tiefgarage ins Haus brauchten.

Er verbesserte meinen Vater. Er ließ sich nicht mit dem Koffer helfen. Wie ich mir bereits dachte: Ein einfacher Junge aus einfachen Verhältnissen, der weder Anstand noch Bildung kannte.

Wieso war ich so verbittert? Dabei habe ich mich so auf ihn gefreut ... Doch jetzt, wo er da war, breitete sich das mulmige Gefühl in mir aus.

Jetzt ... wo er mir so nah war... hatte ich ein unfassbares Verlangen ihn bei mir zu haben. Aber ich wusste, dass das nicht ginge und dass ich die Erlaubnis nicht hatte. Ich musste das liebe Brüderchen vom Lande spielen, das wegen einer Krankheit damals von ihm getrennt wurde und seither geheimnisvoll in dieser Villa lebte.

 

Als seine Schritte kurz an meiner Tür vorbeigingen, hielt ich den Atmen an. Schwere Schritte. Große Schritte.

Und ein leichter Geruch von herbem Parfüm. Darunter eine Note von Rauch. Ob er rauchte? Oder Mutter? Oder ob einer seiner Freunde rauchte?

Meine Neugierde kannte keine Grenzen. Leise lauschte ich weiter, hörte nur dumpfe Geräusche. Vater hatte die Tür geschlossen.

 

Ich atmete durch und öffnete mein Fenster. Mit einem Schritt stieg ich auf den Mauervorsprung der Verzierungen der Hausfront und hangelte mich entlang. Mit leichten, tapsigen Schritten näherte ich mich der Hausecke. Ich sah das Licht heraus scheinen.

Sein Duft wurde stärker. Seine Stimme lauter. Sie redeten über den Schlüssel. Und wie immer machte Vater ein viel zu großes Geheimnis draus.

Mit noch einem Schritt näherte ich mich seinem Fenster. Ich wollte ihn sehen. Aber ein Sprung in die Bäume wäre zu riskant gewesen.

Da hörte ich Vater gehen. Die Tür klacken. Und sein leises seufzen. Vorsichtig glitt ich mit den Fingerspitzen an sein Fenstersims. Der Drang das Fenster einfach zu öffnen und ihn zu überraschen, überkam mich schleichend.

 

»Schon irgendwie gruselig hier ... «

 

Er sah aus dem Fenster.

 

Ich spürte seinen Blick, der aus dem Fenster reichte. Ein heißer Schmerz durchfuhr meine Fingerspitzen. Sofort zog ich sie weg und bekam Angst, gesehen worden zu sein.

 

»Jetzt fang ich schon an zu spinnen. Ist wohl vom Flug.«

 

Mein Atem wurde flacher und ich hörte ihn schließlich auspacken. Er spürte es also auch.

Meine Anwesenheit.

 

Vorsichtig biss ich mir auf die Lippe, widerstand dem Drang zu ihm zu gehen und kletterte die Hauswand wieder zurück zu meinem Zimmer, in das ich sofort rein glitt und das Fenster schloss. Ein leichtes seufzen durchfuhr dann auch mich.

Ich wollte ihn sehen. Wann zur Hölle würde Vater mich denn vorstellen?! Herrgott, kann doch nicht so schwer sein!

 

Mamorus Schritte wanderten den Gang entlang. Holten Hiroshi zum Essen.

Ein weiterer enttäuschender Schlag traf mich, zu hören, dass sie erst mal essen würden. Natürlich dürfte ich nicht dabei sein. Wie gerne hätte ich ihn essen gesehen. Menschliches Essen.

Ich hatte mal einige Sachen probiert, doch alles schmeckte wie Erde... Und mir wurde schlecht. Dabei sah das Essen wirklich immer gut aus.

Trotzdem erinnerte ich mich wage an einen Geschmack. Noch nie hätte ich Schokolade gegessen haben können, doch in mir drin wusste ich: es war ein feinherber, süßlicher Geschmack von Würze, der Kakaobohne.

 

Mit den Gedanken beim Essen, bemerkte ich zu spät, dass Hiroshi wieder an mir vorbei gegangen war.

Für einen Moment spielte ich wieder Mäuschen und öffnete schließlich meine Tür, als ich Stimmen aus dem Speisesaal hörte.

Wenn Vater mich erwischen würde, wäre sowohl die Überraschung für Hiroshi verdorben, als auch die bisher eh schon schlechte Vater-Sohn-Beziehung.

 

Doch jedes Kind lernte einmal das nächtliche umherschleichen, weil es nicht schlafen wollte.

Mit leisen Schritten näherte ich mich dem Speisesaal und lauschte erneut.

»Hiroshi.«

»Ja?«

»Du möchtest sicher etwas trinken, oder?«

»Hm, ja schon. Es ist nur Wein da ... und ich bin nicht so der Wein-Fan.«

Elendiger Lügner. Du warst zwei Jahre hintereinander auf einem Weinfest und hast dir doch die Hucke vollgesoffen, schoss es mir durch den Kopf und schüttelte ihn.

»Wein? Welcher Wein?«

 

Ich schmunzelte sofort. Na, welchen Wein wird er wohl meinen, Herr Papa.

 

Aufgebracht hörte ich wie er Mamoru faltete, dass er den Wein entfernen sollte. Dann, wie Hiroshi Vater einige Dinge fragte.

 

Da zuckte ich zusammen, als ich Schritte hinter mir hörte. Mamoru war für einen Moment stehen geblieben und sah mich verwundert an. Ich deutete ihm mit meinem Zeigefinger ein Schweigen an.

Ich war gar nicht da. War brav in meinem Zimmer und wartete.

Doch Mamoru schüttelte nur den Kopf, deutete auf die Treppe hin. Ich zuckte mit den Schultern und blieb am Türrahmen stehen. Sein Zeigefinger zeigte nach oben. Und ohne ein Wort zu verlieren, wusste ich, dass er mich umgehend in mein Zimmer bat. Abermals schüttelte ich den Kopf.

Etwas gereizt ging er dann mit dem Wasserkrug durch das Wohnzimmer in den Speisesaal und stellte ihn ab.

Das Gespräch nahm weitere Wendungen, Vater log, dass sich die Balken bogen. Von wegen Mutter war verängstigt wegen der Arbeit...

Das dauerte mir alles viel zu lange. Es sollte endlich mal jemand zu mir kommen. Ich wollte ihn kennen lernen! ... ein bisschen verstören. Ein bisschen seine Grenzen ausreizen. Diesen Menschen brechen. Ihn das spüren lassen, was ich spüren muss...

 

Sofort hielt ich den Atem an. Diese Stimme in meinem Kopf, die machte mich rasend. Die von Hass zerfressene Stimme!

 

Ich sah mich um, suchte eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit subtil auf mich zu lenken. Da schlich ich erneut zum oberen Absatz der Treppe, holte tief Luft und ging in normaler Lautstärke die Treppe runter.

Er hörte mich.

Ich hörte, wie sein Sitz knarrte und er sich bewegte. Er lauschte. Er hörte mich.

Gut... Und jetzt... komm zu mir, dachte ich und wartete im Foyer ab.

 

Doch Vater ging nur bedingt drauf ein und Hiroshi gestand sich keine Schritte gehört zu haben ein.

Verdammt!

Ich suchte weiterhin nach einem Mittel der Aufmerksamkeit, doch dann hörte ich den magischen Satz:

 

»Möchtest du deinen Bruder sehen?«

 

Der Atem stockte abermals, die Lippen aufeinander gepresst und ich hörte regelrecht seinen Herzschlag. Wie er schneller wurde. Natürlich leugnete er mich erst einmal. Natürlich gab es mich gar nicht. Wieso sollte man einen Zwillingsbruder verstecken?

»Hiroshi, bitte. Gib ihm wenigstens eine Chance. Lern ihn erst mal kennen.«

Ja, genau. Lern mich kennen. Und mach dir dann ein Bild darüber, wie furchtbar ich bin.

»Wen denn?«

»Deinen Bruder Kiyoshi.«

 

Er weigerte sich wohl bis zur letzten Minute.

 

Wie angewurzelt stand ich mitten im Foyer und lauschte ihrem Gespräch. Da kam Mamoru wieder aus dem Zimmer und deutete mir mit aufgeregten Handbewegungen an, dass ich meinen Hintern sofort in mein Zimmer bewegen sollte.

Nervös und ein bisschen tollpatschig rannte ich zur Treppe, hörte noch den Satz von meinem Vater

 

»Oben, in seinem Zimmer.«

 

und betrat mit Gummiknien mein Zimmer. Ich schloss die Tür, suchte nervös ein Buch, richtete meine Haare im Spiegel, öffnete den ersten Hemdknopf. Schloss ihn wieder. Öffnete ihn wieder. Hörte schließlich die Schritte und amtete erneut durch, setzt mich ans Fenster, das Buch aufgeschlagen und tat so, als würde ich lesen.

Die Kerze flackerte kurz im Luftzug und ich seufzte innerlich. Na super. Die Kerze wird alles viel besser erscheinen lassen. Aber für's Aufstehen und zum Lichtschalter gehen, war es zu spät. Ihre Schritte kamen näher.

 

Ich hatte das Gefühl, meine Brust zerspränge.

War das meine Nervosität?

Oder war das seine?

 

Es klopfte drei Mal.

 

Die Tür öffnete sich.

 

»Hiroshi, das ist dein Zwillingsbruder Kiyoshi.«

 

Er war wunderschön. Er stand so verzweifelt an der Tür, starrte mich an. Kreidebleich, die Angst in seinen Augen widerspiegelnd. Und er war so, so, so schön.

 

»Schön, dich zu sehen, Hiroshi.«

 

In der Tat war es das. So schön. Ich wollte ihn anfassen. Ihn berühren. Ihn schmecken. Ihn die tausend Dinge fragen, die mir auf den Lippen lagen.

 

Doch Vater lachte. Er lachte laut los und ich schob die Augenbrauen zusammen. Wieso lachte er? Es war unser Moment, mach ihn nicht kaputt!, dachte ich sofort und blies Luft aus meiner Nase.

»Ich glaube, wir haben ihn jetzt genug geschockt.«

Ach, haben wir das, ja?

Also so etwas ...

 

Er nickte mir zu. Okay, ich hatte vielleicht wieder etwas übertrieben. Ich kannte diesen Blick, den er mir zuwarf.

Trotzig legte ich das Buch weg und blies die Kerze aus.

Zufrieden, alter Mann?

»Ich freue mich wirklich, dich kennen zu lernen, Hiroshi.«

 

Fass mich an. Na los, nimm sie. Meine Hand. Und schüttele sie. So machen Menschen das doch.

 

Und tatsächlich. Er nahm sie. Zögerlich, so ängstlich, dass ihn fast gleich umarmt hätte, wenn nicht Vater da stand. Gib mir alles von dir, Hiroshi.

Dein Leben... es roch so gut.

Und er war so wunderschön. Ich wollte ihn besitzen. In diesem einen Moment durchfloss nur dieser eine Satz meine Gedanken.

 

Hiroshi war so unsicher. Vater roch das. Und er roch meine Gier.

»Na ja, ich glaube, das reicht für heute, oder Hiroshi?«

Nein! Nein! Lass ihn mir hier! Manno!

 

»Eine gute Nacht, Bruder.«

Ich will bei dir sein. Erzähl mir alles. Bleib die Nacht hier. Komm wieder. Ich will all deine Geschichten hören.

 

Wieso drehte sich alles in meinem Kopf um ihn? Es war wie ein Schlag ins Gesicht. All die Jahre, in denen ich alleine hier saß, drehten sich um mich. Jetzt, auf einmal, stand er da. Mein Ebenbild, mein Bruder. Und er war so beeindruckend. Dabei war er sicherlich furchtbar eingeschüchtert und nicht mal ansatzweise so, wie er es auf den Bildern bei Facebook war.

Trotzdem war ich fasziniert. Das erste Mal in meinem Leben sah ich meinen Bruder.

So lange Zeit ...

... habe ich nach dieser Hälfte gesucht.

 

Wieso wurde mir das in diesem Moment klar?

 

Dann schloss Vater die Tür. Er gab mir noch einen vernichtenden Blick, dass ich es wohl mal wieder vermasselt hatte.

 

Ich hatte gar nichts vermasselt. Vielleicht wirkte ich nicht sehr überzeugend, aber mein Interesse war da.

 

Es war geweckt.

Die Gier.

Das Verlangen.

Er war wunderschön.

Und ich würde ihn besitzen.

 

Ihn trinken.

 

Und dann langsam schmerzend dahinraff-

 

»Nein... «, flüsterte ich in die Stille. »Das darf nicht passieren.«

 

Dieses Tier in mir. Es darf nicht die Überhand gewinnen. Ich muss mich abschotten. Ich darf ihm nicht näher kommen. Ihm nicht wehtun.

Bitte schließ ab.

Dein Zimmer.

Deine Gedanken.

Dein Herz.

Lass mich nicht rein.

 

 

Ich spürte wie es schwarz vor meinen Augen wurde.

Einige Sequenzen blieben mir im Kopf.

Wie ich auf den Flur schlich, mich vor seine Tür stellte und wartete.

Das nächste, was ich sah, war sein Rücken. Wie er an der Treppe stand und hinunter sah. Er war verängstigt. Abermals. Aber immer, wenn er sich umdrehte, hing ich an der Decke. Er sah mich nicht. Ging wieder zurück.

Nur wie durch einen Fernseher konnte ich all die Dinge wahrnehmen. Die Kontrolle über meine Körper hatte Es.

 

Irgendwann spürte ich das Tier verschwinden. Ich kehrte nach etlichen Stunden vor seiner Tür stehend in mein Zimmer zurück und fiel erschöpft ins Bett.

 

Ich durfte es nicht zulassen. Erahnen konnte ich es, aber dass es so werden würde?

 

Er war so wunderschön. Und dieses Etwas in mir wollte ihn.

Es wollte ihn fressen.

 

Wie würde ich das unterdrücken können? Ohne ihn zu verletzen.

 

Auf Abstand gehen. Mach dich unbeliebt. So wie immer.

Dann wird er lustlos. Nimmt von selber Abstand.

 

Ich spürte Tränen in mir aufsteigen. Wieso war ich so? Wieso hatte ich das in mir? Wieso konnte ich mich nicht einmal meinem Bruder nähern?

 

Die Gedanken schweiften ab.

 

Und ich spürte weit entfernt seinen Atem auf meiner Haut. Wie er schlief. Der Herzschlag ganz ruhig.

 

So ist das also, wenn man seinen Zwilling nach so langer Zeit bei sich hat. Es war magisch.

 

Er war so schön.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Tomanto
2015-08-07T16:55:50+00:00 07.08.2015 18:55
*Impressed*
...
*Too impressed to say anything*
Wow, Kyoshis Sicht einmal hautnah zu erleben ist einfach magisch! Und er hat sich auf den ersten Blick in ihn verliebt. Das ist so unglaublich schön, dass so ein sonst gefühlskalt erscheinender Vampir solche menschlichen Züge besitzen kann und das auch noch in dem Ausmaß. Bravo! Da kann man einfach nur gratulieren und mitfiebern! Ich liebe deine Geschichte, deine Charaktere, deinen Schreibstil und deinen Einfallsreichtum! So will ich auch eines Tages schreiben können! Und jetzt heule ich schon vor Freude! :')
Von:  Roxi_13
2015-08-04T20:41:52+00:00 04.08.2015 22:41
Wow
Ein ganzes Kapitel nur über Kiyoshi
Und zu erleben wie er über das erste Treffen mit Hiroshi denkt und fühlt
Sehr beeindruckend
Hab mich sehr darüber gefreut

LG
Roxi_13
Von: abgemeldet
2015-07-29T12:37:44+00:00 29.07.2015 14:37
Hi^..^
Ich habe mir jetzt die ersten beiden Kapitel durchgelesen und ich muss sagen: Mich interessiert die Geschichte wirklich! Sie ist schon auf ihre ganz eigene, spezielle Art fesselnd ^..^
Du hast einen interessanten Schreibstil, sehr nah an der Alltagssprache, aber nicht zu nah ^..^

Allerdings habe ich noch den ein oder anderen Tipp für dich:
Deine Absätze sind teilweise etwas unlogisch. Ich nehme an, dass du genau wie ich alles in einem Schreibprogramm wie Open Office oder so schreibst, und es dann via copy and paste in den Editor kopierst. Da solltest du auf jeden Fall immer noch einmal die Formatierung überprüfen^.^ Genauso mit den Trennstrichen, die sonst recht fehl platziert wirken.
Eine andere Sache ist die mit den Redewendungen: Wenn du welche einbauen willst, solltest du sie so lassen, wie sie sind - oder logisch anpassen. Ich habe jetzt den Überblick verloren, wo mir das aufgefallen ist, aber wenn ich es wiederfinde, schreibe ich nochmal, was ich meinte.
Du hast ab und an auch Satzbautechnisch ein paar Logikfehlerchen drin, also zum Beispiel enn du "ihn" schreibst, muss im vorigen Satz ein maskulines Substantiv drin vorgekommen sein, auf dass du dich besziehst. Auch wenn man sich denken könnte, was gemeint ist, so wird der Lesefluss unterbrochen...

Naja, wie gesagt: Ich mag die Story wirklich und wenn ich Zeit habe, lese ich sie mir auch komplett durch ^..^

Aber erstmal muss ich mich an meine setzen... nur noch ein Kapitel *seufz*

Ich hoffe du schreibst noch lange weiter ^..

LG

Alyssa <3
Von:  Annemi91
2015-07-19T04:52:53+00:00 19.07.2015 06:52
Ich finde es toll, das du diesen Bonus noch hochgeladen hast. Es ist interessant zu lesen, wie Yoshi die Beziehung zum Vater beschreibt, welche Gedanken er im allgemeinen hat,wie er sich durch all das quält und wie es ist, wenn ES die Kontrolle übernimmt... Durch dieses Kapitel tut er mir noch mehr leid als vorher. :(
Vielen Dank für diesen tollen Bonus. :)


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