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Cold Winds

Der Tag, an dem eine Legende real wurde...
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Musiktipp zum Kapitel:
https://www.youtube.com/watch?v=3r-ahPvUZIU Komplett anzeigen

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Die Stunde der Wahrheit

Es war nicht sehr viel Zeit vergangen, bis wir schon von den nächsten Ereignissen hörten, und sie hatten angefangen, sich zu häufen. Inzwischen hatten sich schon unterschiedlichste Arten von Zelda-Kreaturen in unsere Welt verirrt. Zuerst kamen Bublins, Dekurahnas und Flederbeißer, aber man sagte schon, dass in den bereits angegriffenen Gebieten sogar noch gefährlichere Geschöpfe lauerten. Nirgendswo war man noch sicher und es war allen bewusst, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis sie auch in unsere Nähe kommen würden.

Und bisher hatte es noch keinen einzigen gegeben, der nur eines von ihnen hätte stoppen können. Das Auftauchen der Monster war ebenso schleierhaft wie die Tatsache, dass sie einfach unbezwingbar zu sein schienen. Trotzallem ging das Leben unbeirrt weiter, auch wenn wir mitten in einem Krieg steckten. Es war sehr seltsam, aber welche Maßnahmen hätte man auch ergreifen sollen?

Ich sah auf meinen Freund neben mir, während er da saß und an seinem Aufsatz schrieb. Hoffentlich passierte ihm nichts. Man wusste schließlich nicht, in welcher Beziehung diese Monster tatsächlich zu „The Legend of Zelda“ standen, und dass er einem hylianischen Helden wie ein Ei dem anderen glich, gefiel mir in dieser Hinsicht gar nicht.

Ich sollte besser auf ihn aufpassen.

Aber seit den Zwischenfällen mit den Monstern hatte er für nichts mehr Zeit gefunden, nicht einmal für die Hausaufgaben. Als er schon zum dritten Mal ohne erschienen war, nachdem er einige Tage gefehlt hatte, schlug ich ihm vor, sie heimlich für ihn zu machen, da er ja offensichtlich sehr beschäftigt war. Er nahm das Angebot dankend und erschöpft an. Die Lehrer waren momentan zwar sowieso ein wenig aus dem Häuschen, aber er musste nicht unbedingt negativ auffallen. Trotzdem interessierte es mich, womit er Nachmittags ständig beschäftigt war, obwohl ich ihn auch nicht danach fragen wollte. Wenn er gewollt hätte, dass ich das wüsste, hätte er es mir sicher von sich aus erzählt. Also fragte ich nicht, auch wenn ich ein sehr merkwürdiges Gefühl bei der Sache hatte. Er war ausgerechnet beschäftigt, seitdem diese Monster aufgetaucht waren, und in letzter Zeit sah er sehr erschöpft aus. Ich war verrückt, ich war eindeutig verrückt, aber trotzdem...

„Kokari?“, flüsterte ich ihm zu.

„Ja?“, flüsterte er zurück.

„Was du auch tust, sei bitte vorsichtig.“ Er sah mir in die Augen und nickte ermutigend.
 

Als ich zuhause war, setzte ich mich ersteinmal auf mein Bett.

Abschalten, einfach mal das Gehirn auf Stand-By stellen und relaxen.

Irgendetwas heute hatte mich sehr erschöpft, und das einzige, was ich im Moment an Bedürfnissen verspürte, war, ein wenig zu schlafen.

Ich schloss die Augen.
 

Vor mir tauchten riesige, grüne, weite Felder auf, größer und bunter als man es sich es je hätte vorstellen können. Ein Windstoß fegte über das hohe Gras und bildete eine Welle, vor der das Gras sich verneigte wie vor einem König. Kleine, flauschige Wolken zogen unentwegt über den strahlendblauen Himmel. Einzelne Baumgruppen erhoben sich in der Ebene, und an manchen Stellen wuchsen, beschienen von der hellen, strahlenden Sonne, viele, bunte Wildblumen. Ein Bach plätscherte vor sich hin und sein saphirblaues Wasser glitzerte mir entgegen. Einer der hohen Bäume spendete mir Schatten. Die Luft roch frischer als alles, was ich je gerochen hatte. Die Idylle wurde vom friedlichen Gesang der Vögel in den Wipfeln perfekt untermalt und verlieh dem Ganzen etwas Paradisisches. Kein Lärm war zu hören, nichts, das diesen Eindruck minderte. Es war Mittag, und über mir stand die Sonne im Zenit. Ich sah mich um und erkannte das riesige, weiße und prunkvolle Schloss, das sich in weiter Ferne majestätisch in den Himmel erhob. Angestrahlt vom Sonnenlicht sah es aus, als würde es leuchten.

„Hey, schlaf nicht ein!“, meinte jemand scherzhaft neben mir, und ich erkannte die Stimme. Unzählige Male hatte ich sie schon gehört, allein innerhalb dieser Träume.

Trotzdem drehte ich mich zu der Stimme um, wollte ihn mit eigenen Augen sehen, den Jemand, der da zu mir sprach, obwohl ich genau wusste, wer es war. Ich wusste, wenn ich mich umdrehte, dann würde ich diese dunkelblauen Augen sehen, die tiefer zu sein schienen als jeder Ozean; die eine lebenslange, bedingungslose Treue versprachen…

Und da stand er neben mir, ein keckes Gesicht aufgesetzt und streichelte Epona an der Nase, während er das Pferd wohlwollend anblickte. Dann drehte er sich wieder zu mir um und sah mich an. In seinem Blick lag nur Fürsorge und Wärme, und eigentlich wollte ich nicht mehr aus diesen Augen hinaussehen. Ich wusste, dass ich in Wirklichkeit immer noch auf meinem Bett in meinem Zimmer lag und das alles gar nicht wirklich sein konnte, aber ich wollte meine Augen nicht öffnen.

Zu schön war das Land, das sich vor meinen Augen erstreckte. Ich wollte hierbleiben, wollte nicht zurück in die Realität, ich wollte…

Ich wollte zuhause bleiben…

Dann verschwamm das Bild vor meinen Augen wieder, und mit aller Kraft und Konzentration versuchte ich es in meinem Gedächtnis zu fangen, doch es war schon verschwunden.
 

Und eine Leere befiel mich, als hätte dieses Bild mit seinem Verschwinden sämtliche meiner Gefühle mitgenommen. Halb öffnete ich die Augen und starrte geradeaus zur Decke. Nur wenige Augenblicke und schon fühlte es sich an, als hätte ich etwas sehr Wichtiges für immer verloren. Erneut machte ich die Augen zu, um nicht diese Leere fühlen zu müssen.
 

Und wieder tauchte ein Bild auf, aber es war nicht dasselbe wie gerade.

Die Luft fühlte sich schrecklich heiß an und war so trocken, dass es einem die Kehle zuschnürte. Der Himmel war pechschwarz, der Wind so von grauem Ruß verhangen, dass man kaum die eigene Hand vor Augen sah. Zwischen den hölzernen, abgebrannten Überresten unzähliger, altertümlicher Häuser brannte blutrotes Feuer, loderte wild und verschlang ungezähmt alles, was sich ihm in den Weg stellte.

Der Boden bebte, während sich mein Herz immer wieder heftig gegen meine Brust schlug. Knistern der Flammen und Hilfeschreie von hunderten, vielleicht tausenden von Leuten, darunter das Weinen von Kindern, hallten durch die brennende Luft, zwischendrin immer wieder das Krachen eines einstürzenden Hauses. Pferde wieherten, und die Schlachtrufe der Bestien gellten dem Rauch verhangenem Himmel entgegen.

Ich sah mich um und erblickte, wie mordlustige Monster zwischen den flüchtenden Menschen auf noch grausameren Bestien durch die Menge ritten und dabei versuchten, so viele der Leute abzuschlachten wie nur irgend möglich. Unzählige, blutige Klingen...

Dann sah ich auch ihn inmitten der Flammen vor mir; lebendiger und näher als in jedem Zeldaspiel.

Der wehende, zerschlissene Umhang, das sich aufbäumende Pferd mit den glühend roten Augen und die nachtschwarze Gestalt, die triumphierend über dem Schlachtfeld regierte. Die Macht, die in seinem Innersten ruhte, ließ alles um in herum in Angst und Ehrfurcht erstarren. Der König über allem. Der König der Finsternis.

Als letztes sah ich nur das glühende Augenpaar des Schattens, voller Grausamkeit und Hohn gegenüber den Opfern des schrecklichen Verbrechens, bevor auch dieses Bild wieder verschwamm.
 

Genauso langsam wie zuvor öffnete ich die Augen wieder. Diese Szene kam in letzter Zeit immer öfter. Das Bild war das Schrecklichste, von allen, aber… Auch das war mein Zuhause in der Stunde der Not. Und ich hatte wieder einmal gesehen, wie grausam er wirklich war, nichts aus dieser Wirklichkeit war mit einem Videospiel für Zwölfjährige zu vergleichen, rein gar nichts.
 

Am Samstag besuchte Kokari mich nach langer Zeit endlich noch einmal und ich war froh, ihn außerhalb der Schule wiederzusehen. Wir unterhielten uns über die neusten Meldungen der Monster, während wir „Ocarina of Time“ spielten. Durch diese Katastrophe war uns die Lust dazu noch immer nicht vergangen, im Gegenteil. Wir spielten das Spiel, als wäre es eine Verhaltensregel für den Fall der Fälle.

„Kokari, sag mal…“, fragte ich ihn und sah ihn dabei etwas skeptisch an, was ihm wohl nicht entging, „Ich meine, du magst mich für bescheuert halten, aber machst du dir keine Sorgen wegen deinem Äußeren?“

Er sah mich fragend an. „Wieso sollte ich mir Sorgen machen?“, fragte er ahnungslos. „Ich mache mir nur Gedanken darum, was wäre, wenn diese Monster tatsächlich hier… Angenommen, sie stammen wirklich direkt aus „The Legend of Zelda“, fallen hier ein, würden dich finden und vielleicht mit jemandem verwechseln…“, sagte ich und versuchte, ihn möglichst nicht allzu direkt mittzuteilen, wen ich mit der Verwechslung meinte.

„Ach, das meinst du.“, sagte er und sah überhaupt nicht bekümmert aus, „Was soll mir denn schon großartig passieren? Nur weil ich so aussehe wie Link, heißt das doch noch lange nicht, dass sie mich zwangsläufig mit ihm verwechseln werden…“

Sein Lächeln wurde schelmisch. „Außerdem kann ich mindestens genauso gut Bogenschießen wie er, mach dir nur keine Sorgen.“

Im Fernsehen erledigte Link gerade zwei Zombies, bis ihn plötzlich einer mit seinem markerschütterndem Schrei paralysierte. In einer erschreckenden Geschwindigkeit setzte er sich auf dessen Schultern und fing an, ihn zu würgen. Röchelnd schnappte Link nach Luft, während ein Herz nach dem anderen sich am oberen Bildschirmrand durchsichtig färbte. Es piepste.

„Hoffentlich hast du Recht.“, antwortete ich mit leerem Blick.
 

Mit einem Joghurt in der einen und einem Löffel in der anderen Hand bewaffnet saß ich am Mittwochmorgen vor dem Fernseher und schaltete durch die Kanäle.

Kokari war seit dem Wochende nicht in der Schule gewesen, worüber ich mir Sorgen und Gedanken machte.

Der Versuch, abzulenken, klappte wieder einmal nur bedingt.

Nirgendswo sah man noch etwas anderes als Berichte, Methoden über ein vermeintliches unschädlich machen und die besten Orte, um sich zu verstecken.

„Das hilft doch alles überhaupt nichts...“, flüsterte ich leise vor mich hin, während eine Sendung verkündete, gegen Flederbeißer habe sich Knoblauch als ein wirksames Mittel erwiesen. Das waren doch keine Vampire.

Ich schaltete um.

Wieder eine Nachrichtensendung.

„-Schließung des Unternehmens. Nintendo beteuert weiterhin, nichts mit den Vorfällen, die den Notstand der USA auslösten, zu tun zu haben.-“

Ich schaltete wieder um.

„Haben sie ja auch nicht...“, fügte ich hinzu, „Das ist etwas ganz anderes...“

„-haben sich aus Furcht vor der nahenden Apokalypse erneut Massensuizide zugetragen. Die Gesamtzahl aller in Afrika seit der Invasion zugetragenen Selbstmorde wird bereits auf-“

Ich schaltete aus.

Diese Zahl wollte ich gar nicht hören.

Es war doch schon schrecklich genug, dass diese Attentate auf Menschen passierten, aber nun brachte sich ein Großteil von Sekten und Menschen aus verarmten Gegenden angesichts der nahenden Apokalypse bereits selbst um. Die Monster verursachten eine so enorme Angst, dass sie die Leute damit schon in den Tod trieben. Viele waren der Meinung, die sei der Preis ihrer eigenen Sünden.

Ich legte eine kurze Schweigeminute ein, und es war grauenvoll, dass das alles war, was ich tun konnte. Viele ausländische Schüler hatten in ihrer Heimat bereits Angehörige bei den Anschlägen, wenn man es denn so nennen konnte, verloren. Manche meiner Mitschüler waren sogar schon Hals über Kopf in entlegene Gegenden geflüchtet, weil sie es für sicherer hielten. Ich hoffte inständig, dass meine Familie von solchen Schicksalsschlägen verschont bleiben würde und betete zu allen Göttern, die mir bekannt waren, dass einer die Macht haben möge, sie zu beschützen, und seien es Farore, Nayru oder Din. Ich machte den Fernseher wieder an.

„-ereignet zu haben scheint. Berlin. In der Nähe des Brandenburger Tors bemerkten Passanten die auffällige Verkleidung eines jungen Mannes, der sehr dem Hauptprotagonisten aus der Videospielreihe 'The Legend of Zelda' ähnelt. Das Kostüm zeichnete sich durch seine ungewöhnliche Qualität und vergleichsmäßig hohem Detailgrad aus. Es ist das erste Mal seit dem Vorfall im März, dass sich jemand in Deutschland in jener Verkleidung in der Öffentlichkeit zeigt. Experten sprechen von einem Versuch, die Motivation der Anwohner zu wecken.“

Natürlich, dachte ich.

Es versucht jeder auf seine eigene Art und Weise, zu helfen... Und sei's nur drum, den Menschen wieder Hoffnung zu geben. Als aber kurz darauf ein unscharfes Bild mit niedriger Auflösung im Hintergrund gezeigt wurde, ließ ich fast den Löffel aus der Hand fallen. Dieser Mensch sah haargenau aus wie Link in „Twilight Princess“ aussah, aber so wirklich... Und ich erschrak noch mehr, als ich sah, dass er über der linken Hand einen Handschuh trug.
 

Am Nachmittag waren mir die Zeichensachen ausgegangen, und ich fuhr lange mit dem Bus in die Stadt, deren Straßen ungewöhnlich leer wirkten. Auf dem Weg zu meinem Zeichenladen durch zahlreiche Seitenstraßen beeilte ich mich und versuchte so zügig wie möglich, mein Ziel zu erreichen. Es war mir nicht geheuer, in diesen zwielichtigen Gassen, die wie leergefegt wirkten, ganz allein zu sein. Selbst das Geschäft selbst schien bis auf den Verkäufer wie ausgestorben.

Als ich es verließ, bemerkte ich flüchtig, wie ein kleiner Schatten über dem Kopfsteinpflaster vorbeizog, es dauerte keine Sekunde, und doch machte es mich stutzig. Hastig sah ich zum Himmel hinauf und erblickte es, wie erwartet. Ein schwarzes Portal, das sogleich mehrere Keulenbokblins fallen ließ. Dann sahen auch die anderen Leute sich um, nach der Ursache des sich plötzlich verdunkelnden Himmels. Sie waren hier.

Der Krieg - hatte uns erreicht.
 

Einige Momente des Entsetzens, bevor die Panik losbrach. Unzählige Einkaufstüten fielen neben mir in den Dreck, panische Schreie quälten meine Ohren und stolpernd machten sich die Leute auf und davon. Entsetzt starrte ich auf die schwarze Scheibe vor mir. Leute rempelten mich an und drängten mich zur Seite. Die ersten gierigen Laute der Bestien erklangen. Ihre Keulen schwingend rannten sie durch die Straßen und verteilten sich, die Leute vor sich verscheuchend. Es sah genau aus wie im Fernsehen, nur vor vertrauter Kulisse. Dann stand plötzlich eines der Wesen vor mir, bösartiger und detailgetreuer als ich es mir je hätte ausmalen können. Einen Moment setzten meine ohnehin schon wirren Gedanken aus. Was tun? Weglaufen, sich tot stellen? Waffen blieben mir keine, das einzige was ich in der Hand hatte war… Ich nahm die Tasche mit den schweren Zeichenblöcken und hielt sie in einer Hand, bereit, sie dem Ding um die Ohren zu hauen, während meine Kniee schlotterten. Wenn ich schon sterben sollte, dann wenigstens nicht beim Weglaufen.

Und dann nahm ich nur einen grünen Schatten war. Er ist tatsächlich hier, schoss es durch meinen Kopf. Der grün bemützte Held aus dem Spiel stand direkt vor mir und schützte mich mit einem allzu detailgetreuen Hyliaschild. Gestern noch in Berlin, heute hier.

War das etwa… „Link…?“, formten meine Lippen tonlos.

Er war tatsächlich hier, der Junge, der durch meine Erinnerungen streifte…

Ganz kurz drehte er ein Stück seinen Kopf in meine Richtung, gerade soweit, dass er mich über die Schulter hinweg sehen konnte. Das hier war kein Hochstapler. Niemand auf der ganzen Welt konnte ihm so ähnlich sein. Das Licht der untergehenden Sonne brach sich hinter ihm, und geblendet wandte ich den Blick wieder ab.

Ich war einen Moment ebenso erstaunt wie entsetzt.

Hatte man den Kampf um das Triforce nun hierherverlegt? Er war tatsächlich in der Lage, sie zu besiegen. Das war nie und nimmer eine Verkleidung, das war echt. Link wurde mit einer Streitaxt am Fuß gestreift; er verzog das Gesicht vor Schmerz. Echt. Ohne einmal nach Luft zu schnappen, sah ich zu, wie er die Monster vernichtete. Das Schwert führte, als hätte er nie etwas anderes getan. Agil, wendig, flink, mit Fertigkeiten, die sicher jahrelange Übung vorraussetzten. Schließlich gewann er den Kampf, schwer atmend, und die Stille kehrte wieder ein.

Noch immer wollte ich nicht begreifen, was gerade passiert war. Hier, in meiner kleinen Stadt, war er aufgetaucht? Warum? Woher hatte er gewusst, dass es hier zu Auseinandersetzungen kommen würde?

Kaum war die Gefahr gebannt, tauchten unzählige Menschen mit Smartphones und Kameras in der Hand zwischen den vielen fliehenden Passanten auf, bemüht, ein Bild von Link zu schießen oder ihm Fragen zu stellen. Die vielen Blitzlichte blendeten ihn und er hielt sich die Hand vor die Augen. Rundherum standen sie, umzingelten ihr Opfer, während er versuchte, den fliehenden Monstern nachzusetzen. Es war schrecklich, sie behandelten ihn wie eine unerforschte Sehenswürdigkeit…

Ich nahm ihn unüberlegt einfach schnell bei der Hand und zog ihn in eine benachbarte Sackgasse, wo wir einige Momente hinter einem Container verweilten, während die ganzen Möchtegern-Reporter an uns vorbeistürmten.

Ich wandte mich um um wartete, bis alle vorbei waren.

Schweigend nickte ich Link zu, der mich daraufhin kurz ausdruckslos anblickte und mir dankbar zurücknickte, bevor er in einer Seitenstraße hinter den verbliebenen Monstern herstürmte.

Gedankenlos blickte ich ihm nach, eine Hand an den kalten Müllcontainer gelehnt.

Link gab es tatsächlich, ausgerechnet hier…? Ich hatte das Gefühl, dass mein Kopf damit überfordert war, in relativ kurzer Zeit so viele Informationen auf einmal aufzunehmen. In just jenem Moment klingelte mein Handy und riss mich schlagartig aus meinen Gedanken. Ein Rascheln zwischen den gelben Säcken erforderte jedoch zuerst meine Aufmerksamkeit, als sich ein weiterer violetter Bokblin erhob, der wohl übersehen worden war. Mit einem bösartigen Grinsen schlich es die Keule hinter sich herschleifend auf mich zu. Ich sah mich überall nach einem Ausweg um, fand aber keinen, deshalb nahm ich einfach den nächstbesten Mülleimerdeckel, kniff bedacht auf das Schlimmste die Augen fest zu und hieb dem Monster, das mit seinem Knüppel bereits zum Schlag ausgeholt hatte, einfach so schnell und so oft auf den Kopf, bis es mit verdrehten Augen ohnmächtig vor mir zusammensackte. Ich wollte weglaufen, aber was, wenn es wieder aufwachte?

Zögerlich griff ich nach einem angebrochenem Besenstiel, der in dem Unrat seinen Platz gefunden hatte, und piekste das Monster kurz an. Es bewegte sich nicht, stieß nur einen Schwall unangenehmen Mundgeruchs aus. Puh.

Ich hatte Angst davor, dass es jeden Augenblick wieder aufwachen würde, aber wenn nun andere Leute von ihm angegriffen wurden? Vielleicht sogar Kinder?

Meine Furcht überwindend, hievte ich das schwere Wesen mit aller Kraft in den metallenen Behälter, schloss die Klappe und ließ das Schloss einschnappen, das unten daran befestigt war. Und das keine Sekunde zu früh, wie mir ein dumpfes Schlagen gegen die Wand des Containers versicherte.

Erleichtert holte ich tief Luft, bevor ich mein immer noch klingelndes Handy bemerkte und ein „…Ja?“ in den Hörer schnaufte, aber da tönten mir nur drei sehr unangenehme Töne entgegen.

„Toll, aufgelegt…“

Kokaris Name. Tolles Timing. Ich drückte die Rückruftaste.

„...ist alles in Ordnung bei dir?“, fragte er, noch bevor ich das erste Tuten gehört hatte.

„Ich habe gerade erfahren, was in der Stadt vor sich geht und -“

„Es ist alles okay, mach dir keine Sorgen.“, beruhigte ich ihn, während mich ein weiterer Schlag gegen den Container zusammenzucken ließ. Das Vieh brüllte.

„Ruhe jetzt, ich will telefonieren!“, fauchte ich übermütig und trat meinerseits gegen das Gefängnis. Bei den nachfolgenden Worten schmunzelte ich.

„Ich habe dir eine Menge zu erzählen.“
 

„Die können uns doch wohl nicht ehrlich zwingen, unsere Häuser zu verlassen!“, meinte ich fassungslos, als es zur Pause klingelte. Mein Klassenlehrer hatte uns gerade verkündet, dass man bereits mit dem Aufbau von einer Art Flüchtlingszentrum begonnen hatte, in das sich in Kürze alle Familien zurückziehen sollten. „Als ob so eine Turnhalle aus Wellblech einen besseren Schutz böte als ein Heim aus Stein und Beton.“

Kokari schien anderer Meinung zu sein. Seine ruhigen Worte waren sicher bedachter als meine.

„In der Gruppe sind Alte und Schwache besser behütet. Vereinigung ist eine nicht zu unterschätzende Stärke. Das solltest du- Au!“, fügte er leise hinzu.

Kokari war urplötzlich zusammengezuckt.

„Hey, was ist passiert?“, fragte ich und half ihm, das Gleichgewicht zu halten, bevor er umkippen konnte.

„Ach, ich bin nur umgeknickt… Danke.“, sagte er und ich half ihm, sich auf die Bank vor unserer Klasse zu setzen, bevor er mich dankbar angrinste. Ich lächelte ihm still zurück, bevor ich einen kurzen Blick auf den Verband werfen konnte, den er am Knöchel unter seinem Hosenbein trug.

„Was hast du denn da gemacht?“, fragte ich besorgt und blickte ihn ein wenig entsetzt an, weil er mir das einfach vorenthalten hatte.

„Ach, das ist halb so wild, ich bin gestern nur falsch aufgetreten...“

Er zwinkerte, und ich war ein wenig beruhigt. In Zukunft würde er mir hoffentlich früher sagen, wenn er sich verletzt hatte.

„Man, ist das heiß heute…“, hörte ich Kokari neben mir stöhnen und ich sah zu, wie er sich den Schweiß von der Stirn wischte.

„Tja, es sind 31 Grad, was erwartest du?“, schmunzelte ich zurück.

„Warte nur hier, ich geh‘ was zum Trinken holen.“ Zügig machte ich mich auf dem Weg zum Schulkiosk und besorgte einen Viertelliter Mineralwasser. Kurz darauf kehrte ich auch schon wieder unter die schattigen Bäume zurück. Ich wollte mich auf die Bank setzen, als ich sah, wie sich etwas seltsam Weißes in dem Gebüsch hinter der Lehne bewegte.

Ich hockte mich vor den Strauch, der sich dahinter befand und versuchte mit halb zugekniffenen Augen zu erkennen, was sich da im Dunkeln regte. Irre, das Etwas sah fast aus wie eine… Verblüfft schnellte ich zur Seite, als die kleine, weiße Totenkopfspinne an mir vorbei mithilfe eines langen Fadens in den Baumkronen über mir verschwand.

Ich blickte ihr nach. Sie war nicht viel größer als eine Handfläche gewesen und trotzdem lief es mir eiskalt den Rücken herunter, als ich daran dachte, dass sich Wesen, die mir vollkommen fremd waren, in harmlos wirkenden Gebüschen herum trieben. Naja, vollkommen fremd auch nicht… Es hätte auf jeden Fall etwas Schlimmeres sein können.

„Was suchst du denn da oben?“, fragte Kokari mich neugierig, stellte sich neben mich und starrte ebenfalls nach oben.

„Ich glaube, ich spinne, aber das Tier eben sah aus wie eine Skulltulla…“, murmelte ich und versuchte, die kleine Spinne zwischen den Wipfeln ausfindig zu machen, ohne zu bemerken, dass ich ein Wortspiel gemacht hatte.

„Tatsächlich?“

Kokari starrte entschlossen nach oben.

Aus irgendeinem Grund schien er mir das sogar zu glauben, denn er wirkte nicht amüsiert, im Gegenteil. Sein Gesicht, dass sonst immer so fröhlich wirkte, war zu einer ernsten Maske verspannt.

„Meinst du, die Monster kommen mittlerweile sogar bis nach hier?“, fragte ich ihn.

„Es sieht so aus…“, sagte er leise und sah schweigend zu Boden, bevor er auf die kleine Skulltulla schielte, die vor meiner Nase baumelte.

„Jedenfalls ist dieses Wesen ein Vorbote des Unheils. Kein gutes Zeichen.“, flüsterte Kokari und sah mir dabei zu, wie ich die Spinne vorsichtig an den nächstgelegenen Baum setzte, fieberhaft hoffend, dass sie in dieser Größe noch ungefährlich waren.

„Nun, wo sie gestern bereits in der Stadt gewesen sind... Das Schlimme ist, das es nichts gibt, dass sie daran hindern könnte. Oder denkst du, Link kommt und rettet uns? Ich würde zu gerne sehen, was er sagt, wenn er dich trifft.“, sagte ich grinsend. Kokari sagte nichts. „Hoppla…“

Unter einem Ploppen knackte das Plastik ein, als mir die Wasserflasche aus der Hand gefallen war.

„Entschuldige, hier, das ist für dich.“, sagte ich leise und reichte Kokari die Flasche.

„Hab‘ vielen Dank… Was ist denn bloß los mit dir? Seit einigen Tagen scheinst du völlig neben dir zu stehen. Ich mache mir Sorgen.“, sagte er besorgt, „Ist es die Furcht?“

Warum machte ich ihm eigentlich länger etwas vor?

Büsche trennten uns und die Blicke eventuell neugieriger Mitschüler voneinander. Ein stiller Wind wehte und wirbelte die welken Blätter auf dem Zwischenhof durcheinander.

„Ich… Ich kann dir doch voll und ganz vertrauen, nicht wahr?“, fragte ich ihn leise.

Still sah Kokari mich an.

„Sag mir bitte, was dich bedrückt. Vielleicht kann ich helfen.“

Nicht wissend, wie ich anfangen sollte, startete ich: „Es ist so, dass… Diese Monster, nicht direkt… Nun, dieses Spiel, weißt du, also ich… Wie soll ich sagen… Es mag sich absurd anhören und vielleicht stempelst du mich jetzt als Freak oder Verrückte ab, aber… Manchmal habe ich ein seltsames Gefühl. Nun, dieses Spiel… Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll… Für mich ist es einfach real, verstehst du? Es ist, als ob Hyrule ein Teil von mir wäre, den ich nicht verdrängen kann. So als hätte ich-„

„…Als hättest du Heimweh nach einem Land, von dem du nicht einmal weißt, ob es wirklich existiert.“, beendete Kokari den Satz für mich, ohne mich anzusehen.

Einen Moment blickte ich ihn überrascht an, bevor ich gedankenlos neben mir in die Ferne sah.

Er hatte gerade ausgesprochen, was ich gerade gedacht hatte.

„Als ob es nach mir rufen würde. Als ob ich helfen müsste, Hyrule vom Schatten zu befreien. Nur dass mir alles so wirklich vorkommt… Ich rieche das Gras, sehe den strahlend blauen Himmel vor meinen Augen und sehe sogar-„

Jetzt hätte ich beinah zufiel verraten.

„Kurzum: Aus irgendeinem Grund fühle ich mich, als sei dies mein Zuhause…“

„Was siehst du?“, fragte Kokari mich und sah mich etwas besorgt an.

Leicht entsetzt darüber, dass er auf diese Kleinigkeit geachtet hatte, blickte ich ihm in die Augen.

Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich ertappt. Aber…

Erneut wandte ich meinen Blick ab. Warum sollte ich ihm nicht meine Wahrheit sagen können? Gerade ihm…

Oder gerade ihm nicht.

„Ich sehe Link neben mir,“, sagte ich leise, „Und es kommt mir vor, als würde ich ihn kennen. Als hätte ich ihn gekannt. Ich kann ihn mir lebhaft vorstellen und kenne jedes Detail an ihm. Aber wie soll ich dir erklären, was ich selbst nicht verstehe…“

Ich suchte einige Momente nach einer Erklärung.

„Zum Beispiel existiert in meinen Gedanken ein Ausschnitt, wie er sein Schwert reinigt, und dabei sieht man ihn doch in keinem einzigen Spiel dabei, oder?“

Einige Momente starrte ich auf das Gras vor mir.

„Es kommt es mir so vor, als würde ich einen guten Freund vermissen, der gestorben ist. Ich… Ich vermisse ich ihn einfach. Auf irgendeine Art und Weise. Und selbst wenn mein Verstand mir sagt, dass er nicht existiert, dass er nur der Held einer Videospielserie ist, so weiß ich doch, dass hinter diesem Gefühl mehr stecken muss als nur eine ausgedachte Welt, die irgendwer bei Nintendo mal eben aus dem Füller gezaubert hat. Ich glaube fest, dass diese Monster, die überall auftauchen, weniger ein terroristischer Akt sind als vielmehr ein Versuch, die Welt zu unterjochen. Fälle von - dunkler Magie.“, sagte ich und stockte.

Vielleicht hatte ich bereits viel zu viel über meine geheimsten Gedanken preisgegeben. Aus irgendeinem Grund sah er mich besorgt an. Wahrscheinlich hielt er mich für geisteskrank. Ein nicht unterdrückbares Gefühl von Enttäuschung machte sich in mir breit, und ich fragte mich, warum. Es wäre schwer verständlich gewesen, wenn er anders reagiert hätte.

Entschlossen wandte ich mein Gesicht von Kokari ab.

„Ich glaube, ich habe einfach zu viel Zelda gespielt, das wird es wohl sein. Wenn ich nach Hause komme, fliegen erst einmal die Spiele in den Müll. Sie zerhacken langsam meinen Verstand.“, sagte ich.

„Warum sollten sie das tun?“, fragte Kokari mich.

„Als wen siehst du dich denn in Hyrule?“

„Warum willst du das wissen?“, fragte ich leicht und sah ihm zweifelnd ins Gesicht.

„Es interessiert mich einfach,“, gab Kokari lächelnd zurück.

„Nun, weißt du, in dem Spiel existiert nicht…“

„Und das wäre?“, fragte Kokari mich uns sah mich still an.

„Ich fühle mich, als wäre ich- Was geht dich das überhaupt an?“, fragte ich daraufhin gereizt.

„Gib mir doch zumindest einen vernünftigen Grund an, warum du mir diese Fragen stellst. Ich glaube kaum, dass du das aus reinem Interesse tust!“

„Warum willst du es mir denn nicht sagen?“, fragte er mich.

Er sah direkt ein wenig niedergeschlagen aus. Ich war selbst entsetzt über den Ton, den ich gerade angesetzt hatte. Wieso brachten mich seine Fragen so schnell aus der Fassung? Ich war doch sonst nicht so eine Furie... Ich fühlte mich schlecht, weil ich ihn so angeblufft hatte. Meine Empfindlichkeit würde ihn noch vertreiben.

„Es- Es tut mir sehr leid, wirklich, Kokari, bitte verzeih mir,“, meinte ich leise, nochimmer ein wenig schockiert, „Es ist nur, weil ich bisher noch mit niemandem darüber geredet habe, wirklich mit keinem. Und ich habe ein wenig Angst davor, dass du mich nun für verrückt hältst, dabei kennen wir uns noch gar nicht solange, aber… Trotzdem bedeutest du mir sehr viel.“

Schweigend sah ich ihn an. Er sah doch nicht nur aus wie er, er benahm sich auch genauso und er war genauso nett zu mir, man konnte genauso Vertrauen zu ihm haben wie zu…

„Vielleicht…“, begann Kokari plötzlich und sah gen Boden.

„Vielleicht ist es nun an der Zeit, dass ich dir auch etwas zeige. Weißt du, für mich ist es ebenso real…“

Den Mittelfinger würde er mir zeigen, dachte ich pessimistisch. Aber ich sah ihn nur stumm und noch immer ein wenig reumütig an. Ganz langsam zog er den Handschuh aus. Das konnte doch nicht sein, dass meine absurde Vorstellung tatsächlich wahr wurde?

„Das gibt’s nicht…“, stammelte ich vor mich hin.

So musste man sich fühlen, kurz bevor man in Ohnmacht fiel. Entsetzt starrte ich auf den Handrücken, den er mir entgegen hielt.

„Ich bin Link. Ich bin nicht nur ein Protagonist aus einem Videospiel.“

Ein kleines, goldenes Dreieck leuchtete mir entgegen. Ein Symbol der alten Zeit. Das Triforce auf seinem Handrücken war der Beweis. Ich war sprachlos. Zwar hatte ich diese Sache seit Wochen geahnt, jedoch war sie nie in meinen Kopf vorgedrungen, geblockt von meinem Verstand.

Doch nun meldeten Herz und Verstand dieselbe Meldung, die da lautete:

Kokari - ist Link.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  shadow-queen
2014-08-10T21:39:15+00:00 10.08.2014 23:39
Kann es sein, das Gina sich ein wenig wie Dark Link fühlt? Ich meine, ich habe gerade bei den Charas gelesen, dass sie schwarze Haare und eine ziemlich helle Haut, sowie gräulich Augen hat. Ausserdem ist Dark Link doch theoretisch immer bei Links Abenteuern dabei gewesen, er ist ja Links Schatten. Oder täusche ich mich jetzt...
Antwort von:  Yunavi
16.09.2014 01:02
Hm, die Auflösung auf die Frage ist quasi der Grundgedanke der Fanfiction, deswegen verrate ich das noch nicht X'D
Aber ein gut überlegter Gedankengang... Das wäre fast eine Idee für eine neue Geschichte. *g*


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