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Fremde Welten: Das Schloss am Meer (#2)

Crimsons eigene Serie, yay!
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Tag 9 Komplett anzeigen

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Hausmittelchen

Crimson war nackt. Das war ihm beim letzten Mal, als er aufgewacht war, gar nicht aufgefallen, aber als früh am Morgen Lily erschien, für Olvin einen Stuhl rechts neben sein Bett stellte und bei der Gelegenheit seine Decke komplett entfernte, kam kühle Luft an seine edelsten Teile. Leider hatte er nicht die Kraft für heftigen Protest, so dass er sich darauf beschränken musste, kurz zu jammern und sich in sein Schicksal zu ergeben.

„Warum hab ich keins von diesen Hemdchen an?“ beschwerte er sich.

„Es wäre zu umständlich gewesen, dich da reinzustecken,“ erklärte Lily sachlich. „Schließlich mussten wir ständig irgendwo dran, um Salbe drauf zu tun oder so, zum Beispiel hast du hier eine entzündete Wunde, wo sich ein paar Glasscherben in deine Haut gedrückt haben.“ Sie berührte eine Stellen an seinem Oberschenkel.

Crimson konnte aus seiner liegenden Position nicht viel erkennen, nur etwas Verbandsmaterial erahnen. Aber Verbandsmaterial war überall unregelmäßig verteilt an seinem Körper.

„Wir konnten zwei Fläschchen mit Medizin retten, aber die dritte, die in deiner Robentasche war, ist zerbrochen. Die Scherben haben dich nur leicht verletzt, aber das Mittel hat eine Entzündung hervorgerufen,“ mischte sich nun Olvins sachliche Stimme in das Gespräch ein. Der alte Magier erklomm seinen Stuhl mit geübter Leichtigkeit und betrachtete den Patienten aufmerksam. „Wie fühlst du dich heute, Jungchen?“

„Uhm...“ Das hatte Crimson noch nicht so genau feststellen können. „Nicht mehr ganz so erschöpft,“ überlegte er.

Olvin nickte. „Fein. Mir ist klar, dass du momentan der Hauptenergielieferant des Schlossherzes bist, daher habe ich gestern auf eine magische Heilung bei dir verzichtet und mich auf das Wesentliche beschränkt.“

„Du meinst wohl, du hast es mir überlassen,“ warf Lily ein.

Olvin ging nicht darauf ein, sondern fuhr fort: „Wie ja jeder weiß, der in Heilkunde aufgepasst hat, verbrauchen Heiltränke die Energie des Anwenders, aber auch Heilzauber, die von einem Heiler angewendet werden. Wo ist der Unterschied, Jungchen?“

Wie bitte? War das eine Prüfungssituation? „Äh... ein Heiler kann einen Großteil des Energieaufwandes selber tragen, wenn der Patient zu schwach ist, aber dennoch kostet es den Patienten Kraft?“

„Genau!“ grinste Olvin. „Also mit deiner Erlaubnis werde ich heute ein bisschen an dir arbeiten. Aber dein Schlossherz sollte darauf achten, dass deine Kraftreserven nicht zu sehr beansprucht werden. Ich selbst bin nicht in der Position, dir von meinen spenden zu können.“

„Okay,“ murmelte der Schlossherr einfach und bekam auch schon von Cathy die Bestätigung, dass er Olvins Anweisung zur Kenntnis genommen hatte.

Lily kam mit einem zusätzlichen Kissen und steckte es vorsichtig unter Crimsons Kopf und Schultern, so dass sie ihm etwas zu trinken einflößen konnte. Dem Geschmack nach zu urteilen, war es ein schwach dosierter Heiltrank.

„Was genau ist mit mir los?“ wollte Crimson wissen, als er ausgetrunken hatte. „Ich kann mich kaum bewegen...“ Seine Arme waren bandagiert, an etlichen Körperstellen klebten Pflaster, und wenn er sich ansatzweise rührte, hielten ihn Schmerzen von dem Versuch ab. Von dem Schwindel im Kopf mal ganz zu schweigen.

„Ich habe dir gestern etwas gegen die Schmerzen gegeben, aber es wirkt leider nicht ewig,“ sagte Lily bedauernd. „Davon abgesehen sollst du ja auch nicht aufstehen, also ist es gut, wenn du das auch einsiehst. So ein Sturz von der Treppe kann tödlich sein, gerade in Türmen... obwohl da oft der schräge Verlauf den Sturz frühzeitig stoppt. Du hattest Glück... vielleicht hast du instinktiv irgendeinen Zauber eingesetzt oder so. Auf jeden Fall ging es glimpflich aus.“

Glimpflich nannte sie das? Nun ja... immerhin war ja nichts gebrochen, nicht einmal seine Arme. Und auch nicht alle Portionen der Medizin waren zerstört worden. Crimson wusste noch, dass er versucht hatte, sie mit Magie zu schützen, aber er konnte sich nicht daran erinnern, ob er tatsächlich etwas zu diesem Zweck hatte unternehmen können.

Als Lily ihn Olvin überließ, fragte er den Necromanten: „Hat der übriggebliebene Heiltrank für Mava ausgereicht?“

Olvin, der gerade in Konzentration über ihn gebeugt war und dabei eine Hand auf der Brust des Patienten ruhen ließ, blickte von seiner Arbeit auf. Das Grinsen, das auf seinem runzligen Gesicht erschien, konnte man nur als schadenfroh bezeichnen. „Natürlich hat es das. Wir brauchten es im Prinzip nur, weil die Krankheit bei Mava schon ausgebrochen war und er kaum ansprechbar war. Das Mittel ist für schnelle Hilfe in schweren Fällen gedacht, aber im Prinzip wären wir mit einem einfachen Hausmittel ausgekommen.“

„Wie bitte?“ Crimson sprang beinahe auf, sank jedoch gleich darauf keuchend vor Schmerz wieder zurück in seine Ursprungsposition.

Olvin lachte belustigt. „Ich dachte mir, ich lasse dich mal das herstellen, was dein Schlossherz in seinem Datenspeicher hat. Ein Meisteralchemist wie du hätte schließlich wissen können, dass es Alternativen gibt... wenn er im Heilkundeunterricht irgendwann mal aufgepasst hätte.“

„Kannst du mal aufhören, darauf herumzureiten?“ grummelte Crimson.

„Es hätte auch sein können, dass du es von zu Hause weißt... meine Großmutter hat es mir damals zubereitet. Ach, wie lange ist das her! Es ist wirklich schon ein sehr altes Hausmittel. Die modernen Alchemisten verlassen sich meist viel zu sehr auf diese neumodischen Gebräue... dabei sitzt du hier direkt an der Quelle!“

„Äh... ja, und was ist es?“

Olvin schüttelte auf diese tadelnde Art, die er schon immer als Lehrer an sich gehabt hatte, den Kopf. „Dass du dich nicht mit deiner Umgebung hier vertraut gemacht hast, ist wirklich traurig.“

„Olvin, so langsam ist es genug, oder?“ meldete sich Sorc zu Wort.

Crimson drehte ein wenig den Kopf nach links und sah, dass Lily nun bei ihrem anderen Patienten war und gerade den Verband an der Schulter löste. Zu diesem Zweck war Sorc sein Hemdchen losgeworden, aber zumindest hatte er noch seine Decke.

„Kannst du die Finger bewegen?“ fragte Lily. „Gut... nun den Unterarm? Aha. Nein, das Schultergelenk solltest du noch schonen, bis ich die Fäden gezogen habe. Ich reibe die Stelle nochmal mit der Heilsalbe ein...“

Kurz darauf driftete der scharfe Geruch nach Kräutern zu Crimson herüber. „Sorc, was ist dieses Hausmittelchen?“ hakte er nach.

„Strandlotus,“ kam die prompte Antwort. „Er wächst in Küstengegenden, wo die Gezeiten nicht so stark sind, gerne in Lagunen und Buchten. Eine zerbrechlich wirkende Pflanze, die aber auch Sturmfluten übersteht. Schloss Lotusblüte liegt in einer Bucht, und weiter vorne im Meer befindet sich ein Korallenriff. Auf der dem Haupttor abgewandten Rückseite des Schlosses, wo es teilweise ins Meer ragt und wo seltener gebadet wird, ist alles voll davon. Durch das Klima hier blüht er fast immer, vermutlich hat das dem Schloss seinen Namen gegeben.“

„Richtig,“ bestätigte Olvin. „Zumindest einer von euch hat seine Hausaufgaben gemacht. Strandlotus kommt auch in Flussgebieten vor und kann in Seen angesiedelt werden. Es ist also kein Problem, welchen zu kriegen, wenn man ihn braucht.“

Crimson seufzte langgezogen. „Ist das der Grund, warum niemand Knochensalz für den Fall einer Schattenfieberwelle lagert?“

„Genau! Wie gesagt braucht man den Heiltrank höchstens im fortgeschrittenen Stadium, wenn der Patient komatös ist.“ Olvin war ganz in seinem Element. „Es spricht natürlich nichts dagegen, ihn ausschließlich zu benutzen, aber viele Alchemisten sind nicht bereit, Platz im Regal für kiloweise Knochensalz zu verschwenden, wenn ein Gewässer mit Strandlotus in der Nähe ist. So häufig kommt Schattenfieber dann nun doch nicht vor, und wenn, dann oft in Dörfern, wo es gar keinen professionellen Alchemisten gibt. Dafür wissen die Leute dort aber noch gut über Hausmittelchen Bescheid.“

„Was muss man mit Strandlotus machen?“ erkundigte Crimson sich.

„Oh, du wirst es lieben,“ kicherte Sorc.

Lily hatte seine Schulter fertig verbunden und zog den Vorhang vor dem Bett zu. „Fein, jetzt leg dich vorsichtig auf die Seite.“

„Kriege ich eine Massage, während du den Kratzer dort unten untersuchst?“ war Sorcs Stimme zu hören. War das ein anzüglicher Unterton? Das Bettzeug raschelte.

„Das wäre sicherlich zu anstrengend für dich,“ widersprach Lily in einem ähnlichen Tonfall. „Die Wunde könnte sich... Hey! Die Stelle hat geblutet! Hast du damit Sport gemacht oder was?“

„Ähm...“

„Sooooorc! Du musst dich ausruhen und das Bein schonen, weil IIIHKS!“

„Hab ich dir mal gesagt, dass du unglaublich erotisch aussiehst, wenn du schimpfst?“

„Das ist jetzt nicht der richtige... uh... Nicht, ich muss dich neu verbinden...Uhmmm!“

Es klang so, als würde Lily der Mund zugehalten... oder mit einem anderen Mund verschlossen... Crimson hörte lieber nicht weiter zu, sondern konzentrierte sich intensiv auf das Gefühl, das Olvins Heilkunst verursachte. Es kribbelte, als seine Wunden sich allmählich schlossen, doch das generelle Gefühl war angenehm und entspannend.

„Lass das, Sorc, du kannst nicht... oh! Ooooh! Haah!“ Lilys Stimme war zu laut, um sie auszublenden. „Nicht jetzt, Sorc, ich muss doch arbeiten!“

„Aber das tust du doch...“

Crimson konnte nicht anders, als doch wieder hinzuschauen, aber natürlich gab es außer dem Vorhang nichts zu sehen.

„Neidisch?“ neckte Olvin ihn.

Falls die verborgenen Tätigkeiten Crimson irgendwie erregt hatten, verging ihm das sogleich, als er sich bewusst wurde, dass ein alter Zausel seinen nackten Körper betatschte. Er hoffte nur, dass Sorc und Lily rechtzeitig fertig wurden, so dass Sorc sich um den nächsten Schritt des Elixiers kümmern konnte.

„Der hatte ne Eins in Heilkunde,“ grinste Olvin mit einer Kopfbewegung zum Nachbarbett. „Auch im praktischen Intensivkurs. Mit Heilzaubern kennt er sich aus... zumindest mit denen für den persönlichen Gebrauch.“

Crimson wollte im Erdboden versinken, aber er kam ja nichtmal alleine aus dem Bett. „Es gibt einen praktischen Intensivkurs für Heilkunde?“ fragte er ungläubig.

„Oh ja, an der Eisigen Universität durchaus, und der ist immer gut besucht!“ informierte Olvin ihn. „Natürlich können nur diejenigen teilnehmen, die im Grundkurs und im Erweiterungskurs gut waren, und die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Auf der Akademie gibt es aber nur Heilkunde für Fortgeschrittene, das ist eher theoretisch.“

Diese Erklärung trug nicht dazu bei, dass Crimson sich besser fühlte. „Das klingt so, als wäre die Eisige Universität die bessere Schule.“

„Es kommt darauf an,“ meinte der Necromant. „Ich war in meiner Jugend selber dort, um die höheren Necromantiekurse zu besuchen, aber davor war ich auf der Akademie. Vielleicht hätte es dir auf der Universität besser gefallen, dort kann ein ehrgeiziger, kreativer Alchemieschüler durchaus groß rauskommen.“

„Das ist das erste Mal, dass du mich als kreativ und ehrgeizig bezeichnet hast,“ fiel es Crimson auf.

Olvin sah ihn streng an. „Nein, das war eine ganz allgemeine Formulierung!“

Er klang zwar so, als fühlte er sich ertappt, aber vielleicht war das Einbildung.

„Beide Schulen nehmen Schüler ab dem Kindesalter auf und sorgen für eine gute magische Grundausbildung,“ fuhr der alte Magier fort. „Aber auf der Eisigen Universität bieten sich mehr Entfaltungsmöglichkeiten. Es gibt ein breiter gefächertes Angebot an Kursen, somit kann man sich besser auf ein Thema spezialisieren. Was natürlich auch daran liegt, dass du auf der Akademie normalerweise nach der zehnten Klasse fertig bist und dir dann einen Lehrmeister suchst. Die Universität kannst du bis zu sechzehn Jahre lang besuchen. Sie ermöglicht Dinge, die auf der Akademie verboten sind – bestimmte Zaubertränke zum Beispiel. Aber für dich wäre das wohl nichts gewesen, Jungchen.“

„Ach, und wieso nicht?“

„Weil sie dort weder Störenfriede noch Faulpelze dulden! Wer unangenehm auffällt und die Lernerfolge der anderen stört, fliegt schlicht und einfach raus.“

Crimson schwieg und dachte darüber nach, ob er sich etwas weniger rüpelhaft verhalten hätte, wenn er auf seiner Schule nach Herzenslust seiner alchemistischen Neigung hätte nachgehen können. Vielleicht wäre er ein guter Schüler gewesen, wenn sie seinen Tatendrang nicht immer so unterbunden hätten... Aber er konnte sich nicht vorstellen, dass er auf der Eisigen Universität ohne bestimmte Grundkurse ausgekommen wäre, die sicherlich gefordert wurden. Genau das war ja sein Problem: Viele Pflichtveranstaltungen hatten ihn einfach nicht in ausreichendem Maße interessiert.

Olvin schloss nun konzentriert die Augen, und Crimson sprach ihn lieber nicht mehr an. Er konnte mehr von der Heilmagie spüren, teilweise war es unangenehm, so als würde jemand seine Muskeln brutal kneten und wieder in Form bringen. Wunden auf der Haut dagegen juckten stark beim beschleunigten Heilen.

Indessen wurde die Geräuschkulisse hinter dem Vorhang angespannter und erregter. Offenbar hatte Lily ihren Widerstand aufgegeben und erfreute sich an Sorcs Zuwendungen. Beide versuchten, ihre Laute ein bisschen zu unterdrücken, was aber nicht immer gelang. Oh Mann... Crimson hatte zwar bemerkt, dass die beiden sich ganz gut verstanden, aber nicht erwartet, dass sie schon so ein inniges Verhältnis hatten. Sorc war wohl etwas zu oft Patient hier gewesen.

Kurz darauf hörte er gar keine Geräusche mehr, was er erst merkwürdig fand, doch dann musste er lächeln – der Stillezauber war schließlich etwas, was man sehr früh lernte... und zwar meistens nicht von seinem Meister, Lehrer oder einem Elternteil, sondern von einem Kumpel oder aus einem Buch. Crimson konnte nach einigen weiteren Minuten erkennen, dass die Angelegenheit ihren Höhepunkt erreichte, denn ein ungewöhnlicher Ausbruch an Magie war zu spüren. Nie zuvor war er mit einem Heilzauber dieser Art im selben Raum gewesen und fand es faszinierend, dies aus der Zuschauerperspektive (falls man das so nennen konnte) zu erleben.

„Er verschwendet ziemlich viel Kraft,“ bemerkte Olvin. „Als ob er einen Becher Wasser trinkt und die Hälfte verschüttet. Ich frage mich, ob er das mal besser konnte, wenn er eine Eins in dem Fach hatte.“

„Äh... kommt die praktische Anwendung etwa im Unterricht vor?“ fragte Crimson ungläubig.

„Wenn man den Gerüchten glauben darf, sind die da nicht gerade prüde.“ Olvin nahm seine Hände von Crimsons Körper und deckte ihn wieder zu. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Das war's erstmal, Jungchen. Mehr möchte ich dir im Moment nicht zumuten.“

Es sah eher so aus, als wäre er an seine eigenen Grenzen gestoßen, doch darauf ritt Crimson lieber nicht herum. Er fühlte sich besser als vor der Behandlung, allerdings auch müder. „Danke, Olvin.“

Der Alte nickte langsam und mit ernster Mine, stieg aber noch nicht von seinem Stuhl. „Jungchen, du wirst Schattenfieber bekommen. Du hattest direkten Kontakt mit Mava, und ich kann erste Anzeichen in deinem Immunsytem feststellen. Du solltest... Vorkehrungen treffen. Was immer du für nötig hältst für den Fall, dass du nicht mehr Herr der Lage bist.“

Crimson atmete einmal tief durch. Befürchtet hatte er es ja, aber im Moment nicht mehr daran gedacht. „Kannst du nichts dagegen machen?“

Olvin schüttelte den Kopf. „Ich bin auf Necromantie spezialisiert und gut im Heilen von Verletzungen. Aber Krankheiten sind ein anderes Fachgebiet. Außerdem... nun ja, du musst selber bei guter Gesundheit sein, um sowas zu können. Das bin ich nicht, wie du weißt.“

„Oh... ja.“ Und wenn das Elixier verdarb, würde sich daran vielleicht auch nie wieder etwas ändern. Crimson warf einen Blick auf den Vorhang vor Sorcs Bett.

„Zu deiner Information,“ lenkte Olvin seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Ich gebe dir keine zusätzliche Frist zu dem Monat, den ich dir gewährt habe. Und ich habe nicht vergessen, dass du mir noch etwas schuldig bist. Wenn du versagst, weil eine unerwartete Krankheit nicht in deinen Zeitplan passt, nehme ich dir deinen Effekt, indem ich dir die Haut vom Rücken abziehe und mir daraus einen Lampenschirm mache. Ich lasse keine Ausrede gelten, denk daran.“

Crimson schluckte. Er hatte vollkommen verdrängt, dass er dem Alten versprochen hatte, dass er seinen Effekt zerstören durfte. Es war in einem schwachen Moment geschehen, aber dennoch war es ein Versprechen, an das er sich halten würde. Die neue Drohung schwebte wie ein erhobenes Schwert über ihm, und er wusste keine Antwort darauf außer: „Verstanden.“

„Fein.“ Olvin kletterte vom Stuhl und schlenderte davon.

Kurz darauf zog Sorc seinen Vorhang auf und verließ sein Bett unter heftigem Protest von Lily. Er zupfte gerade sein Krankenhemdchen zurecht. „Wirklich, du musst dir keine Sorgen mehr deswegen machen, Liebes. Die Hüfte tut gar nicht mehr weh.“

„Deswegen sollst du trotzdem nicht gleich aufstehen!“ bestimmte die Fee. „Du musst dich ausruhen, und dein Arm ist noch lange nicht in Ordnung...!“

„Ich komme ja wieder,“ versprach er ihr und stupste neckisch ihre Nase an. „Es ist ein Notfall.“

Lily schmollte, sagte aber nichts mehr.

Sorc trat neben Crimsons Bett. „Ich mache mich auf den Weg. Hast du bestimmte Anweisungen für diesen Arbeitsschritt?“

Es handelte sich um das, was Veiler mitgebracht hatte. „Die Blätter müssen im Mörser zerkleinert werden, aber sortier die Blüten aus,“ sagte Crimson. „Bring am besten das Buch mit, wenn du zurückkommst. Ich, ähm... ich muss die nächsten Tage mit dir durchgehen. Kriegst du es hin, wenn ich dich nicht anleiten kann? Laut Olvin habe ich mich bei Mava angesteckt.“

„Wenn wir es vorher besprechen, dürfte das kein Problem sein,“ nickte der Chaoshexer. „Und mach dir keine Sorgen, dass ich krank werden könnte... ich hatte Schattenpocken, als ich acht war.“

Das war eine Information, die Crimson erleichterte. So war es doch gleich viel unwahrscheinlicher, dass auch Sorc ausfiel. „Wie kommst du damit zurecht, dass Cathy dir mehr Energie als sonst abzieht?“ fragte er ihn.

Sorc drehte sich zu kurz Lily um, als befürchtete er eine neue Schimpftirade. Sie stand neben seinem Bett und sortierte etwas Verbandsstoff, den sie nicht gebraucht hatte. „Ich kann damit umgehen,“ versicherte er. „Bis sich die Situation ändert, werde ich eben etwas mehr Schlaf benötigen. Kay wollte das Frühstück machen, ich werde versuchen, rechtzeitig wieder hier zu sein.“

Erneut sah Crimson dem Hexer nach, und dieses Mal war kein Hinken in dessen Gang zu erkennen. Demnach musste der Heilzauber funktioniert haben, auch wenn dabei laut Olvin zuviel Kraft verschwendet worden war. Erstaunlich, dass es mit einer Fee klappte, aber andererseits war Sorc da wohl wie Blacky – er stellte es einfach nicht in Frage.
 

Sie machten es wieder so wie beim letzten Mal. Sorc erwies sich als ausreichend guter Alchemist, um Crimsons Bedenken in dieser Hinsicht zu zerstreuen. Nach zwei Malen konnte man zwar noch kein endgültiges Urteil fällen, aber der Chaosmagier machte einen kompetenten Eindruck. Er brachte das benutzte Geschirr und das Buch mit, als er zurückkehrte.

Zu diesem Zeitpunkt waren Dark und Blacky anwesend, denn sie hatten zwei Tabletts mit Frühstück gebracht. Sorc war so geistesgegenwärtig, das Buch mit der Titelseite nach unten und mit dem Buchrücken dem Kissen zugewandt auf sein Bett zu legen, als handle es sich nur um etwas Lektüre. Der Titel „Anspruchsvolle Tränke, Gifte und Elixiere für den ehrgeizigen Magier“ hätte bei Dark sicherlich ein Stirnrunzeln hervorgerufen, hieß das doch soviel wie „Alchemie für aufstrebende Dunkle Herrscher“. So ein Buch zu besitzen und es zu benutzen waren zwei verschiedene Paar Schuhe.

Es gab Suppe, eigentlich nur Brühe mit Wildkräutern. Seltsamerweise war Crimson damit völlig zufrieden, auch dann noch, als er sah, dass sein Bettnachbar zusätzlich Brot, Obst und Honig bekam. Das hing vielleicht auch damit zusammen, dass er nicht ohne Hilfe essen konnte.

„Wie ist die Lage?“ fragte er Dark, der sich, bewaffnet mit einem Löffel, auf den Stuhl gesetzt hatte, den Olvin zuvor benutzt hatte. Crimson aß brav, was ihm hingehalten wurde.

„Yami zeigt erste Anzeichen von Schattenfieber,“ sagte Dark. „Es geht ungewöhnlich schnell bei ihm. Bei allen anderen ist es sehr wahrscheinlich, dass sie es kriegen werden, weil die meisten von uns in irgendeiner Form mit Mava Kontakt hatten. Die beiden kleinen Mädchen haben ihm das Essen gebracht, und ich selbst habe später das Geschirr abgeholt, weil ich kurz mit ihm reden wollte, aber er hat geschlafen. Appi, Yugi und Yami haben Mava hierher gebracht, als sie merkten, dass er krank ist. Du hast dich wahrscheinlich schon davor angesteckt, gleich als er ankam, nicht wahr? Blacky ist der Einzige von uns, der Mava in keiner Form begegnet ist, aber vielleicht hat er es sich schon bei Yami geholt. Eventuell bekommt er es etwas später. Dann wären da noch Eria und diese Amazone... Atria heißt sie, oder? Beide könnten verschont bleiben, falls sie sich entsprechend vorsichtig verhalten. Bei der Amazone gibt es nur das Problem, dass sie sich von uns Männern nichts sagen lässt.“

„Dann soll Lily mit ihr reden.“

„Lily dürfte sich auch angesteckt haben.“

Diesen Aspekt hatte Crimson noch nicht bedacht. „Aber... sie ist meine Heilerin!“

„Das tut nichts zur Sache,“ bedauerte Dark.

Crimson überlegte. Fehlte nicht noch jemand? „Du hast Cross und Kuro vergessen.“

„Ach ja...“ Dark gab ihm mehr von der Suppe. „Mein Vater ist immun dagegen, er hatte Schattenfieber auf einer seiner Reisen. Cross habe ich nicht gefragt. Er kümmert sich um die Drachen. Die können das jedenfalls nicht kriegen.“

Crimson nickte. „Okay. Wie geht es Eria, ist sie inzwischen erwacht?“

Cathy hatte jedenfalls nichts vermeldet, er war heute generell etwas schweigsam, aber Crimson spürte, dass sein Schlossherz beschäftigt war.

„Vater sieht regelmäßig nach ihr. Vorsichtshalber geht außer ihm und Olvin niemand zu ihr in das Zimmer. Sie war wohl kurz wach und konnte etwas trinken, ist aber wieder eingeschlafen, ohne etwas zu sagen. Olvin meint, sie ist nur völlig erschöpft.“ Dark schenkte seinem Cousin ein ermutigendes Lächeln. „Wir kriegen das schon alles hin. Wenn du dich sogar mit Sorc verbrüderst, sollte alles Weitere ein Kinderspiel sein.“

„Ich, mich mit Sorc verbrüdern?“ empörte Crimson sich. „Ich habe nichts dergleichen...“ Er unterbrach sich, als ihm bewusst wurde, dass die Person, über die er sprach, ihn vom Nachbarbett aus fragend anschaute. So aus dem Augenwinkel gab es Sorc sogar in doppelter Ausführung, wenn Blacky direkt neben ihm saß.

Beide Chaosmagier bissen synchron von einer kleinen Frucht ab. Es sah nicht so aus, als würde einer sich über Crimsons Worte aufregen. Der Weißhaarige blickte verlegen auf seine Hände. Es war unfair, so abweisend zu sein, wo doch Sorc dabei war, ihm den Arsch zu retten.

„Nun, ähm... wir kommen miteinander klar,“ räumte Crimson ein.

„Iss deine Suppe auf,“ grinste Dark und hielt ihm den Löffel vor die Nase.

Crimson gehorchte und aß schweigend. Nachdem er den Teller geleert hatte, hatte er aber schon genug. War Appetitlosigkeit schon ein Anzeichen der Krankheit? Es war ein seltsames Gefühl, darauf zu warten.

„Könnte mir vielleicht jemand ein Nachthemd bringen, bevor ich geistig wegtrete?“ fragte er in die Runde.

„Ich kümmere mich darum,“ versprach Dark. „Aber mach dir keine Sorgen. Wenn Schattenfieber von Anfang an behandelt wird, wird es nicht so schlimm. Du dürftest die meiste Zeit bei Bewusstsein sein.“

„Die Frage ist, ob ich das will, während ich Fieber habe und wer weiß was noch.“ Crimson wusste eigentlich gar nicht, was ihn erwartete. Er hatte Mava gesehen, aber dabei nur einen kurzen Blick auf die Symptome werfen können.

„Falls es dich tröstet, wir werden das wohl gemeinsam herausfinden können.“ Dark tätschelte seine Hand. „Soll ich dafür sorgen, dass ich ein Bett neben dir kriege?“

„Das ist nicht witzig.“ Dennoch zuckten Crimsons Mundwinkel nach oben, denn er hatte das Gefühl, als wäre die Situation unter Kontrolle... wenn auch nicht unter seiner.

Diesen Moment suchte sich Kuro für seinen Auftritt aus. Er schien, wie zuvor Blacky und Dark, aus der Küche zu kommen, denn er trug noch seine Schürze. Aber er marschierte auf die Betten zu wie ein Soldat, um sich bedrohlich vor Sorc aufzubauen. „Duuu! Kinderschänder! Endlich zeigst du dein Wahres Gesicht!“

Alle starrten ihn entgeistert an, einschließlich Blacky, der sich direkt neben der Szene befand, aber nicht eingriff. Sorc hatte einen ernsten, wachsamen Gesichtsausdruck angenommen.

„Ähm, Vater, was hat das zu bedeuten?“ fand Dark als Erster seine Stimme wieder.

„Ich habe Eria gerade das Frühstück gebracht,“ verkündete Kuro, ohne den Blick von Sorc zu nehmen. „Sie ist erwacht, als ich reinkam, und konnte mir mitteilen, dass du versucht hast, dich an ihr zu vergehen!“

Sorc schob den anklagenden Zeigefinger zur Seite, der drohend in seine Brust piekte. „Ich bitte dich, Black Skill. Crimson kann bezeugen, wie es wirklich war.“

„Ich rede nicht nur von der Sache im Bad, sondern von anderen Gelegenheiten, bei denen du ihr aufgelauert hast!“ beharrte Kuro.

„Wie bitte soll ich sowas machen, wenn das Schlossherz mich die ganze Zeit überwacht?“ wandte Sorc ein, allmählich etwas gereizt.

„Du weißt es, wenn das Schlossherz seine Aufmerksamkeit bei dir hat,“ warf Kuro ihm vor. „Und du kannst dich vor ihm verbergen, wenn du es darauf anlegst! Ist es nicht so?“

Sorc widersprach nicht, statt dessen hob er trotzig das Kinn und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Im Raum schien es kühler zu werden, und die gewohnte, sichere Atmosphäre wich einem Gefühl der Bedrohung.

Crimson gefiel die Wendung nicht, die dieses Gespräch nahm. Er wusste, dass er sich in diesem Moment vor allem um seine Schülerin sorgen sollte, doch ein anderer Gedanke drängte sich ihm auf: Was wird aus dem Trank im Alchemieturm, wenn Sorc ausfällt?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  jyorie
2013-07-30T22:34:34+00:00 31.07.2013 00:34
Hey ^_^

XP das mit den Heilzaubern hab ich ja fast vergessen... *ggg* aber das Lili so was mit sich machen läßt :D
Olivin schien es ja zu gefallen, außerdem scheint er ein wenig von Sorc zu schwärmen (jetzt nicht Romantisch – wegen der Noten und Ehrgeiz)

Ob man Crimson es gesagt hätte, das er das Knochensalz garnicht verbrauchen muss, wenn er sich mal mit den anderen unterhalten hätte, das es sonst vielleicht für den geheimen Trank nicht mehr langt. Er hätte sich eine Menge Ärger ersparrt.

Ich finds gut, das du in das neue Kapitel so viele Infos gepackt hast und zusätzliche Hintergrund Infos :D

Allerdings glaube ich dem letzten Vorwurf, das sich Sorc an Eria vergangen hat nicht. Okay, das mit dem Schlossherz wäre eine mögliche Lücke, aber wenn er so was getan hätte, hätte sich die Kleine sicher schon früher beschwert, oder es auf dem Beschwerdeblatt über Sorc notiert. Das das jetzt nachträglich rauskommt, nach einem missglückten Rache-Feld-zug erscheint mir nicht so glaubwürdig. (Auch wenn Sorc dazu schweigt) ... Mal sehn was du machst :D

Schönes Kapitel ^^

CuCu Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
31.07.2013 09:38
Naja... das zwischen Lily und Sorc was läuft, wurde schonmal angedeutet. Allerdings habe ich mich recht spontan dazu entschieden das hier etwas zu... verdeutlichen.
Jaaaa, Olvin steht auf Leute, die in Heilkunde aufpassen. XD
Da er weiß, dass Crimson immer etwas unaufmerksam war, hat er ihm das mit dem Knochensalt nicht gesagt... sonst hätte ich daraus ja auch keine dramatische Episode machen können.^^
Ah, es freut mich, dass die Infos gut ankommen. Manchmal befürchte ich, dass ich die Leser damit langweile, wenn es so viele werden.
Das mit Eria wird im nächsten Kapitel behandelt. Und natürlich musst du nicht alles glauben, nur weil Kuro es sagt. ;)
Von:  Hikari-Yumi
2013-07-30T20:55:43+00:00 30.07.2013 22:55
Zu allererst:
Der letzte Satz.... Crimson stellt den Trank höher als Eria. Okay, verständlich. Ohne Trank ist er seinen Effekt und olvin los. Außerdem hat Eria Mist gebaut....

Kuro hat aber auch was gegen Sorc... Fast alle mögen ihn, aber er misstraut...
Naja auch verständlich...


„Alchemie für aufstrebende Dunkle Herrscher“. <~ sowas hatte ich auch im Kopf. Total der beschönigte Buchtitel.
Es klingt harmlos, aber jeder weis es besser^^

Sehr gelungen xD
Antwort von:  Purple_Moon
31.07.2013 09:45
Na, dass er den Trank höher stellt, steht da nicht. Aber man kann es so interpretieren, doch... zumindest hat Crimsion den Anstand, sich dafür zu schämen. *g*
Vorsicht, der Titel ist „Anspruchsvolle Tränke, Gifte und Elixiere für den ehrgeizigen Magier“, nur kann man das praktisch übersetzen als „Alchemie für aufstrebende Dunkle Herrscher“.
Als *ehemaliger* aufstrebender Dunkler Herrscher hast du es logischerweise nicht leicht... was Sorc gerade wieder erleben muss. Kuro und Eria sind nicht bereit, sich so leicht auf ihn einzulassen.^^


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