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Fremde Welten: Das Schloss am Meer (#2)

Crimsons eigene Serie, yay!
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Tag 8 Komplett anzeigen

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Gewissenskonflikt

Es war der Weltuntergang. Crimson hatte es zuerst nicht begriffen, aber inzwischen wusste er, dass er verloren hatte. Um Mitternacht, spätestens aber zur zweiten Stunde musste er Knochensalz in seinen Trank geben, und zwar ungefähr dreißig Gramm oder sechs Teelöffel voll. An sich kein Thema. Er hatte das Zeug immer auf Lager, es wurde nicht oft gebraucht, kam aber doch in genug Tränken vor, um es in seinen Augen zu einer Standardzutat zu machen. Also hatte er es da, aber nicht in großen Mengen – etwas mehr als hundert Gramm, was bei Knochensalz etwa einem viertel Trinkbecher voll entsprach. Damit kam er für gewöhnlich monatelang aus.

Das Elixier von Sil-har'kahn erforderte relativ viel von diesem körnigen Pulver. Normalerweise brauchte man nur eine Priese oder einen Teelöffel davon. Knochensalz war in purer Form giftig und deshalb mit Vorsicht zu genießen, aber das galt für viele alchemistische Stoffe.

Das Mittel gegen Schattenfieber bestand praktisch aus in Wasser gelöstem Knochensalz und wurde nur mit weiteren Zutaten versehen, damit es einigermaßen schmeckte und den Patienten nicht umbrachte. Etwas anderes war verzichtbar oder konnte leicht ersetzt werden, aber nicht die Hauptzutat.

Crimson rang mit sich. Er hatte seinen Bedarf durchgerechnet. Wenn er die erforderliche Menge für seinen Trank zurückhielt und mit dem Rest soviel Medizin wie möglich herstellte, reichte das Ergebnis für ungefähr sieben Anwendungen. Das konnte zeitlich ausreichen, um Ersatz zu besorgen, wenn er davon ausging, dass der Patient das Mittel alle drei bis vier Stunden bekommen musste. Aber er konnte niemanden schicken, denn alle, die sich jetzt im Schloss befanden, konnten schon Träger der Krankheit sein. Was wiederum hieß, dass bald nicht nur Mava die Medizin brauchen würde, schließlich hatte er selbst sich wahrscheinlich gleich als Erster bei ihm angesteckt, als der Lichtmagier ihm das Schattenmoos überreicht hatte. Die Medizin würde mit weiteren dreißig Gramm Knochensalz für ungefähr drei weitere Anwendungen reichen. Das lohnte sich kaum, konnte aber über Leben und Tod entscheiden.

Crimson raufte sich frustriert die Haare und beschloss, das Pulver für seinen Trank zurückzuhalten und bei Bedarf zu Medizin zu verarbeiten. So blieb ihm noch eine Gnadenfrist, und er konnte endlich anfangen, statt weiter zu grübeln.

Es beruhigte ihn, diese Entscheidung getroffen zu haben, so dass er seine Arbeit schnell und konzentriert erledigen konnte. Alchemistische Betätigung klärte auch immer seinen Geist. Er konnte einen komplizierten Trank selbst unter Zeitdruck und mit störendem Lärm herstellen, wenn er musste. Sogar die Müdigkeit, die durch den kräftezehrenden Quarantänemodus verursacht wurde, hielt ihn bisher nicht auf, und die Stimmen seiner Drachen waren eher Hintergrundmusik. Er wünschte sich im Moment allerdings, seine Zauberküche befände sich im Erdgeschoss, denn er hatte Mühe mit den vielen Stufen gehabt. Seine Beine fühlten sich schon furchtbar schwer an, ohne dass er auf Türme kletterte.

Während er ein Kräutergemisch kochte, in das am Ende das Knochensalz eingerührt wurde, kam ihm der Gedanke, dass es doch merkwürdig war... wenn Knochensalz so wichtig gegen eine hochansteckende Krankheit wie Schattenfieber war, warum riet man dem Alchemisten eines Schlosses dann nicht, die Substanz kiloweise zu lagern? Crimson kannte viele Kollegen, die das auch nicht taten. Sogar Lily hatte nichts mehr davon, was vielleicht daran lag, dass sie gewusst hatte, dass er welches hatte. Lily brauchte Knochensalz unter normalen Umständen kaum. Gab es Schattenfieber so selten, dass es sich dafür nicht lohnte, eine giftige Zutat ungenutzt aufzubewahren? Oder hatte Lily einen Fehler bei der Berechnung ihres Inventars gemacht? Aber auch Olvin hatte sie nicht darauf hingewiesen, dabei hatte er sich garantiert einen Überblick verschafft. Wieso stand Knochensalz nicht in jeder Gebrauchsanweisung für Schlösser, die einen Quarantänemodus hatten?

Auch Cathy wusste darauf keine Antwort, denn er hatte noch nie einen Fall von Schattenfieber erlebt, bei dem der Alchemist des Schlosses die Medizin selber hergestellt hatte. Außerdem speicherte ein Schlossherz immer nur die Informationen ab, die seinem Herrn zugänglich gemacht wurden, und nicht, was jeder der Bewohner wusste. Manche Grundinformationen kamen von den Erschaffern, und die waren manchmal veraltet. Laut Lily war das Rezept, das Crimson gerade benutzte, aber noch zeitgemäß und hatte sich seit vielen Jahrzehnten bewährt.

Auf den Landeplattformen auf einigen der Türme hatten sich Crimsons Drachen verteilt, obwohl es auch gereicht hätte, wenn sie einfach auf dem Gelände geblieben wären. Cathy konnte nicht so gut Energie von Drachen für seine Reserve nutzen, denn er war auf Magier ausgerichtet, aber es war unter den gegebenen Umständen besser als nichts. Besonders Lichtblitz war begierig, in einer dramatischen Aufopferung all seine Kraft zu geben. Er war schon irgendwie süß.

Tyra, der Drache von Cross, flog ober das Meer und fing riesige Fische für alle, so dass die kleinen beim Schloss bleiben konnten.

Inzwischen hatte Dark seine Energie für Cathy freigestellt. Was genau Draconiel dazu bewogen hatte, auf die Unterstützung seines Herrn zu verzichten, war Crimson nicht bekannt. Vielleicht hatte das Herz von Burg Drachenfels noch volle Speicher, falls diese unbeschädigt geblieben waren, oder aber es konnte im Notfall mit der Kraft der Bauarbeiter auskommen. Im Prinzip zählte ja nur das Ergebnis, aber neugierig war er.

Crimson rührte das Knochensalz in die Brühe, kochte alles kurz auf und stellte sicher, dass der Stoff sich gut aufgelöst hatte, dann füllte er alles in kleine Glasflaschen ab, damit es auch wirklich sieben Anwendungen wurden. Letztendlich war die Aufteilung Sache der Heiler, aber er konnte immerhin versuchen, das Zeug sparsam zu dosieren.

Das Elixier wurde noch kurz einmal umgerührt, dann machte Crimson sich mit vier Gläschen in der Hand auf den Weg nach unten. Die restlichen drei steckte er in eine Tasche in seiner Robe, denn die zweite Hand brauchte er für das Geländer. Er war erleichtert, diese Arbeit geschafft zu haben, er brauchte nämlich Schlaf. Seine Augenlider fühlten sich ganz schwer an. Er überlegte, wo es Knochensalz zu kriegen gab, vor allem aber, wie er dort Bescheid sagen konnte, dass er es brauchte. Vielleicht gab es im Kristallschloss noch Restbestände, aber viel konnte das auch nicht sein. Crimson kaufte es normalerweise immer bei einem Händler oder tauschte es mit anderen Alchemisten. Man fand es leider nicht einfach irgendwo in der Natur, denn es wurde aus den fossilen Knochen einer bestimmten Fischart gewonnen und konnte somit nicht einfach...

Crimson verfehlte eine Stufe. Noch im Fallen schossen ihm Gedanken durch den Kopf. Zu müde? Unachtsam? Erstaunlich, wie viele Gedanken man manchmal in weniger als einer Sekunde dachte. Er hatte das Geländer nur locker gehalten, so dass seine Hand davon abrutschte. Instinktiv versuchte er, die Arme nach vorne zu strecken und sich irgendwie abzufangen. Jedoch...

„Neeeeiiin!“ Die Glasfläschchen entglitten seinen Fingern. Crimson wollte einen Zauber einsetzen, um sie zu retten, aber er fiel, dachte noch daran, dass sein Elixier verdarb, wenn er sich verletzte und sich nicht mehr darum kümmern konnte, aber er hatte sowieso bald kein Knochensalz mehr... Er hörte das Klirren, als ein, zwei, drei Portionen des Heilmittels aufschlugen, dann schoss ein scharfer Schmerz in seinen linken Ellenbogen, und schließlich wurde es schwarz um ihn, als sein Kopf Kontakt mit den Steinen bekam...
 

[„Meister? Bitte wacht auf... Es ist an der Zeit, Knochensalz in den Trank zu geben...“]

Cathys Stimme erklang gedämpft in seinem Kopf, so als wollte das Schlossherz ihn eigentlich gar nicht wecken. Crimson schlug langsam die Augen auf und wurde von der dämmrigen Nachtbeleuchtung des Krankenflügels empfangen. Als er versuchte, sich zu bewegen, durchzuckte ein scharfer Schmerz seinen Körper. Er stöhnte auf.

„Ah, Direktor...“ Sorcs Gesicht erschien in seinem Blickfeld. „Wir sehen uns eher wieder als erwartet. Bleib still liegen, du hast bei dem Sturz ein paar Verletzungen erlitten.“

„Sturz?“ murmelte Crimson schwach. „Oh... die Treppe... Oh nein, der Trank für Mava!“ Er versuchte trotz der Warnung, aus dem Bett zu springen, doch die linke Hand des Chaosmagiers drückte fest auf seine Brust.

„Du kannst nicht aufstehen, Crimson. Vermutlich hast du eine Gehirnerschütterung. Gebrochen ist nichts, aber geprellt, verstaucht, angeknackst. Bleib liegen und sag mir, was ich tun soll.“

„Was du...“ Der Weißhaarige runzelte die Stirn, wobei ihm auffiel, dass er einen Verband am Kopf haben musste, denn der Stoff drückte auf seine Hautfalten.

„Wenn du nicht aufgewacht wärst, hätte ich Dark gesucht und ihn gebeten, sich um das Elixier zu kümmern. Aber Catherine meinte, du wolltest nicht, dass Dark davon erfährt. Zu dem Thema musst du dich wohl mal klar geäußert haben.“ Sorc grinste schief.

Crimson musterte den Älteren, so gut es ihm möglich war. In seinem Kopf pochte es unangenehm. „Du kannst nur eine Hand benutzen, oder?“ erkundigte er sich. „Und... kannst du überhaupt lange gehen? Treppen steigen?“

Sorc trug seine Haare jetzt ordentlich zusammengebunden, hatte aber immer noch das Hemdchen an und den rechten Arm in einer Schlinge. „Für dich kann ich, wenn du es sagst.“

Die seltsame Antwort überraschte und verwirrte Crimson. „Wie meinst du das?“

Sorc zuckte entschuldigend mit der gesunden Schulter. „Ich habe nachgedacht und beschlossen, dass einer von uns anfangen muss, dem anderen zu vertrauen. Da ich dir ein bisschen Lebenserfahrung voraus habe, mache ich den Anfang. Du bist der Schlossherr, das bedeutet, du hast deine Leute. Ich bin nur als Rehabilitant hier, aber wenn du willst, bin ich dein loyaler, persönlicher Chaoshexer. Ich verteidige dieses Schloss und alle, die darin leben, mit allem, was ich habe. Sag mir, was du brauchst, und ich finde einen Weg. Du hast das Wort von Soach, Prinz der Eisigen Inseln.“

Das klang so ernst und feierlich, dass Crimsons Wangen sich ganz heiß anfühlten. Die Situation war eigentlich dem Anlass völlig unangemessen, zwei verletzte Männer am Krankenbett. Aber wenn Sorc das nichts ausmachte, wollte Crimson sich darüber auch nicht beschweren.

„Dein Schwur hat überhaupt keine Einschränkungen,“ stellte er fest. „Befürchtest du nicht, dass ich das ausnutzen könnte, um dich auf eine tödliche Mission zu schicken?“

Prinz Soach von den Eisigen Inseln schüttelte entschieden den Kopf. „Nein. Vertrauen gehört dazu, Crimson vom Lotusschloss. Also gebe ich dir meines. Wenn du aber mir im Moment nicht vertrauen kannst, werde ich dich mit der Zeit schon überzeugen.“

Es konnte im Prinzip nicht schaden, oder? Es änderte sich ja nichts daran, dass Sorc ein Rehabilitant des Zirkels des Bösen war. Wenn das ein Trick war, gab es noch das Kontaktformular.„In Ordnung,“ sagte Crimson. „Als Schlossherr von Schloss Lotusblüte nehme ich dein Angebot an. Sei mein loyaler Chaoshexer.“

Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es angemessen gewesen wäre, von seiner Seite aus einen ähnlichen Schwur zu leisten, doch dazu war er noch nicht bereit. Das Vertrauen war nicht da, und davon abgesehen gab es Verpflichtungen, die ein Schlossherr gegenüber seinen Untergebenen und Schutzbefohlenen hatte, ohne dass sie ausgesprochen wurden.

Es gab eine Veränderung in der Luft, ein schwer zu greifendes Gefühl, als die magischen Strömungen in dem Raum die neue Verbindung zwischen den beiden Magiern zur Kenntnis nahmen. Sie hatten keinen magischen Pakt in dem Sinne geschlossen, dennoch kam es zu einem Echo im Gefüge der Magie. Crimson blickte zu Sorc auf und hatte den Eindruck, dass er es auch gespürt hatte und nicht überrascht war.

„Zu deiner Information, Direktor: Veiler kam vorhin zurück. Er hat seine Lieferung vor dem Schloss abgelegt und Catherine hat ihm mündlich den nächsten Auftrag mitgeteilt, den Yugi schon vorbereitet hatte. Er wird zwei Tage im nächsten Dorf bleiben und dann wieder aufbrechen. Bisher geht noch alles nach Plan, soweit ich das mitbekommen habe,“ berichtete Sorc schließlich. „Eria und Mava sind in andere Räume gebracht worden – Eria, weil eine Chance besteht, dass sie sich noch nicht angesteckt hat, und Mava, damit er niemanden mehr ansteckt. Von den Fläschchen, die du in der Tasche hattest, sind zwei heile geblieben, so dass er damit behandelt werden konnte. Es geht ihm nach wie vor schlecht, aber er ist jetzt zumindest ansprechbar.“

Crimson stöhnte langgezogen, und es lag nicht an seinen Schmerzen. „Das Knochensalz. Ich werde es für neue Medizin verwenden müssen... und ich hatte keine Gelegenheit, mich um Ersatz zu kümmern, somit ist das Elixier erledigt...“

„Du hast noch genug behalten, nicht wahr?“ hakte Sorc nach.

„Schon, aber...“ Crimsons Protest wurde gestoppt, da ein blauer Finger sich beschwichtigend auf seine Lippen legte.

„Vertrau mir, wenn ich dir sage, dass es in Ordnung ist. Ich möchte nur nicht vorgreifen, vermutlich wird Olvin dir morgen früh breit grinsend die frohe Botschaft verkünden. Im Moment brauchen wir das Knochensalz nicht, also steht es dir zur Verfügung,“ versicherte Sorc.

Crimson versuchte, sich zu entspannen, was ihm nur bedingt gelang. „Uhm... na gut. Hattest du wirklich... eine Eins in Alchemie?“

Der Chaosmagier nickte ernst. „Ich war vor allem in der Theorie sehr gut, und meine Leistungen reichten aus, um auch in der Praxis zu glänzen. Das bedeutet im Prinzip, dass ich ein Rezept in einem Schulbuch befolgen und dabei sauber arbeiten konnte. Es ist eine Weile her, und Schule ist nicht zwangsläufig mit der Realität zu vergleichen. Heute würde ich meine Anwesenheit in einem Labor als nicht ganz ungefährlich einschätzen, aber ich müsste es hinkriegen, wenn du mir konkrete Anweisungen gibst.“

Es musste wohl sein – Crimson gestand sich ein, dass er sich zu schwach fühlte und zu große Schmerzen hatte, um auch nur daran zu denken, in den Turm zu gehen. Selbst wenn er es schnell genug schaffte, war das Risiko, dass ihm bei seiner Arbeit irgendein Fehler unterlief, viel zu groß.

„Also gut, mach dich auf den Weg, Sorc,“ entschied er. „Wenn du angekommen bist, werde ich versuchen, dir über Cathy Anweisungen zu geben. Das Knochensalz steht auf dem Tisch auf der rechten Seite in dem braunen Tonbehälter. Das Buch mit dem Rezept liegt aufgeschlagen auf einem Ständer, nur für den Fall...“

„Verstanden. Bis gleich.“

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch sah Crimson hinter dem Mann her. Sorc hinkte leicht, oder besser gesagt, er ging so, dass er die linke Hüfte schonte. Das war fast etwas überraschend – er zeigte sonst nicht, wenn er ein gesundheitliches Problem hatte. Allerdings wusste in diesem Fall ja eh schon jeder Bescheid.

Crimson war fast eingeschlafen, als Cathy ihm meldete, dass Sorc den Alchemieturm erklommen hatte. Der Schlossgeist materialisierte sich in dem Raum und ließ ihn die Szene durch seine Augen sehen. Es war fast so, als stünde er selber da und beobachtete Sorc. Crimson empfand diese Methode als ziemlich anstrengend. Obwohl er die Augen auch schließen konnte, weil er die Szene ja in seinem Kopf sah, wagte er es nicht. Womöglich würde er dann einschlafen, und das wollte er auf keinen Fall, während sich ein Chaosmagier in seinem Alchemieturm bei seinem lebenswichtigen Elixier herumtrieb.

Jener Chaosmagier fand den Behälter mit Knochensalz und hob ihn in Cathys Richtung. „Das muss es sein. Hast du die Menge schon abgewogen?“

„Ja, schütte es nach und nach in den Kessel und rühr dabei um. Es darf nicht zu viel Pulver auf eine Stelle fallen, sonst reagiert es zu heftig,“ wies der Schlossherr ihn an, und Cathy leitete die Information mit leichter Zeitverzögerung weiter.

Sorc nahm seinen rechten Arm aus der Schlinge und versuchte, damit das Tongefäß zu halten. Solange er nur den Unterarm bewegte, schien es zu gehen, doch er musste den Arm schon etwas anheben, um die Substanz aus der nötigen Höhe fallen zu lassen. Der Verband war allerdings dafür gedacht, eben dies zu verhindern, damit der Patient seine Schulter schonte.

Crimson sorgte sich schon, ob das wirklich alles so eine gute Idee gewesen war. Sorc versuchte noch einmal, den Arm zu heben, wobei ein angespannter Ausdruck auf sein Gesicht trat. Schließlich gab er es auf – er ließ das Gefäß los.

„Nicht doch!“ rief Crimson erschrocken.

Doch der Chaoshexer hatte alles unter Kontrolle. Das Gefäß schwebte in der Luft und kippte über dem Kessel langsam, um das körnige Pulver allmählich hinunter rieseln zu lassen. Mit der linken Hand rührte er gleichzeitig um. Manche mächtige Magier hatten Probleme damit, magische Handlungen mit banalen alltäglichen Tätigkeiten zu kombinieren, aber bei ihm sah es aus, als täte er sowas ständig. Crimson beschloss, das bei nächster Gelegenheit selber auszuprobieren, schließlich konnte er als Profi nicht hinter einem Schulalchemisten hinterherhinken. Auf jeden Fall war er sehr erleichtert, als der letzte Krümel in der Suppe verschwand und das ganze sich so verhielt, wie es sollte: Es färbte sich malvenfarben.

„Wann muss das nächste Mal etwas damit gemacht werden?“ erkundigte Sorc sich.

„Ungefähr bei Sonnenaufgang,“ antwortete Crimson durch Cathy.

„Dann komme ich wieder runter,“ teilte Sorc ihm mit, wobei er den Arm zurück in die Schlinge steckte. „Lily würde sich furchtbar aufregen, wenn sie wüsste, dass ich woanders bin als in meinem Bettchen. Catherine, du solltest dich entmaterialisieren, das verbraucht weniger Energie.“

Letzteres wusste Crimson auch, aber er ließ das Schlossherz noch bleiben, bis Sorc den Raum verlassen hatte. Danach wollte er den Weg des Mannes einfach über das allgemeine Bewusstsein des Schlosses mitverfolgen, doch er schreckte aus einem leichten Schlummer hoch, als Sorc schon wieder den Krankenflügel betrat. „Gut gemacht,“ murmelte er mühsam.

„Der Quarantänemodus strengt dich sehr an,“ befand Sorc. „Da ich nun meine Aufgabe erfüllt habe, werde ich dir auch dabei wieder behilflich sein. Ich verlasse mich auf dich.“

Crimson verstand nicht genau, was er meinte, begriff es aber bald darauf, als Sorc ordnungsgemäß in seinem Bett lag und seine mentalen Sperren fallen ließ, wie am Tag seiner Ankunft. Obwohl er verraten hatte, dass er dadurch ein leichtes Opfer war für jemanden, der es wusste, machte er es erneut genau so. Stimmte ja... er hatte sich nach dem Vorfall im Bad gegen Cathy gesperrt. Jetzt, wo das Schloss im Quarantänemodus war, die Hälfte der Bewohner auf Missionen unterwegs war und Mava krank, fiel erst so richtig auf, wieviel der ungebetene Gast immer zur Energieversorgung beigetragen hatte. Cathy stürzte sich auf ihn wie Wasser in ein neues Becken. Es passierte ganz instinktiv, weil das Schlossherz jeden Spender gebrauchen konnte. Sorc tat einen keuchenden Atemzug, beschwerte sich aber nicht, und Crimson ließ es zu, passte allerdings auf, dass Cathy es nicht übertrieb.

[Hoppla.] Diesmal gab sich Sorc zu erkennen, als er den Umweg in Crimsons Gedankenwelt fand. [Ich hab' dir ja gesagt, dass mir sowas schon ganz von selbst passiert. Es ist... ein antrainierter Reflex. Und außerdem kenne ich den Weg ja schon.]

[Lass das,] beschwerte Crimson sich, wehrte sich aber vorerst nicht dagegen. Wenn jemand so leicht in seinen Geist eindringen konnte, bedeutete das, er musste vorsichtiger sein. Andererseits konnte jemand, der gut in Telepathie war, den Spieß durchaus umdrehen.

Sorc lachte in seinem Kopf, als er diese Gedanken auffing. [Wie wahr. Aber von dir habe ich kaum was zu befürchten.]

Crimson seufzte innerlich. [Hattest du etwa auch ne Eins in Telepathie?]

[Yep!]

[Was? Hey, das sollte nur ein Scherz sein!]

[Ich war voll der Streber, also quasi das Gegenteil von dir.] Sorcs Gedankenstimme merkte man an, dass er sich amüsierte. [Mutter wollte nicht, dass ich ein Magier werde, aber mir war immer klar, dass die Magie meine Bestimmung ist. Also schickte sie mich zur Magierschule und verlangte, dass ich dort dann auch gute Noten bringe... und ich hab's ihr gezeigt. Ich ließ ihr nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich Recht hatte.]

Crimson grübelte, ob er irgendwann mal was von so einem Schüler gehört hatte, doch ihm fiel nichts ein. [Warst du auf der Magierakademie? Dort müsste doch irgendwo eine Plakette mit deinen herausragenden Leistungen hängen, wenn du so toll warst, oder ich müsste deinen Namen mal irgendwie gehört haben...]

[Nein, nein, wir von den Eisigen Inseln gehen auf die Eisige Universität. Dort gibt es in der Tat eine solche Plakette.]

[Oh, Mann...]

[Jetzt nur keinen Neid... im Endeffekt ist es doch so, dass die guten Schüler nur ein Name auf einer Plakette sind, den sich keiner merkt, aber solche Typen wie du sind lange in aller Munde. Über die Rebellen zu tratschen, ist ja auch viel interessanter, würde ich annehmen.]

Crimson musste zugeben, dass dies wahrscheinlich stimmte, denn wen interessierten schon die Streber? Und war das ein Leben, ständig nur lernen, Bücher studieren, Leistung bringen?

Er hatte diese Gedanken nicht bewusst gesendet, dennoch antwortete Sorc darauf: [Die dummen Gesichter war es wert. Ich bin der Sohn einer Unterweltlerin und eines Kriegers. Niemand auf der Eisigen Universität hat viel von mir erwartet. Tatsächlich hatte ich ein paar Probleme mit dem Unterrichtsstoff, aber das lag nicht an meiner Unfähigkeit, sondern daran, dass ich schon immer dem Chaos gehörte. Aber das wusste ich damals noch nicht. Mein Problem war nicht, ob ich eine Aufgabe lösen konnte, sondern wie. Um die besten Noten zu bekommen, musste ich es so machen, wie es meine Lehrer für richtig hielten.]

[Wie meinst du das?] Crimson merkte, dass seine Konzentration nachließ, aber er interessierte sich dafür, was Sorc erzählte.

[Das war so, als würde man von dir verlangen, einen Bach zu überqueren, über den du normalerweise springen würdest, aber es wird erwartet, dass du eine Brücke baust. Also lernte ich auswendig, wie man theoretisch eine Brücke baut, praktisch sprang ich aber trotzdem über den Bach. Das fiel gar nicht auf, denn das Ergebnis blieb das gleiche.]

[Oh... verstehe.] Die Konzentration wurde immer schwieriger.

[Crimson, deine mentale Abwehr ist miserabel. Du gibst dir gar keine Mühe! Willst du mich nicht aus deinem Kopf werfen?]

Einerseits ja, aber Crimson war müde. Und außerdem... ups... er wusste gar nicht, wie man jemanden aus seinen Gedanken warf. Wie hätte er das auch üben sollen? Vielleicht wäre es gut gewesen, diesem Aspekt im Unterricht ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, aber Telepathie für Fortgeschrittene hatte er nicht mehr mitmachen können, weil er ja die Akademie vorzeitig verlassen hatte.

Aber irgendwie war das alles im Moment egal. Crimson fühlte sich nicht gut, was wohl nach einem Sturz von der steilen Turmtreppe nicht überraschen sollte. Wahrscheinlich hatte Lily ihm irgendwelche Medikamente gegeben, die ihn jetzt noch benommen machten, oder der Quarantänemodus verlangte ihm zu viel ab. Sein Kopf dröhnte und sein Körper wirkte ganz schlapp. Er wollte noch nachfragen, wie es den Kindern ging, oder der Amazone, oder...

Aber dazu kam er vorerst nicht mehr.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Hikari-Yumi
2013-07-29T13:53:54+00:00 29.07.2013 15:53
Huhu *immernoch auf arbeit*
Ich kam ja bereits in den Genuss dieses Kapitels.
Sorc ist so schon erwachsen... Und Crimson zieht mit. Er kann j mit yugi später Telepathie üben, der muss das sperren j uch noch üben ^^
Diese Kleinigkeiten wie Knochensalz, hübscher Name by the way... Die können es versauen :)
Zum Glück ist Crimson ja nicht allein xD
Antwort von:  Purple_Moon
29.07.2013 15:59
Du ahnst gar nicht, wie ich hier gesessen und über einen Namen für das verdammte Zeug nachgedacht habe, nur um mich dann für sowas Einfaches zu entscheiden. Ich habe beschlossen, dass man es aus irgendwelchen fossilen Knochen gewinnt, somit Knochensalz, basta.
Hm, wir haben doch auch Appi, der muss ohnehin noch mit seiner Telepathie trainieren. OK das gibt eine Arbeitsgruppe: Telepathie für Dummies.
Von:  jyorie
2013-07-28T20:09:10+00:00 28.07.2013 22:09
Hey ^_^

das es aber auch immer und immer wieder an so kleinigkeiten hapert und große Projekte im Detail zu scheitern drohen *grummelt* das ist leider nicht unbekannt. Etwas was normalerweise Immer da ist, ist jetzt zu knapp. Ich kann es Crimson nur zu gut nachvollziehen wie er sich darüber ärgert, auf eine Kleinigkeit wie Knochensalz kein größeres Augenmerk gelegt zu haben, wo es doch sonst wie selbstverständlich da ist. Und dann noch der Treppensturz. Da jagt ihn ja momentan ein Unglück nach dem anderen.

*schmunzelt* und wieder ist es Sorc, der ihm hilft, ob sie am Ende der FF auch so gute Freunde werden wie er und Dark? Ich fand die Stelle schön, als Sorc seinen ganzen Titel aufgezählt hat und wie er damit wohl zeigen wollte, das da noch mehr ist (war) als nur der Schurke den alle in ihm sehen. Und hinterher der Plausch über die Schulzeit war auch interessant. Im Grunde ging es ihm nicht anders wie Crimson, nur halt entgegengesetzt.

Hat mir gefallen das neue Kapitel :D

CuCu Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
29.07.2013 16:05
Na, soviel kann ich verraten: Sorc war vorher der Partner von Malice (keiner von beiden würde sagen, er hätte für den anderen gearbeitet XD), somit galt ihm seine Loyalität. Die hat jetzt aber Crimson, das bedeutet, Prinz Soach von den Eisigen Inseln (er nennt den Namen immer, wenn er es besonders ernst meint) ist sein treuer Mitarbeiter, bis er gefeuert wird.
Wenn Sorc diesen Zauber fertig hat, an dem er die ganze Zeit arbeitet, wird Crimson keinen Grund mehr haben, ihn gehen zu lassen, und Cathy wird seine Meinung über ihn noch einmal grundlegend ändern. ;)
Antwort von:  jyorie
29.07.2013 20:47
Das klingt sehr gut, ich bin auch schon gespannt, was das den Wird mit dem Zauber, weil die ganzen Malereien ja "verschwinden" - freu mich schon auf die Auflösung :)


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