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STUMME SCHREIE - Cum tacent clamant

Indem sie schweigen, reden sie...
von

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Ich weiß noch immer nicht was tief in mir geschah, als ich wegen dir mein ganzes Leben vor mir ausgebreitet sah...

Es waren ein paar Tage vergangen, doch wirklich schlauer war er deswegen nicht…

Noch immer quälten ihn Gedanken und Fantasien um den Gothic. Und egal was er machte, er wollte einfach nicht aus seinem Kopf weichen.

Kris war sich sicher, dass er bald verrückt werden würde, wenn keine Änderung eintrat.
 

Er stand am Spiegel und zog lustlos seinen Liedstrich nach. Eigentlich wollte er gar nicht in die Schule …- auch wenn er sich insgeheim darauf freute Luca wiederzusehen.

Doch das würde er niemals zugeben. Eher würde er sich die Zunge abschneiden…-
 

Nach wenigen Minuten, als auch seine Haare lagen, ging er aus dem Bad. Und suchte in Windeseile seine Utensilien für den Unterricht zusammen. Dann warf er sich seinen Rucksack über die Schultern und ging zur Haustür.

»Bin dann in der Schule!« rief er über die Schulter und nahm seinen Hausschlüssel.

»Komm noch mal her!« brüllte sein Vater aus der Küche.

Kris fuhr zusammen und ging zurück, fieberhaft darüber nachdenkend was er falsch gemacht haben könnte…nur fiel ihm leider nichts ein… nichts!

Er hatte seinen Vater heute Morgen nicht einmal gesehen!

Als er das Zimmer betrat registrierte er sofort, dass etwas anders war. Schon alleine die Haltung, wie der Größere am Tisch saß und seinen Kaffee trank, sprach Bände.

»Schm…- schmeckt der Kaffee nicht, Sir?« versuchte er sich nichts anmerken zu lassen.

»Sei nicht so förmlich, Sohn…« nuschelte der Mann unverständlich und zog ihn noch näher. Nun konnte er den Alkohol und den Schweiß riechen und er spürte die riesigen Hände die über seinen Rücken fuhren.

Unwillkürlich versteifte er sich bei dem Körperkontakt.

Der Größere war sturzbetrunken… anscheinend war die letzte Nacht nicht gut für ihn gelaufen.

Unwohl wand er sich aus den Armen und trat ein paar Schritte zurück.

»Ich muss wirklich los…« stammelte er. »Sonst komm ich zu spät…«

Erst dachte er der Größere hätte ihn gar nicht verstanden, da er immer noch so da saß wie zuvor und die Hände ausstreckte. Gerade als er sich noch einmal wiederholen wollte, kam Bewegung in den Anderen. »Ah, natürlich… okay.«

Wieder streckte er die Arme auffordernd aus.

»Gib mir noch einen Abschiedskuss, mein Sohn. «

Kris begab sich wiederstrebend erneut in diese Arme und drückte einen scheuen Kuss auf die Wange seines Vaters. Schon alleine der Kontakt mit der rauen Haut und seinem 3 Tage Bart entfachte in ihm eine mittelschwere Übelkeit.

Stumm ließ er sich noch einmal an den anderen Körper drücken.

Vor lauter Überforderung konnte er sich gar nicht richtig rühren…

Was war denn nur passiert?

So hatte er seinen Vater ja schon lange nicht mehr erlebt. Und wenn er ehrlich war, machte dieses Verhalten ihm mehr Angst als sonst, weil er es überhaupt nicht mehr einschätzen konnte.

»Ich warte dann hier auf dich… bis bald « verabschiedete sich sein Vater und entließ seinen völlig irritierten Sohn.

Mechanisch nickend, stolperte er aus der Küche und hetzte durch den Flur zur Haustür. Immer damit rechnend das er erneut aufgehalten wurde. Aber nichts der Gleichen geschah.

Er trat aus dem Haus, schlug die Tür hinter sich zu und lief los.

Er rannte um die Ecke seiner Straße und weiter, immer weiter, viel weiter als er es eigentlich gebraucht hätte. Doch seine Füße konnten nicht mehr damit aufhören…

Und immer noch spürte er die Hände auf seinen Körper, wie Kraken, die man einfach nicht wieder losbekam.
 

Die Panik die in seinem Inneren tobte, war wohl hauptsächlich aus seiner Hilflosigkeit und seinem Unverständnis geboren. Es machte ihm Angst, wenn die Stimmungen seines Vaters so radikal umschlugen. Denn so konnte er Diesen nicht einschätzen.

Es graute ihm schon jetzt vor seiner Heimkehr…-

Doch diesen Gedanken schob er schnell beiseite.
 

Als er wenig später den Treffpunkt erreicht, sah er seinen besten Freund schon an der Laterne lehnen, eine Zeitung in der Hand. Hier trafen sie sich immer um den Rest des Schulweges gemeinsam zu laufen.

Als David aufblickte und ihm kommen sah, spiegelten sich seine eignen Gefühle auf dessen Gesicht. Allein das brachte ihn augenblicklich etwas zur Ruhe.

Sie kannten sich lange…, brauchten keine Worte mehr um sich zu verständigen.

Und auch wenn er es manchmal lästig fand, dass der Blonde in ihm las wie in einem offenen Buch, jetzt war er froh darüber.

Erst kurz vor ihm, konnte er seine Füße dazu bewegen langsamer zu werden. Kris bremste sich ein und flog den Anderen in die Arme. Dieser taumelte von der Wucht des Aufpralls leicht nach hinten, hielt ihn aber sofort fest.

Seine Beine zitterten noch von den ungewollten Spurt und er war sich sicher, dass wenn David ihn nicht gehalten hätte, er sofort zu Boden gesunken wäre.

Er drückte sich in die Arme seines Freundes und versuchte seine unruhigen Gedanken und seine Sinne wieder zu ordnen und zu sortieren.

Der Blonde wirkte wie ein Beruhigungsmittel auf ihn. Er brauchte jetzt diesen Körperkontakt…

Wenn er bei David war fühlte er sich wohler…- vollkommener. Einfach weil er ihm so nahm wie er war und ihn unterstützte. Etwas was er so noch nie erlebt hatte, von niemanden.-

»Kris« sprach er ihn an. Doch in diesem Wort steckten viele Botschaften. Der Schwarzhaarige biss sich auf die Lippen um nicht los zu weinen. Am liebsten hätte er sich in David verkrochen. Er wollten nirgendwo mehr sein… er wünschte sich nur, dass er sein Freund ihn weiter so festhielt.

»Ist gut…« flüsterte der Blonde in seinen Haarschopf und ließ sich ohne Gegenwehr an den Laternenpfahl pressen. »Alles wird wieder gut… schhh…«

Diese leeren Worte erschienen oft dumm und töricht, doch für den Dunkelhaarigen bedeuteten sie so viel… -

Denn er hörte sie nur sehr selten. Eigentlich war es nur David der sie ihm gegenüber jemals benutzt hatte. Und es war egal wie abgedroschen Diese klangen…
 

Nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, machten sie Beiden sich wieder auf den Weg. Sie waren zu spät; fast 10 Minuten. Sowohl Kris als auch David konnten sich vorstellen was gleich auf sie zukam, wenn sie in den Klassenraum gingen.

Schnell schritten sie durch die Flure, die jetzt wie leer gefegt waren.

»Es tut mir Leid…« sagte Kris kleinlaut. Er fühlte sich schuldig für ihre jetzige Situation.

»Red keinen Unsinn« wank David ab. Aber auch diese Worte schalteten das ungute Gefühl nicht aus. Es war nur seine Schuld, dass David jetzt Ärger bekam!

Außerdem würden sie sich wahrscheinlich den ganzen Tag Anspielungen darüber anhören dürfen. Das war doch alles Scheiße!

»Kris!« durchbrach die warnende Stimme seines Freundes seine Gedanken. Sie waren nun vor dem Klassenraum angekommen, doch David hielt ihn noch einmal auf. »Hör mir zu, das ist in Ordnung… so oft kommen wir auch nicht zu spät. Fr . Särchen wird uns schon nicht den Kopf abreißen, okay? Bleib ganz ruhig…«

Unschlüssig nickte er.

Zum erwidern blieb ihm keine Zeit mehr, denn sein Freund hatte bereits die Tür aufgestoßen.

Sofort hatten sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der ganzen Klasse.

Fast 40 Augenpaare richteten sich auf sie.

Beängstigend…

Sofort sah er zu Boden und versuchte die Aufmerksamkeit der Anderen auszublenden.

Wie er es hasste im Mittelpunkt zu stehen!!

»Ach, Herr Siebert und Herr Büssing haben auch den Weg in die Schule gefunden…, sehr schön!« spottete die Lehrerin und erntete einige Lacher der Schüler. »wir reden später noch darüber was die Pünktlichkeit angeht, setzen sie sich jetzt hin. Ich war gerade dabei zu erläutern was in der nächsten Arbeit dran kommt.«

»Ja, Frau Särchen,… entschuldigen sie. « murmelte David und die Beiden Freunde setzten sich. Ihre Lehrerin redete einfach weiter, als hätte es die Störung nie gegeben und schrieb Arbeitsthemen an die Tafel, doch die Aufmerksamkeit der Mitschüler hatten immer noch er und David für sich alleine. Kris hörte sie amüsiert tuscheln.

Das konnte ja heiter werden!

Verdammt!

Wenn es nach ihm ginge brauchte die Zeit bis zur ersten Pause gar nicht vergehen.

Erleichtert etwas tun zu können, schrieb er die Themen in seinen Hefter ab. Aber er konnte sich nicht auf das Gesagte der Lehrerin konzentrieren.

Zuviel ging ihm durch den Kopf.

Die Sache mit seinen Vater… das zu spät kommen… die Schuldgefühle, weil er David da mit reingezogen hatte… und jetzt die Mitschüler… sie würden ihn wieder den ganzen Tag damit in den Ohren liegen… aber das war nicht das schlimmste, denn wenn sie dachten sie hatten…-

Dann… dann würden sie wieder…-

Nein!

Nicht drüber nachdenken!!

Kris kniff die Augen zusammen und versuchte krampfhaft an was anderes zu denken, was nicht gerade einfach war. Erst der sachte Stoß in seine Rippen brachte ihn dazu die Augen wieder zu öffnen und in die tiefbraunen Gegenstücke von seinem Freund zu blicken.

Dieser sah ihn vielsagend an.

Mach dir keine Gedanken, es wird alles halb so schlimm…,

sagte dieser Blick.

Fast beängstigend was der Andere allein mit seiner Miene ausdrücken konnte. Aber augenscheinlich traute er sich auch nicht mehr, da die gesamte Aufmerksamkeit bereits auf ihnen haftete. Alles Unbedachte würde gegen sie verwendet werden.

Auch wenn der Dunkelhaarige jetzt umso mehr Körperkontakt brauchen würde, auch er sah die Situation. Sie würde jedes Wort und jede Berührung die er sich eigentlich so ersehnte nur noch schlimmer machen…-

Die ganze verbleibende Unterrichtsstunde spürte Kris die gierig, neugierigen Augen in seinem Nacken. Sie brannten auf seiner Haut wie der Kaffee, der vor ein paar Tagen seine Haare hinunter geflossen war. Und sie fühlten sich ebenso dunkel an wie das Getränk.
 

Als es zur Pause klingelte, konnte Kris nicht anders als vor Schreck zusammen zu fahren.

Verdammter Mist, warum hatte er nicht die Macht die Zeit anzuhalten?!

Ihm war plötzlich ganz übel.

Er hörte wie seine Mitschüler sich lachend erhoben und zur Tür hinstrebten. Alle schienen ganz erpicht auf die Pause zu sein. Ein Gefühl was er noch nie in seinem Leben teilen durfte.

Ihm waren die Unterrichtsstunden lieber… auch wenn manche nervig waren, da hatte er zumindest seine Ruhe und konnte seinen Gedanken nachhängen.

David und er warteten bis alle Anderen den Raum verlassen hatten. Das taten sie immer…-

Die Lehrerin ging allerdings nicht hinaus, sondern kam an ihren Tisch. Sie schien darauf gewartet zu haben bis sie alleine waren.

»So, und nun erklären sie mir bitte, warum sie nicht von Anfang an, an meiner Stunde teilnehmen konnten!« forderte sie streng und röntge die Beiden Jungs mit ihren Blicken.

»Entschuldigen sie vielmals, Frau Särchen« antwortete David. »Ich habe verschlafen und Kris hat auf mich gewartet. Damit ich nicht alleine laufen muss… es wird nie wieder vorkommen, ehrlich! «

Ihre Lehrerin zog eine ihrer eleganten Augenbrauen in die Höhe.

»Stimmt das denn, Kris? «

Der Angesprochene nickte schnell.

»Okay. Wenn das so ist und es wirklich nicht wieder vorkommt, sehe ich von einer Nachsitzstunde ab…« sagte Fr. Särchen.

»Nie wieder! « wiederholte David sein Versprechen noch einmal. »Vielen Dank, Frau Särchen!!!«

Diese nickte.

»Und nun geht zur Pause. «

»Ja.«

Wie verlangt standen Beide auf und schlenderten aus dem Raum.

Als Kris auf den Flur trat, jagte sein Herz immer noch wie ein Presslufthammer gegen seine Rippen und seine Knie zitterten verdächtig.

Pure Erleichterung ermächtigte sich seiner.

Nachsitzen war das Schlimmste was er sich vorstellen konnte…

Schlimmer als die Pausen…

Dort würde er zwischen Sascha und seinen Freunden (die fast täglich wegen irgendetwas nachsaßen) nicht lange überleben.

Bis jetzt hatte er nur einmal dieses grauenhafte Schicksal geteilt…- bei diesem einen Mal durfte es wegen ihm gerne bleiben…!
 

»Gehen wir wieder zu Luca hinter? «

Erstaunt von dieser Frage sah Kris zu seinem Freund auf. Irgendwie hatte er den Gothic zwischen all dem Anderen Zeug völlig vergessen. Jetzt da David ihn so fragte…

»W – warum das?«

»Weiß nicht, war nur so ein Gedanke?!«

»Du… du magst ihn, kann das sein? «

»Seine Einstellung ist definitiv bemerkenswert… da könnte sich manch Einer noch eine Scheibe von abschneiden…«

Er verzog vielsagend sein Gesicht.

»Also ja… aber der Gedanke stand irgendwie nicht so im Vordergrund. Ich dachte eher, dass wir da hinten erst mal unserer Ruhe haben, weißt du. «

»Ja.«

Es war komisch David diese Zuneigung so offen bekunden zu hören. Eigentlich war er nicht der Typ, der nach einer Woche einschätzen konnte ob er einen Menschen mochte oder nicht.

Irgendwie fühlte sich das komisch an… auch wenn er nicht sagen konnte wieso.

Aber was dachte er denn da?

Er war ja selber nicht besser!

Schließlich war er es doch, der in den vergangen Tagen den Gothic nicht mehr aus seinen Gedanken hatte vertreiben können.

Es machte ihm selber Angst.

Doch ändern konnte er es auch nicht…

Dieser Luca war ihm absolut suspekt. Nicht nur weil er ihn – im Gegensatz zu allen anderen in seiner Klasse – nicht einschätzen konnte, sondern vor allem wegen dieser merkwürdigen Anziehung, die er schon am ersten Tag gespürt hatte.

Irgendetwas war da…

Er wusste bloß noch nicht was es war.

Aber wollte er das wissen…??

Wirklich?
 

Ohne es bemerkt zu haben, war er David zu dem Pausenort des Gothics gefolgt.

Als er aufblickte, sah er ihn auf der Bank sitzen.

Er wirkte wie eine Statue.

Sein Gesicht war weiß wie Porzellan. Die schwarzumrandeten Augen stachen besonders hervor, so wie die ebenso gefärbten Lippen. Rote Ponyfransen umrandeten sein schmales, ebenmäßiges Gesicht. Er trug wie immer seinen knöchellangen Ledermantel und seine Stiefel.

So saß er dort und starrte in die Weite des Schulhofes.

Kein Muskel schien sich zu bewegen.

Es sah so aus, als wäre er einer Fetischzeitung entsprungen.

Erst Augenblicke später wurde Kris klar, dass er Luca offensichtlich angestarrt hatte.

Sofort senkte er seinen Blick wieder.

Hoffentlich hatte David nichts bemerkt!
 

»Dürfen wir uns zu dir setzen? « sprach sein Freund Luca schließlich an.

Der Angesprochene wandte sich ihnen zu und ein Lächeln huschte über seine Lippen.

»Klar. Ich freu mich über Gesellschaft. «

Nun lächelte auch der Blonde und setzte sich links neben ihn auf die Bank.

»Danke. Wir dachten hier hätten wir ein bisschen mehr Ruhe als auf den Hof…«

»Versteh ich…« antwortete Luca und schaute dann den Dunkelhaarigen an, der immer noch unschlüssig vor ihnen Stand. »Willst du dich nicht zu uns setzten, Kris? «

Dieser zuckte aufgrund der direkten Ansprache etwas zusammen.

Er war nicht wirklich gewöhnte seinen Namen aus Mündern andere Leute zu vernehmen. Ausnahme war wie immer David.

Aber sollte er antworten?

Auch wenn Lucas Stimme freundlich klang. Es war so unwahrscheinlich, dass er ihn mochte…

Warum sollte er das tun, wenn kein Anderer es anscheinend konnte?

Unschlüssig kaute er auf seiner Unterlippe herum.

David schien ihn auch nicht zur Hilfe eilen zu wollen. Jedenfalls saß er stumm da und beobachtete seine Reaktion. Was sollte er denn jetzt tun??

»Ich beiße nicht Kleiner…« störte die angenehme Tenorstimme des Gothics seine rasenden Gedanken. »Wenn du möchtest mache ich auch Platz, dann kannst du neben David sitzen…« bot er ihm zuvorkommend an.

Warum war er nur so nett zu ihm?

Kris verstand es nicht…

Zögerlich nickte er.

»Okay…« sagte er freundlich.

Er rutschte an den äußersten Rand der Bank und schaute David dann auffordernd an. »Komm schon, rutsch, Blondie…«

David streckte ihm die Zunge raus, folgte aber der Anweisung, sodass Kris sich neben ihn setzen konnte… Der Dunkelhaarige setzte sich nun zu den andern Beiden und hörte stumm ihren Gesprächen zu. Irgendwie ging die Pause schneller vorbei als er es je erlebt hatte.

Die Anwesenheit des Rothaarigen ließ ihn ruhiger werden.

Er konnte es sich einfach nicht erklären…

Dieser Mensch war anders als alle anderen die er bis jetzt je kennengelernt hatte.

Auch jetzt beschwerte er sich kein einziges Mal, dass er sich nicht am Gespräch beteiligte. Er nahm es einfach so hin…- Jeder andere hätte sich bestimmt schon aufgeregt oder ihn gefragt warum er nicht einmal den Mund aufbekam. Aber nichts der Gleichen geschah.
 

Als der Aufsichtshabende Lehrer zum Pausenende rief, zuckte er unwillkürlich zusammen.

Er war zu sehr in seine Gedanken versunken gewesen.

Was hätte er darum gegeben noch länger hier sitzen bleiben zu können, nur um diese gierigen, hasserfüllten Blicken zu entkommen.

Doch das ging natürlich nicht.

Zu dritt betraten sie die Schule wieder und gingen zusammen in ihren Klassenraum zurück.

Es dauerte nicht lange, da war die Klasse wieder komplett und auch der Englischlehrer betrat nur Augenblicke darauf den Klassenraum.

»Good morning, class…« begrüßte er seine Schüler und eilte zum Lehrertisch. »Today we talk about the topic describing a room. «

Allgemeines Aufstöhnen und viele fragende Blicke folgten der kleinen Ansprache.

Kris sah David kurz an, der grinste.

Wenigstens würde jetzt keine Zeit für dumme Kommentare bleiben. Während der Lehrer die Aufgaben an die Tafel schrieb und Arbeitsblätter verteilte, blickte Kris aus dem Fenster und hing seinen Gedanken nach. Noch war soweit alles in Ordnung, die Pause war erträglich gewesen, aber die Stunden schlichen dahin und seine Bauchschmerzen wurden immer deutlicher.

Nur noch zwei Stunden dann…-

Als ein Arbeitsblatt vor seine Nase gelegt wurde, sah er auf.

»Can you tell me the preposition of place, Kris?«

Stumm sah er zurück.

Sollte er denn antworten?

Kannte er denn überhaupt die Antwort?-…

Er wusste es nicht. Ein unbenanntes Grauen erfasste ihn und schnürte seine Kehle zu.

Schweigen legte sich über die Klasse.

Bis leises Gekicher den Klassenraum füllte. Er hörte das leise, gehässige Gemurmel der Anderen.

Unwohl blickte der Dunkelhaarige auf seine Finger, die er nervös knetete.

»Kris?« forderte der Lehrer seine Antwort.

Wollten sie ihn heute eigentlich alle an den Rand eines Herzkollapses treiben?

Sie waren jedenfalls kurz davor.

Jedenfalls schlug besagtes Organ schon wieder wie ein Presslufthammer gegen seine Rippen.

»In, on, under, next to, opposite, along, in front of, behind, above, between, in the middle of…« hörte Kris die ihm schon so vertraute Tenorstimme über das Rauschen in seinen Ohren hinweg.

Er spürte regelrecht wie sich die gesamte Aufmerksamkeit auf den Gothic lenkte. Es fühlte sich an als würde man ihm einen Zementsack von den Schultern nehmen.

Auch der Lehrer sah nun zu Luca hinter und sagte irgendetwas auf Englisch, was Kris jedoch nicht verstand. Er war zu sehr damit beschäftigt sich wieder zu beruhigen.

Er spürte die sachte Berührung an seinem Arm.

David…-

Das was er jedoch mitbekam war, dass der Gothic ihn sofort fließend englisch antwortete.

Er konnte nicht anders als ihn still zu bewundern.

Unauffällig sah er zu David rüber. Auch der Blonde sah beeindruckt aus.

Luca unterhielt sich noch etwas mit dem Lehrer und weder er, noch scheinbar einer von den Anderen schien auch nur die Hälfte des Gespräches zu verstehen.

»So, lets go!« sagte Herr Mertin nach einer Weile und ging wieder vor zur Tafel.

Sofort beugten sich die Schüler über ihre Blätter und versuchten die Aufgaben zu lösen.

Das war die Aufgabe bis zum Ende der Stunde.

Das Schweigen, was sich über die grübelnde Klasse legte, half dem Dunkelhaarigen dabei sich wieder vollends zu beruhigen. Erst in den Letzen 10 Minuten, als alle der Reihe nach ihre Ergebnisse vorlesen mussten, wurde ihm wieder etwas flau.

Doch ehe er an der Reihe war, war Pause.

Kris dankte alles an was er glaubte.
 

Auch die kleine Pause verlief, dank des Raumwechsels, ruhig. Und die zwei kommenden Stunden waren vielversprechend und gingen tatsächlich sehr schnell rum.

Der Grund war wohl, dass es die einzigen Stunden waren, die ihre Klasse geteilt wurde und Kris sowie David von der Gang getrennt den Unterricht besuchten.

Ethik und Religion.

Etwas was vor allem Kris sehr beruhigte. So konnte er viel besser mitarbeiten und sich mehr konzentrieren als in jeden anderen Unterricht, wenn er die Anwesenheit dieser bestimmten Menschen spürte. Doch als es nach der ausschweifenden Diskussion über die Weltreligion en zur Pause gerufen wurde, waren die Bauchschmerzen wieder da.

Doppelt so schlimm wie noch im Englischunterricht.

Jetzt war es so weit!

Er konnte nichts mehr gegen das stete Zittern tun, dass seine Muskeln befiel, als er mit David zusammen zum Lehrerzimmer ging und sie ihre Rucksäcke abgaben.

Dann machten sie sich mit ihren Sporttaschen auf dem Weg zur Halle, die weiter im Stadtzentrum lag.

Auf dem Weg dahin, kauften sie sich am Kiosk immer noch etwas Kleines zu essen auf die Hand, ehe sie zur Halle gingen und sich als anwesend eintragen ließen.

Natürlich entging David nicht, dass er, je näher sie der Sporthalle kamen, immer unruhiger und fahriger wurde. Doch abstellen konnte er es nicht.

Der Sportunterricht war das absolute Grauen für ihn.

Nicht das er nicht sportlich war… eigentlich hielt er sich immer ganz gut auf seiner 2 oder 3. Das furchtbare daran waren die vielen Spiele, die Sascha und seine Freunde dazu nutzten um unbemerkt vom Lehrer ihn und David unbegründet Piesacken zu können. Und natürlich die Umkleide…, nicht umsonst ließen er und sein Freund ihre Schultaschen immer in der Schule.

Aber selbst das reichte nicht.

Es war so als würden sich die Jungen mit Vergnügen immer neue Grausamkeiten für sie einfallen lassen. Und das schlimme war, sie machten es ohne Vorwarnung…

Es kam einfach.

Auch wenn Kris sich nie bewusst geworden war, was er dieser Gang getan haben könnte, es ging immer weiter. Ganz so als würde seine bloße Existenz sie reizen.

Und das war kein schöner Gedanke.
 

Der Dunkelhaarige und sein Freund nutzten die Zeit zum umziehen, während die Anderen der Klasse noch draußen standen.

Dann gingen sie in die Halle und warteten.

Als sie sich auf die Bank setzten und in die noch leere Turnhalle blickten, konnte er das Zittern nicht mehr verbergen. Warum musste ihn sein Körper auch immer so verraten?

»Kris, beruhig dich…« sagte David leise. »Es wird schon nicht so schlimm werden. Heute bringe ich dich auf jeden Fall nach Hause, okay? «

Der Angesprochene wusste genau, dass der Blonde es nur schwer ertrug ihn so leiden zu sehen. Trotzdem befiel ihn sofort wieder das schlechte Gewissen.

Immer musste David seine Zeit für ihn opfern!

»D…- das musst du aber nicht. «

»Das tu ich aber! « gab David kurz angebunden zurück. »Ich werde nach dem Vorfall letztens sich nicht seelenruhig nachhause gehen und dich alleine lassen. «

»Aber… «

»Nichts aber! «

Kris schwieg.

Natürlich fühlte er sich besser, wenn David bei ihm war, aber trotzdem hatte er dabei oft das Gefühl, dass er all das was der Andere für ihn tat, nie zurückgeben konnte.

»Es ist in Ordnung. « meinte David sanft und berührte seinen Arm, damit er ihm in die Augen sah. »Du weißt doch, dass ich das gerne mache!«

Sicher wusste er das.

» Mhm… «

» Auch die beiden Stunden werden ganz schnell vorbei gehen, hm? «

Genau das befürchtete er ja auch!

Kris sagte aber nichts dazu und nickte nur.

So saßen sie noch eine Weile in einträchtigem Schweigen da, bis die Sportstunde anfing.
 

Kris wagte zu hoffen, als die der Lehrer verkündete, dass sie heute Sport nach Zeit in Gruppen ausführen würden. Das hieß, dass vier Gruppen nach Zeit den Parkour durchliefen und versuchten die Anderen in der Zeit zu übertrumpfen. Dadurch gab es auch hier keinerlei Möglichkeiten für die Gang ihn zu schikanieren.

Eigentlich war es ganz erträglich so.

Auch wenn er etwas unter Druck stand, wenn ihn die Anderen zuschrien er solle schneller machen, sobald er an der Reihe war.

Trotzdem, alles war besser als Spiele. Doch leider gingen die beiden Sportstunden auch zu Ende… und vor dem Umziehen und der damit verbunden Zeit in der Umkleidekabine konnte ihn keiner bewahren.

Auch wenn die Zeit unnachgiebig weitertickte, lenkte doch etwas Kris Aufmerksamkeit ab und an ab.

Luca.

Wer auch sonst?

Es war das erste Mal, seit er an ihrer Schule war, dass er Sport mitmachte.

Auch seine Sportkleidung war ausschließlich schwarz. Aber in dem enganliegenden T – Shirt und der Jogginghose, konnte man deutlich seine Figur erkennen, die sonst von dem Ledermantel verschlungen wurde. Erst jetzt fiel ihm deutlich auf, wie sportlich Luca eigentlich war.

An seinem Oberarmen und den Brust – und Bauchbereich zeichneten sich deutlich Muskeln ab.

Immer wieder zog der Gothic seine Blicke magisch an.

Unheimlich…-

Doch er konnte nichts dagegen tun.

Wieso war er so anders als die Anderen?
 

Die Zeit ging trotzdem rum.

So wie es immer war. Vor allem wenn man hoffte, dass die Stunden langsam vergehen, taten sie es schneller. Und genauso war es auch heute.

Ehe er sich versah, befand er sich zwischen den ganzen anderen Jungs seiner Klasse, die sich plaudernd umzogen.

Von Luca war irgendwie keine Spur mehr zu sehen.

Doch es blieb ihm keine Zeit mehr sich zu fragen wo der Rothaarige war. Alles in ihm drängte ihn diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen.

Er und David zogen sich in den hinteren Duschraum zurück, der hinter dem Raum mit den Bänken lag, um sich in Ruhe umzuziehen.

Hier kamen die Wenigstens her. Außer wenn jemand auf Toilette (die sich ebenfalls in diesem Raum befand) musste.

Gerade als Kris sich seine Hose über die Hüfte ziehen wollte, krachte die Tür gegen die Fließen neben den Waschbecken und Sascha mit seiner Gang stand im Rahmen.

»Ah seht doch mal. Haben wir sie also doch noch gefunden…« höhnte er. »Haben sich heute ganz schön rar gemacht was? «

Allgemeines Gelächter folgte.

»Na erzählt doch mal. Was wolltet ihr denn hier hinten machen? Zusammen unter die Dusche hüpfen? «

Kris erstarrte vor Schreck als sie sich unbeirrt auf ihn und David zubewegten. Der Blonde jedoch schien eher genervt als schockiert zu sein.

»Was wollt ihr hier? « seufzte er. »Der Tag war so angenehm ohne ständig eure Visagen sehen zu müssen. Warum müsst ihr uns immer hinterher kriechen? «

»Pass auf was du sagst, Tussi. Außerdem sind nicht wir es, die euch hinterherlaufen… «

»Nein… natürlich nicht. « grummelte David leise. Doch er wurde zu schnell abgelenkt.

Sascha hatte sich den Beiden unaufhörlich genähert und streckte plötzlich eine Hand nach Kris aus. Dieser zuckte wie unter einem Schlag zurück. Aber David war schneller und schlug die fremde Hand beiseite.

»Nimm deine Pfoten weg! «

»Du wagst es? «

Schnell hatte ihm Sascha einen harten Stoß gegeben, der den Blonden gegen die nächste Wand beförderte. David stieß sich sofort wieder ab, war aber auch dieses Mal nicht schnell genug. Zwei der Übrigen, die das Ganze bis jetzt stumm verfolgt hatte, packten ihn an den Schultern und hielten ihn fest.

»Hey, was soll das? Lasst mich sofort los! «

Sascha lachte gehässig auf. »Sehr gut. Kevin, Nick haltet die kleine Furie da in Schach, dann kümmere ich mich um den Anderen Freak. «

Damit steuerte er nun wieder ungehindert auf den Dunkelhaarigen zu, der vor Panik gelähmt war.

Nur mit Hose bekleidet, stand er seinem Peiniger gegenüber und wusste nicht was er tun sollte.

Sein Herz schien einen neuen Rekord bestreiten zu wollen und hämmerte lautstark gegen seinen Rippenbogen, sodass es fast schmerzte.

Blinde Angst hatte von ihm Besitz ergriffen und schnürte ihm die Kehle zu.

»Bleib doch stehen « spottete Sascha, als Kris unbeherrscht drei Schritte zurück wich. Er ertrug die Nähe zu diesem Menschen einfach nicht. Er sollte endlich verschwinden. Warum musste er ihn immer quälen? Er hatte ihm doch nie etwas getan!

»Komm Häschen, zieh dich aus und zeig mir mal was du so zu bieten hast! «

Er wich immer weiter zurück, doch es gab kein entkommen. Nur noch wenige Meter, dann kam die Wand und er war in die Enge getrieben.

Aussichtslos…, schrie ihm seine innere Stimme zu.

Inzwischen konnte er seinen schnellen Atem nicht mehr unter Kontrolle halten.

»Verdammt, lasst ihn in Ruhe, seht ihr nicht das er Angst hat?! « hörte er die Stimme von David in weiter Ferne rufen.

Kurz darauf gab es ein klatschendes Geräusch. »Schnauze…«

Er hörte das schmerzerfüllte Stöhnen seines besten Freundes.

Nein… nein, dass durfte nicht wahr sein!

Warum immer sie?

Was hatte er nur getan, dass er immer so bestraft wurde…?

Seine rasenden Gedanken rissen ihn in einen Strudel der Verzweiflung, sodass er die Bewegungen der Anderen nur Sekunden zu spät mitbekam.

Kris riss die Arme hoch, doch es war zu spät.

Wieder einmal hatten sie ihn in ihren Fängen.

Die Hände auf seiner bloßen Haut, riefen wieder diese rasende Panik in ihm hervor. Nun strömten die Tränen, die er die ganze Zeit versucht hatte zurück zu halten, ungehindert über seine Wangen und schwemmten seinen Mascara mit sich. Die Angst benebelte seinen klaren Verstand…- er versuchte sich zu wehren, aber er war zu schwach.

Wie immer.

Alles war wie immer.

Nur noch entfernt bekam er das Geschehen um sich herum mit. Die Beleidigungen die permanent auf ihn niederprasselten, während die Jungs sich an ihr unmenschliches Werk machten.

Nun waren auch die zwei Anderen, die bis jetzt noch an der Tür Wache gestanden hatten, da.

»Ja, genau haltet ihn fest! «

»Hör auf dich zu wehren, du Miststück. Es bringt dir eh nichts. «

»Zieht ihm die Hose aus! «

»Na, was sagst du jetzt, du Schwuchtel? «

Als der Dunkelhaarige spürte, wie ihm der letzte Stoff auf seinem Körper entwendet wurde, wurde seine Gegenwehr stärker. Seine nackte Haut berührte die Fliesen und jagte eine unangenehme Gänsehaut über seinen Körper.

Tränenblind versuchte er gegen die vielen Hände anzukämpfen, die seinen Körper zu Boden drückten. Dann spürte er jäh den Tritt in seine Rippen und schrie erstickt, als sich der Schmerz explosionsartig in seinen Seiten ausbreitete und ihm die Luft zum Atmen nahm.

Er hörte den Schrei von David, wie eine Antwort auf seinen Eigenen.

Nur Augenblicke später war da das Rauschen des Wassers, was über ihm durch den Duschkopf herab auf die Fliesen plätscherte.

Das wirst du heute nicht überleben…, meldete sich seine selbstironische Stimme wieder. Heute schaffen sie es bestimmt…!

Er hörte die Schreie des Blonden.

Und merkwürdiger Weise war der letzte an den er dachte, Luca.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Isilein12
2012-12-10T15:59:12+00:00 10.12.2012 16:59
Echt ein toller FF und ich freue mich schon tierisch auf das nächste kapitel.
Du hast einen echt klasse schreibstil der es einem richtig leicht macht und den leser die möglichkeit gibt sich die geschichte beim lesen bildlich vorstellen zu können, zudem lässt dein schreibstil auch die gefühle der einzelnen person nachvollziehen.

Ech tolle charas spitze gemacht*_*

Schreib bitte schnell weiter *_*

glg Laykes
Von:  Raschka
2012-12-07T14:43:37+00:00 07.12.2012 15:43
Ich schließe mich dem vorherigen an ;)
Verdammt gut geschrieben, die Story zieht den Leser echt in seinen Bann, da kann man nix machen.

Schreib bitte so schnell wie möglich weiter.
Liebe Grüße
Rasch-chan
Von:  Puppe
2012-12-06T23:04:43+00:00 07.12.2012 00:04
Eine sehr interessante Geschichte, nicht mit unnötigen Dialogen oder Ausschweifungen vom eigentlichen Thema geschmückt.
Der rote Faden zieht sich erbarmungslos durch die Geschichte und zwingt den Leser, die Augen offen zu halten, auch wenn sich alles in ihm dagegen wehrt.
Das Thema an sich ist nicht neu, aber das muss ja nichts heißen und dein Schreibstil und der INhalt beweisen das auch.
Bisher ziemlich gelungen ;)
freue mich auf mehr.
Liebe Grüße,Puppe.


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