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Children of the Prophecy

Die Kinder der Prophezeihung
von

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2.25: [Velleité]

25: [Velleité]
 

Oh, it's evil, babe

The way you let

Your grace enrapture me

When will you know

I'd be insane

To ever let that

Dirty game recapture me
 

You made me

A shadowboxer, baby

I wanna be ready

For what you do

I've been swinging

All around me

'Cause I don't know

When you're gonna

Make your move
 

-Fiona Apple 'Shadowboxer'
 


 

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„Meinst du, das dass es sich um ein Geräteversagen handelt?“

„Ich denke schon, aber ganz sicher können das wohl nur die von Dr. Akagis Abteilung festellen. Ich werde sehen, ob ich es ihr noch vor dem Experiment vorbeibringen kann...“

„Ich kann sie auch über das interne mail-system benachrichtigen...“

„Schon, aber bei den ganzen Vorbereitungen für die großen Experimente demnächst wird sie wohl nicht dazu kommen, es zu lesen, bevor die Experimente fertig sind...“

„Ich kann mir gut vorstellen, dass sie das sofort als eine Kleinigkeit erkennt, wenn sie es erst mal gesehen hat, aber wenn wir unrecht haben, könnte das eine Sicherheitslücke bedeuten...“

„Genau deshalb ist es wohl das beste, wenn einer von uns es ihr direkt vorbei bringt.“

„Das musst nicht du sein.“

„Aber aber! Ich bestehe darauf. “
 

Von der mit zahlreichen Bildschirmen versehenen Konsolen-Wand aufblickend, nachdem sie mit einem Druck auf eine rechteckige Taste einen Ausdruck von der Maschine angefordert hatte, wendete sich die Leiterin der Einsatzabteilung zu dem hochgewachsenen, der hinter ihrem Stuhl stehend über ihre Schulter hinweg auf die Bildschirme spähte.

Es kostete sie ein wenig Überwindung, aber angesichts der jüngeren Ereignisse

„...Danke, Kaji-kun.“

Immer noch nicht ganz im Frieden damit, ihn in solcher Nähe zu haben, reichte sie ihm die fraglichen Dokumente, nachdem ein Schlitz an der Konsole das betreffende Papier ausgespuckt hatte.

Es war eine Sache, in Gegenwart der Kinder oder auf der Kommando-Brücke im Central Dogma in seiner Nähe zu stehen, aber so eins zu eins wagte sie es nicht, ihm all zu lange direkt in die Augen zu sehen, gerade weil die Agression etwas nachgelassen hatte – Die hatte ihr zumindest ein festes Muster gehalten, an das sie sich halten konnte – Nun, nachdem er ihr mit dem Doppel-Engel Fiasko ausgeholfen hatte und sie auch bei dem langen, kräftezehrenden Kampf gegen den letzten Engel unterstützt hatte, waren die Dinge... unklar.
 

Sie hatte sich von Anfang an entschieden, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, sich an den Vorwand eines legitimen Zornes geklammert, und daraus einen Wall errichtet, um nicht wieder seinen Reizen zu verfallen, was, so wie es sich selbst weiszumachen versuchte, am Ende nur dazu führen würde, dass sie ihre eigene Dummheit zu beklagen hatte.

Sie hatte sich vor ihm gehütet, sich in acht genommen, die aggressiven Schachzüge vorausgesehen, die auch wie erwartet erfolgt waren, und ihr genug Grund gegeben, hart dagegen zu halten, und dabei wie die reifere, vernünftigere Person auszusehen, deren Funktion sie auf der Arbeit auszufüllen versuchte.

Doch es war wohl kaum reif und vernünftig, und selbst Misato konnte die Wahrheit da nur bis zu einem gewissen Maß verbiegen, ohne es nicht mehr leugnen zu können.

Also blieb ihr nichts weiter als auf der Hut zu bleiben wie eine ständig überspannte Feder, und sich daran zu erschöpfen, während ihr 'Kontrahent' nichts weiter zu tun hatte als seinen üblichen Charme über sie ergießen zu lassen, bis sie sich fast schon wünschte, dass er seinen Schritt wagen würde, nur, damit sie es endlich hinter sich hatte, und seine zwielichtigen Absichten handfest vor sich liegen zu haben –

Und genau darauf schien er gewartet zu haben, wie ein Bluthund, der sie Fährte seines Ziels schon vor langer Zeit gewittert hatte, und in den Schatten geduldig darauf gehofft hatte, das der designierten Beute endlich die Puste ausging, und nun den ersten Schritt hatte, alles noch im Dickicht eines metaphorischen Waldes verborgen dadurch, dass es sich soweit noch plausibel weg-erklären lassen hätte, nicht weniger subtil als seine simple Anwesenheit, bewaffnet mit einem weiten, selbstsicheren Grinsen, und seinem bloßen Dastehen in ihrer Nähe, nachdem sich der professionelle Grund dafür eigentlich erübrigt haben sollte, das selbst genug war, um sicherzustellen, das der beiläufig geschrumpfte Abstand zwischen ihnen sich ihr unvermeidbar ins klarste Bewusstsein rief, und es ihr überließ, etwas dagegen zu tun.

Doch so leicht ließ sie sich nicht in die Defensive drängen, zumindest sich auf eine offensichtliche Weise; Dafür war das Bombardement aus subtilen Provokationen, mit denen er sie seid seiner Ankunft überhäuft hatte, ein zu gutes Training gewesen.

All ihre bisherigen Fehler hatten sie gelehrt, in dieser Situation ihr professionelles Lächeln zu behalten: „Nun, wie lange willst du Rit-chan denn noch warten lassen?“
 

„Aber aber! So eilig ist es mit dieser Meldung aber auch nicht...“

„Was willst du damit sagen?“

Und bevor sie die Worte noch fertig ausgesprochen hatte, verfluchte sich Misato auch schon dafür; Sie hatte sich in die Defensive drängen lassen, das war in ihre Stimme klar hörbar gewesen; Und damit hatte sie ihn das Blut lecken lassen, auf das er von Anfang an aus gewesen war; Das er einen Schritt näher kam und sich mit einem Arm neben sie auf die Konsole stützte, ohne sie jedoch derart einzukesseln das ein Protest unvermeidlich gewesen wäre, hätte sie fast schon vorhersehen können; Seine lässige und doch eindeutig kokette Körpersprache ließ keine Zweifel, kannte sie ihn doch gut genug, um alles an seiner Form und Ausdrucksweise schon vor Jahren auswendig gelernt und in eine Ecke ihres Bewusstseins gekramt zu haben, von wo sein Abbild sie gelegentlich in ihre Träume verfolgt hatte und sich ihr viele male schon so dargeboten hatte, wie er es jetzt in der Realität tat, von seinen weiten, männlichen Händen, seinen starken Armen bis zu seinen weiten Schultern, ja, selbst diese charakteristische Mixtur aus seinem überschwänglich gewählten Lieblings-Aftershave und einem minimalen Unterton seines Körpergeruchs hatte sich als unvergesslich herausgestellt;

Natürlich hatte er sich im Vergleich auf das Bild, dass sie in Erinnerung hatte, auch geändert; Viele male hatte sie sein Abbild in den letzten acht Jahren dadurch aus ihren Gedanken verbannt, dass sie sich den Ablauf der Zeit ins Gewahrsein gerufen hatte, und sich weisgemacht hatte dass er so, wie sie ihn hier draußen in der Realität finden konnte, wohl nichts mehr viel mit dem von ihr verinnerlichten Bild gemeinsam haben würde, und mit hoher Wahrscheinlichkeit schon eine neue Freundin hatte oder so etwas – Das bloße Konzept, dass sie das, was sie vor acht Jahren beendet hatte, einfach so fortsetzen könnte, war derart kindisch und unrealistisch, dass es sich nur all zu leicht als Hirngespinst abtun ließ – Das hieß, es war lächerlich, bis sein Anblick genau wie die Rückkehr seiner Avancen teil ihres ständigen Tagewerks geworden waren, alles so, wie sie es in Erinnerung behalten hatte –

Oder nicht ganz.

Die Vorstellung, dass er sich wo auch immer ihn seine richtungslose Drifterei verschlagen hatte, wohl erstaunlich gehen lassen hatte und nun deutlich beleibter und mit einer frühzeitigen Glatze sein mickriges Gehalt verschleudernd durch die Gegend lief, hatte sich schon einmal nicht bewahrheitet; Statt dessen wirkten seine Züge ein wenig reifer, verwegener, und obwohl sie sich mit den Barstoppeln nie ganz anfreunden würde, konnte sie doch nicht leugnen, das der Pferdeschwanz ihn in seiner Essenz destillierter wirken ließ, gereift wie ein guter Wein... und das lenkte ihre Gedanken schon mal in Bahnen, auf denen sie gar nichts zu suchen hatten, und bestärkte die insgeheimen Verdachte, die sie einst dazu bewogen hatten, ihm den Laufpass zu geben.

Trotzdem war er jetzt aber da, mitsamt allem, an das er sie erinnerte, und alledem, was er für sie repräsentierte; Das er von ihrer durchschaubar-defensiven Rückfrage nicht beeindruckt war, konnte sie ihm nicht verübeln – Sie selbst wäre vermutlich auch nicht beeindruckt gewesen, und hätte vermutlich die Gelegenheit genutzt um die Körpersprache ihres Verhandlungspartners gründlich zu studieren und auf irgendwelche Schachstellen abzusuchen, um dann in einem Sekundenbruchteil zu entscheiden ob es ihrem Ziel eher dienlich wäre, alles zu leugnen, solange es sich noch plausibel abstreiten ließ, oder ob sie vorbehaltslos in die Offensive gehen sollte – was wohl auch Kaji's eigener Wahl in dieser Situation entsprochen hatte: Vällig schamlos, mit säuselnder, leicht provokanter Stimme, ließ er an seinen Absichten keine Zweifel:

„...was ich damit sagen will?“

Bevor sie reagieren konnte, hatte seine linke, von Papieren noch unbeanspruchte Hand ihren Weg auf ihren Unterarm gefunden, und führte sie zu sich hin.

„So einiges. Zum Beispiel, das wir beide hier fürs erste ganz allein sind...“

Ihren Arm zufrieden lassend fand seine Hand ihren Weg über ihre Schulter zu ihrem Rücken und geleitete ihren willigen Körper näher zur Wärme seines Körpers hin, und auch die andere Hand ließ sich von dem Papier nicht davon abhalten, sich um die Rückseite ihrer Taille zu schlingen.

Sie schien dort einzurasten wie ein zugehöriges Puzzleteil, der ganze Ablauf erschien so natürlich, so vertraut, das die für bewusste Entscheidung verantwortlichen Teile ihres Gehirnes gar nicht erst konsultiert wurden, bevor seine Präsenz alles war, was sie spüren könnte, und seine nächsten Worte sich mitsamt seines heißen Atems über ihre Gesichtshaut ergossen.

„Sollten wir diese Gelegenheit nicht ausnutzen?“

Es war das unangenehme Piksen seiner Barstoppeln, dass sie in die Realität zurückbrachten, während seine suchenden Lippen kurz davor waren, die ihren zu bedecken, und ein grob fahrlässiges, unvernünftigen Stimmchen in ihrem Hinterkopf zog es doch tatsächlich in Erwägung, es einfach geschehen zu lassen -

Gerne hätte sie es als ein Überbleibsel ihrer Jugend abgetan, aber nur zu oft wählte sie im Alltag den simpleren, fauleren, einfacheren aller möglichen Wege, priorisierte ihre persönlichen Gelüste und Triebe über das, was als erwachsen oder vernünftig angesehen werden würde, und war selten um Ausreden verlegen, um das ganze hinterher weg zu erklären.

Ihre Wohnung war ein einziges Chaos, ihr Bierkonsum nicht gerade moderat... sie entschied sich nur all zu oft zu Gunste des simplen, kurzfristigen Highs, also warum nicht jetzt?

Das letzte mal war bei ihr schon ein gutes Weilchen her, also warum nicht? Was wäre schon die Konsequenz, es war nicht so als ob sie hiermit irgendwelche Vereinbarungen unterzeichnen würde, die einer Rückkehr in ihre frühere Partnerschaft gleich kommen würde; Abstreiten könnte sie es mit Sicherheit, und es wäre an dieser Stelle mühsehliger, diejenige zu sein, die es auf sich nahm, diesen an sich angenehmen Prozess energisch zu beenden, obwohl dieser sehr effizient darin war, sie von allem anderen abzulenken...

Aber vielleicht war es ja gerade das, dieses wissende, kalkulierte, das ihr die Ausrede gab, die sie brauchte, auch, wenn sie es als Teil ihrer eigenen Gedankengänge nicht zu verleugnen vermochte...

Denn wusste sie nicht genau, wo seine Position lag, wer vor 8 Jahren alles abgeblasen hatte, und was er sich dabei erhoffen würde, wenn sie jetzt ja sagte?

Danach jegliche Signifikanz zu verleumden, wäre nichts als eine hässliche, verdorbene Zurschaustellung von Dominanz, eine verkappte, selbstgefällige Rache, und eine gefährliche Wette darauf, das sie hinterher auch fähig sein würde das ganze durchzuziehen, ohne das ihr Pokerface dabei zerbersten würde, und die Zweifel dahinter preisgeben würde, sodass sie die Wahrheit nicht mehr vor ihm verbergen konnte...
 

„Hey! Das hat wehgetan!“

„Das sollte es auch!“ entgegnete sie, das betroffen-verletzliche, das er da angetastet hatte, augenblicklich zu brennender Wut sublimierend.

Nachdem sie sein Gesicht mittels einer schallenden Ohrfeige von dem ihren entfernt hatte, vergrößerte sie die Distanz zwischen ihnen mittels einiger weiten, energischen Schritte, die trotz aller aggressiven Präsentation nichts weiter als eine Flucht zurück an ihre Konsole waren, nichts weiter als das dramatische Aufblasen eines Kugelfisches oder die defensiven Spieße eines Stachelschweins.

„Was fällt dir eigentlich ein!“ verkündete sie, ihre eigene Scham mit einem unbarmherzigen Fingerzeig auf etwas vermeintlich schamvolles kaschierend.

„Wie kommst du eigentlich darauf, dass ich dir verziehen habe? Nur, weil wir auf der Arbeit gezwungen sind, angemessene Umgangsformen zu pflegen?“ mit dieser kühlen Distanzierung in die offensive gehend gab sie ihm gar nicht erst die Zeit, ihr eine Antwort zu geben, die sie Ohnehin nicht hatte hören wollen.

„Denkst du nur, weil du mir hier und da ein bisschen aushilfst, hast du irgendwie Anrecht auf mich oder was?“

Nachdem sie erst einmal in Fahrt gekommen war, wurde es einfacher, es weiter und weiter zu treiben.

„Genau deshalb hasse ich Macho Typen!

Du sagst du willst eine Beziehung mit mir haben, aber du behandelst mich, als sei ich irgendein mysteriöses Alien, dass man irgendwie 'handhaben' oder 'deuten' müsste, weil wir anscheinend zu verschieden sind, als das eine bedeutsame Kommunikation in irgendeiner Form möglich wäre!

Dabei geht es dir doch nur darum, irgendwelche Knöpfe zu drücken, um zu bekommen was du willst!

Hast du vielleicht schon einmal darüber nachgedacht, was ich will?

Hast du mir seid du hierher gekommen bist, auch nur eine Sekunde lang zugehört?

Ich will das du mich in Ruhe lässt und ich bin es leid, mich ständig zu widerholen.

Nein heißt Nein, nicht 'Vielleicht', nicht 'Grabsch mich bitte an wie ein Objekt' und ganz bestimmt nicht 'Überzeug mich'! Kannst du mich und dass was ich sage, nicht ein einziges Mal in deinem Leben ernst nehmen?“
 

Trotz allem konnte es ihr nicht ganz entgangen sein, wie ihr Gegenüber angesichts dieser Vorwürfe verstummt war, und sie nunmehr mit nüchternen Ernst betrachtete, wohl auch, weil ihre Rede den einen oder anderen Nerv getroffen hatte – irgendwo in ihr brannte das Wissen, dass er das nicht so gemeint und sicherlich nicht so gewollt hatte, aber das zuzugeben und sich den dazugehörigen Konsequenzen zu stellen, hätte mehr Mut verlangt, als sie derzeit zur Verfügung hatte.
 

Dennoch empfand sie keinen Triumph, als die automatische Tür sich mit einem Zischen hinter ihm schloss, nachdem er sich ohne ein weiteres Wort mit nachdenklicher Mine davon gemacht hatte.

Für gewöhnlich pflegte er sich mit einem letzten, anzüglichen Kommentar zu verabschieden, und das er das dieses mal nicht getan hatte, ließ sie vermuten, dass es ihm vielleicht endlich in den Sinn gekommen sein könnte, dass sein Unterfangen zwecklos war, dass sich nicht ändern würde, auch, wenn er sie mit Ersatzplänen, Bierdosen und sonstigen Gefälligkeiten überhäufte...
 

Und obwohl es genau das war, was sie soeben verlangt hatte, erfüllte sie dieser Gedanke nicht mit Genugtuung, sondern mit einer fast schon bedrohlichen Art von Unruhe, die einer klaffenden schwarzen Leere glich.

Jahrelang hatte sie in dem Versuch gelebt, sich nicht zu binden und von niemanden abhängig zu machen, auf dass sie nie wieder in der Furcht leben müsste, verlassen oder verschmäht zu werden.

Insbesondere wollte sie sich nicht an ein offensichtlich unzuverlässiges Individuum wie Kaji binden, der zudem noch der aller ersten Person ähnelte, für die sie nur ein lästiges Anhängsel gewesen war, ein Eindruck, der sich mit zunehmendem Alter lediglich verstärkt hatte –

Doch trotzdem war der Gedanke, ihn letztlich doch erfolgreich davongejagt zu haben, ein Szenario das diese alten Ängste wieder zwischen den Ritzen in ihrer Rüstung hervorschießen ließ., und es fühlte sich trotz aller Vorkehrungen an wie ein drohendes Verlassen-werden, so sehr sie sich auch klar zu machen versuchte das dies eher ein Segen als ein Unglück sein würde.
 

Das letzte, was ihr in diesem Moment in den Sinn gekommen wäre, wäre, sich zu fragen was es mit diesem Sicherheitskamerafehler auf sich haben könnte, ob Kaji Dr. Akagi ordnungsgemäß informiert hatte, oder ob seine Anwesenheit im Überwachungsraum vielleicht weiteren Gründen verschuldet gewesen sein könnte, auch, wenn ihr die vollen Implikationen dieser Tatsache erst viel, viel später einleuchten würden.
 

(Die Anwesenheit eigennütziger Motivationen und die deutliche Absicht, an den Aufzeichnungen dieses 'Kamerafehlers' noch etwas herumzudoktern bedeuteten

Bis jetzt hatte er sich teils nichts versprochen, sich teils aber auch dazu hinreißen lassen, irgendwelchen instinktiven Ahnungen und Einschätzungen zu folgen, die ihn für gewöhnlich selten im Stich ließen... Ein wirklichen Wissen über das, was sie dachte, verfügte er damit natürlich nicht – er wusste das nur zu gut. Gerade weil er es nie sicher wissen könnte, war er auf Schätzungen angewiesen.
 

Sie ernsthaft konfrontieren, ohne sich auf Charme oder Unverfrorenheit zu stützen...konnte er das überhaupt?

Fehlte ihn da nicht eine Sprache, deren Klänge er niemals erlernt hatte?

Es würde wohl oder übel nötig sein, wenn er diese sogenannte zweite Chance nicht von vornherein aufgeben wollte. )
 

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Wer erwartet hätte, dass keiner der drei Children sich beim nächsten Läuten der Schulglocke wieder im Klassenzimmer befinden würden, hätte wohl ein recht unvollkommenes Verständnis von ihnen gehabt, aber noch mehr hätten sich jene getäuscht, die erwartet hätten dass die neuen Erkenntnisse dieses morgens sie in irgendeiner Form daran gehindert hätten, in sich versunken an einander vorbei zu leben;
 

Sicher doch, Shinji war ohne weitere Schnörkel oder die Möglichkeit, diese Gewissheit in irgendeiner Form zu verdrängen, damit konfrontiert worden, dass er nicht wusste, wie viele Gelegenheiten er noch haben würde, mit seinen beiden Mit-Pilotinnen oder sonst irgendjemandem im diesem Raum zusammen zu sein, wie lange dieser zerbrechliche Frieden noch halten würde, dieses trügerisch-paradiesische Gemisch aus hoffnungsvollen Stimmen und Gesprächen, dass wie ein entfernter Sommerregen auf sein Bewusstsein prasselte – Es war nicht so, dass das Third Child im bezug au seine Schularbeit besonders gewissenhaft gewesen war, im größeren Lauf der Dinge war es wohl eine der Dinge, die wohl am aller wenigsten zu Buche schlugen und eine der ersten Aktivitäten, die unter dem Stress der ganzen Pilotengeschichte prioritätmäßig aus dem Fenster flog.

Manchmal konnte er sich dabei sogar einen recht rebellisches Widerwillen zusammenhaschen, einen vagen Faden von Worten, den er Misato und den anderen zumindest in seiner privaten Fantasie ins Gesicht gesagt hätte, wenn sie jemals gewissenhaft genug fragen würde – Es war nur ein weiterer Ausläufer von NERV's halbherziger Farce davon, sich um sein Wohlergehen zu scheren, wenn ihnen in Wahrheit nur an einem Piloten gelegen war, und dieses überdrehte Theater von Normalität nur der Besänftigung ihrer Gewissen diente, eine grausam aufrecht Erhaltene Illusion einer Zukunft, die niemals sein würde, letztlich nur noch eine Sache in seinem kurzen Leben, die nichts als eine willkürliche Fremdbestimmung war.

Doch zumindest bot ihm der so formulierte Alltag mit seinem Ritualen ein Grundgerüst, an das er sich klammern konnte, eine Direktive, der er folgen konnte, wenn er sonst keinen Antrieb in sich finden konnte: Wenn er nicht wusste, wohin, warum nicht zurück ins Klassenzimmer?

In einer Welt in der nicht mal das Refugium seines eigenen Verstandes erfolgreich als Zuflucht benutzen konnte, war das stumpfe, gedankenlose befolgen ritualisierten Handlungen das nächste Gegenstück zur völligen Abwesenheit.

Sicherlich nahm er Notiz von den beiden Mädchen, eines wie üblich aus dem Fenster blickend, mehr, als würde sie in den Raum hinein blicken als tatsächlich darin anwesend zu sein, ihr Körper nichts als ein unglückseliges Anhängsel – Wenn das Gespräch von heute morgen in ihr irgendeine bedeutende Veränderung ausgelöst hatte, dann konnte sie es ihr zumindest nicht ansehen; Ihre Gedanken und Empfindungen blieben der Welt wohl nach wie vor auf ewig verborgen; Er hörte auch die laute Stimme des Rotschopfes, um den er sich eben noch gesorgt hatte - Das etwas anders gewesen wäre, wenn sie noch etwas von der Wut und Frustration gezeigt hätte, die er ihr vorher angesehen hätte, hätte er nicht bestätigen können, gut möglich, das dennoch alles gleich geblieben wäre, aus geringfügig anderen aber doch nicht grundlegend verschiedenen Gründen.

Doch es blieb wahr, dass er für seine Worte keinen Ansatzpunkt sah, wenn an ihrer nichts bezeugte, dass ihre Abwesenheit in der letzten Stimme wirklich passiert war.

Es ließ ihn ja selbst schon daran zweifeln, zumindest so weit, dass er in Erwägung zog dass sie doch einen guten Grund gehabt haben könnte, der mit seiner Präsenz oder Abwesenheit nichts zu tun hatte – war er denn nicht so gering in dieser Welt, dass es absurd schien, dass er darin überhaupt irgendeine Furche des Einflusses hätte hinterlassen können?

Fast schon verspürte er einen Hauch von Enttäuschung oder Empörung, darüber, dass es fast so schien als ob für sie nichts weiteres gewesen wäre, und jemand anderes hätte vielleicht altruistisch oder verantwortungsbewusst sein können, um über dieses persönliche verstimmte Gefühl hinwegzusehen -
 

Doch obgleich sachkundige Beobachter hätten erkennen können, dass das in den Gesten und Worten des Second Child etwas aufgesetztes lag, gab es niemanden, den sie nah genug an ihr Herz gelassen hätte, als dass er den Trug von der Wahrheit hätte unterscheiden können, der genug von ihren Tonfälle und Gesten verstand, um unterscheiden zu können, dass sie etwas lauter sprach, als es selbst für sie üblich war, dass sie mehr redete, hastig jegliche Spalte und Unterbrechung im Gespräch mit Wortfetzen zustopfte als wolle sie mehr als jemals zu vor die Stille vertreiben, und stetig in Bewegung zu bleiben, wie man es von jemandem erwarten würde, der auf Schritt und Tritt von einem grausigen Ungeheuer verfolgt wurde.
 

Und das First Child?

Sicher doch, die jüngsten Ereignisse mochten so manchen Gedankengang angestoßen haben und trugen vielleicht bei zu einer Verschiebung, die sich in den Bereichen ihres Verstandes abspielten, die für die Ausführung ihrer derzeitigen Aufgabe nicht gebraucht worden, aber dennoch beizeiten von irgendwas angestoßen wurden wie ein Ohrwurm oder ein eingebranntes Nachbild in einem altmodischen Bildschirm, doch war sie zeitlebens darauf trainiert worden,von einer für sie vorgesehenen Aufgabe zur nächsten zu wandeln, wie jetzt zum Beispiel der wenn auch mit einer recht niedrigen Priorität versehenen Unterricht, auf dessen Inhalt sie jetzt stillschweigend wartete.

Das einzige, worauf wert gelegt wurde – oder was überhaupt erwähnt und im Bezug zu ihr als von Belang behandelt worden war – war dieser skelettale Umriss eines Tagesablaufs, und nur sehr, sehr wenig, was darüber hinaus gegangen wäre, und in den kurzen Jahren, die dennoch ihr ganzes Leben gewesen waren, waren ihr diese Gesetzesmäßigkeiten in Fleisch und Blut übergegangen, als wäre es ein Naturgesetz, und die äußerlichen Handlungen, die sie tätigte, simple objektive Begebenheiten waren, die unausweichlich geschehen würden, auf die sie direkt nicht mehr Einfluss nehmen konnte, als eine Schauspielerin das Jahrhunderte alte Theaterstück umschreiben konnte, dass sie vorzuführen hatte – genau wie eine solche Darstellerin war sie nicht einmal die einzige, die qualifiziert gewesen wäre, ihre Rolle auszufüllen, und konnte bei Ausfall oder Unzulänglichkeit nur all zu einfach ausgetauscht werden;

Doch die Analogie brach in sich zusammen wenn man bedachte, das eine Schauspielerin für gewöhnlich in mehreren Stücken spielte, die sie sich zum Teil auch aussuchen konnte, und noch dazu einen Teil ihres Lebens hatte, in dem sie keinem Regisseur außer sich selbst überlegen war;

Vielleicht ähnelte Reis Situation also mehr einer Requisite, oder einer Figur in dem Theaterstück, die eigens für das Stück geschaffen waren.

Oder vielleicht konnte man die verschiedenen Projekte, das Vollendungs-Projekt, das Bezwingen der Engel und den Besuch der Schule alle als 'verschiedene' Theaterstücke ansehen, und sogar ein Gegenstück zum 'Privatleben' in ihren nicht strikt zweckmäßigen Aktivitäten wie zum Beispiel ihrer Büchersammlung und ihren gelegentlichen Unterredungen mit Ikari-kun finden.

Doch konnte eine Schauspielerin so viel 'Privatleben' haben wie sie wollte, daran, dass sie im Stück ihre Rolle spielen musste, würde das nichts ändern, und so änderte sich auch an ihren üblichen Handlungen nach ihrer Rückkehr in den Klassenraum nichts;

Beide Dinge lagen in ihren Gedanken in ganz unterschiedlichen Kompartimenten, zwischen denen an sich keine Verbindung bestehen sollte, und auch noch nie eine gewesen war.

- manchmal fand sie am Rande irgendwelcher abschweifenden Gedanken den entfernten Eindruck, das da irgendwo einmal etwas anderes gewesen war, oder zumindest anders sein sollte, ein weiterer Unterton in diesem Gefühl der Falschheit, das ihre Existenz durchtränkte, ein Hintergrundrauschen, das sich gerade wegen seiner Allgegenwärtigkeit die meiste Zeit über ausblenden ließ, aber im stillen Blasen warf und weiter köchelte, wie das Wasser, das einen Fisch derartig umgab und durchdrang, dass er sich deren Existenz gar nicht mehr bewusst war, außer, wenn irgendeine große Welle über ihn hinein brach –

Doch in allem, was ihr an Wissen, Instruktionen und Erinnerungen zur Verfügung stand, konnte sie nicht mal den Ansatz eines Grundes dafür erkennen, wieso sie erwarten sollte, dass ihre Existenz von den Bahnen abweichen sollte, in denen sie schon immer verlaufen war, ja, für die sie sogar explizit geschaffen worden war, noch konnte sie dieser fernen Ahnung von 'früher' oder 'eigentlich' Zeit oder Kontext zuordnen;

Faktisch hatte es nie existiert, gab es keinen Grund für diese Empfindung und somit keine Handlung, die sie darauf folgen lassen sollte; Doch auch für den Eindruck selbst sollte es dann keinen Grund geben, doch obwohl Rei dies begriff und verstand, blieb diese ungebetene Ahnung da, unfähig, sich in der Außenwelt zu manifestieren und somit unsichtbar für alle in der näheren Umgebung, die nichts anderes zu sehen bekamen als das das First Child wie üblich an seinem Platz saß und still an dem Fenster saß, ohne irgendein erkennbares Anzeichen, dass jemanden hätte vermuten lassen, das heute irgendwas außerordentliches vorgefallen war – Selbst nicht die Person, die heute morgen selbst dabei gewesen war.

Das Third Child hatte doch den Eindruck gehabt, dass heute etwas von Bedeutung zwischen ihnen geschehen war, doch bei Ayanamis stillem blauen Hinterkopf gab es keine Versicherungen oder Ermutigungen zu hören, dass er sie ohne 'Risiko' ansprechen konnte; An einem besseren Tag hätte er sich vielleicht getraut, heute morgen war nicht vor dem gesamten Klassenraum geschehen, doch in diesem Moment konnte sich Shinji nicht dazu bringen, ihre minimalen, nebulösen Zeichen optimistisch zu deuten, wenn er genau so gut schließen konnte, dass er da einfach etwas falsch verstanden hatte, und ihr das ganze gar nicht so viel bedeutet hatte; Ihre Worte konnten als Andeutungen eines turbulenten Innenlebens verstanden werden, oder aber als kryptische Dinge von denen er nicht mal annähernd ausreichende Menge an Kontext wusste, um sich eine Meinung davon zu bilden.
 

Asuka war ein anderer Fall, bestand die Indizienlage bei ihr doch aus... er würde weder Yui's Warnungen noch ihr Fehlen in der vorherigen Unterrichtsstunde als 'handfest' bezeichnen, aber auch nicht als etwas, dass sich weg erklären oder ignorieren ließ: Sie war letzte Stunde nicht anwesend gewesen, und sie war nicht jemand, bei dem man das als eine übliche Schwankung abtun konnte, achtete sie doch tunlichst darauf, ihr Image bei den Lehrern und Klassenkameraden aufrecht zu erhalten.

Zumindest da war Yui ausnahmsweise mal nicht vage gewesen:

Eine Sache, die sie von Anfang an von ihm gewollt hatte, war, dass er sich Asuka's Freundschaft aneignen sollte, sonst: Bum! Große Böse Konsequenz, sowohl für ihn als auch für sie., wenn nicht den Rest der Welt.

Wenn er sie ansah, mit ihren flüssigen Handbewegungen, schwingenden Haar, ihrer lauten, Stimme, und dem schlanken Rücken, den sie ihm schon seid ihrer Rückkehr wieder markant zugedreht hatte, schien es schwer zu glauben, dass sie in irgendeiner Form die Hilfe einer geringen Existenz wie der seinen benötigen könnte – und es konnte gut sein, dass alles, was einen Augenblick des Zweifels hätte darstellen können, verfärbte sich im Angesicht von Neid, lang verhaltenem Groll und einiger selbst-begünstigenden Totschlägerphrasen, die ihm die Risiken der Einflussnahme ersparten.
 

Obwohl es zu diesem Zeitpunkt allen von ihnen zumindest ansatzweise eingeleuchtet haben musste, was auf dem Spiel stand, und dass ihr derzeitiger Pfad sie nicht ins Licht führen würde, schienen sie doch alle dazu verdammt, ihn weiter zu gehen; Der Status Quo, dessen Festehen doch legitime Ursachen hatte, schien eisern in der Luft zu hängen, obwohl es, wenn man nur den Raum betrachtet hätte, nur lächerlich wenig zu brauchen schien, um den Kreis zu durchbrechen – Es schwebte da zum Beispiel die einfache Möglichkeit im Raum, doch einfach zu Asuka hin zu laufen, und sie zu fragen, warum sie nicht im Unterricht gewesen war – zwar gab es die Möglichkeit, dass sie ihm keine Antwort geben würde und er hinteher genau so schlau wie vorher sein würde, doch wenn sie eine plausible harmlose Antwort gab, konnte er offiziell aufhören sich sorgen zu machen, auch könnte das eine gute Überleitung sein um ins Gespräch zu kommen... oder aber, um angeschrien zu werden oder bestimmt von ihr ignoriert zu werden, was vielleicht nicht einmal viel auffallen würde, wenn man bedachte, wie leicht seine leise Bitte im Chor der sie umgebenen Menschentraube untergehen könnte.

Sicher doch wollte er, dass Asuka kein Leid zu kam – Er würde sich freuen, wenn es so käme, und es beklagen, wenn ihr doch etwas zustoßen würde, doch es war ein schwacher, unstetiger Wille, wie das dünne graue Haar auf der beginnenden Glatze eines alten Mannes oder ein im Wind gepeitschter Grashalm, und (noch?) nicht die Kraft besaß, sich als Handlung zu manifestieren.

Und das wäre an sich nicht unbedingt etwas schlechtes gewesen, alle große Handlungen menschlichen Willens begannen irgendeinmal als solch ein entfernter Wunsch.

– Aber wenn ein Vorhaben dauerhaft auf dieser ersten Stufe verharren sollte, tja, dann würde es niemals von irgendwelcher Konsequenz sein.
 

Doch kaum hatte er die Hand, die er bis dato am Rand seiner Schulbank hatte ruhen lassen, um sich vielleicht einstmals aufzurichten und zu einer seiner Mit-Pilotinnen hinüberlaufen, von dort weg bewegt, traf ihm der Klang einer Stimme wie ein Donnerschlag, der selbst zwischen den schwärmenden Stimmen des Klassenzimmers unfehlbar zu erkennen war, weil es nicht von diesem Ort stammte, oder von dieser Zeit;
 

„Ich wusste, dass auf diesen Shinji kein Verlass ist!“
 

„Du läufst doch immer nur vor mir weg! So ist das schön einfach und es tut nicht weh...“
 

„Ich werde mich um alles kümmern! Halt aus, kleiner Welpe! Jetzt bringt auch nichts! Du kannst doch mindestens noch Ihrer Majestät helfen! Du bist doch ein Mann, oder? Und wo du schon mal dabei bist, finde doch mal raus, wie diese Welt funktioniert!“
 

„Shinji du verfluchter Bengel. Du bist nicht gekommen, um mir zu helfen. Typisch, du denkst immer nur an dich selbst. Dachtests wohl, dass du mit allem davon kommst wenn du einfach nur still bleibst, hm?

Das du bist kindisch und naiv!

Nicht zu fassen, dass du nach all den Jahren immer noch nichts weiter bist als ein nichtsnutziger kleiner Junge, der nichts als Ärger macht!“
 

Die ersten paar Stimme hätte er vielleicht noch zuordnen können, doch der Sturm aus Vorwürfen, die zuerst noch gut in den Chor der Zweifel gepasst hätten, die seinem eigenen Verstand entstammten, entfernten sich weiter, und weiter von allem, was er kannte; Die ersten Sätze könnten Asuka gewesen sein, auch wenn die darin enthaltene Bitterkeit über die über die Art hinaus ging, mit der sie ihn üblicherweise angiftete; Die dritte Stimme war nicht feindselig, aber auch mit Sicherheit nicht Asuka;

Die letzten dieser Worte kamen verpackt mit dem Bild einer erwachsenen Frau in Misatos Alter, die über sein Gesichtsfeld gebeugt zu sein schien;

Sie war ehrfurchtgebietend, athletisch und muskulös, mit langen roten Haaren, und einem Gesicht, dass von Hass und Narben zerfurcht war;

Fast hätte er meinen können, an ihren langen Gliedmaßen etwas vertrautes ausmachen zu können, aber in ihren tief gelegenen, gletscherblauen Augen gab es kein wiedererkennen, und auch nichts, was Shinji selbst hätte ererkennen können –

und dennoch lag in ihren Tritten und Faustschlägen mehr Schmerz, als allein durch ihre physische kraft angefallen wäre – er ahnte, nein wusste, dass sie sich vermutlich gerade noch zurückhielt, einfach nur weil sie die Selbstdisziplin besaß, ihren bodenlosen Zorn nicht zu zügeln, sondern in produktive Bahnen zu lenken. Diese Fremde – eine Kriegerin – wusste wohl sehr gut, wie hart sie zuschlagen konnte, ohne Knochen zu brechen oder Organe zu versehren, und zudem war Shinji bloßen Prügel mittlerweile gewöhnt, so grotesk und alarmierend das auch klang; Es brauchte weitaus mehr, um zu rechtfertigen, warum ihre mitleidslose Züchtigung die Zeiten zu überwand, um ihm jetzt Jahre zuvor oder Jahrhunderte danach in diesem Klassenzimmer zu treffen, mehr ein Phantomschmerz als eine Erinnerung.

Wenn er seine Finger über seine Wangen gleiten ließ, versicherten sie ihm, dass da nicht der Abdruck einer Stiefelsohle zu finden war, doch er wollte es nicht so recht glauben.
 

Dennoch ließ er seine Hand wieder auf seinen Schreibtisch sinken, brachte beide Hände schützend an die Ellenbögen und beugte sich mit gebeugtem Kopf nach vorne, in sich geschlossen und sein bestes versuchen, um das Treiben des Klassenzimmers mitsamt Asuka bestmöglich auszublenden, und den Verantwortungen zu entziehen, die damit einhergingen;

Selbst mit Touji, Kensuke oder Nagato in irgendeiner Form zu interagieren, wäre zu viel gewesen, ja, selbst die Kopfhörer aus der Schultasche zu holen, die bei diesem Vorhaben doch sehr nützlich gewesen wäre, hätte die Konzentration gebrochen, die die Flut des Unverzeihlichen im Schach hielt; Und irgendwo war da noch ein entfernter, gedämpfter Teil von ihm, der hilflos mitansah, wie er mit jeder verstreichenden Sekunde noch mehr seiner Chancen verspielte, obwohl er bereits wusste, dass er die Zeit bereits ins Knappe gedrängt hatte, und sich selbst sah wie eine Person in einem brennenden Haus, die das Feuer erkannt hatte, und auch dessen Gefahr verstand, aber dennoch keine Schritte unternahm, um sich daraus zu befreien, gebannt von Verzweiflung, Scham und endloser Furcht.

Doch seine Lähmung war kein Zustand statischer Inaktivität, vielmehr ein festgefahrenes, verklemmtes Wuseln von Tausenduneins Gedanken, Gefühlen und Gewissheiten, ein heißlaufendes Hornissennest von überkochendem Wahnsinn, von dem alle Ablassventile nach und nach weggebrochen waren.

Es kostete sehr viel Energie, sich das Un-ignorier-bare bei Gewissheit zu halten, und es dennoch ausreichend abgetrennt zu halten, dass es ihn nicht völlig zersetzte und ein minimum an äußerlicher Funktionalität möglich blieb; Da blieb für alles andere nicht sehr viel übrig.

Je mehr er , umso mehr kam er sich vor wie ein Passagier in seinem eigenen Geiste, ein Gefangener in der Fleischülle eines philosophischen Zombies, der ihm immer weniger ähnlich sah; Und zwischen all diesen Dingen, die er immer wieder verstand, gab es eine Gewissheit, die er immer weniger verleugnen konnte:

Er war schwach.

Was war er, dass er ein keiner Ecke seines Leibes ein noch so geringes Fünkchen an Willenskraft hervorbringen konnte?

Er saß hier, gar nicht zu weit, von denen den er helfen wollte, und allen Ressourcen der Menschheit, die ihm trotz aller Knappheit zur Verfügung gestellt worden waren das einzige Stück in dieser ganzen Kette, dass nicht funktionierte, war er.

Genau so gut hätte er tief in der Erde stecken können, bedeckt von zehntausend Meter Gletscher; Nichts anderes als dieses simple, winzige, nackte Bewusstsein.
 

Er wollte bloß etwas tun, etwas unvernünftiges und zerstörerisches, von dem er wusste das es nichts lösen würde selbst, wenn er es sich denn je trauen würde; Er wollte alles abreißen und irgendwohin in die Ferne rennen, wo ihn niemand kennen würde (und doch wusste er, dass ihm an jeden Ort das gleiche Schicksal erwarten würde, denn sich selbst musste er stetig mitnehmen, und er selbst war das Problem); Er hatte es satt, nichts als eine schwarzen Loch an Ressourcen und Vertrauen zu sein, immer eine Bürde und für nichts wirklich nützlich; E r wollte ein Einsiedler werden und sich verkriechen wo ihn niemand finden würde, wo er sein ganzes Leben verbringen könnte, ohne jemals wieder mit jemandem sprechen zu müssen, oder je zu erfahren, was nun aus allem anderen geworden war (doch die Ungewissheit würde ihn in dem Wahnsinn treiben), er wollte zu einer amorphen, grauen Masse zerfließen, und nie wieder die Mindestanforderungen für irgendeine Eigenschaft erfüllen müssen, nie mehr irgendein Charakteristikum zugeschrieben bekommen, dass er dann entweder stetig aufrecht erhalten oder bitterlich enttäuschen würde, und nichts mehr an sich haben, weshalb er verstoßen, verschmäht oder verspottet werden könnte.
 

Er hatte versucht, diese Geheimnisse zu enthalten, und sie hatten sich in ein Siechtum verwandelt und sein ohnehin klägliches Dasein mit Haut und Haaren verschlungen.

Manchmal dachte er, er wolle sie erzählen, die Last des Einzigen los sein und die einzige Verantwortung von sich werfen, doch das gäbe dieser anderen, unvorhersehbaren Person die Macht, Anforderungen zu stellen, das würde bedeuten, ihr die weiche, fleischige Unterseite zudrehen und darauf zu warten, dass sie zubeißt.

Am Ende reduzierte sich die ganze Situation auf eine einzige Frage:
 

Wenn die anderen wüssten, was er getan hatte, wenn sie verstanden, was er wirklich war und was seine Existenz für die ihre bedeutete, würden sie ihm helfen, oder würden sie ihn verstoßen und den Tag verfluchen, an dem sich ihre Pfade gekreuzt hatten?
 

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Entgegen Kajis bisherigen Erfahrungen, nach denen die Männer von SEELE nicht das geringste Fünkchen Humor besaßen, so ließ deren jüngste Auswahl an Codeworten da doch eine gewisse Hoffnung aufkeimen.

Sollte irgendeine Kamera, von der er nichts wusste, doch so positioniert sein, dass sie anders als ihre Schwestern, über deren Winkel er durchaus Bescheid wusste und deren Blickwinkel also zu vermeiden wusste, einen Blick auf den Bildschirm seines Mobiltelefons erhaschen konnte, würde es sogar zu seiner Coverstory passen, hatte er sich nach dem ertönen des Meldungs-Geräuschs doch aus einem Büro entschuldigt, um seine SMS privat zu lesen, garniert mit ein paar zweideutigen Andeutungen zum Grund, die die Nachfrage wohl auch dann gehemmt hätten, wenn sie nicht so gut zu seinem üblichen Äußerlichen Charakter gepasst hätten.

Und tatsächlich:
 

'Liebling, kann ich heute Abend zu dir kommen? Ich weiß, dass du mich noch liebst!'
 

Oh, diese Ironie. Persönlich hätte Kaji die Nachricht zwecks authentischem Aussehen noch um ein paar strategisch platzierte Aubergienen- und Pfirsich-Emojis erweitert; Es klang fast schon, als ob die alten Männer Ikari's verstoßene Exfreundinnen wären oder soetwas -

Doch allen Spaß beiseite verstand Kaji direkt den Ernst, dessen, was da angefragt worden war, und bald nach dem ursprünglichen grinsen verdichteten sich seine Züge –

Es war jetzt schon das zweite mal, dass er den Auftrag erhalten hatte, eine eigentlich für das Überleben der Menschheit vitale Einrichtung zu sabotieren, um einer nicht ganz vertrauenswürdigen Organisation einen nebulösen Vorteil zu verschaffen, dessen langfristige Auswirkungen nicht ganz zu erkennen waren – Es war ein risikoreiches Spiel, dass er hier vorrantrieb: Ohne deren Drecksarbeit zu erledigen, würde Kaji keine Chance haben, zu erfahren was SEELE oder Ikari wirklich vor hatten, aber mit jeder dieser Aktionen könnte er jede der beiden Parteien unumkehrbar ihrem Ziel näher gebracht haben; Das er auch noch versuchte, beide gleichzeitig an der Nase herumzuführen, verkomplizierte natürlich die Gefahr für ihn selbst, doch er hoffte auch, dass er in einer Position sein würde, um sicherzustellen, dass keiner der beiden einen zu großen Vorsprung über die anderen bekam und somit nicht fähig sein würde, ihren Plan auszuführen –

Bezeichnend war in dieser Hinsicht, dass er seine letzte Mission als Saboteur im Auftrag von Ikari getätigt hatte, jetzt aber im Auftrag von SEELE gegen ihn vorgehen sollte.

Und dabei waren die beiden nicht einmal die einzigen Kräfte, mit denen er sich verbrüdert hatte; Neben dem Ministerium – welches zumindest im Bezug auf die EVAs nicht mehr all zu viel zu sagen hatte – war da noch Mari, ohne die der Anschlag auf Bethany Base so nicht möglich gewesen wäre.

Er sah das Mädchen als seine Untergebene und Mitverschwörerin an, bezweifelte aber, in wie fern sie das auch so sah; Sie besaß offensichtlich großen Wissen, von dem sie nicht alles mit ihm geteilt hatte, und es generell mehr situationsabhängig herauströpfeln ließ, als dass sie es je wirklich herausgab, doch obwohl sie ihre herausragende Entschlossenheit mehr als bewiesen hatte, war sie doch in einem Alter, in dem jugendliche Überheblichkeit nicht ganz auszuschließen war, und obwohl sie ein Naturtalent war, war ihre Kampferfahrung noch recht gering – in dieser Hinsicht erschien sie ihm fast wie ein Bizzarro-Spiegelbild des Third Childs, dieselbe Position in den alten Familien der Organisation, das selbe rohe, unpolierte Talent, sogar eine ähnliche, im Grunde freundliche Natur, aber eine Einstellung, die nicht verschiedener hätte sein können – Mari war eine geborene Kriegerin und sich zugleich der Implikationen ihrer Position durchaus bewusst, anders als Shinji, der von den Vorgängen um sich herum nicht viel zu verstehen schien – Gerne hätte er die beiden zusammen gebracht, damit sie sich vielleicht ein Scheibchen voneinander abschneiden können.

Dennoch wäre er nicht so optimistisch anzunehmen, dass selbst ein Piloten-Team aus fünf Maris ausgereicht hätte, um SEELE zu bezwingen – die Verschwörung war ein tief-verwurzeltes, uraltes, krakenartig-kafkaeskes Gebilde, dass sich weit über die menschliche Zivilisationen auftürmte und sie in ihren Schatten warf, und ob der Mut eines Einzelnen auch nur das geringste dagegen ausrichten konnte, war bestenfalls eine offene Frage.

So oder so hätte er sich im Gewissen reiner gefühlt, wenn er das geheimniskrämerische Mädchen dazu hätte bringen können, ihm ihr ganzes Wissen zu offenbaren, oder zumindest, was sie plante – nicht nur wegen der Information, sondern um zu wissen, worauf sie sich eingelassen hatte und sie gegebenenfalls leiten und unterstützen zu können.

Am Ende war es Zwecklos gewesen: Mari hatte zwar eine unkomplizierte, freundliche Art, aber auch die stählernen Augen einer einsamen Streiterin; Sie war sich nicht zu stolz, die Untergebene zu spielen, sondern ging es vielmehr gerade spielerisch an, weil sie sich im inneren als ebenbürtige Kollaborateurin wähnte; In dieser Hinsicht war sie etwas undurchdringlicher und paradoxerweise reifer als Asuka, egal, wie kindisch-verspielt sich ihre Einstellung nun im äußeren präsentierte – auch diese beiden hätten sicherlich einiges von einander lernen können.

Für alle drei Kinder galt, dass Kaji nicht anders konnte, als sich für sie verantwortlich zu fühlen – als jemand, der im Leben viele Fehler begangen und vielen Lastern anheim gefallen war, fühlte er sich dazu angehalten, jene, die diese Welt, wenn sie denn am Ende noch bestehen sollte, von ihm er-erben würden, bestmöglich davon abzuhalten, die selben Abhänge herunter zu schlittern... oder sie darin einzuführen, wie man hinterher damit zurecht kommt, wenn er seine Möglichkeiten realistisch einschätzten wollte; und die waren sehr begrenzt, wenn man bedachte, wie sehr ihr Schicksal mit dem Ausgang des Krieges selbst verstrickt war – vielleicht würden nicht alle von ihnen diesen Krieg überleben; Vielleicht würde sich ihr Leben nach dem Engels-Krieg genau so von dem jetzigen Unterscheiden, wie sein jetziges von dem, was er vor dem Second Impact geführt hatte, und nichts an Beziehungen oder Ratschlägen, das aus dieser Welt stammte, würde dort noch von Belang sein, außer als teil der Ursache, die den späteren Zustand herbeigeführt hatte...

Und das galt natürlich auch für seine jetzigen Verstrickungen mit SEELE und Ikari, die mehr als nur peripher in die Erschaffung dieser neuen Welt verstrickt waren.

Doch zumindest ahnte er im Falle der Bethany Base Geschichte, dass er zumindest mit einer vertrauenswürdigen Partei zusammenarbeiten würde, statt nur an etwas herumzupfuschen, dessen Langzeitkonsequenzen er nicht erahnen konnte...

Unerklärlich war auch, was SEELE da verlangt hatte: Das sie hohe Ansprüche stellten, war nicht weiter verwunderlich, in dieser Organisation sollte man es mittlerweile gewöhnt sein, das unmögliche zu tun – Doch die akribischen Forderungen, er möge doch fast simultan diese und jene Komponenten ausschalten, zeigten eine verdächtige Lücke: Den Hauptenergiekern, den er, soweit er die Instruktionen, die er für so einen Fall bekommen hatte, richtig verstanden hatte, komplett unbehelligt lassen sollte.

Dieses Auszuschalten würde mit Sicherheit nicht einfach, aber auch nicht unmöglich, zumindest nicht viel unmöglicher, als alles andere auf der Liste, doch Kaji verstand genug von diesem Stromnetz um zu wissen, dass es ohne das Ausknipsen dieser Reaktorsysteme nicht lange aus bleiben würde.

Die nächstliegendste Schlussfolgerung war, dass SEELE damit etwas anderes vor hatte, etwas grandioses, das nicht für seine Augen bestimmt war –

Das erhärtete zumindest seinen Verdacht bezüglich eines zweiten Agenten.

Was auch immer es war, es war vermutlich dazu gedacht, Ikari zu beeindrucken, seiner privaten Meinung nach ein vergebliches Unterfangen, doch so lange die Bedrohung der Engel anhielt und die Pläne beider Parteien deren Vernichtung vorsahen, und sie noch auf einander angewiesen waren, konnten Ikari und Keel nichts weiter machen, als sich gegenseitig Schüsse vor den Bug zu feuern – ein prekärer, wackeliger Frieden, an dessen Faden derzeit das Überleben der Menschheit baumelte.
 

Gerne wäre er geblieben, um das Spektakel mitanzusehen, und einen Blick darauf zu erhaschen, was SEELE da tolles zu verbergen hatte, aber wegen seiner Involvierung würde er gezwungen sein, sich ein Alibi zu suchen – was vermutlich genau das war, worauf die alten Männer abzielten.

Für heute würde ihm wohl in dieser Hinsicht nichts anderes übrig bleiben, als eine brave Marionette zu sein, doch hätte ihm das Ministerium diesen wichtigen Job nicht zugeteilt, wenn er seine Anpassungsfähigkeit und sein schnelles Handlungsvermögen nicht schon mehrmals unter Beweis hatte: Wenn ihm schon nichts anderes übrig blieb, als hier unten die Lichter auszuknipsen, konnte er daraus mindestens einen Vorteil schlagen:

Es war zwar höchst gefährlich, so kurzfristig und ohne frühere Absprache Informationen aus dieser Festung herauszuschaffen, aber er hatte schon kalkuliert, in wie fern der von ihm selbst angerichtete Schaden seine Spuren verwischen würde, und selbst wenn, würde eine Chance wie diese nicht einfach verstreichen lassen. Er war sich sicher, das die Regierungsleute einmal mit einem zuverlässigen Tipp ausgestattet, nicht zögern würden, den Körder zu schlucken, und sich ein gutes Bild von NERVs Architektur zu machen; die örtlichen Politiker uns Militärs mochten zwar zum Teil recht egoistisch-nationalistische Gründe haben, um einer Organisation zu missgönnen die eigentlich zum Schutz der Menschheit gedacht waren, doch konnten ihre zwielichtigen Operationen und ihre unverfrorene Verletzungen jedweder Souveränität nicht geleugnet werden: Wenn nötig, so wurde ihm beim Ministerium gesagt, würde die Regierung einfach die Armee auf das NERV Hauptquartier loslassen, einen Ausgang, den Kaji eigentlicher eher vermeiden wollte, nicht nur wegen der unvorsichtigen Zerstörung, die das Militär vermutlich anrichten würde, sondern auch, weil SEELEs Krakenarme in der Regierung tief verwurzelt waren; So oder so war es unwahrscheinlich, dass er in so einem Fall mit seinem Kopf davon kommen würde – Von Misato und den Kindern ganz zu schweigen – obwohl es sich bei ihnen ohne zweifel um Unschuldige handelte, hatte er wenig zweifel daran, das mit ihnen wegen ihres Status so verfahren werden würde, wie mit zu neutralisierenden Biowaffen.

Trotzdem war eine Vernichtung von Neo Tokyo-3 pragmatisch gesehen einer Vernichtung der ganzen Welt vorzuziehen – Es war gewissermaßen die Aufgabe von jemand in seiner Position, dies nach Möglichkeit zu vermeiden.
 

Er hatte sich auf einen sehr gefährlichen Drahtseilakt eingelassen, aber es war das, was er tun musste, um seine Handlungen sich zu bereuen, und nicht zu Letzt, um die Antworten zu suchen, ohne die er seinen Frieden ohnehin niemals finden würde.
 

Das Telefon zuklappend würde er sich erst mal zu seinen Kollegen in den Nebenraum zurück begeben müssen, und dort erst mal seine Schicht beenden müssen.

Es traf sich gut, dass er sich schon recht früh die Fähigkeit angeeignet hatte, ein gesellig-scherzendes Äußeres zu produzieren, ob es nun echt war, oder nicht; Verdacht geschöpft wurde viel, aber nichts was in relevante Kategorien gefallen wäre; Aus dem Ohr-Winkel ertappte er, wie jemand leise zu seinem Nebensitzer spekulierte, dass die Nachricht von Katsuragi gewesen sein könnte, aber er glaubte kaum, das irgendjemand ihren Zorn riskieren würde, um sich dessen zu vergewissern.

Die ausstehende Arbeit waren ironischerweise etliche Sicherheitsberichte, über deren 'Lückenhaftigkeit' er in seinen 'Nebenjobs' zum Teil mehr erfuhr als in seinem Büro, wo deren Aufrechterhaltung und Verbesserung eigentlich sein Job sein sollte: Der durchschnittliche einfache NERV- Angehörige würde über so einiges im Dunkeln gehalten, zum Beispiel wussten wohl die wenigsten hier in irgendeiner Form über Mari's Existenz Bescheid, von der er selbst auch erst bei seiner Ankunft in Bethany Base erfahren hatte, von den diversen 'Päckchen', die er dem Commander da ausgeliefert hatte, ganz zu schweigen.
 

BETHANY BASE, SECHS MONATE ZUVOR
 

Auch wenn die eigentliche Aktion erst viel, viel später zu voller Blüte kommen würde, in einer einzigen Nacht, in der in kurzer Folge und/oder einer Vielzahl von Parallelen mehrere Ziele einen abrupten Schritt näher an die Vollendung gebracht werden würde, so war es doch nicht korrekt, die Arbeit eines Saboteurs auf den Zeitpunkt des eigentlichen Eingriffs zu reduzieren

Das er später so schnell agieren konnte, lag sowohl in Bethany Base als auch in Tokyo-3 an ausgiebiger Vorbereitung und langwieriger Vorarbeit, und nicht zuletzt dem hässlichen, öligen Geschäft, von ausreichend Beteiligten das Vertrauen zu gewinnen, um überhaupt lange genug mit den betreffenden Gerätschaften allein gelassen zu werden: Genau wie eine Spinne, die sich erst erhoffen konnte, Beute zu jagen, nachdem sie sich mühselig ein Netz erbaut und sich genau an die richtige Stelle gesetzt hatte, um nichts zu verpassen, was in seinen weiten von sich ging, musste jeder noch so kleinen Handlung ein Einnistungsprozess voran gehen, und idealerweise folgte auf jede noch so kleine Störung des Status Quo ein Glätten der Wogen, auch, wenn auf dieser Welt nicht vieles Ideal war und er sich deshalb oft aus der Deckung wagen musste, bevor das Gras Zeit gehabt hatte, seine letzte Missetat zu überwuchern.

Die meiste Zeit über bestand sein Alltag daraus, als einer von ihnen unter den Beschäftigten seiner 'Opfer' zu verbringen und mit den Leuten anzubändeln, die er augenblicklich verraten musste, sobald der entsprechende Anruf eintraf.

So abenteuerlich, wie die Bond-Filme das bis weilen darstellte, brauchte man sich das nicht vorzustellen: Die Arbeit eines Spions bestand größtenteils aus warten, die schlimmsten Feinde waren Langeweile, wandernde Gedanken und weiche Herzen, oder zumindest die, deren Herren sie sich von der Arbeit zu trennen wussten; Dennoch konnte es von einen Moment auf den anderen jeden Moment zu Katz-und-Maus Jagten und Schießereien kommen, die für die Kinobesucher schon zu lächerlich erscheinen würde, wo es zu Schusswechseln mit Menschen kam, mit denen man jahrelang zusammengearbeitet hatte, und zu zögern, bedeutete ebenfalls den Tod.

Es war ein kaltblütiger Job für kaltblütige Menschen, und erforderte ein gutes Gespür für Risiko und Vorsicht, und die Fähigkeit, viel zu reden ohne irgendetwas zu erzählen; Es brauchte eine Kunst, den Menschen auf den Zahn zu fühlen und eine Karte des sozialen Umfelds aufzustellen, sorgsam und doch subtil auszuloten, wer alles gegen wen Frustrationen hegte, wer seine Arbeit satt hatte, wer ein wahrer Gläubiger war, und wer unachtsamen Auges war, eine Königsdisziplin, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, unauffällig auf der Lauer zu liegen und doch immer zum Handeln bereit zu sein, das richtige Maß an unabhängiger Reaktionsfähigkeit und um die teils mächtigen und ausnahmslos skrupellosen Auftragsgeber nicht zu verärgern oder als im Dunkeln gehaltene linke Hand der rechten ins Revier zu patschen;

Doch an jenem Tag hatte Kaji geglaubt, einen günstigen Moment gefunden zu haben; Die relative Seltenheit solcher Momente und die Zeitvorgaben seiner Vorgesetzten verboten es, sie ungenutzt verstreichen zu lassen; Auch für zögerliche war dieser Beruf nicht geeignet.

Es war zu seinem Glück, das NERV zumindest dem schönen Schein nach para-militärisch genug war, um ihm das ständige Tragen einer Waffe zu vergönnen, ohne dass es in den Korridoren von Bethany Base besonders aufgefallen wäre.

Kaji hatte wenig Illusionen, dass sein Leben auch so schon am seidenen Faden hing, sobald er sich verdächtig weit von seinem Posten wegbewegte; Im Gegensatz zu den oberflächennahen Teilen des Hauptquartiers war das hier Geheim genug, dass es keine Investigation geben würde, keine Warnschüsse, und keine Fragen, weder vor noch nach seines plötzlichen Ablebens.

Die Pistole an seinem Gürtel, von der er die Hände nie zu weit wegbewegte, wenn er sie nicht gerade für etwas anderes brauchte, war das einzige, was ihm entfernt irgendeine Art von Schutz gewähren könnte, wenn er sehr, sehr schnell handelte, auch, wenn er erfahren genug war um zu wissen, dass die davon gewährte Sicherheit größtenteils eine Illusion war: Mit einer Leiche würde er ebenfalls Beweismaterial hinterlassen, und sich mit der blutigen Tat in einem Komplex voller Sicherheitssystemen und Sicherheitspersonal höchstens ein paar Minuten erkaufen; Doch könnte er sich durchaus mehrere Szenarios denken, in denen ein paar Minuten genau das sein würde, was er benötigen würde – zum Beispiel, um ein paar sensitive Informationen weiterzugeben oder unabdingbares Equipment zu zerstören.
 

Sein heutiges Ziel was ein kleines Ventil, das eine entfernte Rolle im Cocytus-Sicherheitssystem spielte, dass den dritten Engel dort unten gefangen hielt;

Der Eingriff sollte nur eine geringfügige Änderung der Einstellungen bewirken, das zunächst kaum einen Einfluss haben würde und mit großer Wahrscheinlichkeit als simple Alterserscheinung des Materials oder durch die organischen Komponenten bedingte natürliche Fluktuation abgetan werden würde, wenn es denn überhaupt bemerkt würde, doch wenn der große Tag kam, und alles an seinem Platz war, würde es einer in einer langen Reihe von Dominosteinen sein, die Bethania Base zu Fall bringen würden.

Irgendwie tat es ihm schon leid, für den Ingenieur, der der ganze entworfen und dabei wirklich herausragende Arbeit geleistet hatte, wenn man bedachte, das seine Konstruktion etwas festhalten sollte, dessen Gleichen noch kaum ein Mensch gesehen hatte, ohne sein Leben zu lassen, und dabei bis jetzt sogar entgegen der absoluten Worte SEELEs erstaunlich erfolgreich gewesen war, ein kleines Vorzeichen dessen, was wir eigentliche alle sehen wollten: Ein Triumph der Menschen über die Engel.

Selbst hätte Kaji von Anfang an dem Risiko misstraut, ein Biest mit solcher Zerstörungskraft mit materiellen Fesseln zu binden, und er wusste, dass das Entkommen der schlangenhaften Bestie eine Frage von wann statt von ob war, ob er nun eingriff, oder nicht, aber, der Mann, dem SEELE mit dieser unmöglichen Aufgabe betraut hatte, hatte einer verdammt gute Arbeit geleistet, die ihm ohne Kajis eingreifen noch länger Ruhm eingebracht hatte; Tröstlich war, dass der Wissenschaftler, dessen Name ihm jetzt nicht einfallen wollte, vermutlich nur unwesentlich mehr über SEELEs Pläne erzählt bekommen hatte, als andere führende NERV-Mitarbeiter, und die Zerstörung seiner Arbeit vielleicht sogar befürwortet hätte, wenn er geahnt hätte, was SEELE damit vorhatte.
 

---
 

Ryoji Kaji war im herkömmlichen Sinne nie ein Familienmensch gewesen, und so hätte man sowohl in seinem Büro als auch seiner privaten Wohnung vergeblich nach Erinnerungstücken oder gar Fotographien gesucht – Letztere beschränkte sich auf nicht mehr als einen simplen, spartanischen ein-zimmer Komplex mit einem Bett, ein paar Schränken und einem winzigen Badezimmer, mit einer unberührten Küchenzeile, einer Kork-Pinnwand nebst einem mit Papieren und Akten bedeckten Schreibtisches und einem Rolladen, der selten über die Hälfte hochgefahren wurden;

In einer Ecke lebten noch ein Stapel Koffer, immer bereit für die nächste Dienstreise; Unter der Nachttischlampe lag bisweilen ein Buch oder eine Packung Kondome, für deren Sichtung durch irgendwelche spontane Besucher scheinbar kein Risiko bestand;

Doch hätte man die Schublade geöffnet und die Socken und Boxershorts zur Seite geschoben, wäre man eines Schuhkartons fündig gewesen, dessen Inhalt die Geschichte einer lang vergangenen Geschichte erzählten, nichts, was den Sicherheitsfritzen von NERV oder SEELE nicht in die Hände fallen sollen hätte, und dennoch so persönlich, das er es nicht weiter weg versteckt wissen wollte.

Nichts mehr und nicht weniger als alte Fotos, eine Sammlung, die vor acht Jahren zusammengestellt worden war, aber seither keinen weiteren Zuwachs bekommen hatte – außer einer handvoll anderweitig zugehöriger Bilder, die hauptsächlich zum Zwecke der Einfachheit den weg in den selben Behälter gefunden hatten – zweckmäßig war das beiden dienlich; Es ferfestigte den symbolischen Charakter dieses selten angerührten, staubigen Besitzstücks, dessen bloße Präsenz er nicht fern von seinem Lager wissen wollte, damit sie stetig in den hinteren Ecken seines Bewusstseins glühen würde, damit er es nicht wagen würde, zu vergessen, warum er seine Suche immer weiter voran trieb, was er zu beschützen versuchte, was er an Sünden zu begleichen hatte, und wem er die Rechenschaft letztlich schuldete -

Nicht nur diesem Abbild von Liebe dass er erhascht zu haben glaubte, sondern auch denen, die ihm Nachfolgen würden: Die jüngsten Bilder in der Sammlung zeigten unter anderem ein leicht jüngeres Abbild des Second Child in der Nähe von einer Art Hafen, in einem Sommerkleid und einem Sonnenschirmchen, und ein Foto von Mari, wie sie in ihrer üblichen Schuluniform auf irgendwelcher zu Berthany Base zugehöriger Maschinerie herumsaß und breit in die Kamera grinste.
 

25:[Liminal Spaces]
 

Beyond a door that opened quietly,

Lies a crumbling world

Will morning break?

Will night fall?

A shy light seeps through as I ponder these questions
 

Let us play a little more until we are called,

Let us repeat our days like reborn flowers.
 

In the dreams that took place inside this room,

a gentle song was incessantly being sung to you

What reality is there?

I chase the world I can most believe in,

and run towards your silver garden
 

The girl who got lost on her way

was again the first one to return home

Don't you think that running toward somewhere warm and light

Is more important than the truth?
 

To those Guardians who wish to protect the sleep of the innocent,

the gate to adulthood has been firmly closed
 

I wonder if you've noticed it too,

that something like the truth,

only exists in the past.

Hopes and the Future

are just egoistic tales that people tell,

like stories of a distant garden

It's just that no one noticed it yet
 

Little children sing with innocent voices

What will they hide? What will they destroy?

Time is burning

a flower's scent reminds me of a secret

I am here
 

Please nestle closer quietly

Please don't go anywhere

Please sing by the window

of what we have lost
 

Dreams lie in those arms,

the lies grievances of kind people

are locked away there.

With imperfect hearts, we shall clad ourselves in light and take flight,

taking the shape of young girls,

toward the never-ending beginning,

toward the true end
 

Please nestle closer quietly

Please don't go anywhere

Please sing by the window

Please don't go anywhere
 

- 'Kimi no gin no niwa', by Kalafina (Übersetzung)
 


 

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Im mittelpunkt einer scheinbaren Unendlichkeit hängend, verschantzt hinter einer weitläufigen, aber langsam aber sicher im zerfallen befindlichen Barriere, befand sich eine einzige und einsame, völlig gelähmte kleine Seele.

Der Zustand, in der sie sich befand, hätte auf vielerlei Arten beschrieben werden können;

Jetzt, wo die Zeit alle Bedeutung verloren hatte, hätte der einzige, verbleibende Mensch die resultierende Leere um sich herum scheinbar endlos betrachten können, und doch wusste er, das irgendwo da draußen, weit jenseits des Bereiches, den er für den Inhalt seines herzens aufgespannt hatte, die Zeiger unetwegt weiter tickten und ihm den unausweichlichen Verderben näher brachten; Vielleicht deshalb war es, dass sich der Mensch an jede Sekunde krallte, und an jedem Moment festhielt, unwillens, ihn verfließen zu lassen, aber doch unfähig, ihn für immer fest zu halten – Doch noch war die Stude des jüngsten Gerichts nicht gekommen, und so blieb ihm sein kleines, abgeschlossenes Königreich, in dem er regierte als unangefochtete Prinz von Gar Nichts, der Fürst von Niemand, der Sohn des Königs des Ödlands;

Von seinem lächerlichen und doch absoluten Thron aus konnte er alles in seinem gesamten Reich überblicken, alles davon aufmerksam unter die Lupe nehmen, und doch war er es leid geworden, es zu betrachten; War er darin sah, war ihm anstößig, und der einzige Weg es zu ändern, wenn er denn existieren sollte, war es zu handeln, bevor die Zeit dazu vorrüber war...

Doch der Monarch saß still und ausdruckslos auf seinem Thron, sein Innerstes verhüllt und doch unleumdbar, offenbart im unerklärlichen Hämmern seines Herzen und den subtil verkrampften Fingern seiner rechten Hand, die sich in den Stoff seiner Uniformhose krallten.

Es war keinesfalls so, das er zu der logischen Festellung nicht fähig gewesen wäre, das er schon etwas tun musste, um diesen endlosen Kreislauf der Vernichtung zu durchbrechen, und das es schlichtweg kontraproduktiv war, sich on der Furcht auffhalten zu lassen, das es hier an diesem Ort, wenn man diesen metaphysischen Bereich denn so nennen könnte, nichts mehr zu lernen gab –

Aber das war es ja gerade, was diese Stuation jenseits seiner Fähigkeiten ansiedelte:

Für gewöhnlich würde einem im Falle eines Problems aufgetragen, eine Lösung dafür zu suchen. Doch was, wenn man die Lösung wusste, und dennoch einfach nicht fähig war, das Problem umzusetzten? Wenn es eine Zeno-artige Barriere zum ersten, wirksamen Schritt gab?

Oder nicht mal bis dahin, denn es gab hier anders als zum Beispiel in einer Klassenarbeit keine Teil- oder Bonuspunkte – Wenn er die Zeitschleife nicht komplett aufzuhalten vermochte, wenn es ihm nicht gelang, diesen Durchlauf perfekt zu machen, dann würden all seine Anstrengungen vergebens sein, und dann sah es fast wieder schon aus, als ob sie überhaupt keinen Unterschied machen würden, und es schien verlockender, sich in der See aus Gedanken treiben zu lassen:
 

„Erzähl mir eine Geschichte!“

Und eine Stimme, die er glaubte, hier schonmal vernommen, aber zur selben Zeit völlig fremd zu finden, löste sich aus dem Chor, um sich ihm zuzuwenden:

„Was für eine Geschichte wünscht Ihr denn, junger Herr?“

„Ich... ich weiß nicht...“

(„Es ist eine Welt, in der du alles tun kannst, was du willst…“

„Aber du bist nicht zufrieden…“

„Weil dir gar nicht einfällt, was du überhaupt tun könntest…“)

„Wie wärs mit einer Geschichte, die ich noch nicht kenne?“

„Eine Geschichte, die Ihr nicht kennt, gibt es nicht, Junger Herr. Ich kann Euch keine Geschichte erzählen, die nicht existiert.“

„Aber die Menschen erzählen doch die ganze Zeit Geschichten, die es noch nie zuvor gegeben hat. Wie könnten sie denn alle zuende sein...“

„Irgendwann werden sie das bestimmt sein. Und dieser Tag ist nun gekommen. Es ist vielleicht nicht der Hitzetod des Universums, aber es ist dennoch der Tag, von dem an keine neuen Geschichten mehr geschrieben werden sollen.

Ich ging davon aus, dass Ihr das mittlerweile erkannt haben solltet, Junger Herr.“

(„Ja, solange du nichts tust oder denkst.“)

„Solange sich niemand eine neue ausdenkt.“ hörte er dann eine leise hohe, wesentlich vertrautere Stimme vervollständigen, was er selbst schon vermutet hatte.

„Es gibt also keine neuen Geschichten mehr...solange ich sie nicht selbst schreibe.“ stellte er zusammenfassend fest, wiederinmal unter den gigantischen Verantwortung zitternd und zerberstend, die sich da über ihm auftürmte.

„Ja.“ bestätigte ein weiterer Splitter des Chors, dem sein Unterbewusstsein wohl aus gutem Grund Misato's Stime zugewiesen hatte. „Solange du nicht handelst.“

Unausweichlich wurde er sich seiner linken Hand bewusst, und dem kleinen Gewicht, das davon herrabhing; Er musste nicht daran herrablicken, um zu erkennen, dass es sich um einen gewissen, kreuzförmigen Anhänger handelte, oder um das Gewicht des Versprechens zu wissen, dass er verkörperte.

Natürlich hätte er auch eine bekannte Geschichte herranziehen können und sich weiter in deren Details einarbeiten, aber selbst das würde bedeutungslos sein, wenn sich die daraus gewonnenen Ereignisse niemals materialisierten, wenn die Erzählungen niemals weiter gingen – auch, wenn diese Option nur eine illusion war.

In der Theorie schien ein Verweilen und letzlichen Ergründen zwar möglich, doch in der Praxis hatte sich oft gezeigt, das die Entscheidungen oft für ihn getroffen werden würden, wenn er nicht bereit war, der Geschichte sebst zuende zu führen, und dann würde die Bedeutung ohne sein Zutun unweigerlich festehen; In der Praxis gab es da noch die ungewissen Weiten der externen Welt zu bedenken, die möglichkeit aller Zeitpunkte, außer dessen, zu dem alle Pfade hinzuführen schienen, wie die Straßen des römischen Reiches zur Haupstadt.

Doch gerade, weil er sich nicht bereit fühlte, diese zu konfrontieren, hatte er sich in diesen verborgenen, geheimen Garten verschanzt, und ihm blieb nichts anderes übrig, als die Äste und Ranken seiner wandernden Gedanken zu betrachten; Das war alles, was ihm an diesem Ort am Ende von allem noch zu tun blieb.

Doch es war wirklich ein Garten, ein stilles Domizil in das er nur wenige andere Selen hineingeführt hatte, gefüllt mit manigfaltigen Blüten und Zweigen, tiefen Wurzeln und grünen Früchten, die auf ewig nicht zu reifen schienen, dunklen Fantasien, die dazu resigniert schienen, auf ewig solche zu bleiben, ein beschränktes, überaus artifizielles abbild der wilden Natur da draußen, insoweit gezämt, das es der Mensch mit moderater Sicherheit genießen konnte;

Unter anderen Umständen hätte es eine Quelle von Weisheit, Schönheit und inspiration sein können, ein privates Refugium, um sich für das Tagewerk draußen in der Welt zu stärken, doch durch seine abgeschlossene Natur taugte seine relative Schönheit nur dazu, seine tragische, sinnlose Natur klarer und bildlicher zu machen – Es wurde nur zu einem weiteren pathologischen Sympton seiner verdrehten, eingewachsenen Existenz.
 

Doch wenn der Mensch mit einem überwältigendem Problem konfrontiert wurde, dass trotz seiner unmittelbaren Relevanz immer ein unlösbares Mysterium blieb, lernte er es oft aus allen möglichen Blickwinkeln zu betrachten; Das beste Beispiel dafür war vielleicht der Tod, über dessen Bedeutung jeder, der ihn noch nicht erfahren hatte, wohl hin und wieder darüber nachsinnierte, nicht nur über die harte Aufgabe, das Unausweichliche in irgendeinen Kontext von Sinn und Bedeutung einzufügen, ohne das dieser daran zerriss, sondern auch über diese Suche nach Bedeutung selbst, sodass die Generationen den Tod in immer neue metaphorische Kleider verpackten, bevor sie seinem Schlund zum Opfer fielen.
 

In Shinji's falle war der Tod durch seine relative Jugend noch eine ferne, relativ optional erscheinende Bedrängnis, umso dringlicher war jedoch die Möglichkeit der Zeitschleife, die schon am Ende dieses Jahres ihre Arbeit wieder aufnehmen könnte... beides davon wurde in seiner Bedrohlichkeit freilich von Shinjis Gewahrsein darüber gefüttert, wie wenig er im Durchschnitt aus seiner Zeit machte. An manchen Tagen wusste er kaum die Energie aufzubringen, um nach der Erledigung seiner Pflichten in Haushalt und Synchrontests noch viel fertig zu bringen, wobei seine guten Vorsätze bezüglich der Schule und künstlerische Betätigungen schnell aus den Fenster flogen und an die Instandhaltung oder gar Erweiterung seiner bescheidenen Sozialkontakte schon mal gar nicht zu denken war.

Manchmal lag es an irgendeiner melancholischen Verstimmung, manchmal war es einfach ein simpler, grundlegender Fakt seiner Existenz; Alles in allem war er wohl einfach nicht dazu bestimmt, ein besonders nützlicher oder produktiver Mensch zu werden...Doch mit dem Ultimatum, das in der Form des möglichen Third Impact über ihm hing, konnte er sich dieses Stocken an wahren, greifbaren Fortschritten nicht länger leisten, und mit jedem Tag, an dem er keinen Beitrag dazu leistete, stiegen die Anforderung daran, was er in der stetig schrumpfenden, verbliebenen Zeit zu bewerkstelligen hatte, und obgleich er sich damit alles stetig schlimmer und schlimmer machte, konnte er nicht die nötige Entschlossenheit in sich finden, um auf die Bremse zu treten...

Ihm war bereits gesagt worden, dass das Schicksal der Erde von seinen Handlungen abhing, und trotzdem war es ihm sehr schwer gefallen, seine Arbeit als Pilot auszuführen; So sollte es nicht wunderlich sein, dass er auf eine weitere gigantische Herausforderung von kosmischer Signifikanz ebenso hilflos reagierte; Er hatte im Bezug auf Willenskraft wohl nicht sehr viel vorzuweisen.

Unfähig zu handeln, blieb ihm nichts weiteres zu tun, als seine prekäre Situation und die vollkommene Isolation, die damit einher ging, in Gedanken wieder und wieder zu betrachten:

Er konnte die anderen Schleifendurchläufe als eine Vergangenheit sehen, eine Serie von Niederlagen die sich hinter ihm ins endlose erstreckte;

Oder, er konnte sie als eine Zukunft begreifen, eine düstere Prophezeiung, die sich mehr und mehr zu erfüllen drohte und alles, was ihm lieb war zu verschlingen vermochte;

Erst nach einigen Tagen im vollen Wissen über seine Situation kam ihm in den Sinn, die Schleifendurchläufe, oder viel mehr jenen vage definierten aber doch charakteristischen Ort oder Zustand, den er in seinen Visionen erfahren hatte, als eine Art Gegenwart anzusehen, die von einem gewissen Sichtpunkt aus realer war als die festgesetzte und, wenn er wieder versagen sollte, völlig nichtige Welt, die er von Tag zu Tag durchschritt – Diese Welt des Third Impact war etwas, zu dem er stetig zurückkehren musste, wenn nicht bei Nacht, dann Ende des Jahres;

Das hier und das da drüben wechselten sich ab, und es gab eigentlich, genauer betrachtet, nichts was seine Position hier, innerhalb der Schleife, vor dem Third Impact, realer machte als das da drüben auf der anderen Seite; Ohne ein definiertes Ende, oder den definierten Anfang, dessen komfortable Anweseneit ihm diese endlose Widerholung nicht erlaubte, gab es keine klare Rechtfertigung mit dem er sagen konnte, dass das hier die Illusion war, und das draußen nicht;

Wenn er sich in jenem endlosen Ozean widerfand, konnte er sich an Dinge erinnern, an denen er er in der sogenannten 'Gegenwart' nicht

In Träumen vergaß man die Realität, aber in der Realität war die Erinnerung an Träume ebenfalls begrenzt; Das einzige, was die Träume wirklich abgrenzte war, dass sie irgendwann einmal ohne weitere Konsequenz zu Ende sein würde; In einer Welt, wo so etwas wie ein 'Ende' in seiner bloßen Existenz höchst ungewiss war, begann der Unterschied zu verschwimmen, und doch war das Prinzip nicht so situationspezifisch wie es vielleicht erscheinen mochte –

Es brauchte nicht unbedingt eine Zeitschleife, nur Vorstellungskraft; Wenn man sich eine Zukunft vorstellte würde sich erst im laufe der Zeit zeigen, ob sie zu konsequnter Realität werden sollte, oder ein bloßes Luftschloss bleiben würde, und obwohl ein ausreichend kreativer Mensch sich eine schier endlose Zahl von Luftschlössern erträumen konnte, würde sein Weg am Ende nur einem mögichen Pfad folgen, der als Vergangenheit festgebrannt sein würde -

Und Shinji konnte nicht sagen, welcher Pfad hinter ihm eingebrannt sein würde, wenn er den Tag der Heimsuchung erreicht und überschritten haben würde, ob sein Weg ihn dorthin zurück bringen würde, von wo er aufgebrochen war, oder daran vorbeischrammen würde, sodass jener Ozean eine unerreichte Möglichkeit bleiben würde, ein bloßer, verpuffter Traum, der nie geschehen war, eine bloßen Warnung eines Schreckenszenarios, das dank weiser vorrausscht nie eingetreten war.

Wenn nicht, dann war es die jetzige 'Gegenwart' die konsequenzenlos verpuffen würde, und zurückbleiben würde nur dieses selbstverliebte, kosmische Ouroboros, wo heute, morgen und gestern hoffnungslos ineinander verschmolzen blieben.
 

Der Ort, für den sich in Shinji's Bewusstsein letzlich stetig die Bezeichnung 'die Welt da drüben' herauskristallisiert hatte, ließ sich schon seiner Natur wegen nicht mehr vollständig in Worte fassen, als sich die sphärische Oberfläche der Erde in längen und breiten getreu auf eine zweidimensionale Karte projizieren ließ; Gleich dieser verschienen Projektionen ließen sich jedoch abstrakt vereinfachte Abbildungen finden, die dem ganzen zumindest in einigen bestimmten Aspekten gerecht wurden.

Von allen Menschen, die auf dieser Welt ihr Dasein gefristet hatten, war Shinjis Verstand wohl nicht am besten dazu ausgestattet, um diese Art von Existenz auch nur Theoretisch zu begreifen, aber, er war auch nicht unbedingt der schlechteste, obgleich seine Wahrnehmungen von etwas, was er kaum zu verarbeite wusste, zwingend in die Filter seiner eigenen Perspektive gekleidet sein würde;

Gleich einer 'unmöglichen Figur', bei der man durch eine optische Täuschung nur eine von beiden möglichen Interpretationen zur gleichen Zeit sehen konnte, obwohl sie beide Teil des ursprünglichen Bildes waren, oder dem Netz eines Würfels, dessen Flächen immerhin eine bloße Ahnung oder Anleitung dazu lieferten, wie das dreidimensionale Objekt daraus zusammengefügt werden könnte, versuchte er, eine Karte des Unbeschreiblichen aufzuzeichnen;

Wenn er 'hier drüben' über die Hände und Hosenbeine hinweg blickte, die seiner eigenen Form zugehörig waren, dann ließ sich das, was er sah, mit etwa gleicher Berechtigung und Angemessenheit beschreiben als:
 

1:

Der Studel aus Bildern und Worten, der am ehesten dabei herauskam, wenn er versuchte, diesen Ort in seiner Gänze als das zu begreifen, was er wirklich war.

Es war, als ob alle Worte, die die Menscheit von Tag und Tag astauschten, alle liebeserklärungen, alle Beleidigungen, alles von den großen Reden der Geschichten von den banalsten alltäglichen Austauschen zu einem einzigen Moment verdichtet worden wären, ein zunehmend unkenntliches, kaum erträgliches, bienenstockartiges Surren und Rauschen von Milliarden Stimmen – nur, um dann alle auf einmal gemeinsam zu verstummen.

2:

Ein leerer Theatersaal, komplett mit Scheinwerfern, Beschilderung und einer in Dunkelheit gehüllten Bühne, auf der sich Dinge abzuspielen vermochten, vielleicht eine Alltagszene wie aus einem Klassenraum, die Kostüm- und Requisitentechnisch recht minimalistisch umgesetzt worden war.

Der Geruch von Kreidestaub und selten geöffneten Behältern

Shinji's 'thron' war in dieser Welt nichts weiter als ein bloßer Klappstuhl auf parkett, gerade noch mal so im Lichtkegel eines Scheinwerfers, aber wie sagt man noch mal?

Im land der Blinden ist ein einäugiger Mann ein König.

3:

Ein Abbild einer endlosen, weiten See, eine zerbrechliche Welt getränkt in die Farben des Sonnenuntergangs, in der Schwebe zwischen Erde und Mond, das heißt, zwischen dem, was zu dieser Welt gehörte, und dem, was dort mit sicherheit keinen Platz hatte.

Die Oberfläche besah er von unten, als wären es die Radießchen;

Er trieb darin in einer vertrauten, angenehmen Wärme, von der sorte, die einen die Zeit komplett vergessen ließ, wo tausend Jahre wie eine Sekunde an ihm vorbeischrammen könnten, fast so, als wenn man in das lesen eines Textes oder den Konsum eines Musikstückes vertieft war, und nicht bemerkte, das es abend geworden war.

Jenseits der Oberfläche hatte es vielleicht einmal eine Welt gegeben, aber was auch immer dort gewesen war, war nun vergessen, und nicht mehr Teil des Sphäre, in der sich das Leben abspielte: Aus den Wassern war es gekommen, und zu den Wassern waren sie zurückgekehrt;

Und nun saß er am Grunde des Abgrundes, im Herzen der Welt wie der Gott Pluto, Herrscher über allen Reichtum, der aus der Erde hervorging und letzlich in die Erde zurück musste, die letzte Lagerstätte, wo sich letzlich alles ansammelte –

Auf dem Privileg jenes unermesslichen Reichtums thronend war er das finale Produkt, vielleicht nur ein Gefäß dafür, das zur Gesamternte nur einen winzig kleinen Teil darstellte, aber dort im Flussbett, wo sich alle Ströme kreuzten, wurde er zum Kelch aller Weisheit, aller Erkenntnis und aller Erleuchtung, der Pokal, in dem alles zusammen gegossen worden war, damit es brüderlich von allen geteilt werden konnte, zur Vergebung der Sünden, allen vorran seiner eigenen.

Doch dafür, dass er ein Gastgeber hätte sein können, erschienen seine Hallen sichtlich leer;

Obwohl er alle Stimmen des Kanons hören konnte, und jeden Winkel davon mit einem bloßen Gedanken zu ergründen vermochte, so war da doch keine Hand, sie sich ihm entgegenstreckte, keine Stimme, die direkt zu ihm sprach, und er besaß in dieser Form auch nichts, mit dem er diese Geste hätte erwidern können;

Wenn er sich umblickte, sah er in alle Richtungen nur die weite des Ozeans, klar still und unbetrübt, und wenn er versuchte, dem Bereich seiner Seele bis an irgendwelche Grenzen zu folgen, konnte er keine finden: Die anderen schienen theoretisch hier, aber praktisch nicht;

Statt einer idealen Gemeinschaft fand er hier nur eine andere, noch absolutere Form der isolation vor, die sich nicht mehr durch simple menschliche Bedürfnisse unterbrechen ließ, eingeschlossen das Bedürfnis nach Nähe und Austausch;

Als die Art von Existenz, zu der er hier geworden war, war es ihm natürlich durchaus möglich, sich ihre Präsenz vor Augen zu führen; Auch er war schließlich teil des Ganzen. Alles, was es brauchte, war eine bewusste Konzentration auf eine strikt definierte Facette seiner Realität; Und schon begann sich das Bild vor seinem geistigen Auge zu verdichten, man sah Flecken von einem dunkleren, dichteren Rot, die sich wie Blutstropfen aus dem umgebenden Orange herauslösten, Zeichen der Sünde, die der Preis dieses sogeannten Paradieses gewesen waren;

Die Figuren, die sich da herausmaterialisierten, waren wie die Schatten in der Unterwelt, unwirklich, ungewiss und flimmerig, ein bloßer konzeptueller Ersatz einer Anwesenheit wie eine Metapher ohne Substanz; Die zahllosen Körper schienen im Begriff zu sein, aus Richtung der Oberfläche im taumelhaften Sinkflug die Tiefen hinabzustürzen, wobei die meisten ihre Gliedmaßen hilflos nach sich zogen oder herrenlos in unnatürliche Richtungen ragen ließen, als ob sie mit erheblicher Gewalt hin-und her geworfen worden wären.

In dieser Form waren sie in mehr als nur einem Sinne unkenntlich geworden, um alle Merkmale und Eigenschaften erleichtert, an denen man sie hätte unterscheiden können, und es war nur Shinjis Kenntnis von dem, was sie früher einmal gewesen waren, die ihm erlaubten, ihnen Namen zu geben:

Misato, mit dem Kopf voraus in die Tiefe stürzend, das Kleid unter ihrer Uniformjacke mit dunklen Blut besudelt;

Ritsuko, erkennbar an Laborkittel und Strümpfen, nah der Oberfläche in der Horizontale treibend, mit einem markanten Blutfleck zwischen den Schulterblättern.

Ein Mädchen in Uniform, vielleicht Hikari, Kopf und Gliedmaßen leblos herabhängen lassend.

Ibuki, kopfüber sinkend, eine Hand nach sich ziehend, die wohl einst hilfesuchend in die Höhe gestreckt worden war.

Zahllose andere vage Silhouetten in verschwommenen NERV-uniformen durchsetzten die nähere Umgebung, während in der ferne so weit das Auge reichte, bloße menschliche Umrisse, und weiter in der Tiefe, ein Meteor-Feurerball aus sich stetig ausbreitender Dunkelheit und unleugbarer, scharlachroter Schuld und Sünde, in deren Zentrum sich in ein Mädchen in einem roten Plugsuit sich kopfüber zusammengekauert hatte.

Und über alles hinwegblickend, jenseits der wogen er Oberfläche, im Pfade des silbernen Mondlichts, das ihre Form umhüllte wie ein Kranz aus heiligem Licht, schwebte die Form eines Mädchens in Schuluniform, die Farbe ihres kurzen Haars unverkennbar.

Ihre Füße berührten noch nicht einmal die Oberfläche des Ozeans, auch wenn hier die Altertative gleichsam von Wundertätigkeit berichtet hätte.

- Doch die Sicht auf sie wurde zunehmend schlechter und schlechter als das Meer sich mit den Abdrücken verlorener Seelen füllte, und sich der Raum von ihr zunehmend durch ihr zu Unrecht vergossenes Blut trübte, bis kein Licht mehr in die Tiefen vordrang und alles vollkommen erfüllt war von undurchdringlicher Finsternis und einem unerträglichen Gestank nach Blut –

Dennoch war Shinji sich sicher gewesen, das sie zweifellos auf der anderen Seite gewesen war, sichtbar, aber völlig unerreichbar, vollkommen abgeschieden wie der Mond selbst.
 

Nun hatte der Mensch den Mond ja bekanntermaßen erreicht, doch knapp fünfzig Jahre später stand die Menschheit nun vor der vollkommenen Vernichtung, und alle wissenschaftlichen und ökonomischen Ressourcen – inklusive Mondraketen – waren komplett auf den Kampf gegen die Engel gerichtet worden, als sei der ganze Planet, oder zumindest das bisschen Territorium, dass die Menschen auf den Landmassen noch zu verteidigen vermocht hatten, zu einem einzigen, vorwärts gerichteten Pistolenrohr verwachsen.

Für weitere Expansion zum Rest des Sonnensystems oder, beispielsweise modernere Videospielkonsolen blieb da nicht viel übrig; Bisweilen wurde im Fernsehen darüber spekuliert, wie die Technologie wohl in einer Welt ohne Second Impact vorrangeschritten wäre, und man ging davon aus, das man die jetzige Welt wohl in einiger Hinsicht überholt und in anderer Hinsicht hinterhergehinkt hätte, hätte doch mit Sicherheit kein Bedarf für so etwas wie Evangelions bestanden, und, vielleicht hätten sich die Menschheit ja anderweitig in die Luft gejagt, aber so unvermeidbar es jetzt auch schien, so sehr die Pfade im Nachhinein hierher zu führen schienen, , zu diesem Spektakel hier wäre es niemals gekommen.

Wenn er zurück dachte – so diffus und durchmischt die Vergangenheit an diesem Ort auch erscheinen mochte – Konnte er den Eindruck nicht abschütteln, das es zahllose Abzweigungen gegeben hatte, an denen er diesem Pfad hätte entkommen können... doch jedes mal, wenn es ihm dann gelingen sollte, in eine Ausfahrt abzubiegen, führte ihn unweigerlich irgendetwas in die alten Pfade zurück – Vielleicht war es die Welt, die schon eine lange Zeit unvermeidbar auf die Schienen des Vergehens manövriert worden war, oder aus ihrer Natur heraus nichts weiter hergab, ja, vielleicht schon von Anfang an hierzu bestimmt worden war, weil es untrennbar mit ihrer grundlegendsten Natur verflochten war.

Es lag eine gewisse Unübersichtlichkeit vor, eine ungewisse mehrdeutige Situation, die anders als eine klar dargelegte Ausweglosigkeit nicht mit dem Trost einher ging, das er zumindest nicht schuld war.

Statt wie alle anderen Schatten in der Dunkelheit zu versinken, gab es in seinem Fall etwas, das ihn zurück hielt, keine physische Oberfläche aber doch das mentale Vorhandensein einer Kontaktfläche – Letztlich war in diesem Zustand auch diese vermeintlich 'andere' Präsenz nur eine in sich zusammen gefaltete Fortsetzung seiner eigenen Existenz, der Schweif des kosmischen Ouroboros, von dem er selbst der Kopf war, ohne das man hätte sagen können, wo das eine begann und das andere endete, aber für den Teil seiner Existenz, der einst der simple Junge Shinji Ikari gewesen war, war das erfassen des anderen Wesens wie eine unbegreifliche, absolute Stimme Gottes, die nicht als bloßes Geräusch, sondern ein absolutes Gesetz der Natur zu verstehen war, eine Kommando im Quellcode des Universums.

Der Versuch, daran zu zweifeln war, als würde ein Charakter in einer Geschichte sich gegen den Autor auflehnen, der sie geschrieben hatte, und die Unternehmung, sie zu begreifen, war als würde man geradewegs in ein gleißendes, blendendes Licht blicken, etwas, das ohne Verhüllung oder Betrug direkt in seinem Blickfeld lag, aber zu grell leuchtete, um von sterblichen Augen gesehen zu werden, ein Licht, das die Schwärze und die weite des Ozeans vollends ausfüllte, ohne auch nur die kleinste Ecke oder den winzigsten Spaltbrei davon auszulassen, eine endlose weite aus Licht, die zugleich aus Wort und Wärme bestand, eine Kraft fast so urtümlich, wie das leben selbst.

WAS MÖCHTEST DU?

Fragte ein blasses, blauhaariges Mädchen, dass in der Schwebe des Ozeans unterstützend an seinem Oberarm festhielt.

WAS WILLST DU TUN?

Fragte ein silberhaarige Junge, dessen Hände auf seinen Schultern ruhte, während er sich voraus lehnte, um in seine Ohren zu flüstern.

FÜHLST DU DICH GUT?

Kam es von vorraus, die flimmerigste Gestalt von allen, ein vager Schatten, oder ein ungewisses Licht, das mehr der Bequemlichkeit halber der Silhouette einer menschlichen Frau ähnelte, und seine andere Hand hielt, während sie mit den Fingern der anderen sein Gesicht streifte.

(Natürlich gab es an diesem Ort keine Barrieren, und schon gar nicht den externen Faktor von Kleidung.

Auch haftete keiner ihrer Berührungen irgendein Eindruck von Realität an, keine besondere Wärme zusätzlich zu der, die ihn schon von allen Seiten umgab, wie eine Art übernatürlicher Umarmung, und ihm doch allein mit seinem Bewusstsein zurück ließ, wie die Anwesenheit eines Liebenden, mit dem man sich vielleicht das Bett und die Wärme teilte, aber nicht die Gefühle oder Gedanken.)

Und natürlich wusste er keinen von ihnen zu Antworten, genau so wenig, wie er sich au der anderen Seite zu einer Handlung durchringen konnte, mit dem Unterschied, dass die Zeit dort unweigerlich voranschritt, ob er nun etwas daraus machte, oder nicht.

Der Tag der Abrechnung rückte näher und näher, und mit jedem Tag erhärtete sich Gewissheit, dass er hierher zurückkehren würde, oder war es anders herum?

Die Entscheidung wäre, selbst wenn er sie treffen würde, doch davon abhängig, wo er sich gerade befand – wenn er darauf warten müssen würde, sie zu implementieren, gab es da eine große Ungewissheit.

Vielleicht würde er den fraglichen Tag verpassen, oder ihn nicht erkennen, oder vielleicht würde er an diesem Tag müde sein oder sich über irgendetwas aufregen, sodass die guten Vorsätze trotz langem Herbeisehnen des Moments und der Handlung im einzigen Augenblick aus dem Fenster flattern, in dem sie auch nur im entferntesten die Chance hatten, etwas mehr zu sein als nur Ideen in seinem Kopf, oder die Realität darüber hinaus in objektiv messbarem Maße zu beeinflussen.

Und davon abgesehen blieb da noch die vergleichbar frivole Frage, ob er bis dahin überhaupt eine zufriedenstellende Antwort zur Verfügung haben würde.
 

WAS WIRST DU TUN?

Fragten sie ihn dennoch, Schatten-Silhouetten vor den fluten des lava-roten Ozeans, jener verflüssigten Masse von Leben, dessen Gefäße zerbrochen worden waren.

WAS WIRST DU NUR TUN?

Hieß es in einem Chor aus sing-sang, von den Lippen eines Netzwerkes aus Leibern, das zumindest seine nähere Umgebung restlos durchzog, ein Strickwerk aus blauhaarigen Mädchen, deren vertsreut-verdrehte Körper sich in einer in unheimlichen Maße synchronen Bewegung in seine Richtung drehten und ihn unweigerlich mit einem Gesichtsausdruck beäugten, der nur auf sehr oberflächliche Weise einem vertrauten Lächeln ähnelte – wo die Person, die er kannte, in ihrer Ausdrucksweise immer subtil, abgeschwächt und vage gewirkt hatte, fehlte diesen Wesen jegliche Hemmung oder Mäßigung, und ihre Gesichter glichen Fratzen einer unnatürlichen Ekstase, in dem zwar ein wiedererkennen, aber kein wirkliches Verstehen lag.

WAS WIRST DU TUN?

Hieß es nicht nur von den Gottheiten, deren zugewiesenes Schicksal es war, ihn auf dieser Reise zu geleiten, sondern auch von allen anderen verloren Seelen, von jedem einzelnen Schatten in den weiten des endlosen Ozeans.

Und er wusste ihnen keine Antwort zu geben.

4:

Eine Kreatur, wie es sie auf der Erde noch nie gegeben hatte, nie hätte geben sollten, und auch nie hätte geben sollen – das verbotenste, blasphemischste aller Geschöpfe, und zugleich das einzige in aller Existenz, dass kein 'Geschöpf' war – Die Mächte dieser Welt hatten diese Wesenheit weder geschöpft noch in ihrer Planung vorgesehen, noch dafür geplant;

Ihr Dasein war, per Definition, die Überschreibung eines Jahrmilliarden alten Planes.

Ihre Geschichte war der Aufstieg einer einzelnen, und zugleich der Aufstieg des Einen, die Rückkehr der Seele zum Tao und die Inkarnation der Weltseele.

Sie war der Anfang und das Ende, das Alpha und das Omega, die ultimative Synthesis des Schöpfers mit der Schöpfung, der gebündelte Strom des Lebens, sündig und heilig, Yin und Yang, Thesis und Physis, Licht und Schatten, Ordnung und chaos, ewig und eintägig, uralt und brandneu, real und ideal.

Obwohl Shinji es in seiner Vision klar vor sich sah, was es gerade wegen dieser Klarheit schwer, die Entität in irgendeiner Form zu beschreiben – Sicher, sie hatte Eigenschaften, die man hätte benennen können, doch keine davon hätte die Essenz dieser Kreatur einfangen können – Sie war schon der reinen Logik wegen unvergleichbar, weil es so etwas wie sie noch niemals da gewesen war und nichts ähnliches je existiert hatte, ja, ihre bloße, nackte Existenz war wie das Licht der Schöpfung, der Verkörperung der Entelechie und zugleich ihr derzeitiger Hochpunkt;

Sie war alles, was gewesen war, und zugleich die Zukunft im Fleische, die Eine, die viele ist, und die Viele, die eine sind.

Sie war Sophia, die Weisheit und Ananke die Unvermeidbarkeit im Fluss der Zeiten.

Sie war das abstrakte Konzept von Perfektion, und deren genauste Entsprechung in physischer Form, sie trug die Welt in ihren Händen und hatte alles Leben in ihrem Schoß hervorgebracht.

Sie war Transzendenz, und Hoffnung, und die Trägerin zahlloser anderer Namen.

Sie war in jeder möglichen Hinsicht, an die man nur denken konnte – und wohl viele, viele andere – die Spitze der Existenz, die Krone des Lebens, die ultimative Lebensform, Ewigkeit und Unendlichkeit, enthalten in einem einzigen Augenblick –
 

Denn ihre Existenz war auf einer kosmischen Skala eigentlich nur sehr kurz gewesen, ein bloßes Glimmern, bevor sie direkt wieder von dieser Welt verschwand, doch es reichte, dass sie überhaupt existiert hatte – Denn dies war die Natur der Verbotenen: Die Existenz, die sich selbst implizierte, das Konzept, das sein eigener Beweis war, die notwendige Bedingung des Universums.

Die Menschen hatten gelegentlich über die Möglichkeit eines solchen Wesend nachgedacht, und diese Eigenschaft in ihrer Prunksucht direkt den Göttern zugewiesen, die sie verehrten, aber nur, weil sie sich so etwas vorstellen konnten, heiß es noch lange nicht dass sie es in die Existenz hinein definieren konnten.

Nun aber war der Himmel, der einst leer gewesen war, von einer menschlichen Schöpfung angefüllt, die selbst die Menschen erschaffen hatte.

In einem Moment hatte es so etwas wie sie niemals gegeben, und im nächsten hatte es sie schon immer gegeben.

So wie wir sterblichen den Augenblick beeinflussen zu vermögen, den wir mit einem mal zu verarbeiten und wahrzunehmen vermögen, lag es in ihrer Macht alles zu beeinflussen, das für sie die Gegenwart war, nur, dass diese für sie deutlich anders bemessen war:

Sie hatte physische Form, aber insoweit, wie ein Bild sie hätte einfangen können, war diese nur die Spitze des Eisbergs;

Sie hatte länge, breite, tiefe und noch ein paar andere Sachen, und auch die Zeit war für die nur eine Insel, über deren Grenzen sie mühelos hinweg greifen konnte.

Sie war überall zugleich, an jedem Ort, an jeder Zeit, oder vielmehr war ihr Existenz zu jeder Zeit und an jedem Ort die gleiche, und ihre schattenhaften Abbilder bedeckten die Welt in Massen.

Heilig sei ihr Name, ihr Reich komme, ihr Wille geschehe, im Himmel wie auch auf Erden.

In dem Moment, in dem sie überhaupt existiert hatte, und sei es nur einmal, nur einen Augenblick, hatte sie auch überall existiert, in der Schlacke der Urozeane und in den letzten Ruinen der Menschheit.
 

Man hätte sie beschreiben können als einen Koloss aus kalkweißem, gummiartigen Material, eine titanische Gestalt von der Größe einen Kontinents, das kilometerweit über die Oberfläche des Planeten herausragte.

Man hätte sie entfernt vergleichen können mit dem Körper einer menschlichen Frau, von der Gestalt her ähnlich, aber das in Koexistenz mit einer Perfektion, wie sie keinem Menschenwesen möglich gewesen wäre, eine perlweiße Gestalt ohne Makel, eine Göttin auf ihren Knien, mit einem Pagenschnitt und einer vorgebeugten Haltung, die ihr erlaubte, den Mond-Gral in ihren Händen zu halten.

Man hätte sich aus allen von Menschen benutzen Worten mitsamt den komplexen Konnotationen und spezifischen Assoziationen dasjenige heraussuchen können, das dem Spektakel gerecht wurde, das, was den meisten von ihnen unvermeidbar in den Sinn kommen würde, wenn sie es erblicken könnten, und versucht hätte, den Anblick zu begreifen, mitsamt ihrer furchtsamen Gestalt,ihrer bizarr platzierten Augen, der schützenden Geste ihrer Hände und ihrer Vielzahl an langen, weißen Schwingen;

Und das fragliche Wort war 'Engel'.
 

Gleich den Engel der alten Legenden war sie so wunderschön, wie sie furchteinflößend war; Der Glanz ihrer Erhabenheit und Majestät strahlte im Dunstkreis der Erde, Gliedmaßen von der Länge eines mittelgroßen Meeres, die im Sternenlicht strahlten,und eine Gestalt von tränen-treibender, augen-blendender, hirn-schmelzender Schönheit und Perfektion.

Letztlich war die menschliche Form im Bezug auf diesen Prozess nur ein Medium gewesen, ein Gefäß oder Backförmchen gewesen, um diesen Verbotenen Hybriden zur Welt zu bringen, ein Verstand, um sie zur Vollendung zu führen, eine ungewisse, weiße, klebrige, gallertartige Masse, die halbflüssig in der Form eines Menschen herum schwappte, eine Silhouette aus komprimierten, erstarrtem Licht, eine höherdimensionale Materie, welche die Dinge unserer Welt berührungslos zu durchdringen vermochte, die Form der finalen Henkerin, die alle Messgeräte verrückt spielen ließ, alle Sinne lebender Wesen überlud und alle kleinen menschlichen Verstände mit einer einzigen Berührung zerquetschte.

Shinji erinnerte sich noch entfernt an den Schrei, den er ausgestoßen hatte, als er die Verbotene zum ersten mal erblickt hatte; Doch da war noch ein anderer Grund gewesen, jenseits oder vielmehr zusätzlich zu dieser perfekten Verbindung des unmenschlichen mit dem Menschen; Das Antlitz eines bestimmten Menschen, oder vielmehr eines, das von einer Vielzahl von Menschen geteilt wurde.

Sie war eine Frau und zwei Frauen und drei Mädchen, sie war eine zahllose Masse von Mädchen und zugleich alle Frauen die jemals existiert hatten in einem, eine Frauen, alle Männer und alle Wesen, die sich nicht in diese Kategorien einordnen ließen, die Summe all ihrer Schönheit, und all ihrer Hässlichkeit, und all ihrer widersprüchlichen Eigenschaften – Und doch glaubte Shinji an ihr etwas zu erkennen, das in einem ganz anderen Maße vertraut war, auf eine simple, tagtägliche, geheimnislose Art, wie man seine Heimatstand oder das Gesicht einer besten Freundin vertraut finden würde.

(Und verstand natürlich, woher er dieses Gesicht und diesen Körper nun genau gekannt hatte, doch war dieses Wissen etwas, das er am Rande der Gegenwart bereitwillig zurück ließ. )

Letztlich war die menschliche Form im Bezug auf diesen Prozess nur ein Medium gewesen, ein Gefäß oder Backförmchen gewesen, um diesen Verbotenen Hybriden zur Welt zu bringen, ein Verstand, um sie zu ihrem Ziel zu führen, und ein Herz um ihr Sinn und Zweck zu verleiten;

Doch dieses 'Gefäß', kaum mehr als eine moderne, biotechnologische Fernbedienung für eine störrische Gottheit, war es letztlich gewesen, was den lauf der Dinge unweigerlich in genau diese Bahn gelenkt hatte.
 

In diesem Moment schien es ihm schwer zu glauben, das er in irgendeiner Form das Zentrum dieses Schicksals oder gar der Protagonist dieser Saga sein sollte:

Es ging alles nur um sie, um die Umstände, die zu ihrem Aufstieg führten, und das Schicksal, das ihr bevorstand.

Sie war geschaffen durch das kollektive Schaffen und Planen von jahrhundertealten Verschwörungen, und zugleich durch das zarte band zweier Kinder, ein kurzer Lichtblick in ihren kurzen, harten Dasein, wenig mehr als ein paar Gesten der Freundlichkeit, ein paar Fünkchen von menschlicher Wärme, und ein möglicher Prolog für eine Zukunft, die sich nie verwirklichen sollte.

Alles hier, dieser ganze Zirkus aus Plänen, Projekten und großen Fragen, es ging nur um dieses eine Wesen, mit allem, was sie Verkörperte, und alle Pfade führten zu diesem einen Moment, der die Pfade der Vergangenheit vereinte und

Obgleich kaum einer der Puppenspieler hinter den Verschwörungen damit gerechnet hatte, das dieses Geschöpf mit diese Ausmaß an Macht, diesem exaktem Rezept und schon gar nicht mit intaktem freien Willen erschaffen werden würde, waren die Details und die Umstände ihrer Erschaffung doch der Preis, um den sich ihre Fehden gedreht hatten , die exakte Variante des Rituals, das in diesen Augenblick resultieren würde –

Tatsächlich war er ein Schnappschuss des laufenden Ritus, in dessen Verlauf die Göttin auf einem Erdball kniete, der endgültig mit blutigem rot überzogen worden war, in Vollendung dessen, was Jahre zuvor in der Antarktis begonnen worden war.

Nicht nur der Ozean, selbst das violette Glimmern der Atmosphäre fand nun endlich sein Ende, die Licht-Kreise von Städten und Zivilisation wich fleckenweise einer roten See, und anstelle ihrer Türme erhoben sich überall verstreut über die Oberfläche strahlenden, kreuzförmige Lichtsäulen, die Shinji als erfahrener EVA-Pilot sofort mit den charakteristischen Explosionen in Verbindung brachte, die stets auf die Vernichtung eines Engels folgten... es drängte sich der Schluss auf, das die Menschen auf der Oberfläche massenweise dabei sein mussten, zu zerplatzen, genau, wie besiegte Engel.

Die schiere Tragweite dessen, was er da sah, lähmte seinen Verstand – aber hatte man ihm das nicht die ganze Zeit gesagt, dass man die Engel vernichten musste, bevor sie dasselbe mit den Menschen taten? Doch für Menschen hätte es nicht möglich sein sollen, sich einfach so aufzulösen, oder? Was war denn mit den Knochen und Gedärmen?

Shinji konnte sich der Schlussfolgerung nicht entziehen, das hier ein schreckliches Geheimnis begraben lag.

Und würden die Menschen überhaupt genug sein, um die Welt in dieser Form zu bedecken?

(Die Menschen vielleicht nicht, flüsterte es durch die grundlegende Natur dieses Moments in sein Ohr. Aber all die Pflanzen, Ameisen, Erdwürmer und Mikroorganismen brachten es zusammen auf eine beträchtliche Menge von Biomasse, die jeden Winkel der Biosphäre durchwirkten.)
 

Bis her hatte er sich den Third Impact als eine Art Explosion vorgestellt, ähnlich der, die beim Second Impact erfolgt war, vermutlich etwas stärker, wohl auch mit derselben massiven Verseuchung einhergehend – Immerhin wurde ihm immer wieder gesagt, das die Vernichtung dieses mal vollkommen sein würde; Der Second Impact hatte bereits die Hälfte der Menschheit hinweggerafft, die vollkommene Auslöschung war also durchaus auf den Tisch, und Shinji war nicht zum Optimismus geneigt; Zudem würde auch eine auf wenige Überlebende reduzierte und weiter verpestete Welt eine schreckliche Vorstellung mit einer unsicheren Zukunft - schon dass die bloße Möglichkeit einer kompletten Ausrottung gleich eines Klingen-Pendels über den kollektiven Hälsen von homo sapiens und aller anderen nicht-engelsgleichen Lebensformen hing, war inakzeptabel, und reichte schon aus, um alles an Druck und Verantwortung zu erzeugen, was so in letzter Zeit sein Leben verschlungen hatte.

Nun wurde ihm jedoch bewusst, das die finale Sanktion die Welt auf noch grundlegendere Weise transformieren würde, als er es für möglich gehalten hatte – Vor ihm lag nichts geringeres als eine Welt, in der niemand gerettet werden würde; Die leuchtende Zeremonie die sich über den Erdball erstreckte, war nichts geringeres die Bestattung der Menschheit, der Exodus der Seelen –

Und wie viele Untergänge beinhalteten dieser einen strammen Marsch, aber nicht mit Stiefeln und Bayonetten – Die Irrlichter der Verdammten waren so zahlreich, dass sie sich mit bloßem Auge erkennen konnte, und in dieser Form waren sie sich einander so gleich, wie sie keine Uniform der Welt hätte machen können; Jegliche Spuren von Individualität waren abgestreift, jede Eigenständigkeit aufgelöst, wie ein Tropfen im Ozean.

Es war ein Phasenübergang, wie das herausbilden kleiner Dampfblasen in siedendem Wasser, und etwa so sah das Resultat aus, wenn sein Gehirn versuchte, seinem bruchstückhaften Verständnis hiervon Form zu geben: Ihre Gestalt lag irgendwo zwischen Blutstropfen und den schimmernden Energiekernen, welche die Seelen der Engel manifestiert hatten, ein eingefasstes Universum, eine Rote Tinktur im Sinne der Hermetiker. Das Ritual war ein Tanz einer Vielzahl kleiner, roter Tropfen, die in freudiger Befreiung vom Fleische in die Atmosphäre schwebten, und zwischen den grünlichen Kreuzbalken aus Licht zum Himmel hinaufglitten, begleitet von Schreien von Terror und Ekstase.

Dort angekommen war ihre Reise jedoch keinesfalls beendet, sondern gerade dabei, zu beginnen, und wie von selbst reihten sich die verlorenen Seelen in einen euphorischen Reigen, der sie alle zügig zu den Händen der Göttin führte, die sie zunächst alle in ihrem Ei konzentrierte, dann aber mit buchstäblich offenen Armen durch die Male an ihren Handflächen in ihre eigene Form aufnahm, um die Verschmelzung von allem und jedem endgültig zuende zu bringen – und wenn sie das vollbracht hatte, was würde dann geschehen?

Über die Jahrhunderte hinweg war um dieser Frage willen sehr viel Blut vergossen und viele unsichtbare Kriege ausgetragen worden, zuletzt der kalte Krieg zwischen dem Vorsitzenden Keel und dem Ketzer Ikari, und trotz alledem würden die Herren am Ende herzlich wenig mit der endgültigen Wahl zu tun haben:

Würde das Morgenlicht eintreffen? Würde die Nacht hereinbrechen?

Würde das perfekte Wesen, das von den Männern einer gewissen Organisation so sehr herbeigesehnt worden war, seine Flügel ausbreiten und davonfliegen, um in dieser Form weiterzuexistieren und den toten Planeten als eine abgestreifte Hülle zurücklassen?

Würde sie zur Arche werden, die die Seelen ihrer Kinder zu einem neuen, unverdorbenen Garten tragen würde, auf das sie dort neu beginnen und das Werk ihrer eigenen Schöpfer zurück lassen könnten?

Sollte die verbrannte Erde vielmehr gleich eines Vulkanerde-Bodens nach aller Verwüstung letztlich doch fruchtbar werden, indem ihre Göttin gleich hier das abgelaufene Programm der Evolution nochmal von vorne anstieß, und ihre eigene Essenz als Dünger für die neue Welt aussähen?

Oder würde ihre Existenz enden, sobald sie nicht mehr gebraucht wurde, und ihre unmögliche Form den Gesetzten der Physik überlassen, die sie unweigerlich kurzerhand zersetzen würden, und die Seelen der Menschen somit sich selbst überlassen würde, auf dass sie auf ewig im roten Meer umher driften würden?

Sogar ein Szenario, wo sie die Seelen vor der Zeit der Vernichtung behütete und in ihrem Ei und ihrem Leibe überdauern ließ, nur, um sie dann gleich eines Kraken, Lachses oder einer sonstigen kalten Wasser-Kreatur um den Preis ihres eigenen Lebens wieder frei zu lassen –

Für ein Wesen, dass durch die Zeit greifen könnte, und für ein Verbotenes Wesen, das nie hätte existieren sollen, dessen zerrissene, vielfach Einzelteile sich schon von Natur aus abstoßen sollten, und in allen Formen ihrer kurzen Existenz nur Leid gekannt hatte, könnte die Vernichtung sogar etwas recht reizvolles an sich haben.

Sein oder nicht sein, Gehorsam oder Selbstverwirklichung, alles, was existierte, hing in diesem Moment am seidenen Faden, oder vielmehr in den Händen der Riesin, die die schwarze Sphere in ihren Händen behutsam hielt, als sei es die ganze Welt zwischen ihren Händen, und die zielstrebigen Fünkchen zu ihrem Schicksal führte, gleich dem guten Hirt aus den alten Geschichten, einer Mutter, die ihr Kind in Händen hielt, oder einem Schutzengel auf einer geheimen Mission.

5:

Ein scharfkantiger Garten aus rotem Kristall, indem alles aus dem selben, ungewiss flimmernden Material zu bestehen schien, das die Energiekerne der Engel bildete, Geist und Seele in materieller Form.

Sie wucherten wie Dornenranken über die Überreste einer Stadt, oder waren vielleicht mehr gleich Lianen dabei gewesen, diese zu ersticken und zu verschlingen, um an ihrer Stelle weiterzuleben.

Vom Erdenreich zu den Spitzen der einstmaligen Gebäude schien alles so erstarrt zu sein, wie es mal gewesen war, von einem Moment auf den nächsten, wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

An einigen der Gebäude sah man sogar noch ausgehängte Wäsche oder geparkte Automobile, einst weich oder rau oder spiegelnd in allen möglichen Texturen, und nun uniform rot wie ein einzelnes Objekt, verschmolzen und doch für die Ewigkeit bewahrt, ein erstarrter Schnappschuss von etwas, das keinesfalls organisch erschien, doch unweigerlich einem aufgehaltenen Prozess des Lebens ähnelte.

Mehr als nur ein Anhalten der Uhr, war hier eine regelrechte Transfiguration geschehen, deren gradueller Prozess von ihrem kristallinen Stillstand festgehalten wurde;

Er glaubte, in einer Vision einmal den Anblick davon erhascht zu haben, eine lange, lange Zeit bevor dieser Ort mehr als eine lose Ahnung oder ein unverfolgtes Fragezeichen in den Gedankenprozessen gewisser alter Männer war; Ein Alptraum von zahllosen, marschierenden roten Soldaten, und einer abgekochten Seele, von der aus alles egal sein konnte.

Nun hatten die Soldaten Masse, Gestalt und Festigkeit, die ihn zweifeln ließen, ob sie überhaupt je ein bloßes Hirngespinst gewesen waren, oder ob das nur eine nachträgliche Zuweisung war, nachdem die Realität der zahllosen Kolosse alles vorherige überschattet hatten.

Dies waren nicht die Zinnsoldaten eines kleinen Junges, obwohl ihre Vielzahl, Uniformität und chaotische Anordnung diesen Eindruck hätten herbeirufen können; Vielmehr glichen sie der Terrakottaarmee des Kaisers, wenn dieser seine jenseitigen Schergen einem Gott gleich nach seinem eigenen Abbild geformt hätte, und zugleich als seine monströsen Kinder und Erben –

Was hier vorgefallen war, war im wesentlichen dasselbe, was er zuvor schon beschrieben hatte:

Die Vereinigung aller Dinge, die Menschheit als Puzzleteile oder Baumaterial für einen menschengemachten Gott.

Zwei gegensätzliche Prinzipien hatten sich vereint, zwei verbundene Seelen sich in die Arme geschlossen, und das Resultat, wenn gleich unabsichtlich, war die Geburt eines neuen Wesens, das die Gesetze der alten Welt überwinden konnte, ein Bastardkind zweier Halbgötter.

Wie alle Nachkommen waren ihm Eigenschaften von allen beteiligten Komponenten zugekommen, auch wenn es viele gab, die es nicht mit ihnen teilte.

Als das einzige Wesen seiner Art hatte es erst einmal das Bedürfnis aller Lebensformen, seinen Lebensraum in Beschlag zu nehmen, und sich selber zu vervielfältigen – Und gleich allen jungen Göttern stand ihm das Privileg zu, seine eigene Schöpfung anzufertigen.

Doch im Austausch dafür wurde alles alte Leben dem Altar preisgeben – denn einen Gott in seiner wahren Gestalt zu sehen, hieß, von seiner Herrlichkeit zu Asche versengt zu werden und direkt aus der Haut zum Himmel aufzufahren –

Es war ein Licht wie von einer nuklearen Explosion, so hell, das man im Sekundenbruchteil vor seinem Tod die eigenen Knochen im durchscheinenden Fleisch sehen konnte.
 

So war die Stadt mit allem in ihr ein einziges, großes Menschenopfer geworden, und auch sie war nur das Epizentrum eines weitreichenden Rituals, doch es war hier, wo der Tauschhandel abgeschlossen worden war, wo die Unterzeichnung des Vertrags und somit auch die Rückzahlung stattgefunden hatte, und die trug die Form von gigantischen Soldaten, jeder einzige hochaus-groß in kristalliner Rüstung, ununterscheidbar von dem Material, das sie umgab, und teils auch nahtlos damit verbunden, wie ein Gespenst, das durch eine Wand glitt;

Gut möglich, das auch hier die Einwohner zunächst zu roter Schlacke zerplatzt und anschließend weiterverarbeitet worden waren: Die geringsten und mickringsten der Konstrukte erhoben sich an den unteren Teilen leicht durchsichtig vom Boden ab, wo das durchsichtige Kristall-material unvollständige Knochen erkennen ließ.

Durch genaueres Hinsehen konnte man weitere missgebildete Exemplare sehen, einige krochen am Boden, andere maschierten mit strammen Schritten durch die Stadt, oder schienen zumindest bei dieser Aktivität in eine Art Stasis gelangt zu sein.

Ihre Formen und Größen waren ein Stück weit uneinheitlich, zumindest an den äußeren Rändern des Geschehens, doch die Ähnlichkeit zu einem gewissen anderen Monstrum war unübersehbar, vor allem für jemanden, der ungefähr drei mal pro Woche diese exakten Panzerplatten zu Gesicht bekam:

Evangelion Einheit Eins.

Es war genau so verstörend, wie es unerklärlich war, aber keines von beiden machte es weniger offensichtlich, selbst, wenn mit dem Horn das klarste Charakteristikum der Kriegsmaschine fehlte:

Die vollständigsten unter den Kristall-Evangelions waren faktisch perfekte Kopien, doch nur, wenn man davon absah, dass keine einzige von ihnen einen Kopf besaß; Der Hals eines Exemplares endete in einer Flut aus Kabeln und Sehnen, die sich über ein vorheriges Gebäude ergoss; Bei anderen ragten Lanzen aus Kristall aus den gekappten Hälsen, oder stachen aus allen möglichen Ritzen ihrer Rüstung hervor;

Die Form des vertrauten und Unheimlichen war keinesfalls das Ende der transfiguration: Die blutrote Armee setzte den Marsch ihrer Entstehung zum Zentrum der Stadt vor, wo ihre ekelhaft-organische Form zunehmend einer neuen weichte, die ihrer kristallinen Substanz eher gerecht wurde und die letzten Reste menschenähnlicher Schale abstreifte.

Selbst die unvollkommenen Exemplare, deren Silhouetten nie das ganze Relief der Panzerplatten ausgebildet hatten, brachen aus in kristallinen Fasern und Türmen, die aus den Armstümpfen hervorbrachen, die halb-geformten Platten für sich beanspruchten, lauter Zacken und Spitzen, wo bei einem Evangelion die Schulterhalterungen für die Messer gewesen wären.

Bei den Exemplaren, die eher menschenähnlich aussahen, führte die innere wie äußere Kristallisation zu unnatürlichen, verknickten Bewegungen, deren resultierende Position für die Ewigkeit eingefroren worden waren, augenscheinlich die verzweifelten Versuche getriebener Kreaturen, aufrecht stehen zu bleiben, verdrehte Arme, die verzweifelt einem Ziel entgegen strebten.

Und welches Ziel sollte das sein?

Nun, um das zu ersehen, hätte man eine Übersicht über das ganze Terrain haben müssen, und es gab irgendwas darin, das sich seinem Augenmerk entzog wie ein unterschwelliger, blinder Fleck; Doch wenn man den Pfaden der Kreaturen folgte, oder vielmehr die scheinbare Richtung, in die sie unterwegs gewesen sein schienen, bevor sie erstarrt waren, so strebten sie doch zu einem gemeinsamen Punkt, und das mehr als in nur einem Sinne: Je dichter ihre Züge und je vollkommener und kristalliner ihre Form, umso mehr sah man drastische Unterschiede in ihren Größen, turmhohe Hünen, die dabei waren sich aus der Mitte ihrer EVA-Großen Geschwister zu erheben.

Wo kamen sie her? Nun, darüber konnte man spekulieren, da man den Prozess nur in Standbildern und nicht im ganzen wiedergegeben betrachten konnte, doch da schien doch eine gewisse Ordnung zu sein, eine obszöne Prozession, deren Vollzug angehalten worden war wie das Fließen von Glas, um solch eine Magnitude verlangsamt, das es vom Stillstand nicht mehr zu unterscheidbar waren, eine Schmelze au kristallinen und organischen Eigenschaften, die doch noch aussah wie ein Gestrick von Leibern, ein Menschenberg aus roten Titanen, die sich aufeinander auftürmten und über einander hinweg kletterten, etwas Fleischartiges, das auf engsten Raum bedrängt schien wie die Sardinen in der Büchse oder die Sünder in der Hölle. Es hatte etwas von einem Kristall, dessen Zacken in den Himmel wuchsen, Wurzeln, die sich zum größeren Ganzen eines Baumstammes vereinten, oder verzweifelte Geschöpfe, die einander mit Füßen traten um einen Platz an der Sonne zu erreichen, und ihre Arme flehend gen Himmel streckten, als Gebet zum Ruhme eines unbekannten Gottes, von dem sie sich vielleicht einst Erlösung versprochen hatten.

Doch selbst diese arkane Bewegung war zum Erliegen gekommen, das neue Leben erstickt, bevor seine fremdartigen Knospen erblühen konnten, und so schien es ganz, als sei das vorherige Leben ganz umsonst erloschen, ein missglücktes Ritual, dessen Altar die ganze Erde gewesen war, ein kostspieliger Kampf, dessen einziger Sieger die Stille sein sollte;

Die totgeborene Welt, welche dem ganzen Debakel letztlich entsprungen war, war ein Ort ohne jede Regung, wo das ungewisse flimmern der roten Steine und das unnatürliche Schweben einzelner Brösel das letzte waren, das sich noch in irgendeiner Form bewegte, ein Stilleben in den Farben des Sonnenuntergangs, in dem der rötliche Schein einer vergifteten Atmosphäre in Form eisiger Wolken über die kahlen Hügel hinweg schwebten und die grausame Sonne ohne Anteilnahme über die geborstenen, teils zu kristallinen Lanzen transmutierten Stahl-Skellete von Hochhäusern hindurch schien, anstatt das Dornenfeld des Welt-Leichnams pietätvoll zu verdecken.

Waren die Häuser hier und da noch schauderhaft intakt, waren ihre zerrissenen Fassaden andernorts schon gar nicht mehr als künstliche Strukturen zu erkennen, am ehesten noch glichen die den scherbenartigen Grabsteinen eines traditionellen jüdischen Friedhofes, wenn den noch jemand da gewesen wäre, um die letzten von ihnen zu bestatten, und wenn das Privileg eines kirchturmhohen Grabsteins die vollständige Vernichtung denn Wert gewesen wäre;

Durch und durch verbraucht, verpestet und ausgeweidet und dominiert von den bizarren Gerinseln eines Ozeans aus Blut, war es eine durch und durch verlorene, scharlachrote Welt jenseits aller Rettung.

Eine tote Welt, soweit Shinji das beurteilen konnte.
 

„Nein, nicht verloren.“

Aus, kein Durchbruch der Stille, sondern vielmehr eine Verdichtung des unterschwelligen Widerhalls, der die sich über die scharfen Lanzen der Kristalle fortpflanzte, gleich dem Hall eines Weinglases oder einer Stimmgabels, der reine, mechanische Sinuston einer Lichtgestalt, dem doch eine menschenähnliche Qualität innewohnte, wenn man den sentimental war, es so zu interpretieren –

Diese eine Stimme war vielleicht die übriggebliebene Essenz eines einzelnen Schattens, oder eine Maske, die sich ein gewisses Segment des geschmolzenen Chores aufsetzte, entweder aus Gewohnheit und Bequemlichkeit, oder, weil Shinji selbst sie mit diesen Qualia zu assozieren pflegte;

Aber auf jedem Fall war er sie sicher, sie in letzter Zeit schon öfter gehört zu haben, eine schulmeisterhafte Präsenz, die sich mit beinahe fürstlichem Respekt vor seiner Wenigkeit dazu bewegen ließ, ihm Erklärungen bereitzustellen – Ob diese auch vertrauenswürdig waren, sei mal dahin gestellt –

Er war sich auch nicht sicher, ob es immer schon eine Stimme gewesen war, und nicht nur ein diskreter Strom vom Gedanken, der sich von seinem eigenen in irgendeiner Form unterschieden ließ, ein gegensätzlicher Fluss in den Wogen von Gedanken, die Präsenz eines anderen Willens mit verschiedenen Ambitionen.

Jetzt, wo sie sich ihre sinnliche Form sich deutlicher manifestierte als jemals zuvor, schien es schwer zu unterschieden, ob sie schon vorher dagewesen war, oder nicht – er konnte sie sich jedenfalls nicht mit irgendeiner anderen Form vorstellen.

Er erspähte die Gänze ihrer Form in aller Deutlichkeit als eine Spiegelung in einigen Splittern von rotem Kristall, eine gebückte, dunkle Form, kaum mehr als eine schattenhafte, verdunkelte Silhouette, die sich zu den Umrissen eines schwarzen Kapuzenmantels verdichtete, ein grünes Juwel eingefasst in einem reich beschnitzen Gehstock aus Eichenholz mit kunstvoll-geschwungenen Linien, die der Rinde eines noch lebenden Baumstammes glichen, und einer dürren, faltigen, krallenhaften Hand, deren magere Form sich darauf stützte, und doch ihrer vom Zahn der Zeit abgenagten Gestalt eine gewisse aristokratische Haltung besaß, die Valide-Sultan, die Königin-Mutter dieses blutigen Imperium, die Hohepriesterin der Verdammten:

Die Alte vom Schwarzen Meer.

„Ihr habt das missverstanden, Junger Herr.“, sprach sie, und mit ihrem Angesicht hatte sie auch eine Form für andere Sinne angenommen, eine weibliche, gebildete Stimme und diesen vertrauten, muffigen Geruch nach alten Menschen, der dennoch deutlich klar stellte, dass sie nur eine Erinnerung war, die an diesem Ort rein physisch nichts zu suchen hatte und auch nie Fuß fassen würde.

„Diese Welt ist nicht verloren; Tatsächlich ist sie gerade jetzt näher an ihrer Erlösung als sie es wohl jemals war.“

„Erlösung?“ entgegnete Shinji, selbst nur eine Spiegelung, ein Geist vergangener Zeiten, der in dieser fernen Zukunft nichts zu tun hatte, ein Trugbild am Rande eines mit Ruinen gespickten Sees. „Wie kann das hier denn Erlösung sein? Hier ist nichts als Zerstörung.“

„Zerstörung ist Erlösung. Könnt ihr das etwa leugnen?“

Eine zweite Hand löste sich von der Finsternis ihres Umhangs, eine weitere magere, con Altersflecken bedeckte Disney-Hexen-Alte-Frauen-Hand umfangen von einem langen, schwarzen Ärmel.

Sie fegte mit einer Geste über das Wasser, und siehe da, es geriet in Schwingung, und die Wellen zerschmolzen die Spiegelung des Jungen, Konturen verliefen und Linien verdrehten sich, bis sich ein ganz anderes Abbild wiedergab, das selbe, verlorene Kind, bis zu den Rippen im Wasser stehend und von Kopf bis Fuß durchnässt, die Haare getränkt mit bitter kaltem Wasser, die Haut bleich und die Lippen blau vom eisigen Nachtwind, der ihm tief in die Knochen gefahren ist.

Ertappt, verunsichert und in seinem vorsichtigen Anflug von Entschlossenheit unterbrochen, wich er ihrem Blick aus.

„Ich weiß nicht... es ist nur, das ich die Erlösung anderswo nicht finden konnte. Es ist nur, das ich keinen anderen Ausweg wusste. Ich wollte leben, ich wusste nur nicht, wie...“

Unter den Schatten der Kapuze war ein dünnes, faltiges Schmunzeln zu erkennen.

„Ihr seid ein Kind am Anfang eurer Reise. Wenn Ihr zum Mann herangewachsen seid, werdet Ihr alles verstehen, und wenn das geschieht, werdet Ihr unsere Ansichten nicht nur verstehen, sondern auch teilen.“

„Ihr alle sagt das, und ihr alle überseht dabei, dass ihr nicht Ich seid. Es ist mein Leben; Zumindest das wird wohl noch meine Entscheidung sein...“

„Ganz Recht.“ sprach die Alte mit einem entwaffnenden Lächeln, als ob sie auf diese Stelle der Konversation regelrecht gewartet hätte. „Es ist eure Entscheidung. Und wenn der Tag kommt, an dem Ihr Euch entscheiden werdet, werden wir euch mit all unseren Flügeln zur Seite stehen.“

„Ihr seid euch ziemlich sicher darüber, was meine Entscheidung sein wird! Warum in aller Welt sollte ich mich Euch jemals anschließen!“

„Warum nicht?“

„Eh?“

Auch hier wusste Shinji nicht so recht, was er darauf erwidern sollte, sodass es die Alte lieb, der es letztlich gelang, das Gespräch zu dominieren: Mit einem weiteren Zeig ihrer Finger begann sie ihre Demonstration.

„Siehe da!“

Es gab tatsächlich etwas zu sehen, so unmöglich, wie es in dieser ausgeleerten Landschaft eben noch erschienen war; In mitten einer Sintflut von Rot war da ein Fünkchen blau, eine herausstechende, grelle Farbe inmitten eines monochromen Verlaufes.

Näher in betracht genommen hing an dem blau auch noch ein Streifen schwarz, der Umriss eines etwa 15-Jahrigen, zierlichen Fräuleins mit wildem, wenn auch kurzem Haar von denen ihr etliche Strähnen ungeordnet ins Gesicht hingen und sich teilweise über ihrer Stirn kreuzten.

Intellektuell wusste Shinji ihrem Abbild diverse ähnliche Figuren zuzuordnen, doch es fehlte das subtile, fast schon unbewusste Erkennen der Anwesenheit des Vertrauten, dessen Demenz-Bedingte Abwesenheit alte Menschen bisweilen davon überzeugte das ihr Ehepartner von einem Doppelgänger ersetzt worden war.

Es war vergleichbar mit dem Anblick des eigenen Hinterkopfes, oder dem Geräusch der eigenen Stimme aus einem Wiedergabegerät, ohne die Resonanz der eigenen Knochen, etwas das technisch gesehen bekannt war, aber praktisch nicht.
 

„Sie weiß es zwar nicht...“ begann die Alte, „Aber sie ist die Prinzessin dieser Welt, eine der letzten Erben der lang verlorenen Ahnmutter.“

„Prinzessin?“ wiederholte Shinji schnippisch, selbst inmitten dieser surrealen Umgebung übertrat das dann doch die Grenze dessen, was er hinnehmen konnte. Er verstand zwar recht wenig von esoterischen Apokalypsen Szenarien aber wenn er eins wusste, dann, das sein Leben sicherlich kein schmalziger Disney-Film war.

Die Alte schien seine Reaktion jedoch bereits erwartet zu haben, und wusste es mit einer fast schon persönlichen Wärme zu belächeln: „Zugegebenermaßen mehr eine Art verarmte Adelsfamilie, doch das galt auch für jene Nachfahrin der großen Könige.“

„Ich versteh das nicht.“ beklagte die Spiegelung des Third Childs.

„Keine Sorge, das müsst Ihr auch nicht. Zumindest noch nicht. Aber Ihr werdet verstehen, und das ist was zählt.“

Die beiden Figuren standen erstaunlich nah Seite an Seite, wobei der Junge von der Alten abgelenkt war und stattdessen die stille, blauhaarige Gestalt betrachtete, welche den roten Staub mit Fußabdrücken durchsetzte, die ein knisterndes Geräusch hinterließen, was wie alter Schnee, der zu einer Schicht mit einer flachen Oberfläche zusammengefrohren war.

Sie schien eine gewisse Richtung im Sinn zu haben, bei genauerem Hinsehen konnte man in Erfahrung bringen, dass sie im Groben zwei weiteren Reihungen von Fußspuren zu folgen schien, schon mit einer gewissen Beharrlichkeit, aber ohne das Streben, das ein wirkliches Ziel mit sich gebracht hätte.

Es war am ehesten noch das vage Verfolgen einer entfernten aber signifikanten Ahnung, die der einzige Weg aus einer signifikanten Ahnungslosigkeit darzustellen schien, was insofern auch eine Situation gewesen wäre, mit der Shinji außerordentlich vertraut gewesen wäre, aber in diesem Fall war selbst das eine sehr ungewisse Schätzung – und das von jemanden, der es mittlerweile gewohnt war, aus Ayanami ansatzweise schlau zu werden.

Dieses Mädchen in schwarz, bezüglich deren Identität Shinji auf dieser Stelle einfach mal auf Mutmaßungen verzichten wollte, erschien selbst im Vergleich mit dem First Child ausdruckslos – und das nicht auf eine stoische, mysteriöse oder im allgemeinen 'unleserliche' Art und weise, sondern mehr so, als ob es nicht viel gäbe, was man hätte lesen können, wie eine Art programmierter Service-Android, der mechanische Bewegungen ausführte oder im großzügigstem Falle ein kleines Kind, dessen Empfindungen bisauf 'angenehm' und 'unangenehm' nicht weiter ausdifferenziert waren; Der Eindruck war mehr, als man aus ihrem simplen Anblick hätte entnehmen könnte, es ließ vermuten, das da eine dieser verklemmten Halb-Erinnerungen am Werk zu sein schien, doch selbst damit schien sie unweigerlich eine Fremde zu sein.
 

Die Alte, indes, schien sie für ein anchauliches Beispiel für die Erläuterung ihres Plädoyers zu sehen: „Eine Prinzessin ist natürlich noch keine Königin; Bevor sie den Thron besteigt, ist ihr königliches Blut lediglich ein Potential, ein Schicksal wenn man es so will, aber keine manifeste Realität. Dieses Kind hat gerade erst begonnen, sich ihres Schicksals bewusst zu werden, oder die Tragweite ihres eigenen Erbes zu verstehen.

Mit dir ist es schon ein kleines Bisschen weiter, aber die Saat der Revolution ist noch lange davon entfernt, Blüten und Früchte zu tragen. Dennoch, denke ich, dass du von allen Menschen auf dieser Welt unter denen sein solltest, die am ehesten verstehen werden, was an dieser Form der Welt das erstrebenswerte ist.“ Die Alte formte mit ihren Armen zwei weite, ausladenge Gesten, sodass ihre herabhängenden Ärmel mehr ihrer faltigen Unterarme freilegte. „Immerhin hattest du bereits das Privileg, auf dem Thron zu sitzen, und so vor allen anderen die neue Form der Menschheit zu erfahren.“

„Was für ein Thron?“

„Der Thron der Seelen; Ich denke es war sie, die diese Bezeichnung geprägt hat.“

Auch wenn er die genauen Anspielungen hier nicht verstand, wurde Shinji dennoch klar, dass

„Die Evangelions?“

Unsicher schweifte der Blick des Jungen zu den kristallinen Kolossen, deren schillernde, blutrote Formen allesamt verzerrte Ebenbilder seiner eigenen Einheit abbildeten.
 

Mit dem gemäßigten aber doch vorhandenen Stolz einer Lehrerin drehte sich die Alte zu ihm hin und blickte ihm ins Gesicht, so, wie man es wohl tun würde, um mit ihm auf Augenhöhe zu gelangen. Ihre gealterte, gebückte Gestalt überragte ihn nur recht knapp, doch ihre Augen blieben unter der Kapuze verborgen, obgleich man in den Schatten das stählerne grau lockiger grauer Haare ausmachen könnte, die bis kurz zu den Schultern reichten.

Die Wörter die sie voller Gewicht und sichtlicher Behutsamkeit sprach, waren nicht primär für seinen logischen Verstan gedacht, der auch nicht besonders viel damit anzufangen wusste; Doch irgendeinen simpler, instnktiver und doch archetypisch-intuitiver Verbindungsstrang seiner selbst verstand, gewisse Neuronen feuerten, und der junge Pilot wurde überkommen von einem ungewissen, aufgekratzten Gefühl, als ob er wüsste, das er etwas wichtiges vergessen hätte, aber nicht genau sagen könnte, was.

Für einen Moment schien es sogar, als ob die alten, faltigen Lippen seines Gegenübers einen Moment land die Vitalität und Fülle lang verlorener Jugend wiedererlangt hätten, komplett mit einem altmodischen roten Lippenstift, der ihm irgendwo her bekannt vorkam; Auf einer Woge von Glaube und Euphorie reitend, schmolzen die Worte von ihren Lippen: „Die Hörner der Teufel sind nichts weiter als die zerbrochenen Heiligenscheine der Engel.“

Ein Augenzwinkern später sah sie genau so alt und schattenhaft aus wie zuvor, wenig mehr als eine kaum lebendige, dünne Luftspiegelung, doch in irgendeinem unterbewussten Hinterkämmerchen von Shinji's Gehirn waren rege Prozesse des Verstehens am laufen.

„Die Evangelions... und die Engel...“

Was ist überhaupt ein Evangelion?

Was ist ein Engel?

Obgleich Shinji schon länger in intimen Kontakt mit den ersteren stand und etliche von letzteren eigenhändig erlegt hatte, wusste er doch nicht viel mehr über sie Bescheid, als zu beginn seines Aufenthalts in Tokyo-3. Er wusste ein paar Dinge, aber es waren hauptsächlich rohe Daten, zu denen er keine Struktur oder Bedeutung zu finden wusste.

Leichtfüßig trotz ihres Alters drehte ich die Alte auf der Stelle, nur ein Geist, der den Körper nu dem Augenschein willens herum tragen musste, beschwingt wie eine Fürstin in ihrem Chateau, dessen Säulengänge aus den turmhohen roten Gestalten begannen, die rote Oberfläche war wie ihre persönliche Schlittschuhbahn; Ihre Füße hinterließen keinerlei Spuren auf der rostigen Kruste.

Und mit dem Schwung ihres Tanzes schien sich die Welt zu verändern: Kristalspitzen wuchsen höher, in weichere, barocke Formen uniformes Rot nahm hier und da blaue und violette Qualitäten an, wie eine Art irisierende, opalisierende oder perlmutter artige Glanzoberfläche, eine große Variation diverser Kristalloberflächen ergoss sich über die Landschaft, Gärten aus geometrischen Formen, die sich teils schwebend in eine unnatürlich klare, glitzernde Atmosphäre fortsetzte, wie Shinji sie noch nie erlebt hatte und ihre ganz eigenen Landschaften definieren, die sich mitunter genau so grundlegend unterschieden wie die Konzepte von 'Wald', 'Wüste', 'Grasland', 'Ozean' oder andere typische Lebensräume, ohne mit irgendeinem davon irgendetwas gemeinsam zu haben.

Es war ein Anblick, der ebenso von Schönheit und Vollkomenheit zeugte, wie er fremdartig und schrecklich war, eine wilde, außerirdische Anderswelt, die einem im wahrsten Sinne des Wortes atemlos zurückließ – Und Shinji wurde mit einem mal seine eigene Nicht-Stofflichkeit an diesem Ort bewusst, sein fehlender Atem, der ihn in der Realität dieses Ortes ohnehin erstickt hätte, wenn es für ihn denn möglich gewesen wäre, diesen Ort zu betreten – Und das nicht mal im den Sinne, das er einen Schutzanzug brauchen könnte oder so etwas, nein – Ein Blick allein machte ihm schon klar, das seine Nicht-Existenz für die Anwesenheit dieses Ortes eine notwendige Bedingung sein musste.

Die Stimme an seiner Seite, die bis jetzt relativ warm und menschlich gesprochen hatte, offenbarte sich nun als Gestalt aus Licht, ein unbehaglich lebendiges Glitzern in den Nabelschnur-Stängeln der überragenden Kristall-Pilze, das in verzerrten Spigelungen vielleicht noch den Entferntesten Ansatz einer festen Gestalt besaß, und eine Stimme, die selbst mit Widerhall, Telepathie oder autoritativen Qualia höchstens metaphorisch beschrieben werden könnte.

//Alles, vom Second Impact bis zu dem, wovon Ihr gerade Zeuge geworden seid, alles, was die Menschheit bis jetzt erlebt hatte, waren nur die Vorzeichen und Prophezeiungen dieser kommenden Welt, in der uns eine neue, vollkommene Existenz als Kinder Gottes erwartet. Die Verschmelzung der Weltseele, die Rückkehr in die Kammer von Gauf, der Gipfel menschlicher Evolution, die Krönung all dessen, was die Schöpfer für uns vorgesehen hatten. //

Auch die Beschreibung als helles, zunehmend blendendes Licht war hier nur eine Metapher, doch der springende Punkt was das etwas an der Qualität ihres stärkeren Daseins zunehmend schwer zu ertragen wurde, wie eine Melodie, die zunehmend an Gewalt und Lautstärke gewann, bis die Vibrationen aufhörten, ein Ton zu sein, und wahrgenommen wurden als ein Schmerz oder gar ein Beben; Harfen brannten, Klaviersaiten schnitten, Trompeten donnerten, Geigen schnitten sich ins Fleisch und seine Wahrnehmung, welche seine nackte Seele hier nicht auf die Beschränkungen des Körpers schieben konnte, bebte mit dem Nachleuchten eigentümlicher Farben und der inneren Komplexität der kristallinen Strukturen, deren Seelen-Glas bei genauerem hinsehen immer feinere Gebilde und Strukturen zu enthalten schienen.

//Dies ist die Nächste Stufe: Das Abstreifen unser schwächlichen physischen Konstrukte,und der Aufstieg als Existenzen aus reinem Bewusstsein!

Engel, AT-Felder, Evangelions...//

Der mentale Widerhall ihrer Worte wurde begleitet von Visionen der Energiekerne und persönlichen Barrieren beider Arten von Kolossen, deren roter Schein und hexagonalen Formen in jener fremdartigen Umgebung allgegenwärtig waren.

Die 'Gestalt' der 'Alten', die sich lediglich aus Gründen der Gewohnheit und Identifizierung als solche Bezeichnen ließ, durchlief gerade mehrere Phasen die aus stetig wechselnden, symmetrischen Fraktalen zu bestehen schienen, oder vielleicht einer unendlich komplizierten Fensterrosette aus buntem Kirchenfensterglas ähnelte, dass wie ein vielfach verschnellerter Bildschirmschoner stetigem Wechsel unterworfen war.

//All dies sind lediglich die Vorzeichen einer Welt, in der Seelen Substanz haben, und der Wille sich physisch materialisiert!//
 

Obwohl sich verglichen zum Anblick des 'Roten Gartens' einiges verändert hatten, sodass die Überreste der Stadt kaum noch als solche zu erkennen waren, blieben doch einige größere Landzeichen soweit erkennbar, das man die Identität der Landschaft bei genaueren hinsehen feststellen konnte – Hochhäuser waren so weit mit Kristall überzogen, das sie zylindrisch oder gar elliptisch wirkten, und die kleinen Löcher die sie durchzogen mussten nicht unbedingt der Aufreihung der Fenster entsprechen, doch die räumliche Anordnung größerer Erhebungen zueinander blieb ein Stück weit erhalten, obgleich die Kristallsäulen den früheren Gebäuden in Höhe und Zahl ebenbürtig waren, und die größeren Verwachsungen aus roten Soldaten nun ohne die geringste Ähnlichkeit mit humanoider Form baumgleich gen Himmel strebten.

Wo das Gelände einst ebener gewesen war und zum Beispiel suburbane Privathäuser, Schulen und Sportplätze zu finden gewesen waren, rankten sich nun spiralartige Tröge, deren Formen an Bismuthkristalle erinnerten, oder vielleicht an die Stufenbrunnen alter Zivilisationen;

Hier und da nahm die Substanz auch die Gestalt scheinbar biologischer Verstrebungen mit kugeligen Anschlüssen an.

Und es war noch etwas anderes konstant geblieben: Die stille, einsame Wächterin dieser Welt, nunmehr mit den rechten Würden getragen, weitaus mehr, als das stille Fragment in Schwarz, das soeben noch an ihrer Stelle ihre Bahnen gezogen hatte, ein Abbild eines größeren Ganzen so wie ein ganzer Kristall mehr war, als einer der zweidimensionalen Oberflächen, die seine Facetten bildeten.

In den Schatten des außerweltlichen Waldes lief sie entlang eines lang vergessen Weges, scheinbar gering, und doch so unermesslich wie dieser Ort selbst, der Genius Loci, die Blaue Rose ganz so, wie sie sich die Romantiker vorgestellt hatte.

In ihr sah Shinji nun eher ein Abbild der Person, die er als 'Rei Ayanami' erkennen können hätte, doch auch, wenn er sich reuen würde, in irgendeiner Form das Wort 'mehr' zu verwenden, war dort doch auch keine eins zu eins Äquivalenz;

Sein Bewusstsein verarbeitete das dann wohl so, dass es die ätherische Präsenz, die nicht mehr stofflich anwesend war als er selbst und die Alte, aber im Gegensatz zu ihnen eine deutliche Verankerung zu dieser Gegenwart besaß, in etwas würdigerer Kleidung darstellte, die mehr einer Königin gebührten als das ihre übliche Schuluniform tat.

Ohne logischen Grund viel die genaue Entscheidung auf ein bauschiges, schwarzes Minikleid mit weißen Rüschen an Kragen und Saum, schwarzen Strumpfhosen, einem Kreuz-Halsband und eleganten, weißen Schuhen, die wie ihre Haarspangen mit blauen Plastikrosen verziert waren; Das wichtige daran war, dass ihr ein feierlicher Ernst anhaftete, wie man ihn für eine Beerdigung oder ein wichtiges Geschäftstreffen erwarten würde; Und doch schritt sie durch die Welt, als ob sie von ihr noch etwas zu lernen hätte, langsam und gemächlich, wie auf einem verträumten Spaziergang, ihre Blicke bisweilen genau so neugierig, wie sie melancholisch wirkte.

Ihr Pfad führte sie den Weg hinab zu einem der Bismuth-Plateaus, doch statt an deren Rillen entlangzulaufen wie es eine stoffliche Existenz hätte tun müssen, geschah etwas wunderliches: Sie schritt geradewegs in eine Wand hindurch, und jenseits des ölig-glänzenden, regenbogenfarbigen Ectoplasmas, dass sie dort umfing, konnte man beobachten, wie sie in das Innenleben des Kristalls vordrang, ein Stillleben von schwülen Sommertagen und belebten Klassenräumen, deren strahlende Momente genau so erstarrt schienen wie die Kristalle, die sie enthielten.

Wie ein Gespenst durchschritt sie die freudigen Konversationen längst vergangener Tage, die lange verblassten Gesichter, deren Lächeln nur noch einzig und allein in dieser Form existierte.

Sie allein bewegte sich noch vorwärts, und ihre immaterielle Natur wurde schon dadurch offensichtlich, wie ihr Kleid ohne weiteres durch die Tische hindurch glitt.

Es war schon eindrucksvoll genug, bis sie die nächste Wand durchschritt, und damit bekanntes Gelände offen legte, wie es, in dieser Form, eigentlich noch lange nicht der Vergangenheit zugehörig sein sollte, oder, bei genauem hinsehen überhaupt nicht:

Da war als erstes einmal Asuka, deren Haarfarbe in keinem möglichen Umfeld in irgendeiner Form zu übersehen war, selbst hier, wo sich der blasenartig-blauviolette Ton der Kristalle mitsamt irgendwelcher Glitzerpartikel wie ein filter über das ganze Bild legte.

Sie saß mit ein paar Mädchen um Hikaris Tisch herum und rieb ihre Hände bezüglich irgendwelchen neuen Klatsch-und-Tratsches, der Hikari selbst recht zu überraschen schien und einen erstarrten Sekundenbruchteil einen ehrlich-verblüfften Ausdruck auf ihr sonst so ernstes, sommersprossiges Antlitz lockte.

Das hochgewachsene, honigblonde Mädchen das lässig mit dem Stuhl kippelnd bei ihnen dabei saß und über die Neuigkeiten grinste, war ihm jedenfalls neu.

Eine weitere unbekannte, aber dennoch auffällige Figur traf sich weiter hinten an einer weiteren Tischgruppe an, eine attraktive, aufgeweckte junge Dame mit kurzen, rotblonden Haaren und einem weiten, ungehemmten Lächeln, das ihren an den Fingerspitzen zusammengeführten Händen nach zu urteilen irgendeine spannende Erzählung beinhaltet hatte.

Besonders brisant war jedoch die Gesellschaft, die sich das Fräulein aus dem Raum ausgewählt hatte – manch einer hätte sich vielleicht eher zu dem allseits populären Kaneda gesetzt oder versucht, etwas von Asuka's Dunstkreis ab zu bekommen, doch die Wahl der exzentrisch anmutenden Fremden war scheinbar auf das 'Idioten- Quartett' gefallen: Da war Touji, im Begriff, eine Grimasse zu schneiden, Kensuke's übriges Kamerafuchteln, Nagato, der noch eines seiner kleinen Geduldspiele in den Händen hielt, nicht ganz gewillt, es wegzusehen und noch auf eine Nutzungsgelegenheit hoffend, aber doch zu höflich, um dem Mädchen nicht seine volle Aufmerksamkeit zu geben, und letzlich Shinji selbst, der zwar kein amüsantes Spektakel abgab aber doch aufmerksam und für seine Verhältnisse beschwingt zuhörend.

Die einzige Präsenz an dieser hochgradig metaphysischen Ausgabe eines Ortes blieb mit ihrem Blick eine Weile an dieser Sitzgruppe hängen, vielleicht mit einer vagen, entfernten Note von Nostalgie, doch dann setzte sie ihren Weg fort, bis hinüber zur Fensterfront und den Tischen, welche teils an diese angrenzten, bis sich ihre Spiegelung mit der ihres früheren Selbst überlagerte, welches still, gefroren und für immer unerreichbar durch die Scheibe blickte, hinaus in einen unwiederbringlichen, hitzigen Sommertag, der so weit zurück lag, dass er genau so gut zu einer anderen Welt gehört haben könnte.

Sie warf keinen Schatten, der ihr Jüngeres selbst hätte bedecken können; Sie saß nur still da, unbewegt, wie sie wohl auch beim damaligen Verstreichen der Zeit geblieben wäre, unhaltbar ausgeliefert an ihr tragisches Schicksal, und unwissend über vieles, was ihr im Nachhinein klar geworden war.

Doch so greifbar das damalige auch erscheinen mochte, so unerreichbar war es doch aus der Perspektive einer Welt, die bereits durch und durch versteinert war, verwandelt in glänzenden, wundertätigen Stein, aber dennoch Stein, und wenn es der Stein der Weisen sein sollte.

Es war eine starre, harte, kalte Welt, in der nichts mehr floss und pulsierte, und kein Wort mehr gesprochen würde; Jeder Geist, der sich versehentlich dorthin verirren sollte, würde nichts weiter vorfinden als die Kälte, das brennende Sonnenlicht, und die Diamanten.

Und diese Welt, in der der Sommer niemals endete und zugleich niemals wiederkehrte, dieser Hort des Nichtseins, welches nicht lebendig war, aber auch niemals sterben würde, war von den Wünschen der Menschheit sehnlichst herbeigesehnt worden, oder zumindest von den Wünschen einiger Menschen, und das Licht dieser Wünsche war es, dass sie jetzt erhielt, das innere Leuchten der eingebrannten Kristall-Bilder, dessen Flackern wohl einst zum teil die Gestalt einer alten Frau gehabt hatte; Die harte, greifbare, ausgewachsene Essenz des dunklen Meeres.

Selbst die gedankliche Form von Sprache war ihr schon lange zu klein geworden und gleich einer Schlangenhaut abgestreift worden, so dass sich die letzten Reste dessen, was man noch als Kommunikation und noch nicht als simple Einheit erkennen konnte, in so etwas wie dem innersten Quellcode der Seele erfolgte:

{{Alle Gedanken und Emotionen der alten Menschheit, alles Wissen, was jemals angesammelt wurde, besteht nun innerhalb der Kristalle fort, in einer Einheit aus reiner Information, für die es keine Barrieren gibt.}}

Keine Barrieren, ja gerne doch, aber dennoch war es Shinji, als würde er diese lang verlorene Szene nur in der Distanz betrachten, wie einen Film oder eine Erzählung mehr als eine persönlich erzählte Geschichte.

Genau so gut hätte er sich jenseits der Fensterscheiben befinden können und von dort draußen – Sei es eben ein paar Meter in der Luft wenn es sein muss, die Gestalten seiner Freunde oder selbst von Ayanami unendlich weit entfernt, gleich der anderen Seite eines klaffenden Abhangs.

{{Du hast mich nach dem Projekt zur Vollendung der Menschheit gefragt.

Hier ist nun deine Antwort: Das ist es, das, was du hier siehst, und noch viel mehr...}}
 

EINE IDEALE WELT
 

Hieß es; Der Strom der Chöre hatte sich schon fast zur unwiderstehlichen Stimme Gottes hochgeschaukelt, welche Shinji nur um ihrer Neuheit wegen vom Wissen um einen fundamentalen Fakt des Universums zu trennen wusste, oder aber von seinen eigenen Gedanken – Vielmehr war es so, das der Strom seiner Gedanken zumindest für die Dauer der Verkündigung nicht anders konnte, als in den Kanon des schwarzen Meeres einzustimmen, nicht aus seinem eigenen Willen heraus, sondern von der Art Zwang angestoßen, mit der ein Eisenspahn einem Magneten folgen musste, oder eine Romanfigur der Feder des Authors.
 

DIE VOLLENDUNG ENTFERNT GESCHLECHT, RASSE UND SPRACHE; SIE BESEITIGT UNTERSCHIEDE IN TALENT, TEMPERAMENT UND AUSSEHEN, GANZ ZU SCHWEIGEN VON ÖKONOMISCHEN STATUS, SOWIE JEGLICHE BEHINDERUNGEN UND GEBRECHEN.

KEIN REICHTUM, KEINE ARMUT, KEIN LEID, KEIN SCHMERZ UND KEINE EINSAMKEIT.

DIE PERFEKTE UTOPIE, IN DER ALLE MENSCHEN GLEICH SIND.
 

„Das klingt alles sehr schön, Ma'am.“ meinte er missmutig zu dem umherschwappenden Ball aus flüssigem Licht zu seiner rechten. „Ich weiß nicht ob es überhaupt möglich ist, aber es wäre wundervoll, wenn so eine Welt eines Tages wirklich existieren könnte....

Aber...“

Und er raffte seine Stärke mit Blick seiner eingefrorenen, blauhaarigen Mitschülerin zusammen, welche für alle Ewigkeit nachdenklich durch die Fensterscheibe blickte, gefangen in diesem Moment, zu dem keiner von ihnen beiden jemals wieder zurück kehren können würde, sobald er verstrichen sein würde.

„Ich glaube nicht, dass das, was Sie vorhaben, wirklich zu dieser perfekten Welt führen wird...“
 

(An dieser Stelle zog er unbeabsichtigterweise die Aufmerksamkeit von gleich zweier, absolut potentieller Ayanamis auf sich, deren spezifischer Abteil der Zukunft durch seine Entscheidung vielleicht nicht einmal mehr existieren würde.

Mit identischen, sichtlich überraschten aber doch moderaten Ausdrücken blickten sie beide trotz des Standbildes, in dem sie sich befanden, vor ihren Betrachtungen auf, und reagierten in etwa so, wie man es modulo Rei's gedäpfter Ausdrucksweise von einem schwebenden Jungen und einem leuchtenden Lichtpunkt erwarten würde.)
 

„Ikari-kun?“

6:

Eine esoterisch-symbolistische Beschreibung auf einem eschatologischen Steintablett, von dem es zwar viele fragmentierte Abschriften gab, der genaue Text jedoch noch in einem alten Königsgrab in der Wüste vergraben lag, wobei es sich dabei selbst um die Abschrift eines legendenumrankten Dokumentes geht, dessen Überlieferungskette bis an den Beginn der Jungsteinzeit zurückverfolgt werden konnte.

Für Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende lang hatte es im Sommer den Sturmwinden widerstanden, in der Regenzeit den reißenden Strömen und im Winter dem Eis.

Letztlich galt das Artefakt, das zum damaligen Zeitpunkt bereits den Status einer Reliquie erreicht hatte, als verloren, nachdem ein General der Antike versucht hatte, mit ihr eine verschneite Bergkette zu überqueren um die Gunst irgendwelcher Götter für seinen Feldzug zu gewinnen, das ging jedoch leider nach hinten los, und die Steintafel, die für das Unterfangen von mehreren Männern schmale Berghänge entlang getragen werden musste, wurde im Eis verschollen.

Seid ihrem Verschwinden wurden sie von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit zum Sujet etlicher Legenden und so einige Fälschungen tauchten auf, von denen sich keine zwei über den nicht in anderen Quellen abgeschriebenen Inhalt einig geworden waren – Gleich der Weisen Frau aus den Eddas, die der Gott Odin bei seiner Reise in die Unterwelt um Rat fragte, waren über das Tablett unzählige Lagen von Schnee und Blättern gefallen, und es wäre wohl kein Wunder gewesen, wenn sie nie wieder das Tageslicht erblickt hätte, oder unterm dem Druck von Wasser und Eis zersprungen und zermahlen worden wäre;

Doch wie es so oft heißt: nichts geschieht vor seiner Zeit.

Die fragliche Zeit kam Jahre nach dem Second Impact, als die Hitze des veränderten Weltklimas die Eisschichten nach und nach hinweg schmolz.

Selbst so dauerte es sehr, sehr lange, ganze Jahre, bis die Hitze das Eis allmählich abtrug und it dem Schmelzwasser einen neugeborenen Fluss speiste, aber als das Tablett zwischen einem Grund aus schwarzen Felsen liegend nun endlich zurück in die Zivilisation kam, war jemand dort, um es zu erwarten, eine einsame Karawane aus nur einem Packesel und zwei Männern, die sehr wohl auf einer Geschäftsreise waren, aber wohl kaum auf der Art von Handelsreisen, die für gewöhnlich in Karawanen von statten gehen.

Zum einen hatten sie ihre Reise in einem modernen, gegen Kontamination, Strahlung und Wetter gesichertem Flugzeug begonnen und nur die letzte Strecke auf ihrer Suche auf Rücken des Tieres bewältigt, eine Sicherheitsmaßnahme, um unscheinbar, unverfolgt und hackingsicher zu reisen und somit niemanden den Fundort preiszugeben – Auch, weil es neben ihnen auch noch andere gab, die wussten, wann der Fund zu erwarten war, und sie es deutlich vorziehen würde, wenn diese nicht erfahren würden, das sie hinter dieser spezifischen Information her gewesen waren.
 

Einer der beiden Männer war mit einem Wanderstockstock vorgegangen und überblickte nun von einem Haufen grober, schwarzer Steine herab die fragliche Seite des Abhangs, während sein älterer Kollege einen großen Teil des steinigen Geländes auf dem Rücken des Lasttieres zugebracht hatte, und sich nun, da sie am Ziel angekommen waren, wieder davon herunterzusteigen hatten. In einer dunkelroten Robe mit einem grünen Verschlussstreifen, braunroten Hosen, einen zylindrischen Grünen Rucksack und einem kurzen, schwarzen Kapuzenumhang hätte man wohl ein wenig gebraucht, um ihn als denselben Subcommander Fuyutsuki einzuordnen, den Shinji an sich fast ausschließlich in seiner braunen Uniform zu sehen bekam.

In einer längeren, grün-roten robe, einem zerfledderten roten Schal und einer blauen Schiffsmütze, die den Großteil seines Kopfes bedeckte, wirkte sein Vorgesetzer noch merklich unkenntlicher, wenn nicht sogar recht schäbig, doch sein Bart und die charakteristische orangene Sonnenbrille machte ihn unverkennbar – daran konnte man auch erkennen, dass dieser Votfall nicht zu weit in der Vergangenheit liegen konnte, zumal er doch nicht die klare Brille trug, die Ayanami als Andenken eingesteckt hatte. Er sah nicht viel anders aus, als Shinji ihn das letzte mal im Hauptquartier gesehen hatte, in dieser Hinsicht könnte dies durchaus auf einer seiner letzten paar Geschäftsreisen geschehen sein.

War irgendwie doch befriedigend, einmal zu erfahren, was er denn so in den weiten des Globus trieb, auch, wenn Shinji nicht dafür garantieren konnte, dass das hier wirklich sein Vater war und nicht eines seiner eigenen Hirngespinste.

Er konnte sich kaum erinnern, wann er seinen Vater das letzte mal in etwas anderem als seiner Uniform gesehen hatte, oder aber im Tageslicht der Oberfläche.

Die Zwei Männer führten einiges an Ausrüstung mit sich, auch wenn man meiste davon zwecks Geheimhaltung merklich low-tech war – Wegfindung mit Kompass und Sextant, Ausgrabung mit Schaufel und Pinsel, Beweissicherung mit alter Sofortbildkamera, die weder Film noch Digitalspeicher hinterließ.

Viel graben mussten die beiden letzlich jedoch nicht – kaum, das Ikari senior den Hang hinuntergeblickt hatte, machte sich auf seinem Antlitz ein siegessicheres Grinsen bereit, und ohne auf die betagte Wirbelsäule seines etwas langsameren Kollegen zu warten, sprang er mit ein paar halsbrecherischen Sätzen zum Ziel seines Bestrebens.

Wenn man sich hingegen des vorsichtigen Kletterns seines Untergebenen besah, konnte man manchmal schon daran zweifeln, ob der ältere Ikari wirklich ein Mensch war.
 

Als er erreichte, was seine wollüstigen Augen aus der Ferne erspäht hatten, brauchte er nur noch etwas Geröll zur Seite zu schieben, und da war es:

Keilschrift, Piktogramme, neun in Gebetshaltung verharrende, geflügelte Gestalten, sie anbetend um ein Loch im Himmel kreisten.

Das Grinsen in seinem Gesicht erhärtete sich.

„Ist es das...?“ fragte Fuyutsuki, etwas außer Atem, während er sich mit den Armen abstützend über etwas Geröll hinweghalf.

„Eine volle Abschrift des Omikronfragments.“

Fast schon zärtlich fuhr er an einer Reihung von Buchstabend entlang. „Das ist die letzte Bestätigung, die wir brauchten. Phase III kann nun wie geplant fortfahren.“

„Du denkst schon an Phase III, wenn wir gerade erst mit Phase II begonnen haben... was ist mit der aktuellen Phase!“

„Phase III ist die einzige die zählt. Wir haben nur ein begrenztes Zeitfenster, um uns die zentrale Trumpfkarte anzueignen, besonders wenn das, was uns Agent Kaji über Mark. 06 erzählt hat der Wahrheit entspricht.“

„Die Trumpfkarte... die ultimative Blasphemie...“

„Sie war mit diesem Teil des Plans einverstanden.“ zitierte Ikari, als ob das alle Zweifel auslöschen sollte – was, oder wen die beiden meinten, war Shinji jedoch ein Rätsel. Was für eine 'Blasphemie'? Was für eine 'Sie', sprachen sie von Dr. Akagi? Und was war diese 'Trumpfkarte' von der sie sprachen.

„Evangelion Einheit 01...“ sprach Fuyutsuki ernsthaft, seine Stimme voll von Gram und Gewicht „Schon bald könnten wir die Trompete der Apokalypse in den Händen halten. Ein Werkzeug absoluter Vernichtung. “

(???)

(Man hatte ihm immer gesagt, dass die Evangelions gefährlich waren, und es war nicht schwer zu glauben, wenn er sich an diesen Amoklauf beim ersten Kampf erinnerte. Aber ihm war nie genau beschrieben worden, wo genau die Gefahr lag.

Was ist ein Evangelion?)
 

Im Gegensatz zu seinem Untergebenen wirkte Commander Ikari in kleinem Falle beirrt oder beunruhigt, sondern machte sich daran, zunächst mit seinem Ärmel den groben Staub von der Platte zu entfernen.

Ein kurzes, all zu menschliches Husten konnte er sich im Angesicht der aufgewirbelten Wolke dann doch nicht verkneifen, ein minimales Zeichen von Schwäche und Menschlichkeit, das doch ausreichte, damit er seine Werkzeuge niederlegte, und jeweils eine Hand unterstützend an seine Brust und eine scheinbar empfindlich schmerzhafte Stelle an seinem rechten Arm führte.

„Ikari?“

Kaum hatte er sich wieder gefangen, ignorierte der ältere Ikari den Vorfall soweit, das er Fuyutsuki nicht einmal eine Antwort spendierte, nicht so sehr als ob er niemals geschehen wäre – sein Gesicht blieb einige Momente lang immer noch leicht verzerrt – sondern als ob solch nichtige Unterbrechungen der Rede nicht wert wären, und fuhr fort mit seiner Arbeit unter der brennenden Sonne.

In gewissem Maße erinnerte er an eine etwas weniger extreme, ältere Version von Rei.

„Das ist etwas, was häufig falsch verstanden wird.“ entgegnete er, mehr auf die Diskussion von Trompeten und Evangelions. Mit jeder Arbeitsbewegung fuhr eine zunehmende Kruste aus Staub in sein Haar, seine Haut und seine Kleidung; Dennoch schuftete er stetig weiter, während Fuyutsuki, der Ikari nun endlich eingeholt hatte, sich daran machte noch etwas Ausrüstung auszupacken.

„So etwas wie absolute Vernichtung gibt es nicht; Masse ist gleich Energie mal Lichtgechwindigkeit zum Quadrat, und Energie kann weder geschaffen noch vernichtet werden. Sie ändert lediglich ihre Formen. Alle Reaktionen, bei denen Energie umgesetzt wird, verlaufen zunehmend zu einem Zustand größerer Entropie, und es ist dieser Fluss, der es uns möglich macht, einen Zeitpfeil zu definieren. Ob man nun die Apokalypsen der Mythologie betrachtet, oder die Massensterben in der Erdgeschichte, der Inhalt einer Welt, die ihr Ende trifft, wird nie ganz verändert – Er ändert nur seine Form. Die Dinosaurier machten den Säugetieren platz; Eine jene Welt, die von den Göttern niedergerissenen werden soll, wird durch den Übergang lediglich gereinigt, transformiert und ein eine höhere Form überführt, in der die reinen von den Sündern getrennt werden, wie die Spreu vom Weizen. Die Zeit der Auslöschung ist auch eine Zeit der Reinigung, der Anpassung und der Weiterentwicklung – Und unsere Zeit ist damit keine Ausnahme. Eine 'Apokalypse', im Bezug auf ein Ökosystem lässt sich also besser definieren als die simultane Selektion und Evolution allen Lebens auf dem Planeten; Und selbst wenn das Leben, wie wir es kennen, sein Ende findet, ist es nur eine weitere Umwandlung von Energie in einen günstigeren Zustand.

Das einzige, dass uns daran hindert, dies zu akzeptieren, und uns dazu verleitet, uns an die Gesetzmäßigkeiten der alten Welt zu klammern, ist unser Ego, das um seine Auflösung und seine Irrelevanz fürchtet; Es hat sich entwickelt, um in der alten Welt zu überleben, doch gerade deshalb steht es uns in der neuen im Wege. Es ist zwecklos, den Status Quo endlos erhalten oder gar wiederherstellen zu wollen;

Sie sollten sich den Gedanken aus dem Kopf schlagen, dass solche Sentimentalität ein Zeichen von Edelmut ist statt von Trägheit.

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Der Fluss der Energie lässt sich nicht umkehren und es ist zwecklos, ihn aufzuhalten zu wollen; Alles, was wir als Lebensformen tun können, ist den neuen Bedingungen anzupassen, und uns selbst zu transformieren...“

Der Leiter von Nerv sprach unerhört locker und doch trocken, doch es schien eine ganz private Ironie zu sein, die seinen Kollegen unterschwellig verärgerte.

„Wenn Sie das so meinen...“
 

(Hätten sich die Männer umgedreht, hätten sie für einen Sekundenbruchteil die geisterhafte, uniformierte Gestalt eines blau-haarigen Mädchens erspäht, das sie im stillen fragend betrachtete, zunächst noch ohne die Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit ihrer Handung zu urteilen aber jenseits ihrer unergründlichen Augen mit Sicherheit ein Verständnis zusammenbauend, über die beiden Männer, ihre Motivationen, das komplexe Strickwerk ihrer Handlungen und die Vorstellungen, die ihren Zielen zu Grunde lagen.

Sie schien zumindest einen weiteren Beobachter erwartet zu haben und bot ihm den Platz zu ihrer rechten an.)

7:

Ein silberner Garten, geschaffen im Abbild eines noch-nicht-vertrauten Ortes, und gleichsam in seiner Fortsetzung und Erweiterung, durchwirkt von der persönlichen Bedeutung, die ihm für Shinji immer inne wohnen würde, ihm aber im Moment noch nicht bekannt war.

Es gab Reihen von Säulen, weitreichende Begrenzungen in den schattenhaften tönen blauer Berge.

Da war das Strömen von Wasser und das Spiel des Lichts in Bächen und Fontänen.

Da war ein Echo von Wolken und Nebelschleiern, die kühle Frische von Nachtluft und den Verhall der wandernden Gedanken, die sich zu solchen Zeiten verdichteten.

Es gab auch, wie es sich für einen Garten gehört, so etwas wie Vegetation, die verworrenen Schatten von Gräsern, Bäumen und Ranken, die dem artifiziellen Licht der Geofront entgegenstrebten – Shinji war deren Lichtverhältnisse mittlerweile soweit gewohnt, dass er sie auch unter diesen phantastischen Umständen wiedererkennen würde, wenn die fraglichen Gewächse in weißem, kaltem Licht von innen heraus zu glühen schienen, und Blätter und Blüten die in Silberstaub glänzten und filigranen Trieben, sie sich um kalkweiße Marmorsäulen rankten.

Auch hier war ein kleiner, abgeschlossener Mikrokosmos zu finden, ein scheinbar paradiesischer Garten, und doch ein Paradies einer deutlich anderen Art;

Es mochte zwar abgeschlossen sein, aber es war nicht das gefrorene El-Dorado, das die Gesandte des schwarzen Meeres ihm gezeigt hatte.

Versprechen vager, mystischer Einheit hatte dieser Ort nicht zu bieten; Was sich hier einmal vollzogen hatte, war die Art von Erfahrung, für die es Hände und Stimmen bedurfte, klar definierter, voneinander gespaltener Formen, und in einer solchen Welt somit explizit nicht möglich war –

Und selbst jetzt pflanzte sich das Echo dieses Momentes hierhin fort, und bildete gleichsam einen Gegenpunkt zu jenem anderen Eden, ein irdisches, zerbrechliches und sehr, sehr vergängliches Paradies das gleich den Blüten, die ihn bevölkerten, nicht für ewig blühen könnten, und auch das nur zu bestimmten Zeitpunkten, die scheinbar zufällig nach irgendwelchen arkanen Bestimmungskriterien auftauchen konnten, wenn der Mond richtig stand und das Wetter stimmte.

Es war ein grundlegendes Naturgesetz dieser Sache, dass er hier nicht lange bleiben können würde, zumindest nicht im Sinne einer stetigen sich neuartig fortsetzenden Erfahrung.

Vielmehr was was ein kurzes, flüchtiges Stückchen Zeit, wenig mehr als eine dahin schwebende, schillernde Seifenblase, die er wie einen kostbarsten Schatz in den Tiefen seines Herzens für alle Zeit aufbewahrt hatte.

Dies war der Hort jener Sorte von Ereignis, dass einmal in die Erinnerung eingebrannt für immer im Herzen eingebrannt sein würde, sodass er irgendwo in seiner Seele immer in diesem Lustgarten verweilen und ihn nie ganz verlassen würde.

Noch war ihm seine Bedeutung verborgen, aber selbst durch diese unnatürliche Verzerrung von Zeit und Raum hindurch bewahrte sich der Eindruck dieses Ortes im Glanz seiner Transzendenz, auch, wenn Shinji den realen Ort, der hierfür als Vorbild gedient haben könnte, noch nie vorher gesehen hatte.

Was gab es hier zu finden? Nun, zuerst einmal offensichtlich Nostalgie, aber mit dieser kam immer ein gewisses Quäntchen an illusion.

Er spürte immer noch das Gefühl der milden, feuchten Sommerluft und die süßen Düfte der Blüten, doch mehr als alles andere, die Wärme und Geborgenheit, die er mit der zweiten Präsenz verband, die diesen Ort, oder vielmehr sein Abbild in seinen Gedanken durchwirkte – Er war nicht allein hier, nicht im physischen Gegenstück dieser Begebenheit noch irgendeinem jener metaphysischen Begebenheiten – zumindest nicht ganz.

In diesem verlorenen kleinen Fleckchen seiner Seele hatte es immer eine sachte Spieluhr-Melodie gegeben, die für jemand anderes bestimmt war, das ehrliche, reine Wohlwollen und die unbedingte Hingabe, die er so oft vergeblich zu finden versucht hatte.

Hier war die Heimat von Vertrauen, Freundschaft und Liebe jedweder Art – wie ironisch, dass er es gerade hier wiederfinden sollte, wie ein im Gestrüpp verirrtes Kind, das erst am späten Abend den Weg zurück nachhause fand.

Kaum angekommen, wurde ihm auch direkt bewusst, das er wieder gehen musste, und so hoffte er naiv, nur noch ein bisschen länger spielen zu dürften, nur noch ein Weilchen länger hier verweilen, bis der Sommer vorüber war und er vom Ernst des Lebens zurückgerufen werden würde.

Er konnte sich nicht immer dazu bringen, daran zu glauben, und eines Tages würde er vielleicht akzeptieren, dass es einfach nicht in seiner Natur lag, und einen Weg finden, damit zu leben, doch er wusste das er es geglaubt hatte, als er hier gewesen war, und dass er dieses Licht vielleicht irgendwo da draußen wiederfinden würde.

Bis es so weit war, würde er sich an den gelegentlichen, immer viel zu kurzen Träumereien erfreuen, in denen er hier unter den Lichtgestalten verweilen dufte, bei den anmutigen Elfen, die aus dem selben weißem Licht geschaffen waren, wie die bläulich-weiß glühenden Bäume, deren silbriger Staub diesem Ort seinen phantastischen Schimmer verlieh.

Es begann aus einem Ansatz einer ganz anderen Erinnerung heraus, mindestens zwei andere Begebenheiten, in der sich eine junge Dame mit einem Sonnenschirm über ihn hinüber gebeugt hatte. Der Sonnenschirm war unwesentlich, in der Geofront ohnehin mehr eine Requisite und daher gleich den Bäumen durch ein inneres, weißes Glühen ersetzt, das entfernt den Kristallbäumen jener anderen Welt ähnelte, die junge Dame jedoch war äußerst erkennbar, gekleidet in ein leicht übergroßes weißes Hemd, das ebenfalls einer bestimmten Erinnerung entstammte, sowie einen simplen schwarzen Faltenrock Rock den sein Unterbewusstsein wohl aus irgendeiner anderen Quelle eingefiltert haben musste.

Auch ohne ihre übliche Schuluniform war Rei Ayanami kaum zu verwechseln; Mit ihrer fast weißen Haut und ihrem himmelblauen Pagenschnitt schien sie aus dem selben Licht wie die leuchtenden Äste, die sie an diesem Ort umgaben.

Der Sonnenschirm war zumindest insoweit zweckmäßig, dass er den Eindruck vermittelt, sie sei nur auf einem langen Spaziergang hier, auf dem sie völlig zufällig aufeinandergetroffen waren, und einander nun mit entfernter Neugier betrachteten, bevor sie unweigerlich weitergehen musste, jeder auf seinem eigenen Pfad, seinen eigenen Verpflichtungen und einem schwerwiegenden Schicksal, dass sie unweigerlich voneinander wegführen würde, hinauf zu luftigen Höhen und fremden Welten, die sie sich jetzt nur ansatzweise vorstellen konnten, lange, nachdem die Zeit, in der sie in den selben Sphären wandelten und bisweilen miteinander in Kontakt traten.

Doch das hier war der Moment, an den sie einander berührt hatten und was auch immer man da noch so postulieren wollte, zumindest einmal die zarten Bande von Freundschaft und Kameradschaft geknüpft worden waren, und das Licht dieser Tage, jenes kleine Fünkchen menschlicher Wärme in dieser stillen, kalten und berechnenden Welt, die sie beide zu den Spielbällen gemacht hatte, erleuchtete selbst die Finsternis jener anderen Seite.

Sobald er dieses Licht jedoch zu finden vermocht hatte, folgte als natürliche Konsequenz das Verständnis dafür, das es ihm nicht möglich sein würde, hier zu verweilen; Jenseits jener trüben See, weit weg von dieses Gärten voll außerirdischer Blüten wartete dort draußen eine Welt darauf, das er seinen nächsten Atemzug tätigen würde, und das sie sich trotz all seinem Protest des Gegenteils doch in Bälde Lebewohl sagen müssen würden.

Er würde aufbrechen, um sich der Welt zu stellen, und sie würde hier im Lande des Lichtes verbleiben, wo sie vielleicht schon immer daheim gewesen war, und, würde sie überhaupt doch dahin gehören, nachdem sie Leben kennen gelernt hatte und wenn auch im begrenzten Maße all jenes erlebt und empfunden hatte, was zu einer solchen Existenz dazu gehörte?

Nachdem sie erfahren hatte was Leid ist, und was Reue, würde sie noch mit den reinen, unberührten Engeln tanzen können, die die Schöpfer nur mit dem Wissen und Fähigkeiten ausgestattet hatten, das sie zur Ausführung ihrer Funktion brauchten?

Über alles das mochte er zwar ein Leben lang nachdenken, aber es war unwahrscheinlich, dass er es je wissen würde.

In all dieser Zeit, nach all den Malen, an denen sie hier wieder und wieder aufeinandergetroffen waren und selbst auf den gemeinsamen Abschnitten ihrer Reise nur kurze, vage Fünkchen von Verständnis ausgetauscht waren, die selbst trotz aller Signifikanz, die sie ihnen beide nun zurechnen mochten oder nicht, dennoch so unbestimmt und unstetig wirkten wie ein bloßer Windhauch, der abgeschnittene, potentielle Anfang von irgendwas, eine sich öffnende Blütenknospe, die ein früher Frost zu sich geholt hatte, bevor mehr aus ihr werden konnte als nur das Versprechen einer Blüte, eine bleiche Hoffnung, wie eine Legende von einem weit entfernten Garten;

Alles, was er sich wünschen konnte war, war, am Ende von allem nur noch ein letztes mal an ihrer Seite zur ruhe kommen zu können.

Zwischen den feuchten Gräsern sitzend wie ein vergessenes Besitztum, das vor langer Zeit einmal verloren gegangen war, blickte er zu ihr auf, nicht flehend, denn das hätte eine Erwartung an sie persönlich beinhaltet, sondern vielmehr schmerzlich.

„Ich weiß... ich weiß, dass du nicht bleiben kannst. Ich weiß, das es nicht anders geht...“

Sie verengte kaum merklich ihre Augen, als ob sie über die Bedeutung seiner Worte nach sinnieren würde.

„Nur bitte, geh noch nicht, bleib nur noch ein klitzekleines bisschen länger, nur ein bisschen, nur nicht jetzt gleich...“

Wenn das möglich wäre, würde sie es mit Sicherheit tun, aber er wusste bereits dass die Dinge nun mal nicht so funktionierten;

Wen sie dies täte, gäbe es weiß Gott noch viele andere Dinge, dir sich für sich bewahrt hätte.

Ob es nun als Beschwerde über die Welt aufzufassen oder als Lob an die Vorstellungskraft zu verstehen war, so vermochten menschliche Vorstellen die Grenzen des möglichen leicht zu übertreffen: Nur, weil man sich etwas vorstellen konnte – Sei es so simpel wie einen längst vergangenen Moment um noch so wenige, banale kleine Zeiteinheiten zu verlängern, oder so grandios wie eine ideale Welt.

Er verstand das, ja, hatte viel zu viel durchlebt, um es möglicherweise nicht zu verstehen, aber dennoch:

„Ayanami! Geh noch nicht, nur noch ein kleines bisschen!“

Seine Worte, wie auch die nachlassenden, halb-sinkenden Gesten seines hatten mehr einen verzweifelten, resignierten Anklang als den einer wirklichen Aufforderung; Das es sich nicht lohnen würde, sich aus den schillernden Gräsern zu erheben, konnte er sich schon denken.

„Warte auf mich, warte bitte... geh nicht dorthin, wo ich dir nicht folgen kann...“

Ihre vertraute Form, die längst inmitten der Pflanzen und Säulenbögen verschwunden war, sah er nicht wieder, doch das Licht selbst, das diesen Ort erfüllte und ihm Substanz gab schien ohne dabei irgendeines seiner zahllosen Gefäße zu verlassen, dennoch in Bewegung zu geraten, es flackerte gleich einer Flamme in seiner Intensität, schien zu reagieren, als habe die Essenz aller Dinge selbst gleich einem Menschen ihren Namen verhört, und es gab tatsächlich soetwas wie eine Antwort:

„Ikari-kun. Du bist es, der hier nicht bleiben kann. Du hast es selbst so entschieden.“

8:

Eine trüb-turbulente Sequenz aus verschiedenen Empfindungen, Assoziationen, Eindrücken und Erinnerungen, die sich im Laufe seines Lebens angesammelt hatten und jetzt, wo die inneren Barrieren genau so hinweg gewaschen worden waren wie die letzten, ineinander verlief wie zusammen gemischte Wasserfarben, Farben ohne Konturen, ein Fluss von Bewusstsein, der gleich eines dahinplätschernden Baches im Walde gemächlich seines Weges floss; Jede Begrenzung zu einer Außenwelt, auf die man hätte reagieren können, hatte jegliche Bedeutung verloren, und so geronnen die vielen, ungeordneten Gedankenfetzen letztlich zu einem surrealen Parakosmos:
 

Ein Stück weit war sich diese Welt ihrer eigenen Natur bewusst und machte sich nur bis zu einem gewissen Grade die Mühe, sie zu verbergen; Die Kollage von Erinnerungen und Metaphern inkorporierte nur so weit physische Requisiten, wie es für ihre Signifikanz notwendig war, und glich in dieser Form der Bühne des Theaters, von der man ebenfalls sagen könnte, das ihr ihre ganz eigene Bedeutung innewohnte.

Flutlichtscheinwerfer und von Metallgestellen unterstütztes Bühnenparkett kontrastierten mit einem unnatürlich symmetrischen Hintergrund aus fernen Bergen und dunklen Wäldern, Duchsagesirenen und ein Aufbau von Lichtern koexistierten mit Straßenlaternen, im Süden die sinkende Abendsonne und im Norden die ungewisse Dunkelheit einer Theaterhalle.
 

Im Zentrum des Geschehens stand jedoch klar die Szene eines Spielplatzes, welche von der Anordnung der Lichter betont in Szene gesetzt wurde – Sie war wohl eher ein zusammengesetztes Stückwerk aus einer Vielzahl von Erinnerung, als das sie ein genaues Äquivalent in einem bestimmten, realen Spielplatz gehabt hätte – Schon allein die weite Ebene, welche die spärlichen Gerätschaften umgab oder die scharfe Rautenform des Sandkastens untermalten, dass es sich hier um eine begehbare Metapher handelte und wäre dies nicht offensichtlich gewesen, hätte doch die untypisch pyramidale Sandburg in ihrem genauem Zentrum zweifellos verraten, das sich hinter diesem Ort doch etwas mehr verbarg;

Selbst wenn einen glatten, matt glänzenden Seiten des Gebäudes nicht an das NERV Hauptquartier erinnert hätte, sah es doch zu regelmäßig für das Werk eines Kindes aus, vor allem, zumal hier keinerlei Förmchen oder Schaufeln herumlagen.

Die Schaukel, die jedoch in relativer Nähe zum Sandkasten situiert und vorn und hinten zu Sicherheitszwecken mit niedrigen Metallgeländern abgegrenzt war, hätte jedoch genau so existieren können, und tat dies auch, zumindest vor einigen Jahren, in einer kleinen Siedlung in den Bergen.

Ob sie dort noch stand, wollte ihm derzeit beim besten Willen nicht einfallen aber das relevante hier war, dass sie mal gestanden hatte, als ein gewisser schüchterner kleiner Junge bisweilen missmutig auf ihr herum geschaukelt hatte.

Es war zumindest eine Art von Aktivität, wo man nicht direkt angestarrt oder angesprochen wurde, wenn man ihr alleine nachging, doch so, wie der einsame Junge sich kaum dazu bringen konnte, sich in signifikantem Maße mit wirklichem Schub anzuschubsen, war die Implikation trotzdem vorhanden.

Blickte man in die Ferne, erspähten man nur eine Ebene voll verstreuter, unbesetzter Klappstühle, doch irgendwo war da dennoch die Geräuschkulisse von spielenden Kindern, die kleinen fröhlichen Stimmchen, das Klappern von Spielgerät, vielleicht sogar etwas wie Kirmesmusik, der Anklang einer derart unzugänglichen Realität, dass sie genau so gut Echos aus einer anderen Welt hätten sein können.

Still, leise, und fast schon stur in der Art, wie er seine sehnsüchtigen Blicke bei sich behielt, schwenkte sich der Junge in der warmen Sommerluft hin und her, immer wieder mal einen halbherzigen Versuch machend, es was schneller zu machen, nur, um dann wieder nach und nach allmählich zum erliegen zu können, da er weder die Bewegung noch den Enthusiasmus für seine Beschäftigung wirklich am Leben zu halten vermochte.

Dennoch überzeugte er sich und wieder dazu, sich wieder etwas Schwung zu geben, und unternahm zumindest einen Versuch, rege Aktivität zumindest sichtbar vorzutäuschen, wenngleich er doch keine Hoffnung darauf hatte, dabei besonders überzeugend zu sein, aber, es sollte zumindest nicht heißen, das er es nicht einmal versucht hatte, so wenig sich sein verzagter, lustloser Anblick im objektiven Sinne davon unterscheiden musste.
 

Letztlich aber entschwand die Sonne hinter den Horizont, und alle Geräusche und Geschäfte der Umgebung kamen nach und nach zum Stillstand.

Als die Straßenlaternen aufleuchteten, waren die Versuche des kleinen Jungen schon lange Zeit zum erliegen gekommen; Die Schaukel wurde nunmehr nur noch als Stuhl verwendet, und selbst die Lichter verloren nach und nach das Interesse – Hatte er sich vorher einsam gefühlt, so war er jetzt ganz und gar verloren, und die Zacken aus Schatten, welche die Idee von Wäldern bis jetzt lediglich angedeutet hatten, schienen nun das realste auf dieser Welt zu sein, ein schwarzes Gestrüpp von Ästen, das seine kleine Welt von allen Seiten umfing, ja, sich gleich eines Kuppeldaches vornüberbeugten, um sie zu verschlingen.

Die dunklen Wälder, und der Mondschein des Himmels, an jenen Flecken des Himmels, wo der Blick darauf nicht hinter Baumkronen verborgen blieb, hatten existiert noch bevor es so etwas wie Häuser, Schaukeln und Evangelions gegeben hatte, und auch wenn sie in der zerbrechlichen Welt der moderne nicht unbedingt ewig oder unabänderlich waren, so war der menschliche Verstand dennoch mit einer eingebauten Ehrfurcht programmiert, ebenso wie ein kleines Kind die Gefahr einer Schusswaffe nicht erkennen würde, aber ohne zu zögern das furchtsame an einer Schlange erkennen konnte;

Das Gefahrempfinden des Menschen hinkte der Macht seiner jüngeren Tage hinterher, wie sich auch sein Metabolismus noch nicht an den Lebenswandel moderner Zivilisation angepasst hatte.

Zwischen diesen Ästen und den Ruten des Unterholzes lebten wohl kaum noch scharfzahnige Bestien; Tatsächlich war die mächtigste und gefährlichste Kreatur vermutlich er selbst, zumal er weit und breit keine anderen Menschen erspähen konnte –

Verlassen und Vergessen fristete der Junge hier sein Dasein, nachdem alle anderen bereit lange fort waren, daheim, an irgendeinem Ort, wo es Wärme und Zuwendung zu haben gab.

Er allein blieb ausgestoßen zurück, weil niemand kommen würde, um ihn zu holen, und derartig zurückgelassen war es nicht schwer, die anderen um was auch immer zu beneiden, was sie für ihre Begleiter liebenswert und für diese Ehre würdig machte, was auch immer es war, das ihm fehlte, Nutzen, Mut, Fähigkeit oder irgendwelche positiven Persönlichkeitsattribute.
 

„Warum nicht?“ säuselte der Widerhall vergangener und zugleich zukünftiger Worte wie auf Knopfdruck am Rande seines Bewusstseins. „Ihr werdet verstehen, und das ist was zählt.“

Wer auch immer die schattenhafte Urheberin dieser Worte gewesen war, sie schien es sich gleich eines störrischen Dämons vorgenommen zu haben, ihn zu bezirzen.

Shinji machte sich an dieser Stelle nicht einmal mehr Illusionen, dass es sich um die Art von freundlicher, aufmerksamer Präsenz handeln könnte, nach der er sich hätte sehnen können.

Seine Augen verengten sich, sein Blick verhärtete sich, und seine Hände klammerten sich in einer Geste die in gleichen Teilen Rebellion und Suche nach Festigkeit war, um die Metallketten der Schaukel, so immateriell diese auch gewesen sein mochten;

Eine metaphorische Handlung mit einem metaphorischen Gegenstand.

Wer auch immer sie sonst sein sollte, da war noch jemand, die seine Existenz für ihre Zwecke benutzen wollte, genau wie sein Vater.

Das war so die Sache mit seiner Existenz – alle schienen etwas davon zu haben, nur er selbst nicht.

Er spürte die schattenhafte Präsenz der alten Harpyie in seiner Umgebung, konnte die Substanz ihrer Essenz fast schon aus der umgebenden Luft herausschmecken.

Dennoch blieb sie nichts als ein Schatten, ein Schemen, der an seiner letztlich einsamen Präsenz nichts ändern konnte – anders als die Abdrücke von Misato und den anderen, die er droben in der anderen Welt gekannt hatte, war sie für ihn nichts weiter als ein Symbol, ein Repräsentant der Ideen und Konzepte, die sie verkörperte, ein Gefäß für einen Teil dieser höheren Existenz, dass sich mit seinem jetzigen Ego nicht vertragen ließ, aber dennoch zum gleichen Wesen gehörte, wie einer dieser Schulter-Teufelchen aus einem Cartoon.

Und was war der Teufel, wenn nicht die Personifikation dessen, was die Menschheit in sich ablehnte? Was war eine Personifikation, wenn sich das Versehen eines weitreichenden, überwältigenden Konzeptes mit einem vertrauen Gesicht, damit man es in die viel überschaubare Arena eines Gespräches hineinholen konnte?

So war sie für die Zwecke des heutigen Tages die 'Vollendung', die Idee der Vollendung die sich einmal ausgesprochen und absorbiert gleich einem Virus in seinem metaphorischen Kopf festsetzte und auf einen Augenblick der Schwäche wartete, um ihr übles Werk zu verrichten – allein konnte eine Idee nicht leben, aber weil er lebte, konnte sie darauf hoffen, das ihre Botschaft sich materialisieren würde, auch ohne, das da irgendwelche Substanz an ihr war, waren ihre Worte doch das Wesentliche, der Glaube, dem sie sich in Gänze verschrieben hatte, und so lebte sie trotz der Auflösung ihres persönlichen Egos weiter, wie es ein Philosoph in den Szenarien und imaginären Diskussionen von Studenten und Professoren tat.

Die himmelhohen Versprechungen verliefen ineinander zu einem Rauschen von Geräuschen, bei dem hier und da mal ein Wort erkenntlich war.

Keine Unterschiede mehr, kein Zurückbleiben in Talent, Wissen, Aussehen oder Charakter, nichts von all diesen Dingen...
 

Das hier war ein fast schon lachhaft stereotypisches Seelenverkäufer-Versuchungs-Szenario, wäre Misato hier würde sie ihn wohl trotz ihrer eigenen Historie mit der Versuchung anweisen, nein zu sagen, und als man ihn das erste mal gefragt hatte, hatte er das natürlich reflexiv verneint, wie es wohl jeder tun würde, wenn man ihm plötzlich mit etwas in Verbindung bringen würde, das ihm zunächst wie eine gewaltige Ungeheuerlichkeit vorkam. Er bemühte sich eigentlich, anderen nicht wehzutun und keine Ungeheuerlichkeit zu begehen – Doch wusste er denn, das er so Vertrauenswürdig war?

Worauf sollte er das gründen?

Er mochte es bisweilen aufrichtig versuchen, aber er konnte nicht leugnen, dass er sich selber nicht vertraute, oder aber dieser Welt, zu der er jetzt irgendwie zu stehen oder eine flammende Verteidigungsrede zu halten hatte.

Es war nicht so, dass er nicht wollte dass die Welt verteidigt wurde oder ihre Verteidigung nicht für ein wertvollen Unterfangen hielt, aber er war doch wohl die letzte Person, die diese Welt hätte verteidigen sollen. Es bräuchte ja nicht mal eine perfekte Person, sondern jemand, der an diese Welt glaubte und seine Freude daran hatte, jemand wie Misato.

Zunächst hatte er es ihr Übel genommen, dass sie ihm zu dieser Aufgabe vor schickte, doch dann begriff er, dass sie es ihm abnehmen würde wenn sie es könnte.

Doch wie diese Alte, wie sein Vater wollte der Evangelion

Warum ausgerechnet er?

Voll ratlosem Gram blickte er auf seine Hände, die in dieser Vision etwas kleiner als sonst wirkten, aber nicht weniger machtvoll als sonst auch.

Er war doch noch ein Kind!

So sehr ein Teil von ihm immer in diesem entfernten Garten leben würde, in großen Teilen existierte er immer auch hier, in diese vermaledeiten, urgroßmutterseelenverlassenen Moment und zahllosen Momenten, die ihm glichen, und irgendwo in seinem Verstand war es stetig am Regnen.

Bisweilen drang dieser Regen auch gut sichtbar an die Oberfläche und quoll dann tropfenweise aus seinen Augenwinkeln, wo sie, zumindest hier in dieser Finsternis die ihr natürliches Habitat darstellte, ungehindert in der Luft hängen blieben, anstatt zu verschwinden wohin auch immer sie sonst gingen, und in ihnen schillerten die Spiegelungen dieser düsteren, privaten kleinen Welt wie die Murmeln aus dem Besitz eines Kindes, oder ein Schwarm von Planeten zwischen seinen kleinen Händen, hatte er doch gelesen, dass Tränen der Mechanismus sind, mit dem sich der Körper einer Überzahl von Signalmolekülen entledigte, sodass Tränen der Trauer unter dem Mikroskop anders aussahen als solche die von Veränderung, Überforderung, Glück oder Zwiebeln ausgelöst wurden;

Gut möglich, dass sie sich ebenso unterschieden wie die genauen emotionalen Mixturen in den Momenten, die sie hervorgebracht hatten und sich ebenso wie in dieses Museum aus kleinen Tropfen sowohl in sein Gedächtnis als auch in seine Seele eingebrannt hatte – Unterschwellig konnte er sie alle sehen, nicht nur diesen Moment auf der Schaukel und alles andere, das in den Kessel dieser Vision geflossen war, ein inneres Universum aus gläsernen Sphären und schillernden Sternen, eine weite Bücherrei aus Augenblicken, die vielleicht nur ein Bruchteil eines Lebens waren oder doch eine Identität zusammensetzten, doch selbst diese Fülle war ein bloßes Molekül in den Tropfen, die den Ozean aller gesammelten menschlichen Erfahrungen bildeten, die sich am diesem Ort tümmelten wie die Irrlichter verlorener Seelen im Dickicht jener dunklen Wälder, in denen man Grimms Böse Wölfe, nordische Götter oder Tore zur Hölle vermuten würde –

Ein Blick zu den tiefen Tannen am Rande des Spielplatzes reichte aus, um sie zu sehen, teils tau, teils licht, teils Spiegelung, entfernte Geister, die ihrer einzigartigen Formen beraubt zu sehen aber nicht zu erreichen waren und gleich der Lichtkränze von Glühwürmchen ihre Kreise zogen, die ganze Welt ein Wartezimmer, in dem sie bis zum jüngsten Gericht auf Erlösung oder Verdammnis warteten.

Hin und wieder konnte man zwischen den Bäumen noch die letzten Reste eines hohlen Umrisses aus Licht erkennen, die lange verlorene Form eines kleinen Kindes vielleicht, das sich ängstlich an ein affenartiges Plüschtier schmiegte und von allen verlassen seine Mutter suchte, ein kleines Mädchen mit Zöpfen und einem roten Kleidchen, ganz, wie man es in dieser Art von düsterem Märchen erwarten würde –

Oder vielleicht einen kleinen Jungen in schwarz, mit einer Haube aus dichtem, dunklem Haar und roten Gummistiefeln, der trotz seiner Angst versuchte, sich in dieser Finsternis seinen Weg zu bahnen – So akut die Pein dieser Abbilder doch wirkte und so aktuell der Schmerz dieser Erfahrungen in der Gegenwart noch sein mochte, waren sie doch genau wie diese Szene auf dem Spielplatz: Illusionen aus der Vergangenheit, deren Ausgang schon vor langer, langer Zeit entschieden worden war, aber zu schmerzvoll gewesen war, um verkraftet oder akzeptiert zu werden, sodass ihre Geister noch in der Gegenwart herumspukten, als ob die kleinen, verlorenen Seelen diese Augenblicke niemals verlassen hätten.

Sie waren zu Abbildern und Erinnerungen geworden, wie es das Schicksal aller Momente war, und der Tag war gekommen, an dem sie alle nur noch Abbilder ohne Behältnis waren, das Rohmaterial der Seelen, das in seinem Urzustand herum schwappte und auf ein Urteil warteten:

Das ganze Universum in den Händen eines kleines Kindes.

Und was sollte daraus werden?

Nun, das war noch nicht entschieden.

Die Lichter, die den Wald erfüllten, kehrten sich voller Erwartung der unscheinbaren Seele zu, die als ihr Prinz designiert worden war; Wohin er auch blickte, er war umzingelt von den Augen der Nacht.
 

9:

Ein Koloss, der einsam und allein durch die kalten, unendlichen Weiten der Ewigkeit driftete, ohne irgendeinen Weg dorthin zurück zu kehren, von wo er gekommen war, ein schwarzer Köper zwischen den Sternen, der ihre Lichter verdeckte, wenn er davor vorbeiflog.
 

Hätte er ihn nicht entfernt wiedererkannt, hätte Shinji ihm keine Funktion zuordnen können, die ihm bekannt gewesen wäre; Die Bewohner anderer Sterne hätten dieses Glück nicht gehabt und über seinen Ursprung nur rätseln können: Was auch immer es einst gewesen war, es hatte jeglichen Kontext in dem seine Funktion Sinn machte schon lange verlassen.

Es war im wesentlichen ein Asteroid, oder eher eine Raumsonde – definitiv ein Artefakt, doch gleich den Köpfen auf den Osterinseln stand es allein da, ohne irgendwelche Spuren der Zivilisation, die es hervorgebracht hatte, und doch unweigerlich ein Beweis dafür, dass so eine Zivilisation existiert hatte.

Kontext-Frei durch die Leere gleitend war es doch nach dem Bild seiner Schöpfer geschaffen, mit zwei Armen, zwei Beinen und einem Schwall von langem, blauen Haar, dass in der Ewigkeit vor sich hin schwebte und im Sternenlicht vor sich hin glänzte – Und Shinji glaubte in mehr als nur einer Hinsicht, es irgendwo schon mal gesehen zu haben oder seine Präsenz zu erkennen, doch genau so sicher war er sich, dass es anders aussah als das, was er in Erinnerung hatte: Es schien verblasst und versteinert, doch nicht wie etwas verfallenes, dass nur die Spur von etwas großem darstellte, sondern gleich den Fossilien in den Museen des 19. Jahrhunderts oder den Ruinen der Antike in der Renaissance, denen erst ihre große Macht zugesprochen worden waren, nachdem die bunten Farben ihrer Lebzeiten sich verflüchtigt hatten und eine kalkweiße Aesthetic reiner Formen zurück ließ.
 

Die gigantische Gestalt war zugleich ein Obelisk und ein Raumschiff, ein Monument und eine Arche, die letzte, vollreife Frucht eines Lebens, seine finale Form und zugleich ein Same, der seinen ein Dasein wie ein Ouroboros, für- und aus sich selbst, das sein eigenes Ökosystem war, eine Existenz von allem im einen, das Alpha und das Omega, die einander in die Schwänze bissen, und vor allem: Eine Barke in der Leere, eine Insel des Daseins in einem Meer des Nichtseins –
 

Es war nicht nur seine äußere Form, die ein Bild seiner Geburtsstätte enthielt, es hatte auch ein Innenleben: An den Ufern dieser Insel – wenn man diese Metapher denn fortsetzen wollte – hätte man eine ganze Welt, wie man sie im Geiste jeden Geschöpfes wiedergefunden hätte, bevölkert von Gestalten, die sich diese lange, lange Reise teilten, Gefährten in dem Medium, in dem sie das Licht durchquerten; Ohne getrennte Formen war es zu erwarten, dass sie eines Tages, wenn ihre galaktische Fähre tatsächlich an neuen Ufern anlegen würde, bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen sein würden und eine neue, höhere Existenz gebären würden, die keinem von ihnen glich, wenn die Abdrücke ihrer ursprünglichen Gestalten vom Lauf der Zeit weggespült worden waren wie Gebäude im Sand, doch bis jetzt war es nicht so weit geworden, was es den Zutaten in diesem Kokon eines jungen Gottes noch erlaubte, sich gegenseitig Gesellschaft zu leisten, bis dieser seine Transformation beendet und somit die Notwendigkeit für solche Dinge abgestreift hatte – Dieses hier war ein viel schmaleres Kollektiv, dass dennoch die Macht besaß, um in die anderen Iterationen von Transzendenz hineinzusehen.

Die Insel selbst war ein Biest, dessen wüste und leere Elemente und Splitter von Dasein und Instinkt die örtlichen Seelen bereits nach ihren Wünschen geformt und sich annehmlich gemacht hatten, bis es sich kaum von ihren eigenen Lebensunken aus Instinkt unterscheiden ließ, und sein Leib der ihre geworden war; Die Bewohner selbst, deren Existenzen eine Vielzahl komplexer, höherer Funktionen aufwiesen, waren noch nicht so weit und ließen sich daher als ein Quartett von Gestalten aufteilen, das in der inneren Weite der Kreatur existierte wie eine handvoll Charaktere im Verstand eines Künstlers;

Der wohl dominanteste Wille in diesem ganzen kontextualisierte sich selbst als ein etwa siebzehnjähriger Jugendlicher in einer Schuluniform, mit einem Pferdeschwanz aus schulterlangen, dunklen Haar und einem unverwechselbaren Paar von dunkelblauen Augen, die eigentlich nur einer Person gehören konnten, auch, wenn es sich in diesem Fall um eine Version aus einer alternativen Realität handelte.

Wie jeder Prinz hatte auch er einen Hof , ein Gefolge aus Beratern und Hofnarren, das ihm auf seiner Reise Gesellschaft leistete; Da waren zuerst mal zwei relativ klare Präsenzen, die in diesem Reich kaum neuer waren als er selbst, von denen eine die Form eines nymphengleichen, silbernen Jünglings annahm und die andere sich zumeist als eine schwarze Katze darstellte, bisweilen aber auch als ein junges Mädchen auftauchte, dass sich von der Katzengestalt nur die Ohren und den Schweif ausgeliehen hatte.

Die vierte Präsenz war nicht ganz so offensichtlich, weil sie bereits viel vollständiger mit diesem Ort verwoben war, aber man konnte ihren Schatten doch am Rande ausmachen, wie sie die drei 'Kinder' im stillen aus dem Abseits beobachtete – Aber auch Shinji's eigene Präsenz entging ihr nicht, sodass die Mächtige ihren Blick von der Konversation der anderen drei abwendete, um ihren extra dimensionalen Besucher willkommen zu heißen.

Auch sie war ihm keine Fremde, auch, wenn er sie nicht unbedingt als 'bekannt' bezeichnen würde: Die Frau mit dem weißen Kittel, ausnahmsweise mal nicht als Schatten, sondern als ein Umriss regenbogenartiger Verzerrung, der sich leicht aus dem Hintergrund hervorhob – Dennoch erkannte er sofort, dass sie es war. Wenn das so weitergehen sollte, würde er sich noch mehr an die Regeln dieses Ortes gewöhnen, als ihm lieb war.

Diese Frau zumindest schien genau zu wissen, was hier gespielt wurde, schien keinesfalls überrascht und verschwendete keine Zeit damit, zum Punkt zu kommen:

„Du willst wissen, was das hier ist, nicht war?“

Obgleich ihr Gesicht nicht erkennbar war, konnte er das Lächeln aus ihrer Stimme heraushören.

Für gewöhnlich würde er sich darüber freuen, das sie warm und freundlich klang, aber ihre vollkommene Ruhe im Angesicht dieses Anblicks hatte etwas unnatürliches an sich – dennoch konnte er ihre Schlussfolgerung nicht leugnen, und so bejahte er sie mit einem unsicheren Nicken.

„Nun, was du hier siehst ist, wie alles andere auch, eine andere Möglichkeit.“ erklärte sie.

„Es war von Anfang an mein Ziel, ein Monument unserer Welt zu hinterlassen und das Werk unserer Schöpfer fortzusetzen. Ob ich oder du derjenige ist, der diese Reise antritt, ist unwichtig.“

Sie deutete auf die drei Figuren, die sich in der Entfernung unterhielten. „In diesem Fall war das die einzige Möglichkeit, dein Leben zu bewahren, auch, wenn das die Möglichkeit aufwarf, dass dich dein Schicksal letztlich zu diesem Ausgang hin leiten würde.“

Shinji wusste gar nicht, wo er anfangen sollte.

„Monument? Schöpfer? Schicksal? Was in aller Welt- Wer sind Sie überhaupt?!“

Wider erwarten gab sie ihm tatsächlich so etwas wie eine Antwort, auch, wenn diese genau so verwirrend war, wie der Sachverhalt, den sie hätte aufklären sollen.

„Mein derzeitiges Gefäß in deiner Welt ist mir nicht zugänglich, solange sie sich die Frucht des Lebens noch nicht einverleibt hat. Erst durch sie erlagen wir Transzendenz und Einheit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber ich bin mir trotzdem sicher, dass sie bereits Bescheid weiß – Sie muss es sich aus deinen Erinnerungen zusammengereimt haben.“

„Was-“

„Mach dir keine Sorgen. Alles geschieht so, wie es geschehen muss.“

Sie streckte einen Arm nach ihm aus und berührte ihn an seiner Wange, und das löste sehr wohl eine Art Wiedererkennen aus, ein Einrasten der Geschichte, dass er noch nicht einzuordnen wusste.

„Solange die Sonne, der Mond und die Erde existieren, wird alles gut.“
 

10:

Ein surreales Labyrinth aus Säulen und Treppen, ein Spektakel aus Schachbrett-Fliesen, Geländern, barocken Ornamenten, gotischen Dachgebälken, und buntglas-Fensterrosen gespickt mit Reisverschlüssen in den Wänden, übergroßen Sonnenblumen, fraktalen Schachfiguren und schriftbedeckten Mauern, die sich zu unmöglichen Figuren zusammenfanden.

Lanschaften aus Noten und Musikinstrumenten unter einem violetten Himmel, Papierblüten bedeckt mit Gedichten und Nusschalen voll mit Sternen und Planeten, die sich zwischen Seen voller halbversunker Schulbanken tummelten und doch den Eindruck vermittelten, in diesem vollgepackten Wunderland nach irgendeiner internen Logik angeordnet zu sein, die ganz dem Autor dieses Parakosmos zuzuschreiben war.

Bisweilen waren größere Strukturen mit Mosaiken bedeckt, die man mit Gemälden von Gustav Klimt oder Friedensreich Hunderwasser hätte vergleichen können, wobei man den Gesamt-Anblick auch mit diversen Videospiel-Level Designkonzepten hätte vergleichen können, auch wenn das eine vage, blasse Metapher war, die der Realität des Ortes nicht gerecht wurde, welcher sehr stofflich, räumlich und ausgesprochen dreidimensional war, voll mit intensiven Farben, deren bloße Existenz die Realität selbst in frage stellte.

Es war ein Traumland, eine klumpige Menge aus den physischen Repräsentationen reiner Konzepte auf einem Haufen, nicht bloß die blanken Definitionen, sondern mitsamt ihrer Bedeutungen und Konnotationen, sowohl solche, die allgemein akzeptiert waren als auch ganz persönliche – manche Begriffe waren wichtig, andere eher unwichtig, einige waren positiv besetzt, andere hingegen negativ, manche auch neutral, aber wenn das ganze Spektrum vorhanden war und die ganze Welt hier in Konzepte eingefasst war, musste es auch ein Äquivalent für die Idee einer „Hölle“ geben, die bloße Idee von Finsternis und Negativität, sicher verankert wo die kuchenstückartigen Ausschnitte dieser Welt zusammenliefen wie Feldlinien, an dessen Pol eine einzige, zentrale Idee 'geklebt' war, eine Vereinigung von 'Ruine' oder 'Nekropole', ähnlich einem runden, teils zerschlagenen Kolosseum aus Stockwerken von Säulenbögen, Statuen und eingravierten Texten, Namen vielleicht, oder einfach nur Prinzipien, die als Säulen der Welt angesehen würde, und wie ein solches altes, von lang vergangener Gewalt beschädigtes Gebäude war es zu zerstört, um noch von nutzen zu sein, aber doch in irgendeiner Form zu wertvoll, um zurückgelassen oder vergessen zu werden, und so schien es die Momente vom eindringen einer tödlichen Klinge bis zur letztlichen Entleerung allen Blutes zu verkörpern, oder noch darüber hinaus die Abwesenheit eines erlösenden letzten Endes, all dies, was zwar in irgendeiner Form noch nicht vollends zerstört war, aber doch so weit beschädigt war, das es niemals wieder ganz sein würde, und dazu verdammt war, die Ewigkeit als Abbild dieses Schadens zu verbringen.
 

In der Realität hätte man im inneren dieser Arena eine begrenzte Menge an Raum vermutet, vielleicht eine Arena aber darüber doch den offenen Himmel, doch statt dessen enthielt sie ein Labyrinth gleich einer alten Kirche, voll farbiger Fenster und Gemälde, die Szenen aus einer wesentlich neueren Art von Legende darstellten, darunter in einem alten Kunststil gehalten einen Jungen an einem Bahnhof, einen gewissen Zugwagon oder einen Kassenspieler, der gleich einer Reliquie mit Kreisen und Symbolen umgeben war, Szenen die er kannte, und vielleicht noch beängstigter, Szenen die er nicht kannte, wie ein Geschwader aus geflügelten Gestalten mit jeweils einer Lanze, oder einen weißen Riesen inmitten eines Strudels aus Ringen –

Doch obwohl das Kolosseum in inneren vielmehr Raum enthielt, als hätte hineinpassen sollen, gab es doch eine Art Innenraum, wo die Arena hätte sein sollen, eine 'Unterwelt' unter einem gotischen Gebälk, umstellt mit strahlenden Fenstern, die gar nicht zur Außenwelt hätten reichen sollen, aber durch die dennoch Licht in unglaublich intensiven Farben zu strahlen schien, unter anderem eine Parodie einer Weihnachtszene, in denen die Eltern durch seinen Vater und EVA 01 ersetzt worden zu sein schienen, mit Fuyutsuki, Ritsuko und einer dunkelhaarigen Frau, die Ritsuko recht ähnlich sah, als den drei Königen inklusive der juwelenbesetzten Kleidungen, unmengen von Heiligen-Statuen mit bekannten Gesichtern und der Gestalt eines attraktiven Jünglings am Kreuz, den er bis jetzt nur aus seinen Visionen kannte, und auch auf einem der Fünf großen, stockwerk-hohen Fenstern zu sehen war, die neben ihm selbst und einem fremden Mädchen auch überlebensgroße Abbilder von ihm selbst, Asuka und Ayanami in ihren Plugsuits zeigten.

Trotzdem war der Raum von den Arkaden unterbrochen, die man im Innenraum einer Kirche vermuten würde, und auch die Sitzbänke, die man im Kirchenschiff erwarten würde, waren zum teil vorhanden, obgleich sie zum Teil überwuchert waren – An mehr Stellen als nicht war der Boden aufgebrochen und gab den Blick frei auf eine Vielzahl von Pflanzen, die aus den Rissen hervorsprossen und alles daran ausfüllten, wobei auch die Pflanzen selbst von deutlich symbolischen Charakter waren: Nicht nur Weinranken und Weizenreben überrannten das Bauwerk, auch schwarze Rosen und blaue Blumen sprachen von Verderbnis und Sehnsucht, Sonnenblumen erzählten von Wahnsinn, Mistelbeladene Eichen von Magie, Kornblumen und Mohnblüten von Blutvergießen und ganze Apfelbäume von Versuchung, und auch die traditionellen Gewächse der Unterwelt hatten einiges zu sagen: Hatte es oft Debatten darüber gegeben, ob die andere Seite dem eisigen Norden oder einem See aus Feuer glich, müsste sie um alle Seelen zu behausen, die jemals gelebt hatten und jemals leben würden, doch weiter sein als unsere Welt, oder zumindest nicht kleiner, und von einigen ihrer Gefilde sagte man, dass sie reich bewachsen waren, und strotzten vor Asphodel, Spinnenlinien, Granatäpfeln, weißen Lilien und weißen Pappeln;

Die Säulen waren umrahmt von Engelstrompeten und Cannabis-Pflanzen, durchwachsen mit simplem Löwenzahn oder solch göttlich-verehrten Gewächsen wie der Kokosnus, den Feigenbäumen und dem Olivenbaum, ja selbst einigen von den durchscheinenden Licht-Gewächsen aus jedem entfernten Garten, ein Sammelsurium aus unmöglichen Gewächsen, die den schachbrettartigen Boden durchbrachen, aus dem sich die Treppen zur Erhöhung des Querschiffs dann wieder abhoben; Die mit stilisierten Sternen und Planeten besetzten Vorhänge bestätigten sowohl dessen Funktion als Symbol des Himmelsreichs als auch die Ähnlichkeit mit der Erhebung einer Bühne, dem Ort, an dem sich Tragödien abspielten, ein Motiv, das auch von den goldenen Emporen mitgetragen wurde;

Das Westwerk war verziert mit Steinskulpturen von zerborstenen Wolkenkratzern.

Die Apsis und die Kanzel waren erfüllt mit fraktalen Monumenten, in denen Geometrie mit Statuen von Mensch, Engel und Evangelion verflochten war, und statt Statuetten von Heiligen besetzten unbekleidete Abbilder von Ayanami die Torbögen, abgesehen von einer, die sie als kleines Mädchen in einem Kleid darstellten; Im Taufbecken war ein Entryplug-Kontrollsitz versenkt, doch wo man den Altar vermutet hätte, lag – wohl, zunächst einmal ein verzierter Steinblock, der einem alter ähnelte, aber darauf waren die Stahlsstangen eines Bettes versehen, um das sich neben Bohnenranken, Tiger- und Stargazerlilien auch Plastikkanülen und Infusionsbeutelampullen rankten und es somit symbolisch als Krankenhaus-Bett auszeichneten.

Und wer war der Patient?

Eingewickelt in eine mit Zeichnungen von Sternbildern dekorierte Decke (Die tatsächlich den Stand von Sternen und Planeten am Tag einer bestimmten Geburt darstellte) saß ein Junge, bleich, abgemagert, mit dicken, schwarzen Augenringen, das dunkle Haar zerzaust, der Ausdruck in seinen Augen von jeglicher Hoffnung ausgekratzt und mit den Spuren lang verflossener Tränen besetzt, augenscheinlich das Zentrum und zugleich der Meister dieses ganzen Theaters, und doch unfähig, es zu unterbinden, ob es nun an seinem Ansatz oder mangelnden Möglichkeiten lag, und so drehten sich weiterhin die Zahnräder, und die Uhren tickten weiter bis zu ihrem unausweichlichen Schicksal.

Das Unheil war noch lange nicht vollendet und man konnte sich Umstände vorstellen, unter denen es abgewendet werden können hätte, doch wenn sich die Vorzeichen nicht aufhörten, sich eines nach dem anderen erfüllten, und der Fluss der Zeit keine Anzeichen zeigte, sich zu verlangsamen, schien es schwer zu glauben, das sich die Finstere Vision nicht erfüllen sollte.

In Anbetracht dieser nahenden Katastrophe war es wohl kaum ein Wunder, das sich der Junge dicht unter seiner Decke zu verbergen versuchte, als wollte er sich durch sie von der Außenwelt abschirmen wie durch einen schützenden Kokon, und dann vielleicht war es möglich, das er das Nahende Unheil einfach verschlafen würde, ohne großartig etwas damit zu tun haben zu müssen – Doch so sehr er auch versuchte, seine Ohren vor den schneidenden Symphonien verbergen zu können, was auch immer da draußen lag, weigerte sich, ihn zurück zu lassen, weder die Bewohner seiner eigenen Welt, noch die dessen, was noch irgendwo weit darüber Hinaus existierte.

In den Buntglasfenstern, die rein räumlich nicht an die Außenwelt hätten grenzen sollen, zeigten sich dennoch die überlebensgroßen Schatten-Silhoutten nahender Präsenzen, deren Schritte dort draußen um sich gingen, die ungefähren Formen zweier junger Damen, eine schlank und athletisch, die andere hochgewachsen und doch kurvenreich, mit zwei langen Zöpfen, die ihr Schatten klar nach sich zog;

Erst waren da lediglich ihre Schritte, doch auch, wenn ihre Anblicke lediglich im Kreis zu gehen schienen, kamen deren Geräusche doch näher und näher – Der Junge konnte sich durchaus unter seiner Decke verschanzen und so tun, als könne er sie nicht hören, aber ihren Stimmen dort draußen konnte er sich nicht entziehen:
 

„Das ist ja mal wieder typisch für diesen Bengel Shinji! Nichts hier macht auch nur im Entferntesten irgendwelchen Sinn! Ich schwöre es dir Vierauge, der einzige Grund, ist das er immer so ein hochgestochener Möchtegern war. Ein Musiker, das ich nicht lache! Das, oder seine Synchronwerte von damals sind ihm zu Kopf gestiegen!

Kein Wunder, dass das hier so gigantisch ist, wenn er trotz allem was passiert ist, nur an sich selbst denkt, dieser Wichtigtuer!“

„Aber aber, eure Hoheit, ist das nicht ein etwas einseitiges Urteil? Ich glaube das es eher daran liegt, das er introvertiert ist.“

„Willst du damit sagen, das er irgendwie tiefsinniger ist als ich? Dieses dumme Kind?“

Das beschwichtigende Kopfschütteln war fast schon hörbar: „Nein, nein, nicht unbedingt. Aber, wenn du den Großteil deiner Zeit in deinem eigenen Kopf verbringen würdest, würdest du ihn dann nicht auch großzügig mit Möbeln ausstaffieren?“

„Ich würde gar nicht erst meine Zeit mit so etwas verplempern! … Heißt das, jedes mal, wenn vor sich geträumt hat, statt mir gescheit zu zu hören, oder mit seinen Kopfhörern vor s

„Sozusagen.“
 

Die Decke über den Kopf ziehend und ein paar ballen Stoff greifend, um sie an je eines seiner Ohren zu pressen, konnte er sich ihnen dennoch nicht entziehen; selbst, wenn er sie nicht hätte hören können, selbst, wenn er sein besten versuchte, ihr Dasein zu verleugnen, so konnte er die nahenden Schritte nicht ausblenden, die harten Worte und die klaren Meinungen, die darin enthalten waren – zumindest von einer der beiden.

Der anderen mangelte es an der selben Strenge, doch war sie kaum verzagt, unangenehme Realitäten auszusprechen, und während sie weiter voran ging und in melodischem Singsang einen Reim vor sich hin säuselte, dessen fast schon prophetische Implikationen und subtiler, surrealer Horror in den Sälen und Gängen dieser Struktur umher geisterten, ohne das sich das unheimliche daran genau hätte festmachen lassen:
 

„There’s no earthly way of knowing

Which direction we are going

There’s no knowing where we’re rowing

Or which way the river’s flowing

Is it raining, is it snowing

Is a hurricane a-blowing

Not a speck of light is showing

So the danger must be growing

Are the fires of Hell a-glowing

Is the grisly reaper mowing

Yes, the danger must be growing

For the rowers keep on rowing

AND THEY'RE CERTAINLY NOT SHOWING

ANY SIGNS THAT THEY ARE SLOWING“
 

11:

Nerv HQ, aber nicht so, wie er es kannte:

Vor ihm lagen die vertrauten Orte, an denen er für die letzten Monate fast jeden Tag sein Tagewerk verrichtet hatte, mitsamt der räumlichen Vertrautheit, die durch und durch bekannten Orten anhaftete, dem bestimmten Gefühl des bereits eingeordneten Durchschreitens, bei dem man sich nur noch für spezifische Nachkorrekturen genauer hin sehen musste; Einst hatte er diese hallen als finsteres Katakomben-Labhyrinth erlebt, von dem er überzeugt gewesen war, das es mit Sicherheit sein Grab werden würde, die Höhlenhafte Werkkammer schwarzer Magier, allen vorran sein eigener Vater, dem das ganze als Institutsleiter letztlich zugehörig war;

Später hatte er gelernt, ein kompliziertes Meisterwerk der Hochtechnologie darin zu sehen, den Arbeitsplatz vieler hundert Menschen, die ihr Überleben in ihre eigenen Händen nehmen wollte, die Speerspitze einer Unternehmung, auf das sich letztlich sämtliche Ressourcen der Menschheit konzentriert hatten, und mit der Zeit war es zu seinem eigenen Arbeitsplatz genommen und hatte trotz seiner enormen Signifikanz die Banalität angenommen, die einem solchen Ort anhaftete, einfach dadurch, dass es zum Schauplatz lästiger Nachmittagsaktivitäten erklärt worden war, und letztlich sah es der Junge oft genug, das es bisweilen als Schauplatz in seinen Träumen aufgetaucht war, ohne das daran etwas herausragend besonderes gewesen wäre – Doch bei dem, was er jetzt vor sich sah, handelte es sich keinesfalls um so eine beiläufige Begebenheit, und die Bilder, die er sah, waren trotz der bekannten Motive in einen Eindruck der Falschheit getränkt:

Er glaubte, die Geofront zu sehen, doch alles war getränkt in das kalt-weiße Licht einer hinter Wolken verhangenen Sonne, nicht dem rötlichen Gold ihrer artifiziellen Beleuchtungen –

Die Getränkeautomaten der Warteräume lagen leergefegt da, die Bänke waren außer Position, die endlosen Aufzüge und Rolltreppen des Hauptquartiers surrten ohne das Hintergrundgeräusch der allgegenwärtigen Durchsagen, und keine Menschenseele war irgendwo zu sehen –

Mehr noch, je genauer man hinsah, umso deutlicher wurden die Anzeichen irgendeines lange vergangenen, bitteren Konfliktes:

Wände waren derartig von Projektilen zerschlagen, dass man die NERV-Insignien darauf kaum noch zu lesen vermochte, in den Gängen waren die Wandplatten zerschlagen und Drähte ausgerissen; Einige Korridore waren fast vollständig mit einer festen, plastikartigen roten Substanz blockiert,die von den Formen her einer erstarrten Flüssigkeit ähnelte, und in der großen Halle, in der die EVAs oft von einer Art Drehteller zu den Schächten befördert worden waren, war alles davon bedeckt, ja, die Vertiefung sogar ganz ausgefüllt, und hier und da ließen sich sogar ganze Panzer erkennen, wenngleich sie auch halb im roten Matsch versunken und vor langer Zeit verlassen wirkten;

Mehr und mehr dieser Bilder zeugten von wesentlich deutlicher Gewalt: Einer der Zugangschächte zu den Evangelions was völlig zerbombt, ein Stück von mehreren Stockwerken herausgebrochen, und eine Flüssigkeit, die nicht dem vormals erblicktem künstlichern Bernstein gleichen konnte, weil sie nicht erstarrt war.

Doch noch beunruhigender war, was darin zu schwimmen schien: Ein Fetzen einer roten Uniforjacke, deren Besitzerin er überall wiedererkannt hätte...

Die Jacke an sich war leer, was an sich eine Entfernung zu ihrer Besitzerin angedeutet hätte, wäre da nicht die insgesamte Surrealität der Szene und ihre weiteren, unstimmigen Details: Einmal der durchnässte Zustand selbiger Jacke, andererseits die Abbilder weiterer Korridore, in denen ebenfalls Fetzen weiterer Uniformen am Boden lagen, teils aus erstarrten roten Plastik ragend, bisweilen aber auch simpel auf dem Boden verstreut, zwischen Waffen, Kommunikationsgeräten, und unbestimmten Pfützen in Rotorange, NERV- und Militäruniformen zugleich, wobei das Verdächtigste doch das blieb, was nicht zusehen war: Irgendwelche Menschen oder Körper, weder lebendig noch tot, und das, obgleich sich stetig Szenen größerer Gewalt einreihten:

Der Cage von Einheit Eins, genau, wie er ihn vor Monaten das erste mal getroffen hatte, nur, das etliches davon mit einer roten Kruste überzogen und nach oben bis zum Himmel freigeprengt worden war, sodass die Sonne nun auf die verfärbten Metallplatten herunter starrte.

Die NERV-Pyramide, von der ein gutes Stück fehlte, und deren künstlicher See gänzlich mit irgendeinem rötlichen Material geflutet war – Das Central Dogma, gepickt mit Kugel-Löchern und getaucht in schummrig-rötliches Licht von zinnoberroten Kristall-Spitzen, und keine Menschenseele –

Kein surren und klicken, keine Tippgeräusche, keine Abbilder virtueller Realität, und keine Besatzung – Dieser Raum, in dem sonst immer zu 24 Stunden mindestens eine Notfall-Crew anwesend zu sein hatte, lag völlig verlassen in vollkommener Stille – Absolut niemand war an seinen Stationen, nicht Agano, Oii und Mogami von der Beta-Schicht, und schon gar nicht das Trio aus Technikern, mit denen er es meistens zu tun hatte, von Misato und Ritsuko ganz zu schweigen – von niemandem war auch nur die geringste Spur zu sehen, ihre Sitze waren allesamt unbesetzt.

Oder nein, bei genauerem hinsehen entsprach das nicht ganz der Wahrheit:

Wenn man sich der Stühle genauer besah – nicht nur hier auf dieser einen Station, sondern auch weiter unten auf den tiefer gelegenen Posten, konnte man erkennen, das sich doch noch etwas darin befand, auch, wenn einem das im rotverkrusteten Halbdunkel nicht sofort auffiel:

Die Uniformen der Techniker, teils noch in Position, teils in sich zusammengefallen oder über den Tastaturen, waren noch genau dort, wo man sie an einem durchschnittlichen Arbeitstag erwarten würde, auf 'ihren' Sitzen –

Doch sie waren hohl und kopflos, frei von irgendwelchen Gliedmaßen, die sonst ihre Formen gespannt hätten, oder Hälsen, die aus ihren Krägen heraus gesehen hätten.

Vielleicht war es die absolute Einsamkeit dieses Szenarios, oder die unheimliche Natur des ganzen Szenarios, aber irgendwas, das speziell den 'ausgelehrten' uniformen anhaftete, jagte einen eiskalten Schauer über Shinji's Rücken, ähnlich einem Wiedererkennen oder dem genauen Moment, in dem man sich der Anwesenheit eines Raubtiers bewusst wurde, eine Erinnerung wie an an einen halb vergessenen Traum, von dem man einen Eindruck erhalten hatte, den man hinterher nicht mehr zu erklären vermochte, und Shinji versuchte sich klar zu machen, dass es nur eine all zu verständliche Reaktion war, die außer des Anblicks selbst keinen weiteren Erklärungen bedurfte –

Nur von dem Anblick selbst und der verdächtigen Kombination aus dem, was vorhanden war, und dem, was fehlte, war klar, dass sich hier irgendwas Unheiliges abgespielt hatte, von den ausgeweideten Konsolen und herabhängenden Drähten, von denen aus der Gestank vermoderter organischer Prozessorkomponenten breit machte, ganz zu schweigen – Doch diese sollte im inneren der mechanischen Komponenten der Magi eingefasst sein, und vermochten nicht zu erklären, wie der Boden und Teile der Tastaturen mit einer klebrigen Substanz überzogen worden waren – Das ganze hätte eine auf Horrorfilme oder Creepypastas ausgelegte Bingoliste zu genüge füllen zu können, die Bestandteile einer Falle, die nur darauf wartete, zu zu schnappen, und doch würde sich die Spannung erst dann legen, wenn er den Köder geschluckt hatte, und so konnte er sich nicht daran hindern, das Verderben einzuladen.

Bis zu diesem Punkt hatte Shinji keinerlei Konzept davon gehabt, in dieser Vision oder Vorstellung in irgendeiner Form physisch anwesend zu sein, doch in dem Moment, in dem er die Idee erfasste, die leere Uniform zu berühren, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich leer war, erreichten die Finger seines ausgestreckten Armes das Gummi des Uniformanzugs, wie die Finger des zweifelnden Jüngers nach den Wunden des Messias – Und führten zu einer physischen Reaktion, als seine Berührung den Schwerpunkt des bereits prekär platzierten Kleidungstück verschoben, sodass dieses aus dem Sitz glitt und auf dem schleimigen Boden landete, wo sich sein Inhalt spritzend ergoss – ein klebriger, viskoser Inhalt, welcher Shinji's weiße Turnschuhe bespritzte und auch prompt erklärte, was die Böden und die tasten besudelt hatte – letzten Endes, wohl möglich die Überreste des Menschen, der hier seinen letzten Dienst an seinesgleichen verrichtet hatte.
 

Schlagartig begriff er, dass es sich mit den anderen zusammengesunkenen Uniformen auf allen anderen Sitzen ganz genauso verhalten musste, nicht nur hier, sondern auf den anderen Platzformen, und auf denen konnte e von den leeren Uniformen nur all zu viele erkennen, die letzten Hinweise auf Menschen, deren Form vollkommen unkenntlich gemacht worden war, in der Art einer Leiche, die vollkommen verwest oder von einer Explosion zu rosa Nebel zerfetzt worden war... auch, wenn ihm keine Todesart einfallen wollte, die das als Resultat haben würde – man könnte fast meinen, sie wären einer art dämonischem Ritual zum Opfer gefallen.

Man konnte sich natürlich denken, was das für Konsequenzen hatte – Misato? Ritsuko? Ob ihnen das gleiche geschehen war, stand in den Sternen, aber es war gut möglich; Er wollte gar nicht daran denken – das bedeutete wohl auch, das all die Kleiderfetzen in den Korridoren etwas ähnliches zu bedeuten hatten: Es hatte nicht nur eine große Schlacht gegeben, nein, am Ende hatte irgendetwas gigantisches und schreckliches alle Überlebenden hinfort

gewaschen.

Er roch, atmete und watete durch menschliche Überreste – überwältigt blickte er sich um und wurde sich bewusst, was eine jede dieser verlassenen Uniformen bedeutete, wie auch jedes der zerfetzten Kleidungstücke, die er auf dem Weg hierher gesehen hatte.

(Irgendwo in den Netzwerken seines Verstandes flackerten ein paar tief vergrabene Verbindungen auf, derer er sich eine lange Zeit nicht bedient hatte, eine Ahnung eines wesentlich dickeren Anzugs aus weißen Gummi, deren zusammen geknautschte Form nicht mehr in der Halterung bleiben wollte, die ihn bis jetzt in Position gehalten hatte, und heiße Flecken von roter Flüssigkeit, die sein Gesicht benetzt hatten, als sein zerflossener Inhalt zu Boden gestürzt war.)

War ihm dieser Ort eben noch zum schreien leer vorgekommen, so offenbarte er jetzt seine vielen, zahllosen Geister, die Überbleibsel von mehr als nur einem Weltuntergang, und er erschien beinahe erdrückend vollgepackt von den Schatten der Vergangenheit; Selbst die Zerstörung, wie er sie jetzt vor sich sah, war nur ein überlagertes Abbild, eine Summe der tausend Tode, die jede einzelne Person hier erlebt hatte – das, was sich gerade über den Boden ergossen hatte, war wohl einmal Hyuuga gewesen, aber es gab wohl auch Welten, in denen er seinen Weg hierher nicht gefunden hatte, und es ihr wohl irgendwo anders hin verschlagen hatte, fehlende Stimmen im Kanon seiner jetzigen Gestalt – Das selbe galt wohl für alle Individuen, die ihre letzte Ruhestätte in NERV's Katakomben gefunden hatte – Selbst auf der Kontrollstation weiter oben dekorierte Fuyutsuki's verlassene, braune Uniform eine Konsole, an der ein rot-orangener Fleck die Außenwand hinabfloss – Shinji wagte es kaum, sich dieses Postens näher zu besehen, aus Angst davor, mit Sicherheit festzustellen ob die Uniform seines Vaters ebenfalls dort zu finden war, oder nicht; Für die widersprüchlichen Gefühle, die das wohl in ihm auslösen würde, war er bei weitem noch nicht bereit, und so flüchtete er sich zu den Phantomen, die für ihn noch wie eine fremde Sprache waren, vielleicht in resignierter Anerkennung, das er zu ihnen dazu gehörte, selbst noch ein Überbleibsel einer vergangenen Welt, in der für ihn kein Platz mehr war.

Die Schatten, die diese Katakomben bevölkerten, schienen keinen Grund mehr zu haben, sich vor ihm zu verstecken, und wendete sich statt dessen zu ihm um, als sei er der König, in dessen Hofstaat sie zu huldigen hatten, oder der Zauberlehrling, der sie leichtsinnig herbeigerufen hatte.

Und die er rief, die Geister, die ward er jetzt nicht los:

Schemenhafte Luftgestalten lösten sich aus der Atmosphäre, wo immer er auch hintrat, und ihre Bewegung, während er zwischen ihnen hindurch rannte, war alles, was sie vom Nichtsein unterschied: Die Abbilder waren mannigfaltig und doch oft Variationen des selben Objekts, Refraine des selben Rondos, wie die sechs Flügel eines Cherubs.

Auf dem Steg in Eva 01's Cage, auf dem nun das Licht herab fiel und die Wildblumen sprossen, grüßte ihn ein zu langsames Daumenkino aus silbernen Jünglingen. Einer saß in einem dunkelblauen Plugseuit am Rande, die Beine in die tiefe Baumeln lassend, und wendete sich nachdenklich zu ihm um. Einer empfing ihn mit einem breiten Lächeln und weiten Armen in einer Schuluniform.

Ein weiterer saß in Schwarz da, in einer Art Uniform mit einem dreieckigen Ornament und einem magentafarbenen Unterhemd unter seiner offenen Jacke, ein anderer wiederum hatte die Gestalt eines Kindes in einem Matrosenanzug, mit verbundenen Handgelenken.

Ein anderes Abbild materialisierte sich in seiner unmittelbaren Nähe, sein schwarzer, mit einer 13 versehener Plugsuit halb abgelegt, sodass der schwarze Reif um seinen Hals zu erkennen war.
 

Sie alle blickten Shinji an, und obwohl ihre Mienen zum großen teil freundlich und in fast allen Fällen zugewendet wirkten, so schien das sein Gefühl der Scham und des Vorwurfs nur zu erhärten.

Schuld schnitt sich in sein Fleisch wie ein schwellendes Orchester von tösenden Geigen und Harfen, Pauken und Trompeten dröhnten in seinen Ohren und animierten seinen Herzschlag zum marschieren, sodass er sich abwendete und die Flucht ergriff, doch wo hätte er sich vor einer Gewissheit verstecken können, die er unweigerlich im Herzen trug?

Zum ersten mal bemerkte er neben dem Verfall auch die Versuche des Lebens, das dunkle Labhyrinth zurückzuerobern: Efeuranken, welche Stühle bewucherten, kleine gelbe Blumen, die zwischen Panzerplatten hervorlugten, und Baumwurzeln, die in langweriger Arbeit Metallplatten verschoben hatte – war es der letzte Versuch des Lebens, eine verlorene Schlacht zu schlagen, die Reconquista der Natur, nachdem ihre Peiniger sich endgültig selbst zerstört hatte, oder lediglich der Verfall einer Leiche, die restliche Fruchtbarkeit eines Epizentrums, wo einmal der Ursprung des Lebens gelegen hatte?

Vielliecht war es aber die Bepflanzung des Grabes zu Läuterung der Sünden, doch Shinji verstand das, was auch immer für ein Leben aus diesen letzten Funken des Grüns hervorkommen würde, er selbst würde daran keinen Anteil haben – es würde erst viel später geschehen, weit nach seiner Zeit, wenn es den überhaupt jemals wieder Hoffnung geben sollte, doch für das Leben, wie es jetzt existierte, war er nicht ein teil davon, sondern unweigerlich ein Fremdkörper, wenn nicht ein Feind; Sein Atem ließ die Rosenblütenblätter verwelken, und sein Atem verstreute die Kischblüten in alle vier Himmelsrichtungen.

Er gehörte zu den Geistern, und so schien es beinahe unvermeidlich, das er ihnen nicht entfliehen sollte; Falls er auf dieser Welt jemals willkommen gewesen war, so hatte er diese Zeit weitaus überstrapaziert, und die seinigen beobachteten ihn in der Erwartung, wann er sich ihnen den anschließen würde.

In jedem Korridor, den er durchrannte, traf sich eine Ansammlung mehr oder weniger vertrauter Gespenster;

Hinter den Türen fand er bald Asuka, nackt bis auf ihre Unterwäsche und mit geschwärzten Wunden an etlichen Körperstellen, wie sie mit kalten, unerbittlichen Augen auf ihn herabstarrte und ihn der Feigheit und Selbstsucht bezichtigte, und mal seinen Vater, dessen schemenhafte, dunkle Gestalt gleich einer unergründlichen, ausdruckslosen Statue in den Schatten stand, unerreichbar und unberührbar wie eine seiner Maschinen, mit einem Herz aus Stahl.

Anderswo kreuzte der Anblick von Misato, Kaji und Ritsuko seinen weg, alle mit durschossenen Körpern, von denen sich das Blut langsam und stetig auf dem Boden ausbreitete, und anderweitig stieß er sogar auf die blaue Blume vergangener Dichter, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne - Eine solche Blüte spross von der Ranke eines Baumes, von denen Wurzeln und Äste durch eine zersplitterte Korridorwand hineinbrachen, aber da waren auch ein paar Mädchen, ein paar Fremde, die Ayanami hätten sein können, sich seiner aber mit Furcht und Unsicherheit besahen, wie eines bedrohlichen Fremden, von dem sie verschont werden konnten.

Da war eine junge Dame in einem schwarzen Plugsuit und ein kleines Mädchen in rot, denen er weder bekannt schien, noch vertraut war und trotz ihrer unterschiedlichen Körperlichen Reife hielten sie aneinander fest wie Kinder – Es war das dritte, geringfügig ältere Kind, welche die anderen beiden an der Hand führte, und auch sie betrachtete ihn nur mit entfernter Neugier, und so kam es dass die Flucht, in deren Ausführung er vom Steg des Cages geflüchtet war, ihn wie so oft zurück in den Cage von Einheit Eins zurück führte, dieses mal auf dessen Boden, mit dem er für gewöhnlich sehr wenig zu tun hatte, und der auch oft mit Kühlmittel geflutet war.

So weit er auch rennen mochte, so oft er auch versuchen sollte, sich seinem Schicksal zu entreißen, er konnte ihm nicht entkommen, da es letzlich doch seine eigenen Wahlen waren, die ihn wieder und wieder hierher zurück führten.

Die Erscheinungen um ihn herum waren von seiner Flucht freilich nicht sehr beeindruckt gewesen und tummelten sich weiter überall, wo seine Präsenz den Äther umherwirbelte, spielende, nackte Kinder eines alternativen Paradieses, alle mit diesem selben, schmerzlichen Gesicht, abgesehen von ein paar Gestalten, für die jedwede Variante der menschlichen Form zu beschränkt gewesen war, Prinzen mit Regalien aus Engelsfedern, Insektenflügeln und Pest-Masken, spielerische, tummelnde Kreaturen, deren vollständige Existenz niemals zustande kommen würden, so das ihre Echos auf ewig der Nachhall einer unerfüllten Möglichkeit bleiben würde, die versprochene Welt einer Verheißung, die sich nicht bewahrheitet hatte, und Shinji schloss dass es nun die dafür vorgesehenen Zeir war, endlich zu akzeptieren, dass er dieser Gestalt in all ihren Facetten genau so wenig entkommen konnte wie dem Pfad, der ihn hierher geführt hatte, und das aus sehr ähnlichen Gründen.

Resigniert und missmutig aber zugleich zur Konfrontation entschlossen folgte er seinem Pfad, wohl wissend, wo dieser ihn letztendlich hinführen wusste, kaum überrascht, als sein Blick letztlich auf ein paar Schuhe zu liegen kam, die geringfügig stofflicher wirkten als die nackten Füße der spielenden Cherubin, welche sich gleich trugbildern in den Sonnenstrahlen vergnügten.

Shinji blickte auf und sah einen Jüngling an einem Klavier sitzen, eine überirdische Gestalt mit der Art von Schönheit, die man sonst nur in Märchen und Legenden antraf, vollkommen genug, um jemanden zu Tränen zu rühren oder mit so einer Intensität im Besitz zu nehmen, das einem schwindelig wurde, von solcher Grazie, dass an an dem Verdruss vergehen könnte, seine Nähe missen zu müssen, der Tod am gebrochenen Herz, gegossen in eine entfernt menschenähnliche Form, die doch etwas viel idealisierteres und verklärteres war als das Fleisch eines haarigen Affens, das durch viele Jahrmillionen schlampiger Evolution kurzzeitig und fehleranfällig in der Lage sein sollte, höhere Konzepte zu enthalten und auf sehr fehleranfällige Art und weise auszutauschen.

Er war ein vor Gaben und Segen strotzender Halbgott, mit Haar wie Mythrill und einer Haut wie Magnolienblüten, welche das weiß seines Uniformhemdes dagegen dunkel erscheinen ließ. Anders als bei der Version seiner selbst, der er oben auf dem Steg begegnet war, trug er ein magentafarbenes statt einem orangenen Hemd, einen etwas anderen Haarschnitt, und das selbe, schwarze Halsband mit dem ihm schon eine weitere Erscheinung entgegen getreten war, doch all dies waren nur die üblichen, minderen Variationen und Fluktuationen im wiederkehrenden Lauf der Dinge – weiß der Geier, welchen alternativen Versionen von ihm dieser Junge bereits entgegengetreten war, doch ob er nun darüber Bescheid wusste oder nicht – und es würde Shinji nicht wundern, wenn doch – schien es seine gottesgleiche Seelenruhe nicht zu stören:

Er saß dort, allen messbaren Anzeichen nach ruhig, offen und entspannt, und blickte willkommen-heißend zu Shinji auf, mit dem gelassenen, barmherzigen Lächeln eines göttlichen Avatars.

Die Erhabenheit und Majestät seiner Präsenz machte aus dem simplen Klavierhocker einen Thron, und er saß darauf in Erwartung, mit der er auch zu Shinji aufblickte, dessen Position ganz im Gegensatz dazu geneigt, verstört und voller Scham war, und klar anzeigte, wie sehr es ihn reute, seinem Gegenüber in dieser Situation entgegen zu treten.

Und was für eine Situation sollte das sein? Nun, sein Verständnis davon war im derzeitigen Zustand recht diffus, die dazugehörige Emotion war sehr klar zu fühlen und kaum übersehbar, aber die Worte dazu waren nun eine gänzlich andere Angelegenheit.

„Die ich rief, die Geister-“ erklärte er recht unhilfreich, entsprechend dem Fluss des Gefühls, das nun Wellen gleich aus ihm hervor strömte. „-Die werd' ich jetzt nicht los!“

Doch sein Gegenüber schien zu verstehen, und lächelte ihn nur zuversichtlich an:

„Du suchst den Geist, der dir gleicht.“ bemerkte er, ganz beiläufig, wie in einem kuriosen Gespräch zu einer Tasse Tee. „Das ist ein Bestreben, dass ich sehr gut verstehen kann, aber wenn du dich für diesen Pfad entscheidest...“ und dabei schien sein Lächeln einen moment lang zu weichen, und seine Züge nahmen dabei fast schon etwas wie ein Abbild der Melancholie an: „Dann kann ich dir aus eigener Erfahrung sagen, dass du besser wissen solltest, was es bedeuten könnte, und wo dieser Pfad am Ende hinführt.“

„Und er führt hierhin, was? Das ist es doch, was ihr mir alle zu sagen versucht, du, Ichijou-san und die anderen.“ Ärgerlich aber doch halbherzig machte Shinji eine Geste zu den rotverkrusteten, halb zerbrochenen Wänden hin.

Sein Gegenüber blieb erstaunlich ruhig: „Nicht unbedingt.“

Wie heraufbeschwört folgten dieser Behauptung die Geister vergangener tage, eine vertraute Stimme, die auf eine unangenehme Wahrheit bestand-

(„Aber das Ende von allem hätte auch anders aussehen können...“)

-und für einen Moment fühlte sich Shinji in die Vision, auch, wenn er ihr zusammenkommen in den Schatten energisch wegblinzelte – Er wusste schon, was diese ihm zu sagen gedachte, und er war nicht davon beeindruckt: „Ich weiß, ich weiß! Ihr alle zeigt mir das ganze hier, damit ich es irgendwie verhindere. Ich weiß dass es theoretisch möglich ist, aber nur, weil etwas möglich ist, heißt nicht, das es wahrscheinlich ist, geschweige denn, das es wirklich geschehen wird!“ führte er mit zunehmend gesteigerter Frustration aus: „Das wahrscheinliche ist es, das das hier passiert, oder irgendetwas wie das hier!“ und er gestikulierte wieder mit einer Halbdrehung im Raum herum, überragt von den gigantischen, zerborstenen Wänden.

(„Massensterben sind nichts ungewöhnliches auf diesem Planeten.“)

„Ihr sagt mir, dass ich das ändern soll, und Misato-san und die anderen sagen mir, dass ich die Menschheit retten soll, aber seinen wir mal ernst, der einzige Grund, das ihr alle mich dafür fragt, ist, das ihr niemand besseres gefunden habt. Ihr sagt, nur ich könnte das tun, aber niemand weiß, ob es überhaupt jemanden gibt, der das kann...

Du und Ichijou-san, ihr seid nicht anders als mein Vater und die anderen! Ihr wollt alle von mir, dass ich irgend ein unmöglichen Wunder vollbringe, und dabei wisst ihr doch selber nicht, ob wir die Engel besiegen können!“ entgegnete Shinji, jetzt fast schon eher brüllend als maulend.

„Und versucht nicht, mir weis zu machen, dass es es nicht so ist, wenn ihr einen Plan hättet, würdet ihr ihn mir sagen statt euch mit dieser Sache ausgerechnet auf mich zu verlassen!

Ich versteh schon, ihr hättet es gerne, das ich das hinkriegen würde, ohne das alles falsch zu machen was ich die letzten male verbockt habe, aber ihr sagt mir nicht mal was es war... und da erwartet ihr, das ich die Welt rette oder so etwas...

Ich weiß doch noch nicht einmal, was ich hier tue!“

Er machte sich schon darauf gefasst, weiteren Widerstand zu leisten und sich gegen Überzeugungen und Behauptungen aufzulehnen, doch zu seiner Überraschung leistete dieser fremde, und dennoch irgendwie vertraute Junge keinen Widerstand, gegen den er den Rammbock seines Widerwillens hätte richten können, sondern entwaffnete ihm mit wenig mehr als einem ehrlich-verständnisvollen Blick, ein aufweichen seiner Gesichtszüge, und den Verzicht darauf, irgendetwas schön zu reden: „Vielleicht hast du recht.“

Dass war eine neue Erfahrung – Der Junge nahm sich einen Moment, um direkten Augenkontakt herzustellen.

„Aber wenn das so ist, was wirst du dann tun? Wirst du die Lillim ihrer Vernichtung überlassen?“

Wenn irgendjemand anderes ihm diese Frage gestellt hätte, wäre es gut möglich gewesen, dass er ihnen ein trotziges 'Ja!' entgegen gerufen hätte, aber mit diesem Jungen war es anders – Es war keine sarkastische Frage gewesen, statt dessen schien er die Antwort des Third Child geduldig abzuwarten, und schaffte es dadurch allein, durch die Ritzen von Shinji's stacheliger Rüstung zu dringen.

„Das... also das... also natürlich will ich das nicht, aber... ich weiß nicht was ich sonst tun soll. “

Der silberne Jüngling lächelte.

„So wie du jetzt bist, weißt du das vermutlich nicht, aber du und ich haben uns einst verschworen, die Hoffnung dieser Welt zu werden – Die Hoffnung und die Zukunft, die ihr alle brauchtet. Dennoch kann ich nicht leugnen, dass wir hier etwas versuchen, das noch nie zuvor gelungen ist. Vielleicht war mein Fehler an jedem Tag, dass ich es versäumt habe, dir das richtig klar zu machen... es ist wohl kaum seltsam, das du dir diese Tragödie zu Herzen nehmen würdest...“

T-tragödie? Verschwörung?

Die Atmosphäre an diesem Ort hatte sich mit einem male gewandelt – plötzlich ging das Gespräch nicht mehr um irgendwelche abstrakten Erklärungen über 'Die Welt', sondern um diesen Jungen selbst und auch um Shinji, irgendwelche bedeutungsvollen Ereignisse, die er beim besten Willen nicht aus seinem Hinterkopf hervorkramen konnte, und um eine Wärme, die sein Herz berührte.

Er leistete noch nicht einmal widerstand, als dieser seltsame Junge seine Hand ausstreckte und damit in einer zeitlos archetypischen Geste zärtlich seine Wange berührte, und mit der anderen Hand seinen Arm griff um ihn fürsorglich zu dem Klavierhocker zu geleiten, wo der dann neben diesem Nicht-Fremden platz nahm, es sei es das natürlichste der Welt- es war eine Szene, die sich in der Realität wohl nie so abgespielt hätte, und doch schien sie sich den Regeln dieser Welt entsprechend genau richtig anzufühlen, wie ein Bild aus einem Traum oder einem Gemälde, und doch gab sie diesem Trugbild, das sich eben noch halb im Auflösen und zerfließen in mehrere Schichten geisterhafter Bilder befunden hatte, die stoffliche Substanz einer Gegenwand, als sei da zum ersten mal so etwas wie eine reale Kommunikation, und ein Austausch von realer, menschlicher Wärme, selbst inmitten dieser unwirklichen Wüste aus Halbschlaf und Zerstörung.
 

Dennoch wusste Shinji nicht, was er sagen sollte. Er saß da, dem Jungen zugewendet, mit den Beinen und dem Rücken in die andere Richtung gewendet und doch halb zu ihm hingedreht, und fragte sich, ob ein sinnvoller Austausch unter diesen Umständen überhaupt möglich sein würde, selbst, wenn er überhaupt einen realen Kontakt vor sich hatte und nicht nur eine Erinnerung daran.

Da war etwas tröstliches in dem Moment, oder der Eindruck davon, das es das hätte sein können, aber er hatte nicht mal eine vage, halb-verwischte Erinnerung, die ihm hätte sagen können, warum. Das Wollknäuel aus Fragen und Ängsten in seinem Kopf schien sich nur zu verdichten und verweigerte es, sich ignorieren zu lassen – auch wenn sein Gegenüber dies irgendwie zu spüren schien, sei es irgendwie aus seiner Körpersprache herausgelesen, oder weil er diesen Moment schon etliche male durchlebt hatte.

Beide Hände des schmerzhaft schönen Jünglings kamen auf Shinjis Schultern zum liegen.

„Ein chaotisches System,“ begann er, „beschreibt ein System dessen Komponenten zwar simplen, deterministischen Regeln folgt, jedes ihrer Komponenten einander aber so mit den anderen verstrickt ist und sich gegenseitig beeinflusst, das wegen der vielen reziproken Beziehungen schon nach wenigen Schritten keine Vorhersage mehr möglich ist.

So ein System ist zum Beispiel das Wetter – Die nächsten Tage lassen sich bis zu einem gewissen Grad erkennen, aber niemand kann das Wetter für ein ganzes Jahrhundert vorhersagen. Dennoch kann man über die Vielzahl der Ergebnisse mit der Zeit über viele Durchläufe. Zufall oder Chaos ist nicht dasselbe wie kompletter Nichtdeterminismus. Man kann aussagen über Tendenzen oder Wahrscheinlichkeiten machen, und zum Beispiel mit Berechtigung sagen, das es an manchen Orten häufiger regnet als an anderen.“

Shinji hatte einen Moment lang nach der Stimmlage des Jungen geurteilt, das er jetzt vielleicht endlich die Antworten erhalten würde, nach denen er gesucht hatte, doch auch wenn ihm das Herz zugeneigt war, blieb ihm der Geist doch fremd, und je krampfhafter er versuchte, in den Worten Sinn und Zweck zu finden, umso mehr steigerte er sich in eine unterschwellige Panik, konnte er doch erkennen, das der Junge, was auch immer er da sagte, für einen wichtigen, zu seinen Fragen relevanten, wenn nicht sogar ausschlaggebenden Ratschlag hielt.

Der Junge hingegen schien der Ansicht zu sein, das er wichtige Punkt gerade jetzt erst kommen würde: „ Die Börse, zum Beispiel, ist ebenfalls ein chaotisches System, aber ein chaotisches System zweiter Ordnung. Es ist ein System, das über Vorraussagen se

Überhaupt musst man ein System beobachten, um Voraussagen darüber anzustellen, und um es zu beobachten, muss man minder oder geringer damit interagieren.

Die Konsequenz ist, das in dieser Welt eine Interferenz des Potentiellen mit dem Reellen existiert - Der Pfad, der nicht gewählt wurde, ist eine Zutat des Pfades, den du letztlich gehen wirst –

Eine Geschichte über eine mögliche Tragödie kann die Menschen dazu bringen, sich zu organisieren oder sie zu verhindern, oder eine Vision einer möglichen Vision kann andere dazu bringen, sie zu verwirklichen. Eine Geschichte verändert Menschen, und Menschen verändern die Welt.

Das ist es, was SEELE mit einer Prophezeiung meint, aber ich denke nicht, das sie recht hat...

Wenn ein Ereignis geschieht, sieht man oft sowohl lange, rückwirkende Tendenzen, als auch individuelle Momente, in denen das Handeln eines einzelnen oder der bloße Zufall alles in eine andere mögliche Bahn hätten lenken können. Es ist das Zusammentreffen beider Dinge, das die Zukunft erschafft.“

Einen Moment dachte Shinji, er hätte einen Einstieg bekommen, dann hatte er den Faden jedoch wieder verloren.

Der Junge lächelte, und versuchte, ihn zu beruhigen: „Beides. Sowohl längere tendenzen und einzelne Entscheidungen. Was ist der Makrokosmos, wenn nicht ein Gestrick aus vielen Mikrokosmen?

Und es ist ohnehin eine Versuchung, das Geschehene im Nachhinein als unausweichlich anzusehen, nur, weil wir uns nur über eine Welt unterhalten können, die uns beide enthält.“

Das hatte ihm wohl Mut machen sollen, doch der Fremde merkte schnell, das es nicht funktioniert hatte – Mit einem gewissen Schuldgefühl über seine eigene Unfähigkeit verzerrt wirkte Shinjis Gesicht im Gegenteil deutlich verstimmter als zuvor.

„Ich verstehe nicht...“ entgegnete Shinji, diesmal nicht wütend, jammernd oder frustriert, sondern mit echtem Schmerz und dem impliziten Wissen, das sein Gegenüber sein Bestes versucht hatte: „Ich verstehe nicht, was du da sagst!“

Der silberne Jüngling hielt inne. Dieses mal unterbrach sich sein Lächeln nicht, aber es nahm eine melancholischere Note an; Seine weinroten Augen zeigten ein glasigen Glitzern, ein Zeugnis von eintausend Erinnerungen, zu denen Shinji keinen Zutritt hatte, und einem einzelnen Gedanken, der in zwei verwandten Seelen zeitgleich widerhallte:

- Warum, warum, warum müssen wir uns immer so knapp verpassen?

„Das hast du an jedem Tag auch gesagt.“

Überrascht konnte Shinji nicht anders, als den Jünglich schockiert zu betrachten, und genau so sein eigenes Herz, erfüllt von seltsamen Emotionen, dessen Gründe er nicht nennen könnte, und doch mehr zu sein schienen, als nur eine Reaktion auf das Schauspiel, dass sein Gegenüber da präsentierte.

„W-Was für ein Tag?“ fragte Shinji, zögerlich, beklemmt, fast schon angewidert von der Möglichkeit, dass er tatsächlich eine Antwort hätte erhalten können.

„Du warst dagegen. Du hattest Angst, das es zu einem erneuten Erweckungs-Zwischenfall kommen würde, aber ich habe dich überzeugt, es durchzuführen.

Vielleicht habe ich vergessen, das wir unterschiedlich sind – ich hätte nie gedacht, das soetwas je geschehen könnte, da unsere Unterschiede so offensichtlich sind...“ und dabei erhob er eine Hand, um Shinji einige Haarsträhnen von der Stirn zu wischen, ja, diese sogar geradewegs zu streicheln, ohne das weitere Erklärungen oder Bezeichnungen dafür möglich gewesen wären.

„Aber ich war so fasziniert davon, das wir uns trotz unserer Unterschiede überhaupt verstehen konnten, dass es für uns möglich war, miteinander mitzufühlen, obgleich wir doch so verschiedenartige Wesen sind, das ich vergessen habe, dass du die Welt nicht so siehst, wie ich das tue.“

Shinji war geschockt. Eine solche Rede passte mit der Nicht-Vorstellung, die er von diesem Nicht-Fremden nicht im Kopf hatte, überhaupt nicht zusammen, auch wenn es am Ende wohl kaum eine Unmöglichkeit darstellte: Sein Gegenüber mochte einem Halbgott gleich sein, aber das machte ihn auch zu einem halben Menschen – Es erschien ihm wie eine bewegende Ausnahmesituation, und er glaubte fast, dass ihm der Name des Fremden Hintem im Hals klebte, doch er bekam ihm nicht heraus, und konnte sich auch nicht dazu bringen, seine Gesten des Beistands selbst zu erwidern.

„Vielleicht habe ich auch unterschätzt, was für eine hohe Meinung du von mir hast, und nicht bedacht, das du ja sagen würdest, auch, wenn du Zweifel hast... viele Systeme scheitern in ihren Voraussagen, wo sie selbst involviert sind... ich hätte auf dich hören sollen – Nach all dieser Zeit hatten wir uns endlich getroffen, und ich konnte es nicht ertragen, dich so leiden zu sehen... ich wollte dir Hoffnung geben, doch am Ende konnte ich dir nicht einmal das Glück schenken, dass ich dir versprochen habe...

Und ich habe für diesen Fehler bezahlt.“

Mit ernster Miene blickte der Junge Shinji in die Augen, auch wenn sein Blick kurz zur Seite schweifte.

„Ich weiß das du dir deshalb jedes mal Vorwürfe machst, aber ich will, das du weißt, dass ich diesen Teil meiner Entscheidung nicht bereue. Wenn du dich erinnern könntest, würdest du wissen, das ich jedes Mal die Vernichtung wählen würde, statt mich freien Willens irgendeinem Schicksal hinzugeben... – Ich wünschte nur, das du nicht auch hättest zahlen müssen... der Preis, den ich gezahlt hatte, war nich nicht einmal genug - Es ist einzig und allein Mari-san zu verdanken, dass es an jenem Tag nicht zum Äußersten kam.“

Natürlich verstand er nicht, von welchem scheinbar desaströsen Zwischenfall der Junge wusste, doch mittlerweile verstand er schon, das diese Person auf seiner Seite war, und das damit irgendwie eine Verpflichtung einging, so zu antworten, wie Shinji es sich wünschen würde, wenn er in dieser Situation wäre.

Doch der Moment verschleifte, der Junge entfernte seine Hände, und besah sich Shinji mit einem durchaus zugeneigten Blick und einem Lächeln, das diesem wohl irgendwie Zuversicht einflößen sollte. „Vielleicht kann sie das besser erklären. Sie hat immerhin etwas mehr Zeit mit euch Lillim verbracht. Du weißt, wo du sie findest.“
 

Tat er das?

Anscheinend ja. Da war noch nicht mal die Notwendigkeit für die Farce von physischer Bewegung durch einen Ort der ohnehin ganz und gar seinen Alpträumen entsprungen war, und jedwede Form verloren hatte – In einem Moment saß er auf einem Klavierhocker, dann fasste er einen Gedanken, und im nächsten Augenblick stand er in einem von Kampfspuren versehrten Gang, in dem die Kabel aus den Wänden gerissen waren und die klebrigen Überreste von NERV-Angestellten und Soldaten stinkend ihre zerfetzten Uniformen tränkte, und gespiegelt in den vielen Pfützen fand sich eine Vielzahl von Uniformierten, blau-haarigen Mädchen eine Heerschar auf Spiegelbildern wie aus einem Spiegelkabinett.

In dieser Welt war der Tot nicht ein Skelett mit einer schwarzen Kapuze und einer großen Sense, noch ein Schatten mit Sanduhr oder einer roten Robe, sondern ein stilles Schulmädchen, das deine Seele mehr pflückte als sie sie aberntete, sanft aber doch zügig, wie eine Blüte für ihr Haar.

Im perfekten Synchronlauf wendeten sich ihre Abbilder alle nach ihm um, sprachen alle gemeinsam wie im Kanon:
 

„Diese Welt ist erfüllt mit Traurigkeit. Leere und Einsamkeit umgeben die Menschen und erfüllen ihre Herzen...“ sprachen die identischen Mädchen, die selben Bewegungen aus unzähligen verschiedenen Winkeln, und der selbe mechanische Widerhall in all ihren Stimmen.

„Ich habe das selbst gesehen, und deshalb habe ich dir deinen Wunsch erfüllt. Doch in meiner kurzen Zeit habe ich auf dieser Welt auch andere Dinge gesehen...“

„A-Ayanami...!“
 


 

(1) Velleite = „Der Geringste mögliche Grad an Willen“ , ein entfernter Wunsch oder Tendenz, ein Geschehen dass man generell begrüßen würde, ohne aber Schritte zu unternehmen, es in die Tat rentwickelt.

(2) Die erklärung zu „Liminal Spaces“ findet ihr am ehesten hier: http://kendrixtermina.tumblr.com/post/159624974585/places-where-reality-is-a-bit-altered

(3) http://www.khara.co.jp/wp-content/uploads/6e170e2a7bd620fd4a46cd89b73569d6.jpg ← Scheinbar haben die sich in Mari's fall für eine Flöte entschieden.

(4) Hattet ihr auch mKontakt die einem versucht die Jungfrau Maria als eine Art Disney-Prinzessin schmackhaft zu machen? Die Random SEELE Dame (im folgended RSD) hält Shinji für auf einer ähnlichen Stufe befindlich, nicht ganz zu unrecht. Man muss ma darüber nachdenken, das er de Haupt-Antagonisten (Keel), nie physisch begegnet und in der original Story bis zum schluss nix von der Verschwörung wusste (und selbst in Rebuild findet er's erst raus nachdem sie ihn schon dermaßen erfolgreich manipuliert haben, dass er versehentlich die Biosphäre auslöscht, und trotz ihres Wissens tappen Shinji & Kaworu sauber in Gendo's Falle) – Evangelion ist in vieler Hinsichtein klassischer Heroischer Epos aber mit einer salzigen Dose Realismus, sodass die älteren Generationen schon alles verplant haben, bevor die „Helden“ überhaupt auf der Bildfläche erscheinenumzusetzen;



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