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Dämonen und Engel

von

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Bobby

„Was zum…“, keuchte Bobby erschrocken und starrte zu der Person, die jetzt an fast derselben Stelle stand, an der Dean am Morgen… Er schaute zur Uhr, Mitternacht war eben vorbei, gestern Morgen, verschwunden war. Sie hatten sich gerade über John … unterhalten war eigentlich der falsche Begriff. Er hatte Dean an den Kopf geworfen, dass sein Vater ein Feigling war und Dean ... Dean verschwindet einfach. Kein „Puff“, kein Knall, kein nichts. Dean war einfach weg und jetzt stand diese Frau hier!?!

„Wer?“

„Ich bin Anna. Ich bin ein Engel und es geht um Dean!“

„Was ist mit Dean? Wo ist er?“ Bobby wurde hellhörig.

„Wir haben keine Zeit!“, bettelte sie regelrecht, aber der Jäger ließ sich nicht erweichen.

„Was ist mit Dean?“

„Zacharias hat ihn in den Green Room gebracht. Dean musste dort warten, bis er seinen Einsatz haben sollte.“

„Die Apokalypse zu verhindern?“

„Nein, es war nie geplant, dass Dean die Apokalypse verhindert. Er soll Luzifer töten!“

„Aber…“

„Sam wird das letzte Siegel brechen, indem er Lilith tötet. Dann wird Luzifer auferstehen und dann soll Dean ihn töten. Castiel hat Dean gerade aus dem Warteraum befreit. Sie wollen versuchen, Sam aufzuhalten und Luzifer gar nicht erst auferstehen zu lassen. Dean wird Hilfe brauchen können!“, erklärte Anna eindringlich und trat auf Bobby zu. Kurz berührte sie ihn an der Stirn.
 

Weißes Licht umfing ihn und als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass sie zu spät gekommen waren.
 

Eiskaltes, lähmendes Erschrecken fuhr Bobby in die Glieder, als er Dean an der Wand kleben sah, mit dem Kopf nach unten.

Sam stand in der Mitte des Raumes. Er hatte seine Hand gegen Dean ausgestreckt und seine Augen glühten rot.

Der jüngere Winchester ließ die Hand sinken und Dean schaffte es gerade noch, die Arme wenigstens ein Stück über seinen Kopf zu reißen und so den schlimmsten Aufprall abzufangen.

„Ein flatternder Helfer!“, lachte Sam und schaute zu Anna. „Du kannst mir nichts anhaben. Das solltest du doch wissen.“ Ein kurzer Wink und Anna schlug gegen eine Wand.

Bobby versuchte zu Dean zu kommen, der leise keuchend am Boden lag.

Eine kurze Handbewegung von Sam, die eher aussah, als wollte er eine lästige Fliege weg scheuchen, und Bobby fand sich neben Anna an der Wand wieder. Der Schmerz ließ bunte Sterne hinter seinen Lidern explodieren. Er keuchte als Sam den Druck auf ihn erhöhte. Blut sickerte aus seiner Nase.
 

Doch seinen Hauptfeind schien der jüngere Winchester in Dean ausgemacht zu haben und schon die nächste Handbewegung ließ den gegen die nächste Wand, kurz unterhalb der Decke, prallen.

„Sammy, bitte“, keuchte der Blonde schmerzerfüllt, „wehr dich, Sammy! Bitte!“

„Dein kleiner Sammy! Du solltest ihn hören, wie er winselt und bettelt, dass ich dich in Ruhe lassen soll und wie Leid es ihm tut und dass er das nicht gewollt hätte. Dabei hätte er diesen Körper nicht besser auf mich, für mich vorbereiten können!“

„Sammy!“, keuchte Dean, aber Sam lachte nur und ließ den Blonden mit einer weiteren lässigen Handbewegung erneut durch den Raum fliegen.

Ihm entrang sich ein schmerzvolles Keuchen als er mit dem Rücken gegen den Rand des Altars prallte und dann bewusstlos auf Lilith’ Körper fiel.

„Du wirst mich nicht besiegen“, lachte der gefallene Engel und trat an Dean heran, um ihn jetzt endgültig zu töten.

Alles wurde in weißes Licht getaucht.

Castiel stand im Raum.

„Ein gerupfter Flattermann!“, kommentierte Luzifer das lädierte Aussehen des Engels, wandte seine Aufmerksamkeit aber den beiden Engeln zu. Anna hatte die kleine Unachtsamkeit, als Luzifer von Castiel abgelenkt wurde, nutzen und sich von der Wand befreien können. Nun standen sie Seite an Seite vor ihm.

Bobby kroch zu Dean und versuchte dem zu helfen.

Er musste aber schnell feststellen, dass er nicht viel tun konnte, außer ihn von Lilith auf seinen Schoß zu ziehen und zu versuchen, es ihm so bequem wie möglich zu machen.

Dean war noch immer bewusstlos und das Blut, das ihm aus mehreren Wunden im Gesicht und an den Händen drang, sah ungewöhnlich dunkel aus im Gegensatz zu seiner bleichen Haut.
 

Plötzlich verschwamm das weitere Geschehen in gleißendem Licht.

Anna und Castiel standen blitzartig neben ihm. Inzwischen sahen Beide recht mitgenommen aus.

„Ihr müsst hier weg. Kümmere dich um Dean!“, sagte Anna hektisch und schon spürte Bobby ihre Finger auf seiner Stirn.
 

Verwirrt blinzelnd sah er sich um.

Er war wieder in seinem Wohnzimmer. Die Uhr tickte leise, und er musste mehrmals blinzeln um wirklich zu glauben, dass keine halbe Stunde vergangen war, seit diese Anna in seinem Haus aufgetaucht war.

War sie das überhaupt? Aber wenn nicht, warum saß er dann hier auf dem Boden und was lag auf seinen Beinen?

Sein Blick wanderte langsam nach unten. Immer noch weigerte er sich, das zu glauben, was er in den letzten Minuten gesehen hatte. Das durfte, das konnte nicht sein. Das würde ja bedeuten, dass…

Und dann sah er Dean.

Blutend, blass und bewusstlos lag der Blonde in seinem Schoß.

„Oh mein Gott!“, keuchte der Ältere, als ihm mit einem Schlag die Tragweite dessen bewusst wurde, was er gerade miterlebt hatte.

‚Sam ist Luzifer. Luzifer ist in Sam!

Wie wird Dean das verkraften? Wird er das überhaupt verkraften?’

Der Jäger verdrängte jeden weiteren Gedanken und arbeitete sich vorsichtig unter dem Blonden hervor. Jetzt war es erst einmal wichtig, Deans Wunden zu versorgen und dann würden sie weiter sehen.

Möglichst behutsam bugsierte er den Winchester auf das altersschwache Sofa und begann dann ihn zu entkleiden.
 

Er untersuchte ihn. Deans Rücken zierte ein dunkelblauer Streifen, da wo er gegen den Altar geknallt war. Er holte Wasser und einen Lappen und wusch dem Jungen das Blut aus dem Gesicht. Er verband das Handgelenk, das schon jetzt stark geschwollen, aber zum Glück nicht gebrochen war.

Als er mit seiner Arbeit halbwegs zufrieden war, ging er in die Küche und kochte Kaffee.
 

Mit einer dampfenden Tasse kam Bobby in das Wohnzimmer zurück. Dean lag zusammengerollt wie ein Embryo da und rührte sich nicht. Bobby fasste seine Schulter und rüttelte ihn leicht.

Er bekam keine Reaktion.

Der Ältere setzte sich zu ihm und hielt ihm den Kaffee hin: „Dean?“

Der Blonde reagierte nicht.

„Dean?“, fragte Bobby etwas lauter nach.

Wieder kam keine Reaktion.

Bobby wollte gerade noch einmal und noch energischer nachfragen, als Dean ganz langsam den Kopf zu ihm drehte und sich gleich darauf in eine sitzende Position kämpfte, und die Augen öffnete. Fast sofort bereute er diese Aktion und ein leises Knurren entrang sich seiner Kehle. Er schloss seine Augen sofort wieder und ließ sich gegen die Rückenlehne fallen. Noch einmal stöhnte er leise.

Bobby zog sich einen Stuhl heran und setzte sich Dean gegenüber. Voller Sorge musterte er das, was von Dean in dieser Schlacht übrig geblieben war.

„Schau mich bitte mal an, Dean“, bat er leise.

Es dauerte wieder eine ganze Weile, bis der Blonde reagierte und seine Augen öffnete. Er schielte!

Eine neue Welle Übelkeit brandete durch seinen Körper und mit einem erneuten leisen Keuchen ließ er die Lider wieder fallen. Er wollte einfach nur mit geschlossenen Augen hier hocken bleiben und sich auf's Atmen konzentrieren. Und wenn er jetzt vielleicht noch sterben würde, wäre es ihm auch egal.
 

„Wie geht’s dir?“, wollte Bobby wissen und fasste den Blonden wieder an der Schulter.

Dean richtete sich etwas auf.

„Sam!“, krächzte er gequält und kippte wieder um, als der Schwindel noch heftiger wurde. Sein Magen beschloss, dass dieses Gefühl so gar nicht das war, was er jetzt wollte und rebellierte. Dean hustete und würgte. Mühsam drehte er sich auf die Seite.

Er spuckte Galle.

Der Blonde zitterte als er sich endlich beruhigen konnte.
 

Bobby holte einen Eimer und wischte das Bisschen auf, das Dean im Magen gehabt hatte.

„Komm schon Junge, steh auf“, forderte der Ältere leise. Eindringlich musterte er den Jungen. Der war blass und seine Haut glänzte fiebrig.

Bobby wollte ihm aufhelfen, hielt ihn aber fest, als er saß und kontrollierte mit seiner Taschenlampe Deans Pupillen. Das Schielen blieb.

„Du hast eine Gehirnerschütterung“, stellte er fest.

Der Blonde knurrte eine unverständliche Erwiderung und stemmte sich in die Höhe.

Bobby stützte ihn, als er zu fallen drohte.

„Sam!“, krächzte Dean und schaute sich um. Seine Sicht war immer noch verschwommen und irgendwie doppelt, trotzdem sah er sich suchend um. Sein Gehirn weigerte sich, ihm den Zusammenhang der Dinge, die er sah, anzubieten.

„SAM!“, brüllte er und verursachte sich damit hämmernde Kopfschmerzen.

Seine Sicht wurde nicht besser, immer weiter fransten die Ränder aus, aber er stolperte vorwärts.

Bobby hielt ihn auf.

„Sam ist nicht hier, Dean!“, versuchte er sein Bestes, den Winchester zu beruhigen.

„Sammy!“, bettelte Dean und Tränen liefen ihm über die Wangen.

„Du musst dich ausruhen, Dean. Komm ich bring dich nach oben.“

Stur schüttelte Dean den Kopf und stöhnte, als der Kopfschmerz wie ein heißes Messer hinter seinen Schläfen wütete.

Bobby konnte ihn gerade noch auffangen, als seine Knie nachgaben.

„Schluss jetzt, Dean, ich bring dich nach oben und du ruhst dich aus“, bestimmte der Ältere und Dean nickte hilflos.

„Sammy!“, bettelte er wieder und schaute sich suchend um. Er war doch eben noch bei ihm gewesen!

Sein Gehirn verweigerte ihm rigoros den Zugang zu dem gerade Geschehenen und so konnte er einfach nicht begreifen, dass sein kleiner Bruder nicht bei ihm war.

Dean sank in sich zusammen.

Bobby schaffte es nur mit Mühe, den Blonden nach oben in sein Schlafzimmer zu bringen und ihn ins Bett zu legen. Er kontrollierte noch einmal die Pupillenreaktion seines Gegenübers und sie gefiel ihm gar nicht. Auch das Schielen war stärker geworden.

Bobby nahm sich vor, die vernagelten Fenster im Gästezimmer am nächsten Tag zu öffnen und das Zimmer ein wenig auf Vordermann zu bringen. 'Der Junge braucht Hilfe, mehr Hilfe als es jetzt den Anschein hat und er braucht Licht! Es hat ihn schwerer getroffen, als er es je zugeben wird. Gott, es hat sogar mich schwerer getroffen, als ich es je zugeben werde.', überlegte Bobby. 'Dean hat sich verändert.'

Der Jäger konnte nicht sagen, wann es angefangen hatte und er wusste nicht, was genau passiert war, aber er war sich sicher, dass es mit der Hölle zu tun hatte, dass Sam dabei eine große Rolle spielte, und dass Sam seine Kräfte trainierte, wie auch immer und auch einsetzte, war wohl auch nicht unerheblich.

Er schaute noch einmal auf das Bett. Dean hielt die Augen geschlossen, aber er schlief nicht. Der Ältere ging ins Bad und kam mit einem Glas milchiger Flüssigkeit wieder.

„Dean?“

Der Angesprochene reagierte nicht.

„Dean! Trink das, dann kannst du ausruhen“, er hielt ihm das Glas hin und Dean trank. Dann ließ er sich wieder in die Kissen sinken. Er wusste, dass er den Jungen mit der Gehirnerschütterung eigentlich nicht schlafen lassen durfte, aber er war so fertig, dass er sich nur dafür entschied, ihn, wenn er doch schlafen sollte, wecken und ihm ein paar Fragen stellen würde. Dann wollte er weiter entscheiden.

Bald verrieten die ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge, dass das Beruhigungsmittel wirkte. Der Ältere lächelte.

Er selbst gönnte sich eine kurze Ruhepause auf dem alten Sofa, bevor er, kaum dass die Sonne aufgegangen war, begann das Gästezimmer aufzuräumen. Er wusste nicht wie lange Dean hier bleiben würde, aber er hoffte irgendwie, dass sie die nächste Zeit zusammen nach Sam suchen würden.

Wenn sich diese Engel endlich blicken lassen würden!

Als die dritte Runde seines „Frag-den-Dean“-Spiels ebenfalls zu seiner Zufriedenheit ausgefallen und der Blonde, außer Müdigkeit, keine schlimmeren Reaktionen auf die Gehirnerschütterung zeigte, ließ er ihn schlafen.
 

Am Abend war das Zimmer bezugsfertig und Bobby schaute wieder einmal nach seinem Schützling.

„Dean?“, fragte er in die Stille des Zimmers und bekam keine Reaktion. Der Blonde lag mit dem Rücken zur Tür.
 

Er machte sich große Sorgen, gab sich aber immer noch der irrwitzigen Hoffnung hin, dass es mit Dean vielleicht doch nicht so schlimm war. Dean hatte bis jetzt alles irgendwie weggesteckt. Sogar die Hölle.

Jetzt stand Bobby hier vor dem Bett und stellte fest, dass alles noch viel schlimmer war, als er es sich je hätte vorstellen können. Von Dean war nicht ein Wort gekommen, seit dem letzten verzweifelten 'Sam'. Er sah furchtbar aus und nur das leichte Heben und Senken seines Brustkorbes verriet überhaupt, dass er noch lebte.
 

Bobby machte ein paar Sandwiches und hoffte, dass Deans Magen die schon wieder vertrug. Er brachte sie nach oben. Dean war noch immer wach.

„Ich stell dir was zu essen hin“, erklärte der Ältere nur und ging wieder nach unten. Die toten Augen, mit denen ihn der Junge anstarrte, nahmen ihm die Luft zum Atmen.

Als er jedoch eine Stunde später wieder nach oben kam und das Tablett holen wollte, sah er, dass Dean nichts angerührt hatte.

„Verdammt Dean! Du musst essen!“, schimpfte er hilflos.

Der Blonde rappelte sich auf und begann zu essen.

Der Ältere zog die Augenbrauen zusammen. Aber er war froh, dass Dean aß, also sagte er nichts.
 

Die nächsten Tage wurden nicht besser und Bobby hatte bald herausgefunden, dass Dean generell nur machte, was er ihm sagte. Dean komm essen, geh duschen, geh schlafen. Der Blonde tat nur, was ausdrücklich befohlen wurde. Sonst hockte er einfach nur da, starrte aus glasig trüben Augen ins Leere. Wenigstens das Schielen hatte nachgelassen.
 

Der Ältere versuchte seinen Freund aus der Reserve zu locken. Er saß am Schreibtisch.

„Dean, kommst du mal?“

Der Angesprochene kam und blieb vor dem Tisch stehen.

„Ich suche hier alles Mögliche über Engel und die Apokalypse. Kannst du mir helfen und guckst die Bücher hier durch?“ Er schob ihm fünf, mehr oder weniger, dicke Wälzer entgegen. 'Jetzt muss er doch reagieren! Er hasst lesen!'

Bobby wartete.

Der Blonde griff nach den Büchern und ging zum Sessel. Er ließ sich darauf fallen, stapelte die Bücher neben sich und begann zu lesen. Bobby starrte erschrocken und holte tief Luft. Das war wohl nach hinten losgegangen!
 

Eine paar Tage später bekam er die Bücher, übersäht mit Eselsohren, zurück. Wie Dean so schnell fertig geworden war, würde für immer sein Geheimnis bleiben.

Aber trotzdem es wurde nicht besser. Seine körperlichen Beschwerden besserten sich, ja, das Schielen hatte aufgehört, aber trotz allem machte sich der Ältere immer größere Sorgen. Dean war nicht mehr Dean. Er reagierte nur auf Befehle. Oder das, was als Befehl durchgehen konnte. Er machte genau das, was Bobby sagte. Keinen Buchstaben weniger, aber auch keinen mehr. Und Bobby bekam immer mehr Angst. Er rief einen befreundeten Psychologen an, und der gab ihm den Rat, Dean generell nur noch die Wahl zu lassen, immer mindestens zwei Möglichkeiten zu bieten.
 

Bobby hielt sich an die Vorgaben seines Freundes. Er ließ Dean die Wahl.

„Wenn du willst können wir frühstücken. Willst du Toast oder Speck zu deinem Rührei?“ Es brachte nichts. Entnervt gab er nach drei Tagen auf, da Dean ihn die ganze Zeit nur mit trüben, halb geschlossenen Augen ignorierte, und er letztendlich doch selbst entscheiden musste, wenn er nicht wollte, dass Dean verhungerte.

Corine

Manchmal nahmen sie ihn abends mit. Manchmal hielt ein Wagen neben ihm und sie nahmen ihn mit.

Sie wollten wissen, was hinter diesen großen traurigen Augen steckte. Doch das erfuhren sie nie. Also boten sie ihm etwas zu Essen, eine Dusche und ein Bett. Und wollten Sex.

Er nahm die Dusche, doch so sehr er sich auch abschrubbte, er würde sich immer schmutzig fühlen. Das Essen rührte er kaum an. Er zahlte mit Sex, es war ihm gleichgültig, mit wem er schlief – alles war unwichtig geworden, nichts in seinem Leben hatte mehr Bedeutung.

Sie hatten Angst wenn er nachts schreiend aufwachte, also schlief er selten richtig, wenn er bei ihnen war. Wenn er überhaupt über Nacht bei ihnen blieb.
 

Doch SIE war anders. Er hatte über das Brückengeländer in den Fluss gestarrt. Er hatte überlegt, ob er vielleicht springen sollte. Kamen Selbstmörder in die Hölle? Würden sie ihn da wieder aufnehmen, jetzt wo sie Sam hatten? War überhaupt noch ein Dämon in der Hölle? Sie hatten ihnen doch quasi die ganze Erde als Spielplatz angeboten. Oder würde er einfach tot sein? Eigentlich war auch das egal. Nichts konnte mehr schlimmer werden, es war völlig gleich, was er tun würde, er hatte nichts mehr zu verlieren.

„Hey, nicht springen, bitte“, bat plötzlich eine sanfte Stimme neben ihm. Er wollte sie ignorieren doch dann legte sie ihre Hand auf seinen Arm. „Das wird deine Probleme nicht lösen.“

Was wusste sie denn schon? Aber er war nüchtern genug, um diese Möglichkeit mit in Betracht zu ziehen. Langsam drehte er den Kopf zu ihr und sah sie an.

Sie hatte ein freundliches, warmes Lächeln. Ihre Augen waren schwarz umrahmt, sie trug eine dunkelrote Lederkorsage, die mit schwarzen Bändern geschnürt worden war und einen kurzen roten Rock. Ihre langen braunen Haare waren zu einer komplizierten Frisur hochgesteckt, aus der sich einige Strähnen gelöst hatten. Die Ponyfransen hingen ihr bis in die Augen.

Er schaute sie an und wandte seinen Blick sofort wieder ab. Ihre Frisur erinnerte ihn an jemanden, an den er nicht erinnert werden wollte. Es tat zu sehr weh, viel zu sehr!

Ihre Pupillen weiteten sich noch ein Stückchen mehr, als sie die Trauer und Verzweiflung in seinen las.

„Nicht springen“, sagte sie noch einmal.

Er starrte wieder auf das Wasser einige Meter unter ihm. Es floss stetig weiter und nahm alles mit sich fort. Es würde auch ihn forttragen, fort aus diesem Leben, das keines mehr war. Er ließ den Kopf hängen und schloss die Augen. Er lehnte sich gegen das Geländer und beugte sich etwas weiter vor.

„Hast du Hunger?“ fragte sie ihn nach einer Weile. Sie sah wie ausgemergelt er war, doch er schüttelte den Kopf.

„Komm mit“, sagte sie nur und öffnete die Beifahrertür. Er hatte das Auto nicht mal kommen hören. Sollte er mitgehen? Sollte er noch mehr Leid erfahren? Oder würde sich etwas ändern, wenn er mit dieser besorgten Stimme mitging? 'Was soll’s', dachte er und stieg ein, und sie nahm ihn mit zu sich.
 

Sie führte ihn ins Bad drehte die Dusche auf.

„Ich bring dir noch ein paar Handtücher“, sagte sie und schloss die Tür.

Er zog sich aus und stellte sich unter den warmen Strahl. Doch so lange er hier drunter stehen würde, so heiß wie sein Äußeres auch werden könnte, die eisige Kälte in seinem Inneren würde nicht mal verschwinden, wenn er direkt in die Sonne fliegen würde.

Er wusch sich.

Sie platzte ins Bad als er sich gerade abtrocknete.

„Ich dachte du würdest die Nacht da drunter verbringen“, japste sie lächelnd und legte ihm ein paar Sachen hin. „Die sind von meinem Ex. Probier sie mal an.“ Ihre Blicke wanderten über seinen Körper. Er war gut gebaut, aber mit Narben übersät und am Rande zur Unterernährung.

Eine Weile später kam er zu ihr. Unschlüssig stand er im Zimmer.
 

Sie räumte gerade seine Hosen aus. Mit einem erstickten Aufschrei stürzte er zu ihr und riss ihr den Fetzen Stoff aus der Hand, den sie gerade zu dem Rest aus seinen Taschen werfen wollte. Nicht, dass sich viel darin befunden hätte, nur ein paar Quarters.

Er starrte auf den Fetzen und schloss seine Finger darum. Er presste die Hand so fest zusammen, dass die Knöchel weiß hervortraten. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Er zitterte.

„Das ist sehr wichtig für dich?“, fragte sie leise. Sie bekam keine Antwort.

„Entschuldige“, fuhr sie fort und streckte ihm die Hand entgegen, „ich bin Corine.“

Er reagierte nicht. Er hatte keinen Namen mehr. Er brauchte keinen, er war ein Niemand, ein Nichts. Er wollte sich nicht an seinen Namen erinnern, denn mit DIESER Erinnerung kamen DIE Erinnerungen und damit das ganze Ausmaß seines Versagens.

„Hast du keinen Namen?“

Diesmal sah er sie an.

In den Augen, sie waren grün, stellte Corine fest, lag Verzweiflung.

„Jeder braucht einen Namen. Ich werde dich Jason nennen“, erklärte sie. Ihm war es egal.

Sie kam auf ihn zu und legte ihre Hand an seine Wange. Er zuckte zurück.

„Wir sollten dich mal Rasieren!“, stellte sie fest. Sie schob ihn zu einem Stuhl, der am Küchentresen stand, auf den sie seine wenigen Habseligkeiten gelegt hatte, und drückte ihn sanft darauf. Der Blonde ließ es geschehen.

Sie schäumte sein Gesicht ein und kam dann mit einem richtigen Rasiermesser.

„Keine Angst, ich bin Friseurin“, beruhigte sie Jason und begann ihn zu rasieren. Er ließ sich dirigieren in welche Richtung sie ihn auch schob.

Dann drückte sie sein Kinn nach oben und fuhr über seinen Hals und über seine Kehle.

„Wenn ich jetzt etwas steiler ansetze bist du tot“, sagte die Brünette leise und quiekte erschrocken als er sich fester gegen die Klinge drückte.

Ein paar Bluttropfen liefen seine Kehle hinab.

'Das muss weh getan haben', überlegte sie, 'aber er hat mit keiner Miene angezeigt, dass er es gespürt hat.' Sie war entsetzt. 'Was bringt jemanden dazu, so zu leben, so zu reagieren?'

Sie presste das Handtuch gegen den Schnitt und nachdem die Blutung gestillt war, rasierte sie ihn fertig.

Corine holte einen feuchten Lappen und wischte noch einmal über sein Gesicht und kontrollierte die Schnittwunde an seinem Hals.

„Mach das nie wieder, hörst du?“

Natürlich bekam sie keine Antwort.

Sie strubbelte ihm durch die Haare. „Das war auch mal eine Frisur gewesen, oder?“, fragte sie.

„Willst du ein Bier?“ Sie stand auf und ging zum Kühlschrank. Gleich daneben stand die Waschmaschine. Sie stopfte seine Sachen hinein und stellte die Maschine an.

Mit zwei Flaschen kam sie zurück und drückte ihm eine in die Hand. Sie lehnte sich neben ihm an den Tresen.

„Ich bin Friseurin, das hab ich dir ja schon erzählt. Ich hab meinen Laden in einem der angesagten, teuren Vororte und an zwei Abenden in der Woche lege ich als DJ in einem Club auf. Ich liebe es“, erzählte sie lächelnd und er ließ sich von dieser Stimme einlullen. Tief in seinem Inneren versuchte er, so etwas wie Geborgenheit darin zu finden und einen Halt. Etwas das nur Sam ihm geben konnte.

Plötzlich stellte sie ihre Flasche auf den Tresen: „Lass uns aus dir mal wieder einen richtigen Menschen machen, hm?“, sie stand auf und ging ins Bad. Mit einem großen Handtuch, Kamm und Schere kam sie zurück. Sie legte ihm das Handtuch um die Schultern. Corine blickte ihm in die Augen und wollte sich zumindest einreden, dass darin wenigstens ein kleiner Funken Leben glomm. Dann ließ sie ihren Blick noch ein Stück tiefer gleiten. Er hatte das Stück Stoff noch immer in der Hand, seine Finger spielten unbewusst damit. Sie war neugierig, woher dieser Stoff stammte. Eine helle Jacke? Eine Hose? Er würde nicht antworten. Sie holte tief Luft, nahm sein Handgelenk und schob die Hand unter das Handtuch. Sie fasste sein Kinn und drehte sein Gesicht noch einmal nach links und dann nach rechts.

„Okay, mal sehen“, murmelte sie leise und begann ihm die Haare zu schneiden.

Jason schloss die Augen und begann sich unbewusst in ihre Bewegungen zu lehnen. Ein wenig der lange vermissten Wärme breitete sich in ihm aus.

Sie lächelte. 'Ganz so verloren scheint er doch noch nicht zu ein.'

Als sie fertig war verpasste sie seinen Schultern noch eine leichte Massage. Er verspannte sich. Sie wollte ihre Hände gerade wieder zurückziehen, als er sich langsam entspannte. Wenig später war er kurz davor zu schnurren.

Dann hörte sie auf, holte einen kleinen Spiegel und hielt ihm den vors Gesicht. „Was sagst du?“, fragte sie und er öffnete die Augen.

Panisch keuchte er. Aus dem Spiegel starrte ihn seine Vergangenheit an. Der Versager, der seinen Bruder nicht hatte schützen können, obwohl das seine einzige Aufgabe gewesen war. Der, der zugelassen hatte, dass sich Luzifer in seinem kleinen Bruder eingenistet hatte. Der, der einem Engel getraut und noch schlimmer betrogen und verraten worden war, als es ein Dämon je hätte tun können. Der Trottel, der zu dämlich war einen Pakt mit einem Dämon zu schließen. Einen weiteren Pakt, von dem er nicht mal wusste, ob er etwas gebracht hätte. Warum musste Luzifer sich Sam aussuchen? Warum hatte er nicht in ihn fahren können. Das wäre gerecht gewesen! - Wäre es das?

Trauer und Verzweiflung kehrten in seine Augen zurück, bevor sich sein Blick in der Leere verlor.

Die Bierflasche rutschte ihm aus der Hand. Corine konnte sie gerade noch retten. Sie nahm ihm das Handtuch ab, seine Hand hatte sich wieder um den Stofffetzen gekrampft.

'Was habe ich nur getan? Was musste er in seiner Vergangenheit erleben, dass er so auf sein Spiegelbild reagiert? Was hat er verloren? Er ist süß, hat wahnsinnig tolle Augen und irre lange Wimpern, um die ich ihn beneide, ehrlich!' Sie lächelte bei dem Gedanken.

Sie räumte ihr Werkzeug weg und ging zurück zu ihm. Er hockte immer noch da wie das Häufchen Elend, das sie verlassen hatte. Sie drückte ihm die Flasche wieder in die Hand: „Hier, trink aus.“

Corine begann am Herd zu rumoren, brutzelte ein paar Eier mit Speck und stellte sie ihm hin: „Du solltest was essen.“

Er hatte sich noch nicht gerührt, seit sie ihm die Flasche wieder gegeben hatte.

Sie holte ein paar Kissen und Decken und zog die Couch aus.

Er hatte sich noch immer nicht gerührt.

„Iss und dann trink aus. Ich hab dir die Couch fertig gemacht. Deine Sachen stecke ich morgen früh in den Trockner“, informierte sie ihn beiläufig und lächelte als er tatsächlich zu essen begann. „Ich geh ins Bett, schlaf dich aus. Gute Nacht.“

Ihm ging es wie immer seit jenem verdammten Tag, nach ein paar Bissen fühlte er sich als hätte er ein ganzes Schwein essen müssen. Ihm war schlecht. Er schob den Teller beiseite und sah sich um.

Unschlüssig stand er da.

Sie hatte ihm die Couch fertig gemacht.

Er wollte nicht alleine schlafen. Er hatte sich immer wieder gewünscht, mal wieder allein schlafen zu können, aber jetzt, wo er es konnte, schien es ihm falsch.

Er sah die offene Schlafzimmertür und ging hinüber.

Corine lag in einem großen, breiten Himmelbett, das mitten im Raum stand. Er rollte sich davor zusammen und schlief ein.

Sie hatte ihn kommen gehört und gesehen, was er gemacht hatte, und sie hatte sich zwingen müssen nicht zu schreien. 'Das kann doch nicht wahr sein! Ein Mensch kann doch nicht soviel Selbstachtung verlieren, oder?' Sie wartete noch eine Weile und ging dann leise in ihre Wohnküche. Sie holte die Decken und ein Kissen und deckte ihn zu. Er erwachte kurz als sie ihm das Kissen unter den Kopf schob.

„Es ist gut“, beruhigte ihn die besorgte Stimme und er schlief wieder ein, als Corine im Bett lag. Sie hatte überlegt, ob sie ihn in ihr Bett kriegen könnte, hatte sich dann aber doch dagegen entschieden. Unwohl war ihr trotzdem.
 

Mit der Nacht kamen die Albträume.

Er winselte leise, schlug um sich und erwachte schließlich schreiend.

Sie war schon eine Weile wach und hatte ihre Augen unverwandt auf ihn gerichtet, aber sie wusste nicht, wie sie ihm helfen sollte, doch als er sich schreiend aufrichtete, sprang sie aus dem Bett. Sie setzte sich neben ihn und zog ihn in ihre Arme. In seinen Augen lag so viel Angst.

Sie murmelte sinnlose Worte in sein Ohr und strich ihm beruhigend über den Rücken. Langsam wurde aus der Angst Verzweiflung und dann Trauer.

Sie stand auf und zog ihn mit auf die Füße. Unendlich zärtlich drängte sie ihn ins Bett, wo er sich sofort wieder zusammenrollte. Sie breitete die Decke über sie Beide, kroch ganz dicht an ihn heran und legte ihre Arme um ihn. Als sie fühlte, dass er sich endlich etwas entspannte, schlief sie wieder ein.
 

Sie erwachte als die ersten Sonnenstrahlen ihr Bett erreichten. Es dauerte eine Weile bis sie erkundet hatte, was die Last auf ihr war. Jason hatte sich wie eine Schlingpflanze um sie gewickelt. Sein Kopf ruhte auf ihrer Schulter. Sie hob ihren ein Stück an und verdrehte ihn ein wenig, um ihn ansehen zu können. Er sah so verletzlich aus, fast kindlich. Was hatte ihm bloß so sehr zugesetzt, dass er sich so komplett verleugnete?

Sie arbeitete sich vorsichtig unter ihm hervor, er schnaufte protestierend und sie musste lächeln. 'Wenigstens im Schlaf reagiert er normal!' Sie deckte ihn wieder zu und begann Frühstück zu machen.

Betrübt schüttelte sie den Kopf als sie sah, wie wenig er gestern Abend gegessen hatte.
 

Die Kaffeemaschine stellte röchelnd ihren Dienst ein und sie goss den Kaffee in zwei Tassen. Sie wusste nicht wie er ihn trank, also ließ sie ihn schwarz und ging ins Schlafzimmer.
 

Der Duft von frischem Kaffee weckte ihn. Er streckte sich ausgiebig und blinzelte dann. Sie streckte ihm die Tasse hin und ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht.

'Mein Gott, ist der attraktiv!'

Und dann zerplatzte die Seifenblase.

Trauer und Verzweiflung fraßen sich wieder in seine Züge.

Er nahm den Kaffee.

„Komm, ich hab Frühstück gemacht.“

Er folgte ihr wortlos.

Und wieder rührte er kaum etwas an.

„Ich muss arbeiten“, informierte sie ihn. „Deine Sachen sind im Trockner. Ich könnte heute Abend Pizza mitbringen, was meinst du?“, fragte sie beiläufig und erwartungsgemäß antwortete er nicht.

„Ich muss los“, sie schüttete ihren Kaffee runter und lief zur Tür. Er würde nicht mehr da sein, wenn sie wieder kam, doch sie wollte ihm die Möglichkeit lassen, er brauchte die Ruhe.
 

Lange stand Jason am Fenster des großen und doch gemütlichen Lofts, eine Hand am Fensterrahmen und die Stirn gegen das kühle Glas gelehnt. Die Verzweiflung und die Selbstzweifel fraßen ihn auf. Er gehörte nicht hierher. Es gab kein Leben mehr für ihn. Durfte es nicht geben. Und schon gar nicht so ein Leben. Er versuchte sich zu beschäftigen, räumte die Küche auf und machte das Bett. Es half nichts.

Dann riss er schon fast panisch seine Sachen aus dem Trockner und zog sie sich, noch halb feucht, wieder an. Der Blonde fand Zettel und Stift und kritzelte etwas darauf. Dann verschwand er fluchtartig.
 

Corine fand ihr Loft verlassen vor, als sie nach Hause kam. Sie war traurig, doch sie hatte es geahnt. Sie legte die Pizza auf den Tresen.

Auf dem Herd lag ein Zettel. Ein einziges Wort stand darauf:

„S O R R Y“.

Ajsha

Ein paar Tage, ein paar Tage? Es könnten auch Wochen oder Monate sein, Zeit spielte für ihn keine Rolle mehr.

Ein paar Tage später lehnte er wieder am Brückenpfeiler.

Vielleicht wartete er auf Corine, vielleicht war es auch zu früh für seine übliche Abendbeschäftigung oder er hatte noch keine Flasche auftreiben können, vielleicht lehnte er auch nur so da, er wusste es nicht einmal selbst. Er beobachtet die Wagen, die über die Brücke fuhren und die wenigen Passanten, die an ihm vorbeihasteten.

Ein Wagen hielt und es war nicht der richtige.

„Wie viel willst du für die Nacht?“, fragte die Frau. Sie trug einen Hosenanzug und ihre Haare waren streng nach hinten gebunden. Sie war es gewohnt, dass jeder nach ihrer Pfeife tanzte und genau diese Arroganz strahlte sie auch aus.

Sein Blick streifte sie nur kurz, wanderte dann weiter und verlor sich im Nirgendwo. Doch ihr hatte es gereicht. Diese Augen! Sie musste wissen, was dahinter steckte. Sie war Chefin einer Werbeagentur, DER Werbeagentur in der Stadt, im Staat, und sie hatte einen Blick für so was. Der Typ wäre wie gemacht für ein Shooting - und für sie. Sie musste ihn haben.

„Steig ein!“, sagte sie befehlsgewohnt, und er löste sich von seinem Pfeiler und stieg zu ihr in den Wagen. Es war egal.

„Ich bin Ajsha. Wie heißt du?“, forderte sie zu wissen. Doch hierauf bekam sie keine Antwort. Das irritierte sie.

„Bist du schon lange hier?“

Wieder schwieg er.

Das machte sie rasend, das machte sie heiß!

„Ich nenn dich Ben!“

Sie fuhr in die Tiefgarage und nahm ihn mit nach oben. Im Fahrstuhl suchte sie seine Augen, doch er wich ihrem Blick aus. Sie musterte ihn. Er sah abgerissen aus, dreckig und er stank! Nach ungewaschenen Menschen, nach Abfall, nach Gosse und doch... Er reizte sie. Er war ungewöhnlich und sie stand auf ungewöhnlich.
 

Wieder stand er in einer großen Wohnung. Diesmal war es ein Penthaus.

Teuer.

Nicht dass ihm das aufgefallen wäre.

„Geh duschen!“, blaffte sie und wies auf das Badezimmer.

Er verschwand hinter der Tür und sie mixte sich einen Whiskey. Sie hatte sich gerade den Zweiten eingeschenkt, als er, nur mit einem winzigen Handtuch um die Hüften und noch immer nass, aus dem Bad kam. Ihr verschlug es die Sprache.

„Whiskey?“, fragte sie ihn und hielt ihm das Glas hin.

Er kam auf sie zu und hatte noch nicht einmal Zeit das Glas auszutrinken, als sie schon über ihn herfiel.

Sie drängte ihm ihre Zunge auf, ihre Hände wanderten über seinen Körper, das Handtuch fiel und ihre Hand fuhr zwischen seine Beine.

Er war selbst überrascht, dass sein Körper reagierte, er selbst fühlte nichts. Er war leer, er hatte sich in die tiefsten Tiefen seines Selbst zurückgezogen, so es ihn überhaupt noch gab. Doch sie wollte nicht ihn, sie wollte seinen Körper. Und den konnte sie haben.

Ungeduldig zerrte sie sich ihre Kleidung vom Leib.

Immer weiter drängte sie ihn in Richtung des großen Esstisches, immer härter wurde der Griff zwischen seinen Beinen. Sie wollte ihn hier? Er drehte sie um und nahm sie hart, fast grob, von hinten.
 

Keuchend drehte sie sich wieder zu ihm um. Beschlagnahmte seinen Mund wieder für sich. „Du bist Wahnsinn“, informierte sie ihn zwischen zwei Küssen, doch seine Augen blieben leer. Sie richtete sich auf. „Hast du Hunger?“, wollte sie wissen.

Sein Magen knurrte, doch er schüttelte den Kopf.

„Aber ich auf dich!“ Sofort war ihre Hand wieder zwischen seinen Beinen. Sie wollte mehr.
 

Erschöpft aalte sie sich in den Laken. Er stand auf. Seine Augen suchten ihre und schienen um Erlaubnis zu fragen. Sie nickte und er ging ins Bad und zog sich an. An ihrer Wohnungstür hielt sie ihn auf. Sie trug einen Morgenmantel, der mehr zeigte als verhüllte. Sie stopfte ihm ein paar Scheine in die Tasche und dann schloss sie die Tür hinter ihm. Es war ihr egal, wie er zurückkam. Sie hatte ihn einmal gefunden, sie würde ihn wieder finden, wenn sie ihn als Modell brauchte.

Sie räkelte sich wieder in ihrem riesigen, runden Bett. Der Mann war ihr unheimlich, er hatte die ganze Zeit kein Wort gesprochen, aber er war … Sie musste ihren Freundinnen unbedingt von ihm erzählen.
 

Er lief durch die Straßen. Er hatte nicht darauf geachtet, wo sie lang gefahren war, doch es war egal. Sein Instinkt führte ihn wieder zu seinem Brückenpfeiler.

Irgendwann schaute er in seiner Tasche nach wie viel sie ihm gegeben hatte, es waren fast 100 Dollar.

Er steuerte den nächsten Supermarkt an und packte einen Wagen voll Lebensmittel. Im nächsten Laden deckte er sich für den Rest des Geldes mit dem ein, was ER zum Leben brauchte: Whiskey. Noch hatte er nicht alles aufgegeben, noch ließ er die Finger von dem billigen Fusel. Doch niemand, am wenigsten er selbst, wusste wie lange noch.
 

Die Sonne schaute schon über den Horizont als er zurück war.

Josi blinzelte ihn an, als er durch das Loch gekrochen kam.

„Mein Gott, Junge, ich hab mir Sorgen gemacht“, empfing sie ihn. Er stellte nur die Tüten ab, sah sie traurig an und verkroch sich in seiner Ecke. Er wühlte sich unter ein paar schmutzige Decken und dann tat er das, was er schon am Abend hatte machen wollen. Er betrank sich.

Der erste Schluck rann, eine brennende Spur hinterlassend, durch seine Kehle, seinen Hals hinab. Er wartete, bis das Brennen in seinem leeren Magen angekommen war. Dann setzte er die Flasche wieder an. Der zweite Schluck war nie wie der Erste. Nur der Erste brannte in seinem Körper, nur der zeigte ihm, dass er noch lebte. Leider! Er wusste, dass er nicht die ganze Flasche brauchen würde. Er hatte die letzten zwei Tage kaum etwas gegessen.
 

Der junge Mann schraubte die halbvolle Flasche zu und stellte sie zu den anderen drei in seiner Ecke. Er hatte genug Vorrat. Die nächsten Tage würde er nicht raus müssen, also schloss er die Augen und zog die Decke über seinen Kopf und hoffte auf einen traumlosen Schlaf.

Josi hatte ihn beobachtet und schüttelte den Kopf. 'Was hat den Jungen nur so gebrochen? Er gehört nicht hierher und doch ist er da. Aber wer gehört schon hierher?' Sie hatten ihn völlig verloren aufgelesen und ihn in ihrer Gemeinschaft aufgenommen. Noch einmal schüttelte sie betrübt den Kopf, dann begann sie die Tüten zu untersuchen.

Jede Menge Lebensmittel, sogar frisches Obst. Und ganz unten entdeckte sie eine Schachtel Konfekt. Sie war kurz davor, den Jungen zu wecken und ihn zu knutschen. So sehr hatte sie sich ein Stückchen Konfekt gewünscht.

Sofort packte sie die zweite Tüte aus. Wieder Lebensmittel. Dosen diesmal und ganz unten? Der Junge hatte wirklich an alles gedacht, Batterien und Kerzen.

„Was hast du da?“, wollte Ethan wissen. Er war so was wie der Gemeinschaftsvorsteher hier.

„Alec hat das mitgebracht. Schau mal, er hat an alles gedacht.“

Ethan blickte misstrauisch in die Ecke. „Ich hoffe er hat es nicht geklaut. Das könnte Schwierigkeiten bringen“, sagte er leise.

„Hat er nicht!“ Josi förderte einen Kassenzettel zu Tage.

Wieder schauten die Beiden in die Ecke und schüttelten den Kopf. Dann begann Josi Frühstück für sie alle zu machen.

Sie saßen zusammen. Lachend und schwatzend und schlugen sich die Bäuche voll. Nur einer fehlte. Alec. Der Junge, dem sie das Festmahl verdankten.

Josi ging zu ihm hinüber und weckte ihn. Sie zwang ihm wenigstens eine Scheibe Toast mit Rührei auf, dann ließ sie ihn seinen Rausch ausschlafen.

„Wenn wir ihm nur helfen könnten!“, sagte sie leise und alle starrten betreten in die Ecke und nickten.
 

Irgendwann erwachte er und wühlte sich aus seinen Decken. Er fühlte sich zu nüchtern. Er torkelte nach draußen. Als er wieder zurück war, leerte er die Flasche und vergrub sich wieder in seinen Decken um auch den Rest dieses Tages zu verschlafen.

Josi und Ethan sahen sich stumm an und schüttelten wieder nur die Köpfe. Sie hatte sein Tun wohl bemerkt, doch sie wussten einfach nicht, wie sie ihm helfen oder was sie sonst tun konnten, damit es ihm besser ginge. Er ließ niemanden an sich heran. Also ließen sie ihn in Ruhe.
 

Ein paar Tage später traf sich Ajsha mit ihren Freundinnen in einer der angesagten Bars der Stadt.

„Wer legt heute auf?“, wollte sie sofort wissen. Angelina verdrehte die Augen und hoffte, der DJ wäre nach dem Geschmack ihrer Freundin.

„Corine“, informierte Jasmin.

„Gut!“, ertönte es von der Schwarzhaarigen und sie bestellte ihnen die erste Runde.

„Ich muss euch unbedingt etwas erzählen“, begann sie dann verschwörerisch und unterbrach sich, als die Getränke kamen, nur um danach leise fortzufahren: „Ich hab eine Sahneschnitte aufgetan, das glaubt ihr nicht. Der Typ ist irre im Bett.“

„Wo hast du ihn kennen gelernt?“, wollte Beth wissen.

„Das werdet ihr noch weniger glauben“, fuhr sie flüsternd fort. „Ich hatte mal wieder Lust auf was Ausgefallenes. Ich wollte mir eigentlich einen Stricher holen. Ihr wisst schon.“

Ihre Freundinnen nickten. Sie kannten ihre Vorliebe, und teilten sie.

„Und dann sah ich ihn. Runtergekommen, dreckig. Ihr müsst ihn erstmal duschen schicken. Aber seine Augen!“, sie geriet ins Schwärmen. „Seine Augen sind, ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll. Leer, trifft es wohl am ehesten. Der Typ macht was du willst, du musst es ihm nur sagen. Und das... wie soll ich sagen?“, sie schloss überlegend die Augen, trank einen Schluck und genoss es wie ihre Freundinnen an ihren Lippen hingen. „Das Verstörendste an ihm ist“, wieder machte sie eine Pause, „er sagt kein Wort.“

„Was? Er kann nicht sprechen?“, wollte Angelina jetzt wissen.

„Ich weiß nicht, ob er nicht sprechen kann, und es ist mir ehrlich gesagt auch egal, er redet einfach nicht. Und er ist billiger als jeder andere“, schloss sie ihre Ausführungen.

„Den musst du uns zeigen!“, verlangte Beth.

„Klar Mädels, wir lassen das Taxi einen kleinen Umweg fahren. Wenn er da ist, zeig ich ihn euch.“

„Dann sind wir ja mal wieder die Gearschten“, stellte Angelina leicht schmollend fest und blickte Beifall heischend zu ihren Leidensgenossinnen Brithany und Leona, „wir wohnen am anderen Ende der Stadt.“

„Keine Angst Süße, wir können ja mal wieder eine Orgie bei mir feiern, mein Bett ist groß genug.“

Die Freundinnen kicherten.
 

Das Taxi fuhr den Umweg und er stand an seinen Brückenpfeiler gelehnt.

„Mädels? Da steht er“, verkündete Ajsha.

„Er sieht aus wie ein Hundewelpe, den man beschützen möchte“, kicherte Beth.
 

Wieder vergingen ein paar Tage. Die Freundinnen hatten sich zu ihrer Orgie getroffen. Jetzt hieß es nur noch das Objekt der Begierde abholen.

„Britthany weiß nicht was sie verpasst!“, warf Angelina in die Runde.

„Die Ausgabe ist wichtig, da kann sie nichts dem Zufall überlassen“, sagte Ajsha, „außerdem bleibt so mehr Mann für uns übrig.“

Die drei kicherten.

Der Mercedes hielt neben dem Brückenpfeiler, an den er gelehnt stand.

„Steig ein!“, forderte Ajsha.

Zögernd löste er sich von seinem Halt. Er hatte eigentlich keine Lust, er wusste ja, was sie wollte, doch wer war er schon.

Er stieg ein.

Josephine

Corine fuhr nach einer langen Nacht mal wieder den Weg über die Brücke. Sie wollte einfach wissen wie es ihm ging.

Schon von weitem sah sie ihn.

Er torkelte über die Brücke. Als er stürzte stemmte er sich mühsam wieder in die Höhe und stolperte weiter.

Sie parkte ihren Wagen und lief ihm hinterher. Es war nicht schwierig, denn er brauchte für die Strecke zwischen zwei Straßenlaternen den dreifachen Weg. Aber was ihr wirklich das Herz zerriss: Er schien noch nicht genug zu haben. Immer wieder hatte er eine Flasche am Hals.

Sie wollte ihm helfen, wollte ihn mitnehmen, damit er sich seinen Rausch ausschlafen und vielleicht sogar etwas Ruhe finden konnte, doch er wehrte sich gegen sie, wehrte sich gegen jede Berührung. Er schien sogar zu wissen, was er wollte und schob sie weg.

Endlich war er bei der Treppe angekommen, stolperte sie abwärts. Gut, dass es mehrere Absätze gab, sonst wäre er schon nach der dritten Stufe bis ganz nach unten gestürzt. So landete er immer nur auf Händen und Knien, einzig bedacht, dass dem Lebenselixier in seiner Innentasche nichts geschah.

Er kam am Fuß der Treppe an und torkelte auf den Pfeiler zu. Wieder stürzte er.

Corine hatte ihre Hände um das Geländer geklammert. Sie wollte ihm so gerne helfen, doch er ließ sie nicht. Sie war zum Zusehen verdammt, und doch konnte sie den Blick nicht abwenden. Sie wollte nicht, dass er irgendwo da draußen liegen blieb.
 

Er kämpfte sich erneut auf die Beine und starrte auf seine Handflächen. Dann kippte er etwas aus der Flasche darüber und knurrte als der Schmerz sein Hirn erreichte.

Eine ältere Frau kam auf ihn zugestürzt.

„Junge, was?“, sie musste nicht weiter fragen. Sie sah den Schmerz in seinen Augen.

Entschlossen nahm sie ihm die Flasche weg.

Er ließ es geschehen.

Corine lächelte. Es schien noch Menschen zu geben, die sich um ihn kümmerten.

Josi sah ihm forschend in die Augen, er senkte den Blick, und kontrollierte dann die Flasche. Sie war zu voll für seinen Zustand.

„Ethan!“, rief sie zum Pfeiler gerichtet. Der Alte kam.

Sie hielt ihm die Flasche hin: „Es ist nicht seine erste heute Abend.“

Ethan holte tief Luft und nickte.

Der Junge grabschte nach der Flasche.

„Du hast genug, Alec!“, erklärte er und Josi steckte die Flasche in ihre Tasche. Alec knurrte protestierend.

Die beiden Alten schauten sich lächelnd an. Er war also doch nicht ganz so selbstverleugnend wie er sich immer gab. Wenigstens hin und wieder schien sogar er etwas zu wollen.

Diesmal mussten sie ihn leider enttäuschen.
 

Corine drehte sich um und ging zu ihrem Wagen zurück. Heute brauchte er ihre Hilfe nicht.
 

„Komm mit, Alec, du hattest zuviel“, sagte Josi leise und hakte ihn unter. Ethan hielt ihn auf der anderen Seite und gemeinsam brachten sie ihn zum Fluss. Sie drückten ihn auf die Knie.

Er winselte leise.

Die Beiden sahen sich an und schluckten hart. Es tat weh, ihm das jetzt anzutun. Sie wollten es nicht und doch musste es sein. Und ehe Alec sich versah, hatte er auch schon einen seiner Finger im Hals. Er würgte, schluckte, würgte wieder und übergab sich. Und als er einmal angefangen hatte, konnte er nicht mehr aufhören, bis er nur noch Galle spuckte.

Total erschöpft kippte er zur Seite, rollte sich zusammen und blieb zitternd liegen.

In Ermanglung vom etwas Besserem hielt Josi ihm die angebrochene Flasche hin: „Spül dir den Mund aus“, forderte sie leise. Er nahm einen Schluck.

„Spuck es wieder aus“, sagte sie. Er schluckte und angelte erneut nach der Flasche.

„Nix da!“, sie schlug ihm die Hand beiseite. Er winselte wieder.

Sie drängten ihn auf die Beine und schleppte ihn mehr, als er selber lief, in seine Ecke.

Dort kümmerte sich Josi um seine aufgeschürften Hände.

Alec bekam es kaum mit. Er schlief sich schon seinen Rausch aus.
 

Sie holte ihre Decke und setzte sich neben den Jungen. Sie wollte ihn jetzt nicht allein lassen. Klar wusste sie, dass er seine Ruhe wollte, aber sie wollte heute wenigstens seinen Schlaf bewachen. Irgendetwas war anders. Er hatte sich noch nie so restlos betrunken.

Sie ließ ihren Blick immer wieder über den zusammengerollten Körper gleiten, strich ihm immer wieder über den Kopf und hoffte einfach, dass er ruhig schlafen würde.
 

Er war noch nicht lange hier bei ihnen und doch hatte sie den Jungen schon in ihr Herz geschlossen. Dabei wollte sie eigentlich nie wieder jemanden so dicht an sich heran lassen, nie wieder wollte sie diesen Schmerz fühlen, wenn jemand von ihr gerissen wurde. Doch der Junge war anders. Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Tag, als Alec bei ihnen ankam.
 

Einige Wochen zuvor:

Es hatte die ganze Nacht geregnet und auch als sie aufgestanden und aus ihrem Unterschlupf gekrochen war, regnete es noch. Er hatte am Pfeiler gehockt. Sie hatte sich mächtig erschrocken als sie um die Ecke bog.

Er sah so aus, als würde er da schon ein paar Stunden sitzen. Reglos starrte er auf den Fluss.

„Hallo?“, hatte sie ihn angesprochen, doch er reagierte nicht. Sie zuckte mit den Schultern. Sie konnte niemandem verwehren hier zu sitzen, aber sie wollte Ethan informieren.

Der folgte ihr sofort.

„Hey!“, rief er ihn an und ging auf ihn zu. Der junge Mann reagierte nicht.

Ethan musterte ihn. Er trug eine Lederjacke. Seine Jeans waren an einigen Stellen zerrissen und schmutzig, die Boots abgewetzt. Er war unrasiert und sah müde aus.

Ethan legte ihm seine Hand auf die Schulter. Der Mann zuckte zusammen und starrte ihn sofort an. Ethan konnte Wut und Schmerz in seinen Augen lesen. Doch noch im selben Augenblick wurde sein Blick wieder leer, er drehte den Kopf zurück zum Wasser und machte sich mit einem kurzen, aber effektiven Ruck seiner Schulter von ihm los.

Der Ältere sagte nichts und ging zu ihrem Unterschlupf zurück, wo er schon von der wartenden Gruppe empfangen wurde.

„Ich denke, er hat etwas sehr Wichtiges verloren und kann diesen Verlust nicht überwinden“, stellte er dann ruhig fest. „Lasst ihn in Ruhe.“

Die Gruppe nickte.

Der Tag verging genauso ungemütlich wie er begonnen hatte und der Junge hockte immer noch an derselben Stelle. Sie hatte ein paar Mal versucht, ihm wenigstens einen heißen Tee zu bringen, doch er reagierte nicht. Auf nichts.
 

Dean saß da, die Knie angezogen, die Arme um die Beine geschlungen und das Kinn darauf gelegt. Er hatte es so satt weiter zu laufen. Er konnte nicht mehr weiter. Es war so sinnlos. Denn egal wie weit er lief, er konnte nicht vor seiner Schuld weglaufen. Er hatte Sam nicht beschützt. Er den Job versaut. Den einzigen Job, den er je gehabt hatte. Er hatte versagt und es spielte keine Rolle, dass sie ihn belogen hatten, als sie ihm sagten, dass er es stoppen sollte. Am Anfang hatte er gedacht, dass er Sam stoppen sollte, nachdem er herausgefunden hatte, was der mit Rubys Hilfe tat. Dann war er überzeugt davon, dass er die Apokalypse stoppen sollte, die er ausgelöst hatte. Doch jetzt wusste er, dass er IHN stoppen müsste. Sam, oder Luzifer in Sam. Egal wie, er würde Sam töten müssen und das würde er niemals tun. NIEMALS!

Er starrte weiter blicklos auf den Fluss, der langsam und träge an ihm vorbei floss. Genauso langsam und träge wie die Zeit an ihm vorbei floss. So greifbar nahe und doch so weit entfernt wie das Leben, dass ihn ausgeschlossen hatte, dass auch ohne ihn irgendwie weiter ging.
 

Die Nacht breitete ihre Dunkelheit wie eine schützende Decke über die Stadt, die deshalb nicht weniger hektisch wurde. Doch das Leben unter der Brücke zog sich in seinen Unterschlupf zurück.

„Hallo Dean!“, riss ihn plötzlich eine Stimme aus seiner Trance. Er stand auf und sah sich zwei Dämonen gegenüber.

„Hallo Dean, uns ist langweilig“, spotteten sie. „Sammy sagt wir dürfen mit dir spielen.“

Der Blonde stieß einen wütenden Schrei aus. Er zog das Messer aus seinem Bund und stürzte auf einen der grinsenden Dämonen zu. Mit aller Kraft rammte er ihm den Dolch zwischen die Rippen. Doch der lachte nur. Er zog die Waffe aus seinem Körper, starrte sie abfällig an und ließ sie unbeachtet zu Boden fallen.

„Es gehört mehr dazu mich zu töten, mehr als du jemals begreifen wirst“, lachte er und winkte Dean zu sich heran.

Ohne dass er etwas dagegen tun konnte, rutschte der Blonde immer weiter auf den Dämon zu.

„Sammy hat uns gegen den Dolch immun gemacht. Er dachte sich schon, dass du ihn noch mit dir rumschleppen würdest“, lachte das Höllenwesen und packte Dean am Shirt. Immer wieder schlugen sie zu. Deans Lippe platzte auf, seine Nase begann zu bluten. Er wehrte sich nicht. Er hatte es verdient.

„Lasst ihn gehen und nehmt mich!“, krächzte Dean heiser.

„Nein, Ihr seid wo ihr sein sollt“, der Dämon, den Dean hatte erstechen wollen, packte sein Opfer an der Kehle und hielt ihn ohne Anstrengung in der Luft. „Du bist nicht in der Lage Forderungen zu stellen. Dein Körper ist unnütz für unseren Meister. Nur Sammy kann ihn beherbergen, bis er einen ihm gebührenden Körper gefunden hat, oder bis sein Reich hier auf Erden vollkommen ist, dann braucht er diese Hülle nicht mehr! Dann ist auch dein Sammy nutzlos.“

Dean versuchte sich jetzt doch zu wehren. Er versuchte die Hand um seinen Hals zu lösen.

„Du bleibst hier Dean. Hier, wo wir dich immer finden werden, nicht dass wir es nicht überall auf der Welt könnten, aber so ist es einfacher“, spotteten sie und der, der ihn hielt, drückte noch fester zu.

Deans Widerstand erstarb und der Dämon ließ sein Opfer achtlos fallen. Doch bevor die Beiden wieder verschwanden, traten sie ihm noch ein paar Mal in den Magen.
 

Der Regen hatte in der Nacht wieder verstärkt eingesetzt.

Josi kam aus ihrem Unterschlupf geklettert und wollte ihre tägliche Tour beginnen und schob mit ihren Einkaufswagen los. Weit kam sie nicht.

Wieder erschrak sie sich fürchterlich. Sofort stürzte sie zurück und rief verzweifelt nach Ethan, Mark und Pete.

„Was ist?“, kamen die Männer ans Tageslicht.

„Der Junge“, sie wies ihnen die Richtung.

Die Männer nickten und folgten ihr.

Der Junge lag auf dem Rücken. Regen hatte ihn durchgeweicht und das Blut aus seinem Gesicht gewaschen. Und doch verkündeten seine geschwollene, aufgeplatzte Lippe und die Blutergüsse in seinem Gesicht, was die Nacht passiert sein musste. Sein Shirt war hoch gerutscht und auch sein Bauch schillerte in den herrlichsten Farben.

Mark packte ihn an der Schulter und rüttelte ihn. Er kam mit einem unwirschen Knurren zu sich, und wälzte sich auf dem Bauch. Der junge Mann stöhnte leise und stemmte sich auf Hände und Knie. Blind tastete er um sich und seine Hand krampfte sich um den Dolch, als sie ihn erreicht hatte. Er war nutzlos und doch war es das Letzte, was ihm geblieben war.

Die Helfer schauten sich verwundert an. Den Dolch hatten sie gar nicht bemerkt.

Er wollte sich auf die Beine kämpfen, doch seine ausgekühlten Muskeln streikten schmerzhaft. Mit einem erschrockenen Japsen kippte er zur Seite und blieb bewusstlos liegen.

Eine kurze Geste von Ethan und sie trugen den Mann ins Trockene.

Trisha räumte ganz selbstverständlich ihre Sachen etwas zur Seite, damit sie den Bewusstlosen neben Josi legen konnten. Sie war mal Säuglingsschwester gewesen und hatte auch eine medizinische Ausbildung und so kümmerte sie sich hier um alle Verletzungen.

„Holt mir die Decken von Alec“, forderte sie und begann den Jungen aus seinen Sachen zu schälen.

Er sah nicht gut aus. Bauch und Rippen zierten etliche dunkelblaue Flecke. Sie hoffte nur, dass er keine inneren Blutungen haben würde.

Sie konnte nicht feststellen, ob er Fieber hatte, dafür war er viel zu ausgekühlt, aber er warf sich immer wieder unruhig hin und her.

Sie legte ihm feuchte Tücher auf die Stirn.

Er knurrte schmerzerfüllt, bäumte sich auf und nuschelte etwas Unverständliches. Dann endlich wachte er mit einem erstickten Aufschrei auf. Er stemmte sich auf die Ellenbogen, schaute sich suchend um. Wo war er, wer waren diese Leute und was war passiert? Seine Augen huschten hin und her. Dann kniff er sie zusammen. Die Dämonen! Er musste hier raus. Er durfte nicht auch noch diese Leute in Gefahr bringen. Sollten sie ihn quälen, es war ja nicht das erste Mal. Aber diese Leute sollten ihnen nicht in die Finger fallen!

Mit einem Knurren drehte er sich erst auf die Seite, dann auf den Bauch. Seine Hand tastete nach dem Dolch.

Josi hatte ihn neben sein Kopfkissen gelegt.

„Junge bitte, du musst dich noch ausruhen. Du bist verletzt. Komm schon, beruhige dich“, redete sie auf ihn ein. Er schien sie gar nicht wahrzunehmen.

Seine Finger krampften sich um den Schaft. Er stemmte sich auf Hände und Knie und wollte aufstehen, als sein Körper ihm den Dienst versagte. Mit einem frustrierten Stöhnen knickten seine Arme weg. Er fiel auf den Bauch und verlor das Bewusstsein.

Sie sahen, wie er sich wieder entspannte und drehten ihn auf den Rücken. Sein Kopf rutschte zur Seite.

Die Bewohner des ehemaligen Materialraumes schauten sich verwundert an.

„Was war das denn?“, sprach Theresa aus, was alle dachten.

Josi konnte nur mit den Schulten zucken. Sie hatte keine Ahnung.
 

In der Nacht erwachte er wieder. Die ältere Frau saß neben ihm und legte ihm gerade wieder ein kühles Tuch auf die Stirn. Er wollte sich aufsetzen.

„Du bleibst liegen!“, sagte sie bestimmt. Er musterte sie aufmerksam, fügte sich aber.

„Kannst du mir sagen was passiert ist?“, wollte sie wissen.

Seine Augen schienen sich in ihre zu bohren. Verzweiflung und Angst spiegelten sich darin, Angst, aber nicht um ihn.

„Hier passiert dir nichts“, beruhigte sie ihn. Er schnaufte verächtlich.

„Hast du Schmerzen?“, fragte sie weiter. Wieder schwieg er.

„Gut“, sagte sich mit einem Lächeln, „dann finde ich es selbst heraus. Aber beschwer dich nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.“ Sie tastete seine Körper ab. Sie hatte wunderbar kühle Hände. Er entspannte sich etwas. Ein Fehler. Plötzlich drückte sie an genau den richtigen Stellen fester zu. Er zuckte zusammen und knurrte durch zusammengebissene Zähne.

„Du hast starke Prellungen. Nichts gebrochen. Aber du solltest ein paar Tage liegen bleiben. Du wirst nicht weit kommen, wenn du jetzt aufstehst und du bist hier wirklich sicher“, versuchte sie ihn zu beruhigen, „wie heißt du?“

Er antwortete nicht und seine Augen wurden leer.

„Du willst deinen Namen nicht sagen?“

Mit schmerzerfüllten Augen sah er sie wieder an. Konnte sie nicht einfach die Klappe halten?

„Jeder hat einen Namen!“, fuhr sie fort. Er verdrehte die Augen, drehte den Kopf zur Seite und schloss die Lider.

„Okay, dann nennen wir dich Alec! Immer nur Junge ist auch nix! Alec ist vor ein paar Tagen mit seiner Freundin mitgegangen. Du kannst seine Decken und seinen Platz haben.“

Er bekam die letzten Worte kaum mit.

Ethan

Als er das nächste Mal erwachte saß ein älterer Mann neben ihm. Seine Augen huschten über dessen Gesicht. Es war der, der den Anderen gesagt hatte, sie sollten ihn in Ruhe lassen.

„Hallo, ich bin Ethan“, stellte er sich vor. „Josi sagt du bist Alec?“

Er antwortete nicht.

„Du kannst bleiben wenn du willst, aber wir werden dich nicht halten, wenn du gehen möchtest. Wir leben hier in einem alten Materiallager aus der Zeit als die Brücken noch per Hand instand gehalten wurden. Da vorne ist die Eingangsluke. Früher gab es mal eine richtige Klappe aus Eisen, aber die schien irgendwer gebraucht zu haben. Jetzt muss es eine alte Plane tun. Jeder hat hier seinen Platz. Du kannst in der Ecke da drüben schlafen, wenn du möchtest.“ Dabei zeigte er auf eine Ecke an der vorderen Wand.

„Wir, das sind Mark, Pete, Teresa, Patricia, Jack, Sarah, Travis, Josephine, Benjamin und ich“, zählte er die Namen der Reihe nach auf und zeigte dabei auf die jeweilige Person.

Deans Augen musterten die Gestalten, die um sein Lager standen.

Sein Körper schmerzte.

Josi drängelte sich jetzt an seine Seite. Sie schob ihm ihren Arm unter den Rücken und hob ihn vorsichtig an. Sie hielt ihm einen Becher an die Lippen und er trank einen Schluck. Tee! Er wollte den Kopf wegdrehen, doch ein Blick von ihr ließ ihn gehorsam schlucken. Er hatte nichts mehr zu wollen. Er hatte versagt. Alles was er wollte, hatte er verraten. Den, den er mit seinem Leben schützen wollte, hatte er dem Teufel überlassen. Er hatte den falschen Ratgebern vertraut, hatte alles falsch gemacht, was er nur falsch machen konnte.

Er schloss die Augen und trank den Becher leer. Josi lächelte und ließ ihn wieder zurücksinken.

Er dämmerte zurück in die Dunkelheit.
 

Sie hatten ihn in ihre Gemeinschaft aufgenommen.
 

Als er wieder aufwachte schaute er sich um. Der vordere Teil des Pfeilers war ziemlich hoch. Im oberen Drittel waren einige Fenster, die kaum Licht hinein ließen, so verdreckt waren sie und es gab eine Art Rauchabzug.

Zur hinteren Wand fiel die Decke schräg ab. Da konnte man gerade noch sitzen. Dort lagen noch ein paar Kabelringe und Eimer.

Als er wieder kräftig genug war, nahm er seine Decken und verkroch sich in die hinterste Ecke, hinter die Kabel und Eimer.

Sie ließen ihn.

Und so begann sein Leben bei ihnen.

Er wurde zu Alec. Hier in dieser Gemeinschaft war er Alec.
 

Wieder ein Abend an dem er sich eigentlich nur nach einer Dusche sehnte.

Ein Wagen hielt. Es war Beth. Er stieg ein und bekam seine Dusche und sie das, weswegen sie angehalten hatte.

Beth war nett. Er hätte bei ihr schlafen können, wenn er ein Bett gewollt hätte, doch er hatte sich angewöhnt zu gehen, wenn sie genug von ihm hatten. Das ersparte ihm peinliche Blicke, wenn er wieder mal von Sam träumte und schreiend aufwachte, und ihnen, aus dem Schlaf gerissen zu werden, weil der Fremde neben ihr schlecht schlief.

Allein Corine störte sich nie daran und er sich bei ihr auch nicht. Aber Corine war anders.
 

Alec war wieder auf der Straße. Beth hatte ihm wie immer einen Packen Scheine in die Hand gedrückt.

Sie gab mehr als die Anderen und er ging mal wieder einkaufen. Josi strahlte ihn jedes Mal breit an, wenn er wieder beladen wie ein Packesel im Unterschlupf auftauchte. Und ihr Lächeln schenkte ihm ein bisschen Wärme.

So auch heute. Er stellte die Tüten vor ihrem Lager ab und hoffte sie würde schlafen.

Sie war wach, natürlich war sie wach. Sie lächelte ihn an und stand auf.

„Ich weiß nicht was dich bedrückt, Alec, aber du bist ein guter Junge“, sie nahm ihn in den Arm.

Er versteifte sich, wie immer wenn sie das tat, doch er hielt still. Zu sehr hatte er sich sein ganzes Leben nach einer Umarmung gesehnt, als dass er dieses Gefühl der Geborgenheit jetzt leichtfertig zerstören könnte. Dann löste sie sich von ihm und er schob ihr den größten Teil des Restgeldes in die Hand. Sie japste erschrocken nach Luft, als sie sah wie viel es war. Aber auch wenn sie ihn fragen würde, sie würde keine Antwort bekommen, ja nicht einmal eine Reaktion. Außerdem ahnte sie, wie er zu dem Geld kam. Sie sah ihm hinterher, wie er sich auf seinem Platz verkroch und schloss traurig die Augen, als sie hörte, wie der Verschluss der Flasche geöffnet wurde.
 

Seit diesem einen verhängnisvollen Tag, vor ein paar Wochen, an dem Alec volltrunken die Treppe herunter gestürzt war, hatte er sich nicht mehr so komplett abgeschossen und sie war ihm dankbar dafür, aber er trank sich nach wie vor jeden Abend in einen erhofften traumlosen Schlaf.

Josi atmete noch einmal tief durch und legte sich wieder hin. Es war noch zu früh zum Aufstehen.
 

Der Nachmittag brachte Ärger.

Vor dem Unterschlupf hatten sich drei Stadtarbeiter aufgebaut. Grobschlächtige Kerle, die schon von weitem nach Streit rochen.

Ethan trat ihnen entgegen und der größte Teil der Gruppe stellte sich hinter ihn.

„Morgen früh seid ihr hier verschwunden!“, forderte der selbsternannte Sprachführer.

„Gibt es einen Beschluss dazu? Zeig ihn mir!“, antwortete Ethan.

„Es gibt keinen Beschluss! Ihr sollt einfach verschwinden!“

„Wir bleiben!“, war alles was Ethan dazu sagte. Er wollte sich wieder abwenden, doch der Sprecher packte ihn am Arm und zerrte ihn erneut zu sich herum.
 

Alec lag noch immer in seiner Ecke und schlief. Doch etwas war anders. Etwas ließ seine Instinkte Alarm schlagen. Sofort war er hellwach, griff sich den Dolch und stand auf.

Er sah die Gruppe zusammen stehen und hörte den aggressiven Ton des Sprechenden. Der Blonde ging zu ihnen, hielt sich aber im Hintergrund.

„Ihr wollt diesen Platz zum Drogen verkaufen, oder für irgendwelche Partys, wollt einen neuen In-Club gründen!“

„Es kann euch scheißegal sein, was wir hier machen wollen. Ihr habt zu verschwinden!“

„Vergesst es! Ohne eine schriftliche Anordnung der Stadtverwaltung werden wir unseren Platz hier nicht räumen.“
 

Langsam drängte Alec sich durch die Gruppe. Sie sahen ihn verwundert an, ließen ihn aber gewähren.

Er stellte sich neben Ethan.

„Was ist das denn? Hast du dir jetzt einen Bodyguard angeschafft, alter Mann?“, höhnte der Sprecher und seine Kumpane lachten.

Ihre Blicke wanderten über den Neuankömmling und ganz kurz war alles Weiß aus ihren Augen verschwunden.

„Ein Winchester!“, feixte der Dämon. „Der Letzte!“

Dean ging die letzten Schritte auf die Drei zu und richtete sich vor ihnen zu seiner vollen Größe und Breite auf. Selbst die, die ihn nun schon seit Wochen kannten, bekamen große Augen. Der Junge hatte plötzlich eine Ausstrahlung, die jedem davon abriet sich mit ihm anzulegen.

„Wir kommen wieder! Bald!“, sagte der Sprecher.

Dean starrte dem Dämon in die jetzt wieder normalen Augen.

„Liebe Grüße von Sammy, oder dem, was wie Sammy aussieht!“, höhnte der Dämon.

Deans Augen wurden leer. In ihm brodelte es vor unterdrückten Emotionen, doch nichts von dem Chaos kam an die Oberfläche. Er wandte sich einfach ab und ging durch die, sich vor ihm teilende, Gruppe zurück zum Pfeiler und kletterte durch die Luke in die Dunkelheit.

„Schau dich an Dean! Dein Dad würde sich im Grab herum drehen, wenn er dich so sehen könnte. Hat er dich dazu erzogen? Du hast versagt. Du hast aufgegeben! Du bist tot Dean, und das schon seit langem!“, höhnte der Dämon, der die ganze Zeit gesprochen hatte noch lauter hinter ihm her.
 

Doch Dean ließ sich zu keiner Reaktion hinreißen. Er hatte sich wieder auf sein Lager verkrochen und versuchte die traumlose Dunkelheit zu finden, aus der dieser Dämon ihn gerissen hatte. Es war schon schlimm genug, dass sie jetzt seinen Namen kannten, und dass damit die alten Erinnerungen immer wieder aufreißen würden, die er unter den Trümmern seiner Seele hatte vergraben wollen.
 

Nacheinander kamen sie in den Pfeiler geklettert. Alle starrten auf das Bündel Decken in der hintersten Ecke. Allen brannte die Neugier auf den Nägeln. Aber sie respektierten, dass er nicht reden wollte, so wie sie es bei Jedem respektierten, der in ihre Gemeinschaft gekommen war, und so machte sich jeder seine eigenen Gedanken.
 

Die Nacht breitete ihre schützende Dunkelheit über die Stadt. Nachdem jeder von seinen täglichen Unternehmungen zurück war fanden sie sich wieder im Pfeiler ein. Sie bereiteten ihr Essen und unterhielten sich leise.

Es schien ein normaler Abend zu sein, doch die Späße fehlten und das Lachen. Eine greifbare Anspannung hatte sich in dem Innenraum breit gemacht.

Dean befreite sich aus seinem Decken.

Sie würden kommen! Heute Nacht würden sie kommen und dem Ganzen ein Ende bereiten.

Er verstand selbst nicht, warum sie es nicht schon heute Nachmittag gemacht hatten. Dachten sie, sie könnten ihn so noch ein paar Stunden länger quälen? Dachten sie, er hätte Angst und würde weglaufen?

Es gab keine Alternative für ihn. Wo sollte er denn hin? Die Engel erwarteten, dass er die Apokalypse beenden würde. Er sollte Luzifer töten. Luzifer, der sich in Sam eingenistet hatte wie ein Parasit. Nein, er würde Sam nicht töten. Alles konnten sie von ihm verlangen, alles, aber er würde Sam nicht töten. Nicht solange es noch ein kleines Fünkchen Hoffnung gab, Sam wieder zu bekommen.

Mal ganz abgesehen davon, dass er Sam oder Luzifer nicht finden konnte. Er hatte ihn gesucht. Hatte Dämonen beschworen und sie so lange gefoltert, bis sie gestorben oder zurück zur Hölle gefahren waren. Er hatte nichts aus ihnen herausbekommen können. Er wusste nicht wo Luzifer war, und die Flattermänner, die ihnen das alles eingebrockt hatten, hatten sich auch nicht wieder blicken lassen.

Kein Castiel, kein Zacharias. Auch von Anna fehlte jede Spur.

Er war es leid. Er wollte nicht mehr. Er konnte nicht mehr.

Sie würden ihn heute in die Dunkelheit schicken. Keine Hölle, kein Himmel. Kein Licht, das auf ihn wartete. Einfach nur Dunkelheit. Dunkelheit und Vergessen.
 

Dean stand auf und schob den Dolch in seinen Bund. Äußerlich vollkommen ruhig bahnte er sich seinen Weg durch die Gruppe.

Sie ließen ihn gehen. Eine Mauer der Unnahbarkeit umgab ihn und keiner wagte es, diese Mauer zu durchbrechen.
 

Er stand am Fluss und schaute am Ufer entlang. Kälte wehte vom Wasser hinauf. Einen Augenblick überlegte er noch, dann wandte er sich stromaufwärts.
 

Pete folgte ihm, so leise er konnte und mit möglichst großem Abstand.
 

Unschlüssig blieb Dean stehen. War er in die falsche Richtung gegangen? Hatte er sich getäuscht und sie würden heute nicht kommen?

Wie auf’s Stichwort tauchten sie plötzlich vor ihm auf.

„Hallo Dean. So ganz alleine heute? Wo ist denn deine flatterhafte Begleitung? Haben sie dich im Stich gelassen?“, stichelte der, der schon am Nachmittag gesprochen hatte.

Dean schnaubte nur.

„Sie haben dich belogen und betrogen, für ihre Zwecke missbraucht und dann einfach fallen gelassen.

Du bist so einfach zu steuern, Dean. Kaum geht es um deinen kleinen, geliebten Sammy, schon setzt bei dir jede Vernunft aus und man kann mit dir machen was man will. Man muss dir nur vorgaukeln, dass es Sammy dann wieder gut geht.

Dein Dad hat es von dir verlangt, Dean, und du hättest Sammy nicht zurückholen sollen. Gut, du wärst an gebrochenem Herzen gestorben. Aber wer weiß? Vielleicht hätten sie dich ja gar nicht sterben lassen? Sie hatten es sich so schön ausgemalt. Du brichst das erste Siegel und dann können sie es dir vorhalten und du gehst fast ein an Gewissensbissen und merkst nicht, wie Sammy immer weiter abdriftet, wie er immer mehr zu dem wird, was er eigentlich aus ganzer Seele hasst.

Sie vernebeln dir die Sinne und lassen dich glauben, dass mit ihm wieder alles gut wird, wenn du nur für sie arbeitest.

Du konntest Sammy nicht schützen Dean! Du hättest ihn töten sollen!“

Dean knurrte wütend. Er hatte weiß Gott genug gehört, hatte sich weiß Gott genug Vorwürfe gemacht. Jetzt reichte es! Er wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen, und fühlen wollte er auf keinen Fall je wieder etwas.

Er riss den Dolch aus seinem Bund und stürzte sich auf den Sprecher.

Er war zu langsam. Der Dämon empfing ihn mit einem Schlag in den Magen, der Dean die Luft raubte. Seine Knie knickten weg. Die Faust des Dämons traf sein Kinn mit voller Wucht und ließ seinen Kopf regelrecht nach hinten schnellen. Etwas knirschte und er landete hart auf seinem Rücken.

Der Dämon packte ihn am Hals und zerrte ihn auf die Füße. Kraftlos versuchte er sich zu wehren, doch auch wenn seine Fäuste auf ihr Ziel trafen, die Dämonen lachten nur.

Deans Widerstand erstarb vollständig, als seine Füße den Kontakt zum Boden verloren.

Pete

Doch sie wollten ihm die Dunkelheit noch nicht gewähren. Der Dämon, der ihn die ganze Zeit gequält hatte, ließ ihn fallen. Warf ihn weg, traf es wohl eher, schoss es Dean durch den Kopf.
 

Pete hatte sich so weit wie möglich an die vier Männer herangeschlichen. Er versuchte etwas zu sehen, doch hier unten am Fluss war es so dunkel, dass er nicht viel erkennen konnte und selbst das schwache Leuchten des Mondes, das der Fluss reflektierte, brachte kaum etwas.

Er war vor fast drei Jahren hier in diese Gemeinschaft gekommen. Damals war er vierzehn gewesen. Sie hatten ihn wegschicken wollen, hatten ihm immer wieder zu erklären versucht, dass er es zu Hause besser hätte als hier auf der Straße, aber er war geblieben. Als ein vom Vater geprügeltes Kind, das sich schon immer auf der Straße wohler gefühlt hatte als zu Hause, hatte er erst hier ein Zuhause gefunden und Alec hatte, zumindest in seinen Augen, dafür gesagt, dass die, die sie jetzt aus diesem Zuhause vertreiben wollten, gescheitert waren.

Warum Alec, oder wie die ihn genannt hatten, Dean Winchester, sich allerdings so wehrlos von denen verprügeln ließ, konnte er nicht verstehen.
 

Jetzt sollten wohl noch die anderen Beiden ihren Spaß mit ihm haben.

Dean wälzte sich auf den Bauch und versuchte den Dolch zu finden. Wenigstens Einen wollte er in die Dunkelheit mitnehmen. Langsam kroch er vorwärts. Er wunderte sich selbst, warum er immer noch versuchte sich zu wehren, warum er noch immer kämpfte? Er wollte nur noch sterben. Wollte nur noch in die Dunkelheit fallen. Nichts mehr fühlen, nichts mehr hören oder sehen. Aber seine Instinkte, Dads jahrelanger Drill erlaubten ihm nicht, sich einfach so zum Sterben hinzulegen. Sie zwangen ihn zu kämpfen. Und das tat er.

Langsam kroch er auf das glänzende Etwas zu, von dem er annahm, dass es der Dolch war.

Immer wieder trafen ihn Tritte in die Rippen und er fühlte, dass nicht nur eine brach.

Er war fast bei der Waffe, als sich eine Hand in seine Haare krallte und ihn auf die Füße zog. Sofort schlangen sich Hände um seine Arme und zerrten sie nach hinten. Wieder trafen ihn Fäuste im Magen und am Kopf. Er pendelte in den Armen, die ihn hielten, hin und her wie eine Stoffpuppe. Dann ließen ihn die Hände los, und er kippte kraftlos zu Boden.
 

Pete hielt sich die Hand vor den Mund, damit er sich nicht verriet. Er wollte dem Blonden irgendwie helfen, aber er wusste nicht wie. Wenn selbst so ein großer, kräftiger Mann wie Dean gegen diese Männer keine Chance hatte, was sollte dann er ausrichten?
 

„Na, schon genug? Gibt der kleine Winchester schon auf? Du bist so ein Schwächling, Dean, so ein Versager. Sam müsste sich deiner schämen, genau wie dein Dad.“ Der Wortführer packte sein Opfer wieder am Hals und zerrte ihn hoch.

Der versuchte die Augen zu öffnen, versuchte sich zu wehren, er hatte keine Kraft mehr.

„Wir sehen uns in der Hölle, Dean!“, lachte der Anführer und warf ihn wie ein Stück Müll zur Seite.

Der Blonde schlug hart auf dem Boden auf.

„Bis bald!“, höhnte es über ihm, und er zwang sich noch einmal seine Augen zu öffnen.

Sein Blick fiel auf den Dolch, der in seiner Reichweite, fast schon unter seinem Arm lag. Er fasste zu.

Ohne zu wissen, woher er die Kraft nahm, kam er auf die Beine und rammte dem Wortführer den Dolch in die Rippen.

Langsam senkte der den Kopf und schaute verwundert auf den Messergriff, der aus seinen Rippen ragte. Seine Hand schloss sich darum und er versuchte die Klinge aus seinem Körper zu ziehen. Seine Beine gaben nach. Als er fühlte, dass er starb, riss er die Augen weit auf. Aber er war doch ein Dämon! Er konnte doch nicht einfach so sterben?

Doch er starb flackernd.

Dean brach endgültig zusammen.
 

Verwundert presste sich Pete diesmal beide Hände vor den Mund.
 

Die zwei anderen Dämonen traten auf Dean ein. Einer von ihnen hatte eine Eisenklinge an der Schuhspitze und diese riss, wieder und wieder, die Seite des Winchesters auf.

Wie im Rausch traten sie immer weiter zu, bis Scheinwerferkegel über die Stelle huschten. Der Dämon drehte sich zu den Scheinwerfern. Er verkantete den Fuß ein wenig, die Klinge brach zwischen Deans Rippen ab.
 

Pete sah, wie die Dämonen einfach verschwanden.

„Aber das...“, japste er. Panisch schaute er sich immer wieder um. Sie waren auf ihn zugekommen und er war sich ganz sicher gewesen, dass sie ihn gefunden hatten, dass er entdeckt worden war und sie dasselbe mit ihm tun würden, was sie mit Dean gemacht hatten. Er hatte sie gesehen. Er hatte das wichtigste Gesetz der Straße gebrochen. Er hatte sich nicht aus den Angelegenheiten Anderer herausgehalten.

Und dann waren sie plötzlich verschwunden.

Immer wieder schaute Pete sich um, aber er konnte die Männer nirgends mehr sehen. Trotzdem traute er sich nicht aus seinem Versteck hervor. Er zitterte wie Espenlaub und von dem Mut, den er vorher noch hatte, als er Dean gefolgt war, war nichts mehr übrig.
 

Plötzlich hörte er ein Stöhnen, dass von Dean kommen musste. Es riss ihn zurück in die Wirklichkeit.

Noch einmal schaute er sich um, aber die Männer schienen tatsächlich spurlos verschwunden zu sein.

Endlich kroch er aus seinem Versteck. Erneut sah er sich weiter um.

'Wo ist Dean?' Er lief zu der Stelle, an der er den Blonden zuletzt hatte fallen sehen. Dann suchte er flussaufwärts. Nach 20 Schritten blieb er stehen. So, wie die auf Dean eingeschlagen hatten, konnte der nicht so weit gekommen sein. Er lief zu der Stelle zurück. Zwanzig Schritte flussabwärts. Wieder nichts. Er lief wieder zurück.

Dann hörte er ein Platschen.

„Nein! Dean!“, schrie er und rannte zum Fluss. Er starrte in die Fluten, doch er konnte nichts sehen. Nichts außer braunem schnell fließenden Wasser. Aber der Dolch, der noch am Ufer lag, bewies, dass es wirklich Dean war, der hier in das kalte Wasser gefallen war. Aber warum? Warum war er in den Fluss gestürzt?

Pete sah sich um. 'Der Körper muss verschwinden. Wer weiß, wer die Auseinandersetzung am Nachmittag alles gesehen hatte. Wer weiß, wer diesen toten Mann mit Dean und mit uns in Verbindung bringen wird.'

Der Junge packte den Körper und zerrte ihn zum Fluss. Immer wieder musste er innehalten, immer wieder musste er neuen Atem schöpfen. Dann endlich versank auch dieser Körper mit einem Platschen.

Pete setzte sich ans Ufer und verschnaufte eine Weile.

Ein Gedanke schloss durch seinen Kopf. Was, wenn sie Dean vielleicht weiter flussabwärts finden konnten? Vielleicht war er ja gar nicht weit abgetrieben worden?
 

Er rannte, sich möglichst nahe am Ufer haltend, los. Er wollte die Gruppe alarmieren. Sie mussten Dean finden, sie würden ihn finden!
 

Er war in das Wasser gefallen, hatte sich von der Ufermauer fallen lassen. Die plötzliche Kälte hatte ihm die Luft aus der Lunge gepresst.

Er versank wie ein Stein und doch fühlte er sich geborgen. Etwas trug ihn, fast so wie Mom ihn in ihren Armen gehalten hatte. Er entspannte sich. Und dann musste er an Corine denken. Sie hatte gesagt, er solle nicht springen. Okay, er war eher gefallen als gesprungen, aber es war egal. Das Wasser trug ihn davon, weg von hier, weg von diesem Leben! Aber auch weg von Sam.

Dean riss die Augen auf. Er wollte atmen. Er musste an die Oberfläche zurück. Doch der Druck auf seinen Lungen war schon zu stark und er öffnete seinen Mund. Gierig sog er das Wasser in seine Lungen. Er musste würgen, wollte husten und immer mehr Wasser füllte seine Lungen.

Sein Kopf prallte gegen einen größeren Stein am Grund.

Dean verlor sich in der Dunkelheit.

Er spürte nicht, wie ihn etwas umfing und an die Oberfläche trug, wie ihm dieses Etwas sanft über die Wange strich und ihn dann am Ufer, gleich neben dem Pfeiler ablegte.
 

Bald darauf fand ihn Pete und hetzte ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden in ihren Unterschlupf.
 

Mitten in der Nacht wurde Josi von einem Aufschrei geweckt.

„Josi! Ethan! Hilfe. Ich brauch hier dringend Hilfe!“, brüllte Pete wie am Spieß.

„Pete? Was ist los Junge? Woher kommst du denn jetzt?“, fragte Theresa den Jungen und eilte auf ihn zu.

Er fasste sie sofort an der Hand und zerrte sie mit nach draußen.

„Pete?“, fragte jetzt auch Ethan.

„Dean liegt da draußen!“, brüllte der Junge.

„Dean?“, Josis Gedanken brauchten, so gerade erst aus dem Schlaf gerissen, noch Zeit.

„Alec! Dean! Die wollten ihn umbringen!“, brüllte Pete und riss sich von Theresa los, um endlich wieder nach draußen zu kriechen.

Kopfschüttelnd und sich die Augen reibend kletterte Josi nach draußen. Dean war schon öfter weg gewesen und wenn er noch draußen bleiben wollte, dann war das sein Problem. Langsam folgte die Gruppe.

Im ersten Moment sahen sie nichts. Josis Schrei ließ sie herumfahren.

Mark und Benjamin stürzten, gefolgt von dem Rest, sofort zum Ufer. Und dann sahen sie, was Pete gemeint hatte.
 

Der Körper lag auf dem Bauch am Ufer, aber schon seine Hüften lagen im Fluss und die Strömung arbeitete daran, dass was einmal ihr gehörte, wieder zu erlangen. Langsam aber unerbittlich zog sie ihn wieder in den Fluss.

Mark und Benjamin hatten ihn inzwischen erreicht. Sie packten ihn an den Armen und zogen ihn weiter auf's Ufer.

„Es ist Alec!“, stellte Mark fest.

„Davon rede ich doch die ganze Zeit!“, beschwerte sich Pete.

„Er atmet nicht!“, keuchte Josi entsetzt, die sich zu Dean gehockt hatte und ihn untersuchen wollte.

Sofort knieten sich die Männer, die Dean weiter ans Ufer gezogen hatten, zu ihm und begannen mit der Wiederbelebung. Immer wieder kontrollierte Josi Deans Puls, aber nichts. Immer wieder nichts.
 

Und dann krampfte sich der Körper plötzlich zusammen.

Dean hustete und würgte, er spuckte und immer wieder krampfte sich sein Körper zusammen. Dean keuchte vor Schmerzen.

Dann verlor er das Bewusstsein.

Mark hob den ausgemergelten Körper hoch und legte ihn sich über die Schulter.

„Mark“, schimpfte Josi. Sie hatte sich Dean noch nicht näher ansehen können, und war sich sicher, dass der Verletzungen haben musste, und ihn so zu tragen half da bestimmt nicht.

„Ich leg ihn gleich wieder hin, aber so kann das Wasser noch aus seinen Lungen laufen“, verteidigte sich Mark.

Sarah hatte inzwischen Deans Decken nach vorn geholt. In seiner Ecke war nicht genug Platz um ihn zu versorgen.

Mark legte seine bewusstlose Last auf den Boden und sofort begannen die Frauen ihn von seiner nassen Kleidung zu befreien. Dean zitterte und Patricia kochte Tee.

Josi untersuchte seine Körper akribisch nach Verletzungen. Doch fast sofort verdrehte sie resigniert die Augen. Es war wohl eher so, dass sie seinen Körper nach einigen nicht verletzten Stellen absuchte. Bauch und Rücken schillerten schon rot und würden sich in ein paar Stunden schwarz verfärbt haben. Er hatte gebrochene Rippen und seine Seite war regelrecht zerfetzt. Vorsichtig tasteten ihre Finger die Wunden ab. Der Fluss hatte sie recht gut gespült, obwohl sie der Reinheit des Wassers kein Vertrauen schenkte. Sie wusch die Schnitte noch einmal aus und versuchte ihn so gut es ging zu versorgen.

„Holt mir mal einer eine der Flaschen, die noch in seiner Ecke stehen“, bat sie und sofort kroch Pete nach hinten und brachte das Gewünschte. Josi kippte die halbe Flasche Whiskey darüber. Dean reagierte nicht und nicht nur Josi war in dem Moment froh darüber, dass er noch bewusstlos war.

Dann, als der Verletzte kurz zu sich kam, flößte sie ihm den heißen Tee ein. Er hatte Schwierigkeiten beim Schlucken und die Würgemale um seinen Hals bereiteten Josi zusätzliche Sorgen. Langsam ließ sie ihn zurückgleiten und wickelte vorsichtig die Decken um den geschundenen Körper.

„Was ist passiert, Pete?“, wollte sie dann wissen.

Alle Augen richteten sich auf den Jungen, der sofort errötete.

„Bitte erzähl!“, forderte Josi leise und er begann zögerlich von dem zu berichten, was er gesehen hatte.
 

Dean lag jetzt schon fast 24 Stunden hier.

Immer wieder wechselte sie die kalten Tücher auf seiner Stirn.

„Er hat hohes Fieber und es scheint noch immer weiter zu steigen“, sagte sie, als Sarah ihr eine Tasse Brühe für Dean brachte.

Mit einiger Mühe schaffte sie es, ihn zum Trinken zu bewegen. Danach untersuchte sie ihn erneut, noch einmal spülte Josi die Wunden so gut es ging und verband sie erneut. Besorgt schüttelte sie den Kopf.

„Wenn es nicht bald besser wird muss er in ein Krankenhaus. Wir können ihm hier die Wunden nicht optimal sauber halten“, sagte sie traurig.

Immer wieder kühlte sie ihm den heißen Kopf und wusch ihm den Schweiß vom Körper.

Es wurde nicht besser.

Sie versuchte ihn so oft es ging zum Trinken zu bewegen, denn sie hatte Angst, dass er ihr regelrecht innerlich verbrannte.

„Dean, wir können dir hier nicht helfen. Morgen früh bringen wir dich in ein Krankenhaus“, erklärte sie ihm, als er sie aus trüben Augen anblinzelte und sie sah deutlich, dass er in kein Krankenhaus wollte.

„Du wirst uns hier sterben!“, sagte sie ernst und es raubte ihr für einen Moment die Luft, als sie die Bereitschaft dazu in seinen Augen lesen konnte. Sie riss sich zusammen, obwohl ihr die Tränen in die Augen drängten. Sie schüttelte den Kopf und brachte ihn dazu, noch ein paar Schlucke zu trinken, dann sank er zurück in die Dunkelheit.

Jetzt erst ließ sie ihren Tränen freien Lauf.

„Was ist?“, wollte Ethan wissen. Er legte ihr tröstend seine Hand auf die Schulter.

„Er weiß, dass er sterben kann und er scheint sogar darauf zu warten“, schluchzte sie.

Ethan nahm sie in den Arm: „Es wird einen Weg geben!“

„Dein Wort in Gottes Ohr!“, sagte sie und wischte sich über die Augen. Sie stand auf und ging mit einem: „Ich brauch frische Luft!“, nach draußen.

Der Ältere wies Patricia mit einer Handbewegung an, bei dem Verletzten zu bleiben und folgte ihr.

Castiel

Die Schmerzen waren so stark, dass sich sein Körper zusammenkrümmte und sich seiner Kehle ein gequältes Stöhnen entrang.

Er versuchte zu verstehen, wo er war, versuchte zu hören, zu sehen, zu fühlen. Doch da war nichts.

Er fühlte nichts, gar nichts! Keinen Körper und keine Schmerzen. Doch alleine die Erinnerung daran ließ ihn erneut leise wimmern.

Weiche Wärme hatte ihn umfangen und ganz langsam konnte er sich entspannen. Wo war er? Was war geschehen?

Vorsichtig begann er seine Erinnerungen zu durchforsten.

Er hatte es gerade noch rechtzeitig nach St. Catherine geschafft. Anna und Bobby hatten versucht Luzifer davon abzuhalten, Dean zu töten, der bewusstlos und aus etlichen Wunden blutend, halb auf Lilith’ Leiche lag. Bobby hatte bei ihm gekniet.

Anna und er hatten sich einen kurzen Blick zugeworfen, waren dann zu den Jägern geeilt und hatten sie gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen können, bevor Luzifer das Spiel mit Dean leid geworden wäre und ihn getötet hätte.

Jetzt war der natürlich auf die beiden Engel sauer. Höllisch sauer.

Heißer, brennender Schmerz war in seinem Körper explodiert und er hatte fühlen können, wie sein Körper binnen Sekunden zu Staub zerfallen war.

Wieder ließ ihn die Erinnerung daran aufstöhnen. Verdammt! Er war ein Engel! Er sollte keine Schmerzen fühlen können, doch hier war es anders. Luzifer konnte auch einem Engel wehtun.
 

„Castiel?“ Eine Vertrauen erweckende Stimme drang in sein Bewusstsein.

Er konnte fühlen, dass warmes Licht ihn umfing. Oder konnte er es sehen? Er hatte keinen Körper, der irgendetwas konnte und doch schien sein Bewusstsein wie ein Körper zu funktionieren. Aber er war doch gestorben?

Das warme Licht beruhigte ihn.

„Vater?“ fragte er leise.

„Ja.“

Castiel versuchte seinen Blick zu senken, er versuchte die Augen zu schließen, doch Gott schien überall zu sein und er hatte ja eigentlich keine Augen, die er schließen konnte.

„Ich bin...“, stammelte er.

„Hör mir zu, Castiel! Wir müssen es beenden!“

„Was?“

„Luzifers Herrschaft auf der Erde.“

„Aber wie?“

„Nur der Winchester kann es. Du musst ihn wieder zu uns bringen.“

„Er wird nicht kommen. Wir haben ihn zu sehr belogen. Wir…“, Cas wollte so gerne schlucken, aber wie ohne Körper, wo er sich doch fühlte als hätte er einen dicken Kloß im Hals. Er wollte etwas Menschliches tun. Verwundert stellte er fest wie schnell er sich an seinen menschlichen Wirt und das menschliche Verhalten gewöhnt hatte. Es fehlte ihm.

„Wir…?“

„Wir haben ihn auf unsere Seite gezwungen. Er hat dem… er hat auch diesem Pakt nur zugestimmt, um seinen Bruder zu retten, um ihn zu beschützen. Jetzt hat Luzifer Sams Körper und seine Seele verkümmert darin. Sie wird bald vergessen haben, wer sie war. Nicht lange und alles Menschliche wird aus ihr verschwunden sein, wenn das nicht schon passiert ist“, fuhr Cas leise fort.

„Nur er kann Luzifer stoppen und du musst ihn zur Vernunft bringen!“

„Er wird mir nicht vertrauen. Menschen brauchen ein Gesicht, eine Person, der sie vertrauen, oder auch nicht und der Körper, den Dean kannte, den er mit mir in Verbindung gebracht hat, wurde von Luzifer zerstört.“

„Du wirst deinen Körper bekommen, wenn der so wichtig ist.“

Weißes Licht hüllte Castiel ein.
 

Draußen war es schon wieder dunkel. Josi streckte sich. Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und versuchte sich verzweifelt einzureden, dass sie stark war und dass sie das durchstehen würde und dass sie den Jungen nicht so sehr mochte. Es half nichts. Und als Ethan an sie herantrat, klammerte sie sich an ihn und weinte. Weinte wie sie seit dem Unfall nicht mehr geweint hatte. Der Unfall, bei dem ihr Mann und ihre Tochter starben, und der sie aus ihrem Leben gerissen hatte, sie alle drei.
 

Sie holte tief Luft. Morgen musste der Junge ins Krankenhaus! Ob er wollte oder nicht! Er durfte nicht auch noch sterben.
 

Oben auf der Brücke stand Corine am Geländer und starrte in die Tiefe. Sie wusste nicht, was sie an diesen Ort gezogen hatte, aber heute Abend hatte sie das zwingende Gefühl gehabt, dass sie zur Brücke fahren musste.

Langsam ging sie die Treppe hinab. Sie sah die Beiden zusammen stehen und die Frau sah so zerbrechlich aus, so hilflos. Sie wollte sie nicht stören, aber sie wollte wissen, wie es Jason ging, erst dann konnte sie beruhigt sein und endlich diese Unruhe in sich verdrängen.

Sie wartete bis sich die Beiden wieder trennten und ging langsam auf sie zu.

„Entschuldigen sie bitte“, begann sie und die beiden Älteren schauten sie irritiert an.

„Können sie mir sagen wie es … Jason geht?“

„Jason?“, fragte Ethan und musterte die junge Frau. „Hier gibt es keinen Jason!“

Corine lächelte entschuldigend: „Ich hab ihn Jason genannt. Ich weiß nicht, wie er wirklich heißt. Er ist groß, schon fast unterernährt und hat die schönsten grünen Augen, die ich je gesehen habe, auch wenn sie einen so traurig anschauen.“

„Du meinst Dean“, antwortete Josi.

„Er heißt Dean?“

Jetzt war es an den beiden Älteren zu lächeln.

„Wir hatten ihn Alec genannt. Aber dann sind gestern hier ein paar Männer aufgetaucht, die ihn Dean nannten. Wir wissen es nicht mit Bestimmtheit, aber ich denke, er heißt wirklich Dean“, klärte Josi sie auf.

„Dean?“, überlegte Corine. „Ich hab ihn Jason genannt. Ich wollte nicht unbedingt lustiges Namenraten mit ihm spielen und er hörte auf Jason.“

„Ich glaube er hätte auf jeden Namen gehört!“, bemerkte Ethan traurig.

Plötzlich schaute Josi auf und ließ ihren Blick prüfend über die junge Frau gleiten.

„Sie müssen ihm helfen!“, platzte die Ältere hervor. Corine schaute sie irritiert an.

„Wir vermuten, dass er in eine Schlägerei geraten ist“, erklärte Josi ausweichend, „und er ist verletzt worden. Schwer verletzt worden. Er müsste in ein Krankenhaus, aber er will nicht. Hier können wir ihn aber auch nicht richtig versorgen. Ich wollte ihn Morgen früh in die Klinik bringen, aber... Bitte, sie müssen ihm helfen. Sie sind ein guter Mensch, das sehe ich. Vielleicht können sie ihn dazu bringen, dass er sich von Ärzten helfen lässt.“

„Ich …“ Corine schluckte. Was sollte sie jetzt machen? Sie hatte wissen wollen, dass es Jas... Dean gut ging und jetzt, wo sie wusste, dass es ihm NICHT gut ging? „Ich kann es versuchen.“ Entschieden nickte sie. Ja sie würde ihm helfen!

„Wo ist er?“

„Folgen sie mir.“ Ethan ging zum Pfeiler und kletterte durch die Luke ins Innere, Corine folgte.

Ihr verschlug es fast den Atem. Die Luft war stickig und roch nach Schweiß und ungewaschenen Menschen. Und dann hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt.

Um ein Bündel Decken standen einige Kerzen, und genau auf dieses Bündel ging die ältere Frau jetzt zu und ließ sich daneben in die Hocke sinken. Corine folgte ihrem Beispiel.

Das Bündel zitterte.

„Oh mein Gott“, entfuhr es ihr, als Josi die Decken zur Seite gezogen hatte und den Blick auf einen schweißnassen, kreidebleichen Dean freigab. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Wir müssen ihn in mein Auto bringen“, keuchte sie, als sie die Hitze spürte, die von ihm ausging.

„Wo steht es?“

„Am anderen Ende der Brücke.“

„Können sie es hier herfahren?“, wollte Josi wissen und Corine nickte: „Wie?“

„Von der anderen Straßenseite geht ein kleiner Weg hier runter“, erklärte Ethan und die junge Frau nickte erneut und lief los.
 

Gleich darauf kam der VW Tuareg mit blockierten Rädern vor der Gruppe zum Stehen.
 

„Mark, Benjamin, tragt ihr Dean raus, bitte?“, fragte Ethan.

Sie schoben ihre Hände unter den fiebernden Körper, trugen ihn behutsam durch die Luke und ließen ihn zu Boden gleiten, sofort war Josi wieder bei ihm.
 

Corine brachte die Decken aus dem Kofferraum und sie wickelten Dean darin ein und legten ihn dann behutsam auf die Rückbank.

„Ich möchte ihn erstmal zu mir bringen und wenn er Morgen noch immer so hohes Fieber hat, rufe ich einen Krankenwagen. Wollen sie mitkommen?“, fragte Corine Josi und die nickte. Sie stieg auf der Beifahrerseite ein und schon setzte sich der Wagen mit durchdrehenden Rädern wieder in Bewegung.

Dean war im Auto zu sich gekommen. Für einen Augenblick hatte er sich in der Sicherheit gewogen, dass Sam am Steuer saß und alles wieder in Ordnung kommen würde. Doch dann war ihm aufgefallen, dass das Brummen des Impalas nicht das des Impalas und Sam nicht mehr bei ihm war. Die Schmerzen in seinem Körper schlugen doppelt stark zu. Er stöhnte.

Sofort drehte sich die Beifahrerin zu ihm um: „Dean?“

Er blinzelte zu ihr hoch.

„Bitte versuch wach zu bleiben, ja?“

Wieder stöhnte er. Dann sackte der Wagen vorne nach unten und gleich darauf kam er wieder in die Waagerechte. Er stöhnte erneut, als sich der Stoß in seinem Körper fortsetzte.

Der Wagen hielt und er wurde nach draußen gezogen.

„Kannst du dich auf den Füßen halten?“, wollte Corine wissen.

Er reagierte nicht, gab sich aber Mühe der Bitte zu entsprechen. Die Frauen legten sich seine Arme um ihre Schultern und schleppten ihn in den Fahrstuhl. Seine Beine knickten mehrmals weg, doch er stemmte sich jedes Mal wieder in die Höhe. Lange würde er das nicht mehr durchhalten.

Die Frauen schauten sich verwundert an. Woher nahm er die Kraft dazu, woher die Sturheit?

Im Loft schoben sie ihn auf den Tresen.

„Bitte versuch weiter wach zu bleiben.“ Corine nahm sein Gesicht in ihre Hände. Er nickte und sie ging ins Bad und holte einige Tabletten, die sie ihm in den Mund schob und ihm dann sofort ein Glas Wasser an die Lippen hielt. Er schluckte.

Erschöpft ließ er seinen Kopf wieder auf den Tresen sinken.

„Ich will mir mal deine Verletzungen anschauen“, erklärte sie und drehte ihn auf die Seite. Sein Shirt zerschnitt sie einfach. Das war nicht mehr zu retten.

„Wann war die Schlägerei?“, wandte sie sich an die Ältere.

„Letzte Nacht.“

Corine atmete tief durch. Seine Wunden waren entzündet. Behutsam reinigte sie sie. Er hielt die Augen geschlossen, war aber noch immer bei Bewusstsein. Immer wieder knurrte er vor Schmerzen.

Josi stand am Ende des Tresens, neben seinem Kopf und nahm seine Hände in ihre. Er klammerte sich sofort an ihnen fest.

„Au!“, schimpfte Corine plötzlich. In einer Wunde an der Seite war etwas.

„Du hast was in der Wunde“, erklärte sie ihm und zu ihrem Entsetzen nickte er leicht. Er hatte gefühlt, dass da etwas war.

Sie holte eine Pinzette und begann nach dem Fremdkörper zu suchen.

Seine Muskeln spannten sich, er hielt die Luft an und krallte sich regelrecht an Josi fest.

Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch dann gab sie ein ersticktes Keuchen von sich. Sofort ließ er ihre Hände los und ballte seine zu Fäusten.

Als die Jüngere den Fremdkörper endlich fand und aus seinem Rücken zog, verlor er das Bewusstsein. Sein Körper entspannte sich.

„Gott sei Dank“, entfuhr es Corine und dann ließ sie sich kurz die Zeit, den Fremdkörper zu untersuchen. Es sah fast wie eine Pfeilspitze aus. Sie reichte das Teil an Josi weiter. Auch diese starrte es an, drehte es unschlüssig in ihren Händen. Dann legte sie es neben Dean. Wie hatte sie es übersehen können? Sie machte sich riesige Vorwürfe. Durch ihre Unachtsamkeit hätte sie ihn fast getötet. Hoffentlich war es noch nicht zu spät.

Gleich darauf nahm sie sich einen Lappen und wischte dem Jungen immer wieder den Schweiß von der Stirn und kühlte sich zwischendurch ihre misshandelten Handgelenke.

Noch einmal wusch die Jüngere seine Wunden aus und verband sie dann, genau wie die Abwehrverletzungen an seinen Armen. Zu guter Letzt verteilte sie abschwellende Salbe auf seinem Hals und deckte diese ebenfalls mit einem Verband ab.

Sie holte wieder die Sachen, die er schon einmal angehabt hatte, zog ihn an und dann legten sie ihn ins Bett. Er war noch immer ohne Bewusstsein.

„Lass mich deine Handgelenke sehen“, bat Corine und Josi hielt sie ihr hin: „Er hat verdammt viel Kraft“, lächelte sie entschuldigend. Die Jüngere nickte und rieb die sich bildenden blauen Flecke mit einer Salbe ein.

„Ich werde jetzt gehen!“, sagte Josi dann und erhob sich.

„Aber du kannst ...“, begann Corine zu protestieren.

„Ich gehöre hier nicht hin und ich weiß, dass du dich um ihn kümmern wirst.“ Josi lächelte und verließ das Loft.

Kopfschüttelnd sah Corine ihr nach, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Patienten zu.

Sie hätte die Ältere gerne noch hier gehabt.

Vorsichtig legte sie ihm einen kalten Waschlappen auf die Stirn und strich die Decke noch einmal glatt.

Sie holte sich ihr Telefon und sagte alle Termine für die nächsten Tage ab.
 

Müde rieb sie sich die Augen. Dean schlief halbwegs ruhig, auch wenn sein Fieber noch nicht bemerkenswert gesunken war. Die junge Frau stand auf und ging in die Küche.

Sie stellte die Kaffeemaschine an und brachte eine Schale kaltes Wasser und frische Handtücher ans Bett. Dann stellte sie eine Maschine Wäsche an.

Sie goss sich eine Tasse Kaffee ein und wandte sich wieder dem Schlafzimmer zu.

Plötzlich hörte sie ein Flügelrauschen. 'Jetzt hab ich schon Halluzinationen!', schüttelte sie, über sich lächelnd, den Kopf. Zwei Schritte weiter konnte sie das Bett sehen. Erschrocken keuchend blieb sie stehen. Die Tasse rutschte aus ihrer Hand und zerbrach unbeachtet auf dem Boden.

Neben dem Bett stand ein Mann! Ein Mann im Trenchcoat!

Dean

Der Kaffee war heiß gewesen und sie hatte einige Spritzer davon an ihren Beinen abbekommen, doch sie fühlte es nicht.

„Dean!“, sagte der Fremde mit ruhiger Stimme.

Corines Augen zuckten zum Bett hinüber und dann wieder zurück zu dem Mann im Trenchcoat. Die Angst in ihr wurde zur Panik. Sie wollte schreien, wollte zum Telefon rennen und die Polizei rufen.

Ein fremder Mann war in ihrer Wohnung! Aber sie konnte sich nicht rühren.

Hilflos musste sie zusehen. Was wollte der Mann hier? Wie kam er hier herein und was wollte er von Dean?

„Geh!“ Deans Stimme klang rau. Mühsam versuchte er sich auf die Seite zu drehen und stöhnte gequält, als die Schmerzen in seiner Seite explodierten.

Corines Augen wurden groß. Dean sprach! Das war ...

Castiel legte ihm seine Hand auf die Schulter und drückte ihn wieder auf den Rücken.

Wütend starrte der Blonde den Engel an. Er konnte das Fieber fühlen, dass in seinem Körper wartete und er wollte nicht wissen, was Castiel gemacht hatte, damit er jetzt halbwegs klar war, um mit ihm zu reden. Reden … Dean schnaubte. Er wollte mit niemandem reden. Er wollte in Ruhe gelassen werden und er wollte sterben. Er wusste, dass seine Verletzungen tödlich waren und wollte einfach nur in Ruhe sterben. Er hatte nie in Ruhe leben dürfen, wenigstens jetzt wollte er Frieden und auf keinen Fall mit einem dieser verlogenen Flattermänner reden. Er hatte noch nie gut reden, über seine Gefühle sprechen können und jetzt sollte er mit Castiel …? Nein. Er sehnte sich nach der weißen, weichen Watte, die ihn die letzten Wochen? Monate? umgeben hatte, die ihm die schlimmsten Gefühle erspart hatte, und genau die drohten jetzt, ihn zu verschlingen.

Er hatte versagt.

Er hatte zugelassen, dass Sam seine dämonischen Fähigkeiten immer weiter ausbaute, dass das Böse immer mehr Besitz von ihm ergriffen hatte.

Sie hatten mit ihm gespielt. Sie hatten ihn immer wieder mit Häppchen gefüttert, wenn er drohte, sich näher mit Sams Fähigkeiten auseinander setzen zu wollen. Sie hatte ihn in ein Gefühlschaos gestürzt und ihn damit erfolgreich daran gehindert, den einzigen Befehl auszuführen, der für ihn je wichtig gewesen war. Er hatte sich auf sie verlassen. Er hatte ihnen geglaubt. Er hatte ihnen glauben wollen, wollte, dass sie ihm einen Weg aus der Finsternis zeigten, die ihn umfangen hielt, seit er wusste, was er in der Hölle gemacht hatte. Aber sie waren schlimmer gewesen, als alle Höllenwesen zusammen. Sie hatten ihm den einzigen Halt genommen, den er noch gehabt hatte.

„Du wirst sterben, Dean“, begann der Engel wieder in diesem nervtötend ruhigen Ton und riss Dean aus seinen trüben Gedanken.

Dean schnaubte erneut nur verächtlich und schaute Castiel in die Augen.

„Ich werde dich nicht sterben lassen.“

„Schick mich endlich in die Dunkelheit, Cas!“

Corine japste erschrocken bei diesen Worten. Wie konnte jemand nur so vehement darauf bestehen, sterben zu wollen?

„Du hast noch eine Aufgabe, Dean!“

„Ich werde Sam nicht töten. Niemals!“

„Du hast geschworen uns Gefolgschaft zu leisten.“

„Wenn Sam in Sicherheit ist! Außerdem hast du mir gesagt, dass ich die Apokalypse aufhalten soll. Ihr habt mich belogen!“

„Ich habe dir gesagt, dass du es aufhalten sollst.“

„ES nicht IHN!“

„Du hast geschworen uns zu dienen!“

„Ich habe mein Leben lang gegen das Böse gekämpft und jetzt findet ihr es lustig, mir meinen eigenen kleinen Bruder als das ultimative Böse zu servieren? Vergiss es Castiel! Nur damit ihr euch euer Paradies aufbauen könnt? Damit ihr euren Spaß habt?

Habt ihr die Menschen mal gefragt, was sie wollen?

Ihr schubst uns herum, wie ihr wollt.

Ihr habt die Suppe eingebrockt, jetzt löffelt sie auch wieder aus. Ich spiele da nicht mit!“

„Dean!“

„Was?“ Deans Stimme klang brüchig und doch vibrierte sie vor unterdrückter Wut. „Was willst du tun? Mich zurückschicken? Tu es! Schick mich zurück in die Hölle. Jetzt kann ich da ja wohl nichts mehr kaputt machen, oder? Oder gibt es noch ein Siegel zu brechen, das alles wieder rückgängig macht?“

„Dean! Dein Zynismus hilft uns auch nicht weiter.“

„Das ist mir scheißegal Cas. Ihr habt mir das alles genommen. Ich kann nicht mehr kämpfen und ich will es nicht mehr! Schick mich zu Sam, oder schick mich in die Dunkelheit. Ich habe keine Angst mehr.“

„Schlaf Dean, erhole dich und dann reden wir weiter.“

„Nein Cas. Ich werde euch nicht helfen. Ihr seit verlogener als es ein Dämon je sein könnte!“

„Wir brauchen dich, Dean!“

„Mir egal! Ich kämpfe nicht gegen Sam!“, Deans Stimme brach jetzt endgültig und er verkrampfte sich vor Schmerzen.

„Schlaf Dean!“ Castiel legte ihm zwei Finger an die Stirn und schon entspannte sich der Blonde.
 

Corine hatte das Gespräch mit immer größer werdenden Augen verfolgt. Dean hatte bis jetzt nie etwas gesagt und jetzt sprach er mit dem Mann, als ob er ihn schon lange kennen würde. Aber wer war Sam? Dean hatte schon früher von ihm geträumt. Er war schon früher, Sams Namen schreiend, aufgewacht.
 

Castiel breitete seine Hände über Deans Hals und ein warmes, bläuliches Leuchten erschien darunter. Langsam ließ er seine Hände jetzt über Deans Körper gleiten. Das Leuchten folgte.
 

Endlich richtete er sich auf und rieb sich kurz über die Augen.

Dann drehte er sich zu Corine um und musterte sie eindringlich.

„Ich ...“ begann sie zu stottern. Sie wollte weglaufen, aber noch immer stand sie wie angewurzelt da.

Mit wenigen Schritten war der Engel bei ihr.

Auch ihr legte er die Finger auf die Stirn.

Corine brach zusammen und Castiel fing sie auf. Er setzte sie auf den Stuhl neben Deans Bett.

Mit einer Handbewegung machte er aus den Scherben am Boden wieder eine Tasse und stellte sie neben der Frau auf dem Nachttischchen ab. Noch eine Handbewegung und die Spuren des verschütteten Kaffees waren beseitigt.

Ein leises Flügelschlagen und schon war der Engel verschwunden.
 

Corine schreckte hoch. Leicht verwirrt schaute sie sich um. Sie saß in ihrem Schlafzimmer. Im Bett lag Dean. Sie rieb sich über die Augen und stand auf.

Sie hatte einen merkwürdigen Traum gehabt.

Noch einmal sah sie zum Bett und schüttelte dann den Kopf.

Sie wollte ins Bad gehen. Auf dem Nachttisch stand ihre Kaffeetasse. Hatte sie die vorhin da hingestellt? Wieder schüttelte sie verwirrt den Kopf und machte sich endgültig auf den Weg ins Bad, um mit einer Schüssel Wasser und einigen Handtüchern und Waschlappen wieder zu kommen. Sie holte noch Eiswürfel aus dem Kühlschrank und schüttete diese ebenfalls in die Schüssel. Dann trug sie alles zum Bett ihres Patienten.

Sein Körper schien regelrecht zu verbrennen.

Vorsichtig zwängte sie ihm fiebersenkende Tabletten zwischen die Zähne und brachte ihn dann dazu ein Glas Wasser zu trinken. Sie legte ihm einen kühlenden Lappen auf die Stirn und machten ihm Wadenwickel.

Er kämpfte um jeden Atemzug und sein Herz raste.

Er schien zu träumen. Seine Augen huschten hektisch unter seinen Lidern hin und her, und seine Lippen formten tonlose Worte.

Corine nahm die Decken von dem fiebernden Körper und mühte sich, ihn vom Shirt zu befreien. Es war eine blöde Idee gewesen, ihm das Shirt anzuziehen!
 

Mühsam rollte sie ihn auf den Bauch und legte einige Decken und Handtücher auf die Matratze und schob dann Dean wieder darauf.

Schwach hatte Dean versucht sich gegen ihre Hände, gegen ihre Behandlung, zu wehren.

Corine lächelte und strich ihm zärtlich über die Wange.

„Du bist in Sicherheit“, sagte sie leise und begann ihm den Schweiß vom Körper zu waschen.

Immer wieder schoben sich die Bilder von leuchtenden Händen vor ihr inneres Auge. Leuchtende Hände, die über Deans Körper gewandert waren. Vorsichtig löste sie die Verbände und begann ihn zu untersuchen.

Die Wunden sahen gut aus. Sie waren entzündet, als er hierher kam. Waren die Schnitte nicht tiefer gewesen, die er zwischen seinen Rippen hatte? Auch die Wunde, in der die abgebrochene Spitze gesteckt hatte, sah gut aus. Die Entzündung war verschwunden. Seit wann ging das so schnell? Die Blutergüsse, die er am ganzen Körper hatte, waren immer noch schwarz und er fühlte sich immer noch an, als könnte er ein mittleres Wärmekraftwerk ersetzen. Nein, hier war niemand gewesen und hatte was auch immer mit ihm gemacht.

Dean war noch genauso blass und mager, wie sie ihn in Erinnerung hatte, nur dass er jetzt noch vom Fieber schweißnass war und zitterte.

„Corine!“, ermahnte sie sich wütend. „Du hast hier einen Fiebernden und lässt ihn schweißnass und ohne Decken liegen! Soll er sich noch eine Lungenentzündung holen?“

Sie schüttelte über sich selber den Kopf. Wütend schob sie die Bilder beiseite und wusch ihm noch energischer den Schweiß vom Körper. Dann verband sie die Wunden wieder und legte die Decken über Dean.

Nachdem sie die Schüssel ins Bad gebracht hatte, kochte sie sich einen frischen Kaffee und machte für Dean Hühnerbrühe und Toast. Sie stellte alles auf ein Tablett und brachte es ins Schlafzimmer.

Erst als sie das Tablett auf dem Nachttisch abgestellt hatte, fragte sie sich, wie sie das Essen in Dean bekommen sollte.

Sie schob die Decke zur Seite und wollte ihn in eine halbwegs sitzende Position bringen.

„Dean?“, fragte sie leise, als sie sah, dass seine Augen leicht geöffnet waren.

Er zuckte zusammen und sein Blick irrte durch den Raum und blieb dann an ihr hängen.

Langsam klärte sich sein Sichtfeld.

Corine!

Neben ihm stand Corine. Nicht Castiel. Er atmete erleichtert auf.

„Kannst du dich ein bisschen aufsetzen?“

Es dauerte eine Weile, aber mit Corines Hilfe schaffte es Dean. Schmerzhaft verzog er das Gesicht und stöhnte.

„Du kannst dich gleich wieder hinlegen, ich möchte dir nur ein paar Kissen in den Rücken legen, damit du was essen kannst.“

Dean knurrte nur, versuchte aber sich weiter aufrecht zu halten.

Schnell baute sie einen regelrechten Berg am Kopfteil und drückte ihn, als sie fertig war, wieder nach hinten. Mit einem leisen Keuchen ließ er sich fallen.

Er hielt die Augen geschlossen, bis die sich seine Atmung wieder beruhigt hatte.

„Dean?“ Corine hielt ihm einen Löffel vor den Mund.

Er drehte den Kopf zu Seite.

„Dean!“

Da war sie wieder, diese besorgte Stimme, die ihn schon damals von der Brücke mitgenommen hatte. Sie hatte ihn nicht enttäuscht. Sie hatte ihm kein Leid gebracht. Bei ihr hatte er sich wohl gefühlt, bei ihr hatte er schlafen können.

Diese Stimme klang traurig.

Er drehte sich wieder zu ihr.

„Bitte Dean“, sagte sie leise und hielt ihm wieder den Löffel vor die Lippen.

Er öffnete den Mund und ließ sich den Löffel hinein schieben. Er schluckte.

Wieder und wieder tauchte Corine den Löffel in die kleine Schüssel und stellte sie erst weg, als sie leer war.

„Dean?“, fragte sie noch einmal. Besorgt schaute sie ihn an. Seine Augen waren fast geschlossen und trüb. Er reagierte kaum noch. Sie strich ihm sanft über die Wange und hielt ihm dann Tabletten und ein Glas Wasser an den Mund.

Mechanisch schluckte er.

„Schlaf Dean“, sagte sie leise, als er auch noch das Glas geleert hatte.

Sofort rutschte sein Kopf zur Seite und er entspannte sich ein wenig.
 

Das Fieber stieg wieder und Dean fiel in unruhige Träume.

Corine machte sich Sorgen. Der Mann in ihrem Bett machte ihr Angst. Er schlug immer wieder um sich. Winselte leise und zuckte vor Schmerzen zusammen.

Immer tiefer versank er in dem Sumpf aus Albträumen, Schmerzen und Angst, und Corine blieb nichts weiter zu tun, als ihm den heißen Körper zu kühlen und ihn so oft es ging wenigstens zum Trinken zu bewegen.
 

Entgegen Deans Hoffnung überlebte er diese Verletzungen.

Aber vielleicht war es auch Corines besorgte Stimme, die ihn immer wieder zurückriss, wenn er in die Dunkelheit abzudriften drohte. Er konnte es nicht sagen, aber er wusste, dass sie ihn hielt, so wie sie ihn damals gehalten hatte.

Jetzt lag er hier in ihrem Bett und sie hatte sich neben ihm zusammengerollt. Sein Fieber war gesunken, wenn es auch noch nicht weg war, und er starrte an die Decke.

So viel war passiert. So viel hatte er verloren, so viel hatten sie ihm genommen.

Er musste an Castiel denken. Castiel, der hier an seinem Bett gestanden hatte um ihm zu sagen, dass er ihn nicht würde sterben lassen und dass er, Dean, noch eine Aufgabe zu erfüllen hatte.

Nein, er würde Sam nicht töten. Niemals! Wer waren diese Engel schon, dass sie ihm sagten er solle das Letzte töten, das noch von seiner Familie übrig geblieben war? Wer waren sie, dass sie ihm seine Familie genommen hatten, dass sie ihm sein Leben genommen hatten und jetzt allen Ernstes annahmen, dass er auch noch das Liebste töten würde, das er auf der Welt hatte?

Er dachte an Bobby.

Bobby hatte sich um ihn gekümmert, nachdem Sam, das was in Sam war, ihn umbringen wollte. Er hatte nicht mehr klar denken können. Konnte er es jetzt?

Er wollte nicht mehr klar denken können. Die weiße, weiche Watte, die sein ganzes Sein umhüllt hatte, hatte ihn davor bewahrt durchzudrehen.

Und jetzt? Er brauchte die weiche, weiße Watte. Oder er brauchte jemanden, der ihm sagte, was zu tun war und das würden bestimmt nicht diese gefiederten Teufel sein.

Bobby?

Bobbys Befehle hatten ihm Sicherheit gegeben. Befehle war er gewohnt gewesen, Befehle hatte er immer befolgen müssen.

Doch dann hatte Bobby ihn verwirrt. Er hatte ihm Fragen gestellt, hatte ihm die Wahl gelassen. Er hatte nicht mehr weiter gewusst, hatte verzweifelt darauf gewartet, dass Bobby ihm wieder sagte, was er tun sollte.

Und dann waren sie wieder da, die Befehle und sie gaben ihm ein kleines Bisschen Halt.

Doch er hatte Angst, dass Bobby wieder fragen würde. Er wusste die Antworten nicht.

Und da war ihm eins immer klarer geworden, hatte regelrecht wie ein Leuchtfeuer durch seine Albträume geleuchtet. Immer drängender waren die Stimmen in seinem Inneren geworden und er war ihnen gefolgt.
 

Er schaute wieder zu Corine. Auch sie hatte ihm geholfen, hatte ihn gehalten, doch auch hier wurden die Stimmen in seinem Inneren immer drängender, und er wusste, dass er ihnen folgen würde, wusste, dass er nicht mehr lange würde bleiben dürfen, wenn er sie nicht noch mehr in Gefahr bringen wollte, auch wenn er nicht wusste, von wem mehr Gefahr ausging.

Stöhnend ließ er sich wieder in die Kissen sinken. Seine Seite schmerzte und dabei hatte er nur seine Position ein klein wenig ändern wollen. Ihm war schlecht und er schwitzte.

Mühsam schob er die Decken von seinem Körper.

„Sammy“, keuchte er und trieb wieder in die Fänge der Fieberträume.

Anna

„Verdammt noch mal! Könnt ihr nicht wie ein Mensch vor der Tür stehen und klopfen?“, Bobby fuhr erschrocken zusammen und verschüttete einen Teil seines Kaffees. Das braune Getränk lief ihm über die Hand und in seinen Ärmel hinein. Er stellte die Tasse ab.

„Was willst du?“, fragte er barsch, als sie Frau noch immer keine Anstalten machte, etwas zu sagen.
 

Sie ging einen weiteren Schritt auf den Jäger zu, fasste ihn am Arm und führte ihn in den Keller, in seinen Panikraum.

„Woher weißt du davon?“, wollte er wissen. So langsam machte ihn das Schweigen nervös.

Sie schüttelte nur den Kopf.

Kaum waren sie im Keller angekommen, zog sie ein Messer und schnitt sich den Arm auf. Sofort tauchte sie einen Finger in die Wunde und begann einige Symbole an die Wände zu malen.

„Was…?“, fragte Bobby erschrocken.

Anna sah ihn kurz an und schüttelte den Kopf.

Bobby verstand. Er holte tief Luft und übte sich in Geduld.
 

„Jetzt können wir ungestört reden“, erklärte sie, als sie fertig war. Kurz legte sie ihre Hand auf den Schnitt an ihrem Arm und Sekunden später war die Wunde verschwunden.
 

„Es geht um Dean!“, begann der Engel ernst.

„Der hätte euch gebraucht nachdem ihr uns von Sam weggeschickt habt und nicht jetzt!“

„Luzifer hatte uns vernichtet“, sagte Anna traurig.

„Aber wieso bist du dann …“

„Das ist eine längere Geschichte, aber dafür ist jetzt keine Zeit. Wir brauchen Dean!“

Bobbys Gedanken wanderten zurück.

Er hatte getan, was der Psychologe ihm geraten hatte, hatte Dean gefragt.

Dean hatte nie geantwortet!

Immer wieder hatte er darüber nachgrübelte, wie er Dean helfen konnte. Es hatte ihn regelrecht zerfressen, den Jungen so zu sehen. Teilnahmslos hatte der in einer Ecke gestanden, oder auf dem Küchenstuhl gehockt. Seine Augen waren stumpf und auf den Boden gerichtet gewesen und er hatte versucht den Anschein zu erwecken, dass er nicht da war. Dean hatte sich aufgegeben. So konsequent aufgegeben, dass Bobby keinen Weg gefunden hatte ihm zu helfen.

Er erinnerte sich noch daran, dass er an dem Morgen, wie immer, in der Küche gestanden und Frühstück gemacht hatte. Er hatte sich überlegt, dass sie wieder anfangen sollten zu jagen. Er wollte ihnen einen Job suchen, Dean musste hier unbedingt raus und auf andere Gedanken gebracht werden.

Er hatte Dean zum Frühstück gerufen.

Dean war nicht gekommen!
 

„Dean ist nicht hier!“, antwortete er rau. „Und ich weiß auch nicht wo der Junge ist!“

„Wir wissen es, Bobby. Aber wir brauchen deine Hilfe. Er will nicht mit uns zusammenarbeiten.“

„Und das wundert euch? Ihr habt ihn belogen, wo es nur ging und dann habt ihr zugelassen, dass, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, Luzifer in Sams Körper ist. Dean macht so ziemlich alles, wenn es darum geht, das Böse zu besiegen, aber er wird sich nie gegen seinen Bruder stellen!“

„Ich weiß. Und ich kann ihn sogar verstehen. Ich war auch ein Mensch. Ich weiß was Gefühle sind!

Bitte, du musst uns helfen.“

„Ich soll euch helfen? Wobei?“

„Dean auf seine Aufgabe vorzubereiten.“

„Ich werde Dean hier aufnehmen, wenn er das möchte. Ich werde mich um ihn kümmern, aber ich werde euch nicht dabei helfen, ihn zu überreden, seinen Bruder zu töten. Dann hättet ihr ihn besser in der Hölle lassen sollen. Die Folter dort kann nicht so schlimm gewesen sein, wie das, was ihr hier von ihm verlangt.“

„Bitte, wir müssen Luzifer stoppen!“

„Ihr hättet ihn gar nicht erst befreien dürfen! Und jetzt sag nicht, dass das Sam war. Ja es war Sam. Aber es war ein Sam, der, wenn ihr ihn nicht aus diesem Raum hier befreit hättet, jetzt entweder ein Mensch und mit Dean zusammen, oder als Mensch gestorben wäre. Es ist einzig eure Schuld, dass der Teufel die Erde jetzt in die Hölle verwandelt.“

„Ich weiß, und es tut mir leid, aber der Schaden ist angerichtet und wir können jetzt nur versuchen, die Verluste so gering wie nur möglich zu halten. Bitte hilf uns!“

„Bringt den Jungen her. Und wenn er euch helfen will, werde ich ihm helfen. Aber ich werde nichts tun, um ihn zu überreden“, stöhnte der Ältere.

„Danke.“ Die Frau trat ein paar Schritte aus dem Panik-Raum und war mit einem leisen Rauschen verschwunden.

Bobby starrte noch einen Augenblick auf den Fleck, an dem eben noch die junge, rothaarige Frau gestanden hatte. So langsam konnte er Deans wachsende Abneigung gegen diese geflügelten Wesen nachvollziehen.

Genau wie Sam ein Jahr zuvor, hatte sich auch der ältere Winchester regelrecht in Luft aufgelöst. Weiß Gott die Beiden waren Brüder. Sie waren sich ähnlicher, als sie es wahrscheinlich würden wahr haben wollen, und einer konnte ohne den Anderen nicht leben.

Vielleicht, wenn er das schon eher eingesehen hätte, wenn er das schon gewusst hätte, als Sam gestorben war. Vielleicht hätte er Dean dann davon abhalten können, diesen Pakt zu schließen. Hätte er darauf bestehen sollen, dass sie Sam sofort hätten verbrennen müssen?

Dann wäre Dean gestorben. Jämmerlich eingegangen hätte es wohl eher getroffen. Aber sie wären wieder vereint gewesen. Vereint im Licht.

Himmel, ihn würde doch brennend interessiert, was Dean in den letzten Monaten gemacht hatte?

„Verdammt!“, wütend boxte Bobby gegen die Wand. „Warum musste es immer die Jungs treffen?“
 

Dean war wieder zurück unter seiner Brücke.

Corine hatte ihn gehen lassen, kaum dass er einen Tag kein Fieber mehr gehabt, kaum dass sich die Welt nicht mehr vor seinen Augen gedreht hatte, als er aufgestanden war. Sie hatte ihn nicht gehen lassen wollen und eigentlich hatte er das auch nicht gewollt. Aber er wollte sie nicht auch noch in Gefahr bringen. Castiel war da gewesen.

Dean war davon überzeugt, eine Gefahr für die Menschen in seiner Umgebung zu sein und er mochte sie zu sehr, um sie noch länger dieser Gefahr auszusetzen. Deshalb würde er auch die Brücke bald verlassen müssen. Er war schon viel zu lange hier. Er hatte diese Menschen schon viel zu lange einer Gefahr ausgesetzt, von der sie noch nicht einmal etwas ahnten und der ausgesetzt zu sein sie einfach nicht verdient hatten. Immerhin waren die ersten Dämonen schon hier gewesen.

Ja, er würde weiter ziehen, sobald seine Verletzungen das zuließen. Aber im Moment war er ja schon froh, wenn ihm nicht nach drei Schritten der Schweiß aus allen Poren ausbrach.
 

Und so saß er am Ufer des Flusses und starrte auf das Wasser, das seinem Leben hätte ein Ende setzen sollen, wenn es die Dämonen schon nicht gekonnt hatten.

Castiel hatte gesagt, dass er Sam stoppen sollte. Aber wie? Wie konnte er seinen Bruder stoppen ohne ihn zu töten? Er wusste ja noch nicht einmal wo der war.
 

Er hatte, als er bei Bobby verschwunden war, einige Dämonen gerufen. Er hatte sie nach Sam gefragt, hatte sie gefoltert, als sie ihm nichts sagen wollten, und er hatte ihnen den Dolch zwischen die Rippen gerammt, als sie ihm auch dann noch keine befriedigende Antwort hatten geben können oder wollen.

Er hatte versucht Luzifer zu rufen. Natürlich war der nicht erschienen.

Und jetzt? Jetzt saß er hier und versuchte sich darüber klar zu werden, was er tun wollte, wenn er hier verschwinden würde.

Sollte er wirklich wieder mit den Engeln zusammen arbeiten? Die würden ihn nur erneut belügen, ihm Halbwahrheiten auftischen und ihn nach ihren Zwecken manipulieren.

Nein, dann schon lieber mit den Dämonen gemeinsame Sache machen. Oder sollte er vielleicht zu Bobby zurückgehen? Ob der alte Jäger in der Zwischenzeit einen Weg gefunden hatte?

Konnte er sich da wieder blicken lassen? Er war einfach so abgehauen! Egal. Lieber eine Standpauke von Bobby als noch ein Wort mit diesen verlogenen, seelenlosen Flattermännern!

„Dean!“

Der Blonde zuckte zusammen. ‚Wenn man an den Teufel denkt …’ Dean blieb sitzen.

„Du musst mit mir kommen, Dean. Die Welt braucht dich!“

„Soll die Welt doch zum Teufel gehen! Ach halt, da ist sie ja schon, dank euch!“, antwortete der Blonde zynisch.
 

Josi, Pete und Mark kamen langsam näher. Sie hatten gesehen, dass ein Mann im Trenchcoat bei Dean stand und das machte sie skeptisch. Dean war noch lange nicht wieder in der Verfassung sich selbst helfen zu können.
 

„Du bist unsere letzte Chance, Dean.“

„Dann habt ihr wohl schlechte Karten!“

„Zachariah hat dir gesagt, dass…“

„Zacharias kann mich mal gepflegt am Arsch lecken!“, fauchte Dean und kämpfte sich jetzt doch auf die Füße. Kurz kniff er die Augen zusammen, als der Schmerz von seiner Seite durch seinen Körper schoss. Ihm war schwindelig und er schwankte. Castiel wollte ihm helfen. Dean schlug seine Hand weg.

„Fass mich nicht an!“

„Ich kann Dir helfen.“

Dean schnaubte nur verächtlich und nahm einen großen Schluck aus der Whiskeyflasche, die er in der Hand hielt.

„Das wird dich nicht weiter bringen.“

„Wer sagt, dass ich weiter will?“

„Und was willst du, Dean?“

„Ich will mein Leben wieder! Das was mein verdammtes Leben war! Ich will Sammy wieder. Ich will Mom wieder und Dad! Ich will einen beschissenen weißen Gartenzaun und so ein verdammtes normales Leben dahinter!“
 

Die Gruppe erstarrte. Dean war lauter geworden und sie hatten alles mit anhören können. Sie hatten die unterdrückte Wut in Deans Stimme genauso gehört wie die Trauer, die darin mitschwang.

Wovon sprach der Junge? Verwundert schauten sie sich an. Wer war der Mann, der bei Dean stand und wer war Dean? Was war ihm passiert?
 

„Du bist zu Höherem berufen Dean. Das verlangt Opfer.“

„Hat mich mal Einer gefragt, ob ich das will? Habe ich, haben wir nicht schon genug Opfer gebracht in unserem Leben? Haben wir nicht genug gelitten?“

„Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.“

„Oh bitte Cas, erspar mir dein Geschwafel! Das zieht bei mir nicht! Die einzige Bedingung, die ich gestellt hatte, war, dass Sam in Sicherheit ist. Aber ihr habt ihnen Sam zum Fraß vorgeworfen. Jetzt sollen sie sich holen, was sie wollen!“

„Das KANNST du nicht wollen!“

„Das Einzige, was ich noch will: Schick. Mich. Zurück. Du hast mich aus der Hölle geholt, also kannst du mich auch zurückschicken. Ich hab es verdient. Sollen sie mich zerreißen, sollen sie mich foltern und mir das letzte bisschen Gewissen rausreißen. Ich werde es ertragen.“

„Dean!“

„Sam ist da unten!“ Tränen traten in Deans Augen. „Ich habe zugelassen, dass er so wurde. Ich habe euch vertraut und zugelassen, dass ihr DAS aus ihm gemacht habt. Ich werde ihn nicht töten, Cas. Nie!

Ihr nennt euch Engel, aber ihr seid schlimmer als alle Dämonen, die ich kenne. Die spielen mit offenen Karten. Ihr lügt und betrügt, um eure Ziele zu erreichen, dabei solltet ihr gut sein. Bei Dämonen erwarte ich nichts anderes!

Schick mich zu Sam. Soll er dafür sorgen, dass ich bekomme, was ich für meinen Verrat an ihm verdiene. Soll er mich zu dem machen, was er schon ist.

Ihr habt mir das Herz rausgerissen und meine Seele verstümmelt. Jetzt sollen sie es beenden.“ Der Blonde wischte sich die Tränen von den Wangen.

„Dean! Du hast eine Aufgabe zu erfüllen! Du hast es geschworen!“

„Ja, ich habe es geschworen“, Dean nickte traurig. „Aber ich habe schon mehrfach gesagt, dass ich es nur geschworen habe, damit Sam in Sicherheit ist. Er ist es nicht. Mein Schwur ist ungültig! Ich werde Sam nie töten, hörst du! NIE!“ Dean nahm den letzten Schluck aus der Flasche und schleuderte sie wütend in den Fluss. Wieder jagte der Schmerz durch seinen Körper und ließ ihn nach Luft schnappen.

„Und jetzt verschwinde!“, sagte er leise und wandte sich von dem Engel ab.

„Dean, bitte!“ Castiel schaute den Winchester traurig an.

„Fahr zur Hölle, Cas!“, fauchte der. Mit steifen Beinen stakste er zur Luke und kroch in den Pfeiler. Er brauchte Ruhe.
 

Josi, Pete und Mark starrten auf Dean und wandten ihren Blick dann wieder dem Mann im Trenchcoat zu. Aber der Mann war weg! Da wo er gerade noch gestanden hatte war … nichts mehr!

Erschrocken starrten sie sich an und dann auf die Luke hinter der Dean verschwunden war. Wer war Dean? Wozu war er berufen und wer war dieser Mann, der eben noch mit ihm gesprochen hatte? Was war er? Was passierte hier?
 

Zwei Tage später hatten sie auf ihre Fragen noch immer keine Antworten bekommen. Dean hüllte sich in Schweigen. Er hatte regelrecht eine Mauer der Unnahbarkeit um sich gebaut. Keiner traute sich ihn anzusprechen. Er wirkte so traurig und der Mann, der ihrer Meinung nach an allem Schuld war, war noch nicht wieder aufgetaucht. Sie konnten sich weder das Gespräch noch das Verschwinden des Mannes erklären.
 

Dean hockte wie jeden Tag am Ufer und starrte auf’s Wasser. Es war fast, als würde er darauf warten, dass etwas mit dem Wasser kam.

Und plötzlich stand sie da.
 

„Hallo Dean“, grüßte sie leise.

Träge hob er den Kopf und schaute sie an.

So viel Trauer in seinen Augen, so viel Verlust ließen sie erschrocken nach Luft schnappen. Sie wusste von Castiel, dass es nicht einfach werden würde, Dean zu überzeugen, aber sie musste es versuchen, oder die Welt wäre verloren.

Der Blonde schaute wieder auf den Fluss.
 

Diesmal standen Mark, Pete und Benjamin in Hörweite. Sarah war gerade im Pfeiler verschwunden, um Josi zu holen. Seit Dean wieder bei ihnen war ließen sie ihn nicht mehr unbeobachtet. Und das Gespräch vor ein paar Tagen hatte nicht gerade zu ihrer Beruhigung beigetragen.

„Dean bitte hilf uns. Hilf uns Luzifer zu finden.“

„Er ist nicht zu finden!“, der Blonde stand auf und stellte sich vor Anna, die sich unter seinem traurig fordernden Blick reichlich unwohl zu fühlen begann.

„Was von all dem hast du gewusst und mir verschwiegen?“, wollte er leise wissen und seine Augen machten ihr nur zu deutlich, dass er nicht hören wollte, dass es viel gewesen war.

„Du weißt, dass ich ein Mensch war, als sie diesen Plan ausgeheckt haben, oder aber viel zu weit unten in der Befehlskette stand, als dass sie mir etwas gesagt hätten. Auch Castiel wusste nicht alles.“

„Sie haben gewartet bis ich aufgegeben habe, bis ich angefangen habe Seelen zu quälen. Sie haben gewartet, bis ich das erste Siegel gebrochen hatte und dann haben sie es mir vorgehalten.“

„Ich weiß Dean. Es tut mir leid!“

Der Blonde wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Aber die Tränen, die er eben fortgewischt hatte wurden sofort wieder ersetzt.

Anna sah den Schmerz ihn ihm. Sie wusste, dass ihr sein Anblick noch vor ein paar Monaten, als sie ein Mensch war, das Herz zerrissen hätte und sie konnte sich noch sehr gut an das Gefühl erinnern. Mit einem Mal war sie froh, dass sie jetzt keine Empfindungen mehr hatte. Dieser Mann war gebrochen. Wie sollte er das alles beenden?

„Dean, wir müssen Luzifer finden und du musst es beenden. Es ist unsere einzige Chance. Du bist unsere einzige Chance.“

„Er ist nicht zu finden. Ich hab es versucht! Und ich will Sam nicht hetzen wie irgendeine Beute.“

„Dean! Sam wird sterben, wenn Luzifer…“

„Sam IST Luzifer! Und dafür habt ihr gesorgt!“

Vorsichtig zog Anna den Winchester an sich.

Dean klammerte sich an ihr fest, als wäre sie der letzte Halt, den er hatte.

Sie war es.

Seine Mauern brachen und er weinte. Weinte, wie er es noch nie getan hatte.

„Sammy!“, krächzte er nur.

Anna hielt ihn.

„Komm Dean, ich bringe dich zu Bobby und ich verspreche dir, wenn du dich erholt hast, werden wir einen Weg finden, wie wir Sam retten und Luzifer trotzdem töten können.“

„Sam“, krächzte er noch einmal und nickte dann erschöpft.

Vorsichtig legte sie ihre Flügel schützend um ihn und berührte ihn an der Stirn.

„Schlaf!“

Dean sackte ihn ihren Armen zusammen, aber sie hielt ihn sicher.

Und noch bevor die Gruppe reagieren konnte, waren sie verschwunden.
 

„Er muss sofort in ein Bett!“, erklärte Anna einem erschütterten Bobby, gleich nachdem sie mit Dean in ihren Armen in seinem Wohnzimmer aufgetaucht war. Bobby wies ihr den Weg ins Gästezimmer und sie brachte ihre kostbare Last ins Bett.

„Es wird dauern, bis er sich erholt hat. In der Zeit können wir einen Weg suchen, Luzifer zu finden UND ihn unschädlich zu machen OHNE Sam zu töten.“

Unmissverständlich fordernd sah sie Castiel dabei in die Augen.

Der Engel nickte.

Bobby deckte den schlafenden Winchester fürsorglich zu und machte sich dann daran, ihm ein paar Sandwiches zu bereiten. Er musste essen, wenn er aufwachte.

Luzifer

Die Tage wurden zu Wochen.
 

Dean hatte sich, nachdem Anna ihn ins Reich der Träume befördert hatte und er in Bobbys Haus wieder erwacht war, bei dem Älteren entschuldigt. Wieder und wieder hatte er ihm gesagt, dass es ihm leid tat einfach so verschwunden zu sein, dass er aber keinen anderen Ausweg gewusst hätte, bis Bobby ihn angebrüllt hatte, endlich zu schweigen.

Erschrocken war Dean verstummt.

Erschrocken hatte Bobby ihn angeschaut und sich seinerseits entschuldigt.

Der Winchester hatte ihn nur traurig angeschaut.

Seitdem versuchten sie beide es dem Anderen so recht wie möglich zu machen und doch scheiterten sie kläglich.
 

Dean versuchte Bobby zuliebe wenigstens ein bisschen Interesse am Leben zu heucheln und Bobby versuchte, ihm dieses Interesse abzunehmen. Aber beide hatten sie keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.

Der Ältere tat sein Bestes, aber auch ihm war bewusst, dass Dean ohne Sam früher oder später eingehen würde, wie eine Pflanze ohne Licht. Eher früher befürchtete der Jäger.

Es zerriss ihm jedes Mal das Herz, wenn er den Blonden sah.
 

Von Sam oder von Luzifer - sie hatten sich, ohne je ein Wort darüber zu verlieren, darauf geeinigt, nicht von Luzifer zu sprechen und wussten doch, dass sie eigentlich ihn meinten - gab es noch immer keine Spur.

Der Herr der Hölle schaffte es perfekt, sich zu verstecken.
 

Anna kam spätestens alle zwei Tage vorbei und schaute nach Dean.

Jedes Mal war sie wieder von diesen stumpfen, toten Augen entsetzt, mit denen Dean ins Leere starrte. Seine körperlichen Wunden heilten nur mühsam, und seine seelischen wurden mit jedem Tag, der verging, schlimmer. Doch egal, wer ihm helfen wollte, er wurde zurückgewiesen. Erinnerten ihn die Wunden doch an sein Versagen. Er sollte Sam schützen und er hatte es nicht gekonnt. Das war dann also eine der Strafen für sein Versagen.

Castiel redete trotz allem immer wieder auf ihn ein und erntete, wenn überhaupt, nur genervte Blicke. Meistens jedoch verkroch sich Dean noch tiefer in seinem Schneckenhaus und dann war es selbst für Bobby fast unmöglich ihn zu erreichen.

„Hör auf damit!“, fauchte Anna den Engel an, als er einen erneuten erfolglosen Versuch gestartet hatte. „Du bringst ihn nur noch mehr gegen uns auf.“

„Er ist unsere letzte Chance!“

„Ja und du zerstörst sie immer wieder aufs Neue. Ich muss dich ja wohl nicht an die Aktion mit Alastair erinnern, oder?“

„Wir brauchen ihn. Er muss uns helfen. Er hat sich dazu verpflichtet.“

„Nein! Such lieber Luzifer. Solange der noch in Sams Körper ist, wird Dean auf gar nichts reagieren.“

„Aber wir...“

„Nein Castiel. Er hätte alles für euch gegeben, aber nein, ihr musstet ihn brechen. Das habt ihr wirklich ganz toll hinbekommen. Lass ihn in Ruhe und hilf mir lieber Sam zu suchen!“, befahl Anna barsch und sie verschwanden.
 

Jeden Morgen, wenn Dean sich aus dem Bett quälte, nahm er sich vor, sich Bobby zu öffnen, mit ihm zu reden, doch er schaffte es nicht. Zu groß waren seine Schuldgefühle einfach abgehauen zu sein und Bobby mit all den Sorgen und Problemen alleine gelassen zu haben.

Der Hausherr hingegen wollte den Jungen auf keinen Fall noch mehr verletzen und sagte auch nichts. So lebten sie schweigend nebeneinander her, von Engeln bewacht.

Anna und Bobby hatten beschlossen, Dean nichts von dem, was Luzifer auf der Welt anrichtete zu erzählen, aus Angst, ihn wieder zu verlieren. Castiel war überstimmt worden und hatte sich zähneknirschend gefügt. Er wollte lieber gestern als heute losschlagen.
 

Der Blonde wäre auch schon lange wieder von hier verschwunden, doch er wusste nicht wohin. Und er fürchtete sich davor, noch mehr Menschen in den Strudel der Hölle zu ziehen, der ihn irgendwann verschlingen musste. Bobby konnte sich wenigstens wehren. Der wusste was auf ihn zukommen würde.
 

Dean war blass, aß zu wenig und versuchte auch weiterhin den Anschein zu erwecken, dass er gar nicht da war.

In den wenigen klaren Momenten, die der Winchester hatte, dachte er an Josi und Corine.

Manchmal wünschte er sich zu ihnen zurück. Aber er wollte sie nicht noch weiter in die Schusslinie seines Lebens bringen. Und so blieb er auf dem Schrottplatz.

Das passte sowieso am Besten zu seinem Leben.

Ein Schrottplatz.
 

Er wünschte sich verzweifelt die weiche, weiße Watte zurück, die ihn die letzten Wochen und Monate umhüllt hatte.

Er bekam sie nicht wieder.

Aber er fühlte sich, als ob er durch dichte Nebelschwaden irrte.

Er wusste, dass er nur ein paar Schritte zu machen brauchte und er würde von dem zuverlässigen Licht und der Wärme eines Feuers umfangen werden. Doch er wollte kein Feuer. Er suchte seine Sonne, auch wenn die im letzten Jahr wohl eher ein Fixstern gewesen war. Aber die Liebe zu Sam hatte ihn die Hölle überstehen lassen. Diese Liebe hatte ihm die Kälte erträglich gemacht, die nach seiner Rückkehr immer stärker von seinem kleinen Bruder ausgegangen war.

Sam war sein Leuchtfeuer gewesen, die Sonne, um die er sich sein ganzes Leben gedreht hatte.

Und auch wenn er im letzten Jahr wohl eher durch eine Eiswüste gewandert war, in der seine Sonne ihm noch nicht einmal die Illusion von Wärme gewährt und ihre Helligkeit in seinen Augen gebrannt hatte, so wollte er doch nichts sehnlicher als zu seinem Sammy zurück. Er brauchte ihn wie die Luft zum Atmen.

Ohne seinen kleinen Bruder fühlte er sich wie ein Mond, dem man den Planeten genommen hatte. Sinnlos und ziellos trudelte er durch die Dunkelheit der unendlichen Weiten.
 

Sein Inneres war erstarrt.

Er hockte auf dem Sessel vor dem Kamin. Die Beine hatte er angezogen und die Schienbeine mit seinen Armen umklammert, so als hätte er Angst noch mehr von sich zu verlieren. Sein Kinn ruhte auf den Knien und die Augen starrten blicklos in die Flammen.

Er hatte sich verloren und er wollte sich nicht finden. Denn dann müsste er sich mit seinem Verlust auseinandersetzen. Einem Verlust, den er schon einmal nur mit Mühe überlebt hatte und der diesmal doch so unendlich viel schlimmer war. Denn er wusste, dass Sam da draußen rumlief. Sams Hülle.
 

Und dann kam der Tag an dem Anna nicht auftauchte.

Dean bemerkte es nicht. Für ihn war ein Tag wie der andere. Er konnte nicht sagen, ob ein Tag vergangen war, eine Stunde oder eine Woche.

Er hievte sich aus dem Sessel wenn Bobby ihn rief und versuchte etwas zu essen wenn der Teller vor ihm stand, und wenn Bobby ihn mit einem betrübten Blick und einem tiefen Atemzug wieder entließ, tappte er zurück zum Sessel um wieder in die Flammen zu starren. Er registrierte nicht, dass Bobby Holz nachlegte und wenn der Ältere ihn nicht jeden Abend nach oben scheuchen würde, würde er wahrscheinlich auch im Sessel schlafen.

Aber Bobby war es sofort aufgefallen. Wo war der Engel? Wenn es etwas gab, worauf er sich verlassen konnte, dann war es Annas Pünktlichkeit. Spätestens Mittag war sie da. Sie redete dann eine Weile auf Dean ein und schien ihn sogar ein wenig aus seiner Lethargie reißen zu können.

Nach ihrem Besuch half der sogar in der Küche. Doch dann verkroch er sich wieder in sich.

Nein, das war nicht mehr Dean und der ältere Jäger wusste nicht, was schlimmer war. Dean so zu sehen und vielleicht die Hoffnung haben zu können, dass Sam doch noch zurückkehren würde. Wie sollte das gehen? Wer wäre er dann? Was? Oder wenn er Dean hätte ein zweites Mal beerdigen müssen, nachdem Luzifer in Sams Körper den älteren Winchester getötet hätte.

Er wollte sich die Antwort nicht geben, denn er hatte Angst, dass er die zweite Möglichkeit als weniger schlimm ansehen könnte.
 

Wo nur war Anna, wo war Castiel? Wieder ging ein Tag zu Ende und Bobby begann sich nun auch noch Sorgen um die Engel zu machen.

'Verdammt! Sie sind Engel! Sie können auf sich selbst aufpassen! Auch bei dem Gegner?'

Mühsam versuchte der Jäger seine Fassade aufrecht zu erhalten. Um Nichts in der Welt wollte er, dass Dean davon etwas mitbekam. Der würde womöglich ... nein Bobby wusste nicht mehr was Dean tun würde. Aber er betete, dass die Engel bald wieder auftauchten. Mit guten Nachrichten!
 

Es dauerte noch zwei Tage, bis Anna plötzlich in der Küche stand und Bobby sich, mal wieder, erschreckte. Noch bevor er lospoltern konnte hob sie abwehrend die Hände.

„Lass uns nach draußen gehen, ich muss mit dir reden.“

„Du solltest erst zu Dean gehen. Er braucht dich.“

„Ich weiß, aber die Zeit habe ich nicht und ich möchte nicht, dass er von unserem Gespräch etwas mitbekommt. Bitte!“ Sie sah den Jäger fast flehend an.

Der nickte und ging ihr voraus bis fast ans entfernteste Ende des Schrottplatzes.

„Was gibt es so Wichtiges?“

„Wir haben Luzifer gefunden.“

Der Satz schlug ein wie eine Bombe.

„Ihr habt... Wie geht es Sam. Ist er noch ...?“

„Sam ist noch in seinem Körper, aber er ist schwach. Zu schwach vielleicht. Ich weiß nicht, ob wir ihn noch retten können. Es hat zu lange gedauert“, sagte sie leise und Trauer schwang in ihrer Stimme mit.

„Aber ihr ... Ihr habt gesagt, dass ihr Luzifer aus seinem Körper...“, polterte der Ältere los. Er wollte nicht glauben, dass alles umsonst gewesen sein soll, dass Dean für nichts litt. Nein, es musste einen Weg geben oder sie waren alle verloren. Obwohl er das diesen verlogenen Engeln fast wünschte, für das, was sie Dean, was sie den Brüdern angetan hatten.

„Es gibt ein Ritual, das einen Körper reinigt. Es ist eine Art Exorzismus. Damit werden wir Luzifer aus Sam vertreiben und ihn für eine Weile an einen Ort binden können. Danach können wir ihn mit einem weiteren Ritual bannen. Wir können ihn weder vernichten noch in die Hölle schicken. Aber wenn alles so läuft, wie wir es uns erhoffen, werden wir ihn so lange halten können, bis Dean soweit ist um ihn zu besiegen.“

„Was ist das für ein Ritual und warum habt ihr es noch nicht durchgeführt? Du sagst Sam ist schwach. Warum zögert ihr?“

Mit diesem Ritual werden ALLE, auch mächtige Engel und Dämonen aus ihrem Wirtskörper vertrieben. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Wirt uns freiwillig aufgenommen hat oder nicht. Und auch Sams Seele kann, wenn sie zu schwach ist, aus ihrem Körper gerissen werden. Wir müssen uns erst schützen und wir müssen sicherstellen, dass Sam in seinem Körper gehalten wird, oder aber sofort da hinein zurückkehren kann. Das erfordert noch etwas Zeit.“

Bobby nickte: „Wie lange noch und warum soll Dean das nicht wissen? Es würde ihm Mut machen. Es würde ihn ins Leben zurückholen.“

„Ich weiß, dass Dean Hoffnung braucht, aber wenn wir es ihm jetzt sagen ... Die Risiken sind zu groß, dass wir scheitern. Bitte pass weiter gut auf ihn auf und wir beeilen uns. Trotzdem werden wir bestimmt noch eine Woche brauchen.“

Bobby nickte wieder und schon zeigte ein kurzes Flügelrauschen an, dass Anna verschwunden war.
 

Was sollte er jetzt tun. Was würde jetzt passieren? Wie sollte er sich Dean gegenüber verhalten? Er konnte ihm doch nicht verschweigen, dass es Hoffnung gab?!?

Aber er würde schweigen müssen, Anna hatte Recht. Dean würde etwas tun wollen und er würde komplett zusammenbrechen, oder sogar einfach sterben, wenn Sam dadurch nicht gerettet werden könnte.

Obwohl? Dean hatte, als sie Sam im Panikraum auf Entzug gesetzt hatten, gesagt, dass er Sam lieber als Mensch sterben sehen wollte, als als Dämon leben.

Vielleicht ... wenn die Engel versagten ... vielleicht würde Sam wenigstens als Mensch sterben.

Bobby holte tief Luft. Es wäre die schlechtere Alternative, aber es würde Dean vielleicht aus seiner Lethargie reißen. Es würde seine Wut schüren und der Junge würde endlich wieder das werden, was er war. Ein Jäger.

Auch wenn er dabei draufgehen würde.

Bobby holte tief Luft und ging wieder ins Haus. Er wollte Hamburger machen, von denen Dean wieder nichts essen würde.
 

Kaum dass Anna den Schrottplatz verlassen hatte kontaktierte sie Castiel um zu erfahren, wo sie waren und nur einen Lidschlag später stand sie bei ihnen.

Sie waren sieben.

Dina, eine hübsche Dunkelhaarige, die vor Lebenslust nur so sprühte, Auriel, der sich reichlich mürrisch in seine von Gott gegebene Aufgabe gefügt hatte, Melathiel, Bartiel, Jamiah und natürlich Castiel und sie selbst. Sie waren vom Vater persönlich ausgesucht und mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet worden. Denn nicht einmal die Erzengel durften wissen, was sie hier taten.

Sam zu retten stand auf der Prioritätenliste, wenn überhaupt, ganz am Ende.

Sie hatten, ebenfalls auf Gottes Geheiß, Dean abgeschirmt, damit kein anderer Engel ihn finden konnte, besonders Zacharias nicht.

Langsam schritt sie auf die Gruppe zu.

Sam

„Wir sind mit den Vorbereitungen fast fertig. Es sind jeweils fünf von uns nötig um das Ritual durchführen zu können. Es dauert drei Tage. Danach werden Melathiel und Auriel, Dina und Bartiel ablösen, die jetzt Luzifer beobachten.

Jamiah hat einen geeigneten Platz gefunden und auch schon eine Idee, wie wir den gefallenen Engel dahin bekommen.“

„Gut“, nickte die Rothaarige, „lasst uns beginnen. Weder Sam noch Dean haben noch viel Zeit.“
 

Anna schaute zu Castiel hinüber.

Konnten Engel ein mulmiges Gefühl im Magen haben? Eigentlich fühlten sie doch nichts und Castiel sah auch nicht so aus, als ob er ihre nichtvorhandenen Gefühle teilte. Mit stoischer Ruhe starrte der zum Horizont.

Sie hatten, unsichtbar für jedes Lebewesen, das kein Engel war. ein großes Pentagramm auf die Wiese gezeichnet.

In dessen Mitte befand sich eine Teufelsfalle, in der sie, quasi als Köder, standen. Sobald Luzifer bei ihnen erschienen war, würden die anderen Engel aus ihrem himmlischen Versteck kommen, die Ecken des Pentagramms besetzen und so dem gefallenen Engel jede Fluchtmöglichkeit nehmen. Dann würden Castiel und sie das Ritual durchführen, das Sams Körper von Luzifer befreien sollte und die fünf Engel würden Luzifer gleichzeitig mit einem weiteren Bannspruch beschwören und an einen Ort befördern, an dem er solange sicher gefangen gehalten werden konnte, bis Dean soweit war, ihn zu töten.
 

Noch einmal holte Anna tief Luft und ging dann zum wiederholten Male den Ablauf des Rituals durch.

Sie kam nicht weit.

Ein Grollen erfüllte die Luft.

Die Kühe, die auf der Weide standen, rannten panisch auf den Wald zu, der diese Wiese an einigen Stellen umgab. Die Vögel stiegen von den Bäumen auf und flogen davon.

Gleißendes Licht blendete Anna und Castiel für den Bruchteil einer Sekunde.

‚Jetzt’, dachte sie und konnte fühlen, wie die fünf Ecken besetzt wurden.

Sie schaute zu Castiel und begann mit dem Ritual.

„Es wird euch nicht gelingen“, lachte Sam und richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf die beiden ihm so verhassten Engel. Er war stärker als sie und es würde nicht lange dauern, bis er diese zwei Möchtegern-Luzifer-Bezwinger aus ihren Hüllen vertrieben und jetzt endgültig pulverisiert haben würde.

Wieso waren die eigentlich wieder hier? Er hatte sie vernichtet! Zerstört! Ein für alle Mal vom Antlitz dieser Welt getilgt!

Wenn er diesmal mit ihnen fertig wäre, dann gäbe nichts mehr, was noch groß genug wäre, um erneut zusammengesetzt werden zu können!
 

In seinem Körper bettelte Sam darum, dass Luzifer endlich aufhören, oder ihn wenigsten töten sollte. Er hatte jeden Mord mit ansehen müssen, seit er ein Gefangener in seinem fremdgesteuerten Körper war. Er hatte die Freude gefühlt, die der Höllenfürst dabei empfand und war sich jede einzelne Sekunde bewusst gewesen, dass er dafür verantwortlich war. Er hatte Luzifer frei gelassen! Er hatte nicht auf seinen Bruder hören wollen, als der von der Hölle erzählt hatte. Er hatte Dean für schwach gehalten, glaubte, dass sie seinen Bruder gebrochen hatten und er hatte ihm vorgeworfen, einfach nur noch ein jämmerlicher Abklatsch seiner selbst zu sein.

Dabei hatte Dean mit jedem Wort Recht gehabt.

Dean!

Was war mit ihm? Hatte Luzifer ihn getötet? Er hatte nie wieder etwas von seinem Bruder gehört und Luzifer hatte auch keinen Gedanken an den älteren Winchester verschwendet. Hätte Dean nicht alles versucht um Luzifer zu vertreiben? Hätte Dean nicht alles versucht um ihn, Sam, aus den Fängen des Bösen zu befreien? Oder hatte Dean ihn letztendlich doch fallen lassen. So wie er ihn beinahe. Sam hätte es verstanden, nach all dem, was er seinem großen Bruder zugemutet hatte, ja regelrecht angetan hatte. Dean musste tot sein! Genau wie Castiel und Anna!

Aber warum standen die Engel dann vor ihm? Er hatte doch mit ansehen müssen, wie Luzifer sie regelrecht hatte explodieren lassen.
 

Am Horizont ballte sich eine schwarze Wolke zusammen. Wie ein drohendes Unwetter baute sie sich immer weiter auf. Blaue Blitze zucken durch sie hindurch und um sie herum. Diese schwarze Wand schien schon fast den ganzen nördlichen Horizont auszufüllen.

Und dann, wie auf Kommando jagte sie los.
 

Ein Reißen ging durch seinen Körper. Sam schrie vor Schmerzen.

Das Häufchen Elend, zu dem seine Seele in den letzten Wochen geschrumpft war, krümmte sich noch mehr zusammen.

Luzifer lachte dröhnend.

„Ihr wollt mich doch nicht etwa aus meinem Körper vertreiben?“

Erneut jagte das Reißen durch Sam. Diesmal war es noch stärker.

Der oberste Dämon keuchte erschrocken. Doch noch stemmte er sich gegen seine Vertreibung.
 

Anna blickte auf und sah das Unheil auf sie zu rasen.

‚Hoffentlich langt die Zeit!’, überlegte sie und konzentrierte sich dann schnell wieder auf ihren Teil den Rituals.
 

Wieder ging dieser reißende Schmerz durch ihn hindurch, wie glühende Eisen durch Butter. Sam war kaum noch Herr seiner … Seele. Es zog und zerrte an ihm, schien ihn in alle Richtungen gleichzeitig ziehen zu wollen und doch hatte er das Gefühl, als wollten sie ihn noch kleiner zusammen drücken.

War es so ähnlich auch für Dean gewesen? Hatte er solche Schmerzen über sich ergehen lassen müssen? Hatte er diesen dreißig Jahre widerstehen können?
 

Die schwarze Wand überrannte die ersten beiden Engel.
 

Sam hatte den Eindruck, er könnte das keine Sekunde länger aushalten.

Und dann hörte er ein fürchterliches Reißen und der Schmerz steigerte sich ins Unerträgliche.

Halb bewusstlos nahm er noch wahr, wie Luzifer aus seinem Körper gerissen wurde und er wollte sich irgendwo festklammern. Doch der Sog zerrte ihn einfach mit.
 

Castiel fasste Annas Hand.

„Sam!“, schrie sie panisch auf und wollte sich aus dem Klammergriff befreien, doch schon verschwand die Szenerie vor ihren Augen. Sie fühlte sich leicht und getragen und als sie ihre Augen wieder öffnete, erkannte sie nur weiße Wolken um sie herum.

Gleich neben ihr saß Castiel und schaute sie traurig an.

Wütend funkelte sie zurück.

„Wie hätten Sam mitnehmen müssen. Unser Bannspruch hat nicht gewirkt, er wurde mit Luzifer aus seinem Körper gerissen!“, fauchte sie ihren Partner an.

„Er war nicht erreichbar. Sie hätten uns ebenfalls überrannt noch bevor wir mit Sam hätten fliehen können.“

„Wie sollen wir Dean das denn jemals erklären. So wird er nie für uns kämpfen.“

„Tot hätten wir niemandem mehr nutzen können.“

„Verdammt, Castiel!“
 

Sam taumelte körperlos und völlig benommen über den Platz. Die Schmerzen, die er noch immer durch seine Seele wüten fühlte, hatten ihn fast vollkommen betäubt.

Die schwarze Wolke aus den unzähligen Dämonen, die ihrem Herrn und Meister zu Hilfe gekommen war, schloss ihn ein. Sie wirbelten ihn unbeachtet zwischen sich hin und her und rissen ihn mit sich, als sie sich in ihre Welt zurückzogen.

Dieser Sieg musste gefeiert werden.
 

Einen Augenblick lang war Luzifer ebenfalls benommen gewesen, doch umgeben von seinen Dämonen konnte er sich sehr schnell wieder erholen und so löste sich ein kleiner Teil der schwarzen Wolke ab und trudelte vom leichten Wind getrieben auf die kleine Stadt zu, die in der Nähe war.
 

Der Farmer, dessen Vieh am Rand der großen Wiese weidete, hatte das Unwetter gesehen und jetzt, nachdem es sich so schnell aufgelöst hatte, wie es gekommen war, setzte er sich in seinen Jeep und fuhr hinaus. Er wollte sehen, wie groß der Schaden war.

Die große Wiese schien verbrannt worden zu sein. Sie war ganz schwarz und er musste das Schlimmste für seine Herde fürchten.

Erleichtert stellte er fest, dass, bis auf zwei, seine Kühe den ganzen Spuk unbeschadet überlebt hatten, auch wenn sie noch immer vollkommen verschreckt zusammengedrängt am Waldrand standen.
 

Langsam rumpelte er, von der Neugier getrieben über die Wiese.

Als er plötzlich etwas auf dem verbrannten Boden liegen sah.

Er gab mehr Gas und kam, eine schwarze Staubwolke aufwirbelnd, neben dem Bündel, das er inzwischen als Mensch identifiziert hatte, zum Stehen.

Vorsichtig trat er näher und jeder seiner Schritte wirbelte ebenfalls kleine Wolken schwarzer Asche auf.

Er kniete sich neben den Mann und tastete mit fliegenden Fingern nach einem Puls.

Erst an der Halsschlagader fand er etwas, das einem Herzschlag ähnlich war.

Er hob den Mann hoch, schulterte ihn und legte ihn dann auf die Rückbank seines Geländewagens.

So schnell wie er nur konnte, jagte er zum nächsten Krankenhaus.
 

„Jetzt lass uns endlich hier verschwinden und nach Sam sehen!“, drängte Anna zum Aufbruch.

„Nein, wir warten noch.“

„Castiel!“

„Gott wird uns keine dritte Chance geben, wenn wir zu früh zurückkehren und zwischen dem Dämonenheer zerrieben werden.“

„Aber wir können doch nicht nur hier herumsitzen und nichts tun. Luzifer ist frei und wird sich wohl schon einen neuen Körper gesucht haben. In Sam kann er ja nicht zurück, aber wenn wir uns nicht bald um den jüngeren Winchester kümmern, wird uns Dean nicht helfen!“

„Das müssen wir riskieren. Wir warten noch.“

„Verdammt noch mal, Castiel! Jetzt beweg endlich deinen himmlischen Arsch. Hier herumsitzen wird keinem etwas bringen!“, wütend erhob sich die rothaarige Frau und ließ sich durch die Wolken gleiten.

Sie konnte sehen, wie ein Mensch Sams Körper in sein Auto lud und folgte ihm, als der davon raste.

Castiel verdrehte die Augen. Dann erhob er sich und folgte ihr mit einigem Abstand.
 

Das inzwischen schon bekannte Rauschen von Flügeln ertönte und Bobby ließ, obwohl er sich so langsam daran gewöhnt haben sollte, wieder einmal fast seine Tasse fallen. Heißer Kaffee schwappte über seine Hand und er stellte die Tasse fluchend auf den Tisch.

Castiel und Anna standen vor ihm.

Der Jäger musterte seine Besucher und jede Freude, die sich kurz in seinem Bauch breit machen wollte, klumpte zusammen. Die Engel sahen nicht glücklich aus. Nicht, dass sie das je getan hätten, aber wenn sie Erfolg gehabt hätten, müsste dann nicht Sam bei ihnen sein?

„Wir brauchen Dean“, sagte Anna rau.

„Er wird Luzifer nicht töten, solange der in Sams ...“ brauste Bobby auf.

„Luzifer ist nicht mehr in Sams Körper, aber das ist eine längere Geschichte und jetzt wäre es gut, wenn Dean einfach mit uns mitkommen würde.“

„Versuch ihn zu erreichen. Vielleicht hast du Glück.“ Der Jäger schloss resigniert die Augen und deutete in Richtung Arbeitszimmer.

Der Winchester war in den letzten Tagen nicht ansprechbar gewesen. Bobby hatte es mit Bitten und Drohen versucht, nichts hatte geholfen. Zu guter Letzt hatte er ihn angebrüllt, dass er ihn zwangsernähren würde, wenn er nicht wenigstens einen halben Teller pro Mahlzeit essen würde.

Jetzt würgte Dean sich das Essen rein und hatte nach mehr als einer Mahlzeit würgend über dem Klo gehangen und unter Krämpfen das Essen wieder ausgespuckt. Doch Bobby blieb bei seiner Drohung, in der Hoffnung, dass Dean wenigstens einen Bissen drin behalten würde.

Der Junge verhungerte unter seinen Augen.

Warum musste es für die Jungs nur so schwer sein?

„Ihr hattet keinen Erfolg?“, stellte Bobby heiser fest. Und doch schwang ein letztes Bisschen Hoffnung in seiner Stimme mit. Es durfte nicht so enden. Es konnte nicht so enden. Nicht hier und nicht jetzt!
 

Anna schüttelte den Kopf, dann nickte sie und zuckte mit den Schultern.

„Luzifer ist nicht mehr in Sams Körper“, antwortete sie, „aber das ist auch schon die ganze gute Nachricht.“

„Er ist nicht mehr ... Was heißt das?“, wollte der Jäger verwirrt wissen.

„Es gibt vielleicht noch einen Weg, aber wir brauchen Dean und ich fürchte, das, was wir von ihm verlangen werden, wird über seine Kräfte gehen“, erklärte sie und schaffte es nicht mehr dem Hausherrn in die Augen zu sehen.

Zum ersten Mal seit langer Zeit schüttelte Bobby Singer hilflos den Kopf.

Luzifer war nicht mehr in Sams Körper aber Sam war nicht hier! Sie wollten Dean, aber er würde nichts tun können? Was hieß das? Was war passiert?

„Verdammt noch mal, warum sagst du nichts?“, brüllte er Castiel an.

„Anna hat schon alles gesagt und ich bin nur hier um dich ebenfalls mitzunehmen, falls du es wünscht.“

„Mitnehmen? Wohin?“

„Dahin, wohin wir Dean bringen müssen.“

Bobby verdrehte die Augen und schaute zu Anna. Sie drückte sich weniger nichtssagend aus wie ihr Partner. Waren sie Partner?

Doch auch Anna schwieg jetzt und starrte traurig auf die Tischplatte.

Sie hatten versagt. Sie hatte Dean versprochen, dass sie seinen Bruder retten würden, doch jetzt sah es alles andere als danach aus und Dean würde den schwersten Schritt machen müssen. Er würde loslassen müssen. Konnte er das? Und würde ihr Plan diesmal funktionieren?

„Geh zu ihm. Du weißt wo er hockt“, sagte Bobby leise.

Winchester

Die junge Frau nickte und ging ins Arbeitszimmer.

Erschrocken blieb sie in der Tür stehen. Auf dem Sessel hockte ein Wesen, das Deans Kleidung trug und mit viel Fantasie vielleicht sogar als der ältere Winchester durchgehen würde, aber das war so wenig Dean, wie sie selbst ein Mensch war. Da hatte er ja unter der Brücke besser ausgesehen.

Damals hatte er sich noch ein wenig um Andere kümmern müssen. Dort hatte er noch ein kleines bisschen Hoffnung gehabt. Hier hatte er alles aufgegeben. Bobby war da und kümmerte sich um ihn und Bobby konnte sich gegen die Dämonen wehren. Er musste nicht mehr kämpfen wollen. Er musste nur noch auf den Tod warten, den sie ihm bis jetzt verwehrt hatten und von dem er hoffte, dass er bald käme und ihn einfach nur ins Vergessen mitnehmen würde. Es gab nichts mehr wofür es sich zu leben lohnte!
 

Anna hockte sich vor den Sessel, im dem der Blonde noch immer genauso hockte, wie sie ihn vor fast zwei Wochen verlassen hatte.

Sanft legte sie ihm ihre Hände an seine Wangen und hob sein Gesicht ein wenig an, damit sie ihm in die Augen sehen konnte. Sie musste schlucken.

Der Glanz der grünen Augen war verschwunden. Tief lagen sie in ihren Höhlen, umrahmt von fast schwarzen Augenringen erzählten sie von schlaflosen Nächten. Die Lippen waren rissig und aufgesprungen.

„Dean, du musst mitkommen, wir brauchen dich. Bitte“, versuchte sie leise zu ihm durchzudringen.

Sie bekam keine Reaktion.

„Bitte Dean, wir müssen uns um Sam kümmern.“

In die trüben Augen kam ein wenig Leben: „Sam?“, fragte er kaum hörbar.

„Ja Dean, Sam!“

Sie musste ihm beim Aufstehen helfen und als er taumelte schloss sie ihn fest in ihre Arme.
 

Blinzelnd öffnete Dean die Augen und schaute sich um.

Sein Gehirn verknüpfte diesen bekannten, penetranten Geruch von Desinfektionsmittel und die in weißen Kitteln durch den Gang hetzenden Menschen mit nur einem Wort: Krankenhaus.

Hoffnung glomm in seinen Augen und breitete sich zögerlich über sein hageres Gesicht.

Anna entließ ihn aus ihren Armen und deutete auf eine Tür.

Schnell drehte sie sich von Dean weg. Die Hoffnung in seinen Augen war wie ein Dolchstoß direkt in ihr Herz.

Sie sah zu Castiel und Bobby, die ebenfalls gerade angekommen waren.

„Er wird deine Hilfe brauchen“, sagte der Engel leise und wies auf Dean. Dann verschwand er mit Anna.

‚Das wird langsam zur Gewohnheit’, brummelte Bobby in Gedanken, ‚immer wenn diese Flattermänner nicht weiter wissen schicken sie einen Menschen vor.’

Inzwischen verstand er Deans Abneigung gegen diese Wesen nur zu gut. Sie sagten nie worum es ging und wenn sie Fehler machten, dann schickten sie die Menschen vor, um alles wieder ins Lot zu bringen.

Dean stand noch immer an den Türrahmen gelehnt.

‚Das heißt dann wohl nichts Gutes?’ überlegte der Ältere und trat hinter den Jungen.
 

Der blonde Winchester nahm nichts um sich herum wahr. Seine Augen waren starr auf das Wesen in dem Bett gerichtet. Er wollte nichts lieber, als zu ihm zu stürmen und ihn in seine Arme zu ziehen und ihm zu sagen, dass sie das schon schaffen würden, dass alles gut werden würde. Doch er machte keinen Schritt. So lange hatte er gewartet. So lange wollte er nur eins und jetzt hatte er Angst, diesen letzten Schritt zu tun.
 

Bobby überblickte den Raum.

Sam! Sam lag im Bett. Er hatte die Augen geschlossen und war blass bis auf einige dunkle Kratzer im Gesicht.

Neben ihm an der Wand stand eine Art Blasebalg, der sich immer wieder aufblähte und Luft in Sams Lungen pumpte.

Der Ältere schluckte hart.

„Dean?“, fragte er leise und legte dem Blonden eine Hand auf die Schulter.

Als hätte der nur auf diese Aufforderung gewartet, löste er sich von der Tür und ging auf das Bett zu. Er setzte sich auf den Stuhl, der daneben stand und streckte zögerlich eine Hand aus um seinem Sammy eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen.

Er zuckte zurück. Sams Haut fühlte sich so kühl, fast kalt, an.

Doch dann tasteten seine Finger erneut nach der Strähne und endlich schob er sie zur Seite.

Bobby lächelte bei diesem Anblick. Es war so schön die Jungs zusammen zu sehen.

Dean zog die Decke über Sam etwas höher und nahm dann dessen Hand. Er umfasste sie mit beiden Händen, stellte seine Ellenbogen auf die Matratze und lehnte seine Wange gegen Sams kalte Finger.

Noch immer wortlos verharrte er so, seine Augen fest auf das Gesicht seines kleinen Bruders gerichtet.
 

„Sind sie die Angehörigen des jungen Mannes?“, wurde Bobby aus seinen Gedanken gerissen. Er stand noch immer in der Tür, unschlüssig, ob er den Raum betreten sollte. Er wollte nicht stören, obwohl er eigentlich wusste, dass er das nie tun würde.

Er drehte sich zu dem Sprecher um und nickte.

„Schön, dass sie hier sind. Wie haben sie…?“, begann der Arzt.

„Das ist unwichtig“, erklärte Bobby.

Der Arzt tippte etwas in ein kleines Gerät.

„Mein Kollege kommt gleich, dann können wir unsere weiteren Schritte mit ihnen durchsprechen“, sagte der Mann und drängte den Jäger in den Raum. Die Tür ließ er einen Spalt offen stehen.

„Guten Tag“, grüßte er in Deans Richtung doch der reagierte nicht darauf. Unverwandt schaute er auf Sams Gesicht und schien auf eine Regung zu warten.

Der Arzt schluckte unbehaglich.

Stumm starrte er auf den jungen Mann.

Die Tür wurde aufgestoßen und ein älterer Arzt betrat den Raum. Diesmal schloss er die Tür richtig.

„Ich bin Dr. Carven und das ist mein Kollege Dr. Jones. Er ist unser Neurologe“, begann der Arzt und wartete auf eine Reaktion, die nicht kam.

Dr. Carven holte tief Luft. Das hier würde schwierig werden.

„Ihr Sohn wurde vorgestern mit sehr schwachen Vitalzeichen eingeliefert. Wir haben versucht ihn zu stabilisieren und für eine Weile schien es so, als ob wir damit auch Erfolg hätten, doch dann versagten nacheinander seine inneren Organe. Wir mussten ihn an die Herz-Lungen-Maschine anschließen. Er war zu schwach. Wir konnten ihm nicht mehr helfen.“ Hilfesuchend schaute er zu seinem Kollegen.

„Ihr Sohn ist klinisch tot und wir wollen mit Ihnen darüber sprechen, die Maschinen abzuschalten. Wir können nichts mehr für ihn tun. Sie sollten ihn erlösen“, erklärte jetzt auch der Neurologe.

„Das …“, krächzte Bobby. Er schluckte hart. „Das ist seine Entscheidung“, sagte er und deutete auf Dean. ‚Oh mein Gott!’, dachte er nur, ‚was mute ich dem Jungen da zu? Was mute sie dem Jungen zu?’ Aber er wusste, dass er ihm das nicht abnehmen konnte, es nicht durfte, und dass Dean diese Entscheidung selbst treffen musste und bestimmt auch wollte. Er hoffte nur, dass der Junge nicht noch einmal so einen Fehler machen würde wie vor zwei Jahren. Obwohl er ja bezweifelte, dass noch ein Dämon mit Dean einen Pakt schließen würde. Und er verfluchte die Engel, die Dean nur aus diesem Grund hierher gebracht hatten.

„Sie können doch ihrem Sohn nicht die Entscheidung darüber überlassen, ob die Maschinen bei seinem Bruder abgeschaltet werden sollen!“, empörte sich Dr. Carven.

„Er ist nicht mein Sohn. Ich bin ein guter Freund der beiden und glauben sie mir, wenn ich ihm die Entscheidung abnehmen könnte, würde ich es tun.“

„Dann sollten wir vielleicht die Eltern der beiden hierher bestellen.“

„Die Eltern der Jungs sind schon seit Jahren tot und er hat seinen kleinen Bruder aufgezogen. Also soll er auch diese Entscheidung treffen.“ Bobby verschränkte die Arme vor der Brust.

Die Ärzte schauten sich an, schüttelten beide mit dem Kopf und verließen das Zimmer.
 

Dean hatte sich während der ganzen Unterhaltung nicht gerührt. Er hatte durch nichts erkennen lassen, dass er zugehört oder verstanden hatte, worum es ging und doch hatte jedes Wort ihn wie ein Vorschlaghammer getroffen.

‚klinisch tot! … Herz-Lungen-Maschine … Organversagen … erlösen … Maschinen abstellen’, immer wieder kreisten diese Worte durch sein Gehirn. Sie schrien ihn regelrecht an, fraßen sich durch seinen Körper und schnürten ihm die Luft ab.

Sein Kopf schien bersten zu wollen. Er wollte schreien. Er wollte um sich schlagen, wollte Sam und die Ärzte schütteln. Es musste doch einen Weg geben! Es durfte doch nicht so enden.

War es das, was die Engel wollten? Wollten sie ihn brechen? Wollten sie ihn zerstören, um dann ihren Kämpfer neu aufbauen zu können? Sie brauchten ihn, hatten sie immer wieder gesagt. Er sollte Luzifer … Luzifer war in Sam … Sam war … Luzifer war nicht mehr in Sam? Aber war Sam dann auch nicht mehr in Sam!

Klinisch tot … Maschinen … erlösen …

Wäre es eine Erlösung?

Wo war Sam? War er ins Licht gegangen? War er noch hier? Hatten SIE ihn?

‚Sam soll entweder von seiner Sucht loskommen und mit mir jagen oder aber als Mensch sterben’, hallten seine eigenen Worte in seinem Kopf wider. War Sam als Mensch gestorben?

In seinem Kopf dröhnte es wie unter einer riesigen Glocke. Dean fürchtete von dem ganzen Lärm taub zu werden. Ein tauber Jäger! Fast musste er über diese Vorstellung lachen. Sammy hatte ihm das immer mal wieder vorgeworfen, wenn er die Musik im Impala zu laut gedreht hatte.

Wie sollte er denn jetzt mit dem Impala durch die Gegend fahren? Da fehlte doch etwas, das genauso wichtig war wie Benzin!

Klinisch tot … erlösen … Organversagen …

Dean wollte weglaufen. Er wollte sich vor dem Krach verstecken. Sollten sie doch die Entscheidung treffen. Sie kannten Sammy nicht!

Doch er bewegte sich nicht. Noch immer hockte er auf den Stuhl. Noch immer hielt er Sams kalte Hand zwischen seinen und noch immer starrte er aus trüben Augen auf seinen Bruder.

Niemand sah den Kampf, der sich in seinem Inneren abspielte.

Der Blonde verschloss sich vor der Welt und vor den Getöse in seinem Kopf. Für ihn gab es nur noch Sam. Seinen kleinen Bruder Sam.

Und er ließ seine Gedanken laufen.

Er sah sich und Sammy im Schwimmbad, wie er ihm das Schwimmen beigebracht hatte. Sammy hatte am Anfang immer wieder Wasser geschluckt und dann hustend und spuckend in seinen Armen gehangen und trotzdem wollte er es immer wieder versuchen.

Mit dem Fahrrad fahren war es fast dasselbe gewesen. Nur hatten da eher seine Hände und Knie gelitten.

Und dann sah er Sam plötzlich vor sich: „Weil du zu schwach bist, um sie zu verfolgen, Dean! Du hältst mich auf. Ich bin ein besserer Jäger als du, stärker, klüger! Ich kann Dämonen austreiben, denen du dich nicht mal nähern würdest. Du bist ja viel zu beschäftigt damit herum zu sitzen und dich schuldig zu fühlen wegen all der Seelen, die du in der Hölle gequält hast. Boohoo!“ Sein Inneres verklumpte sich. Schnell schob er diese Erinnerungen beiseite. So wollte er seinen kleinen Bruder nicht sehen. Nie wieder und er wollte nur zu gern glauben, dass es die Sirene war, die ihm diese Worte eingegeben hatte, auch wenn er wusste, dass er selbst alles was er gesagt hatte auch wirklich so gemeint hatte.
 

Tag und Nacht wechselten sich ab. Dean hatte sich noch immer nicht gerührt. Und doch wagte Bobby nicht, ihn zu stören, schien der Junge doch eine stille Zwiesprache mit seinem Bruder zu halten.

Die Ärzte kamen erneut ins Zimmer und diesmal waren sie entschlossen, sich nicht noch einmal von dem Mann abwimmeln zu lassen. Zweimal waren sie gegangen. Jetzt würden sie auf eine Entscheidung drängen.

„Wie lautet ihre Entscheidung?“, fragte Dr. Carven, als ob es ein „wie“ gäbe.

Der Ältere holte tief Luft und ging zu Dean hinüber. Zögernd legte er ihm die Hand auf die Schulter: „Dean?“
 

Jetzt war es also soweit. Er sollte von seinem kleinen Bruder, von seinem Sammy, Abschied nehmen.

Sie wollten ihn abschalten! Als ob man einen Menschen einfach so abschalten könnte.

‚Wir sehen uns wieder, Sammy’, versprach er stumm, ‚Bald sehen wir uns wieder!’

Widerwillig ließ der die Hand seines kleinen Bruders los und stand auf.

Bobby starrte auf den Jungen. Er hatte mit Widerstand gerechnet. Er hatte erwartet, dass Dean sich einfach weigern würde zu akzeptieren, dass Sam nur noch von den Maschinen am Leben erhalten wurde. Nichts!

Dean stand einfach von seinem Stuhl auf und ging zur Tür. An den Rahmen gelehnt blieb er stehen und starrte auf seinen Sammy.

Sofort schalteten die Ärzte die Maschinen ab.

„Komm Dean, das musst du dir nicht anschaun.“ Bobby versuchte den Jungen aus dem Zimmer zu schieben.

Dean stand wie angewachsen.

„Bitte Dean!“

Stur weigerte sich der Blonde den Raum zu verlassen. Unverwandt starrte er auf seinen Bruder, auf ein Wunder hoffend, ein Wunder befürchtend.

Nichts geschah.

Erst als das eintönige, nervtötende Piepen und die durchgehende Linie anzeigten, dass Sam jetzt endgültig tot war, ließ Dean sich widerstandslos aus dem Raum bringen.

Bobbys Hände an seinem Arm führten ihn zum Fahrstuhl.
 

Der Ton von Sams Tod hallte unaufhörlich in ihm wider. Was sollte jetzt werden? Der Ton seines Versagens machte ihn fast wahnsinnig. Wie eine leblose Marionette ließ er sich lenken.

Konsequenzen

Bobby drängte ihn in der Cafeteria sanft dazu etwas zu trinken und sogar ein wenig von einem Sandwich zu essen. Und dann stellte er ihm die unausweichliche Frage.

„Was soll jetzt mit Sam passieren?“

Wie in Trance antwortete Dean, dass er Sam beerdigen wollte und weigerte sich vehement einer Verbrennung der Leiche zuzustimmen.

„Du willst ihn aber nicht wieder mit einem Pakt zurückholen?“

Der Blonde schüttelte stumm den Kopf.

Bobby gab sich diskussionslos geschlagen. Und so nahmen sie am nächsten Morgen Sams sterbliche Überreste entgegen, legten ihn in den Pickup, den Anna ihnen gebracht hatte und fuhren zu einem kleinen Wald um ihn dort in aller Stille zu beerdigen.

Spätestens jetzt hatte der Ältere mit einem Gefühlsausbruch gerechnet.

Nichts.

Dean war ruhig und gefasst. Er antwortete auf Fragen und reagierte auf seine Umwelt.

Bobby machte das Angst. Die ganzen letzten Wochen hatte der Blonde schweigend auf dem Sessel gehockt und in die Flammen gestarrt und jetzt reagierte er fast normal?

Er war einfach zu ruhig für Jemanden, der gerade seinen letzten Familienangehörigen verloren hatte, zu ruhig für Jemanden, der den wichtigsten Menschen in seinem Leben verloren hatte.

Doch der Jäger wusste nicht, wie er Dean darauf ansprechen sollte. Dieses leblose Stück Mensch, das Dean in den letzten Wochen gewesen war, wollte er auf keinen Fall wieder um sich haben und doch! Aber diese Reaktionen waren einfach nicht normal. Nicht nachdem Dean vor zwei Jahren fast durchgedreht war.
 

Kaum waren sie wieder auf dem Schrottplatz, als sich Dean auch sofort zu seinem Impala verzog. Bobby ließ ihn gehen. Er wollte ihn trauern lassen und hoffte, dass es ihm helfen würde wieder ins Leben zu finden.

Und wo waren eigentlich diese verdammten Flattermänner?
 

Wieder senkte sich die Dunkelheit über den Schrottplatz und Bobby bereitete das Abendessen vor. Er hoffte, Dean würde bald reinkommen.

‚DEAN!' Schoss es ihm durch den Kopf. Panik breitete sich in seinem Inneren aus und er ließ alles stehen und liegen und stürzte nach draußen.
 

Die ganze Zeit hatte er schweigend auf dem Beifahrersitz gesessen. Keine Kassette lief und der Motor schwieg. Wie gerne wäre Dean jetzt eine Runde gefahren. Sam auf dem Beifahrersitz.

Sam würde nie wieder auf dem Beifahrersitz sitzen.

Dean hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Er würgte. Dabei war in seinem Magen nicht, das er erbrechen könnte. Er schluckte ein paar Mal trocken und atmete immer wieder tief durch. Endlich beruhigte sich sein Körper. Er würde sich nicht mehr lange quälen müssen.
 

Langsam öffnete er die Tür und stieg aus.

„Bis gleich, Sammy!“, flüsterte er.

In seinem Inneren herrschte endlich friedliche Stille. Er hatte sich entschieden und der Ton von Sams Tod war verstummt. Vorsichtig schloss er die Tür und ging wie in Trance, mit einem verträumten Lächeln im Gesicht zum Kofferraum. Seine Hand glitt liebkosend über das Dach und die C-Säule zum Heckkotflügel.

Er öffnete die Klappe, öffnete ihr Geheimfach und holte Sams Beretta heraus.

Zärtlich strich er über die Waffe. Er schloss den Kofferraum und machte ein paar Schritte weg von seiner schwarzen Schönheit.

Dann hielt er die Waffe unter sein Kinn.

„Bis gleich, Sammy!“, flüsterte er, schloss die Augen ...
 

Deans Finger krümmte sich.
 

Im letzten Augenblick riss Bobby ihm die Waffe vom Kopf. Der Schuss krachte in die Luft. Wütend drehte sich der Ältere um und holte aus. Klatschend landete seine Hand auf Deans Wange und riss ihn von den Füßen.

Der Blonde taumelte.

„Willst du es so beenden? Willst du Luzifer diesen Triumph gönnen? Soll Sams Opfer so völlig umsonst gewesen sein?“

Wut flackerte in Deans Augen.

„Willst du genau so ein Feigling wie John sein?“, setzte Bobby nach.

„Dad war kein Feigling! Er war vieles, aber kein Feigling!“

„Doch Dean. Er hat sich nie wirklich mit Marys Tod auseinander gesetzt und die Verantwortung für euch hat er dir überlassen. Er ist lieber auf Jagd gegangen als zwei Kinder zu erziehen. Was wäre denn passiert, wenn er mal nicht wieder gekommen wäre? Dann hättest du dich um Sam gekümmert. Und bei Gott, du hättest es auch irgendwie geschafft. Du warst Sam Vater, Mutter und großer Bruder und du warst Arzt und Krankenschwester für John. Und was war er für dich?“

Tränen sammelten sich in Deans Augen, Tränen der Wut und der Trauer. Die Verzweiflung brach über ihm zusammen. Aber er wollte nicht weinen. Weinen war Schwäche! Wütend wischte er sie weg. Doch die Trauer in seinem Inneren drängte sich jetzt endlich nach außen.
 

Er zitterte noch immer als er die Waffe endlich losließ.

Unbeachtet polterte sie zu Boden.

Sofort war der Ältere da und hielt ihn fest. Er ließ Dean weinen. Er ließ ihm die Zeit die er brauchte.

Schluchzend und zitternd lag der in Bobbys starken Armen.

„Was soll ich denn jetzt machen“, fragte er schniefend und sah zu Bobby.

„Erstmal kommst du mit rein und dann sehen wir weiter.“ Er legte seinen Arm um den Jungen und führte ihn in die Küche. Dort schob er ihn auf einen Küchenstuhl und ging in sein Arbeitszimmer.

Mit einer Flasche Whiskey kam er zurück.

Er füllte zwei Tassen und kippte noch ein wenig Kaffee hinein. Dann stellte er eine Tasse vor Dean und setzte sich.
 

Schweigend saßen sie sich gegenüber und starrten gemeinsam auf die Tischplatte.

Über Deans Wangen liefen noch immer Tränen, die er sich nicht mehr die Mühe machte wegzuwischen.

„Wo?“, fragte der Blonde rau in die Stille.

„Was wo?“ Der Ältere hob den Kopf.

„Luzifer!“, stieß Dean hervor. „Wo ist Luzifer?“

„Zuerst einmal sehen wir zu, dass du etwas auf die Rippen bekommst. So wirft dich ja der kleinste Lufthauch um und dann? Dann jagen wir Luzifer zum Teufel!“

Dean grinste ein bisschen.

„Im Ernst Bobby. Ich ...“

„Du musst nichts sagen. Ich kann dich sogar verstehen. Aber es ist kein Weg.“

„Ich wäre wieder bei Sam!“

Der Ältere holte tief Luft. Hinter dieser Aussage steckte eine gewisse Logik.

„Meinst du, sie würden euch zusammen sein lassen?“

Der Winchester zuckte mit den Schultern und Bobby stand auf, um das angefangene Abendessen zu beenden, von dem Dean sogar ein paar Bissen aß.
 

Am nächsten Tag war Dean mit dem Impala beschäftigt.

„Dean!“ brüllte Bobby Richtung Schrottplatz, als er das Mittagessen fertig hatte und der griff sich die prall gefüllte Waffentasche und nahm sie mit zum Haus.
 

Sie hatten gerade zu essen begonnen als es vehement gegen die Tür hämmerte.

„Na endlich habt ihr gelernt, dass man vor einer Tür wartet und anklopft! Wo wart ihr denn so lange?“, polterte der Hausherr und öffnete die Tür.

„Bobby, ich...“, sagte der Besucher und brach ab als er sah, wie bleich der Jäger plötzlich geworden war und wie er schon fast panisch ins Haus zurückstolperte.

Dean hatte sich bei dem vertrauten Klang der Stimme gerade aufgesetzt und war dann erstarrt. Dieser Mensch konnte nicht vor der Tür stehen.

Und doch: Dieser Mensch trat ins Haus und schloss die Tür hinter sich.

„Christo!“, stotterte Bobby.

„Ich bin ich!“
 

Dean war aufgestanden. Er hatte Rubys Messer gezogen und war leise zur Küchentür getreten.

Als hätten sie sich abgesprochen, machte Bobby einen Schritt zur Seite und Dean sprang hervor. Das Messer zum Stoß erhoben.

„Dean, nicht! Ich bins!“, keuchte Sam und versuchte sich den Winchester vom Leib zu halten.

Er hatte keine Chance. So wie er nie eine Chance gegen ihn gehabt hatte.

„Was bist du?“, fauchte der Blonde und versuchte weiter auf den Gast einzustechen.

„Ich bin es, Dean, bitte.“

„Nein, wir haben dich beerdigt!“

„Ich kann es beweisen. Bitte Dean!“

„Wie?“, fragte der Blonde skeptisch, ließ aber von seinem vermeintlichen Bruder ab.

Sam erhob sich ebenfalls und begann sein Hemd und dann das T-Shirt auszuziehen.

Auf seiner linken Schulter prangte, wie bei Dean seit einem Jahr, eine große rote Hand.

„Sammy?“, fragte der Blonde rau.

„Ja, ich bin es.“

„Jeder Dämon könnte sich diese Narbe auf die Schulter gemacht haben. DU BIST TOT!“

„Dean!?!“, Sam wusste nicht was er noch zu seiner Verteidigung hervorbringen konnte.
 

Bobby trat an ihn heran und hielt ihm ein Silbermesser hin. Er trat wieder zur Seite und wartete ab. In seinen Händen hielt er inzwischen eine Schrotflinte, deren Mündung sich drohend auf den jüngeren Winchester richtete.

Der Blonde fasste sein Messer fester.

Sam krempelte sich den Ärmel hoch, holte tief Luft und schnitt sich in den Arm. Blut quoll hervor, aber sonst passierte nichts.

Der Jüngere schaute mit einem zaghaften Lächeln zu Dean und bekam eine Ladung Weihwasser ins Gesicht. Er schüttelte sich.

„Sammy?“, fragte der Blonde noch immer ungläubig und steckte sein Messer ein.

„Ich bin's wirklich.“

Dean holte ein Handtuch und reichte es seinem Bruder, damit der sich abtrocknen konnte.

Bobby ließ die Schrotflinte sinken und ging in die Küche. Mit einem Bier für jeden von ihnen kam er zurück. Sam schüttete die Flüssigkeit regelrecht in sich hinein. Wieder starrten die beiden Älteren abwartend auf ihn.

„Weihwasser?“, fragte Sam eher rhetorisch und beide nickten. Er trank das Bier aus.

Kaum hatte er die Flasche zur Seite gestellt, wurde er von Dean in eine nicht enden wollende Umarmung gezogen.

Immer wieder drückte der Blonde seinen Bruder weg, starrte ihn ungläubig an und zog ihn dann wieder an sich heran. Tränen liefen über ihre Wangen und beide Brüder versuchten dem Gefühlschaos Herr zu werden, indem sie ihre Gesichter an der Schulter des Anderen versteckten.

Sam zitterte immer stärker. Er war wieder bei seinem Bruder. Sie würden reden müssen. Hatte Dean ihn gesucht? Hatte er ihn vergessen? Aber jetzt zählte nur, dass sie wieder zusammen waren. Zusammen gegen das Böse?!
 

Kurz löste sich der Blonde aus Sams Klammergriff, fasste Bobby an der Schulter und zog ihn zu sich. Und erst als sie sich alle Drei in den Armen lagen schien Dean zufrieden.

Jetzt konnte kommen was wolle!
 

„Wie?“, wollte Dean wissen, als sie nach dem Essen beim Kaffee saßen.

„Wie du, denke ich. Ich bin sechs Fuß tief in einer Holzkiste aufgewacht.“

Der Blonde schluckte. Die Erinnerungen von seiner Wiederauferstehung und von dem, was er in der Hölle getan hatte, brachen über ihn herein und er fühlte sich nicht wirklich wohl dabei. Er senkte den Kopf und kniff die Augen zusammen.

„Ich war in der Hölle, Dean. Ich habe Seelen gesehen, die gefoltert wurden, ich …“, Sam brach ab und schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid Dean. Es tut mir leid, was ich zu dir gesagt hab, was ich dir vorgeworfen habe, damals unter dem Bann der Sirene und auch sonst. Ich habe nicht geahnt, wie schlimm ...“ stotterte er, brach wieder ab und schaute zu seinem Bruder. Er hatte so furchtbare Dinge in der Hölle gesehen und er verstand einfach nicht, wie Dean nach all dem nicht wahnsinnig geworden war. Es war ein Wunder. Sein Bruder musste etwas ganz Besonderes sein.

Der Blonde hielt die Augen noch immer geschlossen. Tränen drängten sich in seine Augen. Schon wieder. Er wollte jetzt nicht weinen. Nicht jetzt wo Sammy wieder bei ihm war und sie noch eine Aufgabe zu erledigen hatten.
 

Tage vergingen, in denen Sam sich hinter Büchern und dem Internet vergraben hatte, Dean den Impala und ihre Waffen in Bestform brachte und Bobby immer wieder ein wachsames Auge auf seine Jungs warf.

Sie hatten nicht darüber gesprochen. Es gab noch keine Worte, in die sie ihre Gefühle hätten kleiden können.

Wieder klopfte es an der Tür, zaghaft diesmal.

Bobby öffnete und er ließ einen jungen Mann im Trenchcoat ins Haus, dunkelhaarig, verwirrt und erschöpft.

„Castiel?“, fragte Dean, der sofort aufgesprungen war, kaum dass der Engel im Raum stand und starrte ihn mit strahlenden Augen an.

„Wo ist Anna und wo ward ihr so lange?“, bestürmte der Hausherr den Besucher.

Der Engel schaute sich verwirrt um.

„Jimmy?“, wollte Sam jetzt wissen, der sich nun ebenfalls erhoben hatte und zu den Männern getreten war.

„Nein, ich bin Castiel. Aber ich...“, begann der Engel zaghaft.

Dean packte ihn an den Schultern und schob ihn in die Küche. Dann kochte er Kaffee.
 

„Was ist passiert?“, fragte er als alle am Tisch saßen, eben gefüllte Kaffeetassen vor sich. „Du bist irgendwie kein Engel mehr, oder?“

Castiel schüttelte betrübt den Kopf.

„Ich habe Sam zurückgeholt. Das hätte ich nicht tun dürfen. Anna war bei mir als der Erzengel erschien. … Ich weiß nicht, was er … mit ihr gemacht hat. Ich … kann sie nicht mehr erreichen. Mich hat er … gesprengt, irgendwie. Als ich wieder zu mir kam, ich weiß noch nicht mal warum … war ich noch immer ich und in Jimmys Körper. Aber ich habe keine Kräfte mehr. Ich bin ein Mensch, denke ich“, erzählte er leise.

„Wir finden einen Weg Luzifer zu töten und uns zu rächen“, versprach Dean und nahm einen Schluck Kaffee.

Bobby und Sam nickten und Castiel holte tief Luft und versuchte ihnen zu vertrauen.
 

E N D E



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von:  lula-chan
2020-11-11T21:56:47+00:00 11.11.2020 22:56
Das ist eine echt gute Geschichte. Sie gefällt mir sehr. Wirklich toll. Ich bin begeistert. Ein schöner Schreibstil. Das war alles sehr authentisch und kam wirklich gut rüber.

LG
Von:  Isi-Arts
2011-03-11T20:57:05+00:00 11.03.2011 21:57
ich finde gut, das man das geschehen aus Bobby´s sicht auch mal zeigt....zwar ist es warscheinlich nie so abgelaufen...aber hey....so wie du es schreibst könnte man es fast denken!!
(^-^)
Von:  -Loki
2010-07-13T19:40:11+00:00 13.07.2010 21:40
Danke für die ENS =) wieder ein voll schönes Kapitel auch wenn ich sagen muss ich mag ja Anna nicht dafür Castiel aber umso lieber aber das ist ja geschmackssache trotzdem find ich deine Story voll schön und traurig *schnüff*
Freu mich schon aufs nächste kappi wär nett wenn du mir wieder Bescheid sagen könntest =)
Von:  -Loki
2010-07-09T21:20:18+00:00 09.07.2010 23:20
Bitte gaaanz schnell weiterschreiben ich liebe deine Story.

Eigentlich wollte ich nur mal kurz in den FFs stöbern aber bei deinerbin ich hängengeblieben die ist echt gut.

Kanns kaum erwarten wies weitergeht =) Kannst du mir vielleicht ne ENS schreiben wenns weiter geht wäre echt lieb :-)
Von:  Ju_chan
2010-04-24T16:27:07+00:00 24.04.2010 18:27
Huuu- das ging ja schnell-
Waah ich mag die Stelle, in der Dean im Auto aufwacht und denkt, Sam würde fahren T_T ich weiß, ich bin nicht in der Position, Wünsche zu stellen- aber bitte lass sie wieder zusammen kommen- und lass Sammy nicht sterben! T_T *sams hundeblick nachahm*
Soso, Cas ist auch wieder dabei- hoffentlich kann er helfen, Dean wieder "zurück" zu holen!
Bin gespannt, wie´s weitergeht, bis zum nächsten Kapitel, deine Juuu

Von:  Ju_chan
2010-04-23T15:03:25+00:00 23.04.2010 17:03
Hey Hey! Wieso ist denn hier so wenig los? Kann ich gar nicht verstehen!
Aalso- ich finde deine Story echt gut, auch wenn ich ab und zu mal ziemlich depri war T_T armer Dean! *Dean tösten will*
Ich frage mich auch, was wohl passieren wird, wenn Sam letztendlich zu luci ja sagen wird- schließlich heißt es ja immer, er WIRD es tun- was ich aber nicht hoffe!!!
Was mich verwirrt ist die Tatsache, dass Bobby ihn einfach hat gehen lassen? Selbst wenn er abgehauen wäre, hätte er doch noch weiter nach ihm gesucht? (hoffe nur, er ist nicht tot!)
Hey- lass dich nicht von den wenigen Reviews entmutigen! ich liebe deine GEschichte, würde mich freuen, wenn du bald weiterschreibst!
*motivations-kekse dalass*
lg Ju_chan
Von: abgemeldet
2010-03-05T18:39:34+00:00 05.03.2010 19:39
Huhu^^
gefällt mir echt gut deine story, deine schreibweise ist toll und ich finds super das man mal wieder was über Dean lesen kann...
bin schon gespannt wie es weiter geht :-)
LG
Aniko


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