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The Mirror Of The Ancients

Miragia-Trilogie 2
von

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The Dark Side Of A Soul

Angenehm überrascht strich Cloud mit den Fingern über die Seidenbettwäsche. „Ich muss sagen, das ist schon cool, wie die Frau mich hier unterbringt. Ich kenne sie ja nicht einmal.“

Sephiroth, auf der Bettkante am Kopfende sitzend, blinzelte im Schein der Nachttischlampe träge vor sich hin.

„Warum bist du eigentlich hier geblieben? Ist bestimmt nicht so interessant, mir beim Schlafen zuzusehen.“

Sephiroth hob beide Handschwingen ein Stück weit an, was einem Schulterzucken sehr ähnlich sah.

Sich die weiche Decke bis zum Kinn hochziehend kuschelte Cloud sich in die Kissen. „Viel bequemer als die Highwind oder die Tiny Bronco. Wunderbar.“ Nachdenklich beäugte er die Taube dicht neben sich. „Sag mal ... da ich diesen Splitter mit mir rumschleppe, willst du jetzt für mich so eine Art Beschützer spielen?“

Wie zu erwarten war, hob Sephiroth nur wieder beide Flügeldecken.

„Ach, komm, früher hast du uns doch auch immer auf die Nase gebunden, was du vorhattest. Und sei bloß nicht wieder verletzt, weil ich die JENOVA-Zeit erwähne.“ Allmählich ärgerte es ihn, dass Sephiroth partout keine Auskunft gab. Er beugte sich zur Nachttischlampe und schaltete sie aus, woraufhin nur noch das fahle Mondlicht, das durch die schweren Gardinen fiel, ein wenig Licht spendete. „So, und jetzt gute Nacht.“

Sephiroth gab ein leises Gurren von sich.
 

Sehr hoch oben in der dünnen Luft schoss die Tiny Bronco über das Meer in Richtung des „Kalten Kontinents“, wie er mittlerweile genannt wurde. Er gehörte weder dem Mittelland-Pakt noch dem weniger wichtigen Kontinental-Pakt an und blieb somit ein sehr abgeschiedener und wenig besuchter Erdteil, dem ein fast einzelgängerischer Charakter anhaftete. Schneewehen umtobten stets die flachen Eisfelder, die wenigen Grasflächen lagen gelb und abgestorben da.

Die Bronco hielt hinreichend Abstand zum windnahen Erdboden. Sie war längst nicht so schnell wie die Highwind und ertrug auch entsprechend weniger Luftwiderstand.

Cid hatte den Kurs vorgegeben und behielt lediglich die Monitore im Auge; alle Anderen dösten etwas schläfrig vor sich hin, denn der Tag war lang gewesen. Ob es so eine gute Idee war, mitten in der Nacht nach der Substanz zu suchen, würde sich noch herausstellen – andererseits galt noch immer die Regel: Je eher, desto besser.
 

Cloud musste sich nicht allzu lange umsehen, um sich der Tatsache bewusst zu werden, dass er erneut in seinem Daueralptraum gefangen war, der ihn seit seiner ersten Begegnung mit Lukretias Geist quälte. Der Keller, das schummrige, nichts erleuchtende Licht und das SPECULUM in seiner ganzen schimmernden Unwirklichkeit. Wieder schlängelten sich die konturlosen Schatten über den spiegelglatten Boden und umkreisten ihn, aber er wich nicht zurück; mittlerweile wusste er, dass sie nur seine Angst vor Lukretias Überfällen symbolisierten. Er zwang sich, langsam zu atmen, und wartete auf den Moment, an dem sich der dunkle Vorhang auflösen und den Blick auf eine Schar Tauben freigeben würde, die um den toten Sephiroth herumflatterten, der mit seinen leblosen Augen ins Nichts starrte. Cloud blieb stehen, wo er war. Er sah hin. Alle Tauben wandten ihm ihre Köpfe zu, dann flogen sie auf und ließen Sephiroth zurück, der – zu Clouds großer Überraschung – mühsam vom Boden aufstand, als müsse er sich erst wieder daran gewöhnen, auf zwei Beinen zu stehen. Wie auch sonst in diesem Traum trug er nicht das schwarze Cape, und so war deutlich zu sehen, wie sich der riesige Flügel direkt aus der Schulter herauswand.

„Aber ...“, begann Cloud stutzig. „Wieso ist es ... diesmal anders ...?“

Sephiroth faltete den Flügel zusammen. „Na bitte, diesmal hat es funktioniert. Mich in deinen Traum zu schleichen musste mir Ophiem erst beibringen, und bisher hab’ ich’s immer versiebt.“ Er zuckte die Schultern.

„Schön ... und was soll das jetzt?“, fragte Cloud leicht verärgert, da es ihm nicht sonderlich gefiel, Sephiroth an einem Ort gegenüberzustehen, der seine eigene größte Schwäche darstellte.

„Nun ...“ Er schluckte. „Ich muss mit dir reden, Cloud. Aber nicht hier. Komm mit, bitte.“

„Na, von mir aus.“ Nun war Cloud verblüfft. Sephiroth schien sich in seiner Haut nicht wohl zu fühlen, ganz so, als wäre er lieber an einem möglichst weit entfernten Ort.

Cloud ging ihm einige Schritte hinterher, den schwarzen Schatten beobachtend, den Sephiroths Statur an die Kachelwand warf ... dann veränderte sich die Umgebung von einer Sekunde auf die nächste gravierend. „Hey, warte – wohin gehen wir? Wo sind – ..“ Wie gelähmt blieb er stehen. Die Wände waren verschwunden, der Boden bestand nur noch aus gelblichem Sand, in dem Cloud fast bis zu den Knöcheln versank. Die Kellerwände verblichen und wurden durch verwittertes Gestein ersetzt, das bei näherer Betrachtung eine Form aufwies. Cloud schauderte. Sephiroth und er befanden sich in einer riesigen Kampfarena, einem Schlachtfeld. „Nein, das ... das kannst du nicht ernst meinen ...“

„Cloud“, sagte Sephiroth geduldig und drehte sich um. Das schwarze Cape, das die Farbe aus dem Umfeld zu saugen schien, lag wieder wie ein Panzer um ihn und flatterte hinter ihm her in die entgegengesetzte Richtung. „Es geht um die Cetra und den Spiegel. Wir hatten dich gebeten, ihn vor diesen ziemlich zweifelhaften Wissenschaftlern zu beschützen.“

„Oh, verstehe! Ich habe versagt, und du willst mich richten. Willst du das?“ Bemüht, seine Unsicherheit zu verstecken, hob Cloud trotzig den Blick.

Aber Sephiroth fürchtete sich viel mehr als er. „Nein, will ich nicht. Ich soll dir nur den Weg zeigen.“

„Was für einen Weg?“

„Hab keine Angst.“

„Du siehst eher aus, als ob du Angst hättest.“

„Cloud.“ Sephiroth machte ein paar Schritte auf ihn zu. „Es geht nicht darum, was du versucht hast und was nicht. Du hast ihnen ausgeliefert, was sie wollten.“

„Habe ich nicht! Ich sollte hingerichtet werden, habt ihr das da oben nicht mitgekriegt? Ich riskiere die ganze Zeit mein Leben für etwas, das ... nicht einmal real ist!!“ Er ballte die Fäuste.

„Real?“, wiederholte Sephiroth misstrauisch. „So, was glaubst du denn, was real ist? Was bedeutet das überhaupt? Die Welt, in der du lebst, wird zu fünfundneunzig Prozent von deinem eigenen Bewusstsein projiziert. Lächerliche fünf Prozent von allem, was du hier siehst, sind real.“ Er machte eine Geste, die das Gebiet rundherum mit einschloss. „Wieso gehst du davon aus, dass wir alle in derselben Welt leben?“

„Die Welt existiert unabhängig von uns“, sagte Cloud fest. „Anders als deine Welt, das Verheißene Land, kann meine immerhin unabänderbare Gesetze aufweisen, wie Logik, auf der sich Mathematik und dergleichen aufbauen lassen! Das kann Miragia nicht von sich behaupten, oder? Und außerdem, Sephiroth, wenn du dich um die Realität nicht scherst, wieso pickst du mit deinem Schnabel gegen Fensterscheiben oder verspeist Sesamkörner? Warum fallen die nicht einfach durch dich durch?“

„Weil die Welt auch unabhängig von mir existiert“, antwortete Sephiroth ruhig, ohne auf Clouds zunehmende Aggression einzugehen. „Du hörst mich, siehst mich ... die Dinge verhalten sich, als sei ich real. Die Körner können nicht durch mich durchfallen, weil sie sich den Gesetzen der Außenwelt beugen müssen ... zum Beispiel der Logik, wie du schon gesagt hast.“ Er machte ein paar Schritte im weichen Sand, aber nicht mehr direkt auf Cloud zu, sondern eher in einem Halbkreis, sodass sein Gegenüber gezwungen war, sich nach ihm umzudrehen. „Aber wenn du von Mathematik redest ... dann setzt du die Existenz einer Welt voraus, die sich niemals wandelt, eine rein geistige Welt. Zugegeben, sie funktioniert. Die Welt, die dich draußen umgibt, antwortet auf Zahlen und die Einteilung in Einheiten.“

„Eben! Meine Welt wandelt sich zwar dauernd, aber sie behält diese Eigenschaft bei! Und was mache ich hier? Ich versuche eine Welt zu retten, die nicht unabhängig existiert!“, fauchte Cloud. „Wie soll ich das machen? Hast du es mir etwa gesagt? Oder Ifalna? Irgendein Cetra?“ Wütend stieß er Sephiroth mit der Fußspitze etwas Sand entgegen. „Versteht ihr denn nicht, dass ich die Wahrheit kennen muss, bevor ich irgendetwas für euer gottverdammtes Verheißenes Land tun kann?“

„Wahrheit?“

„Was denn sonst?!“

„Und was ist Wahrheit?“

Cloud schwieg verdutzt. Er wollte sich aufregen, aber Sephiroths eigenartige Fragen nahmen ihm immer wieder den Wind aus den Segeln. Dies trug nicht zuletzt dazu bei, dass er nur noch ärgerlicher wurde. „Wovon redest du jetzt schon wieder? Wahrheit eben, mehr nicht!“

„So, gibt es denn einen außerweltlichen Maßstab dafür, was Wahrheit bedeutet? Oder ... beruht Wahrheit vielleicht eher auf Konversation ...?“

„Na schön.“ Cloud holte Luft, während er sich bemühte, eine geschickte Definition abzuliefern „Wahrheit ist die Übereinstimmung einer Idee oder Schilderung mit einem Sachverhalt.“

Sephiroth schien für einen sehr kurzen Moment überrascht. „Oh – ja, natürlich, das ist in jedem Fall richtig. Veritas est adaequatio rei et intellectus ad rem. Aber es gibt auch noch den konventionellen Wahrheitsbegriff: dass kein Mensch die Wahrheit eigentlich erfassen kann. Wenn du behauptest, etwas sei wahr, dann hast du kein Recht darauf, anzunehmen, dass dies in jeder Hinsicht der Fall ist. Das Wort wahr ist bedeutungslos. Es ist schlicht ein Wort, und in jeder anderen Sprache ist es ein anderes. Die simple, willkürliche Aneinanderreihung von Buchstaben, die der Mensch sogar ganz selbst erschaffen hat, hat nichts, aber auch gar nichts mit irgendeinem Ding oder Sachverhalt zu tun. Genauso wenig kannst du behaupten, dies hier sei nicht real, denn auch das Wort real ist entweder nur eine Reihung von Buchstaben oder eine Lautäußerung. So verhält es sich mit allem. Wenn du sagst, eine Rose sei rot, dann wird das nur so lange anhalten, bis sie verwelkt ist – und außerdem gibt es nichts auf der Welt, das seine Form ständig beibehält, das seine Teilchenstruktur niemals ändert. Sobald du also auf eine Rose zeigst, ist es bereits wieder eine andere. Verstehst du? Nichts kann beschreiben, wie die Dinge der Welt wirklich sind. Deswegen kann kein Mensch etwas von der Wahrheit wissen, Cloud.“

„Ich weiß nicht, ob ich dich verstehe“, sagte Cloud, den der Vortrag ermüdete, gedehnt.

„Dann lass mich dir ein anderes Beispiel nennen. Stell dir mal vor ... da wäre ein Mensch, der sein Leben lang gefesselt in einer dunklen Höhle säße ...“

Cloud rollte die Augen. „Das Höhlengleichnis.“

„... Er sitzt also immer mit dem Rücken zum Eingang, und deshalb sieht er nur Schatten, die von hinten durch den Eingang an die Wand geworfen werden, die er vor sich hat. Draußen laufen Menschen vorbei und tragen dabei allerhand Dinge mit sich herum. Der Gefesselte hält das nun für die ganze Welt und die Schatten für die ganze Realität, weil er nichts Anderes kennt. Bindet man ihn nun los und schickt ihn nach draußen, damit er all die wirklichen Dinge sieht, dann wird er erschrocken sein; alles wird ihm zunächst unwirklich vorkommen. Irgendwann wird er aber feststellen, dass diese neue Wahrheit eine größere ist als die, die er in der Höhle gekannt hat. Käme er dann nicht unwillkürlich auf den Gedanken, es könne eine noch größere Wahrheit geben, da er schon einmal derart getäuscht wurde?“

„Tja ... wahrscheinlich.“

„Gut. Dann kannst du dir sicher denken, dass unsere Wahrheit hier verdammt relativ ist.“

„Hör sofort auf, wie ein Philosoph zu reden!“, schnappte Cloud, gänzlich aus dem Konzept gebracht und von Sephiroths ausschweifenden Vorträgen verwirrt.

Philosoph bedeutet Freund der Wahrheit, und die willst du doch kennen.“

Cloud rollte die Augen. „Lassen wir das.“ Das unverständliche Geschwafel vonseiten Sephiroth war ziemlich ermüdend, selbst in einem Traum. „Wolltest du nicht kämpfen?“

Wollen? Man verlangt es von mir. Des Weiteren soll es keine Strafe sein, nichts, das dich in deine Schranken weisen soll.“

„Gegen dich verliere ich sowieso nicht!“, fauchte Cloud zurück und griff hinter sich, wo seine Finger zu seiner eigenen Überraschung die vertraute kalte Form des Schwerthefts packten.

„Na schön.“ Sephiroth, der seine mehr als zwei Meter lange Klinge in einer Scheide an der Seite trug, nahm seine typische Kampfpose ein. „Vergiss aber nicht, dass wir Freunde sind.“

Cloud schnaubte leise, da ihm keine bessere Antwort in den Sinn kam, und packte den lederumwickelten Griff fest mit beiden Händen. Es war sein Trainerschwert, das er hielt, mit diesem brachte er seinen Schülern das Parieren und Zustoßen bei. Um niemanden bei diesen Übungen zu verletzen, war die scharfe Seite der Waffe mit weißen Leinenbändern umwickelt. Cloud entschied sich, dass dies ein Hindernis darstellte, zog die Bandagen herunter und ließ sie in den Sand fallen.

Sephiroth nickte.
 

Ehe Cloud sich eine Angriffsstrategie einfallen lassen konnte, hatte Sephiroth die Masamune wie einen Säbel dicht über den Boden geschwungen, sodass sein Gegner nur mit einem unbeholfenen Satz nach rückwärts verhindern konnte, seine Füße vom Gelenk abwärts einzubüßen. „Argh – das war gemein!“

„Ja, finde ich auch. Willst du dich nicht langsam mal verteidigen?“

Cloud biss die Zähne zusammen. Dass Sephiroth so ohne Weiteres Ernst machen würde, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Er fragte sich, was passieren würde, wenn er hier in seinem eigenen Alptraum Sephiroth unterlag ... geschah dies überhaupt wirklich oder träumte er das alles? Um darüber nachzudenken, hatte er zu viel Angst. Er beschrieb mit dem Schwert einen flachen Bogen, duckte sich zur einen Seite und warf sich rückwärts in Richtung Sephiroth, um ihn an der ungeschützten Seite zu erwischen.

Schneller, als Clouds Augen folgen konnten, hatte Sephiroth die Masamune senkrecht hochgerissen, und Clouds Klinge schlug funkensprühend dagegen. Beide Schwerter bildeten ein rechtwinkliges Kreuz, während die Kontrahenten einander anstarrten. Cloud konnte nicht sehen, was Sephiroth durch den Kopf ging, und andersherum war es dasselbe.

Muss das wirklich sein?, fragte sich Cloud in Gedanken, und sein Widerwillen gegen dieses Gefecht wurde ihm bewusster denn je.

Sand stob vom Boden hoch, als Sephiroth sein Schwert fortriss und nach hinten auswich. Dann breitete er seinen schwarzen Flügel aus, wirbelte damit erneut Staub auf und hob wie ein Adler vom Boden ab.

Cloud blickte enttäuscht hinterher. „Das – das ist unfair! Du hast selbst gesagt, dass ein einzelner Flügel zum Fliegen nicht taugt!“

„Habe ich gesagt, das stimmt. Ich würde aber auch behaupten, dass ein Umhang im Normalfall nicht zum Fliegen taugt“, antwortete Sephiroth leichthin. Obwohl er sich ein ganzes Stück über dem Erdboden befand, konnte sein Schwert Cloud immer noch erreichen.

„Umhang? Verdammt, wenn du den von Vincent meinst, du weißt genau, dass ich den nicht ...“ Seine Stimme verebbte, denn als er einen Schritt nach rückwärts machte, strich etwas um seine Hüften. Er wurde sich bewusst, dass der rote Stoff hinter ihm herwehte, dass drei der fünf Lederriemen fest geschlossen um seinen Hals lagen. Er schauderte. „Nnnein ... bitte nicht! Ich will ihn nicht!!“

„Wenn du gegen mich kämpfen willst, brauchst du ihn“, sagte Sephiroth mit eiskalter Stimme, während Cloud versuchte, sich aus dem Umhang zu winden, von dem er das Gefühl hatte, er würde ihm die Luft abzudrücken versuchen.

„Arrgghhh.“ Cloud keuchte, konnte aber die Lederriemen nicht lösen. „Ich will nicht. Es ist meine Schuld, dass er tot ist! Ich kann mit dieser Schuld nicht herumlaufen ...!!“

„Ach, aber mich lässt du mit einer viel größeren Schuld herumlaufen, nicht wahr?“ Die Masamune schoss knapp über Clouds Kopf hinweg, zwei oder drei schimmernde Haarspitzen schwebten zu Boden.

„Hör sofort auf damit!“

„Nein.“

„Dann wache ich eben auf!“

„Nein.“

Cloud sprang wie eine wütende Raubkatze in Sephiroths Richtung; wäre er wirklich ein Tier, hätte er seine geifernden Zähne gefletscht. Sein Schwert schlug mit dem von Sephiroth aufeinander, einmal, zweimal. Sephiroth war schnell wie ein Geschoss, aber Cloud konnte sich in einem ihm völlig fremden Element genauso wendig bewegen. Er schwebte, so hoch er wollte. Es ging noch leichter als Schwimmen. „Verdammt, lass mich doch endlich in Ruhe! Ich will nicht gegen dich kämpfen!“

„Aber du tust es doch gerade.“

Gleißende Blitze umflossen die aufeinanderklirrenden Klingen, die sandige Luft brannte in den Augen. Es war ein Traum, aber er war hyperreal.

Zu Clouds erneutem Entsetzen sprudelte plötzlich Wasser aus dem Sandboden. Nicht nur an einer Stelle, gleich an mehreren schoss das feuchte Aggregat wie aus Springbrunnen heraus und überflutete das ganze Kolosseum. „Was – was hast du dir jetzt schon wieder einfallen lassen?“

Anstatt zu antworten, stieß Sephiroth wieder direkt von oben mit der Klinge zu, und Cloud hielt ihm entgegen. Das steigende Wasser erreichte bereits seine Knöchelgelenke.

„Wasser ist genauso ein Element wie die Erde und die Luft, Cloud“, erklärte Sephiroth. „Was meinst du, bist du allen dreien gewachsen?“ Als habe seine Flugfähigkeit von einer Sekunde auf die andere seine Wirkung verloren, ließ Sephiroth sich fallen und vollführte einen Kopfsprung ins Wasser. Cloud starrte ihm perplex hinterher. Längst war er der Meinung, dass es hier nicht um einen bloßen Kampf ging; Sephiroth wollte Cloud nicht gegen sich aufhetzen, sondern ihm irgendetwas vermitteln. Etwas, das ich nicht kapieren würde, wenn er es mir nur einfach sagen würde ... Ohne langes Überlegen tauchte Cloud in die dunklen Fluten, um nach Sephiroth Ausschau zu halten. Dann kam ihm der Gedanke, dass das Wasser vermutlich weiterhin steigen würde und dass er die Oberfläche unbedingt im Augen behalten musste. Als er den Blick hob, sah er nichts. Er fühlte das Wasser um sich herum, aber es schimmerte kein Licht hindurch. Die Oberfläche musste schon meterweit entfernt sein ... Schnell machte Cloud sich daran, ihr hinterher zu tauchen, steil nach oben. Er war nicht weit gekommen, als ihn auch schon jemand am Fuß packte und mit einem Ruck ein ganzes Stück nach unten riss. Empört wollte Cloud einen Ausruf von sich geben, aber nur Blasen kamen heraus, und sein Mund füllte sich mit Süßwasser. Er hustete.

Jemand – Sephiroth, wie er vermutete – packte ihn am Handgelenk. Cloud gefror das Blut in den Adern, als ihn nun wieder die Angst zu ersticken packte, die Panik, nicht atmen zu können. Sephiroth machte keine Anstalten, seine Hand loszulassen. Er würde Cloud ertrinken lassen. Es sei denn ...

Cloud reckte den Hals und sog das Wasser wie Luft in sich hinein. Erstaunlicherweise geschah das nicht auf die Weise, die er gewohnt war, sondern über Schlitze an seinem Halsansatz ... Kiemen. Ihre vielschichtigen Deckel waren beweglich wie einzelne Finger. Das Gefühl des Erkennens überkam Cloud. Er kannte das; es wuchsen einem immer kurzzeitig Kiemen, wenn man sie bei sich trug ... Er griff in den Substanzschacht des Schwertes und strich über eine wohlvertraute violette Rundung: die Unterwasser-Substanz.

Sephiroth, den er jetzt im dunklen Wasser gut erkennen konnte, setzte ein triumphierendes Lächeln auf.

Dein Grinsen wird dir jetzt vergehen, dachte Cloud grimmig. Ich will nicht permanent von dir verarscht werden. Jetzt kriegst du den Beweis dafür, dass ich dir in allen drei Elementen sehr wohl überlegen bin.

Er stieß die Schwertspitze waagerecht in Sephiroths Richtung, mit aller Kraft, die er aufbieten konnte, in der Hoffnung, Sephiroth einen gehörigen Schrecken einzujagen. Ringsum stiegen Blasen auf, nahmen Cloud für einige Sekunden die Sicht – und dann färbte sich das Wasser rot. Wo Cloud auch hinsah, erblickte er Blut; nirgends sah die Flüssigkeit um ihn herum noch wie Wasser aus. Ein Schauer durchfuhr ihn, und dann sank das Wasser in den Boden zurück, wo es hergekommen war. Über den ganzen schlammigen Sandboden der Arena floss das verdünnte Blut und versickerte langsam.

„Oh, nein ... verdammt, was habe ich jetzt getan?“ Er blickte sich um, sah Sephiroth in einiger Entfernung liegen und lief zu ihm hin.

Sein Gegner war immer noch ganz nass, aber es schien, als habe sein Blut ihn mehr durchnässt als das Wasser. Mit einer Hand unterbrach er den schwachen roten Strom, der aus seinem Mund floss, und richtete den Blick auf Cloud. „Siehst du – ich hab’ doch gesagt, du kannst das.“

„Das hast du nicht gesagt!“, widersprach Cloud empört und legte einen Arm um Sephiroths Brustkorb, um ihn ein Stück vom Boden hochzuheben. „Was habe ich jetzt angerichtet, Sephiroth? Was?“

„Du hast mich besiegt. Das ist alles, was ich gewollt habe. Ich sollte dir klarmachen, dass du dich wehren musst, aber das war mir nicht so wichtig ... Du hattest dich aufgegeben, hast gedacht, dass du nie wieder kämpfen könntest. Nachdem das mit Vincent passiert ist ... hast du dich selbst verloren. Aber du siehst, du hast keinen Grund dazu ... du bist nicht schwach. Du bist stark genug, um uns und das SPECULUM gegen alles zu verteidigen, wenn du dich zusammenreißt.“ Er leckte ein wenig Blut von seiner Lippe, aber als er zu schlucken versuchte, quoll neues hervor. „Du musst nur zu deiner eigenen Stärke zurückfinden. Das kannst du. Argh – ich weiß, dass du das kannst! Alle wissen es.“

Cloud senkte den Blick. Um ihm das zu beweisen, hatte Sephiroth mehr auf sich genommen als ihm lieb war. „Was ... was ist jetzt mit dir? Wirst du ...“

„Cloud.“ Sephiroth entwand sich ein Stück weit seinem Griff. „Ich bin doch nicht mehr am Leben. Ich bin bloßer Lebensstrom, wenn du so willst. Mir kann nichts passieren. Aber nun reiß dich zusammen, bereite dem ein Ende, was in der Außenwelt vor sich geht. Sorg dafür, dass die Menschen den Cetra fernbleiben und das Verheißene Land weiter bestehen kann. Wirst du das tun?“

„Ich ...“

„Cloud, bitte.“

„Nun ... ja. Natürlich ...“

„Sehr gut. Ich wusste, du würdest niemanden enttäuschen. Dann sehen wir uns gleich in Midgar wieder.“ Sephiroth fasste Clouds Hand, und es wurde dunkel.

Vielleicht war nur das Licht verschwunden, aber auch das Gefühl von Koordination oder Berührung verflüchtigte sich.

Das nächste, was Cloud spürte, war die weiche Decke seines Bettes in Helen Clancys Haus in Midgar. Seine Operationswunde schmerzte nicht unwesentlich, obwohl die Kompresse wahrscheinlich den Schweiß ferngehalten hatte.

Er blinzelte ins Mondlicht und war sofort hellwach; schnell schaltete er die Nachttischlampe ein und sah sich nach der Taube um, die nach wie vor neben ihm auf der Bettkante saß. „Sephiroth ... alles in Ordnung? Ist das gerade ... wirklich passiert ...?“

Die Taube nickte mit dem Köpfchen, hob dabei jedoch wieder die Flügel hoch – ganz so als würde sie es Clouds eigenem Urteil überlassen, ob das, was er gesehen hatte, real gewesen war ...

Cloud sah ihn zweifelnd an, dann griff er nach seiner Hose, die auf einem Stuhl lag, und holte ein paar Sesamkörner aus der Tasche. „Los, komm her. Zeig mir, dass du okay bist, ja?“

Sephiroth rührte sich nicht.

„Bitte, iss, damit ich sicher bin, dass ich dich nicht verletzt habe.“ Auf der Handfläche hielt Cloud dem Vogel die Körner hin.

Eine Weile lang starrte Sephiroth scheel hin, dann machte er einen großen Schritt auf Clouds Hand und pickte zögerlich ein Korn auf.

„Na bitte“, murmelte Cloud. Erleichtert darüber, dass Sephiroth aß, warf er die Unsicherheit ab und erlaubte sich, einige Gedanken seinen Freunden zu widmen ... sie hatten ihn hier zurückgelassen, ohne ihm zu sagen, was sie eigentlich vorhatten. Sie waren mit der Tiny Bronco weggeflogen, soviel wusste er, aber wohin oder aus welchem Grund, das hatte er nicht erfahren. „Aber sie werden’s uns schon noch sagen, stimmt’s?“

Die Taube gurrte leise und schluckte das letzte Korn.

„Gut, aber jetzt ins Bett. Und nun lässt du mich einfach ruhig schlafen, ja?“

Sephiroth flatterte auf seinen Platz neben dem Kopfkissen zurück, und wie als Beweis dafür, dass es nun auch seiner Meinung nach Zeit zur Ruhe war, steckte er den Kopf unter die Flügel.



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