Die Gefangene meiner Selbst
All das Unrecht beging ich,
Um einsam und allein,
Zum Schluss mit meinem größten Feind,
Mit mir selbst konfrontiert zu sein.
Es hätte niemals so weit kommen dürfen…
Mein Herz - es schlägt schnell. Dodom… Dodom… Immer und immer wieder. Mit voller Kraft hämmert es gegen meine Brust, so stark und brutal, dass ich annehmen könnte, es möchte mich zerreißen und aus mir ausbrechen wie ein Schwerverbrecher aus dem Gefängnis.
Mein Atem - er bleibt mir aus. Immer gieriger ringe ich nach Luft, doch es erscheint, als bekäme ich trotzdem keine. Als läge sich ein Strick um meinen Hals, der sich immer und immer fester zusammenzieht, bis er mir die Luft abschnürt.
Meine Augen - sie weinen nicht. Sie bleiben trocken wie ein in der Sonne liegender Stein, regungslos und starr - es macht mir Angst, in den Spiegel zu sehen und diesem fürchterlichen Blick zu begegnen. Weinen… Es geht nicht. Die Tränen kommen nicht. Ich kann es nicht...
Meine Hände - sie zittern. Kalt wie Eis und taub sind sie, als würden sie mir nicht gehören. Ein winziges Erdbeben herrscht unter der dünnen Haut meiner Fingerkuppen; sie machen sich selbstständig. Sie gehorchen mir nicht.
Doch jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Hastig durchwühle ich den kleinen Schrank im Bad. Ich weiß nicht genau, wonach ich suche, doch ich weiß, dass ich dieses Etwas finden muss - und zwar sofort! In meiner Hektik schmeiße ich mit der Handfläche einen Becher voller Zahnbürsten um, doch ich ignoriere es; es interessiert mich nicht. Ich werde nervös, und wieder meldet sich mein Herz zu Wort. Dodom… Dodom… Ich höre es ganz deutlich. Es setzt mich unter Druck, es spornt mich an, es zwingt mich, weiterzusuchen… Und droht mir, meinen Brustkorb zu zerreißen, wenn ich es nicht tue. Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn, und das Blut pocht wie wild gegen meine Schläfen - es schmerzt.
Wie von selbst umschließt meine ungehorsame, fürchterlich kalte Hand den Gegenstand, nach dem ich… nach dem Sie gesucht hat. Mein Herz beginnt zu rasen; es scheint den Augenblick kaum abwarten zu können, so sehr gerät es in Rage. Ich umfasse das kühle Metall, kralle mich daran fest, als wäre es die rettende Hand, die mich aus dem Abgrund in die Sicherheit zieht. Mit aller Kraft presse ich es gegen meinen Unterarm, und dann ziehe ich eine Linie. Ich drücke so feste zu, dass sich meine Fingerknöchel durch die blasse dünne Haut zeichnen. Mein Herz brüllt vor Sehnsucht, die Schlinge um meinem Hals raubt mir den Atem, der Schweiß läuft mir das Gesicht entlang und sammelt sich am bebenden Kinn. Ich beiße die Zähne zusammen und kneife die krankhaft trockenen Augen zu. Alles zittert und kribbelt in mir, Hitze steigt auf, ich verliere die Kontrolle über meinen Körper - die vollkommene Ekstase. Und dann atme ich auf und lehne mich an der Wand zurück.
Dieses Gefühl… Ich brauche es, genauso wie ich die Luft zum Atmen brauche.
Die Schlinge um meinem Hals löst, mein Herzschlagrhythmus normalisiert sich, meine Hände durchströmt eine lebhafte Wärme, und als ich mich
(Sie)
im Spiegel betrachte, sehe ich ein dezentes, aber zufriedenes Lächeln auf den trockenen Lippen. Es ziert das Antlitz meines Gegenübers, und der Anblick gefällt mir. Wenn Sie doch nur immer so wunderschön lächeln könnte, statt nur für diesen kurzen Augenblick. Doch es ist ein Augenblick, den ich genieße
(den Sie genießt).
Wir verlangen nach ihm, wir sehnen uns nach ihm, nach diesem berauschenden Gefühl, wie nur ein Säufer oder Fixer es nachvollziehen kann, doch selbst diese Menschen könnten uns niemals verstehen. Könnten dieses Gefühl der Erlösung niemals verstehen, das wir in diesem wundervollen Moment empfinden. Sie und ich, ich und Sie… Nur in diesem einen wundervollen Moment werden wir eins.
Sie - mein größter Feind. Sie - mein bester Freund. Sie - ich?
Ich weiß, dass es verrückt ist…
Das Glücksgefühl der Erlösung schwindet allmählich. Doch ich koste noch die letzten paar Minuten, die es anhält, aus, atme ruhig und gleichmäßig, fahre mit der schweißnassen Hand durch mein fettiges, dunkelbraunes Haar und lasse die schweren Lider über meine Augen fallen. Es ist wie ein Traum… Ein Traum, aus dem ich nie wieder erwachen möchte. So unfassbar, so unwirklich, so unantastbar… Doch dann wache ich auf.
Schluckend sehe ich mich um und bemerke den Becher, der umringt von drei Zahnbürsten auf dem Boden liegt. Ich gehe auf die Knie, sammle alles auf und stelle es wieder an seinen rechtmäßigen Platz in den Schrank. Ich versuche Ordnung in das Chaos zu bringen, das ich beim hektischen Durchwühlen gestiftet habe, und dann schließe ich die kleine Schublade und widme mich dem Grund für das bereits abgeklungene, berauschende Gefühl.
Die Linie, die ich gezogen habe, streckt sich über mehrere Zentimeter entlang hinweg; sie ist rot, ebenso wie die Flüssigkeit, die aus ihr austritt. Sie fließt meinen Arm entlang, ist stellenweise bereits getrocknet und nur noch eine rötlichbraune Kruste, die ich mit den kurzen, abgekauten Fingernägeln gedankenverloren abschabe. Danach reiße ich ein wenig Toilettenpapier von der Rolle ab, lege es auf die klaffende Wunde, die nicht zu bluten aufhört, und tupfe den roten Lebenssaft immer und immer wieder ab. Es vergehen Minuten, vielleicht zehn, vielleicht auch dreißig, doch ich bin geduldig und warte, bis das Blut vollkommen geronnen ist. Abschließend ziehe ich den Ärmel meines Pullovers zurück über meinen schmerzenden Unterarm und bemerke, dass der Schmerz erst jetzt als wirklicher Schmerz, unangenehm und störend, zu bezeichnen ist. Zuvor habe ich ihn - und es verwundert mich jedes Mal aufs Neue - gar nicht als einen solchen, wenn überhaupt, wahrgenommen…
Ich öffne die Tür und verlasse das Bad… Verlasse den Ort meiner Ekstase. Verlasse Sie.
Und Sie wird wieder zu meinem Feind. Noch nicht sofort, aber bald. Sehr bald.
Aber ich kann es nicht beenden. Dieser Wahnsinn beherrscht mich…
Am darauffolgenden Tag habe ich Schule.
„Hey, Tessy!“, werde ich von den Mädchen in meiner Klasse freudig begrüßt, und ich schenke ihnen ein sanftes Lächeln.
„Guten Morgen!“
Sie reden mit mir, sie lachen mit mir, sie vergnügen sich mit mir und versüßen meinen Tag - es sind meine Freunde. Doch gleichzeitig sind es Ihre Feinde. Wie alles andere auch auf dieser Welt. Und diese Tatsache macht mich wahnsinnig.
In meinen Freundinnen sieht Sie einen Haufen dummer Weiber, die über mich
(über Sie)
lästern und diese freundschaftlichen Gefühle, die mich so glücklich, gar sorglos machen, nur vortäuschen. In dem Jungen, für den ich schwärme, sieht Sie einen herzlosen Widerling, der nur mit meinen
(mit Ihren)
Gefühlen spielt und lediglich jemand vorgibt zu sein, der er nicht ist. Sogar meine Eltern, die zwar streng sind, sich aber liebevoll um mich kümmern und für mich sorgen, sieht Sie mit völlig anderen Augen und versucht mir einzureden, sie würden mir
(würden Ihr)
alles verbieten und jeglicher Freiheit berauben, die einem Teenager zustünde.
Es ist krank. Sie ist krank. Doch manchmal… Nein, ziemlich oft sogar glaube ich, dass Sie recht hat. Dass ich die Welt zu positiv sehe und die dunkle Seite völlig außer Acht lasse. Und dass mir das zum Verhängnis werden kann.
Sie beherrscht mich…
Und wenn ich Ihr den Glauben schenke, nach dem Sie so fordernd verlangt… Dann beginnt es wieder… Und alles wiederholt sich. Dodom… Dodom… Ein rasendes Herz. Zitternde, kalte, fremde Hände. Tränenarme Augen. Die Schlinge um meinem Hals. Das Kribbeln, das aufkommende Erdbeben, das meinen Körper in Hast und Ungeduld versetzt. Das Verlangen nach dem Etwas, das mich aus diesem Wahnsinn ausbrechen lässt… Aber mich anschließend zurück in die Realität holt und einsehen lässt, dass ich niemals aus diesem Wahnsinn ausbrechen kann. Dass ich für immer Ihre Gefangene sein werde. Die Gefangene der Person, die sich mir nur durch einen Blick in den Spiegel offenbart… Jedes Mal mit demselben schelmischen, herablassenden Grinsen… Diesem überlegenen, triumphierenden Ausdruck in den kalten Augen, die mir sagen „Du gehörst mir“. Die Gefangene meines größten Feindes.
Und Sie wird mich nie wieder loslassen. Nie wieder.
Die Gefangene meiner Selbst…
Sprichst du von mir,
So meinst du dich,
Der Weg zu dir
Führt über mich.
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Hach ja... ein schwieriges Thema. Und eine alte Geschichte.
Liebe Grüße,
Fujouri