Essen kann ganz schön schwer sein...
Kapitel 7 – Essen kann ganz schön schwer sein...
Jemil’s PoV
Ich stöhnte auf. Das bisschen Sex hatte ich doch wirklich wieder einmal
gebraucht. Dadurch konnte ich mich eigentlich wieder richtig entspannen. Und
jeder Kuss von Jesko auf meinem nackten Oberkörper half nur noch mehr dabei.
Ich bäumte mich auf. Ein letztes, erlösendes Keuchen verließ meine Kehle, als
ich mich an dem Werwolf klammerte.
„Himmel“, seufzte ich und drückte meinen schmächtigen Körper an den des anderen.
„Geht’s?“, wollte der Jüngere da auch schon von mir wissen. Zaghaft bejahte ich
das. Dabei bebte mein Leib noch.
Das Gefühl war viel zu schnell wieder verflogen. Und mein Körper begann wieder
danach zu ächzen. Wie als wäre ich danach auf Entzug. Einmal nach langem wieder
gemacht und schon hing man wieder an der Sucht. Dabei war das sogar eine gute.
Es gab nichts Schlechtes daran. Außer, dass es vielleicht etwas an den Kräften
zehren könnte.
„Ich schau nach dem Kleinen“, meinte ich, nachdem ich mich wieder angezogen
hatte. Jesko sah mir nur mitleidig hinterher. Eigentlich wollte er wohl viel
lieber noch etwas kuscheln. Das brauchte er danach gewöhnlich noch.
Streicheleinheiten. Ein bisschen kuscheln. Noch etwas rumknutschen. Wie ein
richtiges Liebespaar. Sonst ging das auch immer, nur gerade machte ich mir etwas
zu viele Sorgen um Felix.
Ich schlich ins Zimmer. Auf leisen Sohlen bewegte ich mich durch den Raum und
ging vor dem Bett in die Hocke. Zaghaft strich ich dem Kleinen über die Stirn.
Er war etwas warm. Hoffentlich würde er kein Fieber bekommen. Sonst käme ich nur
die ganze Nacht nicht zum Schlafen vor lauter Sorge.
„Na, wie siehst aus?“
Ich wandte mich zur Tür, wo Jesko stand. Leicht lehnte er sich gegen den Rahmen
und blickte mich fragend an.
„Nur etwas erhöhte Temperatur“, erwiderte ich. Langsam stand ich auch wieder
auf. Fuhr dem Hybriden aber noch ein letztes Mal über die Stirn. Ja, hoffentlich
würde er kein Fieber bekommen. Krank sein konnte er sich doch jetzt nicht
leisten. Nicht gerade jetzt, wenn er raus konnte.
Endlich würde er sich mit den anderen Kindern, die er sonst nur draußen spielen
hörte, anfreunden und wäre nicht die ganze Zeit so alleine. Er hatte mir doch so
Leid getan, als er nur hier drinnen sitzen konnte. Tagsüber zumindest. Nachts
war er dann immer alleine gewesen, wenn er einmal raus war. Das lohnte sich
eigentlich kaum.
„Er wird zur Schule wollen“, meinte Jesko, als er seine Arme um mich schlang.
Ich wollte eigentlich in die Küche. Abendessen für den Werwolf und den Kleinen
machen. Sie konnten doch zumindest richtige Sachen essen. Ich traute mich an
nichts wirklich heran. Pflanzliches konnte ich als Halbvampir zu mir nehmen,
doch seit Pios – oder eigentlich Veronas – Blut in mir floss wusste ich nicht,
ob das immer noch so war. Und ich wagte auch nicht, es auszuprobieren. Ein
Freund des Risikos war ich noch nie.
„Wenn er will, dann darf er“, erwiderte ich mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Und was wenn er seine Kräfte einmal nicht unter Kontrolle hat? Wenn er auf
jemanden losgeht? Jeder würde wissen, was wir sind. Die Leute hier würden es
wissen. Über die Wesen der Nacht glauben hier doch zumindest die Älteren und die
könnte es den Jüngeren glaubwürdig vermitteln, was wir sind. Dann müssten wir
von hier weg! Dann auf alle Fälle!“
Jeskos Umarmung wurde enger. Ein Seufzen verließ meine Kehle. In dem Fall hatte
er Recht. Meine Vorfahren waren noch mit Fackeln und Mistgabeln verfolgt worden,
wenn man davon erfahren hatte, was sie waren und viele wurden deswegen noch
getötet. Werwölfen erging es doch kaum anders.
„Wir leben aber nicht mehr im Mittelalter. Wer würde ihnen glauben?“ Ich
versuchte mir doch gerade selbst etwas vor zu machen. Wer würde uns schon
anerkennen? Welcher Mensch könnte das? Wir waren Monster. Wesen der Nacht. Die,
die eigentlich Menschen töteten.
Ich drückte mich leicht an den Werwolf. Es war mir immer noch am liebsten in
seiner Nähe zu sein. Ihm war es auch nicht so wichtig, dass wir uns über
irgendetwas unterhielten. Solang ich bei ihm war.
Umgekehrt war es aber – wie gesagt – genauso. Wir reichte es wenn Jesko bei mir
war und ich mich an ihn schmiegen konnte – so wie jetzt.
„Du könntest wohl auch etwas Schlaf gebrauchen“, flüsterte da der Werwolf auf
einmal. Bevor ich überhaupt noch etwas sagen konnte, hob er mich auch schon
hoch. Auf mein Gezeter achtete Jesko auch gar nicht.
Behutsam ließ er mich schließlich auf das Doppelbett in unserem gemeinsamen
Zimmer fallen und sank selbst neben mich. Ich kroch zu ihm und legte den Kopf
auf seinen Schoß. Leicht kuschelte ich mich an ihn. Normalzustand.
„Jetzt können wir wieder öfters miteinander schlafen“, flüsterte ich, während
mir Jesko übers Haar strich.
„Muss aber nicht unbedingt sein“, meinte er.
Zaghaft sah ich zu ihm auf. Unsere kleinen Bettgeschichten waren ihm doch
eigentlich gar nicht so wichtig, egal wie hoch er sie manchmal einstufte oder
wie er sich manchmal aufregte, wenn ich keine Lust hatte. Das war ja auch etwas
oft vorgekommen in den letzten Monaten.
Aber mein Drang nach seinem Körper ließ einfach mit der Zeit nach. Ich musste
ihn nicht unbedingt so nah haben. So wie jetzt reichte es mir auch schon. Ich
konnte seine Zuneigung doch gut genug spüren. Dafür brauchte ich keinen Sex.
„Ist dir kalt?“, meinte der Werwolf mit gehobener Augenbraue. Erst jetzt
bemerkte ich es selbst. Ganz leicht zitterte ich. Aber mir war doch warm.
Wirklich. Es war richtig mollig hier neben dem Jüngeren. Mir konnte doch gar
nicht kalt sein.
Langsam schüttelte ich schließlich den Kopf. Aber dennoch blickte mich Jesko
misstrauisch an.
„Hoffentlich wirst du nicht auch noch krank. Felix würde schon schlimm genug
sein.“ Zärtlich strich er mir ein weiteres Mal übers Haar, bevor ich mich leicht
aufrichtete. Mir war ganz leicht schwindelig. Vielleicht kränkelte ich wirklich
einmal wieder etwas.
„Ich leg mich wohl wirklich etwas hin. … Dann kannst zumindest du einmal
kochen“, meinte ich leicht lächelnd. Jesko dagegen verzog nur das Gesicht. Es
war für ihn schon fast ein Ritual sich einfach an den Tisch zu setzen und essen
zu können. Oder aber auch einfach nur unsere Familienaufteilung.
„Dann kannst du aber auch einmal probieren etwas zu essen. Vielleicht geht es
ja. Konnten den die ältesten Vampire das nicht auch.“
Leicht hob ich bei dieser Aussage eine Augenbraue. Dracula konnte dieses Laster
nie ablegen. Das hatte ich ihn Erzählungen von anderen Blutsaugern gehört.
Manche von ihnen wahren Hunderte von Jahren alt. Sie hätten vielleicht sogar den
Ältesten von uns noch kennen können oder waren sogar von ihm erschaffen worden.
Einen hatte ich zumindest schon einmal kennen gelernt. Doch der Kerl war
eingebildet, wie sonst etwas.
„Könnte ich machen“, murmelte ich schließlich und sank in die Kissen, wo ich
mich etwas zusammen rollte. Jesko deckte mich schon wenige Sekunden darauf
behutsam zu.
„Wenn du wirklich krank wirst, ist es wohl gut, wenn dir schön warm ist und wenn
du vielleicht etwas isst.“ Der Werwolf küsste zärtlich noch mein Ohrläppchen.
„Das kitzelt“, flüsterte ich. „Soll es ja auch“, hauchte mir Jesko aber nur ins
Ohr und schlag auf einmal die Arme um meine Schultern. Jetzt würde mir wohl
wirklich warm werden. Etwas zu warm vielleicht sogar.
„Jesko, du erdrückst mich“, fiepte ich, als es mir langsam zu eng wurde. Da
löste der Werwolf aber auch zaghaft seine Umarmung um mich.
„Tut mir leid“, murmelte er und kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf. So
wirkte er doch jedes Mal wieder so süß. Fast wie ein kleiner Welpe, der etwas
angestellt hatte.
Oft führte er sich aber auch wirklich wie so ein junger Hund auf. Wenn er mit
Felix herumtobte. Oder sich auf mich stürzte, nur um mich dazu anzuspornen
einmal mit ihnen mitzumachen. Aber dafür war ich einfach nicht der Typ.
„Wolltest du nicht Essen machen?“, fragte ich, als sich der Werwolf neben mir
auf dem Bett lang machte. Er wollte doch jetzt nicht etwa schlafen?
„Bin gleich weg“, murmelte Jesko da schon. Nur tat er es schließlich nicht.
Minute um Minute verstrich in denen er immer noch neben mir lag. Das könnte wohl
noch dauern.
„Kann es sein, dass du auch noch etwas schlafen willst?“, wollte ich wissen, als
ich mich wieder etwas an ihn schmiegte. Langsam begann er sogar zu nicken. Armes
Wölfchen.
„Na dann bleib liegen, ich kümmere mich ums Essen.“ Doch gerade, als ich
aufstehen wollte, hielt er mich fest. „Das mach ich“, murrte Jesko, „aber heute
werden wir halt später etwas bekommen. Felix schläft ja ohnehin noch. Der wird
wohl gar keinen Hunger haben.“
Ich ließ mich von ihm gefügig zurück in die Kissen ziehen, als er sich schon
über mich beugte und mit Küssen übersäte. Seine Lippen bahnten sich ihren Weg
über meinen Hals, bis hinunter zu meinem Schlüsselbein, während seine Hände
meine Hüfte umschlossen.
„Willst du noch mal?“, fragte ich, als er sich mit seinen Lippen wieder zu
meinen hoch gekämpft hatte.
„Ach nö. Bevor du mir richtig krank wirst. Wäre doch schade...“
Zärtlich schmiegte er sich an mich. Ein bisschen etwas wollte ich ja von ihm
auch noch haben. Man konnte sich ja Nähe auch nicht kaufen, also musste ich das
nehmen, was ich von Jesko bekam. Und er gab es mir auch so schön freiwillig.
Leicht drückte ich meinen Kopf gegen die Brust des Werwolfes. Ruhig lauschte ich
seinem Herzschlag und driftete dadurch mit der Zeit immer weiter in süße Träume
ab.
„Hey, Jemil! Wach auf!“
Zärtlich rüttelte der Jüngere mich, bevor ich langsam ein Lid hob. Etwas länger
hätte ich schon gerne geschlafen. Doch da stieg mir schon ein leckerer Geruch in
die Nase.
„Hast du dich also dazu herabgelassen und hast etwas gekocht?“
Eifrig begann Jesko zu nicken und berührte meine Wange mit den Lippen.
„Felix hat auch schon gegessen. Jetzt bist nur noch du dran“, hauchte er mir ins
Ohr.
„Ich bin ein Vampir“, erwiderte ich leise. Ich brauchte doch eigentlich nichts
zum Essen. Immerhin lebte ich auch sehr gut von Blut. Auch wenn ich es doch
eigentlich hasste.
„Du wirst jetzt etwas essen! Ob du willst oder nicht!“
Ruppig zu der Werwolf mich hoch und schlief mich fast schon in die Küche, wo
noch immer der kleine Hybride saß und mich interessiert ansah, während Jesko
mich auf einen der Stühle drückte.
„Ich werde mich weigern!“, zischte ich und verfolgte den Jüngeren mit den Augen
während er mir etwas von dem Ghiveci[1] auf einen Teller tat. Zumindest dachte
ich, dass es das war.
„Das ist sogar Gemüse. Als du dich noch nicht auf Pio und sein Blut gestürzt
hast, konntest du das auch essen. Also fang an!“, befahl er. Doch ich rührte das
Essen nicht an, als er es vor mir auf den Tisch stellte.
„Das ist gut“, kommentierte Felix freudig. Ich erwiderte das nur mit einem
Grummeln. Mehr fiel mir aber auch darauf nicht ein. Es würde mir doch nichts
anderes übrig bleiben, als es zu probieren. Sonst würde Jesko wohl auch noch
sauer werden. Das wollte ich nicht.
Zaghaft nahm ich schließlich die Gabel in die Hand und blickte erst einige
Minuten auf das Gemüse, bevor ich anfing darin herumzustochern. Irgendwie war
mir der Hunger vergangen. Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass mich
sowohl der Hybride, als auch der Werwolf unentwegt ansahen.
Mit etwas Mühe konnte ich ein Stück gelbe Paprika aufspießen und begutachtete
sie erst noch einen Moment, bevor Jesko geräuschvoll ausatmete. Somit musste ich
mich jetzt wohl dazu zwingen.
Einmal atmete ich tief durch bevor ich das Gemüse in den Mund steckte und anfing
zu kauen. Nur schlucken traute ich mich nicht so recht. Doch als ich kurz zu dem
Werwolf blickte, musste ich wohl. Denn der sah mich mit zu Schlitzen zusammen
gezogenen Augen an, als ob er mich gleich beißen wollte.
So würgte ich irgendwie das Essen hinunter. Einen Moment wartete ich
schließlich. Bis jetzt ging es mir noch gut. Vielleicht war das aber auch nur
Zufall. Also probierte ich es mit einem Stück Möhre. Doch wieder geschah nichts.
Eigentlich erwartete ich ja, dass ich keine Luft mehr bekommen würde. Genauso
wie ein Vampir, der als Strafe sich in die Sonne stellen musste und qualvoll
starb.
Nach einiger Zeit hatte ich dann den Teller geleert und es war immer noch nichts
passiert. Könnte es sein, dass ich etwas essen konnte? Oder zumindest das, was
mir davor schon möglich war?
„Morgen kommt dann was Fleischiges“, meinte Jesko, als er mich leicht umarmte
und meinen Teller schließlich nahm und ihm zu dem anderen benutztem Geschirr
stellte und sich dann auch wieder zu mir umwandte.
Langsam nickte ich nur. Möglicherweise klappte das ja auch noch. Man könnte ja
sogar hoffen.
Dabei hatte ich Fleisch wirklich noch nie probiert. Es hatte mir bis jetzt auch
nicht gefehlt. Vielleicht würde das dann ja passieren. Es könnte zumindest sein.
[1] Rumänisches Gericht. Ghiveci besteht aus über 20 verschiedenen gebratenen
und kalt servierten Gemüsearten.