Zurückhaltender Regen
Lost Angel – Die Flügel wachsen wieder
Kapitel 6 – Zurückhaltender Regen
Luca's PoV
Seit ein paar Tagen saßen wir jetzt in dieser verfluchten Höhle fest. Nur weil
es wie aus Strömen regnete. Nur San wagte sich gelegentlich nach draußen um mir
und Tofan etwas zum Essen zu besorgen. Wieso sollte aber auch ich in diesem
Sauwetter raus? Dafür hatten wir doch den Wolf dabei. Dieses blöde Tier könnte
doch auch etwas für uns tun.
Und wieder kam er an diesem Tag zurück. Heute mit zwei Hasen – nur zwei Hasen! -
und einer Wunde am Bein. Was hatte dieses Mistvieh da nur angestellt? Etwas
aufpassen könnte er ja schon.
Aber was sollte es mich kümmern, wenn er sich verletzte? Er umsorgte seine
Wunden schon immer selbst. Da brauchte er keinen von uns Vampiren und ich würde
sein Bein ohnehin nicht anfassen und meine Finger mit seinem Blut besudeln.
Vorher würde ich ihm eher den Hals umdrehen.
Und trotzdem sah ich ihm schon fast interessiert dabei zu, wie er die Verletzung
sauber legte – für einen Hund nicht schwer, der kam bis an seine Beine mit der
Zunge. Eigentlich war mir mein Essen ja wichtiger, aber das konnte ich nebenbei
auch noch aussagen. Multi-Tasking eben. Dadurch ging das.
„Ihr machst Euch doch nicht etwa Sorgen um ihn?“, fragte da auf einmal Tofan.
Ich hab nur ein Knurren von mir. „Entschuldigt“, murmelte der ältere Vampir,
„ihr habt unseren Hund nur so besorgt angesehen.“
Da wurde jetzt sogar San hellhörig und hob leicht den Kopf. Mit großen Augen
blickte er mich an. Der dachte doch nicht wirklich, dass ich mich um ihn sorgen
würde. So dumm wäre er noch. Dieses blöde Biest.
„Weiß Gott, was du siehst, Tofan“, fauchte ich wütend. Doch da erfüllte ein
Winseln die Höhle. San hatte versucht aufzustehen und war wieder eingeknickt. Er
kauerte sich vor Schmerzen zusammen. Ob sein Bein sehr wehtat? Sollte es doch.
Langsam ging Tofan zu ihm und betrachtete die Wunde prüfend.
„Ein blöder Werwolf bist du, wenn du dich von einem streunenden Hund beißen
lässt“, murrte der Vampir und schlug dem Jüngeren mit der flachen Hand ins
Gesicht. Er gab keinen Laut von sich. Zumindest eines, bei dem er schweigen
konnte.
„Es tut mir leid, Herr, aber die waren auf einmal da und haben mich
angegriffen“, flüsterte der Werwolf. Unterwürfig hatte er den Kopf gesenkt.
Sicher wollte er weitere Schläge von seitens des Älteren damit abwenden. Doch da
tat dieser schon etwas, was mir nicht einmal im Traum eingefallen wäre.
Er riss ein Stück seines Umhanges ab und umwickelte damit Sans Bein. „Pass das
nächste Mal besser auf!“, zischte er noch, als er wohl fertig war und
schließlich auch zu mir zurück kam.
Der Werwolf verkroch sich sofort an den Höhleneingang, wo ihn wahrscheinlich der
Wind und der Regen richtig frieren ließen. Verdient hätte er es. Rein schon
dafür, dass er lebte.
„Wieso hast du das gemacht?“, fragte ich Tofan irritiert, als er sich wieder zu
mir gesellte und den letzten Rest Blut aus dem Hasen saugte.
„Er ist uns wohl noch nützlich, also sollte er nicht unbedingt verletzt sein“,
erwiderte der Ältere nur knapp, nachdem er sich den roten Lebenssaft aus dem Gesicht gewischt hatte.
„Nützlich“, murmelte ich nur. Was sollte denn an diesem Werwolf nützlich sein,
wenn er sich von Tieren beißen ließ, die ihm eigentlich ähnlich waren? Dann war
er doch nichts wert! Nur ein sinnloses Wesen, dass uns Zeit und Mühen kostete.
Und wegen dem wir jetzt wohl noch länger hier festsitzen würden.
„Ich bring ihm schnell sein Futter“, meinte Tofan auf einmal zu mir und hob die
beiden toten Hasen hoch. Ließ mich schließlich zurück. Sollte er doch gehen.
Ich lehnte mich an die kalte Wand. Jetzt hatte ich zumindest meine Ruhe. Mich
widerte der ältere Vampir an. Immer wieder tadelte er mich darin, dass ich mich
doch etwas um den jungen Werwolf kümmern sollte. Wieso nur? Wieso sich um diesen
dreckigen Wolf kümmern? Er war doch unser Untergebener, da hatte er uns zu
umsorgen und nicht umgekehrt.
Ich hasste es hier herumzusitzen. Doch in diesem Regen konnten wir nicht weiter.
Da der Wind aber auch zu stark war. Ein regelrechter Sturm. Dadurch war es hier
drinnen wohl auch so kalt. Und ein Feuer konnten wir nicht machen, sonst würden
wir wohl an dem Rauch ersticken. Ein klein wenig Sauerstoff brauchten Vampire
einfach. Nie so viel wie Menschen, aber eben ein bisschen.
Ich legte meine Hand auf meine Brust und spürte den schwachen Herzschlag. Nur
wegen dem lebte ich doch überhaupt noch. Lebten wir Vampire überhaupt. Wir
Blutsauger würden es doch eigentlich nicht brauchen. Werwölfe hatten einen
wirklich lebenden Körper, wieso sollten wir das auch haben. Wir waren die
Mächtigeren und Höheren.
Langsam stand ich auf und ging in Richtung Höhleneingang. Dort saß San neben
Tofan. Der Vampir kümmerte sich wieder um das Bein des jungen Werwolfes. Ob es
doch etwas Schlimmeres war?
„Wie geht’s dem Köter?“, fragte ich herablassend. Der Ältere blickte zu mir auf.
„Sieht schlimmer aus, als es ist. Aber er kann wohl eine ganze Weile nicht
laufen. So lange aber der Regen nicht aufhört, können wir ohnehin nicht weiter.“
In dem Moment dachte ich, ich würde nicht richtig sehen. San legte auf einmal
den Kopf auf Tafans Schoß.
„Darf ich mich so zu Euch legen, Herr?“, fragte der Werwolf unterwürfig und
dieser Dummkopf von einem Vampir nickte doch sogar.
„Idiot“, murrte ich. Mir war es so ziemlich egal, dass Tofan mich hörte. „Aber
Luca. Du klingst wie dein Vater.“ Wie konnte dieser Blödmann jetzt auch noch so
dumm grinsen. Eigentlich hätte man ihn doch gleich töten und ausweiden können.
Dann wäre er zumindest für etwas Farbe in dieser verdammten Höhle nützlich.
„Na und? Du führst dich doch auch auf wie Jemil. Kümmerst dich hier um diese
Missgeburt von einem Werwolf. Das ist doch abartig“, fauchte ich wütend, sodass
sich sogar San hinter dem älteren Vampir verkroch. Angsthase!
„Wieso denn abartig? Hat er Euch nicht oft genug beschützt? Da könntet Ihr
zumindest etwas netter zu ihm sein. Gerade wenn er verletzt wird.“ Wie gehoben
er doch jetzt wieder daherredete. Verdammter englischer Vampir. Die hielten sich
doch immer für etwas Besseres.
Sie hatten auf ihrer Insel auch die Werwölfe mehr und mehr eher zu ihren kleinen
Hausdiener gemacht, als zu Sklaven, wie sie noch bei uns auf dem Kontinent
waren. Bei ihnen waren sie nicht mehr so minderwertig.
San verbiss sich verängstigt im Shirt von Tofan. Angeekelt verzog ich nur das
Gesicht. Der Speichel dieses Tieres versaute doch jetzt seine Kleider. Und es
würde ihn sicher nicht stören.
„Hab keine Angst, Luca tut nur so stark. Eigentlich überspielt er damit nur
seine eigene Furcht.“
Das musste ich mir jetzt nicht noch länger anhören. Mürrisch machte ich auf den
Hacken kehrt und marschierte wieder weiter ins Höhleninnere. Sollte er es doch
da vorne noch mit diesem Wolf treiben. So wie es mein werter Halbbruder tat. Der
hatte sich von so einem Biest doch ficken lassen. Tofan wäre doch genauso weit
und würde das tun.
Alleine lehnte ich jetzt wieder an der Wand. Zaghaft zog ich die Beine an den
Körper. Sollten sie mich doch in Ruhe lassen. Ich brauchte keinen von beiden!
Doch das konnte ich mir wohl abschminken. Tofan kam mit diesem räudigen Köter
wieder zu mir. Er trug ihn doch sogar. Da ließ er den Wolf aber auf einmal auf
meinen Schoß sinken. Angewidert versuchte ich ihn wieder von mir herunter zu
schieben, doch er kuschelte sich an mich und krallte die Finger in mein Shirt.
„Nimm ihn weg!“, zeterte ich los.
„Sei ruhig! Siehst du nicht, dass er schläft?“ Gelangweilt sank der Ältere neben
mich und zog behutsam San wieder zu sich. Er war wirklich eingeschlafen. Ganz
eng schmiegte er sich an den Vampir. Irgendwie war das ein seltsamer Anblick.
Ich hatte den Werwolf noch nie schlafend gesehen. Immer saß er wach irgendwo in
der Nähe unseres Unterschlupfes und hielt Wache. Manchmal meinte ich, er würde
nie schlafen.
„Eigentlich dachte ich, die Vampire auf dem Kontinent wären weiter, als wir in
England. Aber ihr seid in der Unterwerfung dieser armen Kreaturen stecken
geblieben. Als ob ihr noch in der Steinzeit leben würdet.“
Ich blickte verwirrt zu Tofan auf. Wieso sollten man sie denn nicht unterwerfen?
Für was wäre denn ein Werwolf sonst gut?
Mila's PoV
Ich kuschelte mich ganz eng an Lana. Das machte ich jede Nacht, wenn ich fror.
Sie war so schön warm und es störte sie gar nicht, wenn ich mich an sie
schmiegte.
„Könnte es sein, dass du deinen Jemil mit mir betrügen willst?“, fragte sie da
aber auf einmal. Eigentlich war ich der festen Überzeugung gewesen, dass sie
längst eingeschlafen war.
Ich löste mich von ihr und rollte mich so, dass ich aus dem Fenster sehen
konnte. Immer noch schlug der Regen gegen die Scheibe. Schon seit Tagen.
Deswegen saßen wir hier fest.
Durch den Sturm war ein Fluss über die Ufer getreten und die Straße, in deren
Richtung wir mussten, war überschwemmt.
„Ich liebe ihn. Nie würde ich ihn also mit jemand anderen betrügen. Und immerhin
bist du auch ein Mädchen“, murmelte ich nur, als die Lilahaarige schon die Arme
um mich schlang.
„Das hat Jemil und Jesko auch nichts ausgemacht, dass sie beide Kerle sind.“
Leicht summte die Werwölfin eine mir unbekannte Melodie vor sich hin. Es klang
richtig fröhlich.
„Aber ich steh' nicht auf Mädchen und ich liebe Jemil wirklich“, meinte ich.
Wieso sollte ich ihn sonst auch zurück haben wollen, wenn ich ihn nicht liebte?
Es gäbe doch dann keinen Grund für mich.
„Ich liebe Jesko auch. Nie hätte ich gedacht, dass er etwas mit einem Vampir
anfangen könnte und dann gerade mit dem. Jemil war so ein Ekel. Als ich die
beiden einmal in Jeskos Zimmer zusammen erwischt hatte, war das aber irgendwie
anders. Er wirkte so verstört.“
Fast schon mitleidig klang Lana. Sie fühlte doch wie ich. Beide hatten wir
unsere Liebsten verloren. Und wir wollten sie wieder haben. Wie konnten sie aber
auch nur miteinander durchbrennen? Sie gehörten doch eigentlich nicht zusammen.
Ein Seufzen verließ meine Kehle. War das wirklich so? Eigentlich besagten nur
die Gesetze meines Clans, dass sich die beiden Rassen nicht lieben durften. Aber
hatten die denn immer Recht? War es so falsch, dass sie sich ineinander verliebt
hatten? Wo war denn der Fehler darin?
„Mit der Zeit weiß ich nicht mehr, ob wir das Richtige tun, wenn wir sie
auseinander bringen wollen“, murmelte und wartete fast schon gespannt auf die
Erwiderung der Werwölfin. Doch die kam nicht. War sie eingeschlafen?
Vorsichtig drehte ich mich wieder zu ihr herum. Und natürlich war sie in süße
Träume versunken. Sicherlich träumte sie von ihrem Jesko. Ihrem und Jemils Jesko.
Zaghaft schmiegte ich mich etwas an sie und schlief binnen weniger Sekunden
ebenfalls ein.