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Cold Case

Anthologie
von

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Cold Case - Sommer. Eyes of a Child

Titel nach: Reamonn - Through the Eyes of a Child
 

Cold Case – Frühling. Eyes of a Child
 

Das Blatt Papier war schon arg zerknittert, weil Nerissa es so eng an sich gedrückt gehalten hatte. Es hatte Lieutenant John Stillman, Leiter der Abteilung für ungelöste Mordfälle der Mordkommission Philadelphia, mehrere Stunden gekostet, dem Kind die Zeichnung abzunehmen, welche es mit vier verschiedenen Buntstiftfarben und einem Kugelschreiber angefertigt hatte.

Kat Miller war der Meinung, dass der Rest des Teams – ihr selbst mit eingeschlossen – vermutlich noch viel länger gebraucht hätte als der älteren Herrn mit der halben Glatze, der ihr Vorgesetzter war. Sie selbst hatte eine Tochter – aber weder ihr noch Scott Valens, Nick Vera oder Will Jeffries war es gelungen, das verängstigte und verstörte Kind zu beruhigen.

Und ihnen allen fehlte es an Erfahrung mit psychisch gestörten Kindern.

Nicht einmal Lilly Rush wäre mit dem Kind klargekommen – aber sie war nicht da und deshalb verschwendete Kat den Gedanken nicht.

Einer nach dem Anderen waren sie kläglich gescheitert.

Alle – außer Lil. Hat sich mal wieder zur Rechten Zeit aus dem Staub gemacht, dachte sie mit beißendem Spott, jedoch nicht unfreundlich. Lil wirkte nun einmal so kalt und unnahbar, dass sie sich einfach nicht vorstellen konnte, wie sie mit einem kleinen Mädchen klar kam.

Als Scotty es versucht hatte, hatte Nerissa einfach geschwiegen und ins Leere gestarrt. Als Will sie am Arm berühren wollte, hatte sie begonnen zu schreien und um sich zu schlagen. Vor Nick war sie sogar weggelaufen... Und bei Kats Versuch hatte sie einfach nur stumm geweint. Erst John Stillman hatte sie erlaubt, ihr die Tränen zu trocknen und sie an die Hand zu nehmen. Er hatte mit ihr sprechen dürfen – wenn sie auch keine Antwort gab – und ihm hatte sie das Bild gegeben, welches die Detectives nun seit zwei geschlagenen Stunden anstarrten und sich den Kopf darüber zerbrachen.
 

„Was soll das nur darstellen?“, fragte Scotty und beugte sich über ihre Schulter, um die krakelige Kinderzeichnung genauer in Augenschein zu nehmen.

„Eine riesige Sonne über einer Wiese mit einem Hasen?“

„Nein“, rief Nick herüber, noch immer mit einer sauertöpfischen Miene.

„Das habe ich schon gesagt.“

„Und?“

„Sie hat nein gesagt“, informierte ihn Kat. Scotty zog die Brauen hoch.

„Na ja, sie hat den Kopf geschüttelt“, korrigierte sie sich sofort und seufzte.

„Herrgott! Warum spricht das Kind nicht mit uns! Wir wollen ihr doch nur helfen!“

„Sie hat einen tiefgehenden Schock erlitten“, belehrte sie die Psychologin, die vom Jugendamt zu ihnen geschickt worden war, um sich Nerissas anzunehmen – und die noch weniger erreicht hatte als die Detectives. Daraufhin war sie in eine Ecke des Großraumbüros verbannt worden.

„Bei einer solch traumatischen Erfahrung dürfte Sie das nicht weiter verwundern. Sie kann nicht sprechen – aber sie hat Ihnen doch einen Hinweis gegeben. Hören Sie endlich auf, das arme Kind zu quälen! Die Mordkommission ist kein Aufenthaltsort für ein kleines, verschrecktes Mädchen!“

Kat warf der Frau („Arrogante Tussi!“) einen drohenden Blick zu. („Ich will gar nicht wissen, an welchen schrecklichen Ort Sie Nerissa bringen werden... Da ist sie hier auf jeden Fall hier sicherer.“)

„Wenn Sie schon in Ihrer Arbeit versagt haben, lassen Sie uns wenigstens die Unsrige tun!“

Die Psychologin war sich zu gut um Kat zu antworten und schwieg beleidigt. Aber nicht lange.

„Das ist ein Tisch“, sagte sie hochnäsig.

„Darauf liegt ein...“

„... Ein gebratener Hase“, beendete Will Jeffries ihren Satz ironisch.

„Natürlich. Das ist, was ich gestern zu Abend gegessen habe. Woher konnte Nerissa das nur wissen?“

„Ich versuche Ihnen zu helfen und Sie...“

Vor Wut wurden die Lippen der Frau bleich. Diesmal schwieg sie endgültig.

Ratlos starrten Nick, Scotty, Will und Kat auf das Papier vor ihnen.

„Sie will uns etwas sagen“, sagte Nick und warf einen Blick durch die offene Tür in John Stillmans Büro, in dem Nerissa zusammengerollt in einer Ecke des Sofas saß und ins Nichts starrte.

„Aber was?“

„Vielleicht ist das ein Baum?“, vermutete Scotty.

„Von oben gesehen...“

Unwillig schüttelte Kat den Kopf.

„Warum von oben? Das ergibt keinen Sinn! Nichts ergibt hier Sinn!“

Sie raufte sich die Haare.

„Wenn Lil doch nur hier wäre“, murmelte Scotty.

„Das würde uns nichts nützen. Niemand kann sich weniger in ein Kind hineinversetzen als Lilly Rush“, sagte Will Jeffries überzeugt.

„Ein Kind bräuchte man“, seufzte Kat.

„Aber das einzige Kind hier redet nicht mit uns.“
 

„Was gibt es Neues?“, fragte eine wohlbekannte Stimme hinter ihnen und als sie sich umdrehten, sahen sie, wie Lilly Rush mit weit ausgreifenden Schritten ins Großraumbüro trat.

„Nichts weiter“, sagte ihr Partner und hielt ihr das Blatt entgegen. Lil trat näher.

„Ist das das Bild, von dem Sie am Telefon gesprochen haben?“

„Ja.“

Lil ignorierte Kats skeptischen Blick und nahm das Papier. Eine ganze Weile lang starrte sie einfach nur darauf, dann liess sie es abrupt sinken.

„Wo ist sie?“, fragte sie ruhig.
 

„Sie hat es doch nicht herausgefunden“, sagte Nick Vera ungläubig und starrte Lil und Scotty hinterher, die bereits auf dem Weg in Johns Büro waren. Kat stand auf.

„Das glaube ich nicht“, sagte sie und folgte ihrer Freundin. Nick und Will schlossen sich ihr an.
 

Lil kniete auf dem Boden vor dem Sofa in John Stillmans Büro, auf einer Augenhöhe mit dem kleinen Mädchen. Nerissa umklammerte die Decke und starrte sie aus großen, ängstlichen Augen an.

„Du kannst wirklich schön zeichnen, Nerissa“, sagte Lil und lächelte.

„Wirklich gut.“

Nick, Will und Kat tauschten ob des sanften Tonfalls erstaunte Blicke aus. Nur Scotty nahm den Blick nicht von seiner Partnerin. Nerissa musterte sie, nunmehr ernst und erwartungsvoll. Lil hob das Bild an, so dass sie es sehen konnte.

„Damit willst du uns helfen, nicht?“

„Das wussten wir auch schon“, flüsterte Kat und verdrehte die Augen. Normalerweise hätte ihr das einen tiefgekühlten Blick von Lil eingebracht – diesmal nicht.

„Das hast du gesehen, in der Nacht, in der die Männer gekommen sind, die deine Eltern getötet haben. Es war nicht dort, wo wir dich gefunden haben... Du musst weit gelaufen sein, Nerissa. Du warst sehr tapfer. Deine Eltern sind nicht in dem Wald gestorben – sondern auf dem Meer.“

„Was?“, sagten Kat, Will und Nick gleichzeitig ungläubig. In der Delaware Bay? Das war ungefähr 10km weit von dem Ort entfernt, an dem man Nerissa aufgefunden hatte.

In den Augen des Mädchens standen Tränen und sie zog die Decke fester an sich.

Lil konzentrierte sich auf das Bild.

„Du warst in einem Boot, in der Kajüte. Deine Eltern waren draußen. Dann sind die Männer aufgetaucht.“

Die Lippen des Kindes zitterten.

„Das ist das Meer.“

Lil zeigte auf eine merkwürdig gezackte Linie.

„Du hast aus dem Fenster geschaut. Und der eine Mann hat deinen Vater getötet.“

„Er trug eine Hasenmaske...“

Langsam dämmerte es jedem im Raum.

„Und was ist das hier?“

Kat hielt es nicht mehr aus: sie beugte sich über Lil und deutete auf einen kleinen Kreis mit einem merkwürdigen Inneren in der rechten unteren Hälfte des großen Kreises.

Nerissa sah Lil an. Lil schaute zurück.

Als würde das Kind sie testen.

„Das ist das Wichtigste. Das ist ein Baum und eine Feder in einem Kreis...“

Sie machte eine Pause.

„Es war auf die Bootswand gepinselt. Es ist das Zeichen der...“

„Green Arc Umweltaktivisten!“

In Scottys Augen blitzte stolzer Triumph. Kat streckte die Faust in die Luft.

„Yeah!“

Aber Lil war noch nicht fertig.

„Diese Leute haben deine Eltern auf ihr Boot gelockt, in dem sie dich entführt haben... Und dann haben sie sie getötet. War es so, Nerissa?“

Das Gesicht des Mädchens verzog sich vollends, als sie begann zu weinen. In Kat regte sich sofort der Impuls, sie zu umarmen – aber sie hatte gesehen, was das letzte Mal geschehen war, als jemand versucht hatte, das Kind in die Arme zu nehmen..

Aufgeschreckt durch Kats Ruf, stürmte die Psychologin in den Raum.

„Was tun Sie da?“, kreischte sie.

„Nerissa, Liebes, nicht weinen!“

Kat bewunderte die Art, wie ihre Stimme von „hochnäsig-hektisch“ zu „süßlich-ölig“ umschlug, fand aber, dass es alles in allem nicht besonders echt klang.

Lil fiel gegen Scotty, als die Frau an ihr vorbeirauschte und sie bei Seite stiess. Scotty fing sie auf, damit sie ihr Gleichgewicht wiedergewinnen konnte.

„Nerissa“, sagte sie leise und streckte dem Kind eine Hand entgegen. Und das weinende Mädchen warf sich ihr um den Hals.
 

She has the eyes of a child...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  MichiruKaiou
2009-03-15T14:33:30+00:00 15.03.2009 15:33
Das war wirklich eine gute Fallaufklärung^^
Auch wieder einmal hast du mit den Charakteren voll überzeugt, es war auch schon witzig zu sehen, wie sie alle an dem Bild verzweifelten.
Ich gebe zu, ich war mir nicht immer sicher, wer gerdade redete. Sollte die folgende wörtliche Rede, der Person aus der Zeile davor zuzuordnen sein, wäre es besser, keinen Zeilenwechsel zu machen.


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