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A Trip to Hell

Die Leiden des Seto Kaiba ∼ KaibaxWheeler ∼
von

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Tag 3: Abgedreht im Riesenrad

Tag 3: Abgedreht im Riesenrad
 

Der Wind rauschte mir in den Ohren, eine kühle Brise, die mich einige Sekunden meine Probleme vergessen und mir einen Augenblick der Ruhe gönnen ließ.

„Mann, ist dieses Ding lahm.“

„Aber Joey, es ist doch eine Kopie von der Santa Maria, dem Schiff, mit dem Columbus segelte. Da kannst du nicht erwarten, dass es so schnell, wie ein Motorboot fährt.“

„Na und? Ist doch egal ob es das Boot vom Cumbus ist, die hätten da doch auch einen Motor einbauen können.“

„Columbus.“

„Was?“

„Columbus, Joey, nicht Cumbus.“

„Ist doch egal. Das Schiff ist trotzdem lahm.“

„Joey.“

„Ja, Téa?“

„Columbus hat Amerika entdeckt. Ich denke nicht, dass das ‚egal’ ist.“

„Téa hat Recht, es ist sehr wichtig. Das Thema hatten wir doch im letzten Jahr in Geschichte, Joey. Hast du das schon wieder vergessen?“

„Also ...“

Ich schloss die Augen, während ich mich ein Stück weiter an die Reling lehnte und schnaubte leise.

Muto und Gardner konnten genauso gut versuchen, Wheeler die Relativitätstheorie zu erklären, es käme auf das Selbe hinaus. Dieser Köter war und blieb nun einmal ein unbelehrbarer Idiot. Der Schrei einer Möwe ließ mich die Augen wieder öffnen und meinen Blick auf das Wasser des Flusses, der an dem Rumpf des Schiffes vorbei rauschte, richten.

Warum mussten wir diesen Trip machen? Eine Fahrt mit der Kopie der Santa Maria. Wie aufregend.

Ich dachte Aoyagi-sensei hätte Pädagogik studiert. Da müsste sie doch eigentlich merken, dass die Mehrheit der Klasse gelangweilt an Bord herum lungerte, in der stillen Hoffnung, dass diese Fahrt so schnell wie möglich vorbei sein würde. Ich lungerte zwar nicht herum, doch eigentlich teile ich ihre Ansicht. Es war ermüdend, hier zu stehen und dem Wasser beim Vorbeifließen zuzusehen.

„Trotzdem hätten sie es etwas interessanter machen können. Ein Motor wäre nicht schlecht oder vielleicht ein Seeungeheuer, das plötzlich aus dem Wasser kommt.“

„Joey, hier geht es doch nicht um Spannung, hier geht es um Geschichte.“

„Geschichte fand ich schon immer öde.“

En Blick aus den Augenwinkeln verriet mir, dass Wheeler sich schlaff auf die Rehling lehnte und gelangweilt nach unten sah. Seine Haare wehten bei dem Wind leicht vor und zurück, fielen ihm teilweise vor die Augen und die untergehende Sonne färbte das Blond –

Ich schüttelte den Kopf und richtete meinen Blick rasch auf die langsam näher rückende Anlegestelle.

Was bitte war das gerade gewesen? Ich litt sicher an Übermüdung, anders konnte ich mir diesen Ausrutscher nicht erklären. Seit wann achtete ich darauf, wie Wheeler aussah?

Beinahe verstohlen warf ich einen erneuten Blick zur Seite, musterte Wheeler, der einige Meter entfernt stand und sich mit Muto und dem Rest der Gruppe unterhielt.

Nein, an seinem Aussehen war überhaupt nichts außergewöhnlich. Seine Haare waren Strohblond – wobei er davon eine anschauliche Menge in seinem Kopf haben musste – und es hing ihm in Strähnen ins Gesicht. Nichts Besonderes. Tze, was sollte bitte an ihm auch besonders sein? An einem Köter.

Nichts.

„Was wir wohl als nächstes machen?“, überlegte Wheeler laut. Ich ließ meinen Blick auf dem Wasser ruhen. „Na ja, es kann ja nur spannender als das hier werden.“

„Aoyagi-sensei und Kaidou-sensei meinten etwas von wegen Riesenrad.“

Riesenrad? Ich richtete meinen Blick auf den runden Koloss, der vor uns im Habor Village in den Himmel ragte. Nicht auch noch das. Wenn das so weiterging würde dieser Tag niemals enden. Was waren wir denn? Kleine Vorschüler, die Ôsaka unbedingt mal aus hundert Meter Höhe sehen wollten? Außerdem hatten wir das doch auch schon gestern vom Turm aus machen können.

„Riesenrad? Cool!“

Wieso war es klar, dass Wheeler diesen Vorschlag als ‚cool’ bezeichnen würde?

Während die Santa Maria nun endlich an der Anlegestelle hielt und wir nun mit einigen Komplikationen das Schiff verließen – einige Schüler waren unauffindbar, bis sich herausstellte, dass sie nur auf der Toilette waren – verschwand die Sonne allmählich hinter dem Horizont und die Lichter im Habor Village gingen an, während Dunkelheit sich über es legte und das Dorf nun gänzlich erwachte.
 

„Das Riesenrad sieht viel cooler aus, wenn es so beleuchtet ist, wie jetzt!“, bemerkte Wheeler grinsend, während er den Kopf in den Nacken gelegt hatte und zu dem Rad hinaufsah.

„Wann fahren wir?“, fragte Muto an mich gewand.

Ich hatte die Arme verschränkt und sah geringschätzig auf ihn hinab. „Wenn wir die Tickets haben, Muto.“

Er seufzte. „Das war mir schon klar, Kaiba.“

„Warum fragst du dann?“, entgegnete ich kühl und hob die Augenbraue. Doch er ließ sich nicht provozieren, wie es bei Wheeler an seiner Stelle sicher der Fall gewesen wäre, sondern zuckte nur die Achseln. „Ich weiß auch nicht, welcher Teufel mich da geritten hat, Kaiba“, antwortete er gelassen.

Meine Augenbraue hob sich noch ein kleines Stück weiter. Hatte Muto zu viel Zeit in der Sonne verbracht, oder warum benahm er sich so derart absonderlich? „Sag, Muto, ist das, was du hast, ansteckend?“, fragte ich argwöhnisch. Er sah zu mir auf und seine sonst so großen Augen wirkten mit einem Mal schmaler und ernster als gewöhnlich. Dasselbe Gesicht, das er mir immer bei unseren Duellen präsentierte.

„Warum fragst du, Kaiba?“ Auch seine Stimme klang mit einem Mal anders. Eine Spur tiefer und reifer. Was war nur plötzlich los?

„Yugi“, Gardner kam zu uns herüber, „kommst du endlich – oh, Pharao, du bist es.“ Pharao? Oh nein, ging das also wieder los. Ich konnte es allmählich nicht mehr hören. Ich wandte mich ab und entfernte mich raschen Schrittes von der potentiellen Gefahrenquelle. Wer wusste schon, ob dieses Verhalten mit der Zeit nicht abfärbte. Im Laufe der letzten Jahre, in denen ich bereits in einige kuriose Zwischenfälle verwickelt war – an denen der so genannte Pharao nicht unbeteiligt war – hatte sich in mir ein sechster Sinn manifestiert, der immer dann zu reagieren begann, wenn derartiger Ärger oder auch nur ansatzweise Probleme in Verzug waren. Und eine weitere störende Nebenhandlung, parallel zu der ohnehin schon Nerven strapazierenden Klassenfahrt war derzeit das Letzte, was ich nach Wheeler noch gebrauchen konnte.
 

„Hat jeder sein Ticket?“ Zustimmendes Gemurmel folgte auf die Worte der Frau. Wenig begeistert blickte ich auf den Fetzen Papier in meiner Hand hinab und mein Mund verzog sich vor Missbilligung, bevor mein Blick an dem Koloss vor mir hinaufwanderte und meine Lippen daraufhin nur noch einen schmalen Strich bildeten. Ich unterdrückte einen abfälligen Laut. Bei der Geschwindigkeit, mit der sich das Rad drehte, würde ich frühestens in einer halben Stunde wieder sicheren Boden unter den Füßen haben.

Nicht, dass ich unter Höhenangst litt – so weit sollte es noch kommen! – aber eine Fahrt mit einem Drittel meiner minderbemittelten Klasse – die Gondeln des Riesenrads waren seine Größe entsprechend angepasst – auf engem Raum würde meine Nerven sicherlich an ihre Grenzen bringen – sie hatten sich von den Ereignissen dieses Tages offen gestanden noch nicht zur Gänze erholt.

„Gut, wenn ihr alle eure Tickets habt, dann geht und sucht euch eine Gondel.“

Wusste die Frau nicht, was sie mit ihren Worten auslöste? Wie schon oft an diesem Tag, fragte ich mich, warum sie den Berufszweig einer Beamtin gewählt und noch dazu die Stelle einer Lehrerin besetzt hatte.

Wie ein Rudel ausgehungerter Tiere setzte sich die Meute – in wissenden Kreisen auch durch den Begriff Klasse vertreten – in Bewegung und drängte sich an unschuldigen Besuchern und Passanten vorbei zum Eingang des Riesenrades. Beinahe wurde die Sicherheitsabsperrung überrannt – um es genauer zu definieren: beinahe wurde sie nieder gewalzt – und ein Sicherheitsmann musste rasch Abstand suchen.

Mit einer beinahe schon geübten Bewegung zog ich mir das Cappy tiefer ins Gesicht, bat stumm darum, dass mich niemand erkannte, würde es meinem Image doch sicher nicht zugute kommen, mit einer derartigen Horde gesichtet zu werden – meine PR-Abteilung würde darunter leiden – und mit wesentlich gemächlicheren Schritten näherte ich mich dem Riesenrad, darauf bedacht, so viel Abstand zwischen mir und den Nachzüglern meiner Klasse zu lassen, dass niemand auf den Gedanken kommen konnte, ich würde in irgendeiner Art zu ihnen gehören.

Gelangweilt beobachtete ich, wie meine Mitschüler sich um die Gondeln stritten, die Mädchen einen beinahe schon dramatischen Krieg untereinander begannen, während ich mich so weit wie möglich absonderte und mich an die Absperrung lehnte, darauf wartete, dass auch die Letzten in den Gondeln verschwanden, sodass ich die Nächste für mich haben würde.

„Yugi! He, Yugi. Tristan ... Téa?“

Meine Augenbraue zuckte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor ich resignierend die Augen schloss. Gab es dort oben einen Gott, so musste er mich heute abgrundtief hassen.

„Duke ... Bakura?“

„Ich fürchte, du kannst dir noch so lange die Stimmbänder wund bellen, Wheeler, sie können dich nicht hören.“

Der Köter wirbelte zu mir herum, in der Hand hielt er eine Tüte Popcorn, offenbar hatte er sie sich eben gekauft und hatte somit seine Freunde verpasst. Großartig, jetzt hatte ich also auch noch einen verloren gegangenen Streuner am Hals. Ich schwor mir, bei nächster Gelegenheit ein Kreuz zu kaufen und es symbolisch zu verbrennen.

„Wie, sie können mich nicht hören?“

Vielleicht würde ich auch die Steuer verweigern ...

„Wo sind sie denn?“

Oder ich würde Roland beauftragen, jemanden anzuheuern, der anonym einen Tempel in Brand steckte ...

„Hallo Kaiba, ich rede mit dir!“

Oder ich würde Wheeler vom Riesenrad stoßen. Das erwies sich als die sicherste und effektivste Lösung. Momentan.

„Ich bin nicht taub, Wheeler. Deine ach so tollen Freunde sind bereits im Riesenrad, da du deiner Sucht nach etwas Essbaren mal wieder nachgeben musstest.“

Er legte leicht den Kopf schief. „War das jetzt ein Vorwurf?“

Gott, was hatte ich verbrochen, dass ich mit so jemandem gestraft wurde? Was hatten meine geschundenen Nerven verbrochen? „Wheeler, tu mir einen Gefallen und lass mich in Ruhe.“ Mit diesen Worten stieß ich mich von der Absperrung ab und setzte mich in Bewegung, schritt unbeirrt auf die nächste Gondel zu, die bereits im Begriff war, für einige Sekunden zu halten.

Als ich die Stufen in die Gondel erreicht hatte, legte sich jedoch eine Hand auf meine Schulter und riss mich grob herum. Braune Augen funkelten mich angriffslustig an. „Kaiba, geht das auch etwas freundlicher?“ Ich brauchte einige Momente, um zu registrieren, was der Köter mir da genau gesagt hatte. Hatte ich richtig gehört? Forderte Wheeler, dass ich – ich! – freundlicher zu ihm – ihm! – war?! Was hatte man ihm in sein Essen getan? „Wheeler, hat man dir etwas in dein Popcorn geschüttet, oder warum sind deine Kommentare noch stupider als sonst?“

„Was soll das heißen?“

Hatte er selber nicht begriffen, was er eben von sich gegeben hatte? War sein Hundehirn tatsächlich zu klein, um das zu begreifen? Offenbar schon. Es wäre also komplette Zeitverschwendung, ihm das jetzt noch zu erklären. „Wheeler, lass mich los.“ Er wusste, dass er mich nicht berühren durfte und dennoch tat er es. Bei Gelegenheit würde ich ihn verklagen. Er hatte es tatsächlich gewagt, seine Hand erneut auf meine Schulter zu legen. Dieser elende Köter!

Ein Grinsen erschien auf seinen Zügen. „Was denn Kaiba, hast du etwa Angst vor mir?“

Ich und Angst? „Träum weiter, Wheeler.“ Ich warf einen raschen Blick über die Schulter und verzog abfällig die Lippen. „Da hast du es Wheeler, wegen dir habe ich meine Gondel verpasst. Inkompetenter Köter.“

„Ich bin kein –“ Sein Protest erstarb augenblicklich, als ich meine Hand fest um sein Handgelenk schloss und seine Hand von meiner Schulter zog. „Au, verdammt, geht das nicht etwas weniger schmerzhaft?!“

Mit leicht verzerrtem Gesichtsausdruck rieb er sich das Gelenk.

Ich sah ihn unberührt an. „Hättest du einfach auf mich gehört und mich nicht angefasst, wäre dir das erspart geblieben.“ Ich wandte ihm demonstrativ den Rücken zu, folgte mit meinen Augen der nächsten Gondel, die bereits auf uns zukam.

Mit einigen schnellen Schritten erklomm ich die wenigen Stufen und betrat die Gondel. Die Warnung des Sicherheitsmannes, der mir riet, so lange zu warten, bis sie ihren tiefsten Punkt erreicht hatte, ignorierte ich geflissentlich. Mit wenig Begeisterung musterte ich das Innere der Gondel. Sie war rund und eine einzelne lange Bank folgte ihrer Form, ging einmal in die Runde und man konnte von ihr aus durch die verglasten Wände auf Ôsaka hinabblicken.

Hinter mir erklang in anerkennender Pfiff. „Wow, gar nicht mal so übel.“

Für wenige Sekunden schloss ich die Augen und zählte innerlich bis zehn. Dies Methode wandte ich heute beunruhigend oft an, dennoch schien sie nicht den gewünschten Erfolg mit sich zu bringen.

„Wheeler, was willst du hier in meiner Gondel?“

„Deine Gondel? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du sie gekauft hast.“

Vielleicht hätte ich das wirklich tun sollen. Dann wäre mir wenigstens Wheelers störende Anwesenheit erspart geblieben. Ich beschloss, sofort nach Beendigung dieser Rundfahrt, den Besitzer dieses Rades aufzusuchen, es zu kaufen und ein durchgängiges Hundeverbot einzuführen. So konnte es einfach nicht weitergehen.

„Du störst, Wheeler. Verschwinde.“

„Zuvorkommend wie eh und je.“

Diese Konstellation hatten wir heute schon einmal, wenn ich mich recht erinnerte. Langsam drehte ich mich zu ihm um. Wenigstens war abgesehen von ihm niemand sonst in dieser Kabine. „Ich sagte, du sollst verschwinden.“

Er warf einen Blick auf den Ein- und Ausgang hinter ihm, der sich mit einem Zischen schloss, bevor er sich wieder mir zuwandte und grinsend mit dem Daumen über seine Schulter deutete. „Wie du siehst, ist das ab jetzt unmöglich. Ich fürchte, du wirst mich die nächste halbe Stunde nicht mehr los.“

Ich verschränkte die Arme und sah ihn ausdruckslos an. „Es sei denn, ich werfe dich kurzerhand aus dem Fenster.“

Gespielt überlegend kratzte er sich am Kopf. „Ja, das wäre eine Möglichkeit. Allerdings wäre ein Mord in deinem Fall sicher nicht besonders Image fördernd.“

Ein beinahe schon teuflisches Lächeln erschien auf meinen Zügen. „Glaub mir Wheeler, ich besitze Mittel und Wege um jegliche Spuren, die zu mir führen, verschwinden zu lassen.“ Doch leider hatten meine Worte nicht die gewünschte Wirkung, zeichnete sich auf seinem Gesicht weder Überraschung, noch das erhoffte Entsetzen ab.

„Ja, das glaube ich dir gerne“, erwiderte er ruhig und ließ sich auf die Polster der Bank neben sich fallen.

Abfällig schnaubend ließ ich mich auf dem Stück der Bank hinter mir nieder, wandte demonstrativ den Kopf und starrte durch das Glas in den dunklen Himmel.

Stille legte sich wie ein schweres Tuch zwischen uns und mich überkam nicht im Geringsten der Wunsch, etwas dagegen zu unternehmen. Seine alleinige Anwesenheit reichte bereits aus, um meine ohnehin schon wenig gute Laune vollends auszulöschen. Ein Blick auf die digitalen Ziffern über dem Ausgang ließ ihn mich rasch wieder abwenden und verbittert die Augen schließen. Noch achtundzwanzig Minuten.
 

Irgendjemand musste diese Uhr sabotiert haben. Sie und das gesamte Riesenrad. Eine einzelne Minute konnte doch unmöglich derart schleichend vergehen. Außerdem hatte sich das Rad doch, von außen betrachtet, viel schneller gedreht.

Als Wheeler dann auch noch begann, ein Lied vor sich hin zu summen, wurde meine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe gestellt. Ich war für meine herausragende Selbstkontrolle bekannt, dennoch erreichte an Tagen wie diesen sogar ich hin und wieder meine Grenzen – so ungern ich das auch zugab.

„Wheeler, sei so gut und halt deine Hundeschnauze!“ Meine Worte wurden von einer zusätzlichen Schärfe unterstützt, die eigentlich nicht vorgesehen war und die deutlich zeigte, wie nahe ich meiner Grenze bereits war. Verdammt.

Sein Kopf ruckte herum und er starrte mich trotzig an. „Ich denk ja nicht dran!“ Demonstrativ lehnte er seinen Kopf zurück, sah mich weiterhin herausfordernd an und summte noch eine Spur lauter. Die ersten Minuten erwiderte ich seinen Blick ungerührt, doch als er das Lied wechselte und mir nun in aller Unverschämtheit Last Christmas vorsummte, war der Punkt erreicht, an dem ich rot sah.

Ruckartig erhob ich mich, durchquerte die Kabine mit wenigen Schritten, bis ich vor ihm stand, packte ihn grob am Kragen und riss ihn in einer schnellen Bewegung hoch. „Ich warne dich, Wheeler. Treib es nicht zu weit“, knurrte ich leise und meine Stimme klang mehr als nur bedrohlich. Dennoch wich der

Trotz nicht aus seinem Blick und ein provozierendes Grinsen erschien auf seinen Lippen. „Das würde ich nie wagen, Kaiba-sama“, entgegnete er unschuldig und das Grinsen gewann an Umfang. Meine Hand verkrampfte sich in seinem Shirt. Was bildete dieser elende Köter sich eigentlich ein?

„Was denn Kaiba, hat es dir die Sprache verschlagen?“ Aufkeuchend wurde er zur Seite gezerrt und fest gegen die Tür der Kabine gepresst. Meine Augen waren zu Schlitzen verengt und ich starrte ihn durchdringend und voller Hass an. „Sei vorsichtig, Wheeler.“

„Was ist sonst?“, fragte er herausfordernd. „Rufst du einen deiner Handlanger? Könnte ein wenig schwer werden, immerhin befinden wir uns hier“, er warf einen flüchtigen Blick aus den Augenwinkeln durch eines der Fenster, „gut hundert Meter über dem Boden. Du bist also dieses Mal ganz auf dich alleine gestellt, Kaiba. Hast du jetzt Angst?“

„Darauf kannst du lange warten, Köter. Ich brauche keine Handlanger, wie du sie nennst. Ich könnte dich ohne weiteres selbst aus dieser Kabine stoßen.“

„Dann tu es doch.“

Beinahe wäre mir die Kontrolle entglitten. „Was?“

Seine Augen funkelten mich durchdringend an. „Dann tu es. Du schaffst es eh nicht, das weiß ich.“

Wie konnte er sich da so sicher sein? Was fiel ihm ein, so verdammt selbstsicher zu sein? „Woher willst du das wissen?“

„Du bist zu schwach, Kaiba.“

Meine Augen weiteten sich minimal, sonst war von mir keine Reaktion auf seine Worte wahrzunehmen.

Doch innerlich brachen derzeit sämtliche Barrieren. Schwach? Ich? Zu schwach? Für wenige Sekunden war ich abgelenkt, war auf das fixiert, was sich in meinem Inneren abspielte und somit registrierte ich zu spät, dass er eine Hand gehoben und um mein Handgelenk, geschlossen hatte. Bestimmt drückte er zu und mein Griff um sein Shirt lockerte sich gezwungenermaßen. Dies nutzte er aus, um mich herumzuwirbeln und unsere Positionen zu wechseln, sodass er es nun war, der mich an die Tür der Gondel drückte. Mein Blick verdüsterte sich angesichts dieser Erkenntnis.

Sein Gesicht näherte sich meinem, und der beinahe unbändige Wunsch, ihm das widerliche Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen, keimte in mir auf. Dieser Köter war wirklich nicht gesund für mich, wenn ich nun sogar das Verlangen nach Gewalt verspürte. Sobald ich dieses Rad hinter mir hätte, würde ich meine Anwälte informieren und für Wheeler würde seine letzte Stunde schlagen, soviel war sicher. Doch zunächst galt es, sich aus dieser äußerst unangenehmen Situation zu befreien, in der tatsächlich er die Oberhand hatte. Unfassbar.

Bei unserer Aktion war mir meine Sonnenbrille ein ziemliches Stück die Nase hinab gerutscht und verdeckte nun kaum mehr meine Augen.

„Ich sagte doch, du bist zu schwach, Kaiba“, raunte er mir zu und in seiner Stimme schwang ein, mir bis dahin unbekannter Ton mit. Was war in Wheeler gefahren, dass er sich auf einmal derart gegen seine Norm verhielt? Normalerweise war er es, der vor mir den Schwanz einkniff oder sich knurrend zurückzog. Aber jetzt? Irgendetwas lief hier eindeutig falsch.

„Ich bin nicht schwach, Köter“, gab ich leise zurück.

„Und wieso bist du dann in so einer – für dich sicher wenig günstigen – Lage?“

Konnte Wheeler endlich damit aufhören, Sätze von sich zu geben, die so gar nicht zu ihm passten?

„Schwach.“

Er sollte still sein. Ich war nie schwach. Ein Seto Kaiba zeigte niemals Schwäche. Schwäche bedeutete den sicheren Tod. „Ich sage es dir noch einmal, Wheeler: Ich bin nicht schwach. Und jetzt lass mich gefälligst los!“ Ich war es, der Forderungen stellte, und er war es, der sie gefälligst zu befolgen hatte. Ein Hund widersetzte sich nicht seinem Meister.

„Warum sollte ich?“

Mein Blick wanderte an ihm vorbei, aus dem Fenster rechts neben uns und eine meiner Augenbrauen schwang in die Höhe. „Weil deine kleinen Versagerfreunde sich ihre Nasen bereits an ihren Fenstern platt drücken und nicht den Eindruck erwecken, als ob sie genau wissen wollen, was wir beide hier bereden.“

„Was?“ Sein Blick folgte meinem und ich sah, wie seine Augen sich ungläubig weiteten. Wir hatten den höchsten Punkt des Rades erreicht und einige Gondeln weiter hing Muto mitsamt dem Rest der Gruppe an dem Fenster in unsere Richtung und folgten dem Schauspiel, das wir ihnen boten gebannt und mit sichtbarer Verblüffung. Allerdings löste Wheeler nicht, wie erwartet, den Griff um mein Handgelenk, sondern richtete seinen Blick wieder auf mich und funkelte mich mit seinen braunen Augen angriffslustig an. „Was sie wohl denken, was wir hier machen.“

Mein Magen zog sich bei seinen Worten unangenehm zusammen. „Ich lege keinen Wert darauf, es zu erfahren, Köter.“

Er sah mich lange und eindringlich an, dann löste sich sein Griff zu meiner Überraschung und er gab mich frei, blieb jedoch noch immer dicht vor mir stehen. Ich spürte die gewohnte Wut und Abneigung in mir aufwallen. Wie ich seine Nähe doch verabscheute. Wie ich ihn doch verabscheute.

Sein Blick schien sich beinahe in meinen zu brennen und es stellte sich mir unweigerlich die Frage, was er in diesem Moment denken musste. Ich hatte mich heute – nein, ich hatte mich bereits die letzten Tage gegen meine Prinzipien verhalten, war mit Situationen konfrontiert worden, denen ich vorher nicht einmal ansatzweise begegnet war, hatte dementsprechend reagiert und das musste selbst ihm aufgefallen sein. Ich ließ mich seit dem Beginn unserer Klassenfahrt einfach zu sehr gehen. Das musste ein Ende haben, andernfalls würden sich Situationen wie diese in Zukunft sicherlich öfter ergeben. Und das wäre unverzeihlich.

Ich war es, der jedem überlegen war, dem jeder unterlegen war. Dem sich jeder fügte. Jeder, abgesehen von Wheeler. Doch er war ein Ausnahmefall, ein Staubkorn in dem, ansonsten wunderbar funktionierenden Getriebe der Kontrolle. Er würde es nicht zum bersten bringen. Nicht er.
 

Wie lange wir uns einfach nur ansahen, ohne ein weiteres Wort zu sprechen, ohne uns in irgendeiner Art Beleidigungen oder Beschimpfungen an die Köpfe zu werfen, die ununterbrochenen Blicke seiner Freunde ignorierend, wusste ich nicht zu sagen. Im Nachhinein bereute ich meine deplatzierte Gelassenheit angesichts unserer Lage, doch in diesem Moment war ich zu abgelenkt. Meine Gedanken schienen sich zu überschlagen, ich erinnerte mich nicht, vorher schon einmal in solch einer inneren Verfassung gewesen zu sein und ich schwor mir, es in Zukunft nie wieder so weit kommen zu lassen.

Diese Klassenfahrt hatte meinen Mauern Risse beschert, meiner Selbstbeherrschung unabstreitbar Schaden zugefügt und ich würde sicherlich nicht zulassen, dass es noch schlimmer werden würde. Und schon gar nicht durch Wheeler.

Durch die Fenster drang das helle Licht der Beleuchtung, die an dem Riesenrad angebracht war, beschien unsere Gesichter, tauchte seine Augen in einen ungewohnten Glanz.

„Weißt du Kaiba, wenn man dich so ansieht, sehen deine Augen bei dem Licht nicht blau, sondern schwarz aus.“

Schwarz? Es dauerte einige Augenblick, ehe ich den Sinn seiner Worte begriff. Doch kaum, dass die Erkenntnis mich übermannt hatte, verschwand mit einem Mal der Widerstand in meinem Rücken. Wir hatten, ohne, dass ich es bemerkt hatte, eine Runde vollendet und die Tür der Kabine glitt zischend zur Seite, beraubte mich des Haltes und ich verlor das Gleichgewicht. Der Fall aus der Gondel war sicherlich nicht tief, dennoch würde die Höhe ausreichen, um meinem Körper einige sichere Schäden zukommen zu lassen.

Noch während ich fiel und Wheelers Gesicht sich beinahe in Zeitlupe von meinem entfernte, fühlte ich mich in meine Träume zurückversetzt, in denen er mich vom Dach der Kaiba Corporation stieß.

Und wieder war es seine Schuld, dass ich fiel.
 

Guten Flug, Kaiba! Ich meinte sogar, seine Stimme wieder hören zu können.
 

Das Cappy rutschte mir vom Kopf, fiel vor mir dem Boden entgegen, als mit einem Mal seine Hand hervorschnellte und blitzschnell nach meiner griff. Ein Ruck ging durch meinen Körper, als der Fall unvermittelt endete und er mich abrupt zu sich hoch zog. Die schwarze Kappe landete mit einem, für meine Ohren unnatürlich dumpfen Geräusch, auf dem Steinboden vor dem Riesenrad, während ich mich einem Paar ernst funkelnden, braunen Augen gegenübersah. „Du solltest etwas besser acht geben, Kaiba, sonst brichst du dir noch den Hals.“

Ein simpler Satz, eigentlich doch so trivial, dennoch schaffte er es, die ganze Irrationalität dieser Situation wiederzugeben und mich aus meiner paradoxen Erstarrung zu reißen, die mich unmittelbar nach seinem Eingriff befallen zu haben schien. Harsch riss ich mich von ihm los, machte ohne ein Wort des Dankes – immerhin war er es, der für meinen Fall verantwortlich gewesen war - kehrt und verließ die Gondel. In einer fließenden Bewegung beugte ich mich hinab, griff nach der Kappe und setzte sie mir wieder auf, nachdem ich sie beinahe überflüssigerweise von dem imaginären Staub befreit hatte. Wheeler keines weiteren Blickes mehr würdigend, ließ ich das Riesenrad und die Absperrung hinter mir, blendete die verblüfften und sprachlosen Gesichter meiner Mitschüler gekonnt aus und machte mich kommentarlos auf den ‚Heimweg’, zurück zur Herberge, nicht darauf achtend, ob mir jemand folgte oder nicht. Es würde ohnehin niemand wagen, mich aufzuhalten - weder einer der Schüler, noch meine Lehrer.

Hinter mir strahlte das Riesenrad in die dunkle Nacht.

In diesem Augenblick wusste mein Hass nicht, worauf er sich richten sollte. Auf das Objekt, dass mich beinahe meiner letzten rationalen Sinne beraubt hatte, oder auf Wheeler, dem diese Aufgabe ohnedies zuteil kam und der mich als einziger Mensch in meinem Leben dazu brachte, zu bereuen, keinen Waffenschein zu besitzen - wie gerne würde ich bei ihm doch Gebrauch dieses Privilegs machen, so sehr dies auch meinem Image schaden könnte.

Ich schob die Sonnebrille ein Stück nach oben, bevor ich sie fluchend herunter riss und achtlos neben mir auf den Boden warf, während ich meinen Weg unbeirrt fortsetzte, dabei den Tag verfluchend, an dem mir Joey Wheeler - Schrecken meiner traumvollen Nächte - zum ersten Mal begegnet war.
 

*~*~*
 

The deeper the blues

The more I see black

Sweeter the brew the feeling starts coming back

All the deepest blues are black
 

*~*~*
 

(Foo Fighters – The Deepest Blues Are Black)



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Kommentare zu diesem Kapitel (24)
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Von:  lilac
2013-09-10T21:59:09+00:00 10.09.2013 23:59
Joey mal so ungewohnt ...stark.
Schönes Kapitel.
Von:  Yamis-Lady
2008-05-23T21:40:36+00:00 23.05.2008 23:40
*pfeif*
von einer anderes gondel aus müssen joey und seto wirklich 'anders' gewirkt haben, als es in wirklichkeit war...
*g*

wie auch die anderen kapitel zuvor, war auch dieses hier superspitzenklasse!! >///<
der arme seto wird in zukunft genug von freizeitparks haben... vorallem von achterbahnen; seine gefühlswelt muss mittlerweile schon hunderte loopings hinter sich haben...

joey stellst du auch klasse dar!!
ich mag es, wie er sich immer wieder zwischen seto und dessen schutzwall drängt >///<
und diese ganzen wortgefechte; einfach herrlich! XD

auf die fortsetzung bin ich diesmal besonders gespannt...
und vorallem...
ob seto joey jemals von diesem traum erzählen wird oÔ
Von: abgemeldet
2007-10-17T12:50:32+00:00 17.10.2007 14:50
GENIAL!
Ich hab mir schon gedacht, das du Kaiba der Gondel (fast) runterschmeißt XDD Echt, Joey wird von Kap zu Kap dreister und ich glaube, Seto braucht nach der Klassenfahrt ne Therapie Ö___ö Gott, du kannst soooo guuutt schreiben Ö.ö Die zwei kommen sich imemr näher, besonders süß fand ich die stelle, wo kaiba joey beobachtet hat, ihn schon anfing zu analysieren, sich wieder wegdrehte und dacht WTF XD, jedoch nochmal rüberspähte XD

mach weiter so!
Von: abgemeldet
2007-10-09T17:17:37+00:00 09.10.2007 19:17
Wow!
Ich hab wirklich eine Gänsehaut. Joey ist so cool!
Mein Gott. Ich kann nicht sagen, was mir besser gefallen hat.
Joey, wie er Kaiba an die Tür gedrückt hat oder Kaiba, wie er Joey an die Tür gedrückt hat^^
Diese FF wird immer besser und ich bereue es wirklich, sie erst jetzt zu lesen.
Lg^^b
Von: abgemeldet
2007-08-24T20:49:07+00:00 24.08.2007 22:49
Das ist echt ein krassen Kap! *staun*

Geil wieder mal geschrieben! *einfach spitze*

*hehehehe*

Besonders die Situation wie Joey Kaiba rauf zieht find ich krass, hätt ich von ihm jetzt nicht gedacht, das er ihm auch noch hilft! *smile*

Aber du schreibst so geil in Kaibas Sicht!

Einfach super hinbekommen, ich freu mich schon auf das nächste Kap! *vorfreu*

by by

Mimi
Von: abgemeldet
2007-03-25T19:16:40+00:00 25.03.2007 21:16
Einfach nur geil!!!!!
Hammer vorallem die Stelle, wo Seto aus der Gondel fällt, naja, fast fällt. Sonst hätten wir ja nix mehr von ihm. Sag bescheidt, wenn ein neues Pitel on kommt, ja? thx
*flausch*
chu
eule °v°
Von: abgemeldet
2007-03-06T16:23:10+00:00 06.03.2007 17:23
das war echt klasse!!*verbeug*
schreib schnell weiter^^

dat Uke
Von:  Schreiberling
2007-01-17T12:58:06+00:00 17.01.2007 13:58
Es geht hier ja lustig weiter.
Am besten fand ich die Vorstellung, wie Yugi und die anderen sich an ihrer Gondel die Nasen platt drücken. Zum Totlachen.
Kaiba tut mir aber irgendwie leid.
Der weiß ja gar nichts mehr mit allem anzufangen und ist voll durch den Wind.
Ob Joey weiß, was er da provoziert?
Freu mich schon auf den nächsten Teil und ärger dich nicht zu viel wegen Mexx.
Von: abgemeldet
2007-01-16T14:17:51+00:00 16.01.2007 15:17
waaah! echt gut!!!!!! also.. das hast du echt extrem gut gescrieben.... aber da geschieht doch noch mehr, oder?
lg YSD
Von: abgemeldet
2007-01-15T18:47:22+00:00 15.01.2007 19:47
das war mal wieder ein Kapi zum arsch ablachen und nachdenken, echt super gelungen.
schreib schnell weiter ich freu mich drauf!!!!!!!!
schreibst mir dann ne ens????
lg

Latura


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