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Falter-chans Schreibstube, Episode 7: Erzählperspektiven III - die personale Auktorialität. Oder so. Er/sie/es-Erzähler. Fanfiction, Schreibstube, Schreibtipps, Schreifalter

Autor:  Kore

Willkommen zurück in Falter-chans Schreibstube =) Falter-chan hofft, dass ihr zwei schöne Wochen verbracht hat, und wünscht euch viel Spaß (und vielleicht den ein oder anderen Lernerfolg) bei der heutigen Episode. Die wird sich heute mit dem dritten und letzten Teil unserer kleinen Erzählperspektiven-Reihe befassen – er, sie, es. Aka: personaler und auktorialer Erzähler.

Zuvor aber noch das Disclaimer:

bei Falter-chans Schreibstube geht es um Ratschläge zur Verbesserung von Qualitätsproblemen, die im FF-Archiv häufig sind. Es geht weder darum, die Leser zu großen Literaten zu machen, noch darum, Autoren, Fandoms, Schreibstile oder FFs schlecht zu machen oder zu demütigen. Der Weblog spiegelt allein die Meinung der Verfasser wieder. Schreiben ist natürlich eine Kunst, und Kunst ist flexibel – aber Qualität gibt’s halt trotzdem.


Aber fangen wir doch vorne an:


1. Was ist eigentlich ein Erzähler?

Dies ist die Geschichte von Gary Stue, einem FF-Charakter, der gerade eine Rolle in einer Badfic an Mary Sue verloren hat. Gary Stue ärgert sich, denn es ist im relativ egal, wie gut oder schlecht eine FF ist – Hauptsache, er ist der Held.

Der Erzähler ist in den meisten Texten eine recht körperlose Angelegenheit. Die Ausnahme bildet der Ich-Erzähler, in dem Erzähler und Charakter-durch-dessen-Sicht-wir-alles-sehen (ab jetzt der Einfachheit halber Fokuscharakter genannt) praktischerweise eine Einheit sind. In allen anderen Fällen ist der Erzähler eine Art implizierter Autor,* der nicht selbst als Charakter auftritt (Ausnahmen bestätigen die Regel: Breakfast for Champions!), sondern eben der Mittler zwischen Leser und Inhalt ist. Achtung: der Erzähler ist NICHT der Charakter, aus dessen Sichtweise man die Geschichte wahrnimmt (außer beim Ich-Erzähler). Der Erzähler ist das Wesen, das schreibt.

In dem Beispiel oben wären also:

  • der Erzähler: die kleine Stimme, die aus Gary Stues Kopf heraus den Leser (mehr oder weniger direkt) adressiert und erzählt, was passiert. Er ist sich dessen bewusst, dass es eine Geschichte und Leser gibt.

  • der Fokuscharakter: Gary Stue, dessen Gedanken wir kennen. Er kennt nur seine Welt, und weiß nicht, dass es eine Geschichte gibt.


2. Die personale Erzählform.

Mary Sue verabschiedete sich vom freundlich winkenden FF-Autor und schritt selbstzufrieden lächelnd den Gang entlang. Gary Stue sah ihr missmutig hinterher. Er hatte die Rolle in dieser FF gewollt! Seine Freunde sagten zwar, es sei eine Badfic, aber Gary Stue war das relativ egal. Hauptsache, er war der Held.

In der personalen Erzählform folgt der Erzähler nur einem Charakter und berichtet (mehr oder weniger offensichtlich) „durch dessen Brille“. Was dieser Charakter nicht weiß, nicht wahrnimmt oder nicht versteht, weiß, nimmt wahr oder versteht auch der Erzähler und damit (zumindest auf den ersten Blick) auch der Leser nicht. Dadurch wird der Erzähler als 'Sortierer' (von Info, von Bewertung, etc) für den Leser unwichtig, und der Erzähler wird hinter dem Fokuscharakter fast unsichtbar. Darum verwechseln auch so viele Leute Erzähler und Fokuscharakter ;)

Die personale Erzählform ist also ein ziemlich weites Feld, denn Ich und Du fallen ebenso wie viele Er/Sie/Es-Erzähler in diese Schiene – was der Ich-Erzähler nicht weiß, kann er nicht berichten. Etc. Siehe dafür die Schreibstuben-Episoden 3 und 5. Ein paar Beispiele für personal erzählte Bücher findest du unter dem Cut.

Spoiler
  • Die Tribute von Panem, Twilight, etc. Ich-Erzähler, damit automatisch personalisiert.
  • alles von Wolfgang Hohlbein. Dieser Autor verwendet immer einen personalisierten Er/Sie-Erzähler mit einem einzigen Fokuscharakter, durch dessen „Kopf“ der Leser alles sieht, hört und wahrnimmt, was im Buch geschieht, und der im auch sagt, wie das zu deuten/verstehen/finden ist.
  • Lied von Eis und Feuer. Personale Er- und Sie-Erzähler. Und wenn du dir jetzt denkt „WTF? Das wechselt da doch jedes Kapitel! Der Erzähler kennt die Charas alle!“ - naja, halb richtig. Diese Charaktere haben alle ihre jeweiligen Erzählstränge, bestehend aus abgegrenzten Kapiteln, die theoretisch auch ohne den Rest des Buches bestehen könnten. Und innerhalb dieser Erzählungen ist der jeweilige Charakter der einzige Fokuspunkt. In diesem Fall haben wir also sozusagen eine Reihe von personalen Erzählern, die sich abwechseln.
  • Harry Potter. Eine Mischung aus den zwei letzten Beispielen. Für den Großteil der Serie ist Harry ganz klar unser einziger Fokus, der uns nicht nur sagt, was passiert, sondern auch, wie wir das zu finden haben (Stichwort Snape). Allerdings gibt es ein paar Kapitel, in denen der Erzähler sich unabhängig macht, und ohne Harry auf Reisen geht. Das wären, unter anderen, das allererste Kapitel oder das Kapitel im Riddle-Haus (auktorial!).

Die meisten Bücher pendeln irgendwo zwischen den Formen von HP und Lied von Eis und Feuer: sie haben zwar ein, zwei, drei Fokus-Charaktere, aber zwischen diesen können sie beliebig switchen. Meist je Kapitel, seltener auch innerhalb von Kapiteln – dann aber klar durch Absätze markiert. Hierbei ist aber wichtig, dass das Innenleben von Charakteren, die gerade nicht im Fokus stehen (auch wenn sie an anderer Stelle Foki sind) im dunkeln bleibt. Im Allgemeinen wird jede Szene nur aus einer Sicht geschildert!

Im Beispiel oben haben wir damit:

  • den Erzähler: die Stimme die Gary Stues Kopf, die erzählt, was passiert. Er weiß zwar nach wie vor, dass er mit Lesern kommuniziert, bringt sich selbst aber nicht ein, spricht den Leser nicht an, etc → er ist fast unsichtbar. Ziel dieser Erzähltechnik ist es, dass sich der Leser 'näher dran' an Figuren und Geschehen fühlt.

  • den Fokuscharakter: Gary Stue, dessen Gedanken wir kennen, und dessen Wertungen ('selbstzufrieden'!) wir übernehmen.

  • andere Charaktere: Mary Sue und den FF-Autor, über die wir nur wissen, was Gary Stue an ihnen wahrnimmt.


3. Die auktoriale Erzählform.

Mary Sue verabschiedete sich vom freundlich winkenden FF-Autor und schritt lächelnd den Gang hinunter. Insgeheim fragte sie sich zwar, womit sie es verdient hatte, schon wieder eine Badfic zu drehen, aber besser als Hartz 4 fand sie es allemal. Mary Sue sollte ihre Meinung in diesem Punkt allerdings noch ändern, wenn sie das Skript erhielt. Gary Stue sah ihr indessen missmutig hinterher. Er hatten die Rolle in dieser FF gewollt! Seine Freunde sagten zwar, es sei eine Badfic, aber Gary Stue war das relativ egal. Hauptsache, er war der Held.

In der auktorialen Erzählform weiß der Erzähler, anders als in der beschränkenden personalen Form, was alle Charaktere tun, sagen, denken und fühlen, und kann (muss aber nicht!) auch all das dem Leser mitteilen. Er kann auch innerhalb einer Szene oder eines Absatzes auf mehrere Charaktere eingehen. Ein recht klares Indiz für einen auktorialen Erzähler ist es also, wenn der Leser mehr weiß als die Hauptcharaktere. Ob der Erzähler dabei „selbstbewusst“ schreibt, also eigene Wertungen abgibt, sich selbst als Bewusstsein wahrnimmt und einbringt, etc, oder nicht, bleibt dabei dem Autor überlassen. Beides ist möglich. Beispiele unter dem Cut.

Spoiler
  • Ein sehr gutes, weil bildliches Beispiel für den auktorialen Erzählstil ist die Serie Desperate Housewives – die Erzählerin hier war tatsächlich mal ein Charakter, allerdings stirbt sie schon in der ersten Szene und kommentiert von da an aus dem Jenseits. Und von da aus ist man ja allwissend. Man sieht alle, man kennt alle, und Raum und Zeit (!) sind auch nur noch eher Deko. Heißt: Flashbacks sind absolut kein Problem.
  • In geschriebener Form findet man den auktorialer Erzähler in Massen im 19. Jahrhundert. Dickens und Goethe schreiben zum Beispiel auktorial – und kommentierend. Sie geben dem Leser damit Tipps zur 'richtigen' Interpretation der Charaktere und Ereignisse, statt ihn/sie die Schlüsse selbst ziehen zu lassen. Dieses Merkmal ist aber inzwischen relativ out geworden: die meisten auktorialen Erzähler sind als Wesen inzwischen ebenso unsichtbar wie die personalen Erzähler.
  • Auch die Bibel ist auktorial erzählt. Super-auktorial sogar, denn hier weiß der Erzähler sogar, was Gott denkt und will. Allerdings kommentiert der auktoriale Erzähler hier nicht, und bringt sich und seine Meinung nicht mit ein. Er verschwindet in seinem Werk – darum kamen die Leute ja auch überhaupt erst auf die glorreiche Idee, Gott hätte sie selbst geschrieben.

Im Beispiel oben hätten wir damit:

  • den Erzähler: die Stimme, die uns erzählt, was passiert. Er weiß alles (also zB auch, was der FF-Autor denkt, auch wenn er das nicht sagt), er wählt aus, was wichtig ist und was nicht, und er kann zu diesem Zweck auch Raum und Zeit ('später') überbrücken. Muss er nicht, kann er aber.

  • Charaktere: Gary Stue und Mary Sue, deren beider Gedanken wir kennen – und zwar innerhalb derselben Szene – und den FF-Autor, dessen Gedanken der Leser nicht kennt.


Alle Klarheiten beseitigt? Gut.

Ja super, Falter-chan – und was bringt das jetzt für mich und meine FFs?

Tja, lieber Leser. Das ist die große Frage. Was Falter-chan erreichen wollte, war, dass du darüber nachdenkst, was du eigentlich erzählen willst, bevor du das nächste mal drauf los tippst. Einen auktorialen Erzähler zu haben heißt nicht, dass du deinen Lesern auch die Einschätzung des dritten Statisten von links geben musst – er heißt, dass du es kannst, wenn du willst. Auch ein auktorialer Erzähler kann sich darauf beschränken, in zwei Köpfe zu gucken. Anders als der personale Erzähler braucht er dafür aber nicht erst groß eine Kennzeichnung, sondern er kann es quasi gleichzeitig tun.

Das heißt: wenn du weißt, dass in deiner FF ohnehin aus der Sicht von zwei Charakteren erzählt wird (nennen wir sie mal, vollkommen ohne Hintergedanken, Seme und Uke), und das ständig, dann könnte es sehr gut sein, dass du gar nicht alle zwei Absätze ein ~Seme POV Ende! Uke POV beginnt!~ einfügen musst, weil deine FF durch die ständigen Wechsel schon ganz von selbst längst auktorial geworden ist. Weil nämlich der Leser immer weiß, was in beiden Charakteren vor sich geht.


Damit verabschiedet sich Falter-chan auch schon wieder für zwei Wochen. Euch allen eine schöne Zeit, und liebe Schüler: verzweifelt nicht über die Semesterzeugnisse =) Liebe Studenten: ihr durchaus =P


* für Anhänger von Booth: ja, ich bin mir der Unterscheidung zwischen impliziertem Autor und Erzähler bewusst. Aber das würde zu kompliziert für diesen Weblog werden...

Datum: 24.01.2014 15:57
Dankeschön für diese Lehrreiche Lektion.
Da hab ich wirklich noch eine Menge aufzuholen.
Unbd danke für die Beispiele aus der Literatur. Da werd ich mir ein paar Bücher nochmal genauer ansehen.

Bis in zwei Wochen wieder^^

LG Saku^^
Es gibt viele Gründe, alles beim Alten zu lassen, und nur einen einzigen doch endlich etwas zu verändern: Du hältst es einfach nicht mehr aus!
Hans Curt Flemming
Avatar
Datum: 24.01.2014 19:35
Ich bin nun erstmalig über deine Schreibstube gestolpert und sehr von diesem lehrreichen und angenehm strukturierten Beitrag angetan.
Ich muss zugeben, ich habe mir nie besonders viele Gedanken darüber gemacht in welcher Erzählform ich meine kreativen Ergüsse wiedergebe (insbesondere da ich längst keine FFs mehr schreibe und mich den RPGs zugewandt habe, wo es automatisch Einschränkungen gibt), aber in Zukunft werde ich das wohl vigilanter handhaben ;)

Jedenfalls sehr informationsreich und mit Sicherheit werde ich noch öfter in deiner Schreibstube vorbeischauen.
End of Mind - Die Parodie zum RPG End of Time.

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Der Unterschied zwischen Mann und Milchbubi.



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