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Niederschlag

Autor:  -Broeckchen-
Ein paar Regentropfen prasseln gegen die Scheibe des halb geöffneten Fensters, während ich irgendwo zwischen Wut und Aufgabe das Grafiktablett zur Seite schiebe.

"Ich kann es einfach nicht.", höre ich mich niedergeschlagen sagen. Wie bei einem trotzigen kleinen Kind rinnen mir die Tränen.
Ich wollte nur Elain wieder zeichnen, die Geisterfrau, deren Bild ich durch Zufall in meiner Galerieseite wieder entdeckt habe. Wie kann etwas, das in einem ist, sich nur so zieren wieder herauszukommen?

Ich platze fast vor Bildern - nein, vor Figuren und Geschichten. Da ist so viel in mir. Ich will der Welt endlich Nikolaia vorstellen, ihre Suche nach ihrem Liebsten zeigen. Ich möchte Hannah das Märchen zeichnen, der Fee und Johanna ein Gesicht geben. Ich will diese winzige Geschichte auf Papier bringen, die mir seit einem bestimmten Moment immer wieder durch den Kopf geht - eine Kurzgeschichte vom Suchen und finden. Ganz zu schweigen von Magical Girl oder Crossover, deren Charaktere mir immer noch durch den Sinn geistern.
Aber es geht nicht.
Ich setze den Stift an und... es geht nicht!

Da ist kein Plan. Ich habe Konzepte im Kopf, aber nicht mehr. Konzepte von Farben und Charakteren und Details im Aussehen, aber das Große und Ganze bleibt unsichtbar und fließt deshalb nicht aufs Papier.
Und es macht mich krank, so krank!

Im Moment weiß ich nicht wohin und warum. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Was ich tun kann. Ich fühle mich schwach, dumm, inkompetent, ungeschickt... und das alles wäre so viel leichter, wenn ich zeichnen könnte. Nur das, sonst nichts. Wenn ich endlich wieder Bilder aufs Papier oder gar den Schirm brächte, wenn ich diese Geschichten erzählen könnte, nur das... Denn diese Geschichten gaben mir immer das Gefühl, etwas zu können. Es tut gleich weniger weh, eine Absage von einem Supermarkt zu bekommen, wenn man danach eine Comicseite fertig stellt.
Aber nun fällt dieser Trost weg.

Ich kann es einfach nicht.

Vielleicht sollte ich mich doch einfach zu einer Verkäuferin ausbilden lassen und irgendwo mein Geld vor mich hin verdienen, bis ich ausgelernt bin. Und dann weitermachen.

Aber andererseits... wenn mir das weitermachen schon bei etwas so schwer fällt, dass ich liebe - wie soll ich es dann bei etwas tun, das ich nicht mag?

Die Fensterscheibe schweigt. Und ich drucke mir ein paar Tutorials aus.

Es ist mir scheißegal, was ich kann. Ich werde das, was ich liebe, verfickt nochmal nicht aufgeben.


~~~


(Nachtrag)
Eine Stunde später.

Ich nehme einen tiefen Atemzug. Setze den Stift an. Suche die Balance zwischen Vorsicht und Geschwindigkeit. Jeder Strich muss sitzen, muss schnell gezogen sein - denn der Stift, die feine Farbnadel, ist zarter als ein Millimeter. Der Stift spürt alles und verzeiht nichts.

Die erste Strähne entsteht, die zweite folgt. Zweifel nagt an mir, als ich das Gesicht nachziehe. Das Auge links, das Auge rechts, das Kinn... Langsam arbeite ich mich nach unten vor, die Brust, die Arme, die Beine...
Zärtlich fülle ich mit der kleinen Stiftspitze die großen Augen mit schwarz, schraffiere die Unterlippe. Dass es nicht perfekt ist, kann ich spüren...

Schließlich hat das Zittern ein Ende. ich puste noch einmal auf das Bild, dann setze ich den Radiergummi an. Langsam verschwindet die Skizze unter den klaren, zarten Linien. Als ich fertig bin, sehe ich - wie jeder Zeichner am anfälligsten gegen Selbstkritik - sofort, wie asymmetrisch das Bild ist. Ein Auge ein Müh zu weit oben, eine Brust etwas zu weit eingerückt...
Es wäre zum Haareraufen. Aber ich kann den Blick nicht ganz abwenden. Und ich kann nicht umhin, zu lächeln.

Ich habe sie beileibe nicht perfekt hinbekommen. Alles andere als das. Aber die junge Frau auf dem Bild, das ist eindeutig Nikolaia. Aus ihren dunklen, großen Augen trifft mich der Blick, den ich festhalten wollte. Weltfremd, unschuldig, entschlossen, verängstigt, würdevoll... Ich habe ihren Körper ganz eindeutig verhauen. Aber ich habe ihre Seele hinbekommen.
Ich habe einen Teil ihrer Geschichte im Bild verewigt.

Endlich habe ich mal wieder das Gefühl, einen Schritt vorwärts gegangen zu sein. Ich bin über meinen Schatten gesprungen, nur im Kleinen, aber wirksam.
Und während ich mich, wie von einer üblen Last befreit, zurücklehne, erlaube ich mir endlich, stolz auf mich zu sein.
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Datum: 28.08.2010 20:18

Du hast vollkommen Recht!

De Seele ist das allerwichtigste bei den Zeichnungen.
Ein Bild kann noch so schön sein, ohne Seele ist es ein mechanisches Nichts, das niemand braucht, das irgendwo in einem Ordner schmoren wird, oder auf einer Wand verstauben. Man vergisst über dieses Bild, egal wo es ist. Ein Bild mit Seele vergisst man auch möglicherweise, vielleicht wird es auch auf der Wand verstauben oder irgendwo in den Untiefen eines Ordners verrotten, aber wenn man es wieder hinaus holt, spürt man abermals den schwachen Puls, den Hauch von Leben, den das Bild dir entgegen bringt.

Es ist wunderbar, dass du dich nicht entmutigen lässt! Das ist das Allerwichtigste!
Zirkel der Naruto-Fans in Berlin

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