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Einzelposting: Bildungsstreik


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Von:    Feenk7nig 02.12.2009 03:00
Betreff: Bildungsstreik [Antworten]
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Erstmal, ich bin dabei und stehe voll hinter der Bewegung. Ich bin sogar super froh darum, denn endlich gibt es wieder mehr Diskussionen (und mehr Leute die sich an den Diskussionen beteiligen) über gesellschaftliche Prägungen/Richtungen. Super spannend mitzuerleben.


Ich habe da auch ein paar Gedanken dazu. Erstmal muss man ja beim Bildungsbegriff anfangen:

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Was ist Bildung?
Bedeutet Bildung einfach nur etwas wissen?
So wussten die Leute vor ein paar hundert Jahren, dass die Erde eine Scheibe ist, heute wissen sie: Die Erde ist rund.
In beiden Fällen besaßen die Menschen ein Wissen. Ist das Bildung?

Wie würden Sie einen Menschen behandeln, der heute nicht weiß welche ungefähre Form die Erde hat? Zählt er in Ihren Augen als ungebildet?

Und die Menschen früher, die annahmen, die Erde sei eine Scheibe? Waren sie gebildet im Vergleich zu denen, die die Form der Erde nicht zu bestimmen wussten?
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Wer Bildung anhand solchen Wissens definiert, der definiert sie über Annahmen, die dem Menschen als Wissen vorgestellt werden (erstmal unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt). Eignet sich der Mensch diese Annahmen an, gilt er oft als gebildet.

Aber es gibt natürlich ganz unterschiedliche Auffassungen von Bildung, und der Bildungsbegriff ist stetig im Wandel, mal gehört diese mal jene Eigenschaft mit dazu.

Jedenfalls ist es mit dem reinen "Wissen über etwas zu besitzen" nicht getan.

Über den Bildungsbegriff den eine Gesellschaft setzt, kommt man auch zu einer Einschätzung, wie sie sich sieht/wie ihre Zukunft aussehen könnte.

Menschen die sich einfach nur dem Wissen (also oft Annahmen) verpflichten laufen Gefahr den Blick über den Tellerrand zu vergessen (also das Abseits von dem, was sie wissen, sie vergessen somit manchmal ihr Nicht-Wissen, dass es auch noch gibt). Und fast noch schlimmer ist es, vergessen sie die Quellenanalyse. Also das: Wer präsentiert welche Informationen und welchen Zweck könnte derjenige damit verfolgen? - so hat man um ein Beispiel zu geben inzwischen oft "bezahlte" Meinungen, die öffentlich als unabhängig in Radio/TV/Zeitungen präsentiert werden (Ein Beispiel: http://www.nachdenkseiten.de/?p=4378) und sich hier und da auch in die Wissenschaft einschleichen, wo sich ihre Bezeichnung ändert (Wissenschaftler arbeiten ja nicht mit Meinungen).

Fragen sind natürlich auch wichtig, das Erkennen des Status Quo, die Einordnung (natürlich ist das meist nur subjektiv möglich, kein Mensch kann objektiv sein, immer hat er neben dem was er weiß und kann auch den Teil, den er nicht weiß und nicht kann, und der ist zumeist ungemein größer), die Überlegungen was bestimmte Vorgänge und Strukturen für die Zukunft bewirken könnten.

Und natürlich die eigene Positionierung - die hoffentlich nicht zu oberflächlich ausfällt, sondern aufgrund Recherche und dem Interesse am "aufrichtigen Fragen", also ein Fragen, das tatsächlich darauf abzielt der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen und sich nicht mit Herleitungen oder Vorurteilen zufrieden gibt. Am besten ist es immer, mit Leuten die etwas betrifft geredet zu haben (ob nun via Internet oder Versammlung), und alle Fragen zu stellen die man hat, und nicht zu vergessen, dass sich nicht das eine zu 100% auf das andere, die Situation des einen auf die des anderen, übertragen lässt.

Und was die Medien angeht, sollte man etwas vorsichtig sein. Das geht jetzt in Richtung Medienkompetenz, ich habe immer die Befürchtung, dass diese in der Bevölkerung nicht besonders gut ausgeprägt ist. Egal was sie schreiben/zeigen, nichts davon muss tatsächlich representativ oder wahr sein. Das Fernsehen selektiert nach Bildern. Hat man z.B. 9998 friedlich demonstrierende Studenten und 2 Studenten, die z.B. ein Feuer legen - Dann wird das Fernsehen ziemlich wahrscheinlich diese zwei und das Feuer aufgreifen, representativ - die anderen 9998 friedlichen Demonstranten, die nichts damit zu tun haben, vergessend. Und je nach politischer Situation, kann es sogar sein, dass die Feuerleger nicht mal echte Studenten sein müssten, sondern bezahlt sein könnten, um der Bevölkerung Empöhrung und Ablehnung für die ganze Demo zu entlocken. Ich hoffe aber, dass wir soweit noch nicht sind, mahne aber, dass man immer achtsam sein sollte, was man glaubt und etwas vorsichtig mit Urteilen. Was irgendwo geschrieben steht oder öffentlich gezeigt wird, muss nicht stimmen.

Manchmal handelt es sich sogar um bewusste "Hetze" gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen. Gegen Studentenbewegungen gab es die auch schon mal, vielleicht sagt jemandem noch der Name Rudi Dutschke etwas. Ich zitiere mal aus dem Wikipedia Artikel:

"Am 11. April 1968 schoss der junge Hilfsarbeiter Josef Bachmann vor dem SDS-Büro am Kurfürstendamm dreimal auf Dutschke. Er traf ihn zweimal in den Kopf, einmal in die linke Schulter. [...]
Viele Studenten machten die Springerpresse für das Attentat verantwortlich, da diese zuvor monatelang gegen Dutschke und die demonstrierenden Studenten agitiert hatte. Die Boulevardzeitung Bild schrieb z. B. am 7. Februar 1968: „Man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen.“"

Ich hoffe, dass es nicht nochmal gelingt, Menschen derart gegeneinander auszuspielen. Und man muss immer bedenken, dass es gerade in Deutschland schon oft zu eskalierenden Zuständen kam, was bestimmte Bevölkerungsteile und deren Verhältnis zueinander angeht. Und viele von uns meinen ja auch heute, wir hätten eine Pressefreiheit bzw. auch einen unabhängigen und freien Journalismus und was offiziell ausgegeben wird, kann unhinterfragt übernommen werden. Ich würde da etwas vorsichtig sein, denn auch früher dachten die Leute, das was ihre Regierung macht, ist für sie das richtige, und was in Druck oder auf Sendung geht wahr und vertretbar.

Allgemein finde ich, ist derzeit wieder ein etwas kühles Klima zu vernehmen, es gibt zu häufig Verachtung und Unverständnis, man ist mit den Lebenssituationen verschiedener Bevölkerungsteile nicht mehr vertraut. Viele Menschen setzen die eigene Situation als Maßstab für alle an, und vergessen, dass sich das Leben und die Situation eines jeden, selbst wenn diese auf den ersten Blick gleich erscheinen, sehr unterscheiden kann.

Das war jetzt ein ziemlich allgemein gehaltener Text, noch eine persönliche Bemerkung: Ich war auch mit einen Hörsaal besetzen und es war eine super interessante, lehrreiche Sache. Es war erstaunlich mitzuerleben wie alles in Gruppen organisiert wird, die einen kümmern sich um die Schlafbereiche und Möglichkeiten, die anderen um das Essen, wieder andere halten Wache etc. alles wurde gemeinsam abgestimmt, alle beteiligten sich freiwillig und übernahmen Verantwortung für bestimmte Bereiche. Beeindruckend war auch der Rahmen für Diskussionen und Austausch, der sich mit einem Mal ergab. Man traf aufeinander und redete und plante und organisierte und dachte nach. Als der Raum schließlich von der Polizei geräumt wurde, spürte ich schon ein arges Bedauern, er war eine kleine Insel der Freiheit gewesen, der erste Raum in der Uni, mit dem ich mich verbunden fühlte, eine Art Zuhause mit einer großen Familie an weiteren Studenten und interessanten Menschen aus anderen Bereichen (z.B. Schüler und ein Hartz4-Empfänger, der nochmal ganz andere Informationen in die Diskussionen einbringen konnte, denn oft bleibt einem diese Lebenssituation ja verborgen). Zu Zeiten der Besetzung des Raums versuchte ich soviel Zeit wie möglich dort zu verbringen (natürlich war ich nicht immer da, Nebenjob und Seminare nahm ich wahr) und ich bin wirklich froh, dass ich diese lehrreichen und interessanten Tage miterlebt habe.

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Ich möchte an dieser Stelle ein paar Links zum Thema einwerfen, einfach, weil ich die Texte (bzw. Videos + sehenswert) zu denen sie hinführen für lesenswert halte.

"Geschichte und Funktion des dreigliedrigen Schulsystems"
http://www.studis-online.de/HoPo/Bildungsstreik/schulstruktur.php

"An Thüringer Universitäten werden Studierende von Sozialhilfebeziehern ausgebildet."
http://www.jungewelt.de/2009/12-01/025.php

"Revolte ohne Gegner" (kurzes Video)
http://www.br-online.de/bayerisches-fernsehen/quer/quer-video-bildungsstreik-ID1258668798842.xml

Wikipedia-Artikel zum Thema Bildung
http://de.wikipedia.org/wiki/Bildung

Ein ganzer Webauftritt der sich mit dem Thema Bildung beschäftigt
http://www.bildung-fuer-deutschland.de/bildung-in-deutschland.html

WDR Lokalzeit Video Frank Schätzing
http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/rueckschau/2009/11/27/lokalzeit_koeln.xml?offset=568&autoPlay=true

"Private Bildungsvorsorge per "Zukunftskonto"?"
http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=in&dig=2009%2F11%2F24%2Fa0146&cHash=7318490d29/&type=98

Kölner Erklärung der Lehrenden
http://www.bildungsstreik-koeln.de/koelner-erklaerung

"Mut zur Wut"
http://www.bildungsstreik.net/mut-zur-wut/

"Man setzt auf Zwang statt auf Anreize"
http://www.zeit.de/2009/49/Studentenbild?page=2

"Uni-Streik: für bessere Bildung oder für weniger Stress?" Artikel + Kommentare lesen
http://www.novo-argumente.com/magazin.php/novo_notizen/artikel/000157

"Auf den ersten Blick sieht der Bachelor gar nicht so schlimm aus"
http://www.taz.de/1/zukunft/wissen/artikel/1/die-dozenten-hatten-keinen-schimmer/?type=98
"Edel sei der Mensch, hilfreich und gut" ~ Goethe ~
Zuletzt geändert: 02.12.2009 03:26:43

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