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Wolfsherz

In den Augen des Tigers
von

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Der Wolf in der Falle

»Cut! Das war’s für heute«, hörte ich den Direktor sagen und es wie Musik in meinen Ohren. Ein langer 12-stündiger Drehtag ging zu Ende und es wurde auch Zeit. Ich ließ mich gerade in der Maske abschminken, sah im Spiegel wie ich wieder der wurde, der ich eigentlich bin. Meine müden, grünen Augen betrachteten mich, meine blonden Haare rührten sich wegen des vielen Haarsprays kein Stück. Lange blieb ich nicht allein, da kam mein Manager rein. Ich wusste, dass er immer sehr professionell wirken wollte, mit dem Anzug und dem Handy. Doch wer ihn besser kannte, wusste, dass es null zu ihm passte.

»Gute Arbeit, Cai. Nicht mehr lange, dann sind die Dreharbeiten abgeschlossen.«

Ich war noch nicht lange Schauspieler und das hier war die erste Hauptrolle, die ich bekommen hatte. Gerade hier in Amerika war es nicht leicht, sich unter den ganzen Stars und Sternchen durchzusetzen. Noch schwerer war es, in der Masse aufzufallen. Die einzige Möglichkeit war es zu sehr vielen Vorsprechen zu gehen und auf diesem Wege eine Rolle zu bekommen, die ein bisschen größer war. Ich glaubte, dass das, was ich tat, schon in die richtige Richtung ging, auch wenn es ein verdammt anstrengender Job war. Szenenwiederholungen, Setwechsel und die langen Tage.

»Alles klar. Ich fahr‘ dann gleich nach Hause« informierte ich ihn. Normalerweise würde er mir einen schönen Abend wünschen und gehen. Stattdessen stand er weiterhin da, begann nervös seinen Anzug zu richten. Auch wenn ich ihn meinen Manager nannte, waren wir mittlerweile eher Freunde, da er mich schon seit dem Beginn meiner Karriere begleitete. Daher sollte er auch wissen, dass er vor mir nichts verheimlichen konnte.

»Schieß‘ los«, befahl ich ihm. Mir fielen fast die Augen zu, also wollte ich es schnell hinter mich bringen.

»Heute morgen habe ich eine Jobanfrage reinbekommen«, begann er und die Müdigkeit wich sofort von mir. Das waren super Neuigkeiten, warum war er so nervös?

»Sie wollen dich als Hauptdarsteller, ohne Vorsprechen oder Casting. Es ist eine thailändische Produktion, die in Bangkok gedreht wird, allerdings…«

Eine Hauptrolle? Ohne Casting? In Thailand? Ich konnte mich kaum halten vor Freude, das war als würde mein Traum gerade eben wahr werden! Ich wollte schon immer bei einer ausländischen Produktion mitwirken, vor allem in Asien. Schnell packte ich meine Sachen zusammen, um doch noch irgendwann nach Hause zu kommen. Mit seinem Arm hielt Ray mich auf, als ich schon fast zur Tür raus war.

»Warte. Willst du dir nicht wenigstens das Drehbuch anschauen?«

Das war die gängige Praxis, aber ich war zu aufgeregt und dachte keine Sekunde darüber nach, das Angebot abzulehnen. Ich winkte ab: »Ach, sag‘ einfach zu. Die werden schon wissen, was sie tun.«
 

Zwei Monate später saß ich mit Ray im Flieger nach Thailand. Endlich! Vor Drehbeginn war ich immer aufgeregt, diesmal aber ganz besonders. Es war meine erste richtige Reise ins Ausland. In der Zwischenzeit hatte ich mir einige Grundkenntnisse in der Sprache angeeignet, auch wenn ich beim Dreh englisch benutzen durfte. So viel wusste ich schon. Ray hatte immer wieder versucht, mir das Drehbuch unterzujubeln, doch ich ließ ihn nicht. Riskant, ich weiß. Doch ich würde es schon noch früh genug lesen.

»Bist du wirklich sicher, dass du das machen willst?«, fragte er mich schon gefühlt das hundertste Mal.

»Ja. Später unterschreibe ich ohnehin den Vertrag.«

Vielleicht lag seine Nervosität darin begründet, dass es meine erste Produktion im Ausland war. Allzu komische Serien würde er schon nicht annehmen.

Freundlich stieß ich ihm in die Seite: »Entspann‘ dich. Ich werde dich schon nicht lynchen.«

Plötzlich drehte er sich zu mir, zeigte mit dem Finger auf mich: »Versprich‘ es! Egal, was das für eine Serie ist, du wirst hinterher nicht sagen, dass es meine Schuld war!«

Ich lachte: »Wenn es dich beruhigt, verspreche ich es.«

Tatsächlich ließ er sich danach in seinen Sitz gleiten, sah gleich etwas entspannter aus. Irgendetwas musste anders sein als sonst, denn Ray war immer sehr sicher in Projekten. Ich zuckte mit den Schultern, verwarf diesen Gedanken und beschloss, mich auf die Reise zu konzentrieren. Wir würden für etwas mehr als drei Monate dortbleiben. Mir war schon klar, dass ein Dreh nicht mit Urlaub zu vergleich war, trotzdem fühlte es sich genauso an.

»Endlich komme ich mal ins Ausland! Ich kann es kaum abwarten!«, sagte ich aufgeregt.

Ray schmunzelte: »Das habe ich gemerkt. Ich musste nur Thailand sagen und du warst sofort dabei.«

»Es ist mein Traum, Ray. Wie könnte ich da nein sagen? Wenn dir jemand eine Million Dollar schenkt, würdest du es auch nicht ablehnen«, erklärte ich verträumt. Nicht nur, dass es meiner Karriere guttun würde, schon als Kind hatte ich diese gewisse Faszination für Asien entwickelt. Durch das Studium und den Job hatte ich aber bisher weder die Zeit noch das Geld gehabt, Asien zu bereisen.
 

Nach einem gefühlt endlos langen Flug, den obligatorischen Checks und Transfers, kamen wir am nächsten Tag abends am Hotel an. Das würde unser Zuhause für die nächsten Monate werden. Der Sender TMM TV bezahlte alles, dementsprechend luxuriös sah es aus. Schon im Foyer lag bordeauxroter Teppich, das Licht war gedimmt und irgendwo spielte leise Jazz-Musik. Alle Oberflächen waren aus Marmor. Ray und ich nickten uns anerkennend zu. Das war auf jeden Fall mal ein Upgrade zu den Motels, in denen ich sonst unterkam. An der Rezeption wurden wir von einem Herren im Anzug empfangen, der uns sofort erkannte und eincheckte. Zum Glück kühlte die Klimaanlage das Hotel schön runter, denn obwohl wir abends angekommen waren, war es noch ziemlich heiß draußen. Ray hatte das Zimmer direkt neben mir, netterweise wurden wir vom Sender in Suiten einquartiert. Das Team hatten wir über unsere Ankunft informiert, doch sie wollten uns nicht im Hotel treffen, weil es zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Mir war das mehr als Recht. Ich sah mich in meiner Suite um, es war das erste Mal, dass es sich anfühlte, als wäre man ein richtiger Star. Wunderschöner Ausblick auf die nächtliche Kulisse in Bangkok, hochwertige Sofas, mehrere Räume, eine riesige Dusche und natürlich alles mit Teppichboden und Marmor verkleidet. Ich stellte mir vor, wie man mich zur Oscar-Verleihung auf dem roten Teppich empfangen würde und ich vorne vor den ganzen Berühmtheiten meine Rede halten würde. Meine Müdigkeit und der Jetlag holten mich jedoch schnell ins Hier und Jetzt zurück. Ich duschte schnell und legte mich ins Bett. Morgen würden wir den Vertrag unterschreiben, dafür musste ich fit sein.
 

Am nächsten Morgen fuhren Ray und ich schon früh zum Sender, ich gab mir Mühe, war aber noch nicht ganz wach. Wir fuhren in eine Tiefgarage eines sehr großen Gebäudes mitten in der Stadt. Die Fahrt zum Sender hatte nicht lange gedauert, was natürlich von Vorteil war. Auch hier wurden wir an der Rezeption erwartet, bekamen unsere Ausweise und wurden in einen kleinen Raum gebracht. Dieser war jedoch eher unspektakulär. Weiße Wände, in der Mitte ein großer Tisch mit mehreren Stühlen. Wie ein Besprechungsraum einer normalen Firma. Doch es gab eine kleine Besonderheit, dann an jedem Platz standen Namensschilder. An meinen Platz stand: »MC „Wolf“ Caiden Gresson.« Wolf? Das war dann wohl der Name des Charakters, den ich spielen würde. Cool. Hinter das Schild hatten sie eine Karte gestellt, auf der stand: »Willkommen in Thailand ♥« Noch dazu hatten sie verschiedene Getränke und Snacks an jeden Platz gestellt. Bei mir stand außerdem noch eine kleine Plüschfigur, die so aussah wie ich und eine thailändische Flagge in der Hand hielt. Ich nahm die Figur an mich, um sie mir genauer anzusehen. Ich hielt sie neben mein Gesicht und machte ein Selfie. Auch Ray staunte nicht schlecht: »Das nenne ich mal einen netten Empfang.«

Wir setzten uns, nach und nach kamen auch die anderen Leute, von denen ich ausging, dass es die Darsteller waren. Ohne etwas zu sagen, setzten sie sich auf ihre Plätze. Ich nahm nur leise war, dass manche sich untereinander auf Thai unterhielten, was für mich natürlich noch nicht zu verstehen war. Ab und zu warfen sie mir neugierige Blicke zu. Es waren so viele neue Gesichter, dass ich die Leute alle gar nicht zuordnen konnte. Als alle saßen, blieb nur der Platz neben mir frei. Der Mann von Sender sagte auf Englisch:

»Gut, wir waren noch auf unseren weiteren Hauptdarsteller, dann können wir mit der Unterzeichnung beginnen.«

Wie auf Kommando ging die Tür auf und alle Blicke richteten sich dorthin. Ein schlanker, junger Mann mit tiefschwarzem Haar trat in den Raum. Mein Blick blieb direkt an seinen Augen hängen, für eine Sekunde sahen wir uns an. Ich konnte es nicht erklären, aber über die Jahre hatte ich diese seltsame Faszination für asiatische Augen entwickelt. Er trug ein weißes Hemd mit einem Logo, eine schwarze Hose mit schwarzem Gürtel und schwarzen Schuhen. Wie ich mittlerweile wusste, war das das typische Outfit einer thailändischen Uni. Er nahm seine Umhängetasche ab und entschuldigte sich dafür, dass er zu spät war. Er setzte sich neben mich, nickte mir kurz zu. Ich nickte zurück. Der Mann vom Sender stellte sich als P’Star von TMM TV vor und sagte: »Da wir nun vollständig sind, möchte ich, dass sich die zukünftigen Darsteller einmal kurz vorstellen. Ab jetzt bitte nur noch auf Englisch.«

Mein Sitznachbar stand auf: »Freut mich euch kennenzulernen. Mein Name ist Natthapon Ayutthaya, mein Spitzname ist Seua. Ich bin 24 Jahre alt und zurzeit Student.« Für einen Moment war ich überrascht von seinem perfektem Englisch. Er hatte nicht mal einen Akzent! Wahrscheinlich sprach er sogar besser Englisch als ich. Nach ihm sollte ich mich vorstellen: »Mein Name ist Caiden Gresson, gerne auch Cai. Ich bin 23 Jahre alt und Schauspieler aus den USA.« Ich fühlte mich seltsam, weil mich alle anstarrten, als wäre ich eine seltene Trophäe. Doch dann lächelten sie und klatschten.
 

Direkt im Anschluss wurden uns die Verträge auf Englisch und Thai ausgehändigt. Ray nahm den Vertrag sofort an sich, ich nahm ihm den aber sofort wieder ab. Statt ihn zu lesen, unterschrieb ich einfach. Ich war hier, war Teil des Teams, da würde ich doch nicht jetzt noch einen Rückzieher machen. Ray nahm zumindest die Kopie an sich, die er mit hochgezogenen Augenbrauen las. Neben dem Vertrag hatten wir auch einen Zeitplan und eine Kopie des Drehbuchs bekommen. Der Zeitplan sah schon direkt Programm am nächsten Tag vor, nämlich das Lesen des Drehbuchs, ein Fotoshooting für das Cover, sowie eine Party am Strand. Uff, die verschwendeten wirklich keine Sekunde.

»Für heute haben wir alles Wichtige besprochen. Wir ihr schon gesehen habt, möchten wir morgen eine Kennlernparty für das Team machen, es wäre schön, wenn alle kommen könnten«, schloss P’Star. Ich packte meine Sachen zusammen, bedankte mich bei allen für die Geschenke.
 

Ray und ich machten uns auf den Weg zurück zum Hotel. Es war zwar noch früh, aber ich wollte mich entsprechend auf die kommenden Tage vorbereiten, also beschlossen wir, den Tag im Hotel zu verbringen. Vor meinem Zimmer drückte Ray mir die Unterlagen in die Hand: »Tu‘ mir den Gefallen und ließ wenigstens jetzt das Drehbuch.«

»Klar.«

Spätestens jetzt musste ich mich auf die Rolle vorbereiten und genau das hatte ich vor. Ich verabschiedete ihn an der Tür und er verschwand auf seinem Zimmer. Ich wollte gerade in mein eigenes Zimmer gehen, da ging die Tür gegenüber auf. Es war Seua. Nachbarn waren wir also auch.

»Auf gute Zusammenarbeit!«, sagte ich und lächelte ihn an. Er grinste: »Ganz meinerseits. Ich hoffe, du weißt, worauf du dich eingelassen hast«, dann ließ er seine Tür ins Schloss fallen. Keine Ahnung, was er mir damit sagen wollte. Ich beschloss es zu ignorieren, machte es mir auf der Couch gemütlich und nahm das Drehbuch zur Hand. Der Titel war: »Wolfsherz«, kitschig, aber auch irgendwie mysteriös. Da es zu lang war, ganz zu lesen, begnügte ich mich zuerst mit der Zusammenfassung.
 

»Nok ist ein schüchterner Uni-Student, der es kaum schafft, überhaupt mit Leuten zu reden. Allerdings möchte er sich seiner Angst stellen und meldet sich bei einem Programm als Helfer an, welches Austauschstudenten bei ihrem Zurechtfinden in den thailändischen Alltag helfen soll. Nok erfährt, dass er den zwei Jahre älteren Wolf aus den USA betreuen wird. Anders als er, ist Wolf jedoch alles andere als schüchtern. Als Dank für die Hilfe will er Nok helfen, seine Schüchternheit zu überwinden. Wolf und Nok verbringen jeden Tag miteinander und kommen sich näher. Irgendwann merkt Wolf, dass seine Gefühle für Nok alles andere als freundschaftlich sind, doch wird er es schaffen, den schüchternen Nok für sich zu gewinnen?«
 

Es war als hätte sich ein Schalter umgelegt in meinem Gehirn, plötzlich verstand ich alles. Wolf= Ich, Nok=Seua, keine freundschaftlichen Gefühle? Rays Nervosität und Seuas Kommentar machten plötzlich Sinn. Das war Boys Love?!

Der Wolf und der Unfall

Ohne es wirklich zu merken, stand ich vor Rays Tür, das Drehbuch immer noch in der Hand. Mit zitternden Händen klopfte ich an und er öffnete grinsend die Tür. Doch statt zu warten, ging ich sofort an ihm vorbei ins Zimmer. Ich klopfte auf das Drehbuch: »Ray! Das..« Immer noch grinsend schloss er Tür, brachte mich mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Erinnerst du dich an dein Versprechen im Flugzeug? Nicht meine Schuld, ich habe mehrfach versucht, dich zu warnen.«

Fuck! Natürlich konnte ich nichts dagegen sagen, ich war selber schuld. Ich hatte mir weder seine Zweifel angehört noch darüber nachgedacht, dass Thailand notorisch für seine BL-Produktionen war. Ich ballte die Hand zur Faust. Ray lief auf mich zu, verstellte seine Stimme: »Ohh, P’Wolf, küss‘ mich! Los, den Vertrag hast du doch schon unterschrieben.«

Genervt stieß ich ihn weg. Das durfte ich mir jetzt die ganze Zeit anhören, denn vermutlich hatte Ray darauf spekuliert, dass es genauso enden würde. Gut, das hatte er sich wohl verdient. Doch er merkte auch, wie geschockt ich war und wurde schnell wieder ernst.

»Was machst du jetzt?«

Ich war noch nicht über den Fakt hinweg, dass ich gerade einen Vertrag unterschrieben hatte, ohne ihn zu lesen. Warum war ich so blöd? Das war so eine verdammte Caiden-Aktion! Erst handeln, dann denken.

»Was soll ich denn machen? Ich werde das Drehbuch lesen und den Rest des Tages heulen, weil meine eigene Dummheit mich hierhergebracht hat.«

Besorgt sah er mich an: »Nicht dein Ernst, oder?« Ich ließ mich in den Sessel sinken, der vor dem Tisch stand, legte das Drehbuch darauf ab.

»Ehrlich gesagt würde ich mich jetzt gerade gerne in Luft auflösen. Aber ich weiß, dass es dafür zu spät ist. Ich weiß, dass es Leute gibt, die diese Serie sehen wollen. Ich weiß, dass sehr viele Leute sehr hart gearbeitet haben und arbeiten werden, um das umzusetzen. Ich habe unterschrieben, also werde ich es durchziehen. Ein guter Schauspieler ist nämlich jemand, der alles spielen kann«, auch wenn ich das mehr zur mir selbst als Absicherung sagte, fühlte es sich gut an.

»Das stimmt. Also ich mag das Konzept der Serie und Seua hat schon in einigen BL-Produktionen mitgewirkt, er kann dir bestimmt helfen. Aber ich bin wirklich froh, dass du dich der Herausforderung stellen willst, Cai. Diese Serie wird deiner Karriere sehr guttun, da bin ich mir sicher. Die Frage ist nur: Kannst du dich überwinden, einen Typen zu küssen?«

Mal abgesehen davon, dass ich noch nicht wirklich viele Menschen in meinem Leben geküsst hatte und auch sonst von sowas keinen Plan hatte, klar, wieso fangen wir nicht direkt mit einem Typen an? Ich fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. Ich hatte großkotzig gesagt, dass ich die Herausforderung annehmen würde, also konnte ich mich davon nicht mehr lossprechen.

»K-klar! Das kriege ich schon hin. Ich will groß rauskommen und dafür werde ich alles tun«, ich stand auf und klopfte mir gegen die Brust. Ich fühlte mich wie der größte Betrüger von allen. Ray nickte, hatte schon wieder dieses überlegene Grinsen aufgesetzt: »Gut, packen wir’s an. Falls du schon üben willst, Seua wohnt gegenüber.«

»Halts Maul.«
 

Zurück in meinem Zimmer hielt ich das Drehbuch weit weg von mir. Es fühlte sich an, als würden aus diesem Buch plötzlich Schlangen herauskommen. Als wäre es etwas Verbotenes, was ich auf keinen Fall öffnen durfte. Wollte ich das überhaupt lesen? Was würden Wolf und Nok noch alles miteinander anstellen? Ich hatte schlichtweg gesagt keine Erfahrung mit sowas und es fühlte sich an, als würde plötzlich eine riesige Wand vor mir stehen. Diese Wand konnte ich nur überwinden, wenn ich mir der Sache stellte. Entschlossen atmete ich auf. Mach‘ mich berühmt, Thailand! Wieder legte ich mich auf die Couch, las diesmal ein bisschen die Szenen. An der ein oder anderen Stelle blieb ich jedoch hängen…
 

Wolf fuhr mit seiner Hand unter das Hemd von Nok, biss sich auf die Lippe und sah ihn an.
 

Je mehr ich las, desto schlimmer wurde es. Ich konnte mein Herz schon rasen spüren, wenn ich nur daran dachte, diese Szenen zu drehen. Von wegen Wolf! Küken würde wohl besser zu mir passen. Die Thais spielten nicht rum, wenn es um ihre Serien ging, die machten voll ernst. Ich ging zum Anfang zurück, sah mir zunächst die harmlosen Szenen an. Da kam mir ein Gedanke. Wie hatte mal jemand gesagt, wenn man seine Ängste überkommen wollte, musste man sich ihnen stellen. Vielleicht war Rays Idee mit dem Üben gar nicht so schlecht. Ob ich Seua fragen sollte? Er ist schließlich mein Drehpartner und hatte sowas schon öfter gemacht. Es war zwar spät, aber es ließ mir keine Ruhe. Ich brauchte jemanden, der sich auskannte. Jetzt. Seufzend stand ich auf, verließ mein Zimmer und klopfte vorsichtig drüben an. Seua öffnete die Tür, halbnackt, mit nassen Haaren, nur mit einem weißen Handtuch bekleidet. Na dann können wir direkt die Kamera laufen lassen. Ich erlaubte mir einen kurzen Blick auf seinen Oberkörper und musste eingestehen, dass er sehr gut trainiert war. Ich schüttelte mich.

»P’Seua hast du Zeit für mich? Wenn du dich angezogen hast?«.

Er lächelte mich an. Doch wenn er lächelte, verwandelte sich sein Gesicht und seine Augen wurden zu Halbmonden. Ich wusste schon immer, dass asiatische Augen gefährlich für mich waren.

»Gewöhn‘ dich schon mal an den Anblick, N’Cai. Komm rein«, sagte er und trat zur Seite. Vorsichtig ging ich ins Zimmer, sah sofort das Drehbuch auf seinem Tisch. Offenbar bereitete er sich auch schon vor. Kurze Zeit später kam er aus dem Bad, trug ein weißes Shirt und eine lange, graue Jogginghose. Während er sich auf die Couch setzte, hielt ich meinen Sicherheitsabstand von mindestens fünf Metern ein. Neugierig sah er mich an: »Was gibt’s?«

»Naja, ich..um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, dass es sich um eine BL-Produktion handeln würde. Ich meine, generell bin ich offen für sowas, aber ich habe keinerlei Erfahrung. Ich dachte, vielleicht kannst du mir ein bisschen erzählen, wie das so ist, weil du ja schon bei mehreren mitgespielt hast«, schwafelte ich vor mich hin. Seua klopfte neben sich auf die Couch: »Als allererstes solltest du versuchen nicht so steif zu sein, N’Cai. Setz‘ dich, dann helfe ich dir.« Ich setzte mich auf den äußersten Rand der Couch, so weit weg, wie es möglich war. Seua streckte sich, legte mir einen Arm um die Schultern und zog mich an sich. »Dein Sicherheitsabstand wird dem Team nicht gefallen. Den solltest du schnell loswerden.« Das er das so einfach konnte! Er kannte mich nicht mal! Ich saß da, wie eingefroren, spürte seinen Atem an meinem Hals. Mit Ray war ich zwar befreundet, aber selbst mit ihm war ich nicht so. Wir umarmten uns höchstens mal. Sieh‘ ihm nicht in die Augen, Cai. Sieh‘ ihm nicht in die Augen, wiederholte ich im Inneren. Doch es nützte nichts. Ich konnte nicht anders, musste ihm einfach in die Augen sehen. Sie glitzerten mich an.

»Das mit dem Starren kannst du schon gut, N’Cai.«

Peinlich berührt rückte ich von ihm weg. Seua führte einfach ganz normal das Gespräch weiter.

»Am Anfang wird es dich ein bisschen Überwindung kosten, vor allem wenn man es noch nie gemacht hat. Aber selbst für erfahrene Schauspieler ist das nicht leicht. Man muss sich immer wieder auf neue Personen einstellen. Wo sind ihre Grenzen? Wird man sich gut verstehen? Das sind alles Dinge, die man im Laufe herausfinden wird. Solange man einen guten Drehpartner hat, ist das irgendwann kein Thema mehr. Meistens macht es auch richtig Spaß. Versuch‘ einfach so wenig Hemmungen wie möglich zu haben. Am wichtigsten ist, dass du wirklich auch sagst, wenn es etwas gibt, was dich überfordert. Die Leute am Set werden dir das nicht übelnehmen. Achso, falls es dir hilft, fass‘ mich ruhig an, ich habe da nichts gegen«, sagte er, sah mich freundlich an.

Das habe ich auch schon gemerkt. Doch tatsächlich beruhigten mich Seuas Worte etwas. Wie bei den meisten Dingen, war es einfach etwas, an das man sich gewöhnen musste, nichts weiter.

»Ich verstehe. Danke, P’Seua. Mir geht es schon etwas besser.«

»Sehr gut. Versuch‘ dir nicht zu viele Gedanken zu machen, hab einfach Spaß. Wenn irgendetwas ist, komm‘ ruhig zu mir. Ich werde dich unterstützen, so gut ich kann.«

Erleichtert atmete ich auf, es tat gut zu wissen, dass es jemanden gab, an den ich mich wenden konnte.

»Also gut, ich werde in der Serie dein Mentor sein und du wirst mein Mentor im echten Leben sein«, fasste ich es noch einmal zusammen.

»Deal. Wollen wir ein bisschen die Texte üben?«, schlug er vor und gab mir das Drehbuch in die Hand. Ich war zwar müde, aber ich sollte gerade in meiner Situation jede Übung mitnehmen, die ich konnte. Seua holte ein Tablet hervor, auf dem er das Drehbuch hatte. Zusammen gingen wir unsere Dialoge durch, ich versuchte dabei vor allem auf die Betonung zu achten. Währenddessen verwandelte sich Seua in seinen Charakter Nok, saß auf einmal mit gesunkenen Schultern da, die Hände im Schoß und den Blick nach unten gerichtet. Ich konnte nicht anders als die perfekte Körpersprache von ihm zu bewundern. Ich richtete mich auf, sah ihn an. In dieser Konstellation übten wir die einzelnen Texte und ich versuchte dabei immer wieder ihm näher zu kommen, doch noch war ich nicht so weit. Seua zwang mich aber auch nicht. Er respektierte meine Grenzen, was ich ihm sehr hoch anrechnete. Irgendwann würde ich schon bereit sein, spätestens wenn der Dreh anfing.
 

Ein paar Stunden später lehnte ich mich erschöpft zurück. Wir waren schon fast bis zur Hälfte des Drehbuches gekommen, da war Seua echt untröstlich. Ich legte das Drehbuch weg, schloss nur kurz die Augen…
 

»Guten Morgen, N’Cai«, hörte ich und sah die Augen des Tigers direkt vor mir. Schnell setzte ich mich auf. Ich sah die Decke über mir und das Drehbuch auf seinem Tisch. Verdammt.

»Sorry, P’Seua. Ich bin eingeschlafen«, sagte ich noch im Halbschlaf. In der zweiten Nacht direkt bei jemand anderem pennen, wie peinlich! Immer wenn ich daran dachte, in welcher Situation ich mich befand, war mir klar, dass es in diesem Fall nicht unbedingt harmlos sein würde, bei einem Typen zu übernachten. Seua war schon angezogen, knöpfte gerade die Ärmel seines Hemdes zu.

»Kein Problem. Wenn mich was stört, sage ich das meistens direkt«

»Heißt mit anderen Worten, du würdest mich rausschmeißen, wenn ich nerve?«, versicherte ich mich.

»Ganz genau. Aber du solltest aufstehen. Ray sucht dich bestimmt schon.«

Gähnend stand ich auf, da war Seua schon fast zur Tür raus. »Ich sag‘ Ray Bescheid, dass er unten warten soll«, sagte er.

»Danke.«
 

Ich ging rüber, um mich auch anzuziehen. Nebenbei sah ich auf mein Handy, drei unbeantwortete Anrufe und mehrere Nachrichten von Ray. Das war verdammt seltsam. Ich war jemand, der schon wegen des Jobs das Handy nie auf stumm stellte, ich hörte mein Handy immer. Entweder habe ich extrem gut geschlafen, oder Seua hatte es abgestellt. Ich konnte nur hoffen, dass er mich beim Schlafen nicht beobachtet hatte. Ray stand mit Seua unten in der Lobby und Rays Gesicht verwandelte sich von besorgt in verärgert. Oh nee, bitte nicht. Ich bin noch nicht mal wach. Er atmete gerade ein, um zu reden, da schüttelte ich den Kopf.

»Spar‘ dir das für den Zeitpunkt auf, an dem ich wach bin. Lass‘ uns fahren.«

Ohne ihn weiter zu beachten, ging ich raus in Richtung Auto. Dort wartete schon der uns zugeteilte Chauffeur. Er war immer sehr höflich und zuvorkommend, was mich sehr beeindruckte. Ich glaube schon, dass manche Schauspieler ziemlich abgehoben sein konnten. So wie es aussah, würde uns dieser Mann die ganze Zeit über kutschieren, also beschloss ich, mich bei der nächsten Gelegenheit bei ihm zu bedanken. Das fing schon damit an, dass ich mir seinen Namen gemerkt hatte.

»Guten Morgen, P’Joe.«

»Guten Morgen, Khun Cai.«

Ray setzte sich nach vorne, ich stieg hinten ein, staunte nicht schlecht, als plötzlich Seua neben mir saß.

»Du fährst bei uns mit?«, fragte ich erstaunt. Er verzog das Gesicht zu einem Schmollmund:

»Darf ich das nicht?«

»Doch, es wundert mich nur, weil du doch garantiert deinen eigenen Fahrer hast.«

»Habe ich. Aber mein Manager meinte, es stört ihn nicht, wenn ich bei euch mitfahre. Außerdem habe ich beschlossen, so viel Zeit wie möglich mit dir zu verbringen«, wieder setzte er dieses leichte Lächeln auf.

»O-okay? Weil..?«, fragte ich und konzentrierte mich auf die Autos, die ich auf meiner Seite sehen konnte.

»Damit du dich dran gewöhnst.«
 

Am Sender angekommen, betraten wir denselben Raum mit den Namensschildern wie gestern, Seua saß natürlich neben mir. Als alle da waren, begann P’Star:

»Ab heute starten wir in unseren zweiwöchigen Workshop, in dem einiges auf dem Programm steht. Heute werden wir gemeinsam das Drehbuch lesen und auch das Shooting für die Cover-Fotos machen. Den Zeitplan habt ihr gestern schon bekommen, grundsätzlich ist das Ziel hierbei, dass ihr euch bestmöglich kennenlernt, untereinander und auch, dass ihr das Drehbuch kennenlernt.«

Wie ich Seua mittlerweile kannte, würde er schon dafür sorgen, dass wir uns gut kennenlernten. Neben Seua und mir gab es noch vier andere Hauptdarsteller. Die beiden Zwillinge, die Sun und Moon hießen, im Drama Ying und Yang. Dann noch der etwas dreinschauende Rivale Dice mit dem wuscheligen Haar, im Drama und sein Sidekick Pravat im Drama, bis auf ich waren alle anderen Thailänder. Ich legte das Drehbuch vor mich und wir begannen mit der ersten Lese-Session. Es ging darum, die Texte kennenzulernen, zu verstehen, wie der Charakter spricht und die Betonung zu üben. Dadurch, dass ich schon ein bisschen geübt hatte, fiel es mir leichter, noch mehr Emotionen und Betonung in die Texte zu bringen. Sie mit Leben einzuhauchen. P’Wolf auferstehen zu lassen. Für ein paar Stunden beschäftigten wir uns mit dem Drehbuch, lasen die Szenen mehrfach, bekamen Anweisungen und setzten diese um. Ich mochte die Story und es machte wirklich Spaß, die Szenen zu lesen. In einer Pause waren wir Darsteller untereinander, Sun und Moon sahen mich aufgeregt an. Ich sah sie lange an, aber konnte überhaupt keine Unterschiede zwischen den beiden festmachen, außer der Kleidung. Ihre langen, schwarzen Haare trugen sie offen, beide hatten einen geraden Pony. Die mit der blauen Bluse sprach mich an: »Ich habe gehört, dass du die Rolle sofort angenommen hast! Warst du gar nicht nervös? Ich meine, das ist ein komplett anderes Land! Wenn ich das in den USA machen müsste, ich würde sterben!«

Ich mochte diese Ehrlichkeit, daher wollte ich auch ehrlich sein: »Natürlich bin ich nervös.«

Vor allem, weil ich gar nicht wusste, auf was ich mich einließ. »Aber ich liebe Asien einfach und wollte mir diese Chance nicht entgehen, bei dieser Produktion mitzuwirken.«

»Voll cool. Ich bewundere deinen Mut«, sagte die Andere, die eine ähnliche Stimmlage hatte.

»Danke. Ich muss aber sagen, es hilft mir auch, dass ihr alle so gut englisch könnt!«, gab ich die Bewunderung zurück. Doch sie schüttelte den Kopf: »Das war eine Voraussetzung, als sie uns gecastet haben. Ich glaube sie wollen hier nicht nur eine Serie machen, sondern auch ein bisschen Länderverständigung. Vermutlich, um den Tourismus zu fördern.« Ich wusste nicht wirklich, ob es dem Tourismus half, wenn sie Seua und mich zusammen sahen...aber wenn doch, warum nicht.

»Was hast du denn in den USA für Serien gemacht?«, fragte sie weiter. Ich hoffte sie erwarteten jetzt keine großen Hollywood-Produktionen. Verlegen kratzte ich mich am Kopf:

»Naja, noch nicht so viel. In den meisten Serien war ich nur Nebendarsteller, die Serie, die ich vor Thailand gedreht habe, war meine erste Hauptrolle. Nur eine kleine Romanze.« Ich zeigte den anderen die Serie online, da ich schon stolz darauf war. Dann tauschen wir untereinander noch Nummern aus, gründeten unsere eigene Gruppe auf LINE.

»Alles klar. Dann hoffe ich, dass du dich gut in Thailand einlebst, aber wenn irgendetwas ist, kannst du uns jederzeit fragen, wir sind alle im gleichen Hotel«, erklärte die Andere.

»Danke. Ich fühle mich auch echt nett aufgenommen hier. Aber eine Frage habe ich«, sagte ich und sah die Mädels an.

»Hm?«

»Wie kann man euch auseinanderhalten?«

Sie lachten, dann deuteten sie gleichzeitig auf ihre Ohrringe. Die eine trug Sterne, die andere Monde. Auch ihre Armbänder hatten die gleichen Symbole.

»Okay, ich werde in Zukunft darauf achten.«
 

Danach stand schon der nächste Termin an. Wir begaben uns in das Fotostudio des Senders, wo wir die Promo- und Cover-Bilder für die Serie aufnehmen sollten. Im Studio hatten sie schon die Kulisse aufgebaut. Passend zu unseren Charakteren war es ein Wald, vor dem wir posieren sollten. Staunend betrachtete ich die selbstgebauten Bäume, die unglaublich echt aussahen. Dazu hatten sie einen Wolf und einen Vogel aus Pappe gebastelt, die im Set standen. Wenn man nicht genau hinsah, konnte man fast meinen der Wald sei echt. Wir mussten in die Maske und ich sah Ray hinter mir im Spiegel. Er sah nicht mehr angespannt aus, wie heute Morgen, aber er sah immer noch aus, als würde er mir gerne was sagen. Doch er sagte nichts, wollte mich wohl nicht von der Arbeit ablenken. Die Maskenbildnerin unterhielt sich mit mir, auch sie sprach sehr gutes Englisch. Ich war dem Sender sehr dankbar, dass sie darauf achteten, dass ich alle und alles verstehen konnte. Diesmal durfte ich auch das Outfit der Thai-Uni anziehen. Ich betrachtete mich im Spiegel und fand, dass es echt gut aussah. Plötzlich legte jemand seinen Kopf auf meine Schulter, ich zuckte zusammen. Über den Spiegel sah Seua mich an. Während mir einer warmer Schauer über den Rücken lief, als ich seinen Körper an meinem Rücken und seine Haare in meinem Nacken spürte, lächelte er. Ganz gefährlich.

»Steht‘ dir wirklich gut, unsere Uniform.«

Ich musste schlucken, wandte meinen Blick ab: »D-danke.«

Zum Glück erlöste mich die Kreativdirektorin, indem sie alle ans Set bat. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Alle vom Cast trugen die Uni-Klamotten, bei den Mädels waren es Röcke statt Hosen. Vor der Waldkulisse wurden wir aufgebaut. Links standen die Mädels, rechts Dice und Pravat, in der Mitte sollten Seua und ich auf Kisten sitzen. Er auf einer kleinen, ich auf einer größeren dahinter.

»Also, Cai, du setzt dich hin, legst dein Kinn auf seinen Kopf und lässt die Arme über seine Schultern fallen«, kam die Anweisung von der Direktorin. Bleib‘ ruhig, Cai. Seua hat gesagt, du darfst ihn anfassen, als mach das auch. Ich setzte mich, sah seinen Kopf vor mir, legte dann mein Kinn darauf. Seine Haare kitzelten mich, sie rochen nach Erdbeere und Haarspray. Die Arme ließ ich locker über seine Schultern fallen, legte meine Hände zusammen vor seiner Brust. Ich spürte den Stoff an meinen Armen.

»Seua, du schaust bitte geradeaus in die Kamera. Bis auf Dice und Pravat möchte ich, dass alle lächeln. Cai bitte dein schönstes Lächeln, Seua bei dir kann es ruhig etwas subtiler sein.«

Alle nahmen ihre Positionen ein dann *klick*. Ich blinzelte, meine Augen brauchten etwas, um sich an den Blitz zu gewöhnen. Ich war nicht wirklich gut damit, wenn sich das Licht schnell änderte. Nach ein paar Sekunden ging es wieder. Beim zweiten Mal musste ich mir jedoch die Augen abschirmen. Seua drehte sich zu mir um. Leise fragte er: »Alles okay?«

»Ja, schon. Der Blitz ist nur etwas anstrengend für mich«, gab ich zu. Früher oder später würde das ohnehin zum Thema werden, daher sprach ich es lieber direkt an.«

Seua wandte sich an den Fotografen: »Können wir das auch ohne Blitz machen?«

Ich wollte nicht, dass sie wegen mir Ausnahmen machen mussten, aber ich war unheimlich erleichtert, dass er gefragt hatte. Das würde mir sehr helfen. Kurz zögerte der Fotograf, dann sahen wir seinen Daumen nach oben.

»Kein Problem.«

Wir nahmen wieder unsere Positionen ein, schafften es recht schnell, ein schönes Cover zu shooten. Wir machten noch einzelne Fotoshootings der verschiedenen Charaktere, dann die Mädels zusammen, Dice und sein Partner und zum Schluss Seua und ich. Die Kulisse war jedoch diesmal ein einfarbiger grüner Hintergrund. Unschlüssig stand ich vor ihm, wartete auf die Anweisungen des Fotografen. Ich konnte nicht damit aufhören, an meinen Klamotten herumzufriemeln, solange bis jemand von den Kostümdesignern es wieder richten musste. Seua trat einen Schritt auf mich zu, ich spürte sein Gesicht an meinem Ohr. Für einen Moment hielt ich den Atem an. Was auch immer er vorhatte, es half nicht. Ich hörte das Klicken der Kamera und erschrak kurz.

»Warte doch erst die Anweisungen ab, bevor du nervös wirst. Schalt dein Kopfkino aus und konzentrier dich nur auf die Arbeit, die vor dir liegt«, flüsterte er und trat dann wieder zurück.

Dann solltest du mich vielleicht nicht zu Kopfkino veranlassen, Seua. Aber er hatte Recht. Ich musste mich in Wolf hineinversetzen, der würde das komplett cool abhandeln.

»Leg‘ Seua einen Arm um die Schulter und lächle verschmitzt in die Kamera«, war die erste Anweisung, die ich auch recht gut umsetzen konnte. Es war schließlich nicht das erste Mal. Das Kumpelhafte war nicht das Problem, seine Nähe war es. Trotzdem drückte ich ihn an mich und schenkte der Kamera mein frechstes Lächeln.

»Sehr schön, ihr zwei. Genauso will ich das haben«, das Lob des Fotografen spornte mich an. Seua konnte nur mit seinem Blick Schüchternheit rüberbringen, brauchte dafür nichts, von den Dingen, die sie dafür manchmal in Dramen benutzen.

»Cai, als nächstes nimmst du bitte seine Hände und siehst ihn liebevoll an.«

Noch bevor ich reagieren konnte, nahm Seua meine Hände, damit ich mich nicht erst überwinden musste. Dankbar lächelte ich ihn an. *Klick*

»Das war süß, aber jetzt brauche ich noch einen liebevolleren Blick von dir, Cai. Stell‘ dir vor, vor dir ist etwas, was du von ganzem Herzen liebst.«

Was ich liebe? Meine Eltern, meine Playstation, Asien, meinen Hund. Es war nicht leicht, sich Seua als Gegenstand vorzustellen, also blieb ich bei dem Hund. Ich stellte mir vor, mein Hund würde mir Pfötchen geben und so ein süßes Gesicht machen, dass ich gar nicht anders konnte als dahinzuschmelzen. Das schien dem Fotografen zu gefallen, die Kamera wurde gar nicht mehr still. Vielleicht war das meine Gewinner-Taktik, um von diesen Augen nicht hypnotisiert zu werden.

»Super. Ein Bild brauche ich aber noch. Cai, du legst deine Hand in seinen Nacken, dann kommt ihr euch so nah, als wärt ihr kurz davor, euch zu küssen.«

Sofort ließ ich seine Hände los. Neugierig sah Seua mich an, fragte sich wahrscheinlich, ob ich mich das trauen würde. Ich würde ihm schon zeigen, dass er mich nicht unterschätzen sollte. Seua war ein bisschen größer als ich, daher musste ich mich ein bisschen strecken. Ich legte meine Hand in seinen Nacken, wendete dabei aber zu viel Kraft auf, sodass er nach vorne stolperte. Ehe ich mich versah, lagen seine Lippen auf meinen. *Klick*

Der Wolf am Meer

Für einen Moment verharrte ich in dieser Position, spürte seinen Arm um meine Hüfte, damit ich nicht umfiel. In dieser stehengebliebenen Sekunde suchte ich seinen Blick, in seinen Augen sah ich die Überraschung, aber auch einen kleinen Triumpf. Seine Lippen waren weich, ich spürte das Make-Up. Was zum Henker tust du, Caiden Gresson? Um mich aus der Hypnose zu lösen, wandte ich den Blick ab und plötzlich fühlte es sich an, als würde die Zeit weitergehen. Auch mein Herzrasen brachte mich wieder ins Hier und Jetzt zurück. Empört von mir selbst, stieß ich ihn von mir. Der Fotograf kommentierte es lachend: »Sehr guter Einsatz, Cai. Aber wir wollen den Zuschauern doch nicht schon auf den Plakaten alles vorwegnehmen.«

Auch der Rest der Crew fiel in das Lachen mit ein, aber mir gefiel das gar nicht. In diesem Moment wäre ich wirklich gerne von Aliens entführt worden. Ich entschuldigte mich auf Thai, verabschiedete mich dann in die Maske. Ich konnte doch nicht einfach weiter machen, als wäre nichts passiert! Ich musste mich erst beruhigen und ging nicht in die Maske, sondern in einen Abstellraum, den ich auf dem Weg gefunden hatte. Vielleicht war es kindisch von mir, aber wenn ich mich nicht beruhigte, würde ich niemandem unter die Augen treten können. Ich schaltete das Licht ein, blinzelte kurz. Meine Gesellschaft waren ein Wischmopp und ein Staubsauger. Während die einfach rumstanden und darauf warteten, dass sie arbeiten mussten, lehnte ich mich an die Tür und legte mein Gesicht in meine Hände. Einerseits konnte ich mir denken, dass die Leute aus dem Team genau so etwas sehen wollten, andererseits war ich überhaupt nicht bereit dafür. Lieferte ihnen aber direkt Steilvorlagen. Aber selbst, wenn sie mich nicht darum gebeten hatten, früher oder später würden sie es. Dass Seua ein Typ ist, war nicht mal mein grundsätzliches Problem, doch es erhöhte die Barriere in meinem Kopf, mich ihm auf eine bestimmte Art und Weise zu nähern. Er war nicht nur ein Typ, sondern prinzipiell auch ein Fremder! Diese Lockerheit mit der mit mir umging, konnte ich einfach nicht nachmachen. Doch damit dieses Projekt ein Erfolg wurde, musste ich genau diese Lockerheit bekommen und vor allem meine Hemmungen ablegen. Ich war mir auch sicher, dass ich das konnte. Irgendwann. Bestimmt. Ich hörte ein leises Klopfen, welches mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

»N’Cai, alles okay bei dir?«, Seuas sonore Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Woher wusste er von diesem Raum? Er war relativ weit den Flur runter und auch die Tür war nicht sonderlich auffällig. Ich musste mich der Sache stellen, ewig konnte ich mich nicht verstecken. Seufzend drehte ich mich um, öffnete die Tür, wobei er sich sofort an mir vorbeischob und sie wieder schloss. In dem knapp zwei Meter großen Raum war schon kaum Platz für mich, geschweige denn für zwei Leute. Trotzdem zwang ich mich, mich in seine Richtung zu drehen. Besorgt sah er mich an, wiederholte seine Frage.

»Ja, passt schon. Es war mir nur peinlich«, tat ich es ab und zuckte zusammen, als Seua seine Hand gegen die Tür neben meinem Gesicht schlug.

»Wenn dich nur das gestört hat, können wir doch direkt weiter machen, wo wir aufgehört haben«, flüsterte er und seine Augen sahen auf meinen Mund. Auf gar keinen Fall! Als er mir noch näherkam, drückte ich ihn von mir weg.

»P’Seua! Was..?«

Lachend trat er einen Schritt zurück: »Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern, keine Sorge.«

Schmollend verschränkte ich die Arme: »Als wenn ich nicht schon verärgert genug bin. Ist das etwa deine Art, meine Grenzen zu testen?«

»Schon cool, wie manchmal doch der Wolf in dir durchkommt. Und ja, vielleicht gehört das dazu. Aber du bist nicht sauer, oder?«

Statt zu antworten, ließ ich ihn ein bisschen hängen. Ich war nicht sauer, ich wusste doch mittlerweile, dass es seine Art war. Trotzdem mochte ich es nicht, ständig von ihm eiskalt erwischt zu werden. Für einen kleinen Moment sah ich tatsächlich die Panik in seinen Augen. Enttäuscht ließ Seua die Schultern sinken und nahm mich in den Arm. Darauf war ich auch nicht vorbereitet! Ich spürte, wie er mich fest an ihn drückte, sein Gesicht ganz nah an meinem. Was auch immer ich gerade fühlte, Verärgerung war es jedenfalls nicht. »Es tut mir Leid«, flüsterte auf Thai in mein Ohr. Für einen Moment schloss ich die Augen, ließ dieses Gefühl auf mich wirken. Neben dem ganzen Chaos in meinem Kopf, erfasste mich eine Art Beruhigung. Ich fühlte mich sicher. Lange genug ließ ich es zu, dann meldete sich die Realität in meinem Kopf und ich drückte ihn von mir.

»Ich bin nicht sauer. Ganz ruhig. Woher wusstest du eigentlich, wo ich bin?« Seua stand immer noch relativ nah vor mir, sah sich um.

»In meiner Anfangszeit beim Sender hab‘ ich mich hier öfter versteckt, wenn es zu viel wurde. Es ist der einzige Raum auf dieser Etage, wo man seine Ruhe hat.«

Nur vor dir scheinbar nicht. Bei ihm konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass er es nötig hatte, sich zu verstecken.

»Du musstest dich verstecken?«, ungläubig schüttelte ich den Kopf. Nachdenklich nickte er:

»Klar. Natürlich musste auch ich an mir arbeiten, um zu werden, wie ich bin. Am Anfang ging es mir ähnlich wie dir, N’Cai. Das ist uns nicht angeboren.«

Es war schön zu wissen, dass er dazu stehen konnte, nicht von Anfang an, perfekt gewesen zu sein. Doch langsam wurde mir die Luft in diesem winzigen Raum zu dünn und wer weiß, was er noch anstellen würde. Unauffällig ließ ich meinen Ellenbogen an der Tür heruntergleiten und sie schwang nach außen auf. Plötzlich standen wir wieder auf dem Flur.

»Lass‘ uns weiter machen, ich will die anderen nicht länger warten lassen.«
 

Zusammen gingen wir ins Studio zurück, dort lief Ray schon nervös auf und ab. Erst als er mich sah, zeichnete sich die Erleichterung auf seinem Gesicht ab.

»Cai, da bist du ja endlich!«, doch auch diesmal ging ich nicht darauf ein, weil wir das vorgeschriebene Zeitfenster schon längst überschritten hatten. Ich hoffe, Ray würde es verkraften, ihm war ich mittlerweile mehr schuldig als nur eine Entschuldigung. Seua und ich wurden noch einmal vom Make-Up-Team hergerichtet, dann nahmen wir die letzte Pose ein. Diesmal konnten wir das ohne Zwischenfälle beenden und kehrten zunächst zum Hotel für eine Pause zurück. Am Abend standen schließlich noch die Kennlernparty und das Campen am Strand an. Ray ging mit auf mein Zimmer, Seua in sein eigenes. Erschöpft ließ ich mich auf die Couch fallen, streifte die Tasche ab.

»Cai, ist alles okay?«

Ich sah ihn an, versuchte herauszufinden, was er dachte. Doch in seinem Blick spiegelte sich nur die Sorge.

»Ja, alles okay. Ich brauche nur ein bisschen Zeit.«

»Das ist auch alles kein Problem. Es wäre nur schön, wenn du in Zukunft nicht einfach so verschwinden würdest. Du weißt schon, dass ich als dein Manager ein gewisses Recht darauf habe, zu wissen, was du treibst?«, den Vorwurf konnte man deutlich raushören. Allerdings hatte er Recht. Ich war zwar nicht berühmt, schon gar nicht hier, aber wenn irgendetwas passieren würde, wäre er dafür verantwortlich.

»Es tut mir leid, wirklich. Aber du kennst mich doch«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen. Es war nicht das erste Mal, dass ich ohne sein Wissen verschwand, manchmal fiel es mir eben schwer, Impulse zu kontrollieren. Mit einer Mappe in seiner Hand wedelnd, sagte er: »Allerdings. Nur Zuhause kenne ich deine Verstecke. Wir sind aber in Thailand, da kennen wir uns beide nicht aus. Du kannst froh sein, dass wenigstens Seua mir sagt, wo du bist.«

Seua eben. Er dachte an alles, wie ein echter Profi.

»Okay, ja. Ich versuche mich zu bessern. Bitte sei nicht so streng mit mir, Ray. Ich versuche doch auch nur klarzukommen.«

Versöhnlich lächelte er: »Ich weiß. Aber ich muss meine Position doch auch mal ausnutzen.«

Es stand außer Frage, dass Ray wusste, wie erschöpft ich war. Er war aber auch jemand, dem es keine Ruhe ließ, wenn nicht alles gesagt war.

»Krasser Stunt auf jeden Fall, Cai. Die Crew hat nicht schlecht gestaunt, dass du gleich so mutig bist«, sagte er grinsend. Nicht du auch noch! Ich verdrehte die Augen:

»Meine Güte, egal wie bescheuert es sich anhört, es war ein Unfall, okay?«

Demonstrativ drehte ich mich weg, hatte diese Peinlichkeit eigentlich schon längst wieder vergessen.

»Aber ein verdammt witziger Unfall. Hast du mit Seua darüber gesprochen? War er sauer?«

Wohl eher das Gegenteil.

»Ach, der doch nicht. Ich will gar nicht wissen, wie viele Typen der schon geküsst hat. Das ist doch völlig normal für ihn.«

»Na dann.«

Ich hörte, wie Ray seine Tasche öffnete: »Der Fotograf hat mir das gegeben und meinte, das ist für dich. Als Andenken.«

Ohne hinzusehen, streckte ich meine Hand aus und Ray legte etwas darauf, was sich wie Papier anfühlte. Ich nahm es an mich. Es war ein großer, weißer Umschlag, der verschlossen war. Ich öffnete ihn und zog zwei Fotos heraus. Auf dem einen konnte man sehen, wie Seua mir ins Ohr flüsterte und ich dementsprechend geschockt aussah. Das andere zeigte den Unfall. Witzigerweise hatte der Fotograf genau den Moment erwischt, in dem wir beide die Augen geschlossen hatten. Ray beugte sich über mich: »Die sind echt gut geworden. Kann man direkt als Autogrammkarten verkaufen.«

Genervt stieß ich ihn weg: »Bist du mein Manager oder ein Groupie?«

»Dein Manager.«

»Dann tu‘ mir den Gefallen und manage dich in dein Zimmer. Ich will noch ein bisschen schlafen. Du kannst mich kurz vor der Party wecken.«

Ray tat mir den Gefallen, da er genau wusste, wenn ich meinen Schlaf nicht bekam, würde ich unerträglich werden. Ich ließ die Fotos auf dem Tisch liegen und ging ins Bett.
 

Als ich ein paar Stunden später mit Ray am Strand ankam, begann es schon zu dämmern. Cast und Crew saßen schon an verschiedenen Camping-Tischen verteilt, die sie am Strand aufgestellt hatten. Um die Tische herum hatten sie Pfosten aufgestellt und diese mit Lichterketten geschmückt. Neben einem kleinen Häuschen, welches wie eine Imbissbude aussah, stand ein Schild, wo unser Cover aufgedruckt war. Ich fand, dass das Bild echt schön war. Sun, Moon und Dice konnte ich schnell in der Menge ausmachen. Da es trotz der Uhrzeit noch sehr warm war, waren alle in Shorts und T-Shirts unterwegs.

»P’Cai!«, winkte Sun oder Moon mich zu deren Tisch. Ray ließ ich stehen, wusste das das Team gerne möglichst immer den Cast zusammensetzte, damit man sich eben kennenlernte. Neben uns hatte sich die Kameracrew zusammengefunden. Ray setzte sich bei denen dazu, bei ihm war es nicht wichtig, wo er hingehörte. Auch Seua begrüßte mich, der wie selbstverständlich neben mir saß. Ich würde wohl nicht drumherum kommen, als Duo mit ihm hier die Zeit zu verbringen. #SeuaCai #NokWolf

Bevor wir aßen, trat P’Star vor uns mit einem Mikrofon: »Guten Abend an Cast, Crew und Team von »Wolfsherz«. Ich bin froh, dass ihr alle gekommen seid und hoffe, dass ihr den Abend für das Kennenlernen und natürlich auch für ein bisschen Entspannung nutzen könnt. Wir haben euch erst mal in eure Gruppen gesetzt, das heißt aber natürlich nicht, dass ihr nicht auch im Laufe des Abends mit anderen Leuten sprechen könnt. Je mehr ihr untereinander redet, desto besser. Wir haben extra für euch am Strand Hütten aufbauen lassen, damit sich niemand über den Rückweg Gedanken machen muss. Auf uns und dass »Wolfsherz« ein Erfolg wird!«

Er verkündete noch die Einteilung der Hütten, die mich keineswegs überraschte. Ich sag‘ ja, wir werden nur noch als Duo gehandelt. Wir applaudierten und es gab Essen. Es gab ein bisschen von allem, vor allem aber Reis, Gemüse und gebratenes Hühnchen. An unserem Tisch erzählte jeder ein bisschen von seinen Projekten, diesmal äußerte sich sogar Dice dazu. Ich glaube, ich habe ihn noch nie vorher so lange reden hören. Auf seinem Handy zeigte er uns sein vorheriges Drama, was wohl sehr bekannt war. Mit ihm in der Hauptrolle. Mir stellte sich dabei allerdings eine Frage: »Ich kenne die Serie nicht, aber werde sie mir auf jeden Fall ansehen. Darf ich fragen, warum du nach so einem Erfolg eine Nebenrolle angenommen hast?« Es war nicht unüblich, aber die wenigsten Schauspieler ließen sich gerne downgraden. Sein Blick fiel kurz auf Seua, dann sah er mich an: »Naja, ich denke man sollte sich allem widmen, was man bekommen kann. Es ist gut fürs Portfolio.«

Gut, das machte Sinn. Wir stießen auf gute Zusammenarbeit an und aßen endlich, ich war schon kurz vorm Verhungern.
 

Ein bisschen später spürte ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter, hinter mir stand ein Typ mit braunen, lockigen Haaren und umgedrehter Basecap. Seine blauen Augen strahlten mich an.

»Ich wollte die Gelegenheit mal nutzen, mit dir zu quatschen, Cai. Ich bin übrigens Noah, einer der Leute, die beim Dreh für den Ton verantwortlich sein werden«, stellte er sich vor. Anhand seines Aussehens, seines Namen und seines Akzentes vermutete ich, dass er ebenfalls aus den USA kam.

»Freut mich, Noah. Du bist Amerikaner, oder?«

Er salutierte: »Jawohl! Deswegen dachte ich, ich quatsch‘ dich einfach mal an, weil es cool ist, jemanden aus der Heimat zu treffen.«

Noah setzte sich zu uns, ich erfuhr noch von ihm, dass er ursprünglich aus Florida stammte.

»Wie kommt man von Florida aus dazu, in Bangkok als Tonmann zu arbeiten?«, wollte ich wissen.

»Mein Vater ist Diplomat, daher kam ich früher viel rum und bin dann irgendwann hier hängengeblieben. Ich hab‘ hier auch die Uni abgeschlossen«, erzählte er und an dem Leuchten in seinen Augen konnte ich sehen, dass seine Faszination echt war.

»Krass. Also sprichst du auch Thai?«

Er hielt sich einen Finger vor den Mund: »Psst. Die meisten hier wissen das nicht. Ich kann gerne für dich übersetzen, falls die Leute hier wieder heimlich Thai reden.«

Ich behielt das im Hinterkopf, im Moment war es jedoch nicht nötig: »Okay, aber sie werden mir alles Wichtige schon auf Englisch sagen.«

Noah zuckte mit den Schultern: »Wie du meinst, P’Cai. Aber falls doch, weißt du an wen du dich wenden kannst.«
 

Im Laufe des Abends wurde mir immer wieder Alkohol angeboten, was ich jedoch freundlich ablehnte. Selbst wenn es eine Beleidigung sein sollte, ich hatte noch nie getrunken und würde es auch nie. Dass das oft auf Unverständnis stieß, war ich schon gewohnt. Zum Glück ließen sie ihre Angebote irgendwann sein. Dann wandte sich Pravat an mich. Er fragte, ob er kurz allein mit mir reden konnte. Schulterzuckend folgte ich ihm, konnte mir nicht vorstellen, was ausgerechnet er mir sagen wollte. Wir liefen am Strand entlang, wo das schwarz aussehende Wasser an unsere Füße schwappte. Dieses Setting war eigentlich viel zu romantisch, als mit P’Pravat rumzulaufen. Von ihm hatte ich heute Abend noch nicht viel gehört, dachte er wollte die Gelegenheit nutzen, mit mir zu reden. Wir waren schon recht weit weg von der Gruppe und die Umgebung wurde immer verschwommener. Zum Glück blieb er dann aber stehen. Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Ich will dich warnen, Cai.«

Die rauschenden Wellen und der sonst stille Strand ließen mich schaudern, vor allem mit dieser Aussage.

»Warnen? Wovor?«

Ich war ehrlich überrascht, konnte mir nichts vorstellen, was mir gefährlich werden könnte.

»Vor Seua. Du denkst vielleicht, dass er total nett ist und dir helfen wird. Das wird er auch, aber ich kenne ihn schon ein bisschen länger. Deswegen tätest du gut daran, ihm nicht einfach zu vertrauen.«

»Wieso nicht?«

Erst in diesem Moment drehte er sich um, doch da ich ohnehin kaum etwas sah, spielte sein Gesichtsausdruck für mich keine Rolle.

»Weil er nicht immer so nett ist. Er hat eine dunkle Seite und wenn man die einmal erlebt hat, denkt man, dass es nicht derselbe Mensch ist. Er wird nicht immer der nette, harmlose sein. Sein Name bedeutet nicht umsonst Tiger.«

Als ob ich das nicht schon selbst wüsste. Seua war nicht zimperlich, aber dass man mich deswegen warnen sollte, fand ich übertrieben.

»Danke für die Warnung, P’Pravat. Aber ich mache mir lieber mein eigenes Bild«, sagte ich und wollte umdrehen.

»Gut, du musst mich nicht ernst nehmen. Aber du wirst schon noch sehen, was ich meine. Das was er jetzt macht, ist nur der Anfang.«

Ich winkte ab, ließ Pravat in den schwarzen Wellen zurück. Es war schwer genug für mich, in der Dunkelheit allein zurückzulaufen, ich musste mich sehr auf die Lichter konzentrieren. Als ich endlich wieder da war, wechselte Seua sofort auf Englisch. Sie unterhielten sich über die Charaktere in der Serie. Ursprünglich hoffte ich, auch mit Seua reden zu können, doch da ständig andere Leute mit mir reden wollten, kam das nicht zustande.
 

Später ging ich schon mal vor zur Hütte. Sie war ein bisschen luxuriöser als ein Zelt, aber im Grunde nur eine einfache Holzhütte mit zwei Schlafsäcken und einer kleinen Lampe. Direkt am Meer zu schlafen, stellte ich mir ziemlich aufregend vor, es war auch das erste Mal für mich. Ich legte meine Sachen in der Hütte ab, dann schnappte ich mir das Drehbuch und mein Handy, ging mit eingeschalteter Taschenlampe runter zum Meer. Es war zwar schon spät, aber ich wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, bei dieser Atmosphäre ein paar Zeilen zu üben. Einen selbstbewussten Charakter wie Wolf zu spielen, musste ich erst einmal hinbekommen.
 

»Dein Name bedeutet »Vogel«, oder? Wenn du wirklich fliegen könntest, was würdest du dann tun?«

»Dann würde ich mich freuen, weil ich nicht mehr mit Menschen reden müsste.«
 

Moment mal..also mit einer Antwort hatte ich nicht gerechnet. Seua war da, trug seine Tasche über der Schulter. Ich hörte, wie die Tasche in den Sand fiel und versuchte, in der Rolle zu bleiben.
 

»Nok! Andere würden sagen, sie wollen weit wegfliegen, um alles zu erkunden«, erwiderte ich lachend. Er schüttelte den Kopf.

»Ich aber nicht. Das heute war schon viel zu viel. Ich bin froh, wenn ich auf meinem Zimmer bin und meine Ruhe habe«, sagte er, wobei seine Stimme immer leiser wurde. Ich grinste ihn an: »Dafür ist es zu spät. Dann hättest du mich nicht treffen dürfen.«

Freundschaftlich legte ich ihm einen Arm um die Schulter, deutete auf das Meer: »Schau‘ dich um! Da draußen ist noch so viel, was wir machen können! Ich werde schon dafür sorgen, dass du irgendwann fliegen kannst.« Vorsichtig sah er mich an: »Ich hoffe es.«
 

Für einen Moment verharrten wir in dieser Position, dann löste ich mich und ließ das Drehbuch sinken. Wir starrten für eine Weile einfach aufs Meer. Es war mittlerweile stockfinster, ich sah gar nichts mehr, wenn ich die Taschenlampe nicht hätte. Seua nahm mir das Handy und das Drehbuch aus der Hand, steckte die Sachen in seine Tasche und brachte diese zur Hütte. Als er wiederkam, zog er sich sein Shirt aus und ging ins Wasser.

»Traust du dich?«, rief er.

Ohne das Licht von meinem Handy fiel es mir schwer, mich zu orientieren. Ich konnte gerade noch so den Unterschied zwischen Strand und Wasser ausmachen. Es war sehr warm, aber ich musste ehrlich sein.

»Ich würde gerne, aber ich sehe nichts, P’Seua!«, rief ich zurück. Seua kam zurück, stand wieder vor mir. Jeder andere würde sich vermutlich in dieser Situation nichts dabei denken, weil es normal war, in der Dunkelheit nichts zu sehen. Doch Seua legte mir eine Hand auf die Schulter: »Hat das damit zu tun, dass du das Blitzlicht heute nicht vertragen hast?«

»Ja. Ich bin nachtblind. Das heißt nicht nur, dass ich im Dunkeln wenig, bis nichts sehe, sondern auch, dass ich mit allem, was flackert und blitzt nicht gut klarkomme. Alles eben, wo sich die Lichtverhältnisse schnell ändern«, erklärte ich. Grundsätzlich war das bisher nicht wirklich ein Problem gewesen und es machte mir auch nichts aus, darüber zu reden. Nur für einen Wolf war das leider keine Glanzleistung.

»Dann lass‘ mich für diesen Moment deine Augen sein, N’Cai.«

Er nahm meine Hand: »Vertraust du mir?« Ich ließ mich darauf ein, hatte keine andere Wahl. Selbst die Lichter vom Strand waren zu weit weg für mich. An seiner Hand lief ich mit ihm ins Meer. Das Wasser war lauwarm, trotzdem kühlte es mich ab. Seua ließ sich fallen, zog mich mit. Wir saßen dort im Wasser wo es seicht genug war, aber schon so hoch, dass es uns fast bis zum Hals stand. Es war angenehm, vom Wasser umgeben zu sein. Seua hatte meine Hand nicht für eine Sekunde losgelassen. Wirklich sehen konnte ich ihn nicht, aber es war gut zu wissen, dass er da war. Er räusperte sich.

»Pravat hat dir aber keine Scheiße über mich erzählt, oder?«, wollte er wissen. Diese Begegnung war schon fast wieder aus meinem Kopf verschwunden. Vermutlich sollte Seua das besser nicht wissen. Ihn nicht sehen zu können, half mir ein bisschen nicht nervös zu sein.

»Nein, ach. Er wollte nur reden«, sagte ich hastig, wollte das Thema schnell beenden. Es war natürlich auffällig, wenn dich jemand zur Seite nahm, dass hieß schließlich, dass die Person etwas mit dir besprechen musste, was sie vor den anderen nicht sagen konnte. Und Seua war nicht blöd genug, um mein Geschwafel zu glauben.

»Verarsch‘ mich nicht, Cai. Pravat ist niemand, der Leute einfach beiseite nimmt, um locker mit ihnen zu quatschen«, ich konnte die Verärgerung aus seiner Stimme raushören.

»Gut, er hat irgendwas davon gefaselt, dass du eine dunkle Seite hast oder so«, je schneller ich das hinter mich brachte, desto besser. Seua seufzte: »Sowas in die Richtung habe ich mir gedacht. Und was machst du jetzt damit?«

»Was ich damit mache? Gar nichts, P’Seua. Ich halte nichts davon, wenn mir Leute, was über andere Leute erzählen. Erstens kenne ich eure Vorgeschichte nicht, also weiß ich auch nicht, warum er das macht oder ob es stimmt. Zweitens hat jeder eine andere Wahrnehmung, ich verlasse mich lieber darauf, was ich selbst höre und sehe.«

»Danke, Cai. Das rechne ich dir wirklich hoch an.«

Eine Weile saßen wir noch im Wasser, doch langsam wurde es ein bisschen frisch. Seua schien das auch so zu gehen, denn er zog mich an meiner Hand hoch. Sanft, aber bestimmend zog er mich in Richtung Strand. Wir holten unsere Sachen, ich zog mich draußen um und ging dann zu ihm in die Hütte.
 

Seua lag schon in seinem Schlafsack, er schaute irgendetwas auf seinem Handy mit Kopfhören. Da er auf der Seite lag, bemerkte er mich nicht einmal und ich musste zugeben, dass ich ein bisschen enttäuscht war, weil ich gerne mehr mit ihm geredet hätte. Andererseits war er, nicht so wie ich, ziemlich bekannt und vermutlich einfach froh, wenn er mal ein paar Minuten seine Ruhe hatte. Ich kletterte ebenfalls ich meinen Schlafsack, versuchte einen Blick auf sein Handy zu erhaschen. Was er sich wohl ansah? Neugier war ein Laster von mir, welches ich nur schwer ablegen konnte. Ich robbte näher zu ihm, konnte aber nur seinen Nacken und die schwarzen Haare sehen. Ich war schon immer neidisch auf dieses schwarz gewesen, das war nichts, was man künstlich herstellen könnte. Plötzlich drehte er sich in meine Richtung. Unsere Gesichter waren so nah beieinander, dass ich seinen Atem spüren konnte. Grinsend biss er sich auf die Lippe, ich musste schlucken.

»Wenn du mich überfallen willst, solltest du das schon etwas geschickter anstellen«, er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Als seine Finger meine Haut berührten, kribbelte es in meinem ganzen Körper.

»D-das will ich doch gar nicht! Ich wollte nur wissen, was du dir ansiehst«, gab ich kleinlaut zu, doch er rückte keinen Zentimeter von mir weg. Verdammt, Seua brauchte nicht mal ein Drehbuch dafür, um Boys Love zu erschaffen. Ich rückte weg, da hielt er mir einen Kopfhörer hin. Das Handy lehnte er gegen eine Holzstufe, sodass wir beide es sehen konnten, wenn wir auf dem Bauch lagen. Das, was er schaute, war eine thailändische Serie, Boys Love, natürlich.

»Guckst du das als Referenz, oder weil du es magst?«, fragte ich.

»Beides. Ich mag es aber auch, Leute bei der Arbeit zu sehen, die man vielleicht privat kennt, oder mit denen man zusammengearbeitet hat.«

Ich konnte mir vorstellen, dass es interessant ist, diese Leute dann vor der Kamera zu sehen. Während wir still die Folge sahen, in der – Gott sei Dank – nicht viel passierte, sah ich zu ihm rüber. Ich meine Seua flirtete offensichtlich ziemlich krass mit mir, aber das machte er nur, damit ich lockerer wurde. Weil ich das ohnehin im Drama umsetzen musste. Und ich war sicherlich nicht der Einzige, bei dem er das machte, oder…?

Der Wolf im Rampenlicht

Am nächsten Tag waren wir wieder beim Sender, dort sollten wir die Szenen, die wir vorher gelesen hatten, auch spielen. Dafür gab es extra einen Übungsraum, der aussah wie ein Tanzsaal mit Parkett und riesigen Spiegeln an den Wänden. Es ging nicht um Kostüme oder Sets, sondern eben darum, die Emotionen und Bewegungen der Charaktere einzustudieren. Dice und ich waren die Ersten. Er lehnte an der Wand, las im Drehbuch. Als er mich sah, nickte er mir kurz zu. In der Serie war er so etwas wie ein heimlicher Verehrer von Nok, sprach ihn aber nicht an, weil er wusste, wie schüchtern Nok war. Erst als Wolf auftaucht, mischt er sich ein. Also ein zertifiziertes drittes Rad am Wagen. Dice sah auch sehr gut aus, aber er übte nicht diese Faszination auf mich aus, wie Seua. Diesmal würden nur der Cast und unsere Schauspiel-Trainerin anwesend sein. Seua kam rein und als Dice ihn sah, lief er direkt auf ihn zu und umarmte ihn. Er nahm das lachend zur Kenntnis und erwiderte die Umarmung.

»Ganz ruhig, Dice. Wir haben uns nur einen halben Tag nicht gesehen.«

Mir wuschelte Seua durch die Haare: »Du bist immer überpünktlich, N’Cai.«

Es war mir eben wichtig, auch da zu sein, wenn meine Anwesenheit gebraucht wurde. Auch wenn es heute eher einem Wunder glich, da wir nach der Übernachtung am Strand, noch zum Hotel zurückmussten. Trotzdem hatten wir das alles relativ gut über die Bühne gebracht, Ray sollte sich heute freinehmen, weil ich den ganzen Tag beschäftigt sein würde. Langsam trudelten auch die anderen ein. Unsere Schauspiel-Trainerin war eine junge Frau, sie nannte sich P’Amy.

»Also Leute, hier geht es einerseits darum, dass ihr ein Gefühl für die Szenen bekommt, andererseits möchte ich, dass ihr ein bisschen auf Tuchfühlung geht. Ihr sollt lockerer miteinander werden, fasst euch ruhig an. Das steht schließlich im Vertrag.«

Wir setzten uns in einen Kreis und begannen verschiedenen Fakten über uns zu erzählen. Geburtsorte, Alter, Hobbies, wo man zur Schule gegangen ist. All das während wir die Hand auf dem Rücken der linken und rechten Nachbarn liegen hatten. Rechts von mir saß Seua, links Dice. Irgendwie entspannte es mich, weil wir eine sehr angenehme Atmosphäre schafften. Bei Sun und Moon waren die meisten Antworten gleich, immer wenn sie antworteten, lachten alle. P’Amy beobachtete uns genau, ermutigte uns immer wieder, nicht schüchtern zu sein. Später spielten wir noch Wer-bin-ich, wo man erraten musste, wer aus dem Cast man war.

»Also bin ich jetzt Sun oder Moon?«, fragte Pravat. Wir sahen uns an, aber ich zuckte mit den Schultern: »Das musst du schon selbst rausfinden, die Chancen stehen 50/50.«

Er seufzte: »Moon?« Alle lachten. »Falsch! Sun!«
 

Nach einer Pause begannen wir damit, die Szenen zu üben. Szene 1, Take 1. Seua verwandelte sich fast fließend in Nok. Seine ganze Körperhaltung änderte sich, wenn er zu Nok wurde. Dann war er nicht mehr der Selbstbewusste, sondern, der Zusammengesunkene. Seine Augen strahlten nicht mehr. Er stand vor einem imaginären schwarzen Brett, wo er seinen Namen eintrug. Dann spulten wir eine Woche vor, das erste Treffen von Wolf und Nok. Jetzt musste auch ich mich verwandeln. Also gut, Cai. Du bist jetzt nicht mehr der verschreckte Amerikaner, sondern der selbstbewusste Amerikaner, der weiß, was er will. Ich richtete mich auf und ging auf ihn zu. Mittlerweile saß er an einem Tisch. Im Rahmen des Programms wurden die ausländischen Studenten ihren Mentoren zugeteilt. Wolf war vorher auf einer Informationsveranstaltung gewesen, war dann auf dem Weg zum Treffpunkt mit Nok.
 


 

- Wolfsherz – Szene 1-
 

»Du bist Nok, oder?«

Ohne mich anzusehen, nickte er.

»Wolf, freut mich«, lächelnd streckte ich ihm die Hand hin, doch bekam keine Reaktion. Also änderte ich meine Taktik und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Erschrocken sah er mich an. Ich schmunzelte: »Geht doch! Auf gute Zusammenarbeit, Mentor«. Doch Nok brachte immer noch kein Wort heraus. Stattdessen drückte er mir einen Zettel in die Hand, auf dem seine Kontaktdaten standen und einige Hinweise zum Campusleben und dem Leben in Thailand generell. Seufzend setzte ich mich ihm gegenüber: »Komm‘ das wirst du mir doch auch sagen können, oder? Du studierst doch Englisch, oder nicht?« Als ich sah, wie er auf dem Tisch seine Hände zusammendrückte und offensichtlich mit sich rang, beschloss ich das Ganze etwas sanfter anzugehen. Manchen Leuten fiel das Sprechen eben schwer, da wollte ich ihn nicht unter Druck setzen. Trotzdem musste ich ihn ein bisschen aus der Reserve locken, sonst würde er überhaupt nicht mit mir reden.

»Drei Sekunden.«

Jetzt sah er auf: »Hm?«

»Versuch‘ mir drei Sekunden in die Augen zu sehen, N’Nok«, forderte ich ihn auf.

Tatsächlich gab er sich einen Ruck, sah mich vorsichtig an. Seine Aura nahm mich sofort ein. Verdammt, an diesem Typen ist ein Idol verlorengegangen! Mein Plan stand fest. Er würde mir zeigen, wie ich mich hier zurechtfinden konnte, ich würde ihm helfen, gegen seine Schüchternheit zu arbeiten. Ich bat ihn, mir den Campus zu zeigen. Er ging mit mir zum Fakultätsgebäude, wo ich in Zukunft Thai lernen würde. Wir gingen an den verschiedensten Räumen vorbei, wo Nok mir mit leiser Stimme sagte, wofür die Räume gut waren. Er kam noch mit bis zu meinem Zimmer, glücklicherweise wohnte er im gleichen Studentenwohnheim. Ich packte ihn am Arm, sodass er in meinem Zimmer stand. Dort befand sich noch nicht sonderlich viel, ich war noch nicht einmal großartig dazu gekommen, meinen Koffer auszupacken. Ich öffnete meinen Rucksack, holte die Bücher heraus und gab sie ihm in die Hand.

»Die kannst du auf dem Schreibtisch ablegen.«

Ich beobachtete seine Reaktion, doch tatsächlich schien es ihm zu gefallen, eine Aufgabe zu haben, die nichts mit Menschen zu tun hatte. Für ihn musste es ein Segen sein, dass es Instant Messanger und Social Media gab. Langsam setzte ich die Puzzleteile zusammen und verstand seine Agenda hinter der Anmeldung an diesem Programm. Glücklicherweise war er da bei mir genau an der richtigen Stelle.

»Warum studierst du Anglistik?«, wollte ich von ihm wissen, als ich meinen Koffer auspackte.

»Ich liebe Sprachen einfach und finde es interessant, was man damit alles machen kann. Man lernt durch die Sprache auch die Kultur kennen und kann seinen Horizont erweitern. Wenn ich irgendwann kann, möchte ich Übersetzer werden, ganz viel ins Ausland reisen und Leute kennenlernen«, es war das erste Mal, dass ich seine Stimme länger als eine Sekunde hörte. Wenn er mich nicht dabei anschauen musste, ging das wohl. Die schwärmerische Art, wie er darüber sprach, zeigte mir, dass er es ernst meinte.

»Doch dafür bist du zu schüchtern und hoffst, dass du dich durch das Programm ändern kannst?«, wollte ich meine Vermutung bestätigen.

»Ja.«

Ich ließ meine Sachen fallen, ging auf ihn zu. »Nok?«

»Mhm?«

»Ich werde dir helfen! Nach einem Jahr mit mir, wird dich niemand wiedererkennen!«, rief ich aufgeregt. Angestrengt starrte er auf meinen Schreibtisch: »Bist du sicher?«

»Natürlich! Wir werden uns gegenseitig helfen und du wirst sehen, dass du es kannst. Wenn du damit einverstanden bist, sieh‘ mir fünf Sekunden in die Augen.«

Nok drehte sich zu mir, sah mir in die Augen und lächelte leicht. Diesmal war ich es, der erstarrte. Seine Augen waren das eine, aber dieses Lächeln, war auf einem ganz anderen Niveau. Für einen Moment dachte ich, mein Herz würde stehen bleiben.
 

Doch dann weckte P’Amy uns aus der Szene auf. Ich musste erst einmal realisieren, dass ich gar nicht an einer thailändischen Uni, sondern immer noch im Übungsraum war. Ich sah in die Runde, dann sah ich P’Amy an.

»Ich hätte gerne das ein oder andere angemerkt, aber ihr wart beide so in der Szene drin, da wollte ich nicht unterbrechen. N’Seua, das Lächeln am Ende könnte noch ein bisschen schüchterner sein. Du willst ja nicht, dass Wolf einen Herzinfarkt bekommt, oder? N’Cai, auch du hast das schon sehr gut gemacht, das Einzige, was ich anmerken muss ist, dass man dir die Nervosität noch ein bisschen zu sehr ansieht«, hörten wir uns ihr Feedback an. Es war berechtigt und ich beschloss, daran zu arbeiten. Vielleicht sollte ich mich immer wie Wolf benehmen, dann wäre mir einfach alles egal. Auch die anderen übten Szenen allein oder auch welche, in denen wir vorkamen.
 

Erst am Abend hatten wir die Zeit, uns zusammenzusetzen. P’Amy hatte sich bereits verabschiedet. Wir saßen auf dem Boden, hatten vom Sender Handtücher und Getränke bekommen. Essen hatten wir selbst bestellt, welches Dice gerade hereinbrachte. Durch die vielen Szenen war es ein sehr anstrengender Tag gewesen und das Laufen hatte uns alle ins Schwitzen gebracht. Dice verteilte die Stäbchen an alle und uns stieg der Dampf aus den Fertigboxen entgegen. Doch weder das Essen noch die Erschöpfung konnten mich beruhigen, weil ich die ganze Zeit an den nächsten Tag denken musste. Da stand nämlich das erste Fan-Event an, das erste Mal, dass Seua und ich als Duo vor die Öffentlichkeit traten. Der andere Cast würde auch dabei sein, aber hauptsächlich würde es um uns gehen. Im Rampenlicht, vor Kameras, vor Fans, live. Meine erste Feuerprobe. Den Anderen schien das überhaupt nichts auszumachen, sie plauderten fröhlich, während ich mich aufs Essen konzentrierte. Seua legte seine Hand auf mein Bein.

»Alles okay?«, fragte er leise. Ich nickte schnell, er sollte nicht wissen, dass ich mir Sorgen machte. Ich habe schon die ganze Zeit ausgesehen wie ein Schwächling, diesmal nicht.

»Ja, alles gut. Ich bin nur müde«, murmelte ich zurück.
 

Wie das immer so ist, werden auch die Tage vor denen man sich fürchtet, auf einen zukommen. Wir sind die Show mit dem Team schon einmal vorher durchgegangen, alles hatte geklappt. Das Einzige, auf das wir uns nicht vorbereiten konnten, waren die Fragen der Fans. Ich saß gerade in der, extra dafür gebauten, Maske, war fertig geschminkt und angezogen. Ray hatte ich noch ein paar Mal gesagt, dass er die Fotografen bitte brieft, damit sie kein Blitzlicht benutzen. Ich hoffe, er hat es nicht vergessen. Im Spiegel sah ich mich an, die Haare hochgestylt im Anzug, könnte man glatt für einen Mafia-Sohn halten. Privat trug ich fast nie Anzüge, aber sie konnten schon viel aus jemandem machen. Auch mir eher nicht so viel. Die Erklärung des Senders zu den Anzügen war, dass es eben unser erstes offizielles Event sein würde und gleichzeitig auch das erste Mal, dass die angehenden Fans das Cover und unsere Bilder sehen würden. Genug Raum, sich komplett zu blamieren, im TV oder online. Ich atmete noch ein paar Mal tief aus, dann stand ich auf und ging Richtung Tür. Denk‘ an deine Karriere, Cai. Gerade als ich rausgehen wollte, stand Seua vor mir. Natürlich trug er den gleichen Anzug und Frisur wie ich, sah im Gegensatz zu mir aber aus wie ein Kandidat der Forbes-Liste. Gegenseitig musterten wir uns. Die hochgestylten Haare ließen seine Augen noch besser zur Geltung kommen. Ich trat einen Schritt zurück, um ihn reinzulassen. Besorgt sah er mich an: »Du bist nervös, oder? Gestern hast du zwar gesagt, dass alles okay ist, aber du warst den Rest des Abends so still.«

Wieso musste man mir die blöde Nervosität auch ansehen? Bevor Seua wieder irgendwas anstellen würde, sagte ich lieber die Wahrheit. Er war wirklich aufmerksam.

»Ja, ich bin nervös. Wenn ich mich heute blamiere, sehen es wirklich alle. Und vor allem Fans? Was sollen die denn denken?«

»Wieso solltest du dich blamieren?«

Unschlüssig wedelte ich mit den Armen: »Du hast doch gesehen, was für Stunts ich bringen kann. Ich bin nun mal ein Tollpatsch. Es würde mich nicht wundern, wenn ich vor versammelter Mannschaft hinfliege.«

Seua nahm meine Arme, drückte sie nach unten: »Beruhig‘ dich erstmal. Solange ich in der Nähe bin, wird dir nichts passieren.«

Sein ruhiger Tonfall gab mir ein bisschen Sicherheit, doch der Blick in seine Augen bewirkte genau das Gegenteil. Trotzdem war es anders, weil ich spürte, dass er es absolut ernst meinte. Er war schließlich auch ein Profi und wusste, worauf es bei diesem Job ankam. Genug davon. Konzentrier‘ dich, Cai. Es ist ein wichtiges Event, was über die Zukunft der Serie entscheiden könnte.
 

Kurz darauf wurden wir auch schon zur Bühne gebeten, als erstes sollten Seua und ich auftreten. Das Event fand in einem Einkaufszentrum statt, wo sie dafür in der Eingangshalle extra eine Bühne aufgebaut hatten. Die Fans und die Kameraleute waren schon da und als sie uns von weitem sahen, begannen sie zu kreischen. Wir standen vor der Treppe zur Bühne, als plötzlich das Blitzlichtgewitter losging. Instinktiv versuchte ich Ray in der Menge auszumachen, aber ich wurde geblendet und sah nichts. Seua zog mich hinter sich, stieß mich in Richtung Backstage und befahl mir dort zu bleiben. Gerade in diesem Moment sah ich Ray auf mich zu kommen, die Panik war ihm ins Gesichts geschrieben. Bevor er sich äußern konnte, hörten wir jemanden auf der Bühne sprechen. Anhand des Kreischen der Fans konnte ich mir schon denken, um wen es sich handelte.

»Vielen Dank, dass ihr alle hier seid. Bevor wir anfangen, hätte ich noch eine Bitte.«

Ray und ich sahen uns an, dachten wahrscheinlich das Gleiche. Was hat er vor? Das Publikum wurde still.

»Mein Drehpartner Cai verträgt kein Blitzlicht. Ich würde daher alle bitten, das Blitzlicht von allen Handys und Kameras auszuschalten. Vielen Dank.«

Schuldig sah Ray mich an, weil dies seine Aufgabe gewesen wäre. Trotzdem schüttelte ich versöhnlich den Kopf. Es musste irgendetwas vorgefallen sein, das würde ich schon früh genug erfahren. Ein kurzes Raunen ging durch das Publikum, dann klickten alle Kameras wieder – ohne Blitzlicht. Ray deutete mit dem Kopf zur Bühne und ich musste mich damit abfinden, dass der Moment gekommen war. Vorsichtig nahm ich die Stufen hoch zur Bühne, Seua stand schon mit dem Mikrofon in der Mitte. Ich selbst hätte es nie über mich gebracht, das vor allen Leuten zu sagen, ohne seine Hilfe. Dann wäre ich jetzt vermutlich blind. Einer aus dem Team gab mir auch ein Mikrofon. Wie wir es geübt hatten, begrüßten wir die Fans auf Thai und stellten uns vor. Die Hintergründe und Seitenpanels der Bühne waren noch abgedeckt, weil das Cover noch nicht von der Öffentlichkeit gesehen wurde. Auf das Zeichen des Veranstalters hin, traten wir zur Seite, deuteten mit den Händen in Richtung Hintergrund und sagten: »Wir präsentieren…« und auf Kommando fielen alle Abdeckungen herunter. Zum Vorschein kam unser Cover, bearbeitet, mit Titel und Release-Datum. Es versetzte die Fans in Extase, die jubelten und klatschten. In diesem Moment bekam ich Gänsehaut, fühlte mich das erste Mal wie ein richtiger Star. Das war unser Projekt und ich war ein Teil davon. Die Leute, die hier standen, zeigten mir, dass sie uns unterstützten und das, obwohl nicht einmal die Dreharbeiten angefangen hatten. Ich ließ meinen Blick über die Fans schweifen. Die meisten von ihnen waren junge Mädels oder Mädels in unserem Alter. Ein paar Männer und ältere Leute entdeckte ich auch unter ihnen, was mich sehr freute. Zusätzlich zum abgesperrten Bereich, in dem die Fans standen, waren auch einige neugierige Leute stehen geblieben, die vermutlich ursprünglich zum Shoppen gekommen waren. Auch sie filmten mit ihren Handys. Als es kurz dunkel wurde, damit sie den Trailer zeigen konnten, nahm Seua meinen Arm und ich bereute keine Sekunde, dass ihm davon erzählt hatte. Er war eine verdammt große Hilfe, wusste vermutlich gar nicht, wie wichtig das war. Diese Geste zeigte mir eben, was er sagen wollte: »Ich bin da.«

Der Trailer zeigte die Geschichte von »Wolfsherz« als animierte Charaktere und auch als Wolf und Vogel.
 

Es wurde wieder hell und wir setzten uns auf die Stühle in der Mitte der Bühne. Schließlich war den Fans versprochen worden, dass sie ein paar Fragen stellen durften. Einer vom Team ging zu den Leuten und gab ihnen ein Mikrofon.

»P’Seua, ich wollte sagen, dass ich schon seit zehn Jahren dein Fan bin! Danke für deine fantastische Arbeit. Warum hast du dich entschieden, bei »Wolfsherz« mitzuwirken?«

Den Leuten war es freigestellt, ihre Fragen auf Thai oder Englisch zu stellen, netterweise gab es aber einen Übersetzer für mich. Seua antwortete:

»Vielen Dank. Ich freue mich, dass du meine Arbeit schon so lange verfolgst. Ich habe mich für dieses Projekt entschieden, weil es besonders ist. Nicht nur ist die Geschichte sehr schön erzählt, sie verbindet eben auch Thailand und die USA. Mir ist bewusst, dass thailändische Serien mittlerweile auch im Ausland sehr beliebt sind, und deswegen freue ich mich besonders, dass wir auch unseren internationalen Fans dadurch unseren Dank für ihre Unterstützung aussprechen können!«

Wieder jubelten sie, doch dann kam schon direkt die nächste Frage: »P’Seua, warum kannst du so gut Englisch?«

»Eine Zeit lang habe ich im Ausland studiert und auch aktuell besuche ich Englisch-Kurse an der Uni.«

Ich zog die Augenbrauen hoch. War das überhaupt nötig? Jede Frage wurde von ihm professionell, neutral, freundlich und senderkonform beantwortet. Offensichtlicher konnte es nicht sein, dass er Erfahrung damit hatte. Jetzt war ich an der Reihe.

»P’Cai, willkommen in Thailand! Wieso hast du dich dafür entschieden, hier eine Serie zu drehen?«

Ich räusperte mich, wollte das genauso souverän abhandeln, wie er, aber meine Stimme wollte nicht wie ich. Erwartungsvoll sahen sie mich an, Seua legte mir eine Hand auf den Rücken, erst dann konnte ich sprechen: »Dankeschön. Ich war schon als Kind großer Asien-Fan, als ich dann von diesem Angebot gehört habe, habe ich natürlich sofort zugesagt. Natürlich ist es nicht nur eine Herausforderung, eine gute Serie zu machen, vor allem ist es für mich auch eine Herausforderung im Ausland zu arbeiten. Aber es ist mein Traum und deswegen werde ich mich anstrengen.«

Ich war fast ein bisschen stolz auf mich, dass meine Antwort auch professionell klang.

»P’Cai, kannst du thailändisch?«

»Ein ganz kleines bisschen«, sagte ich auf Thai. Die Fans schienen es zu mögen, ich sah das Leuchten in ihren Augen. Ich schwitzte zwar unheimlich in diesem Anzug, aber es machte langsam Spaß.

»P’Cai, wie stehst du zu Boys Love? Hast du schon einmal in so einer Serie mitgewirkt?«

»Ich muss sagen, ich mag den offenen Umgang in Thailand mit diesem Thema. Bisher habe ich noch in keiner derartigen Produktion mitgewirkt. Aber ich bin mir sicher, dass ich es mit der Unterstützung von P’Seua, gut machen werde.«

Schon verfielen sie wieder in ihren Jubel und ich genoss es. Diese Leute waren wegen uns hier, sie opferten ihre Zeit und ihr Geld, nur um mein langweiliges Gesicht und Seua zu sehen.

Zum Schluss standen wir auf, er legte mir einen Arm um die Hüfte, ich ihm einen um die Schulter und lächelten uns an. Für die Fans natürlich, damit die Fotos machen konnten. Dann wandten wir uns zu ihnen zu, denn genauso sollten wir es machen. Mir war unglaublich heiß und ich war erschöpft, aber auch zufrieden, bekam das Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht. Fast fünf Minuten blieben Seua und ich so stehen. Später kamen dann noch die Anderen dazu, hatten auch kurz Zeit sich und ihre Rollen vorzustellen.
 

Erst als der Veranstalter das Event offiziell für beendet erklärte, konnten wir zurück in die Maske. Immer noch lächelnd sahen wir uns an: »N’Cai, ich weiß überhaupt nicht, warum du dir solche Sorgen gemacht hast. Das war perfekt, wenn man bedenkt, dass es dein erster Auftritt vor Fans war!«

Innerlich wollte ich schreien, denn für mich war er ein Vorbild als Schauspieler, daher fühlte ich mich geehrt.

»Niemals ohne deine Hilfe, P’Seua. Falls ich mich jemals revanchieren kann, sag‘ Bescheid«, da sich sein Blick schon wieder wandelte, schob ich noch schnell hinterher: »Aber natürlich nicht so.«

Seua lachte: »Verdammt, du kennst mich schon zu gut, N’Cai.« Trotzdem legte er seine Stirn an meine, ich musste schlucken. Ich zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. »Wenn du jemals bereit sein solltest, dich auf meine Art zu revanchieren, lass‘ es mich wissen.«

Er hielt es wirklich keinen Tag aus, ohne mich in Verlegenheit zu bringen. Die gefährlichsten Leute sind die, die gutaussehen und es wissen. Als die Tür aufging sprang ich sofort zurück, bloß nicht blamieren. Ray sah mich überrascht an, doch dann umarmte er mich. Als er jedoch merkte, wie sehr ich schwitzte, ließ er es schnell bleiben.

»Cai, es tut mir so leid! Wir hatten vor eurem Auftritt ein Problem mit der Technik und ich bin die ganze Zeit durch die Gegend gerannt, um zu schauen, wer uns helfen kann. Der Veranstalter wusste wegen dem Blitzlicht Bescheid, aber er wird vergessen haben, es weiterzugeben. Das hätte niemals passieren dürfen«, sagte er völlig außer Atem. Für mich war diese Sache schon längst wieder vergessen, immerhin hatte Seua mich vor der Blindheit bewahrt.

»Mach‘ dir keinen Stress, Ray. Ich glaube den hattest du heute schon genug«, versuchte ich ihn ein bisschen zu beruhigen. Es schien zu wirken, denn er atmete schon etwas ruhiger.

»Ach und danke, Seua. Ohne dich wäre das eine Katastrophe gewesen«, wandte er sich an Seua, doch ich winkte ab. Ray brauchte das nicht zu übertreiben.

»Gestorben wäre ich schon nicht«, warf ich ein, doch Ray überging mich einfach, sprach weiter mit Seua: »Woher wusstest du das? Hat Cai es dir erzählt?«

In meinem Kopf würde er etwas Komisches sagen, was Ray ganz sicher falsch verstehen würde, daher griff ich ein: »Ja, ich habs ihm erzählt.«

Ohnehin wusste es spätestens jetzt das halbe Land, also spielte es keine große Rolle mehr. Je weniger man es sagen musste, desto besser. Die Schlagzeilen der Klatschpresse erwartete ich schon. Ray legte Seua eine Hand auf die Schulter und lächelte ihn dankbar an: »Alles klar. Zieht euch um, Jungs. Ich mache das Auto fertig und warte draußen.«

Ich hoffte, dass er sich den Vorfall nicht zu sehr zu Herzen nehmen würde, auch wenn ich mir vorstellen könnte, dass er heute kein Auge zu machen würde.

Der Wolf in Gefahr

Ein paar Werbeshootings, Workshops und Live-Streams später, stand der erste Drehtag an. Heute würde der Wolf endlich zum Leben erwachen, ich konnte es kaum noch erwarten. Gefühlt hatten wir eine Ewigkeit darauf hingearbeitet. Ein bisschen hatte ich mich auch schon an Seua gewöhnt, generell verstand sich der Cast gut miteinander. Doch es hieß nicht, dass es einfach für mich werden würde, mit ihm zu drehen. Vor allem, wo es ernst wurde. Man konnte nicht mehr sagen, dass man noch Zeit brauchte, die gab es nicht mehr. Spätestens wenn Seua mich nicht nervös machen würde, müsste ich mich stark hinterfragen. Ich war schon umgezogen, in der Thai-Uniform, da wir heute Szenen an der Uni drehen wollten. Mit Ray stand ich unter einem Zelt am Set. Angestrengt sah er auf sein Tablet, dort waren alle Locations, Drehtage und Sets, an denen man sein musste, aufgelistet. Als einer der Hauptcharaktere war meine Anwesenheit meistens erforderlich, aber eben auch nicht immer. Dadurch, dass die Leute ab jetzt individuell anreisten und auch nicht jeden Tag, würde man sich auch weniger sehen. Doch wie ich den Sender mittlerweile kannte, würden sie schon dafür sorgen, dass wir genügend Zeit miteinander verbrachten.

»Hi!«, begrüßte uns Noah mit einem strahlenden Lächeln. Auch er schien sich darauf zu freuen, endlich loslegen zu können. Ihn hatte ich seit der Party auch kaum noch gesehen. Ich nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie Ray die Augen verdrehte. Kannten die sich etwa?

»Hey«, grüßte ich zurück, Ray sagte nichts.

»Ich habe euer Fan-Event im Fernsehen gesehen, das war richtig cool. Vor allem Seuas Aktion kam richtig gut bei denen an. Ich glaube, die lieben euch jetzt schon«, erklärte Noah.

Das Kompliment nahm ich gerne ab. Aber ich durfte noch nicht zu arrogant werden.

»Echt?«

»Ja, ich glaube das war gute PR für euer Ship«, auch heute trug er die umgedrehte Basecap, und einen schwarzen Rucksack.

»Was für’n Ship?«, wollte ich wissen. Jemand legte mir die Arme um den Bauch und den Kopf auf meine Schulter. Ich musste nicht mal in seine Richtung sehen, ich wusste einfach, wer das war. Er beantwortete meine Frage: »Ship nennt man Pairings, die in den Serien vorkommen. Zum Beispiel: »Ich shippe Wolf und Nok«, würde bedeuten, dass man sich wünscht, dass die beiden zusammenkommen.«

Ray und Noah zogen die Augenbrauen hoch und das lag sicher nicht an seiner Erklärung. Doch ich beschloss ihm diesen Triumph nicht zu geben, diesmal würde ich mich nicht davon aus dem Konzept bringen lassen. Solange es niemand sehen konnte, dass ich innerlich fast explodierte, war das auch okay.

»Danke, P’Seua«, dann wandte ich mich an Noah, um unser Gespräch wieder aufzunehmen.

»Ich freue mich auch, dass wir endlich starten. Bald können wir die ersten Ergebnisse sehen.«

Von unserem Standpunkt konnte man sehen, wie das Set vorbereitet wurde. Sie stellen Getränke bereit, passten das Licht an und später würden sie noch unsere Positionen bestimmen. Die Zuschauer bekamen es meist nur indirekt mit, aber drehen war viel mehr Arbeit, als man es sich vorstellte.

Noah war bei unserem Anblick doch ein bisschen stutzig geworden, er sah nicht mehr in unsere Richtung.

»Klar. Das wird cool. Ich glaube…die brauchen mich jetzt, Cai. Ich wünsche euch viel Erfolg für den ersten Drehtag. Wir sehen uns«, schon mischte er sich wieder unter die Crew. Auch Ray schien das etwas nervös zu machen, doch er blieb professionell: »Cai, kannst du deinen Text?«

Er hielt mir das zerfledderte Drehbuch hin, was einiges mitgemacht hatte, weil ich viel darin gelesen und markiert hatte. Die Texte konnte ich, zumindest für die anstehenden Szenen. Ich hoffte darauf, dass ich nicht direkt alles vergessen würde, wenn Seua mir in die Augen sah.

»Komm‘ schon, Ray. So viel Professionalität wirst du mir doch wohl zutrauen. Ansonsten kann man zwischendurch sicherlich noch mal ins Drehbuch schauen, oder?«, wandte ich mich indirekt an Seua, der immer noch genauso stand.

»Grundsätzlich sollten wir ohne auskommen, aber man kann auch bei Szenenwechseln immer zwischendurch noch einmal alles durchgehen. Manchmal gibt es auch Änderungen, da muss man es dann sogar. Irgendwo wird immer ein Drehbuch zur Hand sein.«

Ich glaubte auch daran, dass es ein entspannter Dreh werden würde, weil das Team sich untereinander auch gut verstand. Wäre da nicht der Tiger, der gerade an mir klebte. Ob er das mit jedem machte, der sein Drehpartner war? So sanft wie möglich nahm ich seine Hände von meinem Bauch, befreite mich aus seiner Umarmung. Ich hatte ihn lange genug gelassen, jetzt mussten wir arbeiten. Zusammen mit den Anderen nahmen wir unsere Positionen im Set ein. Licht. Kamera. Action.
 

- Wolfsherz – Szene 2-
 

Nok stolperte mehr hinter mir her, als ich ihn am Arm über das Campusgelände zog. Mittlerweile war ich eine Woche hier, doch weil Nok von sich aus keine Anstalten machte, etwas zu ändern, nahm ich das in die Hand. Heute sollte er meine neuen Freunde kennenlernen. Es waren zwei Mädels, die mir geholfen hatten, den Weg zum Klassenraum für meine Thai-Stunde zu finden. Nok hatte mir zwar alles gezeigt, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern. Die beiden waren Zwillinge und nur durch ihren Schmuck und ihre Ohrringe auseinanderzuhalten.

Schon von weitem sah ich sie am Tisch sitzen und sie winkten mir zu. Als wir am Tisch standen, versteckte Nok sich halb hinter mir, sodass ich zur Seite treten musste, um den Blick auf ihn freizugeben. Zusätzlich gab ich ihm noch einen Schubs, dass er auch in ihrem Blickfeld stand.

»Ich habe gesagt, dass ich euch jemanden vorstellen will. Das ist mein Mentor, Nok. Er hat sich vorgenommen, sich mit allen Leuten an der Uni anzufreunden.«

Ihre Reaktion war jedoch komplett anders, als ich erwartet hatte. Ying, die mit den weißen Ohrringen lächelte gequält: »Nok ist sogar schon relativ bekannt. Nur vielleicht nicht so, wie er es gerne hätte.«

Ich hate sofort gemerkt, dass die Stimmung gekippt war, und das konnte ich so nicht stehen lassen. Wie um Himmels willen konnte Nok denn bitte bekannt sein?

»Was habt ihr?«, fragte ich direkt. Doch statt mir zu antworten, wichen sie meinen Blicken aus, taten so, als würden sie sich mit ihren Büchern beschäftigen. Mit den Händen schlug ich auf den Tisch, sodass sie zusammenzuckten.

»Ich muss das wissen. Bitte«, sagte ich und sah sie eindringlich an. Egal was für einen Ruf er hatte, ich würde das schon retten. Schließlich gab sich Yang einen Ruck: »Also gut. Wir dachten bisher alle, dass Nok arrogant ist und deshalb einfach mit niemandem reden will.«

Noks Augen wurden groß, er sah mich an. Offenbar fand er diesen Gedanken genauso absurd wie ich.

»Ihr denkt das einfach alle, ohne jemals ein Wort mit ihm gewechselt zu haben?«, hakte ich weiter nach und es war mir egal, ob ihnen das unangenehm war. Stumm nickten sie. Gut, hier fangen wir an. Wir setzten uns zu den Mädels, dann stieß ich Nok an: »Sag‘ ihnen, wie du wirklich bist.«

Kurz sah er mich an, dann konzentrierte er sich komplett auf den Tisch, begann leise: »Es ist nicht so, dass ich mit den Leuten nicht reden möchte, ich kann es einfach nicht.« Ich konnte sehen, wie es Ying und Yang wie Schuppen von den Augen fiel. Ying legte entschuldigend ihre Hand auf seine: »Also bist du einfach nur schüchtern?«

Ich seufzte hörbar. War es etwa unmöglich, gutaussehend und schüchtern gleichzeitig zu sein?

»Es tut mir wirklich leid, dass wir dich falsch eingeschätzt haben.« Zum Glück entspannte sich die Stimmung wieder und die Mädels boten ihm an, auch jederzeit mit ihnen rumzuhängen. Für mich war es das Wichtigste, dass er Leute kennenlernte, mit denen er auch nach meinem Aufenthalt sein Uni-Leben verbringen konnte. Ying und Yang sahen aus, als hätten sie Fragen, hielten sich jedoch höflich zurück. Ich war immer noch auf der Suche nach etwas, mit dem man Nok aus der Reserve locken konnte. Es musste etwas geben, was ihn wütend, traurig oder glücklich machte. Irgendetwas, wo er einfach nicht still bleiben konnte. Mit dem Blick auf meine Tasche, fielen mir jedoch meine Thai-Hausaufgaben wieder ein, die ich mir mit Nok zusammen ansah. Diesmal wagte Yang einen Vorstoß: »Du studierst Englisch, oder? Um ehrlich zu sein habe ich Englisch als Wahlpflichtfach und wir müssen die Kernaussagen aus diesem Aufsatz herausarbeiten. Aber ich verstehe überhaupt nichts.«

Während ich meinen Stift bewegte, als würde ich schreiben, beobachtete ich die Situation. Vorsichtig hielt er seine Hand hin: »Ich kann dir bestimmt helfen, wenn du mir den Aufsatz zeigst.«

Während sie ihm den Zettel überreichte, sah Nok mich von der Seite an: »Du solltest lieber deine Aufgaben machen, P’Wolf.«

Ich musste lachen. Das so etwas mal von ihm kommen würde! Doch ich wollte meinen Mentor nicht enttäuschen und begab mich tatsächlich an die Aufgaben. Zumindest ein bisschen. Ich kam nicht umhin, seine leuchtenden Augen zu sehen, als er den Aufsatz las. Ich glaube, langsam bekomme ich ein Gefühl dafür, wie man ihn aus seiner Schale rausholen konnte. Nach einer Weile gab er Yang den Zettel zurück.

»Grundsätzlich geht es darum, dass einem manchmal das entscheidende Puzzleteil fehlt, um weiterzumachen. Der Autor benutzt hier viele verschiedene Bilder und Motive, um zu zeigen, dass selbst wenn etwas ausweglos scheint, es noch gerettet werden kann. Die Uhr zum Beispiel. Sie fällt runter, ist aber nicht kaputt. Doch dadurch, dass sie ihre Batterie verliert, kann sie die Zeit nicht mehr anzeigen und ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Bis also jemand eine neue Batterie reinmacht, ist die Uhr sozusagen tot, obwohl sie gar nicht kaputt ist.«

Mit offenen Mündern hörten wir seinen Erklärungen zu, er hatte eine sehr angenehme Stimme. Erst wo ich ihn länger reden hörte, kam das zur Geltung. Yang lächelte: »Danke! Endlich kann ich meine Aufgabe machen!« Nok lächelte auch kurz, dann verfiel er wieder in seine Ursprungshaltung. Für mich war das sehr aufschlussreich, auch wenn er es vielleicht gar nicht merkte, wie viel er damit von sich preisgab. Auch er holte sein Lernmaterial heraus und es glich einem Weltwunder, aber wir schafften es, für eine gute Stunde konzentriert zu arbeiten, ohne zu quatschen. Es war ein gutes Gefühl, mein Pensum zu schaffen, doch ohne seine tadelnden Blicke wäre das niemals möglich gewesen. Auf einmal kam jemand zu uns an den Tisch, den ich nicht kannte. Die Blicke der Anderen zeigten mir, dass sie ihn ebenfalls nicht kannten.

»Ich muss mit dir reden, Nok«, sagte er. Nok sah mich an, als bräuchte er meine Erlaubnis. Ich deutete ihm an, dass es okay sei, auch wenn ich keinen Plan hatte, was dieser Typ mit Nok besprechen wollte. Als die Beiden den Tisch verließen, folgten Ying, Yang und ich unauffällig. Meine Neugier war leider unheilbar. Wir sahen um die Wand herum, dort standen sie. Nok sah ihn nicht an, trotzdem begann der Unbekannte zu sprechen.

»Ich bin Kraisee aus dem 2. Jahr. Ich wollte dir sagen, dass du dich jederzeit auch an mich wenden kannst, wenn du Hilfe brauchst. Bei Wolf wäre ich an deiner Stelle lieber vorsichtig. Ich weiß, dass ihr zusammenarbeiten müsst, aber ich würde ihm nicht vertrauen. Er ist unberechenbar.«

Was erlaubte der sich? Einfach hinter meinem Rücken schlecht über mich zu reden? Bevor ich mich richtig aufregen konnte, zog Nok mich hinter der Wand hervor und nahm demonstrativ meinen Arm. Völlig überrumpelt stand ich vor Kraisee, der offensichtlich auch nicht mit meiner Anwesenheit gerechnet hatte. Aber diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen.

»Ich übersetze mal für Nok: Bitte rede nicht schlecht über Wolf, wenn du ihn nicht einmal kennst. Wolf hilft mir schon, wir kommen klar, vielen Dank. Wieso sollte ich dann zu einem Typen gehen, den ich noch weniger kenne?«, sagte ich und grinste schadenfroh. Kraisee schüttelte genervt den Kopf: »Was soll das? Als ob Nok genau das sagen wollte! Er kann selbst sprechen.«

Um ihm zu zeigen, dass meine Worte zutrafen, machte Nok auf dem Absatz kehrt und zog mich mit. Das war sein stiller Widerstand und ich konnte überhaupt nicht aufhören zu grinsen. Es ist cool, ihn so zu sehen. Trotz allem würde ich diesen Kraisee auf jeden Fall im Auge behalten.
 

Bis es dunkel wurde, drehten wir diese Szene und noch ein paar andere an der Uni. Es gab zwar ein paar kleine Versprecher und Aussetzer, aber ansonsten hatte alle einen richtigen guten Job abgeliefert. Auch das Team, welches gerade das Equipment abbaute, schien zufrieden. Während der Rest des Casts bereits zu Abend aß, ließ ich mich von P’Joe zum Hotel zurückfahren, da ich unglaublich müde war. Schon im Auto fielen mir zwischendurch die Augen zu. Ein paar Mal wurde ich gefragt, ob mich jemand begleiten soll, doch ich wollte, dass sie alle in Ruhe essen konnten. Den Weg zum Hotel würde ich wohl noch schaffen. Mir ging es gut, ich hatte Spaß am Set und mein Arbeitsmodus war wieder da. Auch wenn man mal einen Fehler machte, das Team war immer da, um zu helfen. Müde schlenderte ich über den Hotelflur, der mir fast endlos vorkam. Immer der gleiche Teppich, immer die gleiche Wandfarbe. An meinem Zimmer angekommen, wollte ich gerade die Schlüsselkarte an die Tür halten, da kam jemand aus meinem Zimmer und rempelte mich an. Nach einem langen Tag waren meine Reflexe auch nicht mehr die besten, daher ging ich zu Boden. Die Person war komplett in schwarz gekleidet, hatte eine Waffe in der rechten Hand. Mit dieser zielte sie auf mich.

»Rühr‘ dich und du bist tot, verstanden?«, sagte sie in gebrochenem Englisch. Ich wusste überhaupt nicht, wie mir geschah. War das echt? Nur eine Halluzination? Meine Augen täuschten mich gerne, daher konnte ich mir nie sicher sein. Vorsichtshalber hob ich die Hände, sah mein Leben schon an mir vorbeiziehen. Gerade wo ich diese Chance bekommen hatte, mit einem richtig guten Team und netten Leuten zusammenzuarbeiten. Ich wollte so viel sagen, doch ich traute mich nicht. Ich konnte durch die schwarze Kleidung überhaupt nichts von dieser Person erkennen, nicht einmal, ob es ein Mann oder eine Frau war. Es war zum Glück nur ein kurzer Moment, dann flüchtete die Person.
 

Es kam nicht ehrlich jemand aus meinem Zimmer und hat mich mit einer Waffe bedroht, oder? Ich konnte überhaupt nicht verstehen, was gerade passiert war. Wie in Trance lief ich den Weg zur Rezeption, ich war ihn in den zwei Wochen schon oft gegangen, kannte ihn mittlerweile auswendig. In der Lobby war nicht viel los, die Dame von der Rezeption sah mich freundlich an: »Guten Abend, Khun Cai. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

Ich war froh, dass ich nach diesem Schock überhaupt ein Wort rausbrachte.

»Ich glaube bei mir wurde eingebrochen, die Person hat mich mit einer Waffe bedroht. Ich weiß nicht, ob sie noch im Haus ist. Rufen Sie bitte die Polizei und informieren den Sender.«

Kurz sah sich mich geschockt an, sagte dann aber: »Verstanden.« Sie fuhr mit ihrer Hand unter den Tisch, plötzlich ertönte eine Durchsage: »Achtung, Achtung. Aufgrund eines technischen Defekts bitten wir Sie, umgehend das Haus zu verlassen. Bleiben Sie ruhig und begeben Sie sich zum Ausgang.«

Sie fragte mich noch, ob sie irgendetwas tun könnte, doch ich winkte ab, begab mich auch in Richtung Ausgang. Da stand ich nun. Nur mit Jeans und Hemd bekleidet, es war das erste Mal seit meiner Ankunft, dass mir in Thailand kalt war. Erst stand ich alleine unter dem Abdach draußen, dann wurden es immer mehr Leute. Manche waren noch im Bademantel oder schon im Pyjama. Nach ein paar Minuten, traf auch die Polizei ein. Es waren zwei Wagen und einer der Polizisten wurde von einem Hotelmitarbeiter zu mir geführt. Ich nahm kaum etwas um mich herum wahr. Alles war einfach nur verschwommen. Seine Stimme klang unglaublich weit weg: »Sind Sie Caiden Gresson?«

»Ja.«

»Sollten Sie dazu in der Lage sein, würden wir gerne Ihre Aussage aufnehmen. Erläutern Sie bitte möglichst genau, was passiert ist.«

Ich erzählte ihm das, was ich schon an der Rezeption gesagt hatte, die Worte kamen wie automatisch heraus, wie auswendig gelernt.

»Können Sie die Person beschreiben?«

»Ich weiß nur, dass sie schwarz gekleidet war. Erkennen konnte ich nichts.«

Glücklicherweise reichte ihm das und er verschwand ins Gebäude. Neben den Hotelgästen kamen nun auch Schaulustige und Presse dazu. Mühsam arbeitete ich mich durch die Menschen, bis ich an der Straße stand. Falls die Leute vom Sender kamen, sollten sie mich auch sehen. Mehrere Autos hielten vor dem Hotel, ihre Türen gingen fast zeitgleich auf. Ray mit Handy am Ohr und Seua kamen auf mich zu. In ihren Gesichtern zeichnete sich Erleichterung ab, als sie mich sahen. Ray deutete auf das Handy, welches in meiner Hand klingelte: »Cai, ich habe schon die ganze Zeit versucht, dich anzurufen!«

Ungläubig starrte ich auf das Gerät in meiner Hand, als würde ich es heute zum ersten Mal sehen. Rays Name leuchtete auf. Nicht einmal das absurd laute Handy hatte ich wahrgenommen.

»Was ist passiert?«, fragte Seua, doch als ich antworten wollte, gaben meine Beine unter mir nach. Mit einem Arm fing er mich auf, sagte irgendetwas zu Ray.
 

Seua zog mich ein Stück mit sich, bis er mich, ein Stück entfernt vom Hotel, auf einer Bank absetzte. Ich zitterte, konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Ich spürte eine Jacke über meinen Schultern, die ich sofort um mich schlug. Seua hockte sich vor mich: »Cai, kannst du mir sagen, was passiert ist?«

Die Stille, die Dunkelheit und seine Anwesenheit beruhigten mich etwas, ich versuchte mich auf seine Augen zu konzentrieren.

»Da war jemand, der mich mit einer Waffe bedroht hat. Ich glaube, diese Person ist auch in mein Zimmer eingebrochen. Dann habe ich an der Rezeption Bescheid gegeben und sie haben das Hotel abgeriegelt.«

Es war das erste Mal, dass ich Seuas geschockten Blick sah. Zumindest in meiner Anwesenheit hatte er nie vorher die Fassung verloren.

»Bist du verletzt?«, fragte er. Als ich den Kopf schüttelte, atmete er erleichtert auf. Er stand auf und sah sich um.

»P’Seua, was machst du?«, fragte ich leise. Bevor er jedoch antworten konnte, klingelte sein Handy.

»Ja?«, er nahm ab, ohne mich aus den Augen zu lassen.

Ich hörte die Stimme am anderen Ende nicht, aber ich hörte ihn sagen: »Das machen wir, kein Problem. Nein, es geht ihm so weit gut, das Ganze hat ihn aber verständlicherweise ziemlich mitgenommen. Bis gleich.«

Ich stand auf, nahm seinen Arm. Ich erinnerte mich an die Szene, die wir heute gedreht hatten und in dieser Position hatte ich mich wohlgefühlt. Freundlich sah er mich an: »Cai, wir fahren jetzt mit allen zum Sender, dort wartet P’Star. Mit ihm werden wir alles weitere besprechen.«

Wir gingen in Richtung Straße, ich ließ seinen Arm die ganze Zeit über nicht los. Wenn Ray nicht da war, war Seua die Person hier, der ich am meisten vertraute. Auch im Auto und beim Sender ließ ich nicht los.
 

Wir wurden in einen großen Konferenzraum geführt, wo sich das ganze Team versammelte. Die meisten von ihnen waren schließlich im Hotel untergebracht. P’Star erklärte kurz, was vorgefallen war und ihr Raunen ging durch den Raum. Ihre Fragen, ob es mir gut ging, beantwortete Seua für mich. Auf meinem Stuhl zusammengekauert saß ich neben ihm. Er musste jetzt in diesem Moment, meine Augen, meine Ohren und mein Kopf sein. P’Star erklärte: »Dadurch, dass diese Person gefährlich ist, hat das Hotel beschlossen sich so lange abzuriegeln, bis der Täter gefunden und der Tatort gründlich untersucht ist. Für solche Fälle haben wir natürlich ein Ersatzhotel vorbereitet, die auch die meisten von uns unterbringen können, aber leider nicht alle. Also solange ihr bei Freunden, Verwandten oder Bekannten unterkommen könnt, wäre das super. Ich weiß, dass einige von euch auch eine Zweitwohnung haben, dort könnt ihr auch für den Moment hin. Alle, die sicher eine Unterkunft für die nächsten paar Tage haben, verlassen bitte den Raum. Alle, bei denen das nicht geht, melden sich bitte bei mir. Da es Cai offensichtlich gerade schlecht geht, werden wir die Dreharbeiten für drei Tage pausieren.«

Die meisten gingen auch, die die blieben, bekamen eine Zimmerkarte. Am Ende waren nur noch Ray, Seua und ich übrig. Ray bekam auch eine Karte, P’Star wollte Seua auch eine geben, doch er schob die Hand von ihm weg.

»Ich habe noch meine Wohnung, dort können Cai und ich bleiben. Ich werde mich um ihn kümmern. Es wäre nur gut, wenn du uns Bodyguards mitschicken könntest.«

Was er sagte, drang nur teilweise zu mir durch, aber es klang so, als müsste ich zumindest heute Nacht nicht auf der Straße schlafen.

»Wenn das für dich okay ist, Seua, dann gerne. Ich glaube es ist ohnehin besser, wenn Cai heute nicht allein bleibt.«
 

Draußen am Auto, sagte Ray: »Wenn irgendetwas ist oder ihr irgendetwas braucht, ruf‘ mich sofort an, okay? Ich werde heute Nacht sowieso nicht schlafen.«

»Sicher. Ich schicke dir die Adresse.«

»Alles klar. Und danke, dass du dich um ihn kümmerst.«

Kurz verabschiedete er sich, dann saßen wir schon wieder im Auto. Ich hatte gar kein Zeitgefühl mehr, alles ging unglaublich schnell. Waren fünf Minuten oder fünf Stunden vergangen? Seua handelte das gefühlt alles ruhig ab, als würde er das jeden Tag machen. P’Joe setzte uns an einem großen Gebäude ab, zwei Männer in schwarzen Anzügen folgten uns. Seua deutete ihnen an, unten zu bleiben, während wir das Gebäude betraten und mit dem Fahrstuhl nach oben fuhren. Es muss irgendeine Zahl um die 20 sein. In der Etage angekommen, gab er an einer Tür einen PIN-Code ein und sie öffnete sich. Das Einzige, was ich wirklich richtig wahrnahm, war dass der komplette Eingangsbereich hell ausgeleuchtet war. Die Tür fiel ins Schloss und zum ersten Mal an diesem verrückten Abend fühlte ich mich sicher.

»Hier kommt keiner rein, oder?«, musste ich mich trotzdem noch einmal absichern.

»Nein, das Gebäude ist sehr gut bewacht und draußen sind auch die Bodyguards. Falls du…«, ich ließ Seua nicht aussprechen, stattdessen umarmte ich ihn. Fest drückte ich ihn an mich, es war in diesem Moment die einzige Möglichkeit für mich, mich zu beruhigen. Ich schloss die Augen, ließ dieses Gefühl auf mich wirken. Bei ihm konnte ich das machen, weil ich wusste, dass er mich nicht abhalten oder es komisch finden würde. Sanft legte er seine Arme um mich, was mir einen warmen Schauer über den Rücken laufen ließ. Erst von diesem Moment an, war ich sicher, dass mir nichts passieren würde. Ich ließ meinen Kopf an seiner Schulter ruhen, er streichelte mir über die Haare. Meine Atmung wurde langsamer und die Müdigkeit, die durch den Schock verdrängt worden war, kam zurück. Ich hätte direkt einschlafen können, doch Seua schob mich sanft von sich, nachdem wir ein paar Minuten verharrt hatten.

»Lass‘ uns schlafen gehen«, sagte er leise und auch als wir ins Schlafzimmer gingen, fiel mir auf, dass es hell erleuchtet war. Ich wollte diesen Abend einfach nur vergessen, daher legte ich mich ins Bett. Seua setzte sich neben mich. Bittend sah ich ihn an: »Kannst du das Licht anlassen, P’Seua?« Lächelnd nickte er. Vorsichtig nahm ich seine Hand in meine, suchte in seinem Gesicht nach einer Reaktion, doch es blieb unverändert. Wenn er nicht da sein würde, würde ich bei diesen Umständen niemals einschlafen können.
 

Als ich aufwachte, sah ich wieder in die Augen des Tigers, der neben mit lag, den Kopf auf den Arm gestützt hatte und mich ansah. Wieder lag dieses Glitzern in seinen Augen, auch wenn er diesmal ziemlich müde aussah. Ich bemerkte, dass ich seine Hand hielt, setzte mich auf und ließ sofort los. Kaum eine Sekunde später strömten die Erinnerungen an letzte Nacht auf mich ein und ich wäre am liebsten im Boden versunken. Wie konnte man sich so kindisch benehmen? Ich hatte mich Seua komplett ausgeliefert und auch, wenn ich ihm nicht direkt etwas Böses zutraute, war das verdammt gefährlich. Schnell drehte ich mich weg, sah mich im Schlafzimmer um, wo man aus den großen Fenstern die ganze Stadt sehen konnte. Ansonsten war es eingerichtet wie ein Hotelzimmer, komplett ohne persönliche Gegenstände. Ich konzentrierte mich auf das Fenster: »P’Seua, du vergisst am besten ganz schnell, wie ich mich gestern benommen habe.«

Ich hörte ihn hinter mir seufzen: »Ich rede nur mit dir, wenn du mich ansiehst, Cai.« Verdammt, diese Zeile hatte er sich bei Wolf abgeschaut. Ich drehte mich wieder in seine Richtung, er saß mittlerweile auch im Bett. Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass es das erste Mal war, dass ich ihn ohne Make-up oder Styling sah. Ehrlich gesagt machte das bei seiner Aura aber keinen großen Unterschied. Im Gegenteil, die durchwuschelten Haare ließen ihn noch mysteriöser wirken. Für mich war das Ganze hier schon absurd genug. In seiner Wohnung, okay. Aber in seinem Bett? Diesmal konnte ich jedoch keine Anzeichen dafür finden, dass er es nicht ernst meinte.

»Das, was gestern passiert ist, war für uns alle ein Schock, vor allem für dich. Du wurdest bedroht und hättest verletzt werden können. Wenn es dir damit besser geht, sagen wir einfach, du hast jemanden gebraucht, der dir zur Seite steht und ich war da. Ich will nicht, dass du dich dafür schämst, okay?«

Auch wenn mir mein Verhalten selbst noch lange nachhängen würde, glaubte ich, dass ich fürs Erste mit dieser Erklärung leben könnte.

»Ja, dann nehme ich das so hin, P’Seua. Danke, dass du dich um mich gekümmert und mich aufgenommen hast.«

Sein Gesicht nahm wieder freundlichere Züge an und er wuschelte mir versöhnlich durch die Haare: »Kein Problem. Geht es dir denn jetzt besser?«

»Ja, viel besser. Aber du siehst irgendwie müde aus, P’Seua.«

Verlegen grinste er: »Naja, ich habe gesagt, dass ich ehrlich sein will, also bin ich es auch. Ich habe das Licht für dich angelassen, weil ich auch weiß, dass du im Dunkeln nichts sehen kannst. Ich konnte so aber kaum schlafen.«

Enttäuscht von mir selbst, senkte ich die Schultern. Sie hatten schon den ganzen Stress wegen dem Vorfall und ich raubte ihm auch noch den Schlaf. Bevor ich mich dazu äußern konnte, war er schon aufgestanden.

»Entschuldige dich aber bitte nicht dafür. Das haben wir schon besprochen. Lass‘ uns lieber frühstücken, gleich wird Ray hier sein.«

Zusammen verließen wir das Schlafzimmer, doch kurz vor der Tür blieb er noch einmal stehen, kam mit seinem Gesicht ganz nah an mein Ohr und flüsterte: »Übrigens kann der Tiger gut unterschieden, wann es Zeit ist, die Beute zu überfallen und wann nicht. Wehrloser Beute würde er nichts antun, aber solange sie wach und in seinem Territorium ist, kann er für nichts garantieren.«

Ich bekam Gänsehaut, wollte ihn dieses Spiel aber nicht alleine spielen lassen. »Der Tiger sollte sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, der Wolf kann auch beißen, wenn er will«, flüstere ich zurück. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, konnte mir aber vorstellen, dass er damit nicht gerechnet hatte. »Gut, dass wir das geklärt haben. Ich werde darauf warten, dass der Wolf angreift.«

Wir setzten unseren Weg ins Wohnzimmer fort, welches auch eine kleine Küche beinhaltete, wo Seua uns etwas zu Essen zubereitete. In der Zwischenzeit sah ich mir den Ausblick an, weil man von diesem Penthouse aus, die ganze Stadt sehen konnte.

»Welches Stockwerk ist das?«, fragte ich, ohne ihn anzusehen.

»Das Fünfzehnte.«

»Wow, krass. Du bist nicht oft in dieser Wohnung, oder?«

»Nein, es ist mehr ein Zufluchtsort als eine richtige Wohnung. Ich bin die meiste Zeit unterwegs, da lohnt es sich für mich nicht großartig irgendwo hinzuziehen. Aber wie du siehst, hat es seine Vorteile, so einen Ort zu haben.«

»Und die Lebensmittel?«

»Wir haben jemanden, der jederzeit die Wohnung vorbereiten kann, für den Fall, dass ich mich verbarrikadieren muss.«

Als Star immer einen Plan in der Hinterhand zu haben, was sicherlich nicht die schlechteste Idee, von der ich jetzt profitierte. Heimlich beobachtete ich Seua beim Kochen, es sah aus, als würde es Toast mit Spiegelei geben. Genauso wie Wolf den Schwachpunkt von Nok in der Serie herausfinden wollte, musste ich das auch bei Seua machen. Es musste etwas geben, was ihn aus dem Konzept brachte. Mach‘ dich drauf gefasst, Seua, ich werde es rausfinden.
 

Wir setzten uns hin zum Essen, in diesem Moment kehrte zum ersten Mal wieder Ruhe in meine Gedanken ein. Ein kleines Stück Alltag in dieser komischen Situation. Lange hielt diese Ruhe jedoch nicht an, denn kurze Zeit später klingelte jemand Sturm. Also wenn das Ray war, den Seua angekündigt hatte, konnte das nichts Gutes heißen. Er war es tatsächlich, wurde von Seua reingelassen. Sein hektischen Gebaren machte mich sofort wieder nervös. Außer Atem stellte er meinen Koffer ab.

»Das sind deine Sachen aus dem Hotel, Cai. Aber ich bin nicht nur deswegen hier. Wir haben ein Problem.«

Er kramte ein Tablet aus seiner Tasche, auf dem er uns ein Youtube-Video zeigte. Ich verstand nichts und es gab auch keine Untertitel, aber als ich die Fotos sah, ließ es mir das Blut in den Adern gefrieren. Denn die kannte ich. Es waren die Fotos aus meinem Zimmer, die der Fotograf mir geschenkt hatte. Hilfesuchend sah ich Seua an: »Was sagen die?«

Konzentriert, aber mit einem kleinen Lächeln erwiderte er: »Neue geheime Bilder vom Fotoshooting aufgetaucht! Knutschen hinter den Kulissen! Ist es diesmal die große Liebe? Macht Seua wirklich ernst?«

Der Wolf auf der Flucht

»Was? Ernsthaft?«, mit großen Augen sahen Ray und ich uns an. Seua nickte und sein nachdenklicher Blick zeigte mir, dass es absolut ernstgemeint war.

»Unser erster Skandal, N’Cai. Hat lange genug gedauert«, sagte er, während wir uns den Rest des Videos ansahen. Später zeigten sie noch, wie ich mit ihm, an seinem Arm hängend, ins Haus gegangen war. Ein gefundenes Fressen für solche Leute. Ich konnte nicht glauben, dass alles in dieser kurzen Zeit passiert war. Erst muss er sich um mich kümmern, dann bringe ich ihn um den Schlaf und schließlich werde auch ich schuld sein, wenn seine Karriere ruiniert ist.

»Was meinst du mit gedauert?«, erkundigte sich Ray. Wir konnten beide nicht wirklich etwas mit Seuas entspannter Reaktion anfangen.

»Ich weiß nicht, inwieweit ihr euch mit der Klatschpresse auskennt, aber dass die nur darauf warten, etwas zu finden, ist klar. Als BL-Schauspieler sollten wir das aber wohl eher als Kompliment nehmen. Wie auch immer, die würden auch eine Schlagzeile daraus machen, wenn ich meinen Nachbarn grüßen würde. Er könnte schließlich mein lang verschollener Vater sein.«

Seine Erklärung half mir trotzdem nicht, mich weniger schuldig zu fühlen. Ray ging an sein Handy, kam kurze Zeit später zurück.

»Aber auch wenn es vermutlich gute PR für euch ist, P’Star möchte, dass ihr ein Live-Statement abgebt und die Gerüchte dementiert. Ihr sollt euch schon vor den Fans und auf Events wie ein Paar benehmen, aber er möchte Öffentliches und Privates trennen. P’Star ist der Meinung, das sei besser für Seuas Image, weil er sich nicht auf einen Drehpartner festlegen soll. Er soll zeigen, dass er auch offen für zukünftige Projekte ist«, gab er P’Stars Worte wieder. Seua verschränkte die Arme, antwortete auch nicht. Bei mir war das anders, diese blöden Fotos lagen schließlich in meinem Zimmer rum und ich war mehr als gewillt, Seuas Image in der Öffentlichkeit zu retten. Tatsächlich sollten wir das direkt von Seuas Wohnung aus machen. Ray half uns das Handy aufzubauen und als er das Zeichen gab, lächelten wir beide in die Kamera.

»Hallo, liebe Fans, wir sind die Darsteller von »Wolfsherz«. Zunächst einmal habt ihr sicherlich mitbekommen, dass Cai gestern etwas Schreckliches passiert ist, daher müssen wir die Dreharbeiten für ein paar Tage pausieren«, wie schnell Seua auf seinen Profi-Modus umschalten konnte, faszinierte mich immer wieder. Er legte mir einen Arm um die Schulter: »Doch wie ihr seht, geht es Cai im Moment gut.« Ich winkte in die Kamera und sagte: »Die Fotos, die ihr gesehen habt, wurden aus meinem Zimmer gestohlen, waren nur ein paar Späße während des Shootings. Sie sagen nichts darüber aus, wie Seua und ich zueinanderstehen. Auch dass ich gestern mit in seine Wohnung gegangen bin, war nur eine Notlösung. Wir sind gute Freunde, mehr nicht.«

Nach dieser Aussage beendeten wir das Live-Statement schon, auch Seua befand, dass das P’Star reichen sollte. Ray war schon wieder auf dem Sprung: »Das habt ihr gut gemacht. Ich fahre zum Sender, dort sprechen wir mit dem Hotel darüber, was die bisher wissen. Ich werde euch die ganze Zeit auf dem Laufenden halten, während ihr hier seid. Ruht euch am besten aus.«

Als Ray verschwunden war, musste ich mich um den skeptischen Blick kümmern, der schon die ganze Zeit auf mir lag.

»Woher hast du diese Fotos?«, hakte er nach und diese Erklärung war ich ihm wohl schuldig.

»Der Fotograf hat diese Bilder Ray mitgegeben, für mich als Andenken. Ich habe sie einfach liegen lassen, das war unvorsichtig. Tut mir leid, P’Seua. Wir müssen nicht nur die Dreharbeiten pausieren, sondern auch noch darauf achten, dass deine Karriere nicht beschädigt wird«, ich konnte diese lästigen Schuldgefühle nicht ablegen.

»Meine Karriere hat schon mehrere an den Haaren herbeigezogene Skandale überlebt, wie du siehst.«

Seine Laune besserte sich trotzdem nicht. Ganz toll. Wir waren hier eingesperrt, die Laune war im Keller und machen konnten wir auch nichts. Es war gruslig, Seua schlecht gelaunt zu sehen, das bin ich nicht gewohnt. Ich hakte lieber nicht weiter nach, sonst würde er mich hinterher wirklich noch beißen.

»Ich verstehe dieses Getue von P’Star nicht. Die wollen doch immer, dass wir einen auf Pärchen machen, wieso muss ich jetzt daher gehen und harmlose Fotos kommentieren?«, fuhr es aus ihm heraus. Ich wusste nicht warum, aber seine Aussage traf mich. Einen auf Pärchen machen? Ich schüttele mich, wusste doch, dass alles nur gespielt war.

»Ganz ehrlich, Cai? Jetzt gerade würde ich denen richtig gerne einen echten Skandal zeigen.«

Ich wollte gar nicht wissen, was er damit meinte, äußerte mich aber auch nicht dazu. Stattdessen saß ich auf dem Sofa und googelte mich selbst. Ständig tauchten diese Fotos mit den unterschiedlichsten Überschriften auf, die mein Handy übersetzte. Das, was eigentlich schlimmer war, nämlich dass ich gestern bedroht wurde, ging völlig unter. Ängstlich beobachtete ich Seua, der wie ein Tiger im Käfig auf und ab ließ. Als sich unsere Blick trafen, wandte ich mich sofort wieder ab. Doch er blieb genau vor mir stehen.

»Cai, ich habe eine Idee. Was hältst du davon, wenn wir für die zwei Tage abhauen?«

Verwirrt sah ich ihn an: »Was meinst du?«

»Genau was ich gesagt habe. Wir verstecken uns auf dem Land. Ich weiß das klingt komisch, aber ich glaube damit können wir die Situation hier und uns selbst auch etwas beruhigen. Bist du dabei?«

Die Aussicht war schon verlockend, immerhin hätte ich dann die Möglichkeit vor dem Tiger zu fliehen, wenn es sein musste. Tatsächlich glaubte ich auch daran, dass uns ein Ortswechsel guttun würde, um danach wieder arbeiten zu können. Ich sagte allerdings was anderes, denn natürlich hatte ich auch Zweifel: »Ich weiß nicht, P’Seua. Erstens ist es nicht gut für mich, mit dir allein zu sein. Zweitens wird wohl kaum jemand von Sender oder Management das absegnen. Und drittens, wie um alles in der Welt sollen wir hier rauskommen, ohne gesehen zu werden?«

Vermutlich war spätestens seit dem Video vor der Tür alles voll mit Reportern, die uns nur zu gerne mit Fragen belästigen würden. Ich selbst hatte das noch nicht erlebt, aber man sah das genug in Filmen. Bei Seua zweifelte ich nicht eine Sekunde daran. Herausfordernd sah er mich an, so sah niemand aus, der einfach aufgeben würde.

»Erstens bist du jetzt auch mit mir allein. Zweitens wird es nie jemand vom Sender oder Management erfahren. Falls Ray versprechen kann, dicht zu halten, werde ich es höchstens ihm sagen, aber auch erst, wenn wir weit genug weg sind. Drittens hat das Gebäude mehrere Ausgänge, die niemand außer den Bewohnern kennt.«

»Und wenn uns doch jemand zusammen sieht? Dann haben wir direkt den nächsten Skandal«, zweifelte ich weiter. Langsam wurde er wütend, schien sich davon nicht abbringen zu lassen. Er beugte sich zu mir runter: »Von mir aus können sie tausend Skandale erfinden, Cai. Bitte, komm‘ mit.«

»Alles klar, lass uns gehen, P‘Seua.«
 

Seua gab mir eine kleine Tasche, damit ich die Sachen aus dem Koffer dort reinlegen konnte. Da es nur zwei Tage waren, brauchten wir auch nicht viel. Auch er packte ein paar Sachen. Wir verließen die Wohnung über einen Fahrstuhl, der bis in die Tiefgarage runterfuhr.

»Das System hier ist sehr gut durchdacht und nur die Bewohner sind eingeweiht. Dadurch, dass das Gebäude eine versteckte zweite Ausfahrt hat, können wir uns unbemerkt davonschleichen.« Wir gingen auf ein unspektakuläres Auto zu, wo wir unsere Sachen in den Kofferraum luden. Es war ein silberner Mazda, der weit unter dem Budget lag, was Seua sich leisten könnte. Ich ging davon aus, dass es Absicht war. Als er gerade auf der Fahrerseite einsteigen wollte, sagte ich: »Du bist müde, P’Seua. Lass‘ mich fahren.«

Er hielt inne, dann stieg er wieder aus, sah mich über das Autodach an.

»Bist du sicher? In Thailand ist Linksverkehr, da muss man sich erst dran gewöhnen. Außerdem sind wir mitten in Bangkok, da kann der Verkehr schon mal unübersichtlich werden.«

Ob wir sterben würden, weil ich nicht klarkam oder weil Seua am Steuer einschlief, machte dann auch keinen Unterschied.

»Ich krieg‘ das hin«, sagte ich und er gab mir schulterzuckend die Schlüssel. Wir tauschten die Seiten und stiegen ein. Bevor wir jedoch losfuhren, wies er an, dass wir beide Handys ausschalten sollten, um nicht geortet werden zu können. Ich schaltete mein Handy aus, warf es auf den Rücksitz. Seua stellte mir das Navi ein, was zum Glück Englisch sprach. Die Ausfahrt führte in eine Seitenstraße, die wirklich sehr unauffällig war. Ich fuhr auf die Hauptstraße, hoffte, dass das Navi mich zuverlässig führen würde. Ray würde mich dafür hassen, aber ich konnte mich nicht gegen Seuas Abenteuerlust wehren. Das Navi wollte, dass ich Bangkok verließ, und ich erinnerte mich, dass er was davon gesagt hatte, aufs Land zu fahren.

»Also, wo fahren wir genau hin, P’Seua?«

Die Straße zog an uns vorbei, doch ich bekam keine Antwort. Kurz sah ich zur Seite, wir waren noch nicht einmal zwanzig Minuten unterwegs, doch er war schon eingeschlafen. Gut, dass er nicht gefahren ist. Er musste letzte Nacht wirklich nicht geschlafen haben. Laut Navi mussten wir noch 2 Stunden fahren, daher war es gut, dass er die Zeit nutzte, um Schlaf nachzuholen. Ich hoffte nur, dass wir nicht angehalten werden, wusste nicht, ob ich mit meinem Führerschein hier überhaupt fahren durfte. Irgendwann wurden die Straßen und Hochhäuser weniger, für mich sah es aus, als seien wir auf dem richtigen Weg. Also hier nur noch links abbiegen und dann…

»Bitte wenden!«

Was? Ich stellte das Auto an einer kleinen Straße ab, die von Feldern gesäumt war. Scheinbar war ich der einzige Mensch, der sich selbst mit Navi verfahren konnte. Ich versuchte den Weg zu rekonstruieren, doch ich war mir sicher, dass ich ganz genau gefahren war, wie ich sollte. Oder was ich doch irgendwo falsch abgebogen? Ich fuhr zurück, doch merkte irgendwann, dass ich immer wieder an dieser Straße ankam. Mit den letzten Adressen konnte ich nichts anfangen, weil ich nicht wusste, wo Seua hinwollte. Aber es musste doch die letzte Adresse sein, oder? Langsam wurde ich panisch. Ich wollte weder Seua wecken noch die ganze Zeit im Kreis fahren. Wir waren zwar schon etwas weiter außerhalb, aber sie durften uns auf keinen Fall sehen. Was konnte ich eigentlich? Ich griff in Richtung des Rücksitzes, nahm mein Handy und schaltete es wieder ein. Ich wusste, wer mir helfen konnte und hoffte einfach, dass er unsere Situation verstehen würde. Seua ließ ich im Auto zurück, um zu telefonieren.

»Guten Morgen, Khun Cai. Wie kann ich helfen?«

»P’Joe, ich habe eine große Bitte, ich weiß aber nicht, ob du das machen kannst.«

»Sag‘ doch erst einmal worum es geht.«

»Also wie du weißt, haben wir eine Drehpause eingelegt und Seua und ich wollten uns für diese kurze Zeit wegschleichen, um den Kopf freizubekommen. Das weiß aber niemand und es sollte auch niemand wissen. Seua war sehr müde, er schläft auch gerade, daher bin ich gefahren. Das hat bisher auch gut geklappt, aber das Navi führt mich im Kreis und ich kenne die Adresse nicht. Ich will Seua aber auch nicht wecken«, erklärte ich ihm das Dilemma, in dem ich mich gerade befand.

»Khun Cai, du möchtest also, dass ich komme, euch diskret abliefere und niemandem davon erzähle?«

Ich fühlte mich schlecht, ihn wegen meiner Inkompetenz zu bemühen, aber ich wusste einfach nicht weiter.

»Ja. Das fasst es sehr gut zusammen.«

»Schick‘ mir euren Standort, dann komme ich.«

Erleichtert schickte ich ihm den Standort, legte auf und setzte mich wieder ins Auto, um auf ihn zu warten. Seua schlief weiterhin und ich hoffte inständig, dass das auch so blieb. Er würde das nicht mögen. Sein Kopf war gegen das Fenster gelehnt, er atmete ruhig. Wie unfair ist das einfach, dass manche Menschen selbst im Schlaf gutaussehen? Ich streckte meine Hand aus, fuhr ihm mit den Fingern durch die Haare. Sie waren genauso weich, wie ich es mir vorgestellt hatte. Erst einen Moment später realisierte ich, was ich tat und zog erschrocken meine Hand zurück. Bist du verrückt geworden, Caiden? Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was passieren würde, wenn er es mitbekommen hätte. Schlafende Tiger sollte man nicht wecken.
 

Eine Weile später klopfte P’Joe an die Scheibe und ich stieg aus.

»Danke, dass du gekommen bist, P’Joe. P’Seua meinte, dass es irgendwo auf dem Land sein soll. Am besten du schaust ins Navi«, sagte ich leise und er setzte sich hinters Steuer. Ich stieg hinten ein.

»Wirklich nett von dir, dass du das machst. Sonst wären wir vermutlich sonst wo gelandet«, flüsterte ich. Er winkte ab: »Kein Problem, Khun Cai. Es ist gut, dass du dich gemeldet hast.«

Wir fuhren sofort los, nachdem er das Navi eingestellt hatte. Ich schaltete mein Handy wieder aus.

»Du wirst niemandem was sagen, oder?«, musste ich noch wissen.

Er schüttelte den Kopf: »Das ist nicht mein Job. Wenn meine Kunden sagen, dass sie gefahren werden möchten, mache ich das. Solange ich weiß, dass sie nichts zwielichtiges vorhaben, werde ich es nicht hinterfragen. Ihr könnt mich jederzeit anrufen.«

Wortlos bedankte ich mich noch einmal bei ihm. Jemanden wie ihn zu haben, war wirklich ein Segen. Mir blieb hoffentlich die Blamage erspart und es gab jemanden, auf den ich mich verlassen konnte. Den Rest der Fahrt blieben wir stumm. Ich betrachtete die Umgebung, war froh, auch mal aus der Stadt rauszukommen und ein bisschen mehr von Thailand sehen zu können. Außer an den verschiedenen Drehorten, würde ich sonst gar nicht diese Möglichkeit haben. An einem hölzernen Haus hielt er an, deutete mir, dass wir angekommen waren. Wir stiegen aus und P’Joe lächelte mich an: »Da wären wir.«

»Wie kommst du wieder zurück, P’Joe?«

»Ich werde ein Taxi nehmen. Falls ihr abgeholt werden wollt, ruf mich einfach an.«

»Danke. Falls ich jemals etwas für dich tun kann, lass es mich wissen.«

Ich sah ihm noch für einen Moment hinterher, dann setzte ich mich hinters Steuer. Ich stieß Seua an der Schulter an, er wurde wach und sah sich um: »Sind wir schon da?«

»Ja.«

»Nicht schlecht. Bist du gut mit dem Fahren klargekommen?«, fragte er.

Hoffentlich konnte ich einmal Nutzen aus meinen Schauspielkünsten ziehen, um nicht von ihm durchschaut zu werden: »Ja, alles gut. Lass‘ uns gehen.«

Schnell stieg ich aus, um die Koffer aus dem Auto zu holen. Je weniger wir über dieses Thema reden würden, desto besser.

»Ist das ein Ferienhaus?«

Seua schloss den Kofferraum und verriegelte das Auto.

»Nein, hier wohnt meine Oma. Du wirst sie gleich kennenlernen, aber sie kann kein Englisch mehr.«

Mit unseren Taschen über die Schulter betraten wir das Haus, wo wir von einer alten Dame in Empfang genommen wurden. Sie umarmte erst Seua, dann mich. Da sie sehr klein war, sah Seua riesig neben ihr aus. Ich begrüßte sie auf Thai. Sie sprach kurz mit Seua, wovon ich aber nichts verstand. Seine Oma bat uns zum Tee, während sie alles vorbereitete, nahm ich mir die Zeit, mich im Haus umzusehen. Alles bestand aus Holz, die Möbel waren altmodisch, aber es verlieh dem Ganzen eine gemütliche Atmosphäre. Anders als das kalte, lieblose Apartment in dem Seua wohnte.

»Meine Oma sagt, dass sie unseren Skandal im Fernsehen gesehen hat. Sie findet, dass wir gut zusammenpassen«, übersetzte er, doch ich sah ihn skeptisch an.

»Ich übersetze das schon richtig, N’Cai.«

Ich sagte nichts dazu, zog nur die Augenbrauen hoch. Ganz sicher sein konnte ich mir da wohl nie. Nachdem wir mit dem Tee fertig waren, halfen wir beim Abwasch. Obwohl wir uns sprachlich nicht verstanden, spürte ich, dass sie sich über unsere Anwesenheit freute. Vor allem natürlich, dass Seua da war. Er war schließlich ein Star, hatte also vermutlich nicht viel Zeit, sie zu besuchen.
 

Seua und ich gingen raus in die Felder, nachdem wir fertig waren. Es war ein wunderschöner Tag, angenehm warm, strahlend blauer Himmel, aber das Schönste war wohl, dass niemand sonst hier war. Er lief ganz zielstrebig durch die Felder, als würde er das jeden Tag machen. Ich lief neben ihm, fühlte mich gut, ohne Tasche und ohne Handy. Klar, ich war ihm hier ausgeliefert, aber trotzdem genoss ich es, mal nicht die Kontrolle über alles zu haben.

»Kennst du dich hier gut aus?«

Wir liefen weiter, während wir redeten.

»Ich bin hier aufgewachsen, Cai. Da meine Eltern viel im Ausland waren und immer noch sind, hat meine Oma mich großgezogen. Ich kenne hier jede Ecke. Wenn du also vorhaben solltest, vor mir zu fliehen, ganz schlechter Ort dafür.«

Lachend schüttelte ich den Kopf: »So blöd bin selbst ich nicht, P’Seua. Und schon gar nicht ohne Handy.«

Irgendwann blieben wir an einem kleinen Fluss stehen, der von Bäumen umgeben war. Wir setzten uns an den Rand des Flusses, betrachteten das Wasser. Jetzt wird er auch noch romantisch, oder was? Doch abgesehen davon, löste das Wasser eine unheimliche Ruhe in mir aus. So musste es sich anfühlen, am Ende der Welt zu sein. Ich stützte mich auf den Armen ab, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Bis auf das Rauschen des Wassers und die leichte Brise, war es absolut still. Schon seit Jahren war ich nur noch von Hektik umgeben, dass ich das gar nicht mehr kannte. Es war eindeutig, warum Seua hier hinwollte. Auch für ihn musste das sehr entspannend sein. Keine Kameras, keine Fotografen, keine Journalisten, kein Team, keine Fans. Kurz öffnete ich die Augen, um zu schauen, was er tat, doch er saß genauso wie ich. Gemeinsam genossen wir die Stille, wobei ich jegliches Zeitgefühl verlor. Irgendwann legte er seinen Kopf auf meine Schulter, was mich kurz zusammenzucken ließ. Diesmal ließ ich es zu, mahnte mich aber selbst, darauf zu achten, ihm nicht zu viel durchgehen zu lassen. Ich beschloss den Moment zu nutzen, um mehr über ihn zu erfahren.

»Du gehst noch zur Uni, oder? Wie machst du das denn mit den ganzen Aufritten und Drehtagen?«

»Ja, aktuell brauche ich noch ein Jahr bis zum Abschluss. Wenn Events und Drehs anstehen, muss ich pausieren und brauche daher länger als die anderen. Aber zum Glück läuft das so, dass ich mir das alles selbst einteilen kann.«

»Uff, ich kann mir vorstellen, dass es trotzdem schwer ist, alles unter einen Hut zu kriegen. Irgendwann musst du auch lernen.«

»Klar, aber je nachdem, was ansteht, gibt es auch mal längere Pausen am Set, die ich dann nutzen kann.«

Wenn er nicht die Zeit dazu nutzte, um mit mir zu flirten. Nächstes Mal würde ich ihn daran erinnern, dass er lernen muss. Trotzdem fand ich es erstaunlich, dranzubleiben und einen Abschluss anzustreben, obwohl man es als Star im eigenen Land geschafft hatte.

»Und du?«

»Ich habe mein Studium abgeschlossen. Zwischendurch hab‘ ich zwar auch das ein oder andere Mal auf der Bühne oder vor der Kamera gestanden, aber eher für Uni-Projekte. Das war eher so, wie als wenn man einen Nebenjob hat.«

»Mhm. Und als du von TMM TV angefragt wurdest, hast du einfach zugesagt, ohne zu wissen, worum es geht?«, hakte er nach.

»Ja, ich muss zugeben, im Nachhinein scheint mir das schon ziemlich riskant. Ray hat auch versucht mich zu warnen, aber manchmal bin ich einfach zu stur. Und am Ende hatte ich Glück, dass es eine seriöse Produktion ist und nicht irgendein Hinterhof-Horrorfilm. Ray würde nichts Komisches annehmen. Und bei den Worten »Hauptrolle« und »Ausland« war ich sofort dabei«, erklärte ich schwärmerisch. Selbst wenn es hieß, dass ich dem Tiger gefährlich nah kommen musste, war ich trotzdem stolz darauf.

»Mutig, aber ich hätte es genauso gemacht.«

»Glaube ich. Wie bist du eigentlich Schauspieler geworden oder eher gesagt, berühmt geworden?«, durch die entspannte Atmosphäre fiel es mir leichter, mit ihm zu reden. Vor allem auch, weil das Rauschen des Flusses mein Herzklopfen übertönte.

»Es ist nicht wirklich spannend. In meiner Fakultät Comm. Arts haben wir öfter Aufführungen, bei denen dann meistens auch Agents der Sender da sind. Dort wurde ich gecastet. Am Anfang habe ich Nebenrollen gespielt, aber vor drei Jahren habe ich dann das erste Angebot für eine Hauptrolle in einer BL-Produktion bekommen. Naja, und wie das manchmal eben ist, wurde die Serie ziemlich groß in Thailand. Seitdem bin ich bekannt hier. Sag‘ ich ja, nicht spannend.«

»Das vielleicht nicht, aber es muss ein unglaubliches Gefühl sein, wenn so viele Leute die Arbeit lieben, die man abgeliefert hat, oder nicht?«

Im Prinzip lebte Seua gerade meinen Traum. Ich drehte meinen Kopf, um ihn anzusehen.

»Ja, das ist es wirklich. Aber man opfert eben auch extrem viel Zeit und vor allem sein Privatleben, wie du gesehen hast. Es ist zu lange her, dass ich hierhin fahren konnte. Noch dazu haben die Leute immer eine gewisse Erwartungshaltung, dass man die gleiche Leistung oder am besten noch eine bessere Leistung abliefert. Es gab schon einige Leute, die das kaputt gemacht hat.«

Nachdenklich sah ich in die Ferne, ich hatte auch schon öfter gehört, dass das Berühmtsein für manche sehr schwierig war, mich hielt das aber nicht auf. Vorsichtig drückte ich ihn von mir und stand auf, was er mir gleich tat.

»Ich weiß, P’Seua. Trotzdem ist das mein Traum. Glaubst du ich kann es schaffen? Glaubst du, »Wolfsherz« kann mich berühmt machen?«

Er sah mir in die Augen: »Ja. Ich bin der festen Überzeugung, dass es das wird.«
 

Wir gingen zurück und Seua benutzte das Festnetz, um wie abgesprochen, Ray anzurufen. Seine Nummer wusste ich zum Glück auswendig, denn als Ray vor ein paar Jahren als mein Manager angefangen hatte, war es das Erste, was er mir aufgetragen hatte, auswendig zu lernen. Ich stand neben Seua, das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich hörte, wie Seua ihm unseren Plan erklärte und dass er uns bitte nicht suchen sollte. Dann kam der befürchtete Moment: »Er will dich sprechen.«

Ich nahm den Hörer entgegen: »Ja?«

»Sag‘ mal, Cai, bist du völlig bescheuert? Es ist wirklich kein guter Zeitpunkt mit Seua durchzubrennen. War das deine Idee?«, an seiner Stimme konnte ich schon hören, dass er sauer war.

»Nein, aber wir haben die nötigen Vorkehrungen getroffen, Ray. Niemand weiß wo wir sind und wir wurden auch von niemandem gesehen«, erklärte ich kleinlaut und fühlte mich schlecht, Ray anzulügen.

»Sehr schön, wirklich. Du kannst gar nicht wissen, ob euch nicht doch jemand gesehen hat. Was zur Hölle soll das werden? Wie bitte soll ich dem Sender erklären, dass ich nicht weiß, wo du bist, falls sie zufälligerweise doch mit dir reden wollen?«

»Es tut mir leid, wirklich. Sollte irgendetwas sein, kannst du diese Nummer anrufen. Morgen Abend sind wir wieder da.«

Seua nahm mir den Hörer aus der Hand: »Was auch immer du Cai gesagt hast, denk‘ bitte dran, dass ich ihn gebeten habe, mitzukommen. Ich glaube, uns beiden wird diese Auszeit guttun.«

Dann legte er auf. Für ihn war das geklärt, ich war aber damit noch lange nicht aus dem Schneider. Er legte mir beide Hände auf die Schultern: »Lass‘ uns essen, Cai. Über Ray kannst du dir immer noch Gedanken machen, wenn wir zurück sind. Ich nehme die Schuld auf mich.«

Ich versuchte mich mit diesem Gedanken zu beruhigen und wir aßen das Selbstgekochte seiner Oma, die mich immer freundlich anlächelte. Ich erzählte ein bisschen von mir und bat Seua, es zu übersetzen.

»Sie findet sehr gut, dass du dich für andere Länder interessierst. Als sie klein war, ist sie öfter in den USA gewesen. Doch leider ist das sehr lange her und sie hat das Englisch komplett verlernt«, auf diese Art unterhielten wir uns noch eine Weile und spielten Karten nach dem Essen. Als seine Oma aus Seuas Kindheit erzählte, war ich mir sicher, dass er nur die Hälfte übersetzte: »Und als er klein war, konnte er nie ohne seinen Kuschelhasen einschlafen..Oma!«

Auch wenn Seua sich danach weigerte, weiter zu übersetzen, hörte ich ihr trotzdem zu, versuchte anhand seines Gesichtsausdrucks zu erraten, worum es ging. Vermutlich lustige Anekdoten aus seiner Kindheit. Auch wenn ich es nicht verstand, mochte ich den Klang der Sprache, konnte ihr auch so stundenlang zuhören. Außerdem war sie eine gewiefte Zockerin, gegen die wir im Kartenspiel überhaupt keine Chance hatten.
 

Gegen Abend ging ich mit ihm in den 2. Stock, wo sich sein ehemaliges Kinderzimmer befand, wo wir heute auch schlafen sollten. Dort war auch der legendäre Kuschelhase, den Seua sofort in einem Schrank verschwinden ließ. Ich konnte mir weder das Grinsen noch den Kommentar verkneifen: »Oh je, der Tiger kann doch gar nicht ohne sein Kuschelhäschen schlafen.«

Seua drückte mich gegen die Wand, funkelte mich böse an. Ich musste schlucken, das hatte ich wohl selbst provoziert.

»Pass‘ lieber auf, sonst wirst du ganz schnell zu meinem neuen Kuscheltier«, flüsterte er. Ich duckte mich unter seinem Arm weg und sah mich Zimmer um. Die Möbel waren genauso altmodisch, wie der Rest der Wohnung. Auf dem Schreibtisch standen, fein säuberlich sortiert, sogar noch die Schulbücher.

»Sind die von der Grundschule?«, erkundigte ich mich.

»Ja. Schau sie dir gerne an, für dich sind die wahrscheinlich gar nicht schlecht, um Thai zu lernen.«

Während Seua das Bett vorbereitete, blätterte ich in den Büchern, die Schreibübungen für Thai enthielten. Irgendwie war es süß, Seuas krakelige Schrift als Kind zu sehen. Thailändische Buchstaben waren nicht einfach und seine Kinderschrift sah vermutlich aus wie meine. Ich stellte das Buch zurück, drehte mich um und sah, dass er schon im Bett lag. Glücklicherweise hatte er eine Matratze daneben vorbereitet. Seua schlug seine Bettdecke zurück: »Also willst du bei mir im Arm schlafen oder lieber auf dem Boden, N’Cai?«

»Dann gerne auf dem Boden«, sagte ich schnell und schlüpfte unter die Decke. Er deutete auf die Nachttischlampe. »Reicht dir, wenn ich die anlasse?«

Ich war wirklich erstaunt darüber, dass er jedes Mal daran dachte. Nicht einmal meine Freunde waren derart rücksichtsvoll. »Klar, danke.«

Für mich fühlte es sich ein bisschen an, wie eine Klassenfahrt. Wenn man das Flirten mal außer Acht ließ. In diesem Moment ging es mir richtig gut. Der Stress im Hotel war vergessen, ich habe ein bisschen seine Hintergründe kennengelernt und seine Oma. Nur dieser eine Tag hatte mich so entspannt, dass ich direkt wieder ans Set gehen könnte. Wir lagen beide auf der Seite, konnten uns daher ansehen.

»Danke, P’Seua. Ich hatte wirklich Spaß heute«, sagte ich leise.

»Nicht dafür. Ich habe mich gefreut, wieder herkommen zu können. Danke, dass du mitgekommen bist«, diesmal sah er mich freundlich an, weswegen ich sofort wusste, dass er es ernst meinte. Dann war das der Moment, endlich zu klären, was mich die ganze Zeit umtrieb: »Darf ich dich was fragen, P’Seua?«

»Klar.«

Es war eine sehr persönliche Frage, daher zögerte ich ein bisschen. Gib‘ dir einen Ruck, Caiden. Sonst wirst du nie Ruhe haben.

»Stehst du auf Typen?«

Der Wolf und das Geheimnis des Tigers

Für mich schien es, als wäre er schon auf diese Frage vorbereitet gewesen, schließlich spielte er in BL-Produktionen mit, da wäre es nicht abwegig, wenn diese Frage auftauchen würde.

»Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, Cai. Ich glaube, für mich spielt das Geschlecht weniger eine Rolle, es kommt einfach auf die Person an. Aber da ich noch keine richtige Beziehung hatte, kann ich das nicht sagen.«

Was? Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Tiger noch nie eine Beziehung gehabt haben soll. Er sah meine großen Augen: »Hm? Ist das komisch?«

»Schon, oder? Du bist ein Star und scheinst gerne zu flirten, für mich passt das nicht zusammen.« Wieder kam dieser schleichende Gedanke in mir hoch, dass doch alles nur gespielt war.

»Wenn du das sagst. Aber wenn man ein Star ist, stehen zwar viele auf einen, aber das heißt nicht, dass die passende Person dabei ist. Außerdem hat man auch nicht wahnsinnig viel Zeit, da bräuchte man jemanden der mit den Medien gut zurechtkommt.«

»Klar, aber deine bisherigen Drehpartner? Die hätten damit kein Problem«, ich ließ nicht locker.

»Wir haben vielleicht während des Drehs und für die Serie für alle einen auf Pärchen gemacht, aber verliebt habe ich mich nie. Mit den meisten meiner ehemaligen Drehpartner bin ich aber noch befreundet.«

Da war es wieder. Alles nur gespielt für die Leute. Aber warum tat er es dann auch, wenn es niemand sehen konnte? Für das Feeling?

»Was ist mit dir, Cai? Stehst du auf Typen?«

Er war ehrlich zu mir, also musste ich das auch sein.

»Mittlerweile…bin ich mir auch nicht sicher, auf was ich stehe«, murmelte ich, hob langsam den Blick, doch sein Ausdruck blieb komplett ernst.

»Hattest du schon eine Beziehung?«

Ich wollte die kurzen Sachen, die ich laufen hatte, nicht wirklich zählen. Für alle anderen war ich scheinbar in L.A noch nicht cool genug.

»Nichts Ernstes.«

Zumindest beruhigte es mich, dass selbst jemand Berühmtes wie Seua es da nicht so leicht hatte. Dann konnte es bei mir auch nicht schlimm sein.
 

Seua hatte in den letzten paar Wochen und Tagen einiges über mich erfahren, daher war ich froh, auch einmal die Gelegenheit zu haben, etwas aus seinem Leben zu hören. Wie das öfter der Fall war, waren manche Stars eben doch bodenständiger, als man dachte.

»Cai?«

»Mhm?«

»Darf ich deine Hand halten?«

»Ja.«

Ich weiß nicht, was mich in diesem Moment dazu bewogen hat, ihm nachzugeben. Vielleicht war es das vertraute Gefühl, die ruhige Atmosphäre oder sein freundlicher Blick. Aber ich wollte es einfach. Als seine Fingerspitzen meine berührten, fühlte es sich an wie ein elektrischer Schock. Wir verschränkten die Finger ineinander und lächelten uns an. Ich wusste, diesmal, nur dieses eine Mal, war es ganz sicher echt. Ich wusste aber auch, dass ich dieses Spiel nur noch verlieren konnte.
 

Am nächsten Morgen als ich aufwachte, war Seua schon weg. Verschlafen ging ich die Treppe runter, in Shirt und Jogginghose. Am Tisch erwartete mich seine Oma mit dem Frühstück. Sie strahlte mich an und sagte auf Englisch: »Guten Morgen, N’Cai.« Das war richtig süß. Gut gelaunt grüßte ich zurück und setzte mich. Heute gab es Suppe und Reis zum Frühstück.

»Seua?«, fragte ich und hoffte einfach, dass sie es verstand. Mit dem Kopf deutete sie nach draußen. Ich nickte und begann zu essen. Was auch immer er draußen machte, er würde schon seine Gründe haben. Das Frühstück mit seiner Oma war sehr angenehm, als wäre ich bei mir zuhause. Seua kam ein wenig später dazu, setzte sich mir gegenüber.

»Was hast du gemacht?«, wollte ich sofort wissen.

»Du bist ganz schön neugierig, N’Cai. Ich war nur ein bisschen spazieren, die Luft ist hier morgens besonders angenehm.«

»Bei der Landschaft, kein Wunder. Schade, dass wir hier nicht drehen.«

Es gab ein paar Sets von »Wolfsherz«, die in der Natur spielten, aber falls wir hier drehen würden, hätte Seua mir das gesagt.

»Ja, finde ich auch. Vielleicht könnte meine Oma dann auch berühmt werden«, er übersetzte es für sie und wir lachten. So gerne ich zum Set zurück wollte, ich hätte auch kein Problem damit länger hierzubleiben. Wir halfen ihr mit dem Abwasch und ich zog mich an.
 

Den Tag über verbrachten wir draußen, bei einem ausgedehnten Spaziergang, auf dem Seua mir noch ein paar Orte zeigte, an denen er oft als Kind war. Für mich machte es den Eindruck, als wollte er es unbedingt jemandem zeigen, hatte bisher aber nicht die Möglichkeit dazu. Ich hörte gerne zu, vor allem wenn er mit diesem Leuchten in den Augen darüber sprach.

»Das hier ist eine Höhle, in der habe ich mich manchmal versteckt, wenn ich meine Hausaufgaben nicht machen wollte. Aber meine Oma wusste natürlich, wo ich war, und brachte netterweise die Hausaufgaben direkt mit.«

Es war eine kleine Versenkung, die wie ein Tunnel mit Gras überdeckt war. Ich versuchte mir den kleinen Seua, vorzustellen, der sich dort versteckte und grinste. Diesen Star sich schmollend in einer Höhle war einfach zu witzig.

»Ich will gar nicht wissen, was du dir vorstellst, Cai«, vermutete er richtig.

»Nur dich als Kind und notorischer Hausaufgabenverweigerer.«

»Vielleicht sollte ich dir nicht so viel erzählen.«

Ich hob die Augenbrauen: »Ist alles sehr gutes Erpressermaterial, falls ich das jemals brauchen sollte.«

»Ich hoffe nicht.«

Eine Weile genossen wir die Stille, dann legte ich ihm eine Hand auf die Schulter: »Danke nochmal, P‘. Dass du mich hierhergebracht hast. Ich werde das in Erinnerung behalten.«

»Bitte? Ich habe das gerne gemacht, aber warum klingst du so, als würdest du dein Testament schreiben?«

»Weil ich vermutlich anfangen sollte. Ray wird mich umbringen, wenn wir zurück sind«, besorgt legte ich die Stirn in Falten, sah in die Ferne.

»Niemand wird dich umbringen, Cai. Dafür werde ich schon sorgen. Noch haben wir ein bisschen Zeit, versuch‘ das für diesen Moment auszublenden«, Seua war schon im Begriff den Rückweg anzutreten. Ich lief schnell hinterher, um ihn einzuholen.

»Und das Testament?«

»Darum kümmern wir uns später.«

Doch selbst Seuas Worte konnten mich nicht ansatzweise beruhigen. Vorher war ich vielleicht auch ein paar Mal abgehauen, aber das war harmlos.
 

Schneller als mir lieb war, mussten wir auch schon unsere Sachen packen. Als wir die Taschen ins Auto luden, stand seine Oma an der Tür und sah traurig aus. Zum Abschied umarmte sie uns beide. Selbst ich war ein bisschen traurig, sagte Seua, dass er ihr ausrichten sollte, dass wir wiederkamen. Diesmal saß zum Glück Seua am Steuer, als wir losfuhren sagte er: »Du weißt schon, dass ich sowas eigentlich nicht versprechen kann?«

Ich sah aus dem Fenster, winkte noch: »Im Prinzip schon. Aber es ist wahrscheinlicher, dass du es machst, wenn du es versprochen hast, oder?«

»Keine Ahnung. Ich hoffe es. Jedenfalls hat sie gesagt, dass sie sich schon darauf freut, wenn unsere Serie im TV läuft.«

»Deine Oma schaut BL?«, ich musste zugeben, dieser Gedanke erschien mir doch ein bisschen absurd. Seua fuhr in Richtung der Hauptstraße und ich wurde schmerzlich an meinen Fauxpas mit dem Navi erinnert.

»Ja, aber nicht deswegen. Meine Oma schaut alle meine Serien, vermutlich ist sie mein größter Fan. Zugegebenermaßen war sie am Anfang überrascht, als sie gesehen hat, um was für Serien es geht. Ich glaube aber, dass sie es mittlerweile sogar mag.«

»Irgendwie kann ich mir das vorstellen. Ich mag sie. Sie hat sich total lieb um uns gekümmert, dabei kennt sie mich überhaupt nicht«, schwärmte ich.

»Ja, so ist sie. Es spielt für sie keine Rolle, ob sie dich kennt oder nicht. Ich hoffe nur, dass du genauso faul bleibst, Thai zu lernen. Sonst verstehst du irgendwann noch die peinlichen Geschichten über mich«, erklärte er schmunzelnd.

»Och komm, P’Seua. Ich strenge mich schon genug an, eine gute Rolle zu spielen. Wenn alle mit einem Englisch sprechen, wird man vielleicht ein bisschen faul«, es gefiel mir nicht, dass er ausgerechnet meine größte Schwachstelle kritisierte. Denn leider stimmte es. Ich hätte durchaus Zeit, um zwischendurch zu lernen. Aber es war nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung, vor allem wenn der Tiger mich ständig ablenkte.

»Also soll ich ab jetzt nur noch Thai mit dir reden?«

»Bitte nicht!«, fast schon panisch sah ich ihn an. Seua ließ sich jedoch nichts anmerken, sah geradeaus auf die Straße.

»Gut, aber wenn du weiterhin nicht lernst, werde ich mein Englisch auch verlernen«, drohte er. Und mir soll einer sagen, er und Nok hätten nichts gemeinsam!

»Ist ja gut.«

Den Rest der Fahrt hingen wir unseren Gedanken nach. Ich hatte Ray schon informiert, dass wir auf dem Rückweg waren und bereitete innerlich meine Beerdigung vor.
 

Vor Seuas Wohnung nahm er uns dann auch in Empfang. Ich versteckte mich halb hinter Seua, konnte schon in Rays Blick die Wut sehen.

»Seid ihr eigentlich völlig wahnsinnig? Seua, für dich bin ich nicht verantwortlich, aber für den Idioten, der sich gerade hinter dir versteckt. Ich würde unheimlich gerne mit dem reden. Jetzt. Alleine!«

Seua trat zur Seite und gab somit den Blick auf mich frei. Bevor Ray jedoch loslegen konnte, sagte er noch: »Sei nicht so hart zu Cai, okay? Es war meine Idee.« In dem einzigen Moment, in dem ich mir wünschte, dass er blieb, verschwand er in der Wohnung, um uns allein zu lassen. Wie gerne wäre ich einfach hinterhergegangen! Aber ich musste mich meinem Schicksal stellen, ließ mich von Ray bis an das Ende des Flurs ziehen. Das war also unsere Arena. Ein Fenster, zwei Wände, Ray und ich. Seine braunen Augen musterten mich funkelnd: »Cai, ich meine mich dunkel zu erinnern, dass ich dir gesagt habe, dass du nicht verschwinden sollst! Was um alles in der Welt hätte ich dem Sender, mit dem du übrigens einen legal bindenden Vertrag hast, sagen sollen, wenn sie dich hätten sprechen wollen? Hast du mal eine Sekunde nachgedacht, dass mir das verdammte Schwierigkeiten hätte bereiten können?«, sagte er leise mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme. Ich gab mich reumütig, schließlich war es schon passiert und ich hatte mit einer Ansage gerechnet. Zurecht.

»Es tut mir leid, Ray. Aber nach dem Vorfall im Hotel und der Sache mit den Bildern, habe ich gedacht, dass es eine gute Möglichkeit ist, eine kleine Pause zu machen«, sagte ich kaum hörbar. Rays Augen wurden schmal: »Ach ja? Und wenn euch Paparazzi verfolgt hätten? Wie hättest du P’Star den nächsten Skandal erklärt?«

Ich hatte Ray schon sauer erlebt, aber das war sehr selten. Ray war jemand, der sich nicht so einfach in die Karten schauen ließ und war schwer aus der Fassung zu bringen. Eben genau jemand, den man für einen Managerposten brauchte. Ich stecke also ziemlich tief in der Scheiße, wenn er so reagierte.

»Wir haben dafür gesorgt, dass uns niemand gesehen hat. Ich..«

»Ich bin so verdammt enttäuscht von dir, Cai. Vor allem, seit wann kennst du Seua gut genug, um mit ihm durchzubrennen?«

Das tat weh. Schließlich war er nicht nur mein Manager, sondern auch einer meiner besten Freunde.

»Naja, wir haben uns eben in letzter Zeit angefreundet«, begann ich, doch ich hörte auf, als ich sah, dass es ihn überhaupt nicht interessierte. Ich merkte, dass sich ein Kloß in meinem Hals bildete, doch ich versuchte mich zurückzuhalten.

»Du bist morgen um 9 am Set. Ansonsten kann gerne Seua dein Manager werden!«, rief er und stürmte davon. Ich blieb alleine in diesem trostlosen Flur zurück, mir liefen die Tränen über die Wangen. Wie um alles in der Welt sollte ich das wieder geradebiegen? Mit hängenden Schultern stand ich einfach nur da, fragte mich, ob es das alles wert war. Der Stress, der Ärger und vor allem der Streit. Ich ließ mich gegen die Wand fallen, starrte die graue Decke an, ließ die Tränen einfach laufen. Die waren längst überfällig. Im nächsten Moment spürte ich, wie mich jemand in den Arm nahm. Ich wollte nicht, dass Seua mich in diesem miserablen Zustand sah, trotzdem nahm ich die tröstende Umarmung gerne an, schlang die Arme um ihn und vergrub mein Gesicht an seinem Hals. Dann brach es aus mir heraus, aus den Tränen wurde ein Schluchzen. Ich war einfach überfordert mit dem Ganzen, Seua war für mich die einzige Konstante in diesem Chaos. Seine Hände fuhren mir über den Rücken, langsam konnte ich mich beruhigen. »Wir schaffen das schon, Cai«, flüsterte er und für einen Moment glaubte ich sogar daran.
 

Am nächsten Tag war ich pünktlich am Set, umgezogen und bereit, wenn auch sehr müde, weil ich schlecht geschlafen hatte. Wie es der Zufall so wollte, drehten wir heute bei Nok zuhause und plötzlich fielen mir die Parallelen zur Serie auf. Ray stand zwar neben mir, aber er starrte nur auf sein Tablet. Mehrmals hatte ich versucht, ein Gespräch mit ihm anzufangen, doch hatte nur einsilbige Antworten bekommen. Sogar Noah bekam auf einmal ein Lächeln von ihm, obwohl er vor ein paar Tagen noch die Augen bei seiner Anwesenheit verdreht hatte. Der Einzige, der es schaffte, diese eisige Stimmung etwas aufzuwärmen, war Seua. Doch auch mit ihm sprach Ray kaum. Er musste seine Wut als Anstifter von mir auf sich nehmen. Ich kannte Ray seit fünf Jahren, so abweisend war er nie zu mir gewesen. Glücklicherweise musste ich mir nicht weiter darüber Gedanken machen, da ich endlich ans Set gebeten wurde.
 

Wolfsherz – Szene 3
 

Ich trat mit dem Koffer durch den Eingang des Hauses, in dem Noks Familie wohnte. Wie bei vielen Häusern in Thailand waren wir durch ein Tor auf das Grundstück gekommen, der Eingang bestand aus verschiebbaren Fenstern. Seine Familie waren seine Mutter, sein Vater und seine kleine Schwester. Das Mentor-Programm sah vor, dass wir zwei Wochen in der Familie des Mentors verbrachten, um den thailändischen Alltag richtig kennenzulernen. Während ich mich total darauf freute, knetete Nok seine Hände, schien nicht allzu begeistert von dieser Idee. Seine Familie begrüßte mich freundlich, auch sie sprachen sehr gutes Englisch.

»Herzlich willkommen, du bist Wolf richtig?«, seine Mutter faltete die Hände vor der Brust zum traditionellen Gruß.

»Genau. Freut mich.«

»Mein Name ist Suwa, du kannst mich aber auch »Ma« nennen. Das ist mein Mann Insi und meine Tochter Khau«, stellte sie sich und die anderen vor. Nach der Begrüßung ließ ich mir von Nok das Haus zeigen. Es war ein kleines, schickes Einfamilienhaus, bei dem Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer im Erdgeschoss waren, die Zimmer von Nok und Khau in der ersten Etage. Kurz bevor wir sein Zimmer betreten konnten, nahm P’Suwa mich zur Seite. Leise sagte sie: »Nok erzählt nie irgendetwas von der Uni. Ist denn alles in Ordnung?«

Ich kannte ihn seit ein paar Wochen und fand, dass er schon Fortschritte gemacht hatte. Wir hingen zwar meistens nur mit Ying, Yang und Kraisee rum, aber zumindest mit ihnen sprach er. Ich wusste nicht, wie viel seine Eltern wussten, aber wenn sie wirklich gar nichts wussten, blieb ich lieber bei der harmlosen Variante.

»Ja, es ist alles in Ordnung. Nok kümmert sich gut um mich und kommt auch an der Uni klar.« Ich hätte mich auch noch gerne mit ihr unterhalten, doch Nok zog mich in sein Zimmer.

»Was hast du?«, fragte ich verwirrt. Bevor er antwortete, setzte er sich an den kleinen Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand, wo er schon die Bücher hingelegt hatte.

»Ich möchte einfach nicht, dass du mit meiner Mutter über mich oder die Uni redest.«

Ich setzte mich dazu, doch sobald ich versuchte, ihn anzusehen, wandte er sich ab.

»Wieso nicht?«

»Du weiß doch wieso. Meine Eltern müssen nichts weiter wissen, solange meine Noten gut sind«, murmelte er vor sich hin. Ich wuschelte ihm durch die Haare, woraufhin er mich dann auch ansah.

»Nok, du glaubst auch deine Eltern sind blöd, oder? Gerade die sollten dich am besten kennen. Ab jetzt kannst du ihnen auch genug erzählen.«

»Na gut«, er nahm meine Hand von seinem Kopf. »Dann können wir uns jetzt an deine Hausaufgaben setzen.«

Ich hatte keine Wahl, als tatsächlich meine Aufgaben zu machen, immer wenn irgendetwas drohte, mich abzulenken, reichte ein Blick von ihm. Du wirst schon noch sehen, Nok. Ich bin nicht hier, um zu lernen.
 

Am nächsten Tag hatte P’Suwa uns angeboten, mit der ganzen Familie in den Zoo zu fahren. Bevor wir losgefahren waren, hatte ich es noch geschafft, sie heimlich zur Seite zu nehmen, um sie in meinen Plan einzuweihen. Ich konnte es kaum abwarten, Noks Reaktion zu sehen. Wir liefen gemeinsam durch den Zoo und ich hatte das Gefühl, dass Khau mich beobachtete. Schließlich fragte sie: »Wieso ausgerechnet Thailand, P’Wolf?«

»Ich finde euer Land einfach spannend und man kann ein Land eben erst richtig verstehen, wenn man länger dort gelebt hat. Außerdem finde ich eure Sprache total cool. Mit meinem Mentor hier«, ich legte Nok eine Hand auf die Schulter: »..lerne ich die bestimmt auch ganz schnell.«

Nok sah mich von der Seite an: »Wenn du deine Aufgaben machst, bestimmt. Dann sollte ich wohl ab jetzt nur noch Thai mit dir sprechen.«

Spielerisch stieß ich ihn in die Seite: »Wenn du willst, dass ich gar nichts verstehe, dann gerne.«

Khau lachte: »Ich sehe schon, dass du ein guter Einfluss für meinen Bruder bist, P’Wolf. Wenn ich die Möglichkeit hätte, in einem anderen Land zu leben, würde ich das bestimmt auch machen. Aber falls Nok mal wieder zu feige für irgendetwas ist, kannst du mich auch jederzeit fragen, P’Wolf.«

»Khau!«, wurde sie direkt von ihrem Bruder ermahnt. Ich konnte mich nicht beklagen, Nok war zwar sehr zögerlich mit allem und brauchte seine Zeit, aber solange es eine Aufgabe war, würde er sie auf jeden Fall erfüllen. Später gab P’Insi uns ein Eis aus und es fühlte sich für mich an, als wäre ich mit meiner eigenen Familie unterwegs. Als wir am Gehege der Tiger standen, fragte P’Insi mich, was meine Eltern zu meinem Vorhaben gesagt hatten.

»Anfangs waren sie nicht begeistert, aber sie haben mich in meinen Träumen immer unterstützt und finden es auch gut, dass ich es durchziehe. Außerdem ist es auch nicht für immer. Ich glaube, ein Jahr ist oft kürzer als man denkt.«

»Das stimmt. Ich bin froh, dass sie dich unterstützen. Solange du hier bist, kannst du uns gerne als deine Eltern ansehen.«

»Vielen Dank, Pa.«

»Hast du denn auch Heimweh?«

Nachdenklich beobachtete ich den Tiger, der mit einem Ast spielte. Immer wieder warf er den Ast hoch, so als würde er einen Zirkustrick machen.

»Am Anfang ziemlich krass, muss ich sagen. Meistens wenn man nachts allein im Bett liegt. Aber sobald man Leute kennenlernt und die ganze Zeit was um die Ohren hat, geht’s finde ich.«

»Das ist normal. Falls du irgendetwas brauchst, wende dich ruhig an uns«, freundlich lächelte er mich an.

»Ich weiß das zu schätzen, wirklich.«

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Nok auffällig in Hörweite stand, daher streckte ich mich, legte ihm einen Arm um die Schultern und zog ihn an mich, sodass er nach vorne stolperte.

»Keine Sorge, ich erzähle Pa schon nichts Komisches über dich.«

Er schüttelte sich, befreite sich aus meinem Griff und verschränkte die Arme. Khau kam dazu:

»Wahrscheinlich ist er eifersüchtig.«

Nok versuchte ihr die Hand auf den Mund zu legen, doch sie wich geschickt aus.

»Eifersüchtig?«, hakte ich nach. Während Khau vor ihrem Bruder floh, sagte sie: »Weil du mehr mit unseren Eltern redest, als Nok in einem ganzen Jahr.«

Auch wenn Khau ihn nur ein bisschen ärgern wollte, ging ihm das doch näher als gedacht. Ehe ich es realisieren konnte, stapfte er beleidigt davon, gab seine Versuche, seine Schwester ruhigzustellen, auf. Ich gab P’Suwa das vereinbarte Zeichen, dass ich meinen Plan umsetzen würde und lief ihm hinterher. Nok näherte sich schnellen Schrittes des Ausgangs. Als ich nach seinem Arm griff, schüttelte er mich ab.

»Nok! Warte!«

E war unglaublich schnell, ich hatte Schwierigkeiten, mitzuhalten. Ganz unvermittelt drehte er sich um und ich kam erst zum Stehen, als sich unsere Gesichter fast berührten. Die Wut, die in seinen Augen funkelte, machte mich atemlos. Als er mir in die Augen sah, wurde sein Blick sanfter. Was war das? Warum machte dieser Typ mich so verrückt? Ich hielt diese Spannung nicht länger aus und nahm ihn in den Arm. Hätte er mich eine Sekunde länger angesehen, wäre ich entweder ohnmächtig geworden oder hätte etwas sehr Dummes getan. Nok blieb einfach regungslos stehen.

»Lass uns für eine Weile verschwinden«, flüsterte ich an seinen Nacken und sah, wie er Gänsehaut bekam. Hastig sprang er zurück: »Was?«

Ich nahm einfach seine Hand und lief los. Erst in Richtung Ausgang, dann die Straße runter. Irgendwohin, es spielte keine Rolle. Nok sollte endlich mal was anderes sehen als seine Aufgaben, was anderes erleben als den Unterricht. Nok sollte endlich mal leben. Er hatte keine Wahl als mir zu folgen, erst wir einige Zeit gelaufen waren, blieben wir schweratmend stehen. Wir stützten die Arme auf die Beine, um erst einmal wieder zu Atem zu kommen.

»Was hast du vor? Was ist mit meiner Familie?«, fragte er zwischen den Atemzügen.

»Darüber machst du dir jetzt mal keine Gedanken, Nok. Wir machen nämlich unseren eigenen Ausflug.«

»Und wohin?«

»Keine Ahnung. Wir werden einfach hier die Straße entlanglaufen und wenn es was gibt, was wir machen wollen, dann machen wir das einfach«, erklärte ich ihm, nachdem ich wieder zu Atem gekommen war. Die Panik in seinen Augen war nicht zu übersehen. Hektisch kramte er sein Handy aus der Tasche.

»Was ist mit Geld? Was ist, wenn wir nicht zurückfinden? Ich kenne mich hier nicht besonders gut aus..«, sagte er, ohne vom Display aufzusehen. Ich nahm ihm das Handy weg.

»Das spielt alles keine Rolle. Und das Handy ist konfisziert.«

Da Nok ein bisschen größer war als ich, wäre es ein Leichtes für ihn gewesen, es mir wieder wegzunehmen, also steckte ich es in meine Hosentasche. Schmollend ließ er die Schultern sinken. Ich streckte ihm meine Hand hin: »Wenn du mir vertraust, gehen wir. Ansonsten kannst du jederzeit gehen.«

Ich wollte ihn auch nicht zwingen, daher musste ich ihn wählen lassen. Zögernd nahm er meine Hand: »Also gut. Gehen wir.«
 

Nok und ich liefen die Straße entlang, irgendwann ließ er jedoch meine Hand los und ich versuchte, darüber nicht enttäuscht zu sein. Zuerst gingen wir etwas essen, dann in die Spielhalle. Auch in Amerika hing ich öfter mit Freunden in solchen Hallen herum, an Noks großen Augen war jedoch leicht abzulesen, dass es für ihn das erste Mal war. Wir probierten ein paar Spiele aus, Nok schaffte es sogar, einen Plüschwolf aus einem Automaten zu bekommen. Danach setzten wir uns am Fluss auf eine Bank, um uns kurz auszuruhen. Nok betrachtete den Plüschwolf nachdenklich und seufzte.

»Was ist los?«

»Ach, ich habe einfach das Gefühl, dass ich kein guter Mentor bin, P’Wolf. Du kommst in ein fremdes Land, dessen Sprache du nicht verstehst und wo du niemanden kennst, trotzdem hast du sofort Freunde, verstehst dich mit allen und bewegst dich hier, als wärst du nie woanders gewesen. Eigentlich brauchst du mich nicht.«

Ich hatte befürchtet, dass Nok irgendwann darüber nachdenken würde. Das durfte ich nicht zulassen.

»Nok, ich mag mich schnell an neue Umstände gewöhnen, aber ich brauche dich trotzdem als Mentor und Freund. Wer hilft mir sonst mit den Thai-Hausaufgaben? Wer übersetzt mir sonst die Briefe der Uni, die in komischem Englisch verfasst sind? Wer erinnert mich sonst, meine Rechnungen zu bezahlen? Und wer ist mit mir befreundet und lässt sich auf meine komischen Pläne ein? Du! Nok, ich brauche dich mehr als du glaubst«, vorsichtig nahm ich seine Hände in meine, er sah mich an, hatte Tränen in den Augen.

»Wirklich?«, hauchte er.

»Ja.«

Nok umarmte mich und ich erwiderte es. Jedes Mal überkam mich dabei dieses komische Gefühl. Ihn in den Armen zu halten, fühlte sich so verdammt gut an.

»Danke, P’Wolf. Ich bin froh, dass es so ist«, flüsterte er und ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper. Ich sprang auf, um mich aus dieser Situation zu befreien. Dafür, dass er der Schüchterne sein soll, hat er mich ganz schön in Verlegenheit gebracht. So wie er da saß mit seinem Plüschwolf, sah er süß aus. Ich schüttelte mich. Was dachte ich denn? Nok durfte das niemals erfahren, wahrscheinlich würde er dann schreiend das Weite suchen. Verwirrt sah er mich an: »Alles okay, P‘?«

Unsicher wedelte ich mit den Armen. Ach, wenn du wüsstest.

»Ja, klar! Lass‘ uns weiter gehen.«
 

Wir flanierte noch ein bisschen an der Straße entlang, bis ich heimlich den Rest der Gang, nämlich Ying und Yang per Textnachricht anwies, vor einem Gebäude zu warten. Auch sie hatte ich in den Plan eingeweiht, ich glaube zu spontan hätte ich mich das auch nicht getraut. Ich hoffte, dass meine nicht vorhandenen Schauspielkünste ausreichen würden, um Nok zu täuschen. Ying und Yang gaben sich überrascht.

»Nok! P’Wolf! Schön euch hier zu treffen! Wollt ihr nicht mit zum Karaoke?«

Natürlich sagte ich für uns zu und wir gingen rein, auch wenn ich bei Nok ein bisschen nachhelfen musste. Ursprünglich hatte ich geplant, für diesen Teil des Abends einfach jemanden anzuquatschen, um dazuzukommen, doch ich wollte Nok nicht auch noch mit Fremden überfordern. Im Karaokeraum waren die Mädels schon fleißig dabei Songs auszusuchen, während Nok sich in die Ecke setzte. Zunächst sangen nur wir drei, größtenteils waren es zum Glück englische Lieder, damit ich mitsingen konnte. Irgendwann zog Yang Nok nach vorne, ich gab ihm ein Mikrofon in die Hand. Dadurch, dass wir alle zusammen sangen und ihm offenbar nicht das Gefühl gaben, sich blamieren zu müssen, sang er schließlich auch mit. Dabei hatte ich ihn immer im Blick, wollte sichergehen, dass er nicht überfordert war. Nok schien ein bisschen aufzutauen, ich hatte den Eindruck, es machte ihm sogar Spaß. Später als nur noch Ying und Yang sangen, setzte ich mich zu ihm.

»Und wie findest du es?«

Das Leuchten in seinen Augen reichte mir fast schon als Antwort.

»Es macht wirklich Spaß, P‘!«

»Das ist schön.«
 

Tatsächlich wurde es ziemlich spät, da wir alle sehr viel Ausdauer beim Singen hatten. Vor der Tür verabschiedeten wir uns, es war schon stockdunkel. Nok und ich gingen in Richtung Bushaltestelle. Mir ging es richtig gut, mein Plan war ein voller Erfolg gewesen, wir hatten die Zeit unseres Lebens gehabt. Da wir ohnehin auf dem Weg nach Hause waren, wollte ich ihm sein Handy wiedergeben, doch er lehnte ab. Statt zur Bushaltestelle lotste er mich zurück zum Fluss.

»Du willst noch nicht zurück, Nok?«

Sein Blick war schwärmerisch gen Himmel gerichtet, den Plüschwolf immer noch fest in der Hand.

»Nein, wenn es ein Abenteuer sein soll, müssen wir auch fast den letzten Bus verpassen.«

Ich war stolz darauf, dass sich meine Spontanität auch auf ihn übertrug.

»Außerdem möchte ich dich was fragen, P’Wolf.«

Ich wurde sofort hellwach, vor allem weil es sich um etwas handelte, wobei er mich nicht ansehen konnte. Stattdessen starrte er den Plüschwolf an.

»Ja?«

»Glaubst du es wäre schlimm, wenn man als Mann einen anderen Mann mag?«
 

Ich musste erst einmal aus der Szene aufwachen. Tatsächlich stellte Nok hier die richtigen Fragen. Seua gab mir den Plüschwolf in die Hand, den ich an mich nahm. Als in Richtung Zelt ging, sah ich mich um, doch Ray war nirgends zu sehen. P’Amy ging gerade an mir vorbei, daher fragte ich sie.

»Hast du Ray gesehen?«

Sie stoppte mitten in ihrem Lauf: »Ray? Ja, ich glaube der ist schon zum Sender gefahren. Seua und du ihr solltet auch fahren. P’Star wollte mit euch reden. Achso und N’Cai?«

»Ja?«

Sie zeigte mir einen Daumen nach oben: »Heute hast du mir richtig gut gefallen. Man konnte nicht nur extrem gut die Verwirrung bei Wolf sehen, sondern auch wie er sich langsam verliebt. Das war sehr glaubwürdig.«

Ich verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Ich freute mich über das Kompliment, andererseits bildete sich in mir die Angst aus, dass es doch irgendwie etwas mit der Realität zu tun hatte.
 

Während die anderen das Set abbauten, fuhr P’Joe mich und Seua zum Sender. Ich hoffte, dass ich mich endlich mit Ray aussprechen konnte. Dort angekommen lief ich mit Seua durch die Gänge, als ich plötzlich Rays Stimme hörte. Ich blieb plötzlich stehen, sodass er fast in mich reinlief. Gemeinsam sahen Seua und ich um die Ecke, dort an einer Säule vor dem Konferenzraum, in dem wir mit P’Star sprechen sollten, standen Ray und Noah?

Der Wolf und diese komischen Gefühle

Ray lehnte an der Säule, Noah stand vor ihm.

»Du hast doch gesehen, wie sehr Cai das alles mitgenommen hat. Du solltest ihm verzeihen, damit alle vernünftig arbeiten können, Ray«, erklärte Noah in einem ungewohnt sanften Ton. Auch sein Blick sprach für mich Bände. Vor ein paar Tagen hatte Ray am Set noch die Augen verdreht, als Noah dort war. Irgendetwas musste in der Zwischenzeit passiert sein, dass die so vertraut miteinander waren.

»Ich weiß, Noah. Ich werde ihm auch verzeihen, aber Cai muss eben lernen, dass er solche Aktionen nicht bringen kann. Natürlich war er unter Stress, aber statt mit Seua durchzubrennen, hätte er auch mit mir reden können. Wir sind doch befreundet«, ich hörte die Enttäuschung in seiner Stimme. Ich musste mich unbedingt bei ihm entschuldigen.

»Das hätte er. Aber Seua hat ihm eben die Möglichkeit geboten, den Kopf wieder freizukriegen und ich glaube, dass das gut war. Außerdem ist es doch gut, dass die beiden sich schon angefreundet haben. Vor allem für den Erfolg der Serie. Außerdem ist nichts passiert und der Sender hat nichts mitbekommen.«

Tatsächlich schaffte Noah es, ihn nachgiebig werden zu lassen. Scheinbar reichte es bei ihm, Ray einmal mit großen Augen anzusehen. Verdammt, das musste er mir unbedingt beibringen.

»Überredet. Ich spreche mit Cai, wenn wir hier fertig sind.«

Wieso wusste ich, dass es bei mir nicht funktioniert hätte? Was zum Henker geht hier ab? Die beiden lächelten sich an, dann verschwand Noah. Seua und ich wagten uns aus der Deckung, grüßten und gingen in den Konferenzraum. Dort wartete P’Star bereits, zusammen mit einem Polizisten und die Chefin des Hotels. Wir setzten uns zu ihnen an den Tisch, Seua und Ray neben mir. Fast als hätte man einen Engel und einen Teufel auf der Schulter. Oder eher zwei Teufel.

»Cai, bei dir ist alles in Ordnung, oder?«, erkundigte sich P’Star.

Ich nickte: »Ja, danke, P’Star. Ich bin einfach froh, dass wir den Dreh fortsetzen konnten.«

Er nahm es zur Kenntnis, gab das Wort dann an unsere Gäste ab. Der Polizist zeigte mir ein Bild einer Frau, die eine Hoteluniform trug.

»Wir haben herausgefunden, dass eine Mitarbeiterin des Hotels für den Angriff verantwortlich war. Ihr Motiv war etwas zu finden, was man gewinnbringend an die Presse verkaufen konnte. Laut ihrer eigenen Aussage hat sie Khun Ray dabei beobachtet, wie er mit einem Umschlag in Khun Cais Zimmer ging und hat in diesem richtigerweise Fotos vermutet. Es wurde nichts weiter aus dem Zimmer entwendet. Die Mitarbeiterin wurde sofort entlassen, befindet sich zurzeit in Untersuchungshaft, ein Prozess steht noch aus. Es muss keinesfalls mit einem weiteren Angriff gerechnet werden«, schloss der Polizist seine Erklärung. Für mich war es gut zu wissen was passiert war, damit ich endlich mit dieser Sache abschließen konnte. P’Star ergänzte: »Auch wenn weiterhin nicht mit einem Angriff gerechnet werden muss, kannst du jederzeit unser Security-Team in Anspruch nehmen. Sie sind 24/7 abrufbar.«

Er gab mir mehrere Handynummern von Bodyguards, die für TMM TV arbeiteten. Als nächstes forderte P’Star die Hotelchefin auf, ihre Aussage zu tätigen.

»Im Namen des gesamten Teams möchten wir uns aufrichtig entschuldigen. In Zukunft werden wir alles daransetzen, die Mitarbeiter gründlicher zu kontrollieren. Im Zuge dessen haben wir uns mit dem Sender darauf geeinigt, dass Ihre Hotelkosten von uns übernommen werden, Khun Cai. Sie können gerne unseren kompletten Service kostenfrei nutzen, bis zu Ihrer Abreise.«

Es war sehr nett und ein gutes Angebot, aber ich wandte mich hilfesuchend an Seua, weil ich trotz allem nicht ins Hotel zurückwollte. Hoffentlich konnte Seua Gedanken lesen. Aber nur dieses eine Mal.

»Das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen, aber Cai wird nicht ins Hotel zurückgehen. Ich verstehe den Gedanken, P’Star, dass alle vom Team an einem Ort sind. Aber Cai wird vermutlich nicht gerne dort sein, wo dieser Angriff passiert ist. Ich bleibe in meiner Wohnung und wenn er will, kann er das auch«, sprach er meine Gedanken für mich aus. Das war eine ganz andere Gefahr, in die ich mich brachte. Allerdings war es die Möglichkeit für mich, so viel wie möglich über ihn herauszufinden. Danke fürs Gedankenlesen, Seua. P’Star hob skeptisch eine Augenbraue: »Und du bist dir sicher, dass das eine gute Idee ist, Seua? Ich meine, wenn er will, werde ich Cai nicht aufhalten, aber..«

»Ihr wollt doch immer, dass wir jede Sekunde miteinander verbringen, also sollte das wohl klar gehen.«

Jetzt richtete sich er an uns beide: »Klar, aber ich habe eine Bedingung. Ich will keine Skandale, verstanden?«

Meine Augen wurden groß. Was dachte er denn bitte, was wir machen würden?

»Klar.«
 

Als alle gegangen waren, war ich mit Ray alleine. Seua würde unten auf mich warten, er wusste ja, dass wir reden wollten. Wir saßen nebeneinander in dem halb beleuchteten Raum. Zunächst wusste keiner von uns beiden, was er sagen sollte, als übernahm ich:

»Es tut mir leid, Ray. Ich kann absolut verstehen, dass du sauer bist. Das war unverantwortlich von mir und ich habe es eingesehen. Beim nächsten…«

Ich konnte nicht einmal zu Ende sprechen, da umarmte er mich.

»Cai! Ich wollte dich nicht anschreien! Und ich will auch nicht, dass Seua dein Manager wird.«

Grinsend erwiderte ich die Umarmung. Danke, Noah.

»Das ist dein gutes Recht, Ray. Solange wir noch befreundet sind, kannst du mich ruhig anschreien.«

Er löste sich von mir, legte mir beide Hände auf die Schultern.

»Ich habe überhaupt keine Rücksicht darauf genommen, dass du gestresst warst, Cai. Du wurdest bedroht und ich hätte dich mehr unterstützen müssen.«

Versöhnlich schüttelte ich den Kopf: »Einigen wir uns doch einfach darauf, dass wir beide Fehler gemacht haben, okay?«

»Okay. Wieder Freunde?«

»Sind wir je was anderes gewesen?«

Wir schlugen ein und damit war das Thema für uns vergessen. Doch er war scheinbar noch nicht fertig.

»Du willst wirklich bei Seua bleiben? Bist du dir sicher? Du kannst immer noch ins Ersatzhotel«, ich sah die Sorge in seinem Blick, doch ich blieb dabei. Es war Teil meines Plans mein eigenes Spiel mit dem Tiger zu spielen.

»Ja, will ich. Wir verstehen uns mittlerweile ganz gut und ich hoffe, dass man das auch in der Serie sieht.«

»Mhmm«, das hatte ihn offenbar noch nicht überzeugt. Forschend sah er mich an: »Du hast einen Plan, oder? Wenn nicht, sollte ich wohl besser fragen, ob du nicht irgendwelche komischen Hintergedanken hast.«

Ich wusste selbst nicht einmal, ob da nicht doch irgendwelche anderen Gedanken waren. Fürs erste ließ ich es dabei: »Nein, ich habe keine Hintergedanken, aber einen Plan. Sieh‘ es einfach als Möglichkeit für mich, Seua, außerhalb des Sets, besser kennenlernen zu können, okay?«

»Gut, wie du meinst«, er gab mir eine Zimmerkarte vom Hotel. »Aber, wenn es doch mal brenzlig werden sollte, nimm‘ die hier.«

Widerwillig nahm ich die Karte an mich, es war wie ein Eingeständnis, dass Seua mich überfallen würde und das mochte ich nicht. Aber wenn es ihn beruhigte, dann nahm ich sie eben. Ray nickte zufrieden und wollte gerade gehen, da hielt ich ihn zurück: »Warte. Ich habe auch noch eine Frage.« Er setzte sich wieder hin, sah mich neugierig an: »Was denn?«

»Seua und ich haben vorhin beobachtet, wie du dich vor dem Raum mit Noah unterhalten hast. Wie hat sich denn bitte deine Einstellung zu ihm so schnell verändert?«

Sein geschockter Ausdruck zeigte mir, dass ich ihn eiskalt erwischt hatte. Es war auch eine kleine Genugtuung für mich. Er wich meinem Blick aus. Er kennt mich zwar gut, aber ich ihn auch. Ray zeigte selten Gefühle, wenn es doch einmal unangenehm wurde, konnte er keinen Blickkontakt halten. Sein Motto war vermutlich, dass niemand seine Gefühle erraten konnte, wenn er niemanden ansah. Leise begann er: »Als du weg warst, eigentlich davor schon, hat er mir ein bisschen geholfen. Mit der Situation klarzukommen, eben. Dadurch, dass er hier lebt, kennt er sich aus, macht für das Team eben auch mal einen auf Mädchen für alles. Er hat gesehen, dass ich in Schwierigkeiten war und hat geholfen. Ich gebe zu, am Anfang hat mich seine aufdringliche Art genervt, aber dann lernt man sich besser kennen und merkt, dass er nur helfen will. Außerdem hat er sich gefreut, mal jemanden aus der Heimat zu treffen.«

Ray hatte so leise gesprochen, dass ich mich richtig anstrengen musste, um alles zu verstehen. Was kommt wohl dabei raus, wenn ich das Wort »Helfen«, durch ein anderes ersetzen würde? Wie dem auch sei, ich wollte Ray damit in Ruhe lassen. Es war schließlich sein Leben und wenn mein Manager den Tonmann mochte, dann war es so. Auch wenn er es ein bisschen verdient hätte, dass ich ihn auch mal ärgern konnte. Doch ich war sicher, dass ich diese Gelegenheit noch bekommen würde.

»Okay. Falls du sonst reden willst, ich bin da.«

»Danke.«
 

Ein paar Tage später kam ich gerade am Set an, da sah ich Dice und Seua. Dice hatte seine Arme um Seuas Nacken gelegt, strahlte ihn an. Seua erwiderte das Lächeln. Sie waren doch nur Freunde, oder? Ich versuchte mich unauffällig im Zelt zu platzieren, sodass ich das Gespräch mithören konnte, ohne gesehen zu werden.

»Endlich drehen wir zusammen, Seua.«

»Jup, es ist schön, dass wir wieder mal zusammenarbeiten, Dice. Aber übertreibs nicht, okay?«

Dice, der fast genauso groß war wie Seua, näherte sich seinem Gesicht, bis sie nur noch Zentimeter trennten. Was er dann sagte, konnte ich nicht hören, weil er flüsterte. Daraufhin trat Seua grinsend einen Schritt zurück.

»Ich glaube nicht«, sagte er und sein Blick wurde böse.

»Das werden wir sehen. Oder muss ich mir etwa um die Konkurrenz Gedanken machen?«

Obwohl die Beiden die ganze Zeit Englisch redeten, hörte es sich für mich an wie Thai, weil ich absolut nichts verstand.

»Diesmal kann ich für nichts garantieren.«

Dice entfuhr ein Knurren, aber er hatte seine Augen nicht eine Sekunde von Seua abgewandt.

»Kinderspiel. Du weißt, dass ich nicht aufgeben werde. Gegen den werde ich bestimmt nicht verlieren.«

Kopfschüttelnd wandte Seua sich ab: »Ich weiß, dass ich dich nicht aufhalten kann und ich habe auch nicht das Recht dazu. Aber tu‘ mir den Gefallen und sei nett zur Konkurrenz, okay?«

Seua wollte gehen, doch Dice umarmte ihn von hinten und flüsterte ihm irgendetwas ins Ohr. Ich wollte nicht hinsehen, konnte aber auch nicht wegsehen. Jedes Mal, wenn sie sich ansahen oder berührten, zog es sich in meiner Brust zusammen. Ich kannte dieses Gefühl nicht, aber es war verdammt unangenehm. Seua löste sich von ihm, dann ging er. Ich wollte mich gerade darüber freuen, dass er sich nicht alles gefallen ließ, da hörte ich: »Du kannst rauskommen, Cai.«

Verdammt! Dice sah zu, wie ich langsam aus meiner Ecke hervorkam. Ich konnte nichts sagen, denn alles außer, dass ich ihnen absichtlich zugehört hatte, wäre gelogen. Dice musterte mich, er trug auch die Uniform. Böse funkelten seine Augen mich an, ich trat einen Schritt zurück.

»Falls du dich gefragt hast, von welcher Konkurrenz wir gesprochen haben, sie steht vor mir und sieht mich an wie ein Feigling.«

»Konkurrenz? Ich?«, fragte ich ungläubig.

»Glaubst du ich kriege nichts mit? Wer tut denn einen auf beste Freunde und will unbedingt bei Seua in der Wohnung bleiben, hm? Ich sag dir eins, Kleiner. Wenn du dich an Seua ranmachen willst, musst du erst an mir vorbei.«

Warte mal. Was? An ihn ranmachen? Vielleicht hatte ich zugelassen, dass er mir näherkommt, ja, aber das war doch auch sein Job, oder? Die Fragen in meinem Kopf überschlugen sich, es war schwierig einen klaren Gedanken zu fassen.

»Ich will mich nicht an ihn ranmachen..«, sagte ich leise mit deutlich weniger Überzeugung als geplant.

»Weil ihr wahrscheinlich nur Freunde seid, richtig?«

»Ja«, gab ich kleinlaut zurück.

Ich hoffte inständig, dass Dice gerade an mir nur seine Schauspielkünste ausprobierte. Sollte das echt sein, mochte ich diese Seite an ihm überhaupt nicht. Dieses bedrohliche Gehabe.

»Red‘ dir das ruhig selbst weiter ein. Aber wenn du irgendwann doch realisierst, dass es anders ist, wird es zu spät sein. Der Tiger spielt nicht mit Kätzchen, da musst du schon ein bisschen aggressiver sein. Ich hoffe, du bist nicht naiv genug zu glauben, dass er das macht, weil er dich mag. Weißt du eigentlich mit wie vielen Typen er diese Pärchennummer schon abgezogen hat? Bilde dir bloß nicht ein, bei dir wäre es anders.«

Ich ließ seine Worte auf mich einprasseln, jedes einzelne fühlte sich an wie ein Messerstich. Habe ich mir das alles wirklich nur eingebildet? Als ich zum Set ging, sah ich noch einmal zurück, wo Dice mit seinem fiesen Grinsen stand. Warts nur ab. So feige, wie du denkst, bin ich nicht.
 


 

- Wolfsherz – Szene 4 -
 

»Nok!«, hörte ich Kraisees Stimme schon von weitem. Nok und ich waren gerade auf dem Weg in die Mensa, drehten uns beide um. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass sich die beiden anfreunden. Nok würde das nicht verstehen, aber Kraisee machte keinen Hehl aus seiner Agenda. Und aus unerfindlichen Gründen passte mir das überhaupt nicht. Kraisee legte Nok locker einen Arm um die Schulter, was dieser auch zuließ.

»Ja?«

Krai wedelte mit einem Papier vor seinem Gesicht herum: »Ich habe meinen Englisch-Aufsatz wiederbekommen und es ist eine glatte Eins!«

Ich ballte die Hand zur Faust. Nok einen perfekten Aufsatz zu zeigen, glich im Prinzip einem Liebesgeständnis. Fasziniert nahm er das Papier entgegen und die beiden ließen sich auf die nächste Bank nieder. Ich blieb mir verschränkten Armen davorstehen.

»Nok, wir wollten doch in die Mensa!«, merkte ich an, doch er war schon damit beschäftigt den Aufsatz zu lesen. Krai hatte immer noch seinen Arm um Noks Schulter. Genervt nahm ich seinen Arm, um Nok zu befreien.
 

»Cai! Das steht nicht im Drehbuch!«, hörte ich den Regisseur sagen und es verschlechterte meine Stimmung nur noch mehr. Dice nutzte aus, dass er mit Seua drehen konnte und es nervte mich total. P’Amy kam mit dem Drehbuch zu mir.

»Wolf soll genervt die Szene verlassen und alleine in der Mensa essen. Er fühlt sich von Nok ignoriert und ist sauer«, erklärte sie.

Ich winkte ab: »Danke, P’Amy. Ich kenne die Szene, tut mir Leid.«

Besorgt beobachtete sie mich, kaufte mir wohl nicht ab, dass das okay war. Ich war sauer, dass ich wegen Dice nicht mal mehr richtig arbeiten konnte.

»Brauchst du eine Pause?«, fragte sie vorsichtshalber, doch ich verneinte. Wir hatten gerade erst mit dem Dreh angefangen und ich wollte mir die Blöße nicht geben, schon direkt eine Pause zu brauchen.
 

- Wolfsherz – Szene 4 -
 

Genervt ließ ich die Beiden alleine und ging in der Mensa essen. Ich hatte nur etwa eine Stunde Zeit bis zum nächsten Unterricht, daher konnte ich nicht mehr auf Nok warten. Mein eigener Plan fiel also auf mich zurück. Wenn ich Nok nicht aus seiner Isolierung herausgeholt hätte, wäre er nur mit mir unterwegs. Ich fuhr mir mit den Händen durchs Gesicht. Warum machte mich das so wütend? Es war doch immer von mir gewollt gewesen, dass möglichst viele Leute kennenlernt. Komm’ zur Vernunft, Wolf, ermahnte ich mich selbst und versuchte meinen Gesichtsausdruck zu entspannen. Ich entdeckte Ying und Yang und beschloss, mich zu ihnen zu setzen.

»Hi, P’Wolf. Wo ist Nok? Du bist doch nie ohne ihn unterwegs«, merkte Yang erstaunt an, als ich saß.

»Ist doch egal. Lasst uns essen, ich muss gleich zum Unterricht«, gab ich abweisend zurück. Doch statt zu essen, starrte ich nur den Teller an. Weder hörten meine komischen Gedanken auf, noch besserte sich meine Laune. Immer wieder drängte sich die Frage auf, warum ich so genervt war. Ying legte mir ihre Hand auf den Arm, sodass ich sie ansah.

»Alles okay? Ich habe das Gefühl, dass du irgendwie komisch bist heute. Du kannst ruhig mit uns reden, wenn du willst«, ihre sanfte Stimme beruhigte mich zwar etwas, aber ich wollte über nichts reden, was ich nicht verstand.
 

Eine halbe Stunde später, als wir schon mit Essen fertig waren, kam Nok zu uns an den Tisch. Begeistert erzählte er uns von Kraisees Aufsatz und, dass er sich gut mit ihm unterhalten hatte. Ich saß mit verschränkten Armen daneben, hörte kaum zu und hasste mich gleichzeitig für mein kindisches Benehmen. Trotzdem stand ich auf, nahm mein Tablett und brachte es weg, ohne ihn weiter zu beachten.
 

Nach einem anstrengenden Tag zog ich mich auf mein Zimmer zurück, wollte heute ausnahmsweise mit Niemandem sprechen. Ich konnte verstehen, wenn Nok sauer war, weil ich ihn ignoriert hatte. Schließlich war das absolut dämlich, er hatte nichts falsch gemacht. Seufzend ließ ich mich auf das Bett fallen, wollte diesen Tag einfach nur noch vergessen. Das Einzige, was feststand war, dass ich mich entschuldigen musste. Eine Weile lag ich einfach da, meine Hausaufgaben im Rucksack auf dem Boden. Ich war in diesem Moment überhaupt nicht in der Stimmung irgendetwas zu machen, geschweige denn Hausaufgaben. Ich hörte ein leises Klopfen, stieg aus dem Bett und öffnete die Tür. Es war Nok. Sein trauriges Gesicht brach mir fast das Herz.

»Bist du sauer?«, fragte er leise. Ich zog ihn am Arm ins Zimmer und schloss die Tür. Entschlossen sah ich ihn an: »Nein, bin ich nicht. Ich wollte mich sowieso entschuldigen. Bitte vergiss einfach, was du heute gesehen hast.«

Ich drehte mich weg und ging ein paar Schritte zurück, weil ich es nicht aushielt, ihn eine Sekunde länger anzusehen. Aus dem Augenwinkel sah ich ihn auf mich zukommen.

»Aber was war denn, P’Wolf? Du wolltest doch, dass ich mit Anderen treffe und ich war stolz auf mich, dass ich das geschafft habe. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass du dich darüber gefreut hast«, er sprach in seinem üblichen Tonfall, aber es klang in meinen Ohren so traurig, dass ich schon wieder anfing, mich für diesen Tag zu hassen. Er hatte das Problem auf den Punkt gebracht. Ich war derjenige, der stolz auf ihn sein sollte und sich freuen sollte, stattdessen zog ich so eine Show ab. Kein Wunder, dass er enttäuscht war.

»Nok, hör zu. Ich habe selbst nicht verstanden, was ich heute gemacht habe, ich weiß nur, dass es falsch war. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen«, bat ich ihn. Während ich ängstlich auf seine Reaktion wartete, sah ich ihn auf einmal wieder vor mir. Ohne zu zögern, umarmte er mich. Es dauerte eine Sekunde, bis ich reagieren und die Umarmung erwidern konnte.

»Natürlich verzeihe ich dir, P’Wolf. Ich bin froh, dass du nicht sauer bist. Ich hatte Angst, dass du nicht mehr mit mir befreundet sein willst.«

Von diesem Moment an nahm ich mir vor, mich nie wieder so zu benehmen. Dass Nok das nicht gefallen hatte war mir klar, aber nicht, dass es ihn in den Grundfesten erschüttern würde.

»Ich werde immer mit dir befreundet sein, Nok«, flüsterte ich und er nickte. Dann löste er sich von mir, deutete auf den Rucksack, der auf dem Boden lag.

»Deine Hausaufgaben hast du aber noch nicht gemacht, oder?«

Lächelnd seufzte ich: »Nein, lass’ uns das zusammen machen.«
 

Ein paar Tage später war wieder alles beim Alten. Ich ließ zu, dass sich Nok mit Anderen abgab, weil ich schließlich diesen Plan angeleiert hatte und es ihm scheinbar Spaß machte. Heute traf ich mich mit Ying und Yang in der Bibliothek, weil wir dort für unsere Aufsätze recherchieren mussten. Nok war nicht dabei, er hatte Unterricht. Wir saßen an einem Tisch in einer ruhigen Ecke, jeder hatte seinen eigenen Bücherstapel neben sich. Geräuschvoll klappte ich eins meiner Bücher zu, um die Aufmerksamkeit der Mädels zu bekommen.

»P’Wolf?«

Bevor ich anfing zu sprechen, sah ich mich um, ob auch niemand zuhörte und beugte mich nach vorne, um leiser sprechen zu können: »Ihr habt gesagt, ich kann mit euch über alles reden, oder?«

Eifrig nickten sie. Ich hatte eine Weile darüber nachgedacht, doch mittlerweile zweifelte ich nicht mehr an meinen Gefühlen. Was ihn betraf, war ich mir aber unsicher. Nok war zu jedem lieb und nett, ich war da keine Ausnahme. Den Rat der Mädels wollte ich nur, weil mir noch die letzte Entschlossenheit fehlte.

»Glaubt ihr, Nok mag mich? Also, so richtig?«

Sofort begannen sie zu kichern, was mir sauer aufstieß. Mit verschränkten Armen sagte ich:

»Ist das denn so abwegig?«

Ich kannte die Beiden mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie mit solchen Beziehungen kein Problem hatten. Auch die Thais hatten mir, zumindest mit ihren Serien, das Gefühl gegeben, dass das kein Problem war. Warum also dieses Kichern?

Ying schüttelte den Kopf: »Nein, das ist überhaupt nicht abwegig, Ich glaube auch, dass du gute Chancen hast. Es ist nur..vielleicht solltest du nicht uns nach den Gefühlen von jemand anderem fragen.«

Ich gab ihr in dieser Hinsicht vollkommen recht, doch das macht ihre Reaktion nicht weniger verdächtig. Ich war mir sicher, die Beiden wussten mehr, als sie sagten.

»Klar könnte ich ihn fragen, aber ich muss zugeben, dass ich diesen Gedanken gruselig finde. Was ist, wenn er das völlig absurd findet? Wenn er damit überfordert ist?«

Nachdem wir uns etwas aufgebaut hatten, hatte ich einfach nicht den Mut dazu, in Phase zwei überzugehen. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel. Yang lenkte ein:

»Da du offenbar weißt, wie empfindlich er ist, musst du es eben dementsprechend angehen. Bisher hast du das mit Nok doch auch gut hinbekommen. Ich bin mir sicher, dass du keine Angst haben musst. Falls er überfordert ist, wirst du das schon merken. Viel wichtiger ist doch, ob er deine Gefühle erwidert.«

Stimmt, daran hatte ich bisher gar nicht gedacht. Wolf, du bist viel zu selbstverliebt. Nur weil du ihn magst, heißt das nicht, dass er das auch tut. Ich freute mich über die Worte der Beiden, auch wenn es weiterhin merkwürdig war, dass sie sich andauernd ansahen und grinsten.

»Danke für den Rat und vor allem dafür, dass ihr der ganzen Sache gegenüber so offen seid. Erfahre ich euer Geheimnis noch?«, versuchte ich es. Fast synchron schüttelten sie den Kopf:

»Das wirst du schon früh genug.«
 

Es sollte tatsächlich noch zwei Wochen dauern, bis ich Nok allein erwischte. Mein Plan hatte auch über Kraisee hinaus voll eingeschlagen. Viele mochten die ruhige Art und seine verständlichen Erklärungen, sodass er einigen sogar Nachhilfe gab. Wie gehabt, machte mich das zwar stolz, aber auch ein bisschen einsam. Unter dem Vorwand, dass er mir was erklären sollte, hatte ich ihn in einen leeren Vorlesungssaal geführt. Wir standen vor der Leinwand und er sah mich freundlich an. Es war kein Vergleich zu dem Tag, an dem ich ihn kennengelernt hatte.

»Schaffst du es, mir zehn Sekunden in die Augen zu sehen, Nok?«

Er schaffte es sogar sehr viel länger, was in mir den Entschluss endgültig machte. Ich würde es klären, jetzt und hier. Bevor ich meinen Plan umsetzen konnte, stand er plötzlich mit geschlossenen Augen vor mir.

»Nok?«
 

»Alles klar, das für heute. Dankeschön«, hörte ich den Regisseur sagen. Zusammen mit den anderen ging ich zurück zum Zelt, um mich umzuziehen. Als ich damit fertig war, warteten Ray, Dice und Seua davor auf mich. Provokant hatte Dice Seua die Hände um die Hüften gelegt, flüsterte ihm irgendetwas ins Ohr, sodass er lachen musste. Ähnlich wie in der Szene heute, brauchte ich dringend jemanden, mit dem ich meinen Plan besprechen konnte. Ich überließ Seua also seinem Schicksal und fragte Ray, ob ich kurz mit ihm zum Hotel kommen könnte.
 

In seinem Zimmer angekommen, sah ich mich um. Es war ähnlich luxuriös wie das davor, mit einer weißen Ledercouch, einem Marmortisch und wenigen Dingen, die nicht vergoldet waren. Nachdem ich mich auf der Couch niedergelassen hatte, begann Ray direkt:

»Also, was ist los, Cai?«

Er legte seine Unterlagen auf dem Tisch vor mir ab und zog sein Sakko aus. Er setzte sich mir gegenüber in den Sessel, signalisierte mir volle Aufmerksamkeit.

»Die Szene, die wir heute gedreht haben, war unnormal ähnlich wie das, was gerade abgeht. Ich habe einen Plan, den ich umsetzen muss, um herauszufinden, ob das was Seua macht, nur gespielt ist oder nicht.«

Ray lehnte sich nach vorne, sah mich skeptisch an: »Was erzählst du da? Ich verstehe nichts.«

Ich nahm die gleiche Haltung ein: »Ich habe gesagt, dass ich rausfinden muss, ob es echt ist, was Seua mit mir macht.« Vermutlich war das alles ein bisschen wirsch von mir formuliert gewesen, Ray war schließlich nicht jedes Mal dabei, daher konnte es das vielleicht auch nicht nachvollziehen. Er grinste: »Was macht Seua denn mit dir?«

Zwang er mich ernsthaft, dass auszusprechen? Ich tat ihm den Gefallen, damit ich sicher sein konnte, dass wir von der gleichen Sache sprachen.

»Er flirtet halt mit mir.«

»Auch, wenn keine Kameras dabei sind?«

»Ja.«

Ray machte eine kurze Pause, dann sah es so aus, als hätte er etwas verstanden:

»Und der Grund, warum du das herausfinden willst, heißt zufällig Dice, oder?«

»Jein. Im Prinzip möchte ich das schon die ganze Zeit wissen, aber Dice trägt eben dazu bei, dass ich handeln muss.«

Ich hielt es kaum aus, Ray in die Augen zu sehen, hatte das Gefühl, dass er dadurch meine Gedanken lesen könnte.

»Und warum? Hast du Gefühle für Seua?«, diese Frage traf mich mehr, als ich mir selbst eingestehen wollte. Vor allem, weil ich sie nicht mehr mit »Nein« beantworten konnte.

»Es kann sein, Ray. Ich bin mir nicht sicher.«

Ich erhoffte mir, durch meinen Plan auch das herauszufinden.

»Verstehe. Nehmen wir einfach mal an, dass es so wäre. Ich glaube, du solltest das Ganze etwas vorsichtiger angehen, Cai. Ich weiß zwar nicht, was genau du machen willst, aber es gibt theoretisch nur zwei Arten, wie das enden kann. 1. Seua spielt das alles nur wegen seinem Job. Das würde dich ziemlich verletzen. 2. Seua meint es ernst. Was dann? Ihr seid Figuren der Öffentlichkeit, du wirst irgendwann zurück nach Amerika müssen, also seid ihr am Ende beide verletzt. Ganz sicher, dass du das wirklich rausfinden willst? Wäre es nicht besser, wenn ihr einfach so weitermacht, wie bisher?«

Das waren verdammt gute Argumente, beide Ergebnisse würden schwierig sein für mich. Aber ich hielt es auch nicht mehr aus, es nicht zu wissen.

»Nein, Ray. Ich werde Seuas Spiel mitspielen, mit dem Ergebnis muss ich leben«, sagte ich fest entschlossen. Er ließ sich seufzend in den Sessel zurückfallen.

»Warum fragst du mich überhaupt, wenn es dir am Ende egal ist? Oder willst du, dass ich dich aufhalte?«

Energisch schüttelte ich den Kopf: »Du kannst mich nicht aufhalten. Ich wollte nur deine Meinung dazu hören, Ray.«

»Die du sowieso kennst?«

»Jup.«

Er schüttelte den Kopf: »Ich weiß, dass man dich Sturkopf nicht aufhalten kann und du ohnehin das machst, was du dir vorgenommen hast. Die Frage ist aber, traust du dir das zu? Seua ist eben Seua und auch wenn du schon mit ihm gedreht hast, glaube ich nicht, dass das leicht wird.«

Konnte nicht wenigstens Ray an mich glauben? Ich werde denen schon zeigen, dass man mir mehr zutrauen konnte.

»Wird es auch nicht. Aber ich kriege das hin.«

Ray schüttelte lächelnd den Kopf: »Na dann. Du musst selber wissen, worauf du dich einlässt, Cai. Pass’ nur auf, dass du dich nicht verbrennst.«

Allein, dass er nicht versucht hatte, mir diesen Plan auszureden, gab mir genug Entschlossenheit, um das durchzuziehen.
 

Zurück in Seuas Wohnung, von der ich bereits den Pin-Code kannte, war es ziemlich dunkel. Anders als sonst waren die Vorhänge zugezogen und nirgendwo brannte Licht. Zur Orientierung schaltete ich die Taschenlampe meines Handys ein und ging Richtung Schlafzimmer. Seua schlief. Vermutlich war das der einzige Tag an dem er das wirklich konnte. Ich schlich mich um das Bett herum, schaltete die Taschenlampe aus, als ich auf meiner Seite war. Ich legte mich ins Bett, starrte in die Dunkelheit. Sie würde heute nicht der einzige Grund sein, weswegen ich nicht schlafen konnte. Vor Ray konnte ich noch großkotzig behaupten, alles hinzubekommen, aber das auch wirklich umzusetzen, war ein ganz andere Geschichte. Der großartige Cai mit seinem perfektem Plan, lächerlich. Es war soweit und ich musste ins Tigergehege steigen. Ich sah einfach keine andere Möglichkeit, sonst irgendetwas herauszufinden.Nur wenn ich schon daran dachte, dass der Wolf mit dem Tiger flirten wollte, klopfte mir das Herz bis zum Hals. Was würde er denken? Würde er mich komisch finden? Ich wusste zumindest, dass er nicht leicht zu wecken war und rückte näher zu ihm. Mit der Hand ertastete ich seinen Rücken, legte einen Arm um ihn und kuschelte mich an ihn. Auch in diesem Moment hatte mich das sehr viel Überwindung gekostet, wie sollte ich dann so was machen, wenn er wach war?

Der Wolf spielt mit dem Feuer

Erschöpft ließ ich mich auf den Waldboden fallen, hörte das Gelächter der Anderen. Das Zelt stand mehr schlecht als recht und der Aufbau hatte mich gefühlt zehn Jahre meines Lebens gekostet. Seua bot mir seine Hand an, die ich gerne entgegennahm, um aufzustehen. Aktuell waren wir in unserem kleinen Zeltlager für zwei Tage, bei dem uns Kameras die ganze Zeit begleiteten. Für meinen Plan war das gar nicht schlecht, da ich nachher immer noch behaupten könnte, dass es für die Fans war. P’Star wollte neben ein paar kleineren Szenen auch Content für die Fans produzieren, wir sollten kleinere Live-Events und Interviews machen. Sie sollten uns besser kennenlernen und auch wir sollten natürlich wie immer Zeit miteinander verbringen. Für die Events war auch ein Kernteam bei uns, inklusive Noah und Ray. Sie waren allerdings in einem Hotel in der Nähe untergebracht, würden aus der Ferne zuschauen. Zumindest Ray. Noah würde genug Arbeit haben. Mit dem Ton oder mit etwas anderem. Nachdem wir heute Morgen angekommen waren, habe ich gesehen, wie er hinter Ray stand und die Hände bei ihm in den Sakkotaschen hatte. Also wenn das nicht verdächtig ist, weiß ich auch nicht.
 

Während wir das Zeltlager aufbauten, bemühte ich mich so gut wie möglich, Seua nicht von der Seite zu weichen. Immer wenn etwas anstand, was er tun sollte, ging ich mit. Ich war mir bewusst, dass das ziemlich offensichtlich war, aber schließlich war das auch für Dice. Es machte Spaß seine neidischen Blicke zu sehen. Wir kamen gerade aus dem Wald zurück, ließen das Holz in die Mitte der Feuerstelle fallen. Pravat war mit Dice für das Kochen zuständig, ich spürte ihre Blicke auf mir, während sie die Zutaten vorbereiteten. Der Eine hatte mich gewarnt, der Andere auch. Und ich würde auf Beide nicht hören. Vor allem Dice sollte sich alles ganz genau anschauen, der wird sich noch wundern. Als nächstes begannen Seua und ich die Sachen aus den Vans zu holen. Schlafsäcke, Ladekabel, Kochutensilien und ganz wichtig, meine, eigens dafür angeschaffte, akkubetriebene Lampe. Wir nahmen so viel wir konnten und brachten es zum Lager. Sun und Moon hatten schon die Stühle um die Feuerstelle aufgebaut. Auch sie halfen mit die Sachen ins Lager zu bringen. Während die Kameras weiterhin auf das Lager gerichtet waren, packte Moon mich am Arm und zog mich zur Seite, hinter einen der Vans.

»Moon?«, fragte ich verwirrt, doch bevor sie anfing zu sprechen, sah sie sich sorgfältig um.

»Cai? Das mit P’Seua machst du absichtlich, oder? Ist das alles nur für die Kameras oder ist das echt?«, wollte sie wissen.

»Ja, das mache ich absichtlich. Ob das echt ist oder nicht, kann ich dir nicht sagen«, druckste ich herum. Komischerweise fiel es mir überhaupt nicht schwer, mit ihr darüber zu sprechen. Es erinnerte mich an die Serie und neben Seua und Dice, die mental sehr viel von mir abverlangten, waren die Mädels wie ein Ruhepol, zu dem man sich jederzeit retten konnte.

»Verstehe. Aber falls doch, scheint es so, als hättest du Konkurrenz«, das war vermutlich die weibliche Intuition. Wenn sie das sah, dann höchstwahrscheinlich auch die Fans.

Ich seufzte, sagte unbewusst: »Ich weiß. Daher der Plan.«

Lachend zog Moon beide Augenbrauen hoch: »Ach, einen Plan hast du auch schon, sehr gut. Ich wollte dir eigentlich sagen, dass alles, was wir P’Wolf gesagt haben, auch für dich gilt. Da Sun und ich P’Seua am wenigsten kennen, sind wir wohl die Neutralsten in dieser Angelegenheit. Sun ist zwar ein Fan, aber sie shippt ihn ohnehin mit Typen, von daher bist du sicher. Wie dem auch sei, du kannst immer mit uns reden. In den nächsten Tagen wohl eher nicht, aber danach immer gerne.«

»Danke, Moon. P’Wolf war vielleicht schon bereit dafür mit euch zu reden, ich bin es noch nicht. Aber irgendwann bestimmt.«
 

Zusammen gingen wir zum Lager zurück, wo Seua Dice mit den Zutaten half. Ich durfte den wirklich keine Sekunde aus den Augen lassen.

»Ach, da bist du ja, Cai. Was hast du denn hinter den Kulissen mit Moon gemacht?«, rief Dice mir entgegen.

»Ich habe mit ihr geredet«, gab ich genervt zurück. Aber ich wollte Dice keine Chance geben, mir jetzt irgendwelche Fake-Szenarien mit Moon anzudichten.

Er konnte Seua nah sein, ohne mit der Wimper zu zucken und genau da musste ich auch hinkommen.

»Kümmer‘ dich lieber ums Essen«, es klang harscher als beabsichtigt, aber Dice konnte sich das ruhig mal von mir anhören. Entschlossen ging ich auf Seua zu, nahm seine Hand und zog ihn mit mir. Überrascht fragte er: »Cai?«

»Das ist nicht deine Aufgabe, P’Seua. P’Star hat gesagt wir sollen uns um die Kommentare des Livestreams kümmern«, ich war unheimlich erleichtert, dass mir das in letzter Sekunde eingefallen war. Wir riefen noch Sun und Moon dazu, setzten uns dann vor eine Kamera und bekamen einen Bildschirm hingestellt, auf dem der Chat eingeblendet wurde.

Durch die Szenen, die wir bisher gedreht hatten, konnten die Fans auch endlich einen richtigen Trailer sehen. Sobald wir das Okay vom Kameramann bekommen hatten, stellten wir uns vor. Nervös beobachtete ich Seua, seine Hand lag locker auf seinem Bein, das war meine Chance. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine. Dann begannen wir, die Kommentare zu lesen.
 

Ihr seht alle so gut aus! <3
 

Ich freue mich total auf die Serie ~ #WolfNok
 

OMG, hi Leute! Ich liebe dieses Event..es war schon ultra witzig, als Cai das Zelt aufgebaut hat. Das habe ich direkt auf Twitter hochgeladen XD
 

Wenn man das so sieht, will man direkt mitmachen!
 

Ich mag die Gruppe. Ihr seid alle süß zusammen! Aber ist bei Cai und Dice alles okay? Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die so einen rauen Ton untereinander haben…und diese Blicke…
 

Ja, du hast Recht! Ich glaube es liegt an #Eifersucht…
 

Jup…
 

Leute! Viel wichtiger..habt ihr mal Cais Hand gesehen? Ich ahne da etwas…#CaiSeua
 

Ich wollte meine Hand wegnehmen, doch Seua ließ mich nicht und der Chat füllte sich direkt mit Herzen. Sollte ich die Konsequenzen in Kauf nehmen? Ich beschloss dabei zu bleiben, um Dice zu ärgern und drückte seine Hand. Sowas wollen die Leute sehen, dann bekamen sie es auch. Wir bedankten uns für die lieben Kommentare und gingen auf einzelne Fragen ein, erzählten ein wenig aus unserem Drehalltag. Seua und ich standen im Fokus, daher ließen wir die Mädels nach einer Weile auch mal zu Wort kommen. Sie waren ein wichtiger Teil der Serie, auch wenn dies von den Fans nicht angemessen wertgeschätzt wurde. Man sah ihnen an, dass sie Spaß hatten etwas über sich zu erzählen und auch die Fans ließen sich darauf ein. Nach einer Weile stand Seua auf, zog mich mit. Ich verstand, dass er den Beiden auch mal alleine die Bühne überlassen wollte.
 

Wir gingen zum Lager zurück, Dice und Pravat saßen vor ihrem Zelt und unterhielten sich leise. Seua hatte die ganze Zeit über nicht einmal meine Hand losgelassen, was ich für mich als persönlichen Triumph wertete. Dice war das natürlich nicht entgangen, doch er wandte seinen Blick sofort ab. Wir setzten uns vor unser eigenes Zelt. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter, suchte eine Reaktion in seinen Augen. Doch er ließ sich absolut nichts anmerken, starrte ausdruckslos in die Ferne. Naja gut, dann haben wenigstens die Fans etwas davon. Ich konnte währenddessen beobachten, wie das Team neben dem Lager ein kleines Studio aufbaute, dort sollten Seua und ich eine Art eigene kleine Sendung machen, wie eine Quizshow. Es waren noch knapp zwei Stunden bis dahin. Kleinere Live-Sachen, wie das mit den Kommentaren, waren für mich überhaupt kein Problem, aber eine Show, ohne vorher geprobt zu haben? Doch P’Star wollte das so. In unserem Plan für das Camp stand explizit, dass für diese Show keine Proben erlaubt waren. Es sollte spontan und authentisch sein. Nach der Show hatten wir den Rest des Tages frei, morgen stand noch einiges an. Ein Fotoshooting im Wald, Interviews und natürlich die zusätzliche Szene. Die Show gleich machte mir am allermeisten Sorgen, den Rest würden wir schon über die Bühne bringen. Seua war natürlich wie immer die Ruhe selbst. Da half nur eins. Ich schloss für einen Moment die Augen, konzentrierte mich auf die Umgebungsgeräusche: Die leisen Stimmen von Pravat und Dice, die sich auf Thai unterhielten, das Team, was sich gegenseitig Anweisungen gab, Schritte auf dem Waldboden und Seuas Atem. Seine Schulter war ein bisschen ungemütlich, aber das störte mich nicht. Ich genoss die geschäftige und trotzdem ruhige Atmosphäre.
 

Nach einer Zeit spürte ich, wie mir jemand mit der Hand über den Kopf fuhr.

»Cai?«, drang eine Stimme an mein Ohr. Langsam öffnete ich die Augen, sah Seua vor mir, der mich anlächelte.

»Aufwachen. Wir müssen gleich auf Standby.«

Ich sprang auf, sah mich um. Pravat und Dice waren verschwunden, das improvisierte Studio, wo unsere Show stattfinden sollte, aufgebaut. Seua rieb sich den Arm. Ich und mein dämliches Hobby überall zu schlafen!

Peinlich berührt fuhr ich mir durch die Haare: »Sorry, P‘. Ich hatte nicht vor, einzuschlafen.«

Seua winkte ab: »Keine Sorge. Für mich war es ganz angenehm, weil mich dann alle in Ruhe gelassen haben.«

»Okay.«

Ich sah auf die Uhr, es war noch eine halbe Stunde bis zu unserem Auftritt. Seua verabschiedete sich in die Maske, ich ging noch kurz zu Ray. Der saß in einem kleinen Wohnwagen in der Nähe. Ich öffnete die Tür, dort saß er, allein und sah unserem Stream auf seinem Tablet. Er drehte sich schon zu mir um, da er im Stream gesehen hatte, wie ich auf den Wohnwagen zugegangen war. Als ich die Tür schloss, blieb die Kamera draußen.

»Na Cai, schläft es sich gut in den Armen des Tigers?«

Wenn du wüsstest…

»Offensichtlich, Ray«, konterte ich.

Er schmunzelte: »Die Fans fanden das total süß. Ich glaube, es war das erste Mal, dass dir mehrere tausend Leute beim Schlafen zugesehen haben.«

Ich ließ ihn seinen Spaß haben, meine Zeit mich bei ihm zu rächen, würde noch früh genug kommen. Außerdem hatte ich so kurz vor der Show ganz andere Sorgen.

»Naja, wenn sie es mögen.«

»Sie haben auch gefeiert, dass Seua dich vor allen abgeschirmt hat, selbst den Kameramann hat er gezwungen, soweit wegzugehen, dass der den Zoom benutzen musste«, erklärte Ray. Deswegen waren Pravat und Dice also gegangen. Ich wusste, dass der Sender nach dem Stream das Videomaterial hochladen würde und beschloss, es mir dann anzusehen.

»Dann hatte es immerhin für alle was Gutes. Gibt’s sonst etwas?«, mit einem Bein stand ich schon wieder fast draußen. Ich musste mich schließlich auch noch umziehen und in die Maske, da blieb mir nicht mehr allzu viel Zeit.

»Eigentlich nicht. Aber tu‘ mir einen Gefallen und übertreibs‘ nicht, okay?«

»Klar, Chef.«
 

Ich verließ den Wohnwagen, zog mich schnell um und ging in die Maske. Da wir mitten im Wald auf einer Lichtung waren, hatten sie ein großes, offenes Zelt als improvisierte Maske aufgebaut, wo ich schon erwartet wurde. In diesem Moment überkam mich das komische Gefühl, als sei ich mitten in der Nacht in einem See ausgesetzt worden und mir blieb nichts anderes übrig, als zu ertrinken. Alles andere hatten wir vorher, zumindest bis zu einem gewissen Grad, proben können. Doch wenn ich jetzt irgendetwas Komisches sagen würde, könnte man das nicht mehr rausschneiden. Sogar in diesem panischen Moment, sah ich die Kamera im Spiegel hinter mir. Okay, es war Zeit, sich zusammenzureißen. Ansonsten würde ich niemals ein Profi werden. Als das Make-Up fertig war, atmete ich noch einmal tief aus.

Seua sah mich an: »Gehen wir?«

»Ja.«
 

»Liebe Fans! Herzlich Willkommen zu unserer Show »Wolf gegen Tiger!« Mein Name ist Time, ich habe heute für euch die Hauptdarsteller aus »Wolfsherz« mitgebracht. Begrüßt mit mir, Cai und Seua!«

Wir betraten das Studio, stellten uns rechts und links von P’Time, der für uns die Sendung moderierte. Er ist im Team eigentlich für das Licht verantwortlich.

»In drei Spielen werden Sie gegeneinander antreten. Der Clou der Sache: Der Gewinner darf drei Stunden lang mit dem Verlierer alles machen, was er will!«

Mhm, das war gar nicht so schlecht für meinen Plan, wenn ich gewinnen würde. P’Time bat uns auf die hohen Stühle, dort standen auch Tische mit Whiteboards und Stiften. Er trat neben mich: »Auf der einen Seite haben wir Cai, den Wolf. Bisher konnten wir ihn schon ein bisschen kennenlernen, doch ich bin mir sicher, er wird noch einige Mysterien für uns bereithalten.«

Fast musste ich mich zusammenreißen, nicht zu lachen bei dieserVorstellung. Mysterien hatte ich sicher keine, war mir eher selbst eins. Für die Fans winkte ich lächelnd in die Kamera und sah aus dem Augenwinkel die Herzen, die in den Chat strömten. Das war ein schönes Gefühl und tat meinem Ego sehr gut. P’Time trat neben Seua: »Und auf der rechten Seite, Seua, den Tiger. Viele von euch kennen und lieben ihn. Aber wird er gegen den Wolf bestehen können?«

Natürlich kam auch er bei den Fans extrem gut an, der Chat wurde von Nachrichten geflutet. P’Time erklärte: »Willkommen zum ersten Spiel: »Klischee-ABC.« Die guten alten Klischees, die wir aus unseren geliebten Dramen kennen, manchmal lieben wir sie, manchmal hassen wir sie. In diesem Spiel werde ich den Beiden fünf Orte nennen und sie müssen innerhalb von 30 Sekunden ein Klischee aufschreiben, welches sie am wahrscheinlichsten für diesen Ort halten. Hierbei gibt es kein richtig oder falsch, sondern ihr, die Fans, werdet darüber abstimmen, welches ihr besser findet.«

Konzentriert hatte ich zugehört und fand sogar, dass sich dieses Spiel ganz interessant anhörte. Wir nahmen die Whiteboards in die Hand, warteten auf P’Times Kommando.

»Also bereit?«

»Ja.«

»Da wir hier sind, ist das erste Setting für euch: Der Wald!«

Für ein paar Sekunden sah ich fasziniert dem Timer zwischen Seua und mir zu, den sie im Studio aufgebaut hatten. Dann begann ich zu schreiben, das war einfach. Wir waren beide eher fertig als der Timer und zeigten unsere Ergebnisse in die Kamera.

»Also Leute, für die erste Runde haben wir bei Cai: Zwei Charaktere verirren sich im Wald und müssen in einer Hütte übernachten. Nicht schlecht für den Start! Schauen wir mal was Seua geschrieben hat. Einer verirrt sich im Wald, verstaucht sich den Fuß und muss zurückgetragen werden. Sehr schön, das haben wir schon sehr oft gesehen. Und natürlich den Regen nicht vergessen! Die Kollegen der Technik haben eure Antworten für die Fans in eine Umfrage umgewandelt. Gleich werden wir sehen, wer die erste Runde gewonnen hat!« Gespannt sahen wir auf den Monitor, wie die Balken sich bewegten, doch Seua gewann knapp.

»Herzlichen Glückwunsch, die erste Runde geht an den Tiger!«

Ich sah weiteren Leuten vom Staff dabei zu, wie sie ein Schild mit einer Nummer an den Plüschtiger legten. Auf meiner Seite war ein Wolf.

»Weiter zu Runde 2!«

Meine Nervosität war meinem Kampfgeist gewichen, dieses Duell unbedingt gewinnen zu wollen.

»Euer Ort ist: Im Hotel.«

Wieder lief der Timer. Wenn man sich regelmäßig solche Serien ansah, war es nicht schwer, ein Klischee zu finden. Ich musste nur die Fans davon überzeugen, dass meine Antwort besser war. Eifrig schrieben wir, dann war auch schon die Zeit um.

»Also Cai, deine Antwort bitte.«

Diesmal las ich sie selbst vor: »Vorne an der Rezeption wird ihnen gesagt, es sei nur noch ein Zimmer frei, welches sie sich teilen müssen.«

P’Time nickte anerkennend: »Das haben wir sicher schon häufiger gesehen, sorgt immer wieder für lustige Szenen. Seua, bitte.«

Er sah auf sein Whiteboard: »Charakter A kommt betrunken ins Hotel, verwechselt das Zimmer und schläft bei Charakter B.«

Oh Mist, das war ziemlich gut und könnte direkt wieder aus Caidens alltäglichen Abenteuer stammen.

»Auch ein sehr witziges Klischee. Lassen wir die Fans entscheiden!«

Leider ging auch diese Runde an ihn und für dieses Spiel müsste ich also mindestens noch zwei Runden gewinnen, um noch eine Chance zu haben. Er grinste mich triumphierend an, was ich genauso erwiderte. Er sollte sich nicht zu sicher fühlen, noch war nichts entschieden. An den Kommentaren sah ich auch, dass die Fans sich gleichmäßig auf unsere Seiten schlugen.

»Seua führt mit zwei Punkten, Cai muss sich also ranhalten. Aber noch kann er gewinnen! Das nächste Setting ist der Flughafen. Viel Glück!«

Bei diesem Ort brauchte ich nicht lange zu überlegen, war diesmal sogar eher fertig als Seua.

P’Time las vor: »Seua schreibt: Emotionale Abschiedsszene, wo am Ende noch das Flugzeug gezeigt wird.«

Diesmal hatte ich eine Chance, dessen war ich mir sicher. Ich zeigte P’Time meine Antwort: »Charakter A denkt, dass Charakter B schon weg ist und wird traurig, aber dann taucht Charakter B plötzlich vor ihm auf. Eine sehr schöne Szene, Cai.«

Während wir auf das Voting warteten, überkam mich ein komisches Gefühl. Ich war schon einige Zeit hier und es machte extrem Spaß, doch ich hatte immer den Gedanken im Hinterkopf, dass es nicht für immer war. In ein paar Monaten würde auch ich abreisen, was mir überhaupt nicht gefiel. Hoffentlich blieb mir diese Szene erspart. Eigentlich wollte ich länger bleiben, also musste ich mir dringend etwas einfallen lassen, wie ich das umsetzen konnte. So berühmt werden, dass ich direkt das nächste Angebot bekomme? Dann würde auch mein Arbeitsvisum verlängert werden. Vielleicht sollte ich Noah fragen, was ich am besten machen könnte.

»…und damit geht der erste Punkt an den Wolf. Glückwunsch, Cai!«, holte P’Time mich mit seiner Aussage ins Hier und Jetzt zurück. Ich löste mich aus den trüben Gedanken, um meinen ersten Sieg zu feiern.

»Jetzt wird es noch einmal spannend! Wenn Cai den nächsten Punkt bekommt, gleicht er aus und kann noch gewinnen. Sollte aber Seua diese Runde gewinnen, ist es entschieden. Der nächste Ort ist: das Krankenhaus!«

Seua drehte sein Schild als erstes um, aber davon ließ ich mich nicht verunsichern. Denn ich war mir sicher, dass diese Runde noch nicht entschieden sein würde.

»Die Zeit ist um! Als erstes die Antwort von Seua bitte.«

Wortlos drehte er sein Schild um, wo nur das Wort »Amnesie« stand.

»Hätten wir Live-Publikum, würden wir vermutlich ein kollektives Seufzen hören. Unsere gute alte Amnesie, niemand vermisst oder braucht sie, trotzdem taucht sie immer wieder auf.«

Das war schon eine sehr gute Antwort, sozusagen das Nonplusultra der Klischees. Aber da die Amnesie ziemlich verhasst war, hatte ich vermutlich eine Chance.

»Was hat Cai geschrieben? Charaktere werden bei irgendetwas z.B küssen, umarmen von einer Krankenschwester unterbrochen und finden es peinlich. Auch sehr gut, Cai! Sehe ich persönlich auch viel lieber als Amnesie, nichts gegen dich, Seua. Also, los Fans!«

Gespannt beobachteten wir, wie die Balken langsam größer wurden. 100 Leute hatten abgestimmt, dann 500, dann 1000. Am Ende war es wieder knapp, doch ich konnte die Leute überzeugen. Unentschieden. Jetzt nur noch die letzte Runde gewinnen, dann hätte ich das erste Spiel in der Tasche. P’Time schien begeistert zu sein, dass es noch einmal spannend wurde: »Auch diese Runde kann Cai für sich entscheiden! Die nächste Runde wird also unseren Sieger bestimmen. Euer Thema ist der Aufzug.«

Diesmal wurde es mit der Zeit sogar recht knapp, aber wir schafften beide rechtzeitig, etwas aufzuschreiben. Fast gleichzeitig drehten wir die Boards um, lasen was wir geschrieben haben.

»Also, liebe Fans. Schauen wir mal, wer diese Runde gewinnt. Seua hat geschrieben: Charaktere, die bei etwas im Aufzug erwischt werden. Ja, das ist heute schon unser zweites Klischee, was sich direkt an die Amnesie anreihen kann. Schauen wir uns an, was Cai geschrieben hat. Charaktere, die sich nicht mögen, bleiben im Aufzug stecken und müssen zusammenarbeiten. Auch das werden wir schon oft gesehen haben, mir fallen direkt Beispiele ein! Lassen wir euch also abstimmen!«

Lange ließen sie uns zittern, die Balken immer wieder unterschiedlich ausschlagen, bis es endlich feststand.

»Das Spiel »Klischee-ABC wurde gewonnen von Cai!«

P’Time nahm meinen Arm und ich trat mit ihm vor die Kamera: »Herzlichen Glückwunsch!«

Die wenigen Leute im Studio begannen zu applaudieren und zeigte die Herzgeste in die Kamera. Ich war meinem Ziel einen Schritt nähergekommen.
 

Beim zweiten Spiel ging es um Allgemeinwissen über Wölfe und Tiger. Mit meinem grottigen Halbwissen über Tiere konnte ich in dieser Runde nicht punkten und lernte außerdem schon wieder, dass ich das genaue Gegenteil eines Wolfes bin. Denn die konnten sehr gut im Dunkeln sehen und hatten auch keine Feinde. Ich war nachts blind und hatte bestimmt eine Person, die mir gerne an die Gurgel springen wollte. Vielleicht auch zwei. Wie nicht anders zu erwarten, gewann P’Seua diese Runde ohne Probleme. P’Time war begeistert, denn das letzte Spiel würde alles entscheiden.

»Liebe Fans, wir haben einen Gleichstand! Je nachdem, wer das letzte Spiel gewinnt, wird als Sieger aus dieser Show herausgehen. Dabei müssen unsere Kandidaten bei diesem Spiel zusammenarbeiten. Das Spiel heißt: »Wir«. Ich werde euch Fragen stellen und ihr müsst erraten, was der Andere antworten würde. Natürlich solltet ihr fair sein und ehrlich sagen, ob die Antwort stimmen würde, oder nicht.«

Das zu gewinnen würde schwierig werden, denn außer den offensichtlichen Sachen, wusste ich echt wenig über Seua. Nur ein ganz kleiner Teil aus seiner Kindheit und das, was ich in den paar Wochen über ihn gelernt hatte. Aber stimmte das überhaupt alles? Ich betete nur, dass die Fragen nicht zu offensichtlich waren, denn meine Schwachstellen kannte er schon alle.

»Achso, bei diesem Spiel gibt es keine Zeitbeschränkung. Ihr legt bitte selbst fest, wann ihr fertig seid.«

Ich sah Seua noch einmal an, vielleicht würde er gnädig mit mir sein. Doch er grinste mich nur an und das hieß, dass er eben genau das nicht sein würde.

»Also gut: Die erste Frage: Was glaubt ihr, findet der Andere an euch attraktiv?«

Skeptisch sah ich an mir herunter. Was sollte man an mir attraktiv finden? Der Chat wurde wieder mit Herzen geflutet, alle warteten gespannt auf unsere Antworten. So war das also, wenn man »geshippt« wurde. Ich schrieb etwas auf, hoffte einfach darauf, dass das irgendwie stimmte. Fast gleichzeitig drehten Seua und ich unsere Whiteboards um, ich hatte »Haare« geschrieben, er »Augen«. Da kannte er mich wirklich zu gut, denn das konnte ich nicht abstreiten. Konnte ich das noch gewinnen?

»Fragen wir also unsere Kandidaten. Cai, stimmt das?«

Zwingen die mich ernsthaft, das vor der Kamera zuzugeben? Okay, ich hatte keine Wahl, das Spiel sollte schließlich fair sein.

»Ja«, gab ich leise zu. Die wussten genau, was die Fans sehen wollten, aber vielleicht sollten sie dabei auch ein bisschen an meine Gesundheit denken. Dass ich an einem Herzinfarkt sterbe, wollten die bestimmt nicht.

»Super, damit bekommt Seua einen Punkt. Wie sieht es bei dir aus, Seua?«

Merkwürdigerweise stimmte auch er meiner Antwort zu, doch ich hinterfragte es nicht weiter, sondern nahm den Punkt gerne entgegen.

»Die Jungs machen es extra spannend für uns heute. Kommen wir also zur nächsten Frage!«

Ich versuchte eine Reaktion zur vorherigen Frage in Seuas Blick zu finden, doch er war komplett in seinem Profi-Modus, lächelte für die Fans und ließ sich nichts anmerken.

»Die nächste Frage: Was ist das Lieblingstier des Anderen?«

Gut, die Frage war schonmal harmlos, aber das hieß nicht, dass ich die Antwort wusste. Darüber hatten wir noch nie gesprochen. Mochte er überhaupt Tiere? Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob ich jemals irgendetwas gesehen oder gehört hatte, was damit zu tun hatte. Sein Name war zwar »Tiger«, aber den hatte er sich nicht selbst gegeben, oder? Egal, das war meine einzige Möglichkeit. Ich schrieb also »Tiger«, er schrieb »Wolf«.

Einfach aus Höflichkeit und weil es zur Show passte, stimmte ich zu und Seua tat es mir gleich. Das war extrem suspekt.

»Das nenne ich mal Einklang. Der Wolf und der Tiger kennen sich wohl schon ziemlich gut. Hoffentlich kann die letzte Frage endlich den Gewinner der Show festlegen! Ich erinnere euch noch einmal daran: Der Gewinner darf 3 Stunden alles mit dem Verlierer machen, was er will. Natürlich werden wir die Beiden in dieser Zeit auch mit der Kamera begleiten. Die letzte Frage: Was ist die größte Angst des Anderen?«

Fuck. Das war mein Untergang. Seua kannte gefühlt jede meiner Schwachstellen, meine Nervosität, meine Nachtblindheit, weil ich die auch mehr als offensichtlich zur Schau gestellt hatte. Und was wusste ich? Wovor sollte der perfekte Star schon Angst haben? Irgendetwas musste ich schreiben. Schnell kritzelte ich etwas hin, als wir kurz davor waren, unsere Antworten aufzudecken, schloss ich kurz die Augen. Dieses eine Wort wird mich den Sieg kosten, dessen war ich mir sicher. Doch als ich meine Augen wieder öffnete, stand dort etwas ganz anderes.

»Seua hat geschrieben, »Schlangen«, seien Cais größte Angst«, erläuterte P’Time. Mit großen Augen sah ich ihn an: »Das stimmt nicht!«

Es war offensichtlich falsch. Wollte er mich etwa gewinnen lassen? Wusste er von meinem Plan? Meine Gedanken rasten, P’Time redete zwar weiter, aber ich kam überhaupt nicht mit. Diese Antwort hatte mich komplett aus dem Konzept gebracht. Warum?

»Cai hat geschrieben, dass deine größte Angst sei, die Uni nicht zu schaffen. Stimmt das, Seua?«

Er nickte nur. P’Time strahlte: »Sehr gut! Damit haben wir einen Gewinner der Show. Der Wolf hat ganz knapp den Tiger besiegt! Herzlichen Glückwunsch, Cai!«

Zusammen mit P‘Time trat ich vor die Kamera, ließ mich von den Fans im Chat feiern. Seua stand auf der anderen Seite, sah mich erwartungsvoll an.

»Cai, was muss Seua machen?«

Ich wechselte die Seite, nahm Seuas Hand und sagte: »Ich möchte, dass er mir überallhin folgt und wir alles zusammen machen.«

Das war eine gute Möglichkeit, meinen Plan weiter durchzuführen, außerdem konnte ich ihn damit von Dice fernhalten.

»Nach einer kurzen Pause werden wir uns das ansehen. Wie ihr seht, meint der Wolf es ernst!«, schloss P’Time. Wir hörten jemanden hinter uns sagen: »Macht die Kamera aus. Die Jungs brauchen eine kurze Pause.«

»Alles klar. Kamera 3 und 4 sind aus, Fokus Kamera 1 und 2 auf das Camp.«

Ich ließ Seuas Hand los, wandte mich an P’Time: »Du bist eigentlich Lichttechniker, oder?«

Freundlich sah er mich an: »Ja, warum?«

»Ich meine, du hast das richtig professionell gemacht, als würdest du nie was anderes machen.«

Es war einfach schwer, sich vorzustellen, dass er keine Erfahrung im Showbiz haben sollte. Wenn ich eins bewunderte, dann war es Professionalität. Vermutlich, weil ich die selbst noch lange nicht erreicht hatte. Er winkte ab: »Du schmeichelst mir, N’Cai. Ich habe schon öfter solche Shows gesehen und es nachgemacht.«

»Dafür war es wirklich gut! Hat dir das Team gesagt, dass du das machen sollst?«

Energisch schüttelte P’Time den Kopf: »Ursprünglich solltet ihr das allein machen, aber das Team wollte dann doch lieber einen Moderator. Sie haben gefragt, ob es jemand von uns machen würde und da mir sowas Spaß macht, habe ich mich gemeldet.«

Lächelnd legte ich ihm eine Hand auf die Schulter: »Vielleicht solltest du über eine Karriere als Moderator nachdenken! Ich war am Anfang total nervös, aber wegen dir konnte ich das komplett ausblenden.«

P’Time erwiderte mein Lächeln: »Ich bin froh, dass ich das geschafft habe, N’Cai. Fürs Erste arbeite ich ja quasi im Showbiz, das reicht mir.«

Langsam wuchsen mir auch die Leute aus dem Team ans Herz. P’Joe, P’Time, P’Amy, Noah waren Profis, die alles dafür taten, dass ich gut aussah. Auch wenn es hier Leute gab, dir mir nicht alles gönnten, fühlte ich mich wohl. Ich konnte das Gespräch nicht weiterführen, da Seua meine Hand nahm und mich mit sich zog.

»Hey! Ich habe doch gerade mit P’Time geredet!«, beschwerte ich mich.

»Das kannst du immer noch«, knurrte er. Lächelnd schüttelte ich den Kopf und verstärkte den Griff. Hand in Hand gingen wir zurück zum Camp und ich grinste Dice an, der gerade Steine um das Lagerfeuer legte. Höhnisch grinste er zurück. Na, wer ist jetzt der Gewinner von uns beiden? Ich hoffte einfach, dass er sich die Show komplett angesehen hatte. Ich zog Seua mit, das Team hatte schon dafür gesorgt, dass uns ein Kameramann folgte.

»Cai?«, fragte Seua, als wir in den Wald gingen. Ich hatte nicht wirklich ein Ziel, mir würde schon etwas einfallen, was ich mit ihm machen wollte. Zumindest konnte er mich nicht mehr loslassen.

»Mhm?«

»Findest du nicht, du solltest nicht P’Time, sondern dich selbst loben?«, fragte er.

»Wieso?«, gab ich skeptisch zurück.

»Du hast das zum ersten Mal gemacht, warst extrem nervös, aber das hat man dir kaum angesehen. Du denkst vielleicht, dass du nicht professionell genug bist, aber ich glaube, du bist auf einem verdammt guten Weg dahin, wirklich. Ich bin echt froh, dass sie dich für diese Rolle ausgewählt haben, weil es wirklich Spaß macht, mit dir zu arbeiten«, wie er das sagte, klang es für mich wie die Stimme eines Engels. Ein Lob vom Profi? Es gab nichts, was mich glücklicher machen würde. Außerdem hatte er gesagt, dass er gern mit mir arbeitete. Ich wusste nicht, ob er das absichtlich machte, aber Seua wusste genau, was er sagen musste, um mein Herz höher schlagen zu lassen.

»Danke, P‘«, brachte ich gerade so hervor. »Mir macht es auch Spaß, mit dir zu arbeiten.«
 

Eine Weile gingen wir durch den Wald, alles lief nach Plan. Ich konnte schon unseren Hashtag #CaiSeua vor mir sehen, gegen den #DiceSeua keine Chance hatte. In der Ferne sah ich einen Fluss, in dem große Steine lagen, mit deren Hilfe man ihn überqueren konnte. Wenn das nicht mal eine Challenge war. Aufgeregt zeigte ich in die Richtung des Flusses:

»Lass‘ uns da rüber, aber du darfst mich nicht loslassen.«

Seua sah nicht begeistert aus, aber er musste nun mal tun, was ich wollte. Wir trugen immer noch die Klamotten aus der Show, Hemd mit Sakko und Jeans, inklusive Schuhen, die nicht wirklich für solche Ausflüge geeignet waren. Ich wusste, dass es eine absolut dämliche Idee war, aber irgendwie mochte ich den Gedanken, etwas zu riskieren. Außerdem war die Strömung zwar stark, aber das Wasser war seicht, da konnte schon nicht viel passieren. Außerdem habe ich gehört, dass Tiger sehr gut schwimmen können. Seua ging vor, schaffte es das Gleichgewicht auf den rutschigen Steinen zu halten, auch wenn er dafür nur einen Arm benutzen konnte. Ich folgte vorsichtig. Sogar der Kameramann war lieber am Ufer stehen geblieben. Ein Schritt nach dem Anderen, bloß nicht auf die Kanten treten. Nicht auf die…Plötzlich rutschte ich aus, kippte zur Seite und da Seua mich festhalten wollte, stürzte er hinterher. In der nächsten Sekunde lagen wir im Wasser. Es war ziemlich kalt und vermutlich hatten wir uns auch den ein oder anderen blauen Fleck eingehandelt. Das Wasser ging mir bis zur Hüfte, aber durch die Strömung war es ziemlich unangenehm. Ich sah Seua an, der neben mir saß: »Hast du dich verletzt?«

Wütend sah er mich an: »Was glaubst du denn?«

»P‘, es tut mir leid«, ich wolle gerade schmollen, da spritzte er mich nass und lachte.

»Du bist so ein verdammter Idiot, Cai. Wunder‘ dich bitte nicht, wenn P’Star dir die Klamotten in Rechnung stellt.«

Ich stimmte in das Lachen mit ein: »Sorry. Es hätte ja klappen können.«

Für eine Weile saßen wir nur da und lachten, bis die Leute aus dem Team kamen. Sie zogen uns aus dem Wasser und gaben uns Handtücher. Seua legte mir das Handtuch über den Kopf, trat neben mich und flüsterte: »Wolltest du etwa vor dem Kameramann fliehen?«

Zum Glück konnte er unter dem Handtuch nicht sehen, wie ich rot wurde. Aber da ich die Kontrolle über alles hatte, war ich auch mutiger.

»Vielleicht«, flüsterte ich zurück.

Ich nahm mir das Handtuch vom Kopf, sah dass der Kameramann immer noch wie angewurzelt am Ufer stand und seine Kamera immer nur dorthin drehte, wo gerade etwas passierte. Weil die Fans sich Sorgen machten, signalisierten wir ihnen kurz, dass es uns gut ging.
 

Während ich mich im Wohnwagen umzog, dachte ich darüber nach, was ich als Nächstes mit Seua machen wollte. Schließlich hatte ich noch zwei Stunden Zeit. Wann hatte man schon mal die Gelegenheit, den Tiger zu befehligen? Wir hatten vom Kostümteam angemessenere Klamotten für den Wald bekommen, nämlich T-Shirt und Wanderhose und geländetaugliche Schuhe. In diesem Outfit trat ich aus dem Wohnwagen, Seua trug die gleichen Klamotten, stand schon direkt bereit. Hinter ihm stand eine diesmal eine Kamerafrau. Eure Devise ist es auch, bloß keine Sekunde zu verpassen, oder? Seuas Haare waren leicht zerzaust, auch er trug das Make-Up der Show nicht mehr. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, gut auszusehen. Wie er das immer schaffte, war mir ein Rätsel. Vermutlich lag es an seinem Job. Er hielt mir seine Hand hin, die ich sofort ergriff. Ich hatte schon eine Idee, wie ich meine Zeit mit ihm sinnvoll nutzen konnte. Wieder gingen wir in Richtung Wald. Die Idee, die Kamera abzuschütteln, war gar nicht so schlecht. Außerdem würden die Fans dann ihre eigenen Theorien aufstellen. Ich sah es als Challenge an, auch um zu schauen, ob Seua sicher in unebenem Terrain war. Es musste einfach etwas geben, was er nicht konnte oder wovor er Angst hatte. Schon bei unserer Ankunft hatte ich gesehen, dass der Wald auf einen Berg führte. Zielstrebig ging ich darauf zu, die Kamerafrau hielt Schritt. Gemeinsam stiegen wir den Berg hinauf, dort wurde der Wald dichter. Teilweise war der Weg so steil, dass wir uns an den Bäumen und Ästen festhalten mussten. Immer wieder sah ich hinter mich, da rutschte die Kamerafrau plötzlich ab. Ich schaffte es noch, ihre Hand zu greifen, ohne Seua dabei loszulassen. Er stand ganz oben, ich wurde von ihm und die Kamerafrau von mir festgehalten. Auch sie hatte wegen der Kamera nur eine Hand frei. Seua schlang seinen freien Arm um einen Baum, womit es ihm gelang mich und auch sie wieder hochzuziehen. Kurze Zeit später standen wir auf einem Absatz.

»Danke, Seua, danke, Cai«, bevor sie an sich selbst heruntersah, sah sie nach, ob ihre Kamera in Ordnung war.

»Habt ihr euch verletzt?«, fragte Seua und es klang fast schon genervt. Vermutlich dachte er, dass ich plane, ihn umzubringen. Wir schüttelten beide den Kopf. Sie sagte uns noch, dass sie Fay heißt. Ihre kurzen braunen Haare hatte sie sich oben auf dem Kopf zu einem Zopf gebunden. Sie trug eine Brille, hielt die Kamera fest, als ginge es um ihr Leben. Doch als wir weitergingen, achtete ich auf sie, damit nichts passierte und dabei stellte ich fest, dass sie zwischendurch grinste. Meine Pläne waren anscheinend zu leicht zu durchschauen. Ich beschloss, diesen Plan aufzugeben, da Fay schließlich auch nur ihre Arbeit machte und ich auch wollte, dass eine gute Atmosphäre im Team herrschte. Ich hatte noch genug andere Pläne, also war das okay. Langsam wurde der Wald lichter und auch der Weg war nicht mehr steil. Als wir an einer Lichtung ankamen, war ich es der vorlief. Der Berg bildete eine Art Aussichtsplattform und ich wollte unbedingt zum Rand, um die Aussicht zu sehen. Doch Seua lief nur widerwillig mit, es war schwer, ihn von der Stelle zu bekommen. Ich konnte es jedoch nicht mehr abwarten und ließ daher zum ersten Mal seine Hand los und stellte mich an den Rand. Diese Aussicht war es wert. Das Gelände, auf dem wir uns befanden, war viel weitläufiger als ich dachte. Außer der kleinen Freifläche, auf der die Wohnwagen standen, war rundherum nur Wald. Es war so dicht, dass man von hieraus nicht einmal das Camp sehen konnte. Ich beobachtete die Leute, die an den Wohnwagen vorbeihuschten. Nicht nur war die Aussicht fantastisch, hier oben fühlte es sich an, als wäre man allein auf der Welt. Hier gab es nichts außer Wiese, Blumen und diesen Berg. Hier könnte man bestimmt gut drehen und für ein Fotoshooting würde dieser Ort sich auch eignen. Ich sah mir die weitere Umgebung an, erinnerte mich daran, dass wir ziemlich lang hergefahren waren. Es war eine ländliche Gegend mit einzelnen, kleinen Siedlungen, der Wald stand für sich allein. Ich vermutete, dass die Scouts diesen Ort unter anderem ausgesucht hatten, weil er schwierig zu finden war, falls verrückte Fans Seua oder jemand von den Anderen verfolgen wollten. Seua stand immer noch am Anfang des Berges, hatte sich nicht von der Stelle gerührt.

»Willst du das hier gar nicht sehen?«, rief ich ihm zu, doch er schüttelte den Kopf. Stattdessen trat Fay neben mich, ließ ihre Kamera schweifen. Ich trat noch einen Schritt vor, wollte mir das alles genauer ansehen. Im nächsten Moment wurde ich am Arm nach hinten gezogen.

»Das ist gefährlich, Cai!«, völlig verängstigt sah Seua mich an. Lange hielt er meinen Arm nicht fest, sackte auf die Knie. Sofort bat ich Fay, die Kamera auszuschalten. Er hockte dort, hielt sich eine Hand an die Brust und es sah aus, als hätte er Schmerzen. Ich kniete mich vor ihn, legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Seua, was ist los?«

Wir waren ziemlich nah an der Kante, daher musste ich aufpassen, dass er nicht umkippte. Er sah mich Tränen in den Augen an. Tränen? Seua? Seine Reaktion erschütterte mich völlig, ich konnte überhaupt nicht einordnen, woher das plötzlich kam. Was konnte ihn dermaßen aus der Fassung bringen? Es dauerte eine Weile, bis er antwortete:

»Cai…ich…habe Höhenangst. Und es nicht nur, dass ich einfach nicht nach unten gucken kann, wie es bei den meisten ist, bei mir ist es ziemlich extrem, wie du siehst.«

Es klang, als müsste er sich für jedes Wort anstrengen. Vielleicht war es doch besser, wenn ich mich von der Klippe stürzte. Dann wäre Seua sein Problem sofort los.

»Tut mir leid, P‘! Hätte ich das gewusst, wäre ich niemals den Berg mit dir raufgegangen. Warum hast du denn nichts gesagt?«, auch mir standen die Tränen in den Augen. Es tat verdammt weh, ihn in diesem Zustand zu sehen und zu wissen, dass man selbst daran schuld war. Ich kam mir unglaublich bescheuert vor. Natürlich wollte ich seine Schwachstelle herausfinden, aber doch nicht so!

»Das war doch der Deal«, flüsterte er krächzend. Irgendwie passte das alles nicht zusammen. Er hätte mit Leichtigkeit die Show gewinnen können, was mich davon abgehalten hätte, auf dumme Ideen zu kommen. Trotzdem hatte er mich gewinnen lassen. Warum?

»Es ist egal, was der Deal war! Ich weiß, dass du ein Profi bist, aber du…«, der Kloß in meinem Hals ließ mich nicht weitersprechen. Vorhin hatte er noch gesagt, dass es Spaß machte, mit mir zu arbeiten, das sah er vermutlich nicht mehr so. Je länger er in meiner Nähe ist, desto gefährlicher ist es für ihn. Vor allem hatte ich auch noch seine Hand losgelassen, als es für ihn am schwierigsten war.

»Egal was du jetzt denkst, Cai, vergiss‘ es bitte ganz schnell wieder«, sagte er, doch ich schüttelte nur den Kopf.

»Kannst du mir dein Funkgerät geben, Fay?«, fragte ich. Schon als wir noch unten waren, war mir aufgefallen, dass sie ein Funkgerät am Gürtel trug, um mit dem Team in Verbindung zu bleiben.

»Klar. Ich wollte schon fragen«, sie nahm es von ihrem Gürtel und gab es mir in die Hand.

»Halt diesen Knopf gedrückt, dann hören dich alle.«

Ich tat, was sie erklärt hatte und sagte: »Hey, Leute, ich bin’s, Cai. Wie ihr vielleicht gesehen habt, sind wir hier oben auf dem Berg. Ich habe Fay gebeten, die Kamera auszumachen, weil wir hier ein kleines Problem haben. Es wäre gut, wenn jemand vom Team kommen könnte, damit wir Seua zusammen runterbringen können. Es geht ihm nicht gut. Ach, und ich wollte mich entschuldigen, dass ich ein unsensibler Idiot bin.«

Erst war es still am anderen Ende, doch dann hörte ich: »Ähm, okay. Geht es dir und Fay gut?«

»Ja.«

»Alles klar. Wir schicken euch jemanden, du kümmerst dich am besten so lange um Seua. Danke für die Meldung, wir haben uns schon Sorgen gemacht.«

Ich gab Fay das Funkgerät zurück, musste erst einmal Seua von diesem Abgrund wegbekommen. Mit beiden Händen hielt ich ihn an den Schultern.

»Mach‘ die Augen zu, Seua. Ich verspreche dir, dass nichts passieren wird, okay?«, ich sah ihn an, musste sichergehen, dass er mir vertraute.

»Okay«, flüsterte er.

Er schloss die Augen, ich hielt seine Schultern fest und zusammen richteten wir uns auf. Ich legte ihm einen Arm um die Schulter, ging langsam in Richtung Wald. Schritt für Schritt. Wir mussten weit genug in den Wald reingehen, sodass er den Abgrund nicht mehr sehen konnte. Ich spürte, wie er zitterte. Er war bereit seine größte Angst zu überwinden, nur um einen Trottel wie mich zu retten. Ich konnte es kaum glauben. Für diesen Moment versuchte ich diese Gedanken loszuwerden, mich auf die Aufgabe zu konzentrieren, die vor mir lag. Nachdem wir ein Stück in den Wald gegangen waren, sagte ich: »Du kannst die Augen wieder aufmachen.«

Langsam öffnete er die Augen, ich beobachtete ihn, doch es schien, als hätte er sich schon ein bisschen beruhigt. Trotzdem zitterte er noch. Vorsichtig nahm ich ihn den Arm, wusste nicht, wie ich ihn sonst beruhigen konnte. Ich erinnerte mich daran, dass es bei mir gewirkt hatte. Seua erwiderte die Umarmung sofort, klammerte sich an mich. Zumindest mich beruhigte es, weil er mich scheinbar noch nicht komplett hasste. Sein Kopf lag auf meiner Schulter und ich merkte, wie seine Atmung ruhiger wurde. Erst als wir die Leute aus dem Team hörten, löste er sich von mir. Sie hatten jemanden geschickt, den ich nicht kannte und eine Sanitäterin. Ich trat zurück, damit sie sich um Seua kümmern konnten. Der Mann aus dem Team sah mich an:

»Ihr schafft es allein runter, oder?«

»Ja klar.«

Ich sah, wie sie Seua stützten und dann mit ihm im Wald verschwanden. Fay und ich folgten wortlos. Unten konnte man schon von weitem die Leute vom Team sehen, die sich versammelt hatten, um uns in Empfang zu nehmen. Seua wurde sofort zu einem der Wohnwagen gebracht. Ich blieb daneben stehen, wo Ray schon auf mich wartete. Wie immer trug er sein Tablet bei sich. Besorgt sah er mich an:

»Cai, was ist da oben passiert?«

»Ich bin mit Seua auf den Berg gegangen, ohne zu wissen, dass er extreme Höhenangst hat«, flüsterte ich ihm zu. Fay war zwar mittlerweile verschwunden, aber man wusste nie, ob nicht doch jemand etwas aufnahm. Auch der Cast hatte sich um den Wohnwagen versammelt, Ray tat mir den Gefallen, auch sie darüber zu informieren. Ich rechnete damit, jede Sekunde von Dice überfallen zu werden. Zum Glück bot sich ihm die Gelegenheit nicht, da wir zu einer Versammlung zusammengerufen wurden. Im Kreis stellten wir uns um den Typen, der vorhin auch Seua vom Berg geholt hatte.

»Es gab einen kleinen Zwischenfall oben auf dem Berg, daher geht es Seua nicht gut. Er wird sich im Wohnwagen ausruhen. Wir werden daher für heute sämtliche Kameras ausgeschaltet lassen, die Fans sind bereits informiert. Das heißt, ihr könnt euch den Rest des Tages ausruhen. Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass Cai keine Schuld daran hat. Morgen geht es dann wie gewohnt mit dem Programm weiter.«

Die Menge löste sich schnell auf und ich ging mit Ray zurück zum Wohnwagen. Auch wenn er gesagt hatte, dass es nicht meine Schuld war, sah ich das anders. Ich war schuld, dass niemand arbeiten konnte. Schon wieder. Ich könnte verstehen, wenn die Fans enttäuscht sein würden. Ray legte mir eine Hand auf die Schulter: »Cai, versuch‘ doch bitte nicht traurig zu sein. Wenn Seua nichts gesagt hast, was solltest du denn machen?«

Natürlich hatte Ray Recht, aber er hatte ihn nicht in diesem Zustand gesehen.

»Ich weiß«, sagte ich leise.

»Die Fans sind auch nicht sauer. Der Sender hat eine Erklärung veröffentlich, dass es Seua nicht gut geht. Aber niemand gibt dir die Schuld dafür. Im Gegenteil! Sie fanden es toll, wie lieb du dich um ihn gekümmert hast.«

»Was? Aber die Kamera war doch aus, oder nicht?«, ich konnte nicht glauben, was er mir erzählte. Und solange Ray keine Drohne war, konnte er das nicht gesehen haben. Er rief den Livestream auf seinem Tablet auf und spulte zurück.

»Für eine Weile war die Kamera aus, ja. Aber die Umarmung wollte ich Fay wohl nicht entgehen lassen.«

Er drehte das Tablet in meine Richtung, zeigte mir den kleinen Ausschnitt, der zeigte wie ich Seua umarmte. Fay hat also doch die Kamera wieder angemacht. Bei Gelegenheit würde ich sie darauf ansprechen, doch zunächst war ich einfach erleichtert, dass sie nicht seinen Zusammenbruch gefilmt hatte. Ich schob Ray das Tablet wieder hin.

»Natürlich geben mir die Fans nicht die Schuld, sie wissen auch nicht, was passiert ist. Hätten sie das gesehen, wäre es das gewesen für mich. Ich fühle mich wie der letzte Idiot, Ray.«

Auch er ließ die Schultern sinken, wusste, dass er bei mir auf Granit biss. Trotzdem versuchte er zu lächeln: »Das kannst du nicht mehr ändern, aber ich bin sicher, dass Seua sich schnell erholen wird. Ihr werdet morgen normal weitermachen können. Er wird schon nicht sauer sein.«

Er wollte mich aufmuntern, doch es bewirkte eher das Gegenteil.

»Sorry, Ray. Ich muss jetzt für einen Moment allein sein«, sagte ich und ging in Richtung Wald. Ich musste erst einmal kurz hier weg. Meine Gedanken überschlugen sich schon wieder. Konnte ich denn nicht einmal was richtig machen? Irgendwann ließ ich mich auf den Waldboden fallen, sah mir die Baumkronen an. In der beginnenden Dämmerung sahen die Äste aus wie dünne Arme, die sich bewegte. Unheimlich. Ich hatte auch nicht vor, mir den Knöchel zu verstauchen und im Wald verloren zu gehen. Es war sowieso unrealistisch, dass diese Leute einfach gefunden wurden. Vor allem von der Person, von der sie gefunden werden wollten. Die Kälte des Bodens und die unheimliche Stille beruhigten mich ein bisschen. Erst hatte ich ihn in den Fluss gestürzt, dann hatte ich ihn seiner größten Angst ausgesetzt. Es war einfach nur ironisch. In der Show hatten wir gelernt, dass Tiger gute Schimmer, aber keine guten Kletterer waren und das passte genau zu ihm. Gefühlt war es ewig her, dass ich wirklich allein war. Während der Arbeit an dieser Serie, war immer jemand um mich, meistens Seua. Irgendwie hatte ich mich schon daran gewöhnt, dass er einfach immer da war. Derart viel Zeit mit jemandem zu verbringen war neu für mich, aber ich mochte es auch. Es gab keine bessere Art, sich kennenzulernen. Wobei…War ich, was Seua betraf, schon ein hoffnungsloser Fall? Ich stand auf, klopfte mir die Blätter von den Beinen und ging ins Camp zurück. Auch wenn ich gerne länger geblieben wäre, wenn ich schon nicht arbeiten konnte, wollte ich wenigstens dort anwesend sein. Außerdem würden mich diese Gedanken auch nicht weiterbringen. Kaum war ich wieder da, kam mir jemand vom Team entgegen: »N’Cai, Seua möchte dich sprechen.«
 

Ohne zu zögern betrat ich den Wohnwagen, in dem es dunkel genug war, dass ich nichts mehr sehen konnte. Ich hörte nur ein Klicken, dann Schritte. Ängstlich stolperte ich nach hinten und fand mich auf etwas weichem wieder, vermutlich ein Bett. Das Licht ging an und ich sah Seua über mir, er griff meine beiden Handgelenke, hielt mich fest. Völlig überfordert stotterte ich:

»P’Seua?«

Grinsend sah er mich an: »Na, was planst du jetzt, Cai? Du kennst meine Schwachstelle. Was machst du damit, hm?«

Ich versuchte mich zu befreien, doch gegen ihn hatte ich nicht den Hauch einer Chance. Er kam mir immer näher.

»Ich habe nichts damit vor, P‘. Vielleicht wollte ich deine Schwachstelle herausfinden, das gebe ich zu. Aber, ich wollte nie, dass es dir deswegen schlecht geht«, entschuldigend sah ich ihn an. Sei bitte nicht sauer. Verzeih‘ mir, wollte ich sagen, doch ich brachte es nicht über die Lippen. Er war mir mittlerweile so nah, dass ich seinen Atem spürte. Sollte das etwa seine Rache sein?

»Das weiß ich, Cai. Ich bin selbst schuld, dass es auf diese Art enden musste.«

Ganz kurz ließ er mein Handgelenk los, um mir die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Eine Sekunde lang vergaß ich zu atmen.

»Abgesehen davon interessiert mich dein anderer Plan viel mehr«, flüsterte er.

»W-was für ein anderer Plan?«

Dieser entschlossene Blick sagte mir, dass er mich nicht einfach gehen lassen würde.

»Wenn du nicht willst, dass ich mitkriege, was du planst, musst du das schon subtiler angehen, Cai. Ich kenne Dice und euer Kleinkrieg ist mir nicht entgangen. Außerdem bist du plötzlich darauf bedacht, jede Sekunde mit mir zu verbringen, wo du mich doch für gefährlich hältst. Also?«, er hob die Augenbrauen.

Warum hatte ich immer noch nicht gelernt, dass man den Tiger nicht verarschen kann? Wie kam ich da wieder raus?

»Es freut mich, dass du dich offensichtlich wieder erholt hast, P‘. Du bist wieder ganz der Alte.«

Zu meinem Plan äußerte ich mich nicht. Auch wenn Seua das Offensichtliche erkannt hatte, gab es ein wichtiges Detail, welches er nicht wusste und auch nicht wissen sollte.

»Das stimmt. Beantwortet aber nicht meine Frage«, flüsterte er mit einem bedrohlichen Unterton. Ich drehte mein Gesicht weg, um ein bisschen atmen zu können. Ich wollte diese Frage nicht beantworten. Meine Lügen würden er ohnehin durchschauen, da schwieg ich lieber.

»Du sagst nichts? Dann finde ich das schon selbst raus.«

Nein. Das durfte er auf gar keinen Fall. Wenn er das erfuhr, war ich geliefert. Meine geschockte Reaktion war ihm nicht entgangen.

»Wen könnte ich fragen? Dice? Ray? Oder…«

»Bitte nicht, P’Seua!«, flehte ich, sah ihn von der Seite an, zum Glück wurde sein Blick sanfter.

»Also dann, werde ich darauf warten, bis ich selbst draufkomme. Aber du musst mir eine Sache versprechen, Cai.«

Seua ließ mich los, stand auf und lehnte sich in dem schmalen Flur an den Schrank. Ich setzte mich auf.

»Was denn?«

»Du musst den Plan weiter durchziehen. Solange, bis du deine Antwort gefunden hast«, erklärte er. Obwohl ich mich noch nicht davon erholt hatte, wollte ich ihm dieses Versprechen natürlich nicht abschlagen. Ich stand auf, musste mich kurz fangen, da meine Beine fast nachgaben. Ich wollte den Moment nutzen, ihm zu zeigen, dass er nicht komplett gewonnen hatte. Ich näherte mich ihm, bis sich unsere Nasen fast berührten und sah ihm in die Augen:

»Darauf kannst du dich verlassen.«
 

Irgendwie überlebte ich es, aus dem Wohnwagen zu entkommen und dann auch noch eine Nacht im Zelt mit ihm zu verbringen. Schnell war die Nacht um, Seua schlief noch. Trotz meiner Akku-Lampe, hatte ich die letzte Nacht kaum ein Auge zugemacht. Gestern ist viel passiert und ich konnte überhaupt nicht aufhören zu denken. Ich sah auf mein Handy. 6:35 Uhr. Leise schlich ich mich aus dem Zelt, es wurde schon langsam hell, trotzdem brauchte ich die Taschenlampe noch. Die morgendliche Luft im Wald war sehr angenehm, ließ mich gleich ein bisschen wach werden. Bisher sah es nicht aus, als wäre schon jemand anderes wach. Heute wollten wir ohnehin erst um neun Uhr anfangen. Ich bewegte mich vom Camp weg, um niemanden zu wecken. Mein kleiner Spaziergang führte mich ein bisschen durch den Wald, aber nicht zu weit. Als ich Schritte hörte, drehte mich um und leuchtete der Person mit meinem Handy direkt in die Augen. Er hielt sich die Hand vor das Gesicht:

»Hab‘ ich dich, Cai.«

Vom Gesicht her konnte ich nicht viel erkennen, aber diese Stimme hatte sich in mein Gehirn eingebrannt. Dice. Ich konnte den genervten Seufzer nicht unterdrücken.

»Vergiss‘ es, okay? Es ist noch nicht mal sieben Uhr, außerdem weiß ich genau, was du sagen willst«, schickte ich präventiv voraus, in der Hoffnung ihn loszuwerden.

»Schön, aber so läuft das nicht bei mir, Cai. Du weißt schon, dass dein Verhalten gestern, absolut idiotisch war, oder?«

Ich senkte mein Handy, ging einfach weiter, wieder zurück in Richtung Camp. Dice lief mir hinterher: »Erst hast du gesagt, dass ihr nur Freunde seid. Und dann musst du mir die ganze Zeit unter die Nase reiben, wie gut ihr euch versteht? Leg‘ dich endlich fest. Willst du was von ihm oder nicht?«

Ich beschleunigte meine Schritte. Ständig diese Fragen. Eigentlich wollte ich einen ruhigen Morgen genießen, doch nicht mal das war mir gegönnt.

»Dice, ich wollte nur ein bisschen spazieren. Könnten wir das bitte wann anders besprechen?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte.

»Können wir nicht. Was ist deine Antwort?«

Ich lief rückwärts, um ihn ansehen zu können: »Ich bin niemandem, außer mir und Seua, eine Antwort schuldig.«

Doch auch damit gab er sich nicht zufrieden: »Glaub‘ bloß nicht, dass ich aufgeben werde!«

Einfach weiterlaufen. Irgendwann lief ich in jemanden hinein, der sofort die Arme um mich schlang. Dice Augen wurden groß, er blieb stehen: »Seua?«

»Darf man fragen, was ihr am frühen Morgen hier veranstaltet?«

Ich ließ Dice darauf antworten: »Keine Sorgen. Ich muss Cai nur seine Grenzen aufzeigen.«

»Und ich wollte nur eine Sekunde meine Ruhe«, grätschte ich dazwischen. Den Schwachsinn, der er erzählte, wollte ich nicht kommentieren.

»Du hast ihn gehört, Dice. Wir kennen uns schon ziemlich lange. Was du hier machst, wird auch nichts ändern«, erklärte Seua. Ändern? Woran? Ich war schon verwirrt genug, das machte es nicht besser. Trotzdem war es mal wieder ein Sieg für mich. Ich konnte spüren, wie Dice im Innern brodelte.

»Das werden wir sehen! Warum bist du auf Cais Seite? Stehst du auf ihn?«

Und schon wieder waren wir bei dieser Frage. Der Unterschied war nur, diesmal interessierte mich die Antwort. Außerdem, ich bin auch noch da, Dice.

Seua seufzte: »Bist du dir sicher, dass du das wirklich wissen willst?«

Hieß das etwa, er würde es ihm hier und jetzt sagen? Kann mich bitte jemand wecken? Irgendwie kommt mir das alles zu surreal vor.

»Ja.«

Seua verstärkte seinen Griff um mich: »Gut, dann werde ich das für dich herausfinden.«

Als ich das hörte, musste ich aufpassen, nicht direkt in Ohnmacht zu fallen.

»So meinte ich das nicht!«, versuchte Dice ein letztes Mal einzulenken, doch Seua hatte mich schon losgelassen und lief schulterzuckend davon. Ich konnte mir das Lächeln nicht verkneifen. Hieß das etwa, dass wir den gleichen Plan hatten?

»Bilde dir bloß nichts ein, Cai. Das hat er nur gesagt, um mich zu ärgern!«, sagte Dice noch, während er wütend an mir vorbeistapfte. Wow, was für eine Szene. Diesmal war es echt schade, dass keine Kameras da waren. Ich schüttelte nur den Kopf und kam endlich dazu, die morgendliche Ruhe zu genießen.
 

Später absolvierten wir unser Fotoshooting mit dem kompletten Cast. Jeder der Charaktere wurde einmal mit einem der anderen Charaktere fotografiert, bis alle Kombinationen fertig waren. Am leichtesten fiel mir das Shooting mit Dice, denn die Genervtheit, die ich gegenüber ihm empfand, kam mir direkt wieder hoch. Mit den Mädels machte es am meisten Spaß, gegenüber ihnen hatte ich nur positive Gefühle. Immer wenn ich sie sah, ging es mir direkt besser. Danach stand unser kleiner Extra-Dreh an, der auch für die Fans besonders war, weil man die Szene und das Behind-the-Scenes gleichzeitig sehen konnte. Ein Film im Film. Wir bekamen nur eine Decke und einen Picknickkorb, aber kein Drehbuch. Die Dialoge sollten wir improvisieren.
 

Wolfsherz – Extra –
 

Die ganze Zeit über hielt sich Nok an meinem Ärmel fest, als wir durch den Wald liefen.

»Was ist los?«, fragte ich.

»Ich habe Angst, dich aus den Augen zu verlieren und mich dann zu verlaufen.«

Ich löste ihn von meinem Ärmel, nahm stattdessen seine Hand in meine.

»Das ist besser, oder?«

»Ja«, sagte er leise, mit gesenktem Blick. Diesmal waren wir mir mit der ganzen Gruppe unterwegs. Die Mädels, der Typ, den ich nicht leiden konnte, sein Kumpel Cha, Nok und ich. Ich wollte mit Nok allein gehen, doch sie hatten es mitbekommen und kamen mit. Na gut. Mit mehreren Leuten wurde es bestimmt lustig. Ich plante damit, Nok mal wieder aus seinem Zimmer und von seinen Hausaufgaben wegzubekommen. Zusammen würden wir ein Picknick im Wald machen. Offenbar war Nok das noch nicht bewusst, denn er fragte:

»Was machen wir hier, P’Wolf?«

»Das, Nok, nennt man Ausflug mit Freunden. Wir machen unser Picknick, hängen ein bisschen hier rum, plaudern und genießen die Natur.«

Wie auf das Stichwort traten die anderen vor und nahmen uns in ihre Mitte.

»Letztens waren wir doch auch zusammen beim Karaoke. Das hat Spaß gemacht, oder nicht?«, fragte Ying. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet, er wusste gar nicht, wen er zuerst anschauen sollte. Dann lächelte er:

»Ja, das hat Spaß gemacht. Danke, dass ihr meine Freunde seid.«

In diesem Moment konnte auch ich für einen Moment meine Genervtheit gegenüber Krai vergessen. Nicht nur Nok war froh darüber, auch mir gefiel es, wie ich aufgenommen wurde.

»Gerne«, sagten wir alle synchron. Cha stellte den Korb ab, Krai breitete die Decke aus. Im Kreis setzten wir uns darauf, links neben mir Cha, rechts Nok. Schon vorher hatten wir zusammen alles vorbereitet, die Sandwiches, das Obst und die Getränke. Wir verteilten das Essen in Mitte und versuchten dabei abwechselnd Nok Geschichten aus dem Alltag zu entlocken, die nichts mit der Uni zu tun hatten, aber daran scheiterten wir. Es war eine entspannte Runde, wir lachten viel. Nach dem Essen spielten wir UNO, wobei Nok wieder in seinen konzentrierten Modus wechselten. Wir verbündeten uns gegen ihn, sodass er einige verlorene Runden in Kauf nehmen musste.

»UNO, letzte Karte!«, rief er, doch im nächsten Zug musste er schon wieder vier Karten ziehen. Nok nahm es gelassen und schaffte es am Ende doch, die Runde zu gewinnen. Dabei unterhielten wir uns. Da wir uns noch nicht allzu lange kannten, hatten wir uns alle viel zu erzählen. Ying und Yang erzählten uns, warum sie die Uni ausgesucht hatten, Krai erzählte von seinem Auslandsaufenthalt, Cha von seinem Traumjob und ich von meinem Leben außerhalb Thailands. Nok blieb still und als nach einer Weile sein Kopf an meine Schulter sank, wussten wir auch warum. Er war einfach eingeschlafen.

»Ich glaube, auch heute hatte Nok viel Spaß, oder?«, fragte Krai. Alle nickten.

»Auf jeden Fall. Ab jetzt machen wir sowas hoffentlich öfter und natürlich immer mit Nok!«, schlug ich vor und sie lachten leise. Yang sah mich an: »Solange du dabei bist, müssen wir das wohl, P’Wolf! Ihr seid doch schon ein Duo!«

Da hatte sie Recht. Sobald die Gruppe ihre Aufmerksamkeit wieder auf andere Dinge gerichtet hatte, legte ich Nok einen Arm um die Schulter.

»Wir sind ein gutes Duo, oder?«, flüsterte ich.
 

Wolfsherz – Extra – Ende
 

Als die Szene beendet war, interviewten sie jeden von uns noch einmal einzeln, bevor wir nach Hause fuhren. Das Camp hatte mich physisch und mental komplett fertig gemacht, aber ich hatte auch Spaß und hab einiges dazugelernt. Wir schleppten die Koffer in Seuas Wohnung und ich freute mich einfach nur darauf, mich auszuruhen. Doch sobald die Koffer im Flur standen und die Tür ins Schloss gefallen war, drängte Seua mich an die Wand, stützte sich mit der Hand neben meinem Gesicht ab.

»Darf ich dich küssen, Cai?«

Der Wolf und das Versprechen

Was? Ich hatte noch keine Halluzinationen, oder? Bevor meine Gedanken wieder ihren verrückten Gang nehmen konnten, entschied ich mich dafür, mein Herz sprechen zu lassen. Mein Verstand hatte sich sowieso längst verabschiedet.

»J-ja«, brachte ich gerade so hervor. Ich konnte kurz die Überraschung in seinen Augen aufblitzen sehen, dann kam er mir immer näher, bis sich unsere Lippen berührten. Auch wenn es nicht das erste Mal war, es fühlte sich anders an. Besser. Ich schloss die Augen und öffnete meinen Mund leicht, um mich ganz auf den Kuss einzulassen. Wie von selbst bewegten sich meine Arme und ich legte sie ihm um die Hüfte. Seua küsste mich vorsichtig, als hätte er Angst, mir wehzutun. Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Langsam fuhr er mir mit der Hand den Nacken entlang, zog mich sanft noch ein bisschen näher zu sich. Jede Berührung von ihm in diesem Moment war kaum auszuhalten.
 

Langsam löste er sich von mir, legte seine Stirn an meine und sah mich forschend an. Ich spürte nur, wie wieder alle meine Gedanken auf mich einströmten. Ich schob Seua von mir, stolperte zur Tür und sobald ich auf dem Flur angekommen war, begann ich zu rennen. Was hatte ich da gerade getan? Der Flur kam mir vor wie ein Tunnel, der niemals endete. Ich lief an jemandem vorbei. Hinter mir hörte ich Schritte, daher beeilte ich mich, in den Aufzug zu kommen. Erst als sich die Türen vor mir schlossen, schaffte ich es, kurz aufzuatmen. Ich habe zugelassen, dass er mich küsst. Er. Seua. Ein Typ. Noch dazu einer der bekanntesten Schauspieler. Was sollte das alles? Warum? Warum ich? Wieso? Da ich überhaupt nicht mehr klar denken konnte, versuchte ich es einfach abzuschalten. Trotzdem sah ich immer sein Gesicht vor mir und diesen sanften Blick. Cai! Ganz ruhig! Als ich hörte, wie die Aufzugtüren wieder aufgingen, bahnte ich mir meinem Weg zum Ausgang, wo zum Glück auch niemand war. Sobald ich einen Fuß auf den Bürgersteig gesetzt hatte, rannte ich. Es war zwar schon dunkel, doch ich ließ mir von den Straßenlaternen den Weg weisen. Die Lichter der Autos verschwammen vor meinem Blick, ich spürte die Tränen auf meinen Wangen. Ich verstand gar nichts mehr. Weder ihn noch mich noch sonst irgendetwas an dieser Situation. Die Flucht gab mir die Sicherheit, mich aus dieser Überforderung zu retten. Meine Flucht musste für die Leute, die um diese Uhrzeit noch unterwegs waren, ein bizarres Bild abgeben. Andererseits befanden wir uns in einer Großstadt, das waren sie vermutlich gewohnt. Solange es meine Lungen und Beine zuließen, rannte ich weiter, sah Geschäfte, Menschen und Fahrräder an mir vorbeiziehen. Irgendwann bog ich in eine Gasse ab, wo ich mich schweratmend an eine Wand lehnte. Meine Lunge und Augen brannten, es dauerte ziemlich lange, bis sich meine Atmung beruhigt hatte. Auch meine Beine machten nicht mehr mit, sie waren zittrig, nur die Wand hielt mich aufrecht. Bis auf den kleinen Teil, der noch von der Straße beleuchtet war, war die Gasse stockdunkel. Ich war wirklich ein Meister darin, mich in schwierige Situationen zu bringen. Als nachtblinder, orientierungsloser Mensch ohne Handy, nachts in einem fremden Land herumzulaufen, das konnte nur ich bringen. Die Gefühle, die alle durcheinander waren, kamen noch dazu. Am besten ich versuchte mich nur auf meine Atmung zu konzentrieren und fühlte gar nichts. Dazu schloss ich die Augen, da ich ohnehin kaum etwas sah. Doch die Dunkelheit konnte die Gedanken und Gefühle nicht abstellen. Ich hörte Schritte, die immer näherkamen. Als ich die Augen öffnete, sah ich Seua neben mir, der sich auf seine Beine abgestützt hatte und keuchte.

»Cai..was..machst du denn?«, brachte er zwischen den Atemzügen hervor. Mein Fluchtreflex setzte wieder ein, ich machte kehrt und wollte weiter in die Gasse laufen. Seua packte mich am Handgelenk: »Bist du bescheuert? Das ist gefährlich!«

Ruckartig drehte ich mich um, löste mich gleichzeitig aus seinem Griff: »Ja, bin ich!«

Wieder spürte ich meine Tränen, doch in diesem Moment war es mir einfach egal.

»Anders als du, bin ich es nicht gewohnt, Typen zu küssen! Aber das ist noch nicht mal mein Problem! Ich verstehe es nicht. Warum machst du das? Willst du mir oder Dice was beweisen? Hast du es gemacht, weil ich dich provoziert habe? Es waren bestimmt so viele Typen, da macht das auch keinen Unterschied mehr. Ich weiß einfach nicht, was ich denken oder fühlen soll! Du bist ein Star, wieso solltest du dich mit Leuten wie mir abgeben? Doch weißt du was das Schlimmste an der Sache..«, ich konnte nicht zu Ende sprechen, da nahm er mich in den Arm.

»Verdammt, halt mal für einen Moment die Luft an, Cai!«, selbst durch die dicke Jacke konnte ich sein Herzklopfen hören. Nach einer Weile schob er mich von sich, nahm meine Hand und legte sie an seine Wange. Er weinte? Ich spürte die Tränen, die über meine Hand liefen.

»Wenn du glaubst, dass du als einziger verwirrt bist, kann ich dich beruhigen, denn es ist nicht so. Ich verstehe, was du gesagt hast, aber es gibt eins, was ich dir dazu sagen will. Dass ich dich geküsst habe, hat mit nichts und niemandem zu tun. Es macht sehr wohl einen Unterschied, denn ich wollte es einfach. In diesem Moment war ich kein Star, kein Typ, sondern einfach nur Seua. Und gewohnt bin ich sowas schon gar nicht«, flüsterte er in einem sanften Ton. Da standen wir nun, weinend, zitternd und völlig durcheinander. Es beruhigte mich, dass nicht nur ich aufgewühlt war. Seine Ehrlichkeit ehrte mich, aber was bedeutete das? Ich ließ meine Hand sinken, um sie in seine zu nehmen. Okay, Cai, du ziehst das jetzt durch. Einmal in meinem Leben war ich froh darüber, nicht im Dunkeln sehen zu können. Ich brachte es trotzdem nicht über mich, ihn direkt zu fragen, stattdessen versuchte ich es auf eine andere Art.

»Okay. Wenn du willst, verrate ich dir meinen Plan.«

»Bist du dir sicher?«

»Aber nur hier und jetzt. Ich kann das nur machen, wenn ich dich nicht sehen kann.«

»Also?«

»Es fing alles damit an, dass Dice mir gedroht hat und ich es nicht mochte, euch zusammenzusehen.«

Ich sah seine Silhouette vor mir ruhig atmen, doch der Griff seiner Hand wurde fester, als ich das sagte.

»Dice war der Grund dafür, dass ich mich kindisch benommen habe, aber das war nicht der Plan. Du hast von Anfang an mit mir geflirtet und das hat mich verwirrt. Vor allem weil die Szenen im Drama und die Realität sich immer ähnlicher wurden. Daher wollte ich herausfinden, ob du das nur machst, weil es ohnehin dein Job ist, oder ob da nicht doch etwas Wahrheit hinter steckt«, meine Stimme wurde immer leiser. Bis zu diesem Punkt in meinem Leben war es mir noch nie schwergefallen irgendetwas zu sagen, doch das war anders. Trotz der Dunkelheit wandte ich meinen Blick ab.

»Mit anderen Worten, du hast Gefühle für mich und willst wissen, ob es mir genauso geht?«, natürlich musste Seua es mal wieder auf den Punkt bringen.

»Keine Ahnung. Vielleicht. Kann sein. Ich weiß einfach nicht, ob das, was ich fühle von mir selbst kommt, oder nur eine Reflektion von Wolf ist.«

»Ich weiß genau, wie du dich fühlst, Cai. Normalerweise kann ich Realität und Fantasie gut auseinanderhalten, aber diesmal nicht.«

Seua ging es also genauso wie mir? Es machte mir Angst, gleichzeitig war ich aber auch erleichtert, dass es ihn nicht komplett kalt ließ. Er nahm auch meine andere Hand, zog mich nach vorne, bis wir wieder in dem schwach erleuchteten Teil der Gasse standen. Ich konnte sein Gesicht sehen, auch wenn er mit den geröteten Augen und roten Wangen ziemlich fertig aussah, sah er mich lächelnd an.

»Siehst du, ich wusste, dass ich diesen Plan mögen würde. Cai, wenn wir doch das Gleiche fühlen, warum ziehen wir den Plan nicht gemeinsam durch?«

Ich konnte kaum glauben, dass wir auf derselben Seite standen und Seua sich anbot, mein Verbündeter zu werden. Das war er zwar vorher auch schon, aber das gleiche Ziel wie er zu haben, hatte ganz andere Ausmaße für mich. Er empfand etwas für mich und egal, ob es echt war oder nicht, es war einfach nur ein schönes Gefühl.

Ich nickte: »Aber wie sollen wir das machen?«

»Wir machen weiter wie bisher und wenn wir uns damit wohlfühlen, können wir auch mehr zulassen. Ich bin mir sicher, dass wir irgendwann merken werden, ob es von uns selbst kommt.«

»Okay«, stimmte ich ihm zu und ich war mir sicher, dass es mir nur leicht fiel, weil ich genügend Adrenalin in meinen Adern hatte, dass es für mindestens ein Jahr reichen würde. Ab jetzt hatten wir den gleichen Plan. Seua ließ meine rechte Hand los, hielt sie mir hin, den kleinen Finger ausgestreckt. Ich kannte diese Geste. Ein Versprechen.

»Eins musst du mir aber versprechen, Cai. Egal wie schwierig es wird, wir werden nicht aufgeben, okay?«

Ich verschränkte meinen kleinen Finger mit seinem und sagte: »Gu sanya.« (Ich verspreche es.)

»Sanya.«
 

Später lehnten wir uns beide gegen die Wand, ich konnte wieder ruhig atmen und mein Puls war niedriger als hundertachtzig. Seua fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht und gähnte: »Deine Aktion hat mich ganz schön fertig gemacht, Cai. Ich bin todmüde.«

Auch meine Müdigkeit meldete sich in diesem Moment wieder zurück. Wir waren schließlich gerade erst vom Camp zurück und schon bei der Ankunft war ich müde, das Rennen und die ganzen Gefühle hatten die Müdigkeit nur verdrängt und auch noch schlimmer gemacht.

»Du kannst froh sein, dass man die Tür der Wohnung mit einem Code öffnen kann und keinen Schlüssel braucht«, bemerkte er und tastete seine Taschen ab: »Natürlich hab ich das Handy auch in der Wohnung gelassen.«

Manchmal wünschte ich das Leben wäre genauso unrealistisch wie ein asiatisches Drama.

Aber dann wäre nach unserem Versprechen wahrscheinlich der Abspann gelaufen.

»Ich hab‘ meins auch nicht dabei«, gab ich zu.

Er seufzte: »Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig als zurückzulaufen.«

Leider. Ohne Geld und Handy konnten wir auch schlecht ein Taxi nehmen, also gingen wir in Richtung Straße und traten den Rückweg an. Ich konnte überhaupt nicht einschätzen, ob es weit war oder nicht, aber in unserem Zustand wäre jede Strecke anstrengend. Dazu machte ich mir noch ganz andere Sorgen: »Sollen wir nicht lieber die Seitenstraße nehmen, P‘Seua? Wenn die Leute dich sehen…«

Er legte mir einen Arm um die Schulter: »Du meinst, wenn sie »uns« sehen? Du solltest ein bisschen mehr Selbstbewusstsein als Star haben. Außerdem solltest du mich stützen, schließlich bin ich den ganzen Weg hierher gerannt. Du hast ganz schön Ausdauer, machst du Sport?«

Schön wärs. Es war nur meine dämliche Angewohnheit, immer wegzulaufen.

»Nee, ich habe nur Übung darin wegzulaufen, vor allem vor Ray«, gab ich zu. Das musste ich dringend loswerden, es brachte schließlich nichts als Schwierigkeiten.

Eine Weile liefen wir schweigend weiter, bis er fragte: »Woran denkst du?«

»Daran, dass P’Star uns umbringen würde, wenn er von dem Plan wüsste«, sagte ich vor mich hin.

»Dann wird er es eben nie erfahren. Wir sind vielleicht bei TMM TV unter Vertrag, aber das heißt nicht, dass wir unser Leben verkaufen. Es gibt Dinge, an die wir uns halten sollten, klar, aber wir sind immer noch wir. Keine Sklaven.«

Es war gut, genau das von ihm zu hören. Ich kannte Länder, in denen das anders war. Wo man im Showbiz sein Leben abgab und nur noch nach deren Pfeife tanzte. So gerne ich Teil davon war, das wäre auch mir zu viel.

»Außerdem scheint es ziemlich gut für »Wolfsherz« zu laufen. P’Star würde niemals ein erfolgreiches Projekt aufgeben, nur weil ihm die Schauspieler auf der Nase herumtanzen. Es ist für uns sowieso mehr oder weniger unmöglich aufzufliegen, wenn wir am Set flirten. Das ist der Vorteil, wenn man BL-Schauspieler ist«, erklärte er grinsend. Auch wenn ich kurz vor dem Einschlafen war, genoss ich die kühle Brise und Seuas Stimme. Ich glaube ich habe ihn noch nie so viel reden gehört.

»Ja, stimmt.«

Auch wenn es gerade angenehm war, ich musste dringend den Elefanten ansprechen, der vor uns herlief.

»Selbst wenn P’Star davon nichts mitbekommt, Dice wird das bestimmt nicht gefallen.«

Seua war zwar auf meiner Seite, aber solange ich die Geschichte dahinter nicht kannte, würde ich nie zur Ruhe kommen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sein Blick düster wurde.

»Ich werde mich um den schon kümmern. Ist ja nicht so, als würde ich das schon seit Jahren machen.«

Der genervte Tonfall entging mir nicht, doch ich ließ nicht locker: »Du kennst ihn schon länger, richtig?«

»Ja, Dice und ich haben mal als Hauptcharaktere in einer BL-Produktion mitgewirkt«, sagte er ohne Umschweife. Ich hatte mir so etwas in die Richtung gedacht, doch es gefiel mir überhaupt nicht. Also hatte er ihn auch…?

»Das ist schon einige Jahre her und seitdem zieht er diese Nummer mit jedem Typen durch, mit dem ich drehe. Du hast ihn gefragt, warum er eine Nebenrolle angenommen hat. Wegen mir.«

Das erklärte zumindest, warum Dice auf alles aggressiv reagierte. Noch ein letztes Mal würde ich mich damit quälen, um dieses Thema endlich abschließen zu können.

»Er steht auf dich?«

»Leider. Ich aber nicht auf ihn, deswegen habe ich ihm auch gesagt, dass sich nichts ändern wird. Aber er ist zu stur, das einzusehen«, Seua winkte ab: »Deswegen mach‘ dir am besten nichts draus, was er sagt.«

»Ich werde es versuchen.«

Doch nachdem, wie ich ihn bisher erlebt hatte, würde Dice nicht einfach aufgeben. Hoffentlich würde ich nicht genauso enden. Auch seine Rolle als Kraisee passte perfekt, denn es war die gleiche Situation. Was solls. Wenn man die ganzen Fans mitzählte, gab es ohnehin genug Konkurrenz. Ich seufzte erleichtert auf, als wir den Eingang vom Haus schon sehen konnten. Seua nahm seinen Arm von meiner Schulter, bevor er reinging, hielt ich ihn am Ärmel fest. Er drehte sich um: »Mhm?«

»Warum hast du mich im Wohnwagen nicht geküsst?«, heute war der Tag, an dem ich meinen ganzen Mut verbrauchen würde. Irgendwas überkam mich das zu fragen, vor allem in diesem grellen Licht. Überrascht zog er beide Augenbrauen hoch, ließ die Türklinke los, die er schon in der Hand hatte.

»Ganz schön mutig, Cai. Hätte ich denn?«

Ich trat einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände: »Nein! Ich mein ja nur, wenn du es ohnehin vorhattest«, erklärte ich. Natürlich brachte ihn auch das nicht aus dem Konzept.

»Drüber nachgedacht habe ich. Aber es waren zu viele Augen, Ohren und Kameras vor Ort. Das Wichtigste ist, dass es heute war«, sagte er und ging ins Gebäude. Nachdenklich folgte ich ihm, versuchte rauszufinden, was er damit meinte. Bis mir siedend heiß einfiel, was wir morgen drehen würden.
 

Als wir oben im Flur ankamen, wartete Ray vor der Tür auf uns: »Lass‘ mich raten, Cai ist mal wieder abgehauen und du musstest ihn einfangen, Seua.«

»So siehts aus.«

Ich erinnerte mich daran, dass ich an einer Person vorbeigelaufen war, das war dann wohl Ray.

»Ich sollte dich echt überwachen lassen, Cai. Was hast du diesmal angestellt?«

Bevor ich rot werden konnte, sagte ich schnell: »Gar nichts, Ray.« Zumindest nichts, was ich im Flur vor Seuas Wohnung mit dir besprechen würde. Er sah Seua an, in der Hoffnung, dass er ihm weiterhalf. Doch der schüttelte den Kopf: »Es ist alles okay. Lassen wir das am besten so stehen.« Gerettet. Vorerst zumindest.

»Meinetwegen«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.

»Wie lange wolltest du denn hier warten, Ray?«, versuchte ich schnell abzulenken. Schließlich wusste er nicht, ob wir überhaupt wiederkommen würden.

»Solange bis ihr zurückkommt. Ich weiß, dass ich nicht dein Aufpasser bin, Cai, aber bei dir weiß man ja nie. Die ganze Nacht hätte ich hier bestimmt nicht gestanden, ich wollte schließlich gleich zu N…ins Hotel«, korrigierte er sich hastig. Seua sah mich an: »N?«

»Noah«, erklärte ich, um Ray ein bisschen zu ärgern. »Cai! Das ist jetzt nicht wichtig. Ihr solltet schlafen, schließlich müsst ihr morgen drehen«, sagte er schnell und ging. Ich freute mich schon darauf, irgendwann die ganze Geschichte zu hören.
 

Am nächsten Morgen saß ich gerade bei P’Sawa in der Maske, trug schon die Uniform. Ich hatte von ihm erfahren, dass er Japaner war und eigentlich Takuma hieß. Da er aber unbedingt einen thailändischen Spitznamen haben wollte, hatte sich das Team einen für ihn ausgedacht.

»Das was du gestern gemacht hast, muss anstrengend gewesen sein, Cai. Ich brauche extrem viel Make-Up um deine Augenringe abzudecken«, erklärte er schmunzelnd.

»Sorry, aber du kriegst das hin, das weiß ich.«

»Natürlich. Seua wird vermutlich das gleiche Problem haben«, im Spiegel sah ich ihn grinsen.

»Wieso?«

Ich meinte die Antwort zu kennen, doch er holte sein Handy raus, gab etwas ein und zeigte es mir. Es war ein Online-Artikel, das Bild zeigte mich und Seua Arm in Arm. »Was steht da?«, fragte ich und hielt ihm das Handy hin.

»Mehr als nur Freunde? Ist doch nicht alles gespielt?«, las er vor. Zählt das schon als Skandal? Wir sahen zwar glücklich aus auf dem Bild, aber eher wie Freunde. Ich gab P’Sawa sein Handy zurück. Er steckte es ein und beschäftigte sich weiter damit, mich wieder wie einen Menschen aussehen zu lassen.

»Findest du das verwerflich?«, wollte ich wissen.

»Während andere Stars heimlich in Bordellen rumhängen und in dunklen Gassen Drogendeals machen? Eher nicht, Cai.«

Ray kam dazu und wollte mir auch den Artikel zeigen, doch ich lehnte ab: »Ich hab das schon gesehen. Ist das ein Problem?«

Über den Spiegel versuchte ich zu beurteilen, in welchem Gemütszustand Ray sich befand, doch er schien ruhig. Als ich dann sein Kopfschütteln sah, ließ ich erleichtert die Schultern sinken. Auch wenn ich den Journalisten lassen musste, dass sie unwissend mit ihrer Schlagzeile ins Schwarze getroffen hatten.

»Ich habe vorhin mit P’Star gesprochen und er war erstaunlich entspannt. Er meinte das Bild sei harmlos und vermutlich sogar gute PR für euer Couple und die Serie. Über die wilden Theorien, die sich die Journalisten ausgedacht haben, konnte er nur lachen«, berichtete er.

»Hat er gesagt, was die geschrieben haben?«

»Nein.«

Ich lieh mir Rays Tablet aus, kopierte den Inhalt in den Übersetzer. Kurz überflog ich es, auch wenn vom Übersetzer vermutlich einiges verdreht wurde, verstand ich grundsätzlich, worum es ging. Seua unterwegs mit seinem Drehpartner in der Nacht. Sie sahen sehr glücklich aus, was haben sie gemacht? Ist das noch Freundschaft oder schon mehr? Kopfschüttelnd gab ich Ray das Tablet zurück. Was für Anfänger! Ich war froh, dass sie die Szene in der Gasse nicht mitbekommen hatten. P’Sawa machte die letzten Handgriffe, dann war ich fertig. Das Endergebnis konnte sich wirklich sehen lassen. Man konnte nicht mehr sehen, dass ich gestern geweint hatte und gefühlt zwanzig Kilometer gelaufen war. P’Sawa und ich schlugen ein.

»Danke, P‘. Dank‘ dir können sie Kosten einsparen, sonst bräuchten wir CGI.«

»Du kommst auf Ideen, Cai.«
 

Wolfsherz – Szene 5 –
 

Da stand Nok vor mir mit geschlossenen Augen und ich konnte nicht wirklich was damit anfangen.

»Was hast du vor?«, fragte ich, da öffnete er die Augen wieder und sah mich enttäuscht an.

»Aber sie haben gesagt, dass man jemanden küssen sollte, wenn man ihn mag.«

Und das kam ausgerechnet von ihm? Wer diese mysteriösen Personen sind, die ihm das gesagt haben sollen, konnte ich mir denken. Die grinsenden Gesichter von Ying und Yang hatte ich klar vor Augen. Lachend legte ich ihm eine Hand auf die Schulter: »Ja, aber vielleicht solltest du die Reihenfolge ändern. Solltest du die Person nicht zuerst fragen, ob sie dich auch mag?«, erklärte ich und mein Herzklopfen war so laut, dass ich Angst hatte, er könnte es hören. Neugierig sah ich ihn an, konnte kaum abwarten, wie er darauf reagieren würde. Nok schluckte, rieb sich die Hände und sah auf den Boden.

»Und was mache ich, wenn die Person mich nicht mag?«

»Das wird sie schon. Wenn du nicht fragst, wirst du es auch nie wissen«, auch ich wollte mich absichern, dass es nicht alles nur meine Fantasie war.

»Also gut. Aber nur, wenn ich dich nicht angucken muss«, flüsterte er.

»Musst du nicht.«

Nok machte eine sehr lange Pause, aber ich wusste, dass er jemand war der Zeit für so etwas brauchte, also wartete ich geduldig. Zwischendurch sah er kurz auf, vermutlich um sich abzusichern, dass ich noch da war.

»Ich mag dich, P’Wolf. Magst du mich auch?«, seine Stimme war so leise, dass ich mich anstrengen musste, es zu verstehen.

»Ja«, gab ich zurück und war froh, dass er mich in diesem Moment nicht ansah. Doch dann hob er den Blick, sah mich erstaunt an: »Wirklich?«

Diese Augen machten mich sprachlos, daher nickte ich nur. Selten war ich mir so sicher wie in diesem Moment. Über die Zeit waren wir eine Gruppe geworden, Nok und ich ein Duo. Ich hatte viel Spaß mit Nok und es tat gut, ihn glücklich zu sehen. Offensichtlich reichte uns das beiden nicht, wir wollten mehr als Freunde sein. Ich nahm seine Schultern, drückte ihn sanft gegen die Tafel. Wieder schloss er die Augen und machte ein verkrampftes Gesicht. Ich strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht, versuchte mein Zittern zu verbergen. Ich hatte mit den meisten Situationen kein Problem, aber das war auch nichts, was ich einfach abhandeln konnte.

»Entspann‘ dich«, flüsterte ich und sein Ausdruck wurde sanfter. Das war mein Zeichen, meine Chance, die ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen konnte. Ich legte ihm eine Hand in den Nacken und zog ihn näher zu mir bis sich unsere Lippen berührten…
 

Plötzlich flackerte die Erinnerung von gestern in mir auf. Diese Berührungen, der Kuss und dieses unglaubliche Gefühl. Es fühlte sich genauso an und er war für mich in diesem Moment nicht Nok, sondern Seua. Diesmal hatte ich mich gegen Wolf durchgesetzt. Diese Szene gehörte mir.
 

Wolfsherz – …? –
 

Ich konnte spüren, wie er den Atem anhielt. Ganz vorsichtig küsste ich ihn, wusste nicht, wie weit ich gehen konnte, ohne dass er in Ohnmacht fiel.

»Cut!«

Er erwiderte den Kuss, ließ sich ganz auf mich ein.

»Cut!«

Seine weichen Lippen und seine Nähe zu spüren, ließ mich alles andere um mich herum vergessen.

»Cu-, ach, ich gebs auf.«

Wir lösten uns voneinander und grinsten uns an. »Das war schön, P’Wolf. Machen wir das jetzt öfter?« Seine leuchtenden Augen und sein Lächeln strahlten mir entgegen und wenn das so weiter ging, brachte dieser Junge mich noch um den Verstand.

»Du bist süß, Nok. Natürlich, wenn du das willst«, ich nahm seine Hand in meine und sah ihn an. Es gab schließlich noch eine Sache, die wir klären mussten.

»Willst du mit mir zusammen sein?«, ängstlich sah ich ihn an. Wir hatten uns zwar geküsst, aber ich war nicht sicher, ob er bereit war diesen Schritt zu gehen.

»Ja.«

Ich konnte es kaum glauben. Nicht nur, dass Nok sich getraut hatte, sondern dass wir hier standen und wirklich diesen Schritt gegangen waren. Vor ein paar Monaten hatte er nicht einmal geschafft mich anzusehen. Ich wusste, dass das mit uns, allein schon wegen der Tatsache, dass zwischen Amerika und Thailand über zehntausend Kilometer Luftlinie Entfernung lagen, schwierig sein würde. Doch in diesem Moment war es mir egal. Noch würde ich es ihm nicht sagen, doch seine Prüfung hatte er längst bestanden.
 

»Okay, jetzt aber«, ließ der Regisseur über das Megafon verlauten. »Mein Herz hält das sonst nicht aus. Das war fantastisch, Jungs! Ich werde P’Star auch nicht verraten, dass ihr euch an meine Anweisungen nicht gehalten habt, das war es wert.«

Das Team lachte und alle applaudierten. Wir gingen zurück zum Zelt, Seua musste noch woanders hin. Ich setzte mich auf einen Stuhl, um ein bisschen herunterzukommen. Mir war unglaublich warm, aber ich war stolz auf mich. Solche Szenen waren nicht einfach, trotzdem waren wir gelobt worden. Ich sah wie P’Amy auf mich zukam, sie hielt das Drehbuch in der Hand, ihre langen, schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Sie nahm sich einen der Plastikstühle, die herumstanden, stellte ihn vor mich und setzte sich. Mit den Gedanken war ich immer noch in dieser Szene. Ich hatte ihn geküsst. Zum zweiten Mal. Vor allen Leuten. Mein Gesicht fühlte sich an, als würde es brennen. Ich hoffte, dass das Make-Up von P’Sawa es einigermaßen verdeckte. P’Amy lächelte mich an: »Cai, ich weiß der Regisseur hat es schon gesagt, aber das war eine unglaubliche Leistung von euch beiden! Dafür, dass es eure erste Kussszene war, hatte ich richtiges Herzklopfen! Diese Vorsicht und dieser letzte Rest Unsicherheit von Wolf konnte ich einfach spüren. Man könnte meinen, es geht dir genauso«, schwärmte sie vor sich hin. Dazu sagte ich lieber nichts. P’Amy war wirklich gut darin, die eigentlich Wahrheit hinter dem Ganzen zu erkennen.

»Danke, P’Amy. Ich bin total glücklich, dass es euch gefällt, obwohl ich ein Anfänger bin.«

Sie legte mir ihre Hände auf die Beine: »Es ist zwar gut, bescheiden zu sein, aber lass uns einen Deal machen.«

Neugierig sah ich sie an. P’Amy war eins meiner Vorbilder, nicht nur war sie ein Vollprofi, man merkte auch in jeder Sekunde, dass sie ihren Job liebte.

»Einen Deal?«

»Ja, ab heute nennst du dich nie wieder Anfänger, okay? Nach allem was ich bisher gesehen habe, kannst du das getrost ablegen.«

Wir schlugen ein: »Okay, Deal«, sagte ich.
 

Nach ein paar kleineren Szenen war der Drehtag vorbei und ich war gerade dabei, meine Sachen zusammenzupacken. Der Tag war sehr erfolgreich, unsere Szene war gut angekommen und ich war vom Anfänger aufgestiegen. Fast hätte ich gesagt, dass ich gar nicht zurückfahren, sondern einfach weiterdrehen will. Hinter mir räusperte sich jemand. Ich drehte mich um und da das Zelt gut beleuchtet war, sah ich, dass es Dice war. Er war heute nur wegen einer kleinen Szene mit Kraisee hier. Natürlich musste er mich abpassen, wenn ich alleine war. Mit dem Wissen, dass Seua hinter mir stand, fühlte es sich jedoch nicht mehr bedrohlich an.

»Na, hat es Spaß gemacht, Seua zu küssen?«, fragte er und verschränkte die Arme.

»Ja. Tut mir leid, dass dies nur ein Privileg der Hauptrolle ist, Dice«, erwiderte ich. Er sollte merken, dass ich nicht der Feigling war, für den er mich hielt. Dice trat vor, packte mich am Kragen, was ich einfach über mich ergehen ließ.

»Jetzt auch noch frech werden, hm? Führ‘ dich hier bloß nicht auf wie ein Star, Cai«, zischte er. Ich befreite mich aus seinem Griff und stieß ihn von mich: »Doch, genau das werde ich tun. Ganz ehrlich, Dice, alle hier im Team sind supernett. Warum musst du das kaputt machen?«

Ich meinte es ernst, da ich mich mit allen aus dem Team bisher gut verstanden hatte, doch immer, wenn Dice daherkam, gab es Ärger. Seine Augen verengten sich:

»Ich bin das Problem, ja? Du bist gerade mal ein paar Monate hier und meinst alles zu wissen. Solange du nicht aufhörst, dich an Seua ranzumachen, werde ich auch nicht aufhören.«

»Das heißt also, ich muss dich die ganze Zeit ertragen?« Was er konnte, konnte ich schon lange. Er sollte sich langsam damit abfinden, dass er weder als Dice, noch als Kraisee eine Chance hatte.

»Du!«, Dice holte aus und ich hob schützend die Arme vor das Gesicht, doch der befürchtete Schlag blieb aus. Langsam nahm ich sie wieder runter, sah wie Seua Dice Arm festhielt. Kurz darauf ließ er ihn wieder los, strafte ihn mit einem Blick ab und deutete mir, mitzukommen. Ich nahm meine Tasche und folgte ihm, ohne mich nochmal umzusehen. Ich würde mir diesen Tag nicht von Dice ruinieren lassen. Es reichte, wenn er wusste, dass Seua von ihm enttäuscht war.
 

Zurück in der Wohnung verschwand Seua sofort unter der Dusche, während ich es mir auf der Couch gemütlich machte. Es klingelte an der Tür und weil ich dachte, dass es Ray war, machte ich auf. Stattdessen war es jedoch der Postbote, der mir einen Brief in die Hand drückte. Ich verstand nicht, was er sagte, oder warum er so schnell wieder verschwand. Ich nahm den Brief, wollte gerade die Tür schließen, da fiel ein Blatt Papier auf den Boden. Als ich es aufhob, erschrak ich, denn dort stand, auf Englisch, in Großbuchstaben: »Wenn du dich weiter mit diesem Cai abgibst, bringe ich dich um, Seua.«
 

A/N: Dieses Kapitel möchte ich der lieben Luiako widmen, die mich mit ihrem netten Kommentar sehr motiviert hat <3 Ich hoffe, das Kapitel hat dir gefallen ~

Der Wolf und das Geschenk

Vor Schreck ließ ich den Zettel fallen. Ein Drohbrief? Direkt geliefert an die Haustür? In meinem Kopf ratterte es. Noch dazu wurde auch ich erwähnt. Wie versteinert stand ich da, die Tür war immer noch offen. Was sollte ich tun? Mein Blick fiel auf unsere Koffer, die immer noch nicht ausgepackt waren. Ich ging hin, zog die Reißverschlüsse zu und stellte die Koffer vor die Tür. Eins stand fest, Seua und ich würden heute Nacht nicht hierbleiben. Mir war die Zimmerkarte eingefallen, die Ray mir gegeben hatte. Ich kramte in meiner Tasche, bis ich sie fand. Auf der Pappe, in der die Karte steckte, stand der Name des Hotels, sowie die Zimmernummer. Das war auch nicht unbedingt der sicherste Ort, aber wenn wir Glück hatten, kannte diese Person den Ort nicht. Hastig zog ich meine Jacke über und meine Schuhe an. Den Zettel hob ich wieder auf, den brauchten wir als Beweismittel. Die Schrift war ein bisschen verzerrt, aber es war mit der Hand geschrieben worden. Seua kam aus dem Bad, sah die Koffer vor der Tür.

»Cai? Wer war das an der Tür und was machst du?«

Wortlos gab ich ihm den Zettel, hatte mit einer geschockten Reaktion gerechnet, aber Seua zuckte nur mit den Schultern: »Ach das ist nur einer dieser Spinner. Die sind harmlos, glaub‘ mir.«

»Sicher? Was ist, wenn der auf einmal mit einer Knarre vor uns steht? Die Adresse kennt er schließlich«, erklärte ich hastig. Ich konnte nicht verstehen, wie man so gelassen sein konnte. Seua wollte den Zettel sogar wegwerfen, doch ich nahm ihn wieder an mich.

»Beruhig‘ dich. Das ist wahrscheinlich nicht mal ernstgemeint.«

Langsam wurde ich wütend. Ihm wurde gedroht, aber es störte ihn überhaupt nicht. Mir reichts. Ich musste handeln und zwar jetzt. Ich nahm seine Jacke und gab sie ihm in die Hand.

»Wir gehen.«

Den Zettel steckte ich in meine Jackentasche, da fühlte ich mein Handy. Stimmt, ich sollte Bescheid sagen, damit ihn im Ernstfall jemand beschützen konnte. Ich holte es aus der Tasche, wählte die Nummer des Senders. Seua legte seine Hand auf mein Handy:

»Was hast du vor?«

»Wir müssen doch jemanden informieren«, sagte ich, doch er drückte meinen Arm runter.

»Von mir aus gehe ich mit dir, wohin du willst, Cai, aber nur wenn du absolut niemandem davon erzählst. Nicht der Polizei, nicht dem Sender und auch nicht Ray.«

»Warum?«, ungläubig sah ich ihn an. Seua hatte überhaupt keinen Sinn für Gefahr. Er nahm seinen Rucksack, packte ein paar Unterlagen ein.

»Weil ich wegen solchen Idioten keinen Aufstand haben will, Cai. Der Sender würde uns einsperren und arbeiten könnten wir auch nicht.«

Auch er zog sich Jacke und Schuhe an, setzte den Rucksack auf. Natürlich wollte ich auch, dass wir weitermachen können, trotzdem ärgerte es mich unheimlich, dass er das einfach abtat. Seua kam auf mich zu, sah mich eindringlich an.

»Das bleibt auf jeden Fall unter uns, klar?«, dieser Unterton und sein Blick machten mir Angst. Ich schluckte, denn so kannte ich ihn überhaupt nicht.

»Verstanden. Aber nimm‘ bitte die Autoschlüssel mit.«

Vorerst würde ich es dabei belassen, aber sobald ich wieder den Mut hatte, musste ich das unbedingt ansprechen. Mich beschlich bei der ganzen Sache die düstere Vorahnung, dass er sowas kannte. Stillschweigend gingen wir mit den Koffern zum Auto, ich sagte ihm wie das Hotel hieß. Im Auto herrschte eine erdrückende Stille.

»Woher hast du die Zimmerkarte?«, fragte er, als wir gerade auf die Straße abbogen.

»Die hat Ray mir gegeben, kurz bevor ich zu dir in die Wohnung gegangen bin.«

»Okay.«
 

Am Hotel angekommen, parkten wir den Wagen, nahmen die Koffer und gingen direkt zum Zimmer. Ich schloss die Tür, hoffte, dass uns niemand aus dem Team gesehen hatte. Während ich mit meinem Koffer noch an der Tür stand und versuchte, alles zu verarbeiten, zog Seua seine Jacke und Schuhe aus, nahm seine Unterlagen und setzte sich, mit dem Rücken ans Kopfkissen gelehnt, auf das Bett. Er begann zu lesen. Ich fragte mich, ob es nicht besser gewesen wäre, ihn allein herkommen zu lassen. Laut der Drohung sollten wir nicht zusammen hier sein. Auch ich zog meine Jacke aus, verstaute den Koffer in der Ecke, nahm den Zettel mit. Vor dem Bett blieb ich stehen, sah ihn an: »Es ist nicht das erste Mal, dass sowas passiert, oder?«

Ohne aufzusehen, antworte er: »Nein, ist es nicht. Sowas kam schon ein paar Mal vor, aber es ist nie etwas passiert.«

Ich wusste es. Seua wollte offenbar nicht darüber reden, also ließ ich es bleiben. Trotzdem war ich sauer. Wie konnte er das einfach ignorieren? Genauso wie er, setzte ich mich auf das Bett, starrte diesen Zettel an, als könnte er mir irgendetwas sagen. Immer wieder fiel mein Blick auf dieses eine Wort. Cai. Cai. Cai. Ich war derart konzentriert auf diese Schrift, dass ich überhaupt nicht merkte, als der Tiger sich anschlich.

»Bist du sauer?«, flüsterte er in mein Ohr, seine Haare kitzelten mein Gesicht. Demonstrativ rückte ich von ihm weg: »Ja!«

Was auch immer er gerade vorhatte, das war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

»Weil ich dich zwinge, es niemandem zu sagen?«

»Nein! Weil du absolut kein Gefühl dafür hast, das als gefährlich anzusehen!«, rief ich.

Er ließ die Schultern sinken: »Ich habe nicht das Gefühl in Gefahr zu sein. Vor allem nicht, wenn ich bei dir bin, Cai.«

Das freute mich zwar, ändere aber nichts.

»Solltest du aber. Vor allem, wenn du bei mir bist. Du hast gesehen, was auf dem Zettel stand«, merkte ich an. Seufzend nahm er mir den Zettel aus der Hand und legte ihn weg:

»Und wie soll ich mein Versprechen halten, wenn ich nicht bei dir sein kann?«

Er strich mir mit der Hand über die Wange, doch für dieses eine Mal setzte ich alles daran, nicht nachgiebig zu werden.

»Dein Versprechen kannst du auch nicht mehr einhalten, wenn du tot bist«, erklärte ich. »Ich habe Angst, Seua. Du nicht?«

Er nahm mein Gesicht in beide Hände und drehte es zu sich: »Nein, weil ich nicht zulassen werde, dass sie mir Angst machen. Das sollten sie dir auch nicht. Cai, wir sind…für eine Weile sicher, das kann ich dir versprechen.«

Schon war es wieder um mich geschehen, dieser traurige Blick ließ mich einknicken.

»Was sollen wir denn machen, hm?«

»Ganz einfach. Du bist nicht mehr sauer auf mich und versuchst das auszublenden«, erwiderte er.

Ich seufzte: »Habe ich eine Wahl?«

»Nein.«

»Gut, aber du wirst mich nicht aufhalten, wenn ich versuche was herauszufinden?«, versicherte ich mich. Niemandem was zu sagen war das eine, aber das hieß nicht, dass ich nicht selbst ermitteln konnte.

»Solange es nicht irgendwelche lebensgefährlichen Missionen sind.«

Seua hatte dieses Talent, dass man einfach nicht lange sauer auf ihn sein konnte. Schon gar nicht mit diesem Hundeblick. Ich nahm seine Hände von meinem Gesicht, rückte näher zu ihm, legte ihm einen Arm um die Hüfte und kuschelte mich an seine Brust. Auch er legte seine Arme um mich. Ich hörte ihn lachen: »Wenigstens bist du nicht mehr sauer.«

»Mhm.«

Ich hörte seinen Herzschlag und nahm mir vor, diesen dämlichen Zettel für eine Weile zu vergessen.

»So kann ich aber nicht lernen, Cai.«

»Das brauchst du jetzt auch nicht mehr«, murmelte ich an seine Brust.
 

Zwei Wochen später waren wir immer noch im Hotel, es war nichts weiter passiert. Das hieß aber nicht, dass ich diese Drohung vergessen hatte oder nicht schon Recherchen angestellt hatte. Trotzdem war ich in erster Linie froh, dass wir normal arbeiten konnten. Für das Team war eine scheinheilige Ausrede, warum wir aktuell nicht in der Wohnung waren, ausreichend. Seua hatte ihnen was von Umbaumaßnahmen erzählt, lange hätten wir in diesem Hotel ohnehin nicht unerkannt bleiben können, weil das halbe Team hier wohnte. Gerade schleppte P’Joe unsere Koffer zum Auto, soweit ich wusste, drehten wir heute am Flughafen.

»Wofür brauchen wir denn die Koffer, P’Seua? Die haben doch normalerweise Requisiten«, um ehrlich zu sein, kam mir das ein bisschen spanisch vor. Ray und Seua waren in den letzten Tagen auffällig oft zum Telefonieren verschwunden, wollten danach aber nie sagen, worum es ging. Es gab Szenen im Drehbuch, die auf Amerika hinwiesen, da Nok auch das Austauschprogramm mitmachte. Daher der Dreh am Flughafen. Wie dem auch sei, irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie etwas planten.

»Das mit den Koffern ist eine Anweisung des Teams. Vielleicht reichen ihnen die Requisiten nicht.«

Seua mochte ein guter Schauspieler sein, gut lügen konnte er aber nicht.
 

Am Flughafen war nur ein Kernteam anwesend. Keine Kostüme, keine Maske? Was wird das hier? Das Team reihte sich vor mir auf: P’Joe, P’Sawa, P’Time, P’Amy, Fay, Noah, Ray und einige andere. In der Mitte stand Seua, er hielt einen Umschlag in der Hand. Skeptisch stand ich auf der anderen Seite, mitten in der riesigen Flughafenhalle. Seua winkte mich zu sich, gab mir den Umschlag in die Hand. Fragend sah ich ihn an, doch er sagte nichts. Als ich den Umschlag öffnete, riefen sie:

»Überraschung!«

Es war ein Flugticket nach Kalifornien. Meiner Heimat. Ungläubig sah ich alle an, mir stiegen die Tränen in die Augen. Sie hatten Seua zu ihrem Sprecher ernannt: »Ursprünglich war nicht geplant, die Szenen von »Wolfsherz« tatsächlich in Amerika zu drehen, aber das ganze Team hat beschlossen, zusammen mit dir in die Heimat zu fliegen und dort zu drehen. Für uns fühlt sich das einfach besser an, vor Ort zu drehen, außerdem kannst du es als Geschenk für deinen anstehenden Geburtstag sehen«, erklärte er.

Ich konnte es kaum fassen. So sehr ich Thailand und Asien liebte, ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich meine Heimat und meine Familie nicht vermisste. Ich sah mir das Datum auf dem Ticket an. Der Rückflug ging in zwei Wochen.

»Vielen Dank, Leute«, sagte ich mit einem Kloß im Hals. Sie alle kamen auf mich zu, um mich zu umarmen. Selbst nach der scheinbar kurzen Zeit waren sie wie eine zweite Familie für mich. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und wir machten uns auf den Weg.
 

Etliche Ausweis- und Sicherheitskontrollen später saßen wir endlich im Flieger. Ich saß am Fenster, neben mir Seua und P’Joe auf der Gangseite. Wir waren gerade gestartet und befanden uns kurz davor, in die ruhige Phase überzugehen. Der Rest vom Team war in einem anderen Flieger, schließlich mussten sie ziemlich viel Equipment mitschleppen. Ich konnte es kaum erwarten, ihnen meine Heimat zu zeigen und meine Familie zu besuchen, falls es möglich war.

»Ist Fliegen denn okay, P‘?«, ich musste an seine Höhenangst denken und damit war das vermutlich nicht so einfach.

»Solange ich nicht aus dem Fenster sehe, geht’s«, er starrte geradeaus auf den Sitz vor sich. Ich schloss die Fensterblende, damit er sich entspannen konnte. Er hatte sowohl seine Uniunterlagen, als auch das Drehbuch vor sich. Es machte Sinn, wenn man bedachte, dass der Flug fast einen ganzen Tag dauern würde. Ray und ich hatten das schon einmal hinter uns gebracht. Apropos Ray, der saß mit Noah ein paar Reihen hinter uns. Ich nahm Seuas Unisachen an mich, um sie mir anzuschauen. Englisch. Ich war zwar kein Sprachgenie, aber es interessierte mich, was sie lernten. Ich überflog kurz den Inhalt, sie sollen die wichtigsten Aussagen und schwierige Vokabeln herausarbeiten.

»Soll ich dir helfen?«

»Brauchst du nicht, Cai. Lern‘ du lieber deine Buchstaben«, erwiderte er. Die thailändischen Buchstaben machten mir immer noch zu schaffen. Aber es gab immerhin eine Sache, die ich schreiben konnte. Ich schnappte mir einen Stift von ihm und schrieb seinen Namen auf Thai. Zumindest den Spitznamen. Bewundernd sah er sich den Zettel an: »Nicht schlecht, Cai. Das ist schon mal ein Anfang.«

Ich gab ihm die Unterlagen zurück und beschäftigte mich mit den Buchstaben. Als ich mit Thai angefangen habe, hätte ich nie gedacht, dass man dabei so viel beachten muss. Seua hatte Recht, ich war viel zu faul gewesen, was das anging. Eine Weile konnte ich mir das auch ansehen, aber irgendwann wurde ich unruhig.

Ich stand auf, zog Seua mit mir. P’Joe schlief, er bekam nicht einmal mit, dass wir an ihm vorbeigingen. Es war ein großes Flugzeug, was jeweils in der Mitte fünf Sitze und an den äußeren Reihen drei Sitze hatte.

»Was hast du vor?«

»Ich wollte die Leute aus dem Team besuchen, außerdem muss ich mich bewegen.«

Wir bahnten uns den Weg durch die Reihen, wobei der Blick von manchen Leuten an uns hängen blieb. Wir waren vielleicht Stars, aber ich brauchte keine erste Klasse. Zunächst kamen wir bei P’Amy vorbei, die gerade einen Film schaute. Hinter ihr saßen P’Time und P’Sawa, die Karten spielten. P’Time sah auf: »Oh hi. Alles okay bei euch?«

»Ja. Ich wollte mir nur die Beine vertreten und schauen, was ihr so macht. Wer gewinnt?«, antwortete ich für uns.

Er seufzte: »Ich jedenfalls nicht. Schon seit drei Runden.«

»Soll ich das übernehmen?«, P’Time und ich tauschten die Plätze, sodass er jetzt mit Seua vor der Reihe stand. Es war ein japanisches Kartenspiel und P’Sawa erklärte mir die Regeln, die recht einfach zu verstehen waren. Am Anfang musste ich erst die Strategie herausarbeiten, aber dann gewann ich eine Runde nach der anderen. Ich stand auf, gab P’Time die restlichen Karten in die Hand: »Viel Glück noch.«

»Danke, Cai. Vielleicht gewinne ich jetzt mal selbst.«

P’Sawa schüttelte den Kopf: »Ja, aber nur, wenn ich noch mit dir spiele.«
 

Seua und ich gingen weiter. Die meisten aus dem Team schliefen oder waren beschäftigt, also grüßten wir nur und ich beschloss nicht zu stören. Doch bevor wir zum Platz zurückgingen, wollte ich unbedingt schauen, was Ray trieb. Als wir an der Reihe ankamen, sah ich, dass auch er schlief. Er und Noah hatten ihre Köpfe aneinandergelegt, die Finger ineinander verschränkt. Also spätestens jetzt wäre es lächerlich noch irgendetwas abzustreiten. Ich holte mein Handy raus und machte ein Foto. Das hat man eben davon, wenn man mir nichts erzählt. Wir hatten aber davon abgesehen auch nicht viel Zeit gehabt, miteinander zu reden. Nach ein bisschen rumlaufen, ging es mir besser und ich ließ mich auf meinen Platz fallen.

»Was hast du mit diesem Foto vor?«, fragte Seua und deutete auf mein Handy.

»Damit kann ich Ray erpressen, falls er mir nicht die Wahrheit sagen will«, für mich war das eine absolut legitime Methode, doch Seua sah das anders.

»Musst du denn wirklich Verhörmethoden bei ihm anwenden?«

»Offenbar schon.«

Seua legte seinen Kopf an meine Schulter: »Und was ist mit dir? Wirst du ihm denn die Wahrheit sagen?«

»Klar. Im Gegensatz zu ihm, mache ich kein Geheimnis aus unserem Plan«, sagte ich schnell.

Was Seua nicht wusste war, dass Ray den Plan an sich kannte, nur wusste er nicht, dass wir seit diesem einen Tag auf der gleichen Seite waren.
 

Endlich standen wir vor dem Flughafen in San Francisco. Es war gegen drei Uhr nachmittags und die Sonne schien uns entgegen. Es fühlte sich gut an, wieder in der Heimat zu sein. Alles war vertraut. Diesmal war ich es, der sich auskannte. Ich sah, wie Busse vorfuhren, die uns vermutlich zum Hotel bringen würden. Doch wir stiegen nicht ein, stattdessen kam uns P’Joe entgegen: »Khun Cai, Khun Seua. Folgt mir bitte.«

Noch vor einem Tag dachte ich, wir würden einfach normal drehen, doch jetzt war ich Zuhause. Ich konnte es immer noch kaum glauben. P’Joe brachte uns zu einem schwarzen Van. Ich wusste nicht, warum wir nicht bei den anderen mitfahren konnten, doch ihm würde ich vertrauen. Als wir losfuhren kam mir die Gegend seltsam bekannt vor. Es war einer dieser Vororte, in dem die Häuser an einer ruhigen Straße lagen. Sie waren niedrig gebaut, die meisten hatten eine Garage und einen Garten. An einem dieser Häuser blieben wir stehen und meine Familie erkannte ich sofort. Das ist, als befände man sich in einer riesigen Menschenmenge, alle Gesichter waren verschwommen, aber ihre konnte ich deutlich erkennen. Ich sprang nahezu aus dem Wagen und fiel ihnen in die Arme. Auch Mica, unser kleiner Hund, konnte sich vor Freude kaum halten. Nach der Gruppenumarmung sah ich in drei lächelnde Gesichter. Mom, Dad und mein Bruder.

»Willkommen Zuhause, Cai. Habt ihr den langen Flug gut überstanden?«, fragte sie.

»Einigermaßen, ja. Es ist schön, euch wiederzusehen.«

Seua und P’Joe luden die Koffer aus, auch sie wurden zuerst von Mica begrüßt. Ich beobachtete, wie er an Seua hochsprang, doch der ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Er schien eher begeistert zu sein. Ich sah meine Familie verwirrt an, weil ich nicht wirklich verstand, was wir mit den Koffern hier wollten.

»Bleiben wir hier?«

Seua legte mir einen Arm um die Schulter: »Ja. Das Team wird im Hotel übernachten, aber deine Familie war so nett uns beide aufzunehmen. Außerdem werden wir hier drehen.«

Fragend sah ich meine Mom an, sie grinste: »Die Familie von Wolf steht vor dir.«

Was? Meine Leute sollten in der Serie mitspielen? Das wurde immer verrückter.

»Echt jetzt?«, ich wusste gar nicht, worüber ich mich zuerst freuen sollte.

Mein Bruder schlug mir lachend auf den Arm: »Glaubst du ehrlich wir würden uns die Chance entgehen lassen, im thailändischen Fernsehen zu sein?«

Ich konnte nur noch den Kopf schütteln, diese ganze Sache war einfach zu unwirklich.

»Aber am besten wir stellen uns noch mal vor. Ich bin Ellie, das ist mein Mann Eric und mein anderer Sohn Mitch«, sagte sie zu Seua. Der löste sich von mir und gab ihnen die Hand.

»Seua. Freut mich.«

Mom stieß meinen Dad an: »Eric, stell‘ dir vor wir werden einen echten thailändischen Star im Haus haben!«

Ich verschränkte die Arme: »Wow, Mom. Ich bin kein Star, oder was?«

Sie wuschelte mir versöhnlich durch die Haare: »Doch bist du.«

Wir lachten. Dann gingen wir zusammen rein, Mitch und Dad halfen mit den Koffern. Mein Zimmer war auf der ersten Etage, dort stellten wir unsere Sachen ab. Es hatte sich nichts verändert, seitdem ich gegangen war. Ich lebe auch noch zuhause, doch durch die Serie, die ich vor Thailand gedreht habe, war ich nur selten hier gewesen. Davor hatte ich am College gewohnt, doch war dann auch wieder zurückgekommen. Seua sah sich neugierig um. Das Zimmer liegt unter einer Dachschräge, in der Mitte, direkt unter dem Dachfenster stand mein Bett. Ich mochte das immer besonders, weil man vom Bett aus den Nachthimmel sehen konnte. Rechts stand mein Kleiderschrank, dort in der Ecke stellten wir die Koffer ab. Links war das Herzstück meines Zimmers, nämlich der Schreibtisch mit meinem Computer. Dort hingen einige Poster, die ich aus dem College mitgebracht hatte. Neben der Lampe am Bett, hatte ich eine Lichterkette über dem Schreibtisch. Mom hatte natürlich aufgeräumt, der Rest befand sich vermutlich, laut meiner Definition von Aufräumen, in irgendwelchen Schubladen.

»Ich hoffe es ist in Ordnung für dich, Seua. Es ist zwar abgesprochen, aber es ist eben nur unser bescheidenes Häuschen.«

Das wusste sie natürlich nicht, aber Seua war der letzte den ich kannte, der mit irgendwelchen Star-Allüren um die Ecke kam. Andererseits wohnte er im Penthouse in der Großstadt.

»Mach‘ dir keine Gedanken, Ellie. Ich werde mich bestimmt hier wohlfühlen«, sagte er und lächelte sie an. Erleichtert nickte sie: »Okay. Dann ruht ihr euch am besten aus. Ich wecke euch dann zum Abendessen.«

Mom verschwand und schloss die Tür hinter sich. Eigentlich sollte man wegen des Jetlags nicht tagsüber schlafen, aber mir fielen schon so die Augen zu. Noch dazu kam die Aufregung, dass ich meine Familie wiedersehen und zuhause sein konnte. Wir legten uns hin, Mica hatte es sich direkt neben mir gemütlich gemacht. Keine fünf Minuten später war ich eingeschlafen.
 

Nur die kleine Lampe neben meinem Bett spendete etwas Licht, denn als ich aufwachte, war es draußen schon dunkel. Das war einer der Momente, in denen man sich erst einmal fragte, welches Jahr überhaupt ist. Völlig verwirrt stand ich auf, musste erst feststellen, wo ich überhaupt war. Besser ging es mir nicht, ganz im Gegenteil. Das Schlafen mitten am Tag hatte die Müdigkeit nur schlimmer gemacht. Ich schüttelte mich, versuchte nicht direkt wieder umzukippen. Mica schlief noch immer wie ein Stein, vorsichtig streichelte ich seinen Kopf. Ich ging zur Tür raus, dort stand Seua. Lachend fuhr er mir durch die Haare: »Du siehst nicht gerade ausgeschlafen aus, Cai.«

Ich lehnte mich an ihn. Es war gut hier zu sein, aber es war noch besser, mit ihm hier zu sein.

»Bin ich auch nicht«, murmelte ich im Halbschlaf. Gemeinsam gingen wir runter, wo sie mit dem Essen auf uns warteten. Das grelle Licht im Esszimmer blendete mich. Da sah ich Seua erst richtig, doch im Gegensatz zu mir sah er aus wie das blühende Leben. Unfair. Wir setzten uns an den Tisch, da hörte ich, wie Mica die Treppe runterkam. Typisch. Wenn es ums Essen ging, konnte er auch von den Toten auferstehen. Hunde eben. Mitch stieß mich an: »Na, Zombie. Ich wollte gleich mit Seua zur Bay runterfahren. Falls du weiterschlafen willst, lassen wir dich hier.«

Für einen Moment klang das sogar ziemlich verlockend. Warte. Mein Bruder alleine mit Seua? Nur über meine Leiche. Was die sich gegenseitig erzählen würden, wollte ich gar nicht wissen.

»Passt schon, Spinner. Die frische Luft wird mir guttun.«

Wir aßen, doch ich sah, dass meine Mutter Seua fasziniert betrachtete.

»Seua?«, fragte sie mit Engelsstimme. Ich glaube auf die musste ich auch aufpassen.

»Ja?«

»Es stört dich hoffentlich nicht, wenn ich ein paar Fragen stelle, oder? Es tut mir leid, ich bin immer so neugierig.«

Seua war nett, also würde er ohnehin nicht ablehnen: »Natürlich nicht, Ellie.«

»Ach, nenn‘ mich ruhig, Mom.«

»Okay.«

Beim Essen fragte sie ihn über seine Karriere aus, ich hörte mit einem Ohr hin, nur die Sachen, die ich noch nicht wusste, nahm ich bewusst wahr. Selbst Dad und Mitch hörten aufmerksam zu. Ich schmollte vor mich hin. Wenn sie schon nicht meine Fans waren, dann wenigstens seine.

»Ja, es macht sehr viel Spaß mit Cai zu drehen«, hörte ich ihn sagen. Das war genug für mich, um wach zu bleiben.
 

Bevor meine Mom weiter ins Schwärmen geriet, machten wir uns mit Mitch auf den Weg zur Bay. Grinsend gab Mitch mir eine Taschenlampe in die Hand.

»Was soll dieses Grinsen, Mitch? Als ob du im Dunkeln besser siehst als ich.«

Auch er war wie meine Mutter nachtblind. Nur mein Vater war es nicht. Aber auch er hatte sich daran gewöhnt, dass selbst nachts in jedem Raum eine Lampe leuchtete.

»Ach nichts«, gab er zurück.

Die Fahrt dauerte nicht lange, Mitch parkte das Auto und wir gingen runter zum Wasser. Ich liebte diesen Ort, nicht nur, war man direkt an einem kleinen Strand, sondern konnte auch von hier aus die beleuchtete Golden Gate sehen. Auch wenn ich davon maximal Umrisse sehen konnte. Da musste auch Seua für einen Moment staunend stehen bleiben. Wir schlenderten am Strand entlang, nebeneinander, Mitch lief zum Glück zwischen uns. In diesem Fall konnte Seua nicht auf komische Ideen kommen, denn vor meinem Bruder wäre mir das doch ein bisschen peinlich.

»Benimmt Cai sich drüben bei euch?«

Ähm. Er sah zwar nicht viel im Dunkeln, aber wusste schon noch, dass ich dabei war, oder? Seua lachte: »Natürlich. Er versteht sich mit allen aus dem Team und hat sich auch schon mit einigen angefreundet. Aber das wirst du spätestens sehen, wenn wir drehen, Mitch.«

»Nicht schlecht, Bruder. Aber mach‘ keinen Ärger, denk‘ dran, du vertrittst uns quasi da drüben«, sagte er und stieß mich an.

»Ich bin Schauspieler, kein Botschafter, Mitch. Wieso kommst du darauf, dass ich denen Ärger machen sollte?«

»Weiß‘ nicht. Liegt vielleicht daran, dass ich deine Aktionen damals immer vor unseren Eltern ausbaden musste…«, sagte er mit einer langen Kunstpause.

»Du kannst es einfach nicht lassen, oder?«

»Nee«, freundlich knuffte er Seua in die Seite: »Es macht einfach Spaß, Cai zu ärgern, oder?«

»Jap.«

Dass er das sagen würde, war mir klar. Die frische Luft ließ mich etwas wacher werden. Mitch lief vor, leuchtete auf den Boden, als würde er etwas suchen. Seua nahm meine Hand und ich ließ es zu. Wir liefen eine Weile weiter, genossen die Geräusche des Meeres und den Schutz der Dunkelheit. Meine Müdigkeit wurde von einem anderen Gefühl abgelöst, Geborgenheit. Ich war zuhause, wir mussten keine Gefahren fürchten, meine Familie und Seua waren da und ich konnte die Arbeit machen, die ich liebte. Ich war glücklich. Als Mitch sich umdrehte, ließ ich reflexartig Seuas Hand los. Er kam auf mich zu und blieb vor mir stehen. Mitch breitete seine Arme aus, ich verstand und ließ mich von ihm in eine lange Umarmung ziehen.

»Ich bin froh, dass du hier bist. Wir sehen uns viel zu selten.«

Das konnte ich nicht abstreiten. Dadurch, dass er nicht mehr bei unseren Eltern wohnte und ich wegen der Arbeit viel unterwegs war, sahen wir uns wirklich selten. Es war schön zu wissen, dass es irgendwo auf der Welt jemanden gab, von dem man vermisst wurde. Mitch trat zurück, legte mir die Hände auf die Schultern.

»Vielleicht sagen es Mom und Dad dir nicht, aber wir sind alle unglaublich stolz auf dich, Cai. Es ist bewundernswert, dass du so mutig bist, alles für deinen Traum durchzuziehen.«

»Danke. Aber jetzt hör‘ auf, sonst muss ich noch heulen.«
 

Die Arbeit ging weiter und unser sonst so ruhiges Haus hatte sich am nächsten Morgen in einen Bienenstock verwandelt. Wir wollten Noks Ankunft in Amerika drehen und noch eine Szene, die mir ein bisschen Kopfzerbrechen bereitete. Aber ich wollte nicht darüber nachdenken, daher beobachtete ich lieber das bunte Treiben. In unserem Garten wurden mehrere Zelte aufgebaut, für die Maske, die Technik und das Catering. Ich hoffte wirklich, dass sie nicht alles aus Thailand anschleppen mussten. Ich stand in der Terassentür, ständig huschte jemand an mir vorbei. Zwischen den ganzen Leuten rannte Mica hin- und her, wusste nicht, wen er als nächstes anschnuppern sollte. Die Dekorateure richteten das Haus her, P’Sawa baute seine Station auf, wo meine Familie schon bereit saß. Auch sie beobachteten alles neugierig. Sie kannten das schließlich nicht live. Gerade als ich meinen Posten verlassen wollte, weil ich das Gefühl hatte, im Weg zu stehen, legte Seua seine Arme um meinen Bauch, seinen Kopf auf meine Schulter. Ich versuchte mich zu befreien, wollte nicht, dass sie mich sahen. Doch er ließ mich nicht.

»P‘, was machst du?«, ich wandte mich in seinem Griff, doch spätestens seit der Sache im Wohnwagen sollte ich wissen, dass ich keine Chance hatte. Ich hoffte einfach, dass sie zu sehr mit dem Beobachten beschäftigt waren. Wenn ich wollte, dass er mich losließ, musste ich mir etwas einfallen lassen. Mir fiel auch etwas ein, aber es war ziemlich gewagt und sprach komplett gegen meinen Plan. Andererseits wäre es ein bewährtes Mittel ihm zu entkommen. Was solls. Ewig würde ich es ohnehin nicht verstecken können. Ich passte den Moment ab, drehte mich in seinen Armen um, unsere Gesichter kaum einen Zentimeter voneinander entfernt. Kurz sah ich mich um, doch niemand schien uns groß zu beachten. Dann sah ich ihm in die Augen und küsste ihn auf den Mund. Ganz kurz. Für den Bruchteil einer Sekunde. Überrascht ließ Seua seine Arme fallen und ich war frei.

»Geht doch«, sagte ich zwinkernd und verschwand dann in Richtung Hauseingang, wo sich die wenigsten Leute aufhielten. Ich hörte noch, wie jemand ihn fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich schloss die Eingangstür hinter mir, lehnte mich an die Wand daneben. Ich nahm mir einen Moment, um mich zu beruhigen. Ich sah meine zitternden Hände, steckte sie in die Hosentaschen, damit es aufhörte. Seit wann war ich so mutig? Und was war eigentlich mein Problem? Ich hatte ihn doch schon geküsst. Tatsächlich wurde mir ziemlich schnell klar, wo das Problem lag. Diesmal kam es nicht von ihm oder von Wolf, sondern von mir, Cai. Außerdem war es vor dem ganzen Team und meiner Familie, vor denen ich doch eigentlich mit unserem Plan nicht hausieren gehen wollte. Ich bin ein Idiot, soviel stand fest. Wenn mich jetzt jemand damit ärgern wollte, war ich selbst schuld. Dennoch, das geschockte Gesicht von Seua zu sehen, war es auf jeden Fall wert. Ich erschrak, als plötzlich jemand aus dem Team vor mir stand: »Khun Cai, deine Familie sucht dich.«

Hatten sie etwa..nein, bestimmt nicht. Ich lächelte sie an: »Du kannst ruhig Cai sagen. Du bist?«

Für mich war jeder aus dem Team wichtig und ich wollte so viele von ihnen kennenlernen, wie es ging. Doch sie schient überrascht von dieser Frage: »Ähm..mein Name ist Flower, ich bin für die Deko zuständig.«

Stimmt. Mir fiel auf, dass sie Bretter unterm Arm trug. Im Weggehen sagte ich noch: »Schön dich kennenzulernen. Danke für die gute Arbeit.«

An der Maske sah ich, dass meine Leute schon fertig waren. Zu meiner Belustigung stellte ich fest, dass Seua immer noch dort stand. Ich stellte mich mit klopfendem Herzen vor meine Familie, sie waren geschminkt und vom Kostümteam angezogen worden. Mom drehte sich, sah immer wieder in den Spiegel: »Sehen wir nicht gut aus, Cai? Ach, wenn ich doch immer nur den lieben Sawa hier hätte, dann müsste ich mir nie wieder Gedanken darüber machen, alt auszusehen.«

Natürlich musste sie mal wieder übertreiben, aber es stand ihnen wirklich sehr gut. P’Sawa war ziemlich talentiert, das stimmte. Ich war in erster Linie froh, dass es nicht um Seua ging. Für mich war es auch schön, dass sie mal sehen, wie meine Arbeit ablief. Das machte es vielleicht einfacher, das ein oder andere nachzuvollziehen. P’Sawa verbeugte sich: »Du machst mich ganz verlegen, Ellie. Wenn du willst, kann ich dir ein paar ganz einfache Tricks verraten.«

Während die beiden sich mit dem Make-Up beschäftigten und Dad eifrig das Drehbuch las, wandte ich mich an Mitch: »Bereit?«

Er grinste mich unsicher an: »Ich weiß nicht. Sie geben uns diese einmalige Chance, da hat man schon Angst, das zu versauen. Ich habe noch nie vor einer Kamera gestanden.«

»Wie du siehst, sind die Leute aus dem Team alle sehr nett. Ihr seid am besten einfach wie immer, da kommt man schnell rein«, noch während ich das sagte, ging ich selbst auf den Stuhl auf den P’Sawa deutete. Mitch drehte sich zu mir um: »Das will ich hoffen. Aber ich bin echt gespannt, meinen Bruder bei der Arbeit zu sehen.«
 

Wolfsherz – Szene 6 –
 

Mit den Koffern standen wir vor der Tür meines Elternhauses. Ich freute mich total darauf, meinem Freund mein Zuhause zeigen zu können. Nur durch das Programm haben wir diese Chance bekommen. Den ganzen Flug über war Nok sehr hibbelig gewesen, ich glaube, er hat überhaupt nicht geschlafen. Auch ich war aufgeregt, denn meiner Familie würde ich nichts vormachen, so viel stand fest. Ich klingelte, wusste, dass sie uns schon erwarteten. Meine Mom machte die Tür auf, begrüßte mich mit einer stürmischen Umarmung.

»Schön, dass du hier bist.«

Ich erwiderte die Umarmung: »Danke. Ich habe euch vermisst.«

Seit ich in Thailand war, war schon ein halbes Jahr vergangen, in dem ich sie nicht gesehen hatte. Sie rieb Nok den Arm, der sie eingeschüchtert ansah.

»Du bist Nok, richtig? Herzlich Willkommen. Aber jetzt kommt erst mal rein, Jungs. Euer Flug war bestimmt anstrengend.«

Ich half Nok mit den Koffern, die wir im Flur abstellten. Nok wollte im Flur stehen bleiben, doch ich zog ihn ins Esszimmer. Dort saßen mein Bruder und mein Dad schon am Tisch. Sie stellen sich vor. Auch Mom setzte sich dazu, ich blieb mit Nok vor dem Tisch stehen. Das war meine Chance. Jetzt oder Nie. Es war das erste Mal, dass ich meiner Familie jemanden vorstellen würde. Ich atmete noch einmal tief aus, nahm dann Noks Hand. Er zuckte zusammen.

»Also, das ist Nok. Er ist Student aus dem Austauschprogramm und..er ist auch mein fester Freund.« Schockiert sahen sie mich an.
 

»Okay, hier unterbreche ich euch mal für einen Moment. Also, Ellie, Eric, Mitch, ihr macht das gut bisher, aber ich brauche nach diesem Geständnis eine natürlichere Reaktion. Versucht nicht so zu wirken, als hätte Wolf euch einen Mord gestanden. Eher in die Richtung ungläubig. Es ist in Ordnung, wenn ihr einfach denkt, dass das Geständnis von Cai selbst kommt. Wie würdet ihr darauf als Mutter, Vater und Bruder reagieren? Keine Sorge, es ist euer erstes Mal, da ist es ganz normal, dass man die Reaktionen ein bisschen übertreibt. Alles klar, Cai, Seua noch mal auf Anfang«, ließ der Regisseur über Funk verlauten. Ich glaubte, dass es sogar schwieriger war, sich selbst zu spielen, als jemand anderen. Aber es war mir egal, wie oft wir das machen müssen, es war etwas Besonderes, sie dabei haben zu können. Bevor wir zur Anfangsposition zurückgingen, zeigte ich ihnen noch einen Daumen nach oben. Außerdem hatten sie noch ein paar Tage und Szenen Zeit, in alles reinzukommen.
 

Wolfsherz – Szene 6 –
 

»Nok und ich sind zusammen«, ich hielt seine Hand fest. Ängstlich sah ich in ihre Gesichter, doch es war schwierig eine genaue Reaktion zu erkennen. Mitch nickte beeindruckt: »Cool. Es ist das erste Mal, dass wir einen Partner von dir kennenlernen, Wolf.«

Auch mein Dad schüttelte den Kopf: »Du brauchst deswegen doch nicht nervös zu sein. Jemand, den du magst, ist bei uns immer willkommen.«

Ich war erleichtert, dass sie es einfach hinnahmen, nur der geschockte Blick von meiner Mutter verwirrte mich. Mit großen Augen schüttelte sie den Kopf und ich wollte gerade etwas sagen, da kam sie mir zuvor: »Wolf.. du hast so einen guten Geschmack, das hast du auf jeden Fall von mir.«

Wir lachten. Ich hätte wirklich mit allem gerechnet, aber nicht damit. Ihr Blick wandelte sich in einen liebevollen: »Dein Vater hat es schon gesagt, es gibt keinen Grund, es wie ein Geständnis zu behandeln. Wir wären die letzten, die irgendetwas dagegen hätten.«
 

»Alles klar. Ab jetzt machen wir daraus eine Montage, ihr unterhaltet euch normal weiter, lacht auch gerne viel. Ihr solltet euch auch vor allem an Nok wenden, dass es aussieht, als würdet ihr ihm Fragen stellen. Sobald wir genug Material zusammenhaben, geben wir Bescheid.«

Auch die Montage bekamen wir gut hin, langsam kamen sie ein bisschen rein. Wir bereiteten die nächste Szene vor, in der meine Familie Nok das Haus und den Garten zeigen sollte. Das würde Dads großer Auftritt sein, daher war er auch schon wieder ins Drehbuch vertieft. Für diese Szene hatte Flowers Team das Haus ein bisschen umgestaltet, Mom schien es zu gefallen.
 

Wolfsherz – Szene 6 –
 

Mein Dad legte Nok in typisch, amerikanischer Manier einen Arm um die Schulter. Er lief mit ihm durch das Haus, erklärte ihm wo sich alles befand. Wir liefen hinterher und ich achtete genau darauf, was er erzählte.

»Ach und solange du hier bist, keine falsche Bescheidenheit, bitte. Du kannst dich auch am Kühlschrank bedienen. Du musst nicht fragen.«

Ich musste grinsen, weil ich genau wusste, dass Nok sowas nie im Leben machen würde, aber lieb war es trotzdem.

»Also auf der zweiten Etage sind die Zimmer von Mitch und Wolf.«

Dad beeilte sich mit ihm zur Terassentür zu kommen, denn dahinter befand sich schließlich das Herzstück des Hauses: Der Garten. Ich befürchtete, dass er stundenlang darüber reden könnte.

»Den Garten habe ich damals mit meinem Bruder gestaltet. Er hat Landschaftsbau studiert und wir hatten zwar nicht viel Geld, aber er hat mir versprochen, dass wir das auch so schaffen. Also sind wir in den Baumarkt, wo wir natürlich erst mal..«

Ich sah, dass Nok sich wirklich anstrengte ihm zuzuhören, doch es sah nicht aus, als würde er sich wohlfühlen. Ich nahm Dads Arm von seiner Schulter: »Es ist lieb von dir, Dad, aber wir sind müde und die Details hören wir uns ein anderes Mal an, okay?«

Tief im Inneren hoffte ich jedoch, dass er es einfach vergaß. Mom und Mitch lachten. Sie kannten das Problem mit dem Garten, was jedes Mal zur Sprache kam, wenn Besuch oder Freunde da waren. Einige von Ihnen kannten die Story sicherlich auswendig. Ich nahm Nok an der Hand mit hoch auf mein Zimmer, das würden sie uns in dieser Situation bestimmt nicht übelnehmen. Wir würden noch genug Zeit zum Reden haben. Das Austauschprogramm sah nur vor, dass der Student in die Familie des Anderen ging, kein festes Programm. Ich stellte mich also auf einen schönen Urlaub mit Nok und meiner Familie ein. Er sah sich neugierig in meinem Zimmer um. Ich legte mich aufs Bett, die Müdigkeit nahm langsam Überhand. Nok blieb stehen, doch ich klopfte neben mich.

»Du musst dich ausruhen, Nok. Komm‘ schon, ich bin dein Freund«, ein kleines Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. Zögerlich legte er sich neben mich, hielt aber seinen Abstand ein. Ich musste keine Zurückweisung mehr fürchten, also zog ich ihn zu mir. Immer wieder sah er mich an, als müsste er sich vergewissern, dass es in Ordnung war. Er legte mir seinen Kopf auf die Brust, dann hörte ich ihn leise lachen.

»Ich höre dein Herzklopfen, P’Wolf.«

Ich fuhr ihm mit der Hand durch die Haare, vermutlich konnte er hören, wie mein Herzschlag schneller wurde.

»Manchmal glaube ich, dass alles nur ein Traum ist«, sagte ich.

»Ich weiß, was du meinst, P’Wolf. Als du angekommen bist, hast du mir eine große Veränderung prophezeit, aber dass sie so groß wird, hätte ich nicht gedacht.«

Er legte auch seinen Arm um mich. Jede Geste von ihm war bedacht und vorsichtig.

»Das wäre nicht dazu gekommen, wenn du dich nicht an dem Programm angemeldet hättest, Nok. Es muss dich viel Überwindung gekostet haben.«

»Aber bestimmt nicht so viel, wie für dich nach Thailand zu kommen. Danke, P‘«, der sanfte Tonfall in seiner Stimme ließ mich fast schmelzen.

»Vielleicht. Aber es war die beste Entscheidung meines Lebens.«
 

»P‘Seua, willst du nicht aufstehen?«, fragte ich ihn. Wir waren gerade mit dem Dreh fertiggeworden und diesmal sah nicht nur das Team zu, sondern ein paar mehr neugierige Augen.

»Ich lieg‘ gerade so gut, Cai.«

Das war bestimmt seine Rache für heute Mittag. Peinlich berührt schob ich ihn von mir und wir standen auf. Seit wir da waren, sah ich meine Familie nur zusammen unterwegs. Die Neugier war bei uns allen ziemlich ausgeprägt. Natürlich entgingen mir Moms strahlende Augen nicht.

»Das war unglaublich süß! Cai, du sahst so verliebt aus! Und Seua, es ist krass, wie du dich verwandeln kannst!«, sie kam kaum aus dem Staunen heraus. Meine Gedanken stolperten über dieses Wort. Verliebt? Ich musste schlucken. Ich hatte das Gefühl, dass ich das nicht zum ersten Mal hörte.

»Ich kann es kaum erwarten, eure Serie endlich zu sehen. P’Star hat uns versprochen, uns exklusiv die Serie zukommen zu lassen, wenn sie fertig ist. Vielleicht werden wir ja auch zur Premiere eingeladen. In Thailand war ich auch noch nie.«

»Ganz ruhig, Mom. Aber ich freue mich auch, das Ergebnis zu sehen. Ach, und Dad?«

Er hatte nur die ganze Zeit dabeigestanden und zugehört.

»Ja?«

Ich zeigte ihm zwei Daumen nach oben: »Ich glaube du bist ein Naturtalent.« Zu meiner Überraschung klopfte er sich selbst auf die Schulter: »Na, von irgendwem musst du das ja haben.«
 

Sie nahmen Seua mit, befahlen mir auf dem Zimmer zu bleiben, nachdem das Team alles abgebaut hatte. Widerwillig ließ ich mich darauf ein. Keine Ahnung, was sie geplant hatten. Aus Langeweile rief ich Ray an, der sich den ganzen Tag nicht hatte blicken lassen.

»Na, Manager. Hast du was anderes zu managen als mich?« Ich konnte beinahe hören, wie er den Kopf schüttelte.

»Ja. Was ich heute gemanagt habe, wirst du später sehen. Und das konnte ich ruhigen Gewissens tun, weil ich weiß, dass sie auf dich aufpassen.«

»Von mir aus. Hat dir das Team erzählt, wie es am Set war?«

»Teilweise. Wieso?«

In seiner Stimme schwang sofort Sorge mit. Das war seine Berufskrankheit, man konnte nichts sagen, ohne dass Ray gleich einen Weltuntergang vermutete.

»Es war richtig cool. Denk‘ doch mal drüber nach, meine Familie, unser Haus und mein Zimmer kommen in »Wolfsherz« vor! Außerdem sind wir natürlich eine Familie von talentierten Schauspielern. Deswegen hat alles super geklappt und das Team war zufrieden.«

»Das klingt gut. Ich kann mir vorstellen, dass es dir noch mehr Spaß macht, wenn sie dich arbeiten sehen können.«

»Absolut. Ich bin gerade einfach glücklich, Ray.«

»Das habe ich noch nie von dir gehört, Cai. Das liegt aber nicht nur daran, dass die Serie gut läuft, oder?«

»Vielleicht.«

Nach einer gefühlten Ewigkeit durfte ich endlich mein Zimmer verlassen, es war mittlerweile dunkel. Als ich die Tür zum Garten öffnete, standen das Team, meine Familie und Seua davor. Fasziniert sah ich mich um. Sie hatten den Garten mit Lichtern geschmückt, hatten Tische und Stühle mit Essen und Getränken aufgestellt. Das war alles sehr schön, aber gab es denn etwas zu feiern?

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Cai!«, sagten sie im Chor. Ich lachte. Stimmt, da war was. Über die Aufregung herzukommen, hatte ich das ganz vergessen. Mom umarmte mich, rieb mir den Rücken: »Ich bin stolz auf dich. Du bist so in deine Arbeit vertieft, dass sogar deinen Geburtstag vergisst.«

»Danke, Mom.«

Alle besorgten sich etwas zu trinken, damit wir anstoßen konnten. Das hatten wir uns alle verdient. Nach dem Anstoßen verteilte Mom die Leute an die Tische und ich konnte direkt sehen, dass sie sich mit allen gut verstand. Sie versprach mir noch, dass es später auch noch Torte geben würde und wir begannen zu essen.
 

Im Laufe des Abends nahm Mitch mich zur Seite, wir standen vor einem Zaun unter einer Lichterkette, abseits vom bunten Treiben. Mitch wusste genau, dass mich diese Atmosphäre immer nachdenklich und nostalgisch werden ließ, die beste Zeit, um von mir ehrliche Antworten zu bekommen. Er stieß mit mir an: »Auf dich.«

»Auf mich. Und wie war das heute? Dein erstes Mal vor der Kamera?«

»Ich hätte nie gedacht, dass eine scheinbar einfache Szene, so ein Aufwand ist. Das war superinteressant, dabei zu sein. Ich freue mich schon richtig auf die nächsten Szenen. Bei dir und Seua sieht das einfach aus.«

Ich winkte ab: »Ist es aber nicht. Ich habe auch meine Zeit gebraucht, reinzukommen. Wichtig ist einfach, dass man versucht sich voll in die Szene reinzudenken, das Team und die Kameras auszublenden.«

Mitch trank einen Schluck, dann nickte er: »Da merkt man eben den Unterschied zwischen Laien und Profis.«

»Profi, ich? Klar. Aber lass‘ uns nicht die ganze Zeit über mich reden. Wie läufts mit deiner Freundin?«

Diesmal war er es, der abwinkte: »Dann ist es mir schon lieber, über dich zu reden. Wir haben im Moment so ein On/Off-Ding am Laufen. Ich habe keine Ahnung, wo das noch hinführt. Vielleicht will ich es auch gar nicht wissen.«

»Wieso? Willst du dich trennen?«

»Ich denke drüber nach.«

Es klang traurig, aber bei Mitch war das normal. Er war dafür bekannt, sehr viele Beziehungen zu haben. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich seine Freundinnen noch an zwei Händen abzählen konnte. Mitch drehte sich zum Zaun um, legte seine Hand darauf und sah in die Dunkelheit.

»Können wir jetzt wieder über dich reden?«

Ich seufzte: »Haben wir das nicht schon genug?«

»Nein. Es gibt noch etwas, was mich interessiert. Du und Seua. Ihr seid mehr als nur Drehpartner und Freunde, oder?«, neugierig sah er mich an. Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Es war vielleicht nicht sonderlich schwer darauf zu kommen, aber bisher wussten nur Seua und ich davon.

»Warum?«

Er wandte seinen Blick wieder ab: »Wenn man euch beobachtet, fällt eben sofort auf, dass ihr keine normale Distanz zueinander habt. Achso und naja, ich küsse Leute, mit denen ich befreundet bin auch normalerweise nicht.«

Dann wurden wir also doch gesehen. Gut, das Risiko kannte ich. Ich lehnte mich rücklings gegen den Zaun: »Wir versuchen gerade rauszufinden, ob wir mehr als nur Freunde sind, Mitch.«

Er nahm die gleiche Haltung ein wie ich, sah mich erstaunt an: »Das klang verdammt erwachsen, Cai. Aber irgendwie war mir das klar. Wie kam es dazu?«

Seine offene Haltung und sein ehrliches Interesse machten es mir leichter, darüber zu sprechen.

»Seua flirtet eben gerne und wenn man solche Serien dreht, verbringt man zwangsläufig viel Zeit miteinander. Aber irgendwann fing es an, dass sich die Ereignisse in der Serie und im echten Leben vermischten und naja«, ich machte eine kurze Pause. »Dann haben wir uns geküsst. Außerhalb der Serie oder des Sets. Wir haben darüber gesprochen und versuchen seitdem herauszufinden, ob es unsere eigenen Gefühle sind oder die der Charaktere.«

Ich fokussierte eine der Lampen mit meinem Blick. Im Hintergrund sah man, wie sich alle rege unterhielten.

»Wow, das ist mal ne Story, Cai. Das könnte man auch direkt verfilmen. Aber, was macht ihr, wenn wirklich alles echt ist? Ihr seid Stars und wohnt nicht gerade nebeneinander«, sprach er seine Zweifel aus.

Ich seufzte: »Das ist mir klar. Aber du weißt, wie ich bin. Selbst das absurdeste würde ich irgendwie hinbekommen. Im Moment möchte ich aber gar nicht so weit denken.«

Mitch wuschelte mir durch die Haare: »Ich weiß, du warst schon immer unser Ausnahmefall. Cai rennt auch mit dem Kopf durch die Wand, egal wie dick oder aus welchem Stahl die ist.«

»Sowieso.«

Doch auch ich hatte noch eine Sache, die mir auf der Seele brannte.

»Sag‘ mal, Mitch. Findest du das nicht komisch? Ich meine, Seua ist doch ein Typ.«

Bisher hat er das nicht hinterfragt, aber ich musste unbedingt wissen, wie meine Familie dazu stand. Mitch schüttelte den Kopf: »Nein, sollte ich denn? Es ist mir egal, Cai. Ich glaube nicht, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem man das hinterfragen sollte.«

»Okay, dann habe ich nichts gesagt.«

»Und falls du denken solltest, das wäre bei Mom und Dad anders, brauchst du nicht. Sie sehen es genauso wie ich. Bei Mom würde ich eher aufpassen, dass sie dir Seua nicht noch ausspannt.«

Ich schüttelte lachend den Kopf: »Gut zu wissen.«
 

Mitch und ich mischten uns wieder unter die anderen. Es hatte gut getan mal alleine und ernster mit ihm zu sprechen. Das Timing war nahezu perfekt, da Mom gerade mit dem Kuchen aus dem Haus kam und alle anfingen zu singen.

»Los, Cai, du musst die Kerzen auspusten!«

Ich tat wie geheißen und bekam Applaus. Es war süß von ihnen, aber so viel Aufmerksamkeit war mir dann schon fast wieder ein bisschen unangenehm. Außerdem war es extrem kitschig, aber genau deswegen mochte ich es. Mom hatte noch mehr Kuchen gemacht, weil die Torte nicht für das ganze Team reichen würde. Seua und ich halfen ihr, den Rest rauszubringen. Ich hatte keine Ahnung, wie sie das auch noch alles geschafft hatte. Ich ging gerade wieder rein, um zu schauen, ob noch etwas übrig war, da zog mich jemand ins Wohnzimmer und schloss die Tür. Es war hell, aber alle Jalousien waren heruntergelassen. Denn sonst konnte man vom Wohnzimmer in den Garten sehen. Ich lehnte an der Wand, sah einen strahlenden Seua vor mir.

»Happy Birthday, Cai. Das ist mein Geschenk für dich«, er gab mir einen kleinen gelben Zettel in die Hand. Dort stand Seua auf Thai und darunter eine Handynummer. Fragend sah ich ihn an: »Aber ich habe deine Nummer doch?«

»Meine geschäftliche, ja. Das ist meine private Nummer. Die haben nur meine Eltern und meine Oma.«

Der Wolf und das Date

Plötzlich bekam diese Notiz eine ganz andere Bedeutung. Eine Nummer, die nur die wichtigsten Menschen in seinem Leben hatten? Dankbar lächelte ich ihn an:

»Danke für dein Vertrauen, P’Seua.«

Er fixierte mich mit einem eindringlichen Blick: »Speicher‘ sie ein oder lern‘ sie auswendig und vernichte diese Notiz dann, Cai.«

Ich fühle mich, als hätte ich gerade Top-Secret Unterlagen erhalten. Wobei, war es nicht auch so? Wer hatte schon die private Nummer eines Stars?

»Okay. Ich werde sie behandeln wie ein Staatsgeheimnis.«

»Besser so. Auf unseren Plan scheint das nicht zuzutreffen«, erwiderte er mit einem bösen Grinsen.

»Naja, du solltest den Wolf eben nicht zu sehr provozieren. Dann kann es schon mal sein, dass er angreift.«

Seua überwand auch noch das letzte bisschen Distanz zwischen uns, legte seinen Kopf auf meine Schulter. »Genau deswegen mache ich das«, flüsterte er. Er küsste mich auf die Wange. Ich hatte ihm mal wieder eine Steilvorlage geliefert und er nutzte es schamlos aus. Ich legte meine Arme um ihn, wollte den Moment nutzen, in dem wir unbeobachtet waren.

»Mitch hat uns sowieso gesehen. Auch wenn es mir vielleicht ein bisschen peinlich ist, ewig können wir es ohnehin nicht verstecken.«

»Hast du es ihm erzählt?«, wenn er sprach, spürte ich seinen Atem in meinem Nacken.

»Ja. Ist das schlimm?«

Wenn Seua es nicht gewollt hätte, wäre es ohnehin zu spät gewesen. Ich hoffte, dass es ihn nicht stören würde, denn schließlich hätte ich ihn auch fragen können.

»Nein, du solltest schon ehrlich sein zu deiner Familie. Aber alleine lassen mit ihm willst du mich wohl nicht?«

Ich sollte aufgeben, irgendetwas vor ihm verstecken zu wollen: »Lieber nicht. Das wäre nicht gut für meinen Ruf. Du hattest Glück, dass deine Oma kein Englisch kann.«

»Dann werde ich erst recht dafür sorgen, die Gelegenheit zu bekommen, mit deinem Bruder zu reden. Wer soll mir sonst die peinlichen Geschichten aus deiner Kindheit erzählen?«

»Im besten Fall niemand.«

Seua trat zurück, sein trauriger Blick entging mir nicht. Doch als ich ihm wieder näherkommen wollte, wich er zurück.

»Cai, geh‘ zu deiner Familie. Du wirst noch genug Zeit mit mir verbringen können. Jetzt bist du hier und das solltest du nutzen.«

Ich strich ihm über den Arm, dann gingen wir wieder zu den anderen. Mom war immer noch damit beschäftigt, den Kuchen zu verteilen.

»Cai, da bist du ja. Hier«, sagte sie und gab mir einen Teller mit einem Stück Torte in die Hand. Seua bekam auch eins.

»Jetzt müssten alle versorgt sein. Cai, kannst du mal gucken, wo Ray ist? Irgendwie habe ich ihn seit dem Essen nicht mehr gesehen«, sagte sie, ohne vom Tisch aufzusehen. Während ich durch den Garten lief, um Ray zu suchen, aß ich meine Torte. Ich konnte mir schon denken, mit wem er verschwunden war. Ray kannte meine Familie auch ziemlich gut, war auch Teil davon. Auch wenn er sie nicht oft sah, die Stories über mich verbanden sie. Ich wollte gerade um die Hausecke laufen, da hörte ich Stimmen.

»Sei doch nicht so schüchtern, Ray.«

Aha. Ich lugte um die Ecke, in der einen Hand hielt ich den Teller, mit der anderen kramte ich mein Handy aus der Tasche. Ray und Noah standen noch relativ weit auseinander, ich wollte das beobachten. Noah ging auf ihn zu, doch er wich zurück.

»Doch nicht hier«, sagte er, die Panik war ihm in die Augen geschrieben. Irgendwie kam mir das bekannt vor. Es war jedenfalls spannend genug, dass ich nebenbei meine Torte essen konnte.

»Stell‘ dich nicht so an«, Noah ging immer weiter, bis Ray wegen der Mauer hinter ihm nicht mehr zurückweichen konnte. Doch auf einmal sah ich etwas anderes in Rays Blick, etwas Forderndes.

»Gut, aber beschwer‘ dich nicht, wenn uns jemand sieht«, sagte er, legte ihm eine Hand in den Nacken, zog ihn zu sich und küsste ihn. Bei dem Anblick dieser Szene, musste ich aufpassen, dass mir die Torte nicht runterfiel. Das war ein ganz neue Seite an ihm. Schnell machte ich ein Foto für meine Stalking-Sammlung und verließ dann meinen Beobachtungsposten. Als ich zurück zu den Tischen kam, sah Mom mich fragend an:

»Wo ist Ray denn jetzt?«

Grinsend setzte ich mich neben sie: »Ray ist gerade schwer beschäftigt. Der wird schon noch auftauchen.«

Schulterzuckend nahm sie es hin. Ich zeigte Seua heimlich das Bild auf meinem Handy.

»Pass‘ auf, dass du deswegen nicht noch in die Hölle kommst.«
 

Während meine Familie sich am nächsten Tag auf ihre Einzelszenen vorbereitete, hatten Seua und ich frei. Es war selten, dass wir am Set nicht gebraucht wurden, aber heute war das der Fall. Wir kamen gerade die Treppe runter, das Team war schon wieder völlig im Arbeitsmodus. Mitch stand neben Noah, ließ sich alles von ihm erklären.

»Mitch!«, er drehte sich zu mir um.

»Oh, Cai. Was gibt’s?«

Ich zeigte auf Seua hinter mir: »Können wir uns dein Auto ausleihen?«

Für mich war ein Auto nie in Frage gekommen, weil es ohnehin nur bei meinen Eltern rumstehen würde. Er kramte den Schlüssel aus seiner Tasche und warf ihn mir zu. Mit einer Hand fing ich ihn auf.

»Viel Spaß. Aber fahr‘ mir keine Macken rein.«
 

Ich war froh, dem ganzen Trubel ein bisschen entkommen zu können. Mein Plan war, Seua heute die Gegend zu zeigen, daher fuhr ich wieder mit ihm zur Bay. Dort angekommen stieg ich aus, öffnete ihm die Autotür.

»Bitte sehr, Khun Seua.«

Lächelnd stieg er aus. Bei Tag bot sich hier ein ganz anderer Anblick. Es war traumhaftes Wetter, nur der Nebel hatte sich wieder über der Golden Gate ausgebreitet. Das hielt aber niemanden davon ab, in der Umgebung unterwegs zu sein. Ich verriegelte das Auto, dann gingen wir los. Ohne zu Zögern nahm er meine Hand.

»Warum guckst du so ängstlich, Cai? Mich kennt doch hier sowieso niemand.«

»Mich auch nicht«, gab ich leise zurück und verschränkte meine Finger mit seinen. Auf der einen Seite war das ein bisschen traurig, aber für uns war es die Gelegenheit unterwegs zu sein, ohne Papparazzi im Nacken zu haben. Gemütlich schlenderten wir runter, in Richtung Golden Gate. Seua machte Fotos, für die er meine Hand loslassen musste, doch danach nahm er sie sofort wieder. Wir waren zwar nicht zusammen, aber ich mochte dieses Gefühl und von mir aus konnten die Leute es ruhig denken. In der Mitte der Brücke machten wir ein Selfie.
 

Später liefen wir durch den Golden Gate Park, wo es jede Menge Blumen und auch Brunnen zu bestaunen gab. Nach einem langen Schweigen sagte er:

»Was meinst du? Ist das ein Date, Cai?«

Nicht seine Frage ließ mich stocken, sondern der leise und zögerliche Tonfall, den ich überhaupt nicht von ihm kannte. Aber ich konnte es nachvollziehen, schließlich waren wir unsicher, was unsere Gefühle betraf.

»Ich denke schon.«

Die Erklärung unseres Ausflugs zum Date änderte die Stimmung, ich merkte meine Anspannung deutlich. Doch es war diese positive Anspannung, wie wenn man sich auf etwas freute. Unsere nächste Station war der Hafen, San Francisco war berühmt für die Robben, die ich ihm unbedingt zeigen wollte. Selbst ich war nur selten hier, weil man als Einheimischer normalerweise Touristenspots mied. Nicht, dass ich Zeit für Sightseeing hätte. Bevor wir hier drehen würden, wollte ich es ihm persönlich zeigen. Zufällig war gerade ein Guide dort, sodass wir ein bisschen die Hintergründe der Bay erfuhren. Nach der Erklärung kam er auf uns zu: »Wir bieten auch Schiffstouren an, dann können Sie einmal um die Bay fahren und sich noch einmal alles vom Wasser aus ansehen.«

Wir sahen uns an. Das klang nach einer guten Idee, daher entschieden wir uns dafür. Als wir auf dem Schiff waren, fragte ich ihn: »Gefällt es dir?«

»Ja. Ich mag es, mich nicht verstecken zu müssen, Cai«, während er das sagte, legte er seinen Kopf auf meine Schulter. Ich legte meinen Arm um ihn. Es ist ein Date, also kann ich das machen. Das Schiff fuhr langsam durch die Bay, wir genossen den Ausblick und konnten gleichzeitig etwas über die Geschichte von San Francisco lernen. Vorne stand eine Frau mit Mikrofon, die Sehenswürdigkeiten erklärte, wenn wir an ihnen vorbeifuhren.

»Gleich werden wir unter der Golden Gate Bridge herfahren. Eine der markantesten Sehenswürdigkeiten, überall auf der Welt bekannt. 1933 markiert den Baubeginn, vier Jahre später wurde sie fertiggestellt.«

Ich konzentrierte mich weniger darauf, was sie sagte, sondern eher auf die Wellen, die leichte Brise und Seua in meinem Arm. Wenn ich in einem Paralleluniversum leben würde, könnte es einfach so bleiben. Und Sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende.
 

Schneller als mir lieb war, wurde ich aus meinem Traum aufgeweckt. Die Tour war zu Ende, wir liefen die Stufen hinunter und standen wieder am Hafen.

»Cai, wenn ich dich jetzt frage, wann Alcatraz geschlossen wurde, kannst du das beantworten?«

»21. Mai 1963«, sagte ich, ohne zu Zögern. Damit hast du wohl nicht gerechnet, hm?

»Ihr hattet das bestimmt in der Schule, als ob du zugehört hättest«, erwiderte er, nahm meine Hand und zog mich in Richtung einer Bank. Dort setzten wir uns.

»Ja hatte ich. Komischerweise war unsere Lehrerin ein ziemlicher Freak, was das anging. Sie hat uns das eingeprügelt. Tja, P‘, hättest du mich mal was anderes gefragt. Aber ist das denn okay? Ich meine wir sind nur am Hafen, dabei gibt es noch viel mehr hier«, brachte ich Zweifel an.

»Das passt schon, Cai. Wir haben auch noch Zeit. Außerdem habe ich nichts dagegen, es mal ein bisschen ruhiger angehen zu lassen.«

Damit konnte ich leben. Auch wenn viele in ihrem Urlaub Sightseeing machten, konnte es schon stressig sein. Man brauchte für alles Tickets, musste schauen, wie man wohin kam. Bei uns, mit dem Auto, war das zwar anders, aber sich zu entspannen konnte auch nicht falsch sein. Wir sahen den Möwen dabei zu, wie sie versuchten, den kleinen Kindern das Essen aus der Hand zu klauen.

»Wenn du nicht Schauspieler wärst, was wärst du dann, P‘?«

»Wahrscheinlich wäre ich dann Lehrer geworden. Das war zumindest der Plan.«

Seua als Lehrer? Ich stellte mir vor, wie er vor einer Klasse stand und ihnen englische Wörter erklärte. Mit seiner ruhigen Art hätte er das bestimmt gut gekonnt.

»Ja, das hätte gut zu dir gepasst.«

Er sah mich an: »Was ist mit dir, Cai? Hattest du jemals etwas anderes im Sinn?«

Ich dachte für einen Moment darüber nach. Aber egal wie weit ich in meine Vergangenheit zurückblickte, ich erinnerte mich an nichts.

»Es war schon immer mein Traum, für mich gab es nie etwas anderes.«

»Dann lebst du gerade deinen Traum, das bewundere ich, ehrlich. Gescoutet werden kann jeder, das ist keine Kunst. Aber du hast studiert und hart gearbeitet, um so weit zu kommen«, sinnierte er. Ich biss mir auf die Lippe, versuchte nicht zu sehr zu zeigen, wie glücklich es mich machte, wenn er von Bewunderung sprach.

»Danke, P‘. Aber ich hätte natürlich auch nichts dagegen gehabt, gescoutet zu werden. Weißt du eigentlich, wie P’Star darauf kam, mich anzufragen?«

Schon seit Drehbeginn wollte ich das wissen, aber die Gelegenheit hatte sich nicht ergeben. Vielleicht könnte Seua das nicht beantworten, doch wenn ich Glück hatte, wusste er etwas darüber.

»Ich kann dir nur sagen, was ich gehört habe. Wissen tue ich es nicht, da musst du P’Star fragen. Was ich mitbekommen habe, war, dass sie einen Rookie haben wollten, mit möglichst wenig Erfahrung. Das soll nicht heißen, dass es schlecht ist, sie wollten einfach jemanden haben, der noch keine großartige Karriere hat und sich damit eine aufbauen kann. Wie genau die eigentliche Suche ablief, keine Ahnung. Vielleicht haben sie deine Agentur kontaktiert«, erklärte er. Das war zumindest ein Anfang. Ich beschloss P’Star bei der nächsten Gelegenheit zu fragen.

»Und euch haben sie gecastet?«

Seua lachte: »Mich nicht. Ich bin beim Sender unter Vertrag und P‘Star wusste, dass er mich für das Projekt haben will. Dice war auch sofort dabei. Pravat und die Mädels wurden gecastet. Sie sind auch Rookies. Ich hoffe, es klang nicht zu arrogant.«

»Auf keinen Fall! Ich bin froh, dass P’Star dich für »Wolfsherz« ausgesucht hat«, sagte ich und drehte mich zu ihm. Lange sahen wir uns an. Seua deutete auf die Schiffe, die in Sichtweite vor Anker lagen.

»Was hältst du davon, wenn wir uns einfach absetzen und auf einer einsamen Insel ein einfaches Leben führen?«

Manchmal wünschte ich wirklich, ich wüsste, was in ihm vorgeht. Wie kam er auf sowas? Doch wenn ich genau darüber nachdachte, war es nicht allzu absurd. Außerdem trieben mich ähnliche Gedanken um. Ich hörte raus, dass es ihm guttat ein bisschen Ruhe zu haben und, dass er sich an manchen Tagen wünschte, nicht berühmt zu sein.

»Ich denke drüber nach, P‘. Aber lass uns erst den Dreh beenden«, antwortete ich halb im Scherz, halb im Ernst.

»Na gut.«
 

Wir liefen durch die Stadt, ich war froh, dass wir den Hafen hinter uns lassen konnten. Ziellos sahen wir uns Geschäfte oder kleinere Sehenswürdigkeiten an. In einem dieser Geschäfte kauften wir uns passende, kitschige Schlüsselanhänger, mit der Golden Gate als Motiv. Da fühlte ich mich selbst wie ein Tourist. Zum Schluss ging es noch in ein schickes Restaurant, wie es sich für ein Date gehörte. Auch wenn wir inkognito unterwegs waren, zog Seua alle Blicke auf sich. Mich an seiner Seite blendeten sie einfach aus. Daher musste ich ein bisschen aufpassen. Wer weiß, hinterher würde er auch hier noch gescoutet werden.
 

Nach dem Essen war es schon dunkel, als wir zum Auto zurückgingen. Ich hatte lange nicht mehr so viel Spaß gehabt.

»Ich hoffe, ich war als Tourguide nicht allzu schrecklich, P‘.«

Trotz der Dunkelheit konnte ich entspannt durch unbeleuchtete Ecken laufen, weil er mich festhielt und ich ihm vertraute.

»Nein, du warst super, Cai. Ich fand es wirklich schön heute«, sagte er in einem nachdenklichen Tonfall.

»Ich auch.«

Erst als wir am Auto ankamen, ließ er meine Hand los. Von mir aus könnte dieser Tag auch einfach nie enden. Seufzend stieg ich ein, doch als wir im Auto saßen, hielt ich zwar die Hände am Lenkrad, aber fuhr nicht los. Wir standen unter einer Straßenlaterne, also konnte ich alles gut sehen. Eigentlich vermieden Mitch und ich nächtliche Autofahrten, aber wenn wir wussten, dass die Routen gut genug beleuchtet waren, ging es. Minutenlang hingen wir den eigenen Gedanken nach. In diesem Moment spürte ich mein Herzklopfen ganz besonders intensiv. Meine Vermutung, dass er etwas sagen wollte, bestätigte sich: »Cai? Darf ich dich was fragen?«

Wieso hatte ich das Gefühl, dass es etwas Wichtiges sein würde? Immer noch die Hände am Lenkrad, sah ich geradeaus: »Ja.«

Doch zunächst wurde es wieder still. Ich wagte es nicht, ihn anzusehen. Was auch immer er fragen würde, wenn selbst er Zeit brauchte, um es anzusprechen, war das ein sicheres Zeichen dafür, dass es ernst war.

»Nehmen wir mal an, wir wären keine Stars. Uns könnte alles egal sein…und unsere Gefühle wären echt. Was würdest du tun?«, aus dem Augenwinkel sah, ich, dass er den Kopf in Richtung des Fensters gedreht hatte.

Ich wusste genau, worauf er hinauswollte. Es war unser erstes Date und auch wenn wir uns in einer undefinierbaren Phase befanden, war es einfach nur schön gewesen.

»P‘«, brachte ich hervor, was ausreichte, damit er mich ansah. Warum zögerte ich überhaupt noch? Sein Blick fing mich ein, hypnotisierte mich. Wenn ich das wirklich tun würde, glich es einem Geständnis. Doch in diesem Moment schaltete ich meine Gedanken ab und meinen Kopf aus. Für diesen Tag gab es nur dieses eine Ende. Es konnte einfach nicht anders sein. Ich streckte meine zitternde Hand aus, legte sie ihm an die Wange. Angespannt beobachtete er mich.

Ich musste schlucken: »Wenn alles egal wäre?«

»Ja«, hauchte er.

Ich zog ihn zu mir und küsste ihn. Zaghaft erwiderte er den Kuss, es fühlte sich an, als würden wir das zum ersten Mal machen. Seine Hand lag an meiner Hüfte, ich spürte, dass auch er zitterte. Ich ließ von ihm ab, sank zurück in meinen Sitz. Meine Hände zitterten immer noch und ich konnte ihn auch nicht ansehen, daher starrte ich wieder geradeaus. Ich hatte endgültig verloren. Game Over. Nicht der Wolf war dem Tiger verfallen, sondern ich. Ich habe mich verliebt.
 

Wie ich es in diesem Zustand geschafft hatte, uns lebend nach Hause zu bringen ist mir ein Rätsel. Die nächste Woche waren wir die ersten Tage beschäftigt, wir drehten unser Date mit Wolf und Nok. Nachts hätten wir zwar die Gelegenheit gehabt zu reden, doch ich brachte es nicht über mich. Noch nicht. Ansonsten war alles wie gehabt, doch ich nahm seine Nähe noch intensiver wahr als vorher. Seua benahm sich auch wie sonst, aber seine Gesten waren vorsichtiger, was mir zeigte, dass er das Versprechen ernst nahm. Meine Familie hatte sich unterdessen mit dem halben Team angefreundet und auch die Szenen schienen gut gelaufen zu sein. Ich war gerade in meinem Zimmer, da klopfte es.

»Ja?«

Ray kam herein, hatte einen ernsten Ausdruck aufgesetzt: »Wir müssen reden, Cai.«

Das hieß bei ihm nie etwas Gutes. Er schloss die Tür und sah mich an. Auch wenn mein Kopf die ganze Zeit woanders war, hatte ich meinen Stalking-Fund noch nicht vergessen. Ich suchte das Bild auf meinem Handy raus und hielt es ihm vor das Gesicht.

»Stimmt. Also?«, wollte ich meinen Trumpf ausspielen. Doch das störte ihn nicht, stattdessen hielt auch er mir sein Handy hin. Mir stockte der Atem. Auf dem Bild sah man, wie Seua und ich uns im Auto küssten. Damit hatte Ray mir sämtlichen Wind aus den Segeln genommen. Aber woher hatte er das? Ich setzte mich aufs Bett.

»Ich wünschte ich wäre ein Stalker wie du und hätte das Bild selbst gemacht, Cai. Aber leider hat mir das ein Paparazzi geschickt. Ich konnte im letzten Moment noch eine Veröffentlichung verhindern«, erklärte er und ließ das Handy sinken. So viel dazu, dass uns niemand hier kannte. Ich studierte seinen Blick, doch er schien zum Glück nicht sauer zu sein. Da wollte ich ihn auflaufen lassen, während er mich rettet.

»Man, ich dachte wir wären hier sicher. Sorry, Ray, wir…«, mit einer Handbewegung brachte er mich zum Schweigen.

»Ich weiß. Es hat niemand damit gerechnet. Ich musste jedoch einen Deal wegen diesem Foto aushandeln«, Ray setzte sich neben mich.

»Einen Deal?«

»Der Typ hat darauf bestanden, dass wir tun, als hätte er für euch ein Interview mit Good Morning America ausgehandelt. Daher wird heute eine Außenreporterin kommen, um das Interview mit dir und Seua aufzunehmen. Ich dachte mir, dass es die bessere Lösung ist, als dieses Foto überall kursieren zu lassen.«

Das war mein Manager. Hätte er das nicht gemacht, wären wir jetzt ziemlich in Bedrängnis. Es war deutlich das geringere Übel, auch wenn wir dann definitiv hier nicht mehr inkognito unterwegs sein könnten.

»Hast du es Seua erzählt?«, wollte ich wissen. Er nickte: »Ja, ich habe ihm alles gesagt und er hat es gelassen aufgenommen.«

Erleichtert seufzte ich auf. Seua würde diese Interviewsache genauso wenig gefallen wie mir, aber solange niemand außer Ray das Foto sah, waren wir sicher. Ich ließ mich rücklings auf das Bett fallen, sah den Himmel durch das Dachfenster.

»Du kannst ruhig fragen, Ray«, anstatt Antworten von ihm zu verlangen, hatte ich das Gefühl, dass ich ihm eine Erklärung schuldig war. Mein Plan war nach hinten losgegangen und ich würde warten müssen, bis er es mir von selbst erzählte. Langsam war es mir auch peinlich, ich hatte zugegeben, ihn beobachtet zu haben. Ray legte sich neben mich in der gleichen Haltung.

»Das werde ich. Wir sind zwar immer zusammen unterwegs, aber wirklich Zeit zu reden haben wir nicht. Abgesehen von der Arbeit.«

Seit Seua an meiner Seite war, war ich selten allein. Aber das war gar nicht schlecht. Gut, Ray musste dann eben hintenanstehen.

»Also?«

Ich erzählte ihm alles von Anfang an. Dass ich wegen dem Kuss abgehauen war, dass Seua mit mir den Plan durchziehen will und dass unser Ausflug ein Date war. Er lachte leise:

»Das klingt, als hätte es euch beide ganz schön erwischt.«

»Ich kann nur für mich sprechen«, es fiel mir leichter, darüber zu sprechen, wenn ich mich dabei auf den Himmel konzentrierte.

»Du hast dich verliebt?«, das von ihm zu hören ließ mich zusammenzucken. Es war, als würde es dadurch erst richtig wahr werden.

»Ja.«

Ich linste kurz zu ihm rüber, sah aber keine Überraschung in seinem Gesicht. War es so offensichtlich?

»Wirst du es ihm sagen?«

»Ich habe es vor, aber ich habe noch nicht das richtige Timing gefunden«, ich griff mir an die Brust, schon bei dem Gedanken daran, fühlte es sich an, als würde ich innerlich explodieren. Die Möglichkeit, dass es bei ihm keine echten Gefühle waren, bestand schließlich. Ray legte mir eine Hand auf den Arm: »Stress‘ dich nicht zu sehr damit, Cai. Am Ende wird es nur eine Antwort geben.«

»Ich weiß.«

Schon seit dem Abend unseres Dates dachte ich darüber nach, aber ich konnte es einfach nicht. Noch nicht.

»Da du uns beobachtet hast, Cai, brauche ich dir unsere Geschichte nicht zu erzählen«, erklärte er und ich war froh über den Themenwechsel.

»Schon, aber ich hab‘ dir auch alles erzählt«, schmollte ich.

»Also. Dass es angefangen hat, als ihr abgehauen seid, weißt du schon. Er hat mich unterstützt, als ich ziemlich fertig war. Ich fand seine aufdringliche Art manchmal ein bisschen nervig, aber als er mir geholfen hat, habe ich gesehen, was er alles kann. Irgendwie hat mich das fasziniert und gleichzeitig fand ich es süß. Wir kamen uns relativ schnell näher und sind jetzt zusammen.«

Ich war froh, dass er mir das einfach erzählte, vielleicht fiel es ihm leichter, weil wir in einer ähnlichen Situation waren. Auch wenn ich nicht viel mehr wusste als vorher, weil er alle Details ausließ.

»Danke, Ray. Und wie ist das so? Ich meine, ich habe nie großartig mitbekommen, wann oder ob du einen Partner hattest«, merkte ich an. Das war bei uns nie ein Thema, deswegen interessierte es mich.

»Es ist schön, kann aber auch stressig sein. Schließlich arbeitet er oft viel länger als ich, auch wenn ich die ganze Zeit am Set bin. Außerdem hast du gesehen, dass er ziemlich viel Aufmerksamkeit braucht. Wir haben es zwar nicht nötig, irgendetwas zu verstecken, aber ich möchte es auch nicht an die große Glocke hängen.«

Das klang ganz nach ihm. Ich konnte es mir absolut nicht vorstellen, wie Noah es geschafft hatte, ihn weich werden zu lassen. Ray war niemand der sich leicht in die Karten schauen ließ und er würde seine Wand erst fallen lassen, wenn man ihn länger kannte. Noah muss es ihm also angetan haben, anders konnte ich mir das nicht erklären.

»Solange du ihn in Schach halten kannst«, sagte ich lachend.

»Einigermaßen«, er stimmte in mein Lachen mit ein.

Für eine Weile schwiegen wir, dann fragte ich: »Hast du eigentlich was mit dieser Reise zu tun?«

Meinen Beobachtungen zufolge gab es nicht viele Leute, die dahinterstecken könnten.

»Ja und nein. Sagen wir mal, ich war nicht derjenige, der den Anstoß dazu gegeben hat, aber den kennst du ziemlich gut. Wir haben natürlich erst die Zustimmung von einigen Verantwortlichen vom Sender einholen müssen und logistisch war das auch ein ziemlicher Aufwand. Flüge buchen, Hotels raussuchen, Equipment versichern und so weiter. Entweder hat der, der es organisiert hat, einen sehr guten Draht zum Sender oder er hat es irgendwie geschafft, die zu überzeugen. Ich finde es auch authentischer, hier zu drehen. Und deine Familie hat auch geholfen. Weil der Cast noch nicht feststand, haben wir sie gefragt, ihre Zusage hat einiges leichter gemacht.«

Jemanden den ich gut kenne? Damit meinte er bestimmt Seua.

»Ich bin euch allen sehr dankbar dafür. Ich zeige es vielleicht nicht, aber du musst wissen, ich weiß sehr zu schätzen, was du für mich oder besser gesagt für uns tust, Ray. Ich hoffe, dass du ab jetzt nicht mehr so viel Stress haben wirst«, ich sah ihn an. Er hatte seinen Kopf auf die Seite gedreht, einen nachdenklichen Ausdruck aufgesetzt: »Wann hat man denn bitte keinen Stress mit dir, Cai?«

Bevor ich den kontern konnte, mussten wir unser Gespräch unterbrechen. Die Reporterin von Good Morning America stand vor der Tür.

»Ich bin Kailey Smith, Außenreporterin von GMA. Hinter mir ist unser Kameramann Tony.«

Das Leuchten in den Augen meiner Mom war nicht zu übersehen. Sie nahm die Hände der Reporterin: »Sie haben die Außenreportage über Lost Places gemacht, oder? Das war sehr interessant!«

»Vielen Dank«, gab sie zurück, doch das Lächeln war nicht echt. Es war ein Lächeln, was Profis aufsetzen, wenn sie freundlich wirken wollten. Wie auch immer, Mom sah eindeutig zu viel fern. Sie kamen rein, doch da wir unser eigenes Fernsehteam vor Ort hatten, machte P’Sawa unsere Maske. Im Garten vor dem Zaun bauten wir Stühle und ein Zelt auf, da die kalifornische Mittagssonne unbarmherzig auf uns schien. Kailey setzte sich uns gegenüber, hatte uns direkt das Du angeboten. Ihre braunen Haare waren zu einem strengen Zopf nach hinten gebunden, ihre grünen Augen funkelten uns neugierig an. Wir trugen weiße Hemden, sie eine lilafarbene Bluse. Sie stellte uns vor, erklärte kurz worum es in »Wolfsherz« ging.

»…ein Trend, der in Thailand und anderen asiatischen Ländern schon seit einigen Jahren sehr präsent ist, ist Boys Love. Seua, was glaubst du, woher kommt die Faszination für dieses Genre?«

»Für viele war und ist die gleichgeschlechtliche Liebe ein Tabuthema und anfangs war es daher mutig, solche Serien zu produzieren und zu senden, auch wenn das vermutlich schon viel eher geschehen ist. Doch den Leuten wurde schnell klar, dass es eben nur eine von vielen Formen von Liebe ist, und es wurde von den Fans sehr gut aufgenommen. Die Industrie wurde nach und nach mutiger und dann ist ein regelrechter Hype entstanden. In Thailand gehört Boys Love mittlerweile zum festen Bestandteil der Szene und ist wegen ihres Erfolges nicht mehr wegzudenken.«

Für einen Moment schien Kailey erstaunt zu sein, was nicht nur an dieser professionellen Antwort, sondern vermutlich auch an seinem perfekten Englisch lag. Auch ich musste mich zusammenreißen, ihn nicht die ganze Zeit fasziniert anzustarren. Als sie Seua nach seiner Karriere fragte hörte ich zu, konnte mich aber kaum konzentrieren, weil ich Angst davor hatte, was sie mich fragen würde.

»Kommen wir zu dir, Cai. Als amerikanischer Schauspieler in einer thailändischen Serie gecastet zu werden, ist wirklich eine Leistung. Wie ging es dir damit, als du davon gehört hast?«

»Als mein Manager mir davon erzählt hat, hat mich das natürlich total gefreut. Ich weiß nicht, was den Sender dazu bewegt hat, ausgerechnet mich auszusuchen, aber ich bin ihnen sehr dankbar«, erklärte ich lächelnd.

»Du arbeitest im Ausland unter anderen Bedingungen, war das nicht ein Kulturschock?«, Kaileys Fragen waren präzise und auf den Punkt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Meine Familie stand mit etwas Abstand vom Zelt, sie mussten sich das unbedingt alles live ansehen.

»Natürlich ist es nie einfach, in einem anderen Land zu leben und zu arbeiten. Aber durch die Unterstützung von P’Seua und dem ganzen Team, habe ich mich sofort wohlgefühlt.«

Sie nickte, nahm meine Aussagen hin, ohne zu zeigen, was sie davon hielt.

»Wir von GMA haben uns natürlich über das Genre informiert und es scheint in den meisten Fällen üblich zu sein, dass man einen festen Drehpartner hat. Doch weil sich viele Schauspieler sehr gut verstehen, beziehungsweise sich für das Fernsehen und die Fans verstellen, kommen schnell Gerüchte auf. Vor allem in Bezug auf die Beziehung der Schauspieler. Wie geht ihr mit Gerüchten um und wie viel davon, was ihr vor der Kamera zeigt, ist echt?«

Diese Frage schlug ohne Zweifel bei mir ein. Ich musste mich einen Moment sammeln, hoffte inständig, dass Seua sie übernehmen würde. Er nahm meine Hand, was mich für einen kleinen Moment Erstaunen in Kaileys Augen sehen ließ. Zum Glück übernahm er auch die Antwort:

»Das stimmt. Es kommen immer wieder Gerüchte auf, das Einzige, was wir in dieser Hinsicht machen können, ist zu hoffen, dass die Fans glauben, wenn wir etwas bestätigen oder dementieren. Alles, was Sie von mir und Cai vor der Kamera sehen ist echt. Wir verstehen uns gut und spielen das nicht für die Fans.«

Solange er nicht erwähnte, wie gut wir uns verstanden, konnte ich mit dieser Antwort leben. Vor allem war sie neutral und ließ einiges offen. Diese Frage in Kombination mit der Hitze hatte mir ganz schön den Schweiß auf die Stirn getrieben. Kailey sah uns zwar mit hochgezogenen Augenbrauen an, ging zum Glück aber nicht weiter darauf ein.

»Was würdet ihr sagen, wenn euch jemand fragt, worum es in »Wolfsherz« geht?«

Diese Frage war schon leichter für mich zu beantworten: »Es geht um Freundschaft, Liebe und vor allem darum, dass man sehr viel erreichen kann, wenn man über seinen Schatten springt.«

Kailey nickte anerkennend: »Das klingt sehr schön. Cai, glaubst du, dass die Serie aufgrund der englischen Sprache und dich als amerikanischem Schauspieler, auch hier erfolgreich sein wird?«

Langsam hatte ich mich an die Interview-Atmosphäre gewöhnt und konnte mich ein bisschen entspannen.

»Wenn ihr von GMA ordentlich Werbung für uns macht, bestimmt. Spaß beiseite, ich glaube schon, dass die Verbindung der Länder und Drehorte entscheiden für den Erfolg sein kann. Auch hier wird es viele Fans thailändischer Serien geben, die bisher aber wenig Repräsentation bekommen haben. Das werde ich dann übernehmen und hoffe, dass die Fans sich freuen, ihre Heimat in der Serie wiederzufinden.«

»Natürlich werden wir »Wolfsherz« zusammen mit dem Interview vorstellen und ich hoffe, dass ihr auch hier erfolgreich sein werdet. Ich wünsche euch alles Gute und viel Erfolg für den Dreh weiterhin. Vielen Dank für das Interview«, schloss sie.

Danach stellten wir uns noch für ein Foto zusammen. Was immer die Motivation dieses Paparazzi gewesen sein mochte, es würde uns nur helfen. Ray hatte von einem Deal gesprochen, aber ich war mir sicher, dass es von Anfang an geplant war. Es war kein Foto, wo ein Paparazzi der Veröffentlichung widerstehen könnte. Ich machte mir nicht weiter Gedanken darum, solange das Foto in unseren Händen blieb. Kailey verabschiedete sich von uns, sprach kurz mit Mom. Vermutlich würde das Interview noch in dieser Woche ausgestrahlt werden.
 

Die Ausstrahlung erfolgte tatsächlich ein paar Tage später, der Sender hatte uns die Datei zukommen lassen. Wie versprochen stellten sie die Serie vor und zeigten einen Ausschnitt aus dem Trailer. Auch wenn ich schon monatelang Teil des Ganzen war, fühlte es sich surreal an, das im amerikanischen Fernsehen zu sehen. Ich war stolz darauf, was wir erreicht hatten. Auch das Interview wirkte ziemlich entspannt. Am Abend saßen Seua und ich im Bett, es war einer der letzten Tage, die wir hier sein würden. Ich lehnte an ihm, er hatte seine Arme um mich gelegt. Seua hatte dafür gesorgt, dass ich es normal fand, ihm nah zu sein. Trotzdem war es besser, dass er mein rotes Gesicht in diesem Moment nicht sehen konnte. Wir sahen uns den Nachthimmel durch mein Dachfenster an. Es wäre der perfekte Moment für ein Geständnis, doch ich brachte es nicht heraus. Immer wieder überlegte ich, wie ich es sagen sollte, doch alles hörte sich in meinen Gedanken nicht gut genug an. Ich zog die Stirn in Falten, bewegte den Kopf hin und her.

»Womit kämpfst du, Cai?«

»Mit mir selbst.«

Er verstärkte seinen Griff um mich: »Was immer es ist, lass‘ dir Zeit, Cai.«

Seufzend ließ ich meinen Kopf auf seine Schulter sinken. Wenn er nur wüsste. Doch es war nicht alles, was mich beschäftigte. Die Zeit hier war richtig schön, ich konnte Seua alles zeigen und meine Familie hat ein Praktikum beim Fernsehen gemacht. Viele Gefühle strömten auf mich ein, wenn ich daran dachte, übermorgen zurückzufliegen. Trauer wegen des bevorstehenden Abschieds, Nervosität wegen des Tigers, Aufregung, weil wir kurz vor der Vollendung von »Wolfsherz« standen und Angst, wie es in Zukunft weitergehen sollte. Manchmal wünschte ich mir, man könnte Gedanken einfach ausschalten.

»Was ist mit dir, P‘? Woran denkst du?«

»Daran, dass es hier echt schön war und du nicht alleine deine Familie vermissen wirst.«

Mir war nicht entgangen, wie gut sie sich mit Seua verstanden. Das Wolfsrudel schien Eindruck auf ihn gemacht zu haben.

»Dann vermissen wir sie eben zusammen, P‘. Aber wir werden sie ja wahrscheinlich bei der Premiere sehen«, gerade als ich das sagte, ging meine Tür einen Spalt weit auf. Ich sah zwar nichts, aber der Einzige der so geisterhaft Türen öffnete, konnte nur Mica sein. Auch ihn würde ich sehr vermissen. Er hatte mir immer zugehört und meine Träume nie für sinnlose Schwärmerei gehalten. Ich hörte seine Pfoten über den Boden tapsen, dann sprang er auf meinen Schoß.

»Na, Mica? Du weißt, dass wir bald gehen, oder?«, sagte ich in meiner besten Babystimme. Mit ihm redete ich immer so. Er sprang an mir hoch, begann mir das Gesicht abzulecken.

»Ja, ist doch gut, Kleiner«, sagte ich und zügelte ihn schnell wieder. Er schnupperte noch an Seuas Händen, rollte sich dann auf meinem Schoß ein. Seua lachte: »Redest du immer so mit ihm?«

Nachdenklich streichelte ich Mica über das Fell, sah wie er ruhig atmete.

»Macht man das nicht so bei Hunden?«, es war mir ein bisschen peinlich.

»Weiß‘ nicht, aber es ist süß.«

Ich legte meinen Kopf an seinen Hals und schloss die Augen. Bei Seua im Arm und mit Mica auf meinem Schoß fühlte ich mich geborgen und wünschte mir, dass dieser Moment nie zu Ende ging.
 

Leider wurde mir dieser Wunsch nicht erfüllt und schon standen Seua und ich wieder mit gepackten Koffern vor meiner Familie. Ich hasste Abschiede, nahm mir immer vor, standhaft zu bleiben, aber am Ende konnte ich die Tränen nie zurückhalten. Seua wurde von allen umarmt, Mitch klopfte ihm auf den Rücken: »Pass‘ gut auf meinen kleinen Bruder auf. Gute Heimreise und viel Erfolg beim Dreh.«

Seua erwiderte die Geste: »Werd‘ ich. Vielen Dank und bis zur Premiere.«

Auch von Mica verabschiedete er sich kurz, ging dann mit seinem Koffer zu P’Joe. Wehmütig sahen sie ihm hinterher.

»Ach, es wäre schön, wenn ihr einfach die ganze Serie hier drehen könntet«, sagte Mom und stellte sich mit ausgestreckten Armen vor mich. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und umarmte sie. Dad und Mitch schlossen sich an und ich spürte den Kloß in meinem Hals. Lange genug hatte ich versucht mich zurückzuhalten, doch als ich mich zu Mica runterbeugte, um mich zu verabschieden, spürte ich die Tränen auf meinen Wangen. Ich wand mich ab und stieg zu Seua in den Van, ohne mich noch einmal umzusehen. Wir sehen uns, Leute.
 

Der Rückflug verlief ereignislos und ich hatte genug Zeit, mich zu beruhigen. Als wir am Abend ankamen, baten wir P’Joe uns an der Wohnung von Seua abzusetzen, weil er dort nach dem Rechten sehen wollte. Wie üblich, den Aufzug rauf, durch den Flur und…mir blieb für einen Moment das Herz stehen, als ich sah, dass die Tür offenstand. Wie ein Schatten raste jemand an uns vorbei. Seua und ich warfen einen kurzen Blick in die Wohnung, die völlig auseinandergenommen worden war. Überall lagen Zettel, alle Sachen waren wahllos verteilt und der Fernseher war kaputt. Ich hatte noch gar nicht realisiert, was passiert war, da ließ Seua seinen Koffer stehen und rannte los.

Der Wolf und das böse Erwachen

In der nächsten Sekunde konnte auch ich mich aus meiner Starre lösen und rannte hinterher. Ich konnte auf keinen Fall tatenlos zusehen, wie Seua einem Verrückten in die Arme lief. Der letzte Aufzug war bis in die Tiefgarage gefahren, also machte auch ich mich auf den Weg dorthin. Ich sah den Zahlen zu, wie sie sich veränderten. 15…14…13…Tief im Inneren hoffte ich, dass diese Person einfach abgehauen war. 3…2…1…P. Es hatte sich nie länger angefühlt mit dem Aufzug zu fahren.
 

Was ich in der Tiefgarage vorfand, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Seua stand einer vermummten Person gegenüber, die ein Messer auf ihn richtete. Es war das erste Mal, dass ich sowas mit eigenen Augen sah. Die Person ging auf ihn zu, er wich zurück. Wie gelähmt stand ich da, musste dieses makabre Schauspiel mitansehen. Immer wieder wurde Seua von ihm in die Ecke gedrängt. Ich versuchte leise einige Schritte auf sie zuzugehen, musste irgendwie helfen. Seua schien mich bemerkt zu haben, die Person nicht. Was wurde hier gespielt? Mit erhobenen Händen stand Seua an der Wand, links von ihm stand ein Auto, rechts wäre noch Platz, um zu entkommen. Die Angst in mir ließ mich genügend Adrenalin aufbringen, mich weiter zu nähern. Immer wieder viel mein Blick auf das Messer, was in der Hand der Person gefährlich über Seua schwebte. Innerlich flehte ich ihn an, dass er nichts sagen würde. Ich spürte meinen Puls, merkte, wie meine Hände schwitzig wurden. Ich ließ meine Hand in meine Jackentasche gleiten, doch als ich mein Handy rausholen wollte, um die Polizei anzurufen, fiel es auf den Boden. Warum musste das ausgerechnet jetzt passieren? Die Person wandte sich zu mir, sah mir in die Augen. Ihr hasserfüllter Blick wandelte sich in einen freundlichen.

»Cai! Schön, dass du da bist«, säuselte er in gebrochenem Englisch.

Was zum? Er bedrohte Seua mit einem Messer und wenn er mich sieht, ist er glücklich? Ich verstand es nicht. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, beugte ich mich langsam herunter, um das Handy aufzuheben.

»Was hast du damit vor?«, ich konnte hören, wie er grinste. Schnell ließ ich es wieder in meiner Tasche verschwinden. Verdammt.

»Nichts. Willst du das Messer nicht weglegen? Wir können das sicher anders klären«, fragte ich und versuchte so ruhig wie möglich zu klingen. Doch stattdessen ging er weiter auf Seua zu, der völlig verängstigt an der Wand stand.

»Nein. Nicht so lange Seua lebt und dich nicht in Ruhe lässt, Cai.«

»Mich in Ruhe lässt?«, verwirrt legte ich die Stirn in Falten. Was wollte er? Dass er einen Narren an mir gefressen hat, war mir klar, aber was war sein Problem mit Seua? Er ging noch einen Schritt auf ihn zu. In mir schrillten alle Alarmglocken. Ich befürchtete, dass es kein gutes Ende nehmen würde, wenn ich nichts tat.

»Ja, ich kann es einfach nicht leiden, wie Seua an dir klebt, Cai. Seine Zeit mit dir ist um. Ich werde ihn umbringen, um dich für mich allein zu haben.«

In meinem Kopf überschlug sich alles. Hatte er wirklich umbringen gesagt? Offenbar hatte diese Person eine komische Obsession mit mir entwickelt, was ich sehr befremdlich fand. Wir hatten einen Psycho vor uns, der bei einem falschen Wort ausrasten würde. Fuck. Cai, du musst vorsichtig sein. Ich streckte schützend die Hände vor dem Körper aus.

»Kann ich irgendetwas tun, um dich davon abzubringen?«, versuchte ich zu verhandeln. Ich spürte, dass es eine verdammte Gratwanderung sein würde. Seua versuchte sich von seiner Position wegzubewegen, doch der Typ machte noch einen Schritt auf ihn zu: »Du rührst dich nicht vom Fleck, haben wir uns verstanden?«

Er wandte sich wieder an mich: »Ihr habt die Drohung doch bekommen. War das nicht deutlich genug? Hätte er direkt reagiert, hätte ich noch mit mir verhandeln lassen. Aber Seua hat sich nicht daran gehalten und ich bin niemand der leere Drohungen ausspricht.«

Sein ruhiger Tonfall ließ mich schaudern. Er handelte das ab, als würde er sich normal mit mir unterhalten. Noch nie hatte ich mich so hilflos gefühlt. Ich hatte weder die Worte, ihn zu überzeugen, noch die Kraft gegen ihn zu kämpfen. Trotzdem wagte ich es, noch weiter auf ihn zuzugehen. Jedes Wort musste gut überlegt sein.

»Du magst mich, oder?«

»Ja, und?«

»Glaubst du, ich wäre glücklich, wenn Seua tot ist?«, es fiel mir schwer, diese Worte überhaupt auszusprechen. Ich hoffte, dass ihn mein flehender Ton überzeugen konnte. Sein triumphierender Blick sagte allerdings das Gegenteil. Mir lief langsam die Zeit davon.

»Glücklich nicht, aber frei. Wenn du erst mal bei mir bist, wirst du Seua ganz schnell vergessen. Das verkraftest du, Cai.«

Würde ich nicht. Wie verdreht im Kopf musste man sein, um so einen Schwachsinn zu erzählen? Mir stiegen die Tränen in die Augen. Irgendetwas musste ich doch tun können.

»Was soll ich tun? Sag’s mir! Ich mache alles, aber du darfst Seua nichts tun!«, flehte ich. Der Hall der Tiefgarage ließ meine Stimme noch lauter klingen. Ich krallte meine Hände in die Jacke. Bitte. Sag doch was. Irgendwas.

»Siehst du? Das ist das Problem, Cai. Ihr würdet euch einen Plan ausdenken, mich in die Falle locken und dann euer Happy End haben. Aber nicht mit mir. Du magst Seua zu sehr, daher muss er sterben. Und ich werde derjenige sein, der dich rettet.«
 

In der nächsten Sekunde holte er aus, wie in Zeitlupe sah ich, wie sich die Klinge auf Seua zu bewegte. Bevor die Klinge Seua verletzen konnte, trat ich vor ihn.
 

Es war nur ein kurzer Moment, ein Blinzeln.
 

Ein Stich in meinen Bauch.
 

Ein schockierter Blick des Vermummten.
 

Schritte. Stille.
 

Ungläubig sah ich das Messer an, spürte, wie meine Beine unter mir nachgaben. Ich fiel gegen Seua, wir ließen uns zu Boden gleiten.

»Cai!«, hörte ich ihn rufen. Mit letzter Kraft holte ich das Handy aus der Tasche und gab es ihm. Undeutlich nahm ich wahr, wie er mit jemandem auf Thai sprach. Wie in Trance sah ich zu, wie das Blut unter meiner Jacke herlief. Ich traute mich nicht, die Wunde oder das Messer anzufassen. Würde ich wirklich so sterben? In einer Tiefgarage in Seuas Armen? Er legte mich auf dem Boden ab, hielt meine Hand. Ich konnte sein Gesicht nur undeutlich erkennen.

»Sie sind unterwegs und werden dir helfen, okay?«, seine Tränen tropften auf meine Hand.

»Denk‘ an unser Versprechen! Du schaffst das, Cai«, sagte er immer und immer wieder. Wie ein Gebet. Es war schade, dass ich nicht mehr erleben würde, wie »Wolfsherz« seine Premiere feiern und ich endlich ein richtiger Star werden würde. Aber eine Sache konnte ich nicht ungesagt lassen.

»P‘, ich muss dir noch etwas sagen, bevor es zu spät ist«, bei jedem Wort spürte ich den Schmerz, der mich lähmte. Langsam fing mein Bewusstsein an, in unbekannte Sphären abzudriften. Das musste ich noch schaffen. Ich versuchte ruhig zu atmen, um noch ein bisschen wach zu bleiben.

»Ja, sprich‘ mit mir, Cai. Du musst wach bleiben!«, flehte er. Einen kurzen Augenblick schaffte ich es, die Lethargie zu überwinden, klar zu sein in meinem Gedanken und mit meinem Blick. Mein Lächeln muss ziemlich gequält ausgesehen haben:

»Ich liebe dich, P’Seua.«

Als hätte ich die Kraft nur noch dafür gehabt, verlor ich kurz darauf den Kampf gegen die Dunkelheit.
 

Grelles Licht schlug mir entgegen, mein Kopf fühlte sich an, als hätte jemand Steine reingelegt und mein Blick war verschwommen. Ich wollte meine Augen mit der linken Hand vor dem Licht abschirmen, da sah ich den Zugang, den sie mir gelegt hatten. Das war ohne Zweifel ein Krankenhaus. Mein Blick klärte sich, doch als ich mich umsah, war niemand da. Die Erinnerung an den Angriff strömte auf mich ein, die Sekunden in denen es geschehen war, hatte ich lebendig vor Augen. Was war mit Seua? Ich sah vorsichtig an mir herunter, doch es steckte kein Messer mehr in meinem Bauch. Ich hatte überlebt. Eine Krankenschwester betrat den Raum, sie hatte ihre Haare hochgesteckt und ich schätzte sie auf das Alter meiner Eltern. Erstaunt sah sie mich an: »Ein Glück, du bist wach, Khun Cai. Ich bin Hope, deine persönliche Krankenschwester. Wie geht es dir?«

Ihr Englisch war ziemlich gut, was mich hier aber inzwischen nicht mehr überraschte.

»Keine Ahnung, P’Hope. Irgendwas zwischen ich lebe und ich spüre überhaupt nichts«, gab ich zu Protokoll.

Liebevoll strich sie mir über den Arm: »Wir bekommen das hin, Khun Cai. Ich werde dich jetzt in ein normales Zimmer verlegen, dann klären wir den Rest.«

Ich nahm es hin, viel wehren konnte ich mich in diesem Zustand ohnehin nicht. Doch bevor sie das Bett verschieben konnte, fragte ich:

»Weißt du, wo P’Seua ist?«

Für einen Moment schien sie nachzudenken, doch dann schüttelte sie den Kopf: »Das ist dein Drehpartner, oder? Ich kann es dir nicht sagen, weil ich nicht dabei war, als du herkamst.«

Sie schob mich auf ein normales Zimmer, was recht groß und luxuriös war, in Amerika hätte man für so ein Zimmer sein Haus verkaufen müssen.

»Ist meine Verletzung sehr schlimm?«, besorgt sah ich sie an. P’Hope stand neben meinem Bett, goss ein Glas Wasser ein.

»Du hattest sehr viel Glück. Es wurden keine lebenswichtigen Organe getroffen, aber Schnittwunden darf man trotzdem nicht unterschätzen. Du hast sehr viel Blut verloren, bist daher noch etwas schwach. Wir haben dich auf Schmerzmittel gesetzt, deswegen fühlt sich alles ein bisschen taub an. Aber ich denke, wenn du dich schonst, wirst du dich vollständig erholen.«

Es erleichterte mich unheimlich, das zu hören. Schlimm genug im Krankenhaus zu sein, aber zumindest gab es eine Aussicht auf Erholung.

»Danke.«

»Falls irgendetwas sein sollte, kannst du mich jederzeit rufen. Egal wann.«

Hope verließ den Raum und ich wollte mich aufsetzen, doch der Verband hinderte mich daran. Es fühlte sich an, als hätten sie mir einen Stahlträger auf den Bauch gelegt. Neben meiner Verletzung gab es jedoch noch etwas, was mich verrückt machte. Wo war Seua? Die ersten, die kamen, waren jedoch Ray und P’Star. Ich sah einen erleichterten Ausdruck in ihren Gesichtern.

Ray kam auf mich zu: »Endlich bist du wach, Cai. Die letzten zwei Tage waren wie die Hölle für uns. Wie geht’s dir?«

Das würde ich vermutlich noch öfter hören. Moment mal.

»Frag‘ nicht. Zwei Tage?«

»Ja, du warst im Koma. Es war eine Sicherheitsmaßnahme der Ärzte.«

Ich war schockiert darüber, dass ich zwei Tage nichts mitbekommen habe. Bevor ich mich weiter darüber wundern konnte, umarmte Ray mich.

»Willst du mir keine Standpauke halten? Dass ich ein dämlicher Idiot bin, der es immer wieder schafft, in solche Situationen zu geraten?«, fragte ich. Ray ließ von mir ab, schüttelte den Kopf. Es war das erste Mal, dass ich ihn mit Tränen in den Augen sah.

»Nein, das ist alles unwichtig. Du lebst und bist ansprechbar, mehr brauchen wir nicht.«

»Verstehe. Wo ist Seua?«

Wenn es jemand wissen musste, dann sie. Ich wünschte mir, er wäre hier. Doch ich sah noch etwas anderes als Erleichterung in ihren Gesichtern. Sie warfen sich vielsagende Blicke zu, nickten, dann trat P’Star vor.

»Seua steht ein wenig unter Schock, aber sonst geht es ihm gut.«

Ich sah ihn eindringlich an: »Das war nicht meine Frage. Wo ist er?«

Wieso konnten sie mir das nicht einfach sagen? Ich spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. P’Star brauchte eine Weile, atmete noch einmal tief aus, dann sagte er: »Du musst versprechen, dass du bist zum Ende zuhörst, Cai.

Mein Herz schlug schneller und ich musste schlucken. Was kam jetzt?

»Okay.«

»Wir kooperieren aktuell mit der Polizei, um den Angriff vollständig aufzuklären. Sie werden dich später auch noch befragen. Leider kamen sie nicht rechtzeitig und der Täter ist weiterhin auf der Flucht. Der Sender hat in den letzten zwei Tagen weitere Drohungen bekommen, dass diese Person, Seua umbringen wird, wenn er in deiner Nähe ist. Daher müssen wir euch trennen, solange bis die Person gefasst wurde. Seua ist an einem sicheren Ort, den ich dir nicht verraten kann«, seine Stimme brach und er wandte sich ab. Meine Wut gab mir plötzlich die Kraft, mich ein bisschen aufzusetzen.

»Das ist nicht euer Ernst!«, hallte meine Stimme durch das Zimmer.

»Es ist uns auch nicht leichtgefallen, Cai. Aber wir haben keine Wahl. Du hast doch selbst am eigenen Leib erfahren, wozu dieser Typ fähig ist«, mischte sich Ray ein. Wütend funkelte ich ihn an: »Und ihr glaubt, ihr könnt mich daran hindern, ihn zu finden?«

Ray schloss für einen kurzen Moment die Augen: »Können, werden und müssen wir. Es tut mir leid.«

Wie gerne wäre ich aufgestanden und einfach losgerannt, aber meine Beine ließen mich nicht. Die beiden standen vor mir wie begossene Pudel, doch ich weigerte mich, ihren Unsinn zu glauben.

»Wo ist er?«, fragte ich erneut, doch sie blieben mir eine Antwort schuldig. Ich wollte mir den Zugang aus der Hand reißen, doch Ray hielt mich davon ab.

»Es bringt nichts, abzuhauen, Cai. Ruh‘ dich bitte aus.«

»Wieso? Habt ihr mir etwa Security vor die Tür gestellt, oder was?«, sie ließen die Köpfe sinken. Also hatten sie es. Ich biss die Zähne zusammen: »Verschwindet!«

Ich wartete noch, bis sie den Raum verlassen hatten, dann ließ ich mich zurück ins Kissen sinken, die Tränen ließ ich einfach laufen. Sowas dämliches habe ich noch nie gehört! Anstatt ihn zu beschützen, verstecken sie ihn vor mir? Wieso? Meine Tränen verwandelten sich in ein hemmungsloses Schluchzen. Warum kann er nicht hier sein? Wie geht es ihm? Ich drückte mein Gesicht ins Kissen. Nicht nur hatten sie uns getrennt, sie hatten jemand hilfloses wie mich auch noch eingesperrt. Wahrscheinlich hatte Ray, dieser miese Verräter, das alles organisiert! Wären wir einfach nicht zur Wohnung gegangen. Über die Zeit in Amerika hatte ich es vergessen können, doch die Realität hatte uns ganz schnell wieder eingeholt. Zum ersten Mal sah ich richtig an mir herunter: die Hand mit dem Zugang, die hellblaue Krankenhauskleidung. Mein Gesicht wollte ich erst gar nicht sehen. Es war alles so unglaublich frustrierend. Ich wollte ganz weit wegrennen, doch ich konnte mich nicht bewegen.
 

Ray und P‘Star kamen jedoch wieder, diesmal mit einem Polizisten und einer Polizistin im Schlepptau, sodass ich versuchte, mich für den Moment einigermaßen zu beruhigen. Es war wichtig, dass sie alles so genau wie möglich aufnahmen. Je schneller der Penner hinter Gittern war, desto besser. P’Star musste für sie und für mich übersetzen: »Erzähl bitte, wie alles abgelaufen ist.«

Ich holte ein bisschen weiter aus, fing bei dem Drohbrief an, der sich noch im Hotelzimmer befand. Soweit ich mich erinnern konnte, versuchte ich kein Detail, von unserem Gespräch, der komischen Obsession und dem Angriff, auszulassen. Eifrig nahmen sie alles auf.

»In der Tiefgarage gibt es eine Videokamera, wir werden das Material in den kommenden Tagen auswerten. Falls es weitere Erkenntnisse gibt, werden wir Sie selbstverständlich in Kenntnis setzen«, übersetzte er. Die Polizisten gingen, P’Star sagte: »Ich habe deine Familie angerufen, wir wollten nicht, dass sie es aus den Nachrichten erfahren. Um die Medien haben wir uns auch gekümmert. Der Sender hat ein Statement rausgebracht, dass es euch so weit gut geht und wir alle auf dem Laufenden halten werden. Es wird dich also niemand stören.«
 

Ich drehte meinen Kopf zum Fenster. Gerade war niemand da. Langsam wurde es dunkel. Irgendwo da draußen musste er sein und wenn sie dachten, dass ihre dämlichen Maßnahmen mich von irgendetwas abhalten würden, hatten sie sich gewaltig geschnitten. Cai gibt es nicht mehr ohne Seua. Ich fühlte mich leer. Über die Monate war Seua immer da gewesen, auch wenn es mir schlecht ging, doch jetzt war da niemand, der mich in den Arm nahm und mir sagte, dass alles gut werden würde. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich richtig, was es hieß, jemanden zu vermissen. Dieser Psycho hatte sein Ziel erreicht, ich war allein. Aber er hatte mich nicht gerettet, er hatte mich ins Unglück gestürzt. Immer wieder versuchte ich aufzustehen, doch es klappte nicht. Ich war mir selbst ausgeliefert und musste mein Schicksal akzeptieren. Es klopfte.

»Ja?«

»Khun Cai, ich bins Hope.«

Sie kam auf mein Bett zu, doch erst als sie vor mir stand, konnte ich sehen, was sie in der Hand hielt. Eine kleine Lampe.

»P’Star lässt von Seua lässt ausrichten, dass du ohne ein kleines Licht nicht schlafen kannst und weil wir hier nur das große Licht haben, habe ich dir diese Lampe mitgebracht«, sie stellte die Lampe auf meinem Nachttisch ab und schaltete sie ein.

»Danke.«

»Ich hoffe, du kannst ein wenig schlafen, Khun Cai. Das ist sehr wichtig für deine Genesung«, sagte sie noch, bevor sie das Zimmer verließ. Aber auch, wenn ich diese Lampe ansah, konnte ich kaum schlafen. Es war schlimm genug nicht zu wissen, wo er steckte, doch zu allem Überfluss, sah ich jedes Mal ein vermummtes Gesicht mit einem Messer vor mir, wenn ich versuchte, die Augen zu schließen. Statt zu schlafen, starrte ich nur dieses Licht an, als könnte es mir antworten. Mitch hatte gesagt, dass ich durch Wände gehen konnte, also wurde es wohl Zeit für einen Fluchtplan. Solange ich weder aufstehen noch schlafen konnte, waren meine Gedanken das Einzige, was ich ohne Anstrengung bewegen konnte. Ich sollte als erstes versuchen, an mein Handy zu kommen, was verschwunden war. Und dann..ich konnte den Gedanken nicht beenden, da durchfuhr mich ein stechender Schmerz im Bauch. Ich krümmte mich, konnte kaum atmen. Hektisch tastete ich nach dem Notknopf. Ich spürte, wie sich der Schweiß auf meiner Stirn bildete. Hope kam herein, schaltete das Licht ein. Ich sah sie an, konnte aber nicht sprechen. Wie gelähmt, mit rasendem Herzen, sah ich zu, wie sie um mein Bett herumging, etwas einstellte und mir eine Spritze gab. Endlos lange Sekunden zogen vorbei, bis ich endlich merkte, dass der Schmerz nachließ.

»Geht es dir besser?«

»Ja, es geht. Was war das?«, ich verstand nicht, was mich plötzlich überfallen hatte. Ihr freundlicher Blick ließ mich zur Ruhe kommen.

»Deine Schmerzmittel waren zu niedrig dosiert und dann bist du in Panik geraten. Jetzt sollte es besser sein. Kann ich noch etwas für dich tun, Khun Cai?«

Ich versuchte wieder ruhiger zu atmen, wischte mir den Schweiß von der Stirn: »Ich weiß nicht, ob du das darfst, aber kannst du mich in den Arm nehmen?«

Dieser Tag hatte mehr von mir abverlangt, als ich aushielt. Sie setzte sich auf den Rand des Bettes, beugte sich zu mir und nahm mich in den Arm. Ganz vorsichtig, als wäre ich zerbrechlich. Dankend erwiderte ich die Umarmung, ihre Wärme ließ mich wieder hoffen, dass nicht alles verloren war. Sie ließ mir Zeit, wusste wie sehr ich das brauchte. In diesem hilflosen Moment war das meine Rettung. Es war, als würde mich meine Mutter umarmen. P’Hope strich mir über den Rücken: »Khun Cai, es ist am wichtigsten, dass du dich erholst. Ich werde dich dabei unterstützen so gut ich kann. Du brauchst keine Angst haben, wir schaffen das«, flüsterte sie und es berührte mich. Wie konnte man nur so ein guter Mensch sein?

»Ich versuche es. Danke, P’Hope.«

Nach dieser Umarmung konnte ich sogar ein bisschen schlafen.
 

Ab dem nächsten Tag wurde ich darüber informiert, wer zu mir ins Zimmer kommen wollte. Es war keine V.I.P Behandlung, die ich hier ohnehin bekam, sondern eine Schutzmaßnahme, damit ich selbst entscheiden konnte, wen ich aktuell ertragen konnte und wen nicht. Ray stand vor mir, als sie mein Mittagessen abräumten. Ich hatte nur ein paar Stunden geschlafen und das auch nicht besonders gut, dementsprechend ging es mir. Noch war ich auf den Rollstuhl angewiesen, es würde noch dauern, bis ich aufstehen konnte. Ray war nur hier, weil er mir etwas geben wollte. Er steckte die Hand in die Innentasche seines Jacketts, holte etwas heraus und hielt es mir hin. Mein Handy!

»Hier. Damit du weißt, dass wir das nicht machen, weil wir herzlose Monster sind, sondern weil ihr in Gefahr seid.«

Wortlos nahm ich es entgegen. Er konnte sich ruhig einbilden, dass es damit getan war, das war es aber nicht.

»Ich fahre dann zum Sender, damit wir weiter an dem Fall arbeiten können.«

»Mhm.«

Ich wollte nicht mit ihm reden. Mit Dice, Pravat, Moon und Sun eigentlich auch nicht, sie sollten mich nicht in diesem Zustand sehen, aber sie machten sich Sorgen, also ließ ich es zu. Moon trat vor mich, die anderen versammelten sich um das Bett. Das Obst und die Blumen hatten sie vorher auf einem Tisch abgestellt.

»Cai, P’Star hat uns erzählt, was passiert ist. Ihr müsst richtig Angst gehabt haben. Wie geht es dir?«

»Nicht gut, aber ich lebe«, wenn auch mit Kopfschmerzen und anderen Nebenwirkungen.

»Es tut mir wirklich leid, was euch passiert ist«, in ihren Augen sah ich die ehrliche Anteilnahme.

»Braucht es nicht.« Ich sah in die Runde: »Wisst ihr wo Seua ist?«

Ich rechnete mir geringe Chancen aus, denn Ray und P’Star wussten sicher, wo ich meine Infos herbekommen würde. Alle vier schüttelten den Kopf, Pravat antwortete für sie: »Wir haben P’Star mehrmals gefragt, aber er wollte es uns nicht sagen. Sie halten ihn komplett vor der Öffentlichkeit unter Verschluss. Warum habt ihr niemanden von dem Drohbrief erzählt?«

Ich wollte ich meinen Freunden die Wahrheit sagen. Für alles andere war es ohnehin zu spät.

»Seua hat mich gezwungen, es geheim zu halten. Er wollte kein Aufhebens darum machen, weil er das für einen harmlosen Scherz hielt«, erklärte ich. P’Star wusste es vermutlich ohnehin schon längst, sonst hätte auch er danach gefragt.

»Das klingt nach ihm. Ich hoffe einfach, dass sie den Typen schnell dingfest machen.«

Plötzlich standen Pravat, Moon und Sun auf, wollten rausgehen, um sich was zu trinken zu kaufen. Sie ließen mich mit Dice allein und es war ziemlich offensichtlich, dass das Absicht war. Er setzte sich seufzend ans Fußende. Egal was er sagen würde, ich hatte nicht die Kraft zu streiten.

»Cai«, er ließ den Kopf sinken. »Es tut mir leid, ich war wirklich ätzend zu dir.«

Bei diesen Worten horchte ich auf. Eine Entschuldigung? Von ihm? Gut, vielleicht sollten wir das als Chance nutzen.

»Naja, sagen wir einfach, wir sind quitt, okay? Ich war auch nicht gerade nett zu dir«, gab ich zurück. Dice sah mich an, doch zum ersten Mal richtig und ohne Hass.

»Ist das okay? Ich meine..«, doch ich winkte ab.

»Ja, dann können wir endlich als komplettes Team »Wolfsherz« zu Ende drehen«, immerhin einen meiner Wünsche würde man mir in diesem Leben noch erfüllen.

»Gut. Ich habe dich auch nie gehasst, Cai. Ich war einfach eifersüchtig. Aber ich habe beschlossen, Seua aufzugeben.«

Es überraschte mich. Was trieb ihn dazu, plötzlich geläutert vor mir zu stehen? Nachdem er sonst so aggressiv und kämpferisch war.

»Warum?«

»Weil es erstens total kindisch ist, zweitens dir nur in die Karten gespielt hat und drittens, weil ich das, was du für ihn getan hast, nicht toppen kann.«

»Und zwar?«

Er deutete auf meine Verletzung: »Na das. Ich wäre zu feige gewesen, für Seua in die Klinge zu springen.«

Auch wenn ich mich nicht wie ein Held deswegen fühlte, wenn er das sagte, hörte es sich fast so an.

»Aber so heldenhaft wie es vielleicht scheint, war es gar nicht, sondern eher ziemlich dumm«, klar, ich hatte verhindert, dass Seua verletzt wird, aber es hätte bestimmt andere Möglichkeiten gegeben.

Dice reichte mir die Hand: »Vielleicht war es das, aber du wolltest ihm das Leben retten und das ist alles andere als dumm. Freunde?«

Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich ihn richtig lächeln sah. Ich nahm seine Hand entgegen: »Freunde.«

Es fühlte sich an, als hätten wir ein schwieriges Kapitel hinter uns gebracht und die Zahnräder würden sich wieder richtig drehen, sobald Seua wieder da war. Dice tippte etwas in sein Handy und die anderen kamen zurück. Sie setzten sich um mein Bett, damit wir Karten spielen konnten. Ich war froh darüber, weil es mich ein bisschen ablenkte, da ich alleine im Krankenhaus sonst ständig von meinen eigenen Gedanken heimgesucht wurde.

»Was ist mit den Dreharbeiten?«, fragte ich in die Runde, als Dice gerade die Karten verteilte.

»Wir werden die Szenen mit uns, unter erhöhten Sicherheitsmaßnahmen, weiterdrehen. P’Star hat gesagt, dass wir zwar das ursprünglich geplante Release-Datum nicht schaffen werden, aber so können wir noch einiges an Zeit rausholen.«

Wenigstens das konnten sie weitermachen. Wie gerne wäre ich dabei. Wir spielten eine Weile und sie versprachen mir, regelmäßig vorbeizukommen. Ich stellte ihnen noch P’Hope vor. Bei ihr hatte ich schon gemerkt, dass sie nichts mit dem Showbiz zu tun hatte, denn während andere Patienten und Krankenschwestern uns für hohen Besuch hielten, war es für sie normal. Trotzdem freute sie sich, die Anderen kennenzulernen. Aber auch wenn wir scheinbar Spaß hatten, auch wenn es mich ablenkte, ohne ihn war es einfach nicht das Gleiche. Die Anderen strengten sich an, für mich zu Lächeln, doch auch ihnen war die Trauer ins Gesicht geschrieben. Es war alles Fake, damit wir nicht darunter zusammenbrachen.
 

Am Abend in meiner Einsamkeit, kehrte das Bewusstsein über meine miserable Lage in vollem Ausmaß zurück. Denn meine größten Feinde waren wieder da: Dunkelheit und Stille. Ich griff nach dem Handy, war froh, dass ich wieder Kontakt zur Außenwelt hatte. Eine neue Nachricht. Von mir selbst? Ich ging in den Chat und sah eine Sprachnachricht. Neugierig rief ich sie auf:

»Cai, ich bins, Seua«

Es war schön, seine Stimme zu hören, auch wenn er ziemlich fertig klang.

»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich hoffe du siehst die Nachricht. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schuldig ich mich fühle. Wäre ich nicht diesem dämlichen Psycho hinterhergerannt, sondern hätte direkt die Polizei gerufen, hättest du nicht verletzt werden müssen. Gerade fällt es mir schwer, mir selbst zu verzeihen, dich in diese missliche Lage gebracht zu haben.«

Ich pausierte die Nachricht, um mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen: »Das ist doch nicht deine Schuld, P‘.«

»An diesem Tag hatte ich Angst, du würdest einfach in meinen Händen sterben, Cai. Die Retter kamen und es wurde hektisch. Das Einzige, was ich sah, war, dass du bewusstlos warst und voller Blut. Ich konnte nichts tun, außer zuzusehen, wie sie dich abtransportierten«, zwischendurch machte er Pausen, weil er wegen des Schluchzens kaum sprechen konnte.

»P’Star hat mich irgendwo hinbringen lassen, wo mich niemand finden kann und erst Tage später habe ich erfahren, dass du wach bist. Ich hoffe, es geht dir den Umständen entsprechend gut. Da das dein Handy ist, werden sie es dir wiedergeben, daher habe ich diese Nachricht gemacht. Ich befürchte, dass ich hier kein Internet habe, aber du erinnerst dich bestimmt an die Nummer, die ich dir gegeben habe. Von dem Handy wissen sie nichts, das habe ich immer dabei. Ich will dir noch so viel sagen, Cai, aber erst einmal hoffe ich, dass du mir verzeihen kannst..«, die Nachricht brach ab.

Auch ich konnte mein Schluchzen nicht mehr unterdrücken.

»P‘, ich war doch keine Sekunde sauer auf dich«, sagte ich in die Dunkelheit hinein. Er musste sich noch schrecklicher fühlen als ich, überwältigt von Schuldgefühlen, abgeschnitten von allen. Seua konnte immer noch diesem Typen in die Arme laufen, aber trotzdem war es zu extrem. Seine private Nummer kannte ich mittlerweile auswendig, so oft hatte ich mir diesen Zettel angesehen. Außerdem war sie in meinem Kopf am sichersten aufgehoben. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und wählte die Nummer mit zitternden Händen. Das lange Tuten am anderen Ende der Leitung synchronisierte sich mit meinem Herzschlag.

»Cai?«, seine Stimme war kraftlos, es hörte sich an, als müsste er sich zum Sprechen anstrengen.

»P‘! Wo bist du?«

»Ich weiß es nicht. Wie geht’s dir?«

»Es geht schon, irgendwie. Ich möchte nicht, dass du dir die Schuld gibst, okay? Du kannst nichts dafür und ich brauche dir nicht zu verzeihen, weil ich nie wütend war«, erklärte ich nachdrücklich.

»Aber…wenn..«

»Kein Aber! Niemand außer diesem Spinner trägt die Schuld«, normalerweise konnte ich nicht standhaft sein mit Seua, aber diesmal ging es nicht anders. Auch wenn er entmutigt klang, seine Stimme war das, was ich brauchte. Sie gab mir meine Hoffnung zurück.

Doch auch meine Standhaftigkeit, erlöste ihn nicht von seinen Zweifeln: »Ja, aber wenn ich die Drohung ernst genommen hätte, auf dich gehört hätte..«

Ich konnte mir vorstellen, wie er dort saß und sich die ganze Zeit wie ein Häufchen Elend Vorwürfe machte. Das durfte auf keinen Fall so bleiben.

»Das spielt alles keine Rolle mehr, P’Seua. Wir können es nicht ändern, daher bringt es nichts, sich Vorwürfe zu machen. Ich..ich vermisse dich.«

Dein Lächeln, deine Wärme, dein Herzklopfen, deinen Geruch. Alles.

»Ich vermisse dich auch, Cai. In diesem Moment sollte ich derjenige sein, der an deinem Krankenbett sitzt und deine Hand hält. Aber sie sperren mich hier ein und ich werde noch verrückt ohne dich«, ich hörte, dass er schon wieder kurz davor war, zu weinen. Ich versuchte mich nicht zu sehr von den Gefühlen überwältigen zu lassen. Das Sprechen fiel mir schwer, aber wir mussten jede Sekunde nutzen, die wir hatten. Außerdem musste ich noch etwas wissen.

»Du hast gehört, was ich gesagt habe, bevor ich ohnmächtig wurde, oder?«, fragte ich vorsichtig. Die Tränen störten mich nicht mehr, ich hatte mich mit ihnen abgefunden.

»Habe ich, Cai. Ich werde dir auch antworten, aber das möchte ich persönlich machen. War schon hollywoodreif, diese Szene«, er lachte leise.

»Naja, dramatisch ist mein zweiter Vorname, P‘. Ich kann das sogar, ohne zu schauspielern. Aber eigentlich sollte das gar nicht dramatisch werden. Ich hatte Angst, dass ich sonst keine Gelegenheit haben würde, es dir zu sagen.«

Ich hörte ihn schlucken: »Seit wann weißt du es? Kannst du mir das sagen?«

»Ich weiß‘ nicht, aber vermutlich seit unserem Date«, sagte ich leise.

»Okay.«

Eine Weile schwiegen wir uns an.

»Was sollen wir tun? Ich würde gerne abhauen, aber dazu bin ich körperlich nicht in der Lage und sie haben mir Security vor die Tür gestellt.«

Seua seufzte: »Brauchst du auch nicht, du ruhst dich nur aus, Cai. Sie kennen deinen Hang zur Flucht und das werden wir uns zu Nutze machen. Ich werde nicht zulassen, dass du dich in deinem Zustand irgendwohin schleppst. Diesmal werde ich derjenige sein, der abhaut.«

Offenbar hatte er schon einen Plan, doch von Seua zu hören, dass er abhauen wollte, war schon ungewöhnlich. Ich hatte erwartet, dass er sagt, wir warten bis der Typ geschnappt wurde, um uns nicht in irgendwelche halsbrecherischen Abenteuer zu stürzen.

»Sicher?«

»Ja. Ich halte es nicht länger aus, nicht bei dir zu sein, Cai. Ich werde schon einen Weg finden.«

Musste ich etwa diesmal die Stimme der Vernunft sein? Nein, denn das wollte ich auch gar nicht. Ich sog jedes seiner Worte auf und hatte das Gefühl, dass sie mich heilen könnten.

»Okay, ausreden werde ich es dir nicht, weil es gelogen wäre, zu sagen, dass ich es nicht will. Pass‘ bitte auf dich auf. Ich werde hier auch versuchen, es dir so leicht wie möglich zu machen. Bin ja nicht umsonst Schauspieler.«

»Du nutzt deine Schauspielkünste und ich meinen Plan, dann kriegen wir das hin. Sie dürfen aber auf keinen Fall wissen, dass du mit mir gesprochen hast.«

»Werden sie nicht.«

»Warte auf mich, Cai.«

»Ich mache schon die ganze Zeit nichts anderes. Danke für die Lampe«, warf ich ein.

»Ich weiß doch, dass mein Wolf nicht ohne Licht auskommt«, ich konnte fast durchs Handy sehen, dass er schmunzelte. Hatte er gerade »mein Wolf« gesagt? Seua wusste genau, mit welchen Worten er mich zum Schmelzen bringen konnte. Diesmal würde er mein Herzklopfen nicht hören können, aber ich würde auf den Tag warten, an dem er es wieder konnte.

»Cai, ich muss aufhören. Ich kann dir nicht versprechen, dass wir nochmal reden können. Du musst geduldig sein. Schaffst du das?«, er kannte mich mittlerweile gut genug, dass er wusste, Geduld war nicht meine Stärke. Aber wenn der Tiger mich darum bittet, musste es gehen.

»Jetzt auf jeden Fall. Ich werde auf dich und deine Antwort warten, P’Seua.«

Wir verabschiedeten uns und ich ließ lächelnd das Handy sinken. Der Wolf und der Tiger waren zurück. Auch wenn ich nicht abhauen würde, ich würde mir schon etwas ausdenken, um es Seua leichter zu machen. Ich drückte mir das Handy an die Brust. Ich musste ihm vertrauen, dass er es schaffen würde. Irgendwie.

Die nächsten Tage zogen sich hin, viele aus dem Team besuchten mich, brachten mir Blumen und erzählten mir vom Dreh. Mein Zimmer sah fast aus wie ein Blumenladen. Auch wenn ich noch mit Schmerzen zu kämpfen hatte, das Gespräch mit Seua hatte mich zumindest seelisch gerettet. Sorgen machte ich mir trotzdem, denn seit diesem einen Abend konnte ich ihn nicht mehr erreichen. Gerade sah ich mir mit Ray und P’Star die Nachrichten an. Ich verstand zwar nichts, doch war es deutlich, dass sie über den Angriff auf uns berichteten.

»Die Polizei hat die Videoaufnahmen nach der Untersuchung freigegeben, um nach eventuellen Zeugen und dem Täter zu fahnden.«

Ich sah zum ersten Mal die Videoaufnahmen. Ich war es zwar schon gewohnt, mich vor der Kamera zu sehen, aber trotzdem war das etwas surreal. Das Bild war grau und körnig, man sah uns von oben. Den Moment, als ich in das Messer sprang, hatten sie zum Glück zensiert. P’Star schaltete den Fernseher aus.

»Die Fahndung läuft schon einige Zeit, aber bisher gibt es noch keine Anhaltspunkte«, sie wollten sich schnell wieder entfernen, doch ich hielt sie auf.

»Wartet!«

Überrascht hielten sie inne: »Cai?«

»Ihr braucht euch nicht davonschleichen, ich habe euch verziehen«, es stimmte zwar nicht ganz, war aber Teil meines Plans. Auch auf die Gefahr hin, unglaubwürdig zu wirken, musste ich sie so gut wie möglich in Sicherheit wiegen, dass ich mich damit abgefunden hatte. Erstaunt sahen sie sich an, Ray blieb verständlicherweise skeptisch.

»Wirklich? Es ist okay? Du wirst nicht bei der nächsten Gelegenheit die Flucht ergreifen?«

Ich schüttelte den Kopf: »Nein. Seh‘ ich aus, als könnte ich?«

P’Star konnte wohl damit leben, Ray war noch nicht überzeugt und blieb noch.

»Nicht wirklich. Aber ich habe das Gefühl, dass es irgendwie zu gestellt ist«, er verschränkte die Arme.

»Ich werde keinen Fuß aus diesem Krankenhaus setzen, Ray. Versprochen«, es war nicht gelogen, also brauchte ich mich deswegen auch nicht schlecht fühlen.

»Wieso sollte ich dir glauben?«

Ray trat neben das Bett, sah mich eindringlich an. Gut, dann musste ich noch ein bisschen mehr schauspielern. Ich setzte meinen besten Dackelblick auf: »Natürlich vermisse ich Seua, aber du siehst doch, dass ich nichts machen kann. Ihr wollt doch auch nur, dass ich mich erhole und er sicher ist.«

»Ich bin ja schon froh, dass du mir nicht an den Kragen gehst, wenn ich reinkomme, Cai. Aber ich werde dich weiter im Auge behalten. Unterschätz‘ die fünf Jahre nicht, die wir zusammenarbeiten«, sagte er und verließ kopfschüttelnd den Raum. Ich war sicher, dass ich ihn schon irgendwie überzeugen konnte.
 

Noch am selben Abend versuchte ich erneut Seua zu erreichen, doch ohne Erfolg. Weder sein normales Handy noch sein Privates. Wenn ich einsam war, hörte ich mir seine Sprachnachricht an, oder sah mir im Internet Bilder und Videos von ihm an. P’Hope kam gerade rein, um die letzte abendliche Untersuchung zu machen. Zumindest dachte ich das, doch sie hielt etwas hinter ihrem Rücken versteckt.

»Ich habe gesehen, dass es dir seit ein paar Tagen sehr viel besser geht, Khun Cai. Das freut mich wirklich«, sie lächelte mich an. Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen und hielt mir einen Finger vor den Mund: »Ich sag mal so, wir haben einen Plan.«

»Dieser Plan scheint dir gutzutun. Ich denke wir können in ein paar Tagen mit der Reha anfangen.«

Ich nickte: »Aber deswegen bist du nicht hier, oder?«

»Meine Jungs und Mädels sind Fans von euch und als ich ihnen erzählt habe, dass du wegen Seua traurig bist, haben sie mir das hier gegeben.«

Sie holte eine DVD hinter ihrem Rücken hervor und ich nahm sie entgegen. Auf dem Cover sah ich Seua mit einem anderen Typen.

»Ist das?«

P’Hope holte einen Zettel aus ihrer Kitteltasche, setzte ihre Brille auf und las:

»Sie haben mir das aufgeschrieben, weil ich doch keine Ahnung habe. Also hier steht: Das ist ein Drama, welches Seua vor drei Jahren gedreht hat. Sein Debut. Der Titel lässt sich mit: »Der Traum von dir«, übersetzen. Es geht um Dream, er kann seine Träume steuern und in diesen ist er mit seinem Mitschüler Night, gespielt von Seua, zusammen und alles ist perfekt. Die Realität sieht jedoch anders aus, denn Night will nichts von ihm wissen. Dreams Mission ist es, seinen Traum wahr werden zu lassen.«

Sie faltete den Zettel wieder zusammen. Ich hatte mir mal zwar Ausschnitte von Seuas Dramen angeschaut, aber nie ganze Folgen. Und das war auch noch sein Debut! Ich mochte das Konzept, auch wenn es kitschig war.

»Kann ich mir das ansehen?«

»Natürlich, Khun Cai.«

P’Hope legte die DVD ein und half mir, englische Untertitel einzustellen. Natürlich würde ich es nicht mögen, ihn mit jemand anderem zu sehen, aber das nahm ich in Kauf. Sobald er auf dem Fernseher erschien, fühlte es sich an, als würde er neben mir stehen, auch wenn er da noch ein bisschen jünger aussah. Als sie sich verabschieden wollte, fragte ich: »P’Hope, du bist doch meine persönliche Krankenschwester, oder?«

»Ja, warum?«

»Ich möchte dich nicht aufhalten, falls du Feierabend hast oder was anderes machen willst. Aber magst du nicht die Folge mit mir gucken?«, ich deutete auf den leeren Stuhl. Ich wollte P’Hope auf keinen Fall zwingen, aber ich empfand ihre Gesellschaft als sehr angenehm. Es wäre auch die Chance für sie, sich für ein paar Minuten zu entspannen.

»Also Feierabend habe ich ohnehin nicht und ich muss ja auch alle Wünsche von Khun Cai erfüllen«, sagte sie schmunzelnd und setzte sich auf den Stuhl.
 

Es wurde zum abendlichen Ritual von P’Hope und mir, Folgen von Seuas Drama zu schauen, wovon wir beide ziemlich schnell Fans wurden. Auch wenn er damals vielleicht ein Rookie war, sein Talent war nicht zu übersehen. Eine Woche später konnte ich endlich wieder aufstehen und mit der Reha beginnen. Immer wieder dachte ich an unseren Plan, hoffte einfach nur, dass es ihm gut ging. Ich beschloss ihm zu vertrauen und weiterhin an meinem Security-Problem zu arbeiten. Es war gerade Mittag und ich stand an meiner Tür, um mit den Jungs und Mädels von der Security zu reden. P’Hope hatte ich, als Einzige, in unseren Plan eingeweiht, damit sie im Notfall helfen konnte.

»Khun Cai, wir können nicht einfach gehen, das weißt du, oder?«, fragte einer der Jungs.

»Ich weiß. Ihr macht euren Job und der ist auch sehr wichtig.«

»Was immer du vorhast, du wirst Ray und Star erst überzeugen müssen, eher wirst du uns nicht los.«

Das nicht, aber das Team war mittlerweile zumindest schon kleiner geworden. Es waren nur noch vier. P’Star war nicht das Problem, sondern Ray.

»Schon gut.«

Wie aufs Stichwort kam Ray dazu, überrascht sah er mich an: »Du kannst schon aufstehen?«

»Noch nicht allzu lange, aber ja.«

Die Erleichterung, dass ich diese Verletzung ohne Folgeschäden überstehen würde, war ihm anzusehen.

»Ich bin stolz auf dich, Cai, dass du solche Fortschritte machst.«

Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter: »Ich bin zäher als du denkst, Ray. Du hast gesehen, dass ich alles dafür getan habe, damit es besser wird. Das mit der Sicherheit ist ein bisschen übertrieben, oder? Das Krankenhaus beschützt mich schon gut genug«, wagte ich den nächsten Versuch.

»Fragen wir mal anders, Cai. Was stört dich daran?«

Beleidigt verschränkte ich die Arme. Mach‘ dir bloß nichts vor, Ray. Wir ziehen den Plan trotzdem durch. Ich wollte wieder ins Zimmer gehen, da hörte ich:

»Also gut. Du hast nicht versucht abzuhauen, was man dir schon hoch anrechnen muss. Wenn du dich dann besser fühlst, ziehen wir die Security eben ab.«

Zum Glück sah Ray nicht, wie ich triumphierend meine Hand zur Faust ballte. Ich wandte mich noch einmal in seine Richtung, setzte mein bestes Lächeln auf: »Danke.«
 

Ein paar Nächte später wurde ich durch ein Klappern an der Tür aus den Gedanken gerissen. P’Hope konnte es nicht sein, sie war gerade erst gegangen. Ich blinzelte, sah aber nur eine Silhouette. Die Person trat näher, doch im schwachen Lichtkegel der Nachttischlampe, konnte ich nur erkennen, dass sie vermummt war.

Der Wolf und die Antwort

Die Person trat näher an mein Bett, dann blieb sie direkt davorstehen. Als ich ihr in die Augen sah, erhöhte sich mein Puls. Diese Augen konnten nur einer Person gehören. Seua! Er nahm die schwarze Cap und die Maske ab, lächelte mich an: »Hi!«

Ich fiel fast aus dem Bett, rappelte mich auf und umarmte ihn. Als sich seine Arme um mich schlossen, wusste ich, dass es sich genauso anfühlen sollte. Endlich!

»P‘, du hast es geschafft!«, seine Jacke war kalt, als ich mein Gesicht dagegen drückte, doch es störte mich nicht.

»Endlich ja, tut mir leid, dass ich dich so lange habe warten lassen, Cai.«

»Braucht es nicht.«

Als mir jedoch einfiel, dass Seua mir noch eine Antwort schuldig war, wurde ich plötzlich nervös. Nie zuvor hatte ich so lange jemanden umarmt, wie in diesem Moment. Ray und P’Star würden uns dafür hassen, aber es war mir egal. Ich sog seinen Duft ein, fühlte mich das erste Mal, seitdem ich im Krankenhaus war, wieder richtig wohl. Vorsichtig schob er mich von sich, ich sah einen nervösen Ausdruck auf seinem Gesicht. Seine Hände lagen an meiner Hüfte. Seine Augen bewegten sich unruhig hin und her, wovon ich mich langsam anstecken ließ. Er atmete noch einmal tief aus, dann sah er mich an. Ich wusste, dies würde der Moment der Wahrheit sein.

»Nok liebt Wolf, aber..ich liebe dich, Cai.«

Da war sie. Meine langersehnte Antwort. Seua und ich hatten unser Versprechen gehalten. Wir waren an dem Punkt angekommen, an dem die Handlung der Serie zu unserer Realität geworden war. Ich konnte es kaum glauben. Obwohl er meine Antwort schon kannte, entspannte er sich nicht.

»Es gibt allerdings noch eine Sache, für die ich deine Antwort brauche«, er zog mich ein Stück näher zu sich und ich glaubte, mein Herz würde explodieren.

»Willst du mit mir zusammen sein?«, es war süß, ihn schüchtern zu sehen. Wozu denn? Ich hatte längst aufgegeben, gegen irgendwas anzukämpfen. Stattdessen würde ich mich meinen Gefühlen einfach hingeben.

»Ja«, sagte ich und strahlte ihn an.

Mein erster Freund war ein thailändischer Star. Es war unglaublich, auch was er für Umstände auf sich genommen hatte, nur um mich zu sehen. Seua beugte sich zu mir runter und küsste mich. Romantisch im Licht der kleinen Nachttischlampe, nachts im Krankenhaus. Ich erwiderte den Kuss, spürte, dass es leidenschaftlicher war als vorher. Aber es wunderte mich nicht, wir waren uns unserer Gefühle sicher und hatten uns wochenlang nicht gesehen. Seua fuhr mir mit der Hand durch die Haare, ich legte meine Arme um ihn. Der Ärger und die Trauer fielen von mir ab, ich legte meine ganze Sehnsucht nach ihm in diesen Kuss. Egal was noch passieren würde, uns würde nichts mehr aufhalten. Wir waren schon seit Tag 1 ein Team gewesen, doch jetzt war es offiziell. Er löste sich von mir und grinste mich an:

»Jetzt brauche ich ja nicht mehr zu fragen, oder?«

Ich schüttelte den Kopf.
 

Wir setzten uns zusammen auf das Bett, welches groß genug für zwei Leute war. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter, er nahm meine Hand, sein Blick löste sich kaum noch von mir. Als er begann mir das Hemd aufzuknöpfen, stockte mir der Atem.

»Was hast du vor, P‘?«

Er grinste: »Keine Ahnung, woran du schon wieder denkst, Cai, aber ich wollte mir nur deine Wunde ansehen.«

»O-okay«, ganz sicher war ich mir nicht, dass da nur unschuldige Gedanken hinter steckten, aber ich ließ ihn machen. Das Hemd ging auf und als seine Hand meinen Bauch berührte, verlor ich fast den Verstand. Seine kalten Finger fuhren an meiner warmen Haut entlang, was bei mir ein Kribbeln im ganzen Körper auslöste. Statt des Verbandes trug ich nur noch ein großes Pflaster, was es auch um einiges einfacher machte, sich zu bewegen. Seua strich mit der Hand darüber: »Hast du Schmerzen?«

Ich war mir nicht sicher, ob ich in dieser Situation überhaupt antworten konnte, es verlangte sehr viel Konzentration von mir.

»N-nein, im Moment nicht. Ich glaube, dass es ganz gut verheilt ist. Am Anfang war es schlimm, aber mittlerweile geht es.«

»Das ist gut.«

Ich beobachtete seine Hand, wie sie mir den Bauch entlangfuhr, hoch bis zu meiner Brust und zu meinem Nacken, wo sie schließlich blieb. Ich hob den Blick, sah den ernsten Ausdruck in seinem Gesicht.

»Danke, Cai. Dass du mich retten wolltest«, sagte er leise. Der Schmerz in seiner Stimme ließ mich kurz zusammenzucken. Ich strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht:

»Das ist selbstverständlich für mich. Aber ich bin einfach nur froh, dass dir nichts passiert ist. Lass uns nicht mehr darüber reden«, versuchte ich das Thema zu beenden. Doch es schien ihn nicht loszulassen, wie auch schon am Telefon.

»Aber, wenn…«, mit einem flüchtigen Kuss auf den Mund, brachte ich ihn zum Schweigen.

»Wie oft noch, P‘? Kein Aber mehr, okay?«, irgendwie musste ich ihn dazu bringen, sich nicht mehr schuldig zu fühlen. Grinsend nickte er und begann mein Hemd wieder zuzuknöpfen. Wir deckten uns zu und ich kuschelte mich an ihn. Zeit für einen Themenwechsel, mein Herz musste sich für einen Moment erholen.

»Wie hast du es geschafft, zu fliehen?«, fragte ich, während ich seinem Herzschlag lauschte. Ich dachte darüber nach, seit wann ich so mutig war. Wobei es war nicht das erste Mal und ich hatte eben von den Besten gelernt. Er drückte mich an sich und ich verschwand halb unter der Bettdecke.

»Uralte Tricks. Ich habe mich ein bisschen eingeschleimt, ihnen irgendwelche Märchen erzählt und sie abgeschüttelt, als es ging. Hab‘ sie quer durch die Stadt geschickt. Eigentlich müssten sie jetzt hier sein, aber sie wussten wohl nur, dass ich nicht abhauen durfte. Ray und P’Star werden ohnehin morgen hier sein, sie sind ja nicht dumm«, erklärte er. Das war wohl unausweichlich. Selbst wenn ich sie nicht reinlassen würde, sie wussten ohnehin, dass er nur hier sein konnte.

»Der Tiger hat sich also durchgemogelt. Ich habe nichts anderes von dir erwartet, P’Seua. Aber, was machen wir wegen unseren Wachhunden?«

Wieder würde ich Ray enttäuschen und langsam wurde es gruselig, wie oft das in letzter Zeit vorkam. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das jemals wieder gutmachen könnte. Andererseits fühlte ich mich immer noch betrogen von ihm, weil sie mich und Seua getrennt hatten, auch wenn das nicht seine alleinige Entscheidung gewesen sein konnte.

»Gar nichts. Ich bleibe hier, egal, was sie sagen.«

»Das ist klar. Im Krankenhaus kann der Psycho am wenigsten Schaden anrichten und wenn doch, dann kannst du direkt behandelt werden«, witzelte ich. Einfach nicht drüber nachdenken. Statt weiter darüber zu reden, fragte ich: »Was ist mit deinen Sachen?«

»Hab‘ ich P’Hope gegeben, damit sie die solange für mich aufbewahrt.«

Ich tauchte unter der Bettdecke hervor und sah ihn erstaunt an: »Ihr habt euch schon kennengelernt?«

Er hatte ein nachdenkliches Lächeln aufgesetzt, sein Blick ging ins Leere: »Mein Gesicht scheint sie zu kennen, daher hat sie mich abgefangen.«

Ich musste lachen. Dass sie sein Gesicht kannte, war ausnahmsweise nicht der Tatsache geschuldet, dass er berühmt war.

»Kein Wunder, dass sie dein Gesicht kennt, P’Night«, neugierig beobachtete ich seine Reaktion. Das Erste, was ich sah, war Verwirrung.

»Wie kommst du denn darauf?«

Ich fischte die DVD vom Nachttisch und gab sie ihm in die Hand: »P’Hope und ich sind schon bei Folge 7. Jeden Abend eine.«

Seua schüttelte den Kopf, versteckte sich hinter der DVD: »Ihr guckt ausgerechnet das?«

Ich schob die DVD runter, um seinen peinlich berührten Ausdruck sehen zu können.

»Wieso denn nicht? Klar es ist dein Debut, aber ich finde, dass du es richtig gut gespielt hast«, gab ich begeistert zu und es war echt. Ich mochte die Serie und das nicht nur, weil Seua der Hauptdarsteller war. Er seufzte: »Wenn du meinst, dann vertraue ich deiner Expertise. Aber ich muss das nicht mit euch gucken, oder?«

»Klar doch! Und denk‘ bitte dran, »Wolfsherz« wird mein Debut sein, also sei bitte nicht so hart dazu.«

Seua ließ die DVD sinken und als er sie betrachtete, meinte ich sowas wie Nostalgie in seinem Blick zu sehen. Sein Debut würde man wohl nicht so schnell vergessen.

»Ja, Cai. Aber du bist selbst bei deinem Debut schon sehr talentiert, was ich von mir nicht behaupten kann«, es erschloss sich mir nicht, wie man an seiner Stelle noch Zweifel an den eigenen Fähigkeiten haben konnte.

»Klar, P‘. Deswegen himmelt dich auch das ganze Land an«, sagte ich. Er drückte mir die DVD gegen die Nase: »Es reicht mir, wenn du mich anhimmelst.«

Ich nahm ihm die DVD ab, legte sie wieder auf den Nachttisch und grinste ihn an: »Das tue ich. Cai, dein größter Fan.«
 

Wir redeten noch eine Weile und ich erzählte ihm, dass ich mich mit Dice versöhnt hatte. Ich spürte seine Arme um mich, er legte sein Kinn auf meinen Kopf.

»Echt jetzt? Was hat den denn geritten?«, fragte er ungläubig.

»Er meinte, dass er nur ein Wingman für uns war und niemals für dich ins Messer springen würde.«

»All die Jahre musste nur fast jemand draufgehen, damit Dice endlich aufgibt. Wenn ich das vorher gewusst hätte«, seine Stimme triefte vor Ironie.

»Du bist aber nicht sauer auf ihn, oder? Ich meine, er hat endlich eingesehen, dass er keine Chance hat«, ich wollte wissen, was Seua darüber dachte. Denn nur, wenn auch er Dice verzeihen würde, könnten wir in Ruhe arbeiten.

»Wenn er sich bei dir entschuldigt hat, ist alles okay. Dann können wir damit endlich abschließen.«

Ich atmete erleichtert auf, endlich ein Kapitel, was wir beenden konnten. Als ich längere Zeit nichts mehr von Seua hörte, löste ich mich vorsichtig von ihm und sah nach oben. Er war eingeschlafen. Ich schloss mich ihm an, versuchte nicht über das nachzudenken, was uns noch erwarten würde.
 

Wir waren nicht einmal richtig wach, da standen sie schon im Zimmer. Wie war das? Ich entscheide, wer ins Zimmer darf, oder nicht? Vermutlich konnte selbst P’Hope sie nicht aufhalten, als sie Seuas Verschwinden bemerkt hatten. Seua stand auf, er fuhr sich durch die Haare und baute sich vor den Beiden auf.

»Seua, was soll das? Wir haben so viel Aufwand betrieben, um deinen Aufenthaltsort geheim zu halten und jetzt bist du hier? Ich verstehe es nicht. Könnt ihr nicht mal eine Sekunde ohneeinander?«, fragte P’Star aufgebracht.

»Können wir nicht, siehst du ja. Was soll mir hier schon passieren? Cai hat mir das Leben gerettet und ich konnte nicht für ihn da sein. Und auch wenn es dafür vielleicht schon zu spät ist, werde ich bleiben«, sein Tonfall ließ keine Widerrede zu. Ich blieb im Bett, versteckte mich halb unter der Bettdecke. P’Star wandte sich an Ray, die Arme verschränkt: »Ray, ich übernehme den Fall, kläre alles mit dem Sender und du kümmerst dich um die Idioten hier, okay? Ich mach‘ das nicht länger mit. Lass sie ruhig ins offene Messer laufen, sie wollen es ja nicht anders. Sobald Cai entlassen wurde, drehen wir weiter.« Kaum zu Ende gesprochen, stürmte er davon. Ob es besonders schlau war, P’Star zu verärgern wusste ich nicht, aber solange Seua bei mir bleiben durfte, war es das wert. Ray trat an mein Bett, wollte mir die Decke wegziehen, doch Seua griff seinen Arm und hielt ihn auf. Es war beinahe als müsste er nachholen, mich zu beschützen.

»Ich habe selbst entschieden herzukommen, Ray. Wenn du auf jemanden sauer sein willst, dann bitte auf mich«, erklärte er ruhig. Seua hatte zwar schon erlebt, dass Ray richtig sauer auf mich sein konnte, er wusste aber auch, dass er das eher verstehen würde als P’Star. Trotzdem konnte ich Ray die Enttäuschung ansehen: »Du hast es entschieden, aber Cai wusste davon, oder? Deswegen wollte er die Security nicht. Ich habe ihm vertraut und sie deswegen abgezogen, was er eiskalt ausgenutzt hat.«

Es war komisch, dass er mit Seua an mir vorbeiredete, aber seine Worte taten weh. Auch wenn er recht hatte. Wieso konnte es nicht einfach mal klappen, ohne, dass wir jeden enttäuschen mussten?

»Ob er davon wusste oder nicht, spielt keine Rolle. Cai hat sich an seinen Teil der Abmachung gehalten und ist geblieben. Wir wissen, dass ihr uns beschützen wollt, aber das geht doch auch anders, oder nicht?«

Darauf ging Ray nicht ein. Stattdessen sah er mich an: »Wir sprechen uns noch, Cai. Ich gehe dann mal Star beruhigen, vielen Dank auch.«

Kopfschüttelnd trat auch er den Rückzug an und ich klammerte mich an die Hoffnung, dass er mich zumindest nicht hassen würde. Seufzend stand ich auf, wieder herrschte diese schlechte Stimmung zwischen uns. Seua bemerkte meinen traurigen Ausdruck, legte mir eine Hand auf die Schulter, während wir in Richtung Tür sahen.

»Letztes Mal haben wir das wieder hinbekommen, oder?«, er erinnerte mich daran, als wir abgehauen waren. Da hatte ich seine Wut noch verstanden, aber ich hatte gehofft, dass er uns diesmal ein bisschen mehr Verständnis entgegenbringen würde. Ray wusste zwar nichts von unserer Beziehung, aber er hatte das Bild im Auto gesehen und ich hatte ihm alles erzählt. Sich dann zu denken, dass es Seua und mir schwerfiel, länger als ein paar Stunden getrennt zu sein, war nicht sonderlich schwer. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber dass »Wolfsherz« unsere Freundschaft auf die Probe stellen würde, hätte ich nie gedacht. Auch wenn P’Star Seuas Manager war, über die Beziehung der beiden war ich mir unsicher.

»War P’Star denn jemals sauer auf dich?«, ich sah ihn fragend an. Doch Seua lächelte: »Du solltest lieber fragen, wann er nicht sauer auf mich war. P’Star weiß aber, dass wir das nicht machen, um ihn zu verarschen, Cai. Das kriegen wir hin.«

Mir blieb nichts anderes übrig, als seinen Worten zu vertrauen. Die Ablenkung in Form von P’Hope, die mit Seuas Sachen hereinkam, kam da sehr gelegen.

»Ich habe gehört, ihr habt euch schon kennengelernt, P’Hope«, sagte ich und lächelte sie an.

»Aber natürlich. Gestern Nacht, deswegen wusste ich auch sofort, wo er hinmuss. Wie geht es dir, Khun Cai?«

Es war schon komisch, aber ich konnte es endlich wieder sagen: »Es geht mir gut.«

»Das freut mich sehr. Ich habe auch mit dem Arzt gesprochen und er sagte mir, dass wir dich maximal noch eine Woche zur Beobachtung hierlassen, dann kannst du entlassen werden.«

Eine Woche noch. Und was dann? Wir konnten weder in die Wohnung noch ins Hotel zurück. Das Krankenhaus war die sicherste Option, ich wusste aber, dass sie uns hier nicht unnötig unterbringen konnten, und wollte niemanden in Verlegenheit bringen. Als letztes fiel mir noch das Safe House ein, wo Seua untergebracht worden war. Vielleicht konnten wir dahin zurück. Ich schüttelte die Gedanken ab, versuchte mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

»Eine Woche reicht, P’Hope. Dann schaffen wir das Ende der Serie noch«, ich freute mich darüber, gleichzeitig war es mir hier, trotz der Umstände, sehr gutgegangen, dass ich gar nicht mehr wegwollte. Sie lachte, während ich sehen konnte, wie Seua geradezu kleiner wurde.

»Oh, das schaffen wir. Und dabei können wir uns direkt Insiderinfos anhören, wie praktisch«, P’Hope meinte es nur gut, sie konnte nicht wissen, dass Seua das Ganze peinlich war. Belustigt beobachtete ich, wie er das Gesicht verzog. Währenddessen löste P’Hope mein Pflaster, sodass Seua die Wunde auch sehen konnte. Ich hatte die Einstichstelle schon öfter gesehen, mir machte das nichts aus.

»P’Hope?«

»Hm?«, sie sah nicht auf.

»Ich könnte dich reich machen«, sagte ich grinsend und diesmal sah sie mich zweifelnd an.

»Wie soll das denn gehen, Khun Cai?«

»Ganz einfach. Ich erzähle dir ein Geheimnis zweier Stars, was noch niemand weiß. Du kannst es dann sehr teuer an die Klatschpresse verkaufen. Was sagst du?«, natürlich war das nicht ernst gemeint, aber mich interessierte ihre Reaktion. Während sie das Pflaster wieder befestigte, schüttelte sie den Kopf.

»Es würde mich reich machen, ja. Aber wieso sollte ich dein Geheimnis verkaufen, Cai?«

Endlich. Ich wusste nicht, ob sie es mit Absicht machte oder nicht, aber es freute mich, dass sie endlich das »Khun« wegließ.

»Ich habe nie gesagt, dass es mein Geheimnis ist, P’Hope.«

Seufzend deckte sie mich zu, schenkte mir ein Lächeln: »Wie wäre es damit? Du erzählst mir dein Geheimnis trotzdem und ich behalte es für mich.«

Mit dem Finger deutete ich in Seuas Richtung und zwinkerte ihr zu: »Mein Geheimnis steht hinter dir.«

P’Hope musste sich dafür nicht umdrehen: »Das freut mich für euch.«
 

Am Abend musste Seua dann die Folge mit uns schauen. Da P’Hope ohnehin von uns wusste, konnte Seua auch neben mir im Bett sitzen. Aber natürlich mit etwas Abstand, ich wollte nicht, dass P’Hope sich unwohl fühlte. Gemeinsam lachten wir und wurden zwischendurch wieder still. Wie so oft war Episode 8 sehr emotional, da es langsam auf das Finale zuging. Als die Credits liefen, hörte ich Seua neben mir erleichtert aufatmen. Sah ganz so aus, als hätte ich unfreiwillig noch eine Schwachstelle von ihm herausgefunden. Ich stieß ihn spielerisch in die Seite: »Komm‘, so schlimm war es nicht.«

»Danke für die Blumen, Cai. Lass mich euch lieber erzählen, was während dieser Episode am Set passiert ist«, begann er und die Verlegenheit in seinen Augen wich einer Nostalgie.

»Wenn ich nicht aufgepasst hätte, wäre diese riesige Lampe fast auf mich gefallen. Aber plötzlich sind drei Leute vom Team hervorgesprungen, um sie aufzufangen. Bei diesem Dreh ist einiges zu Bruch gegangen, weil Tan, der Tollpatsch, ständig über irgendwelche Kabel gestolpert ist.«

Gott sei Dank war mir das bisher erspart geblieben, obwohl ich es mir selbst durchaus zutraute. Innerlich dankte ich auch den Leuten aus Seuas Team, die die Lampe aufgefangen hatten.

»Zum Glück ist nichts passiert. Man sieht sowas immer nur im Fernsehen, aber weiß gar nicht, wie viel Arbeit dahintersteckt«, sagte P’Hope nachdenklich. Sie sprach aus, was ich schon seit Beginn meiner Karriere dachte.

»Ja, du müsstest mal zu uns ans Set kommen, P’Hope. Man gewöhnt sich irgendwann daran, aber alleine schon, wie viele Leute an einer Szene beteiligt sind, ist krass«, erklärte ich.

»Das glaube ich. Und Seua du brauchst dich wirklich nicht schämen für dein Debut. Du hast es damit immerhin geschafft, jemanden wie mich, die gar keine Ahnung hat, zu überzeugen«, ermutigte sie ihn und legte ihm eine Hand auf den Arm.

»Echt? Das habe ich geschafft?«, er schien sich ehrlich darüber zu freuen.

»Ja. Und ich werde mir »Wolfsherz« auch auf jeden Fall ansehen.«
 

Damit sie das aber konnte, musste ich erst mal entlassen werden, was dann auch eine Woche später geschah. Ich fand mich in P’Hopes Umarmung wieder.

»Danke für alles, was du für mich und für uns getan hast, P’Hope. Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen«, sagte ich mit kratziger Stimme und Tränen in den Augen. Ich hatte die schlechte Angewohnheit, Leute schon nach kurzer Zeit zu sehr ins Herz zu schließen. Ihre Umarmung fühlte sich vertraut an.

»Das habe ich gerne gemacht, Cai. Wir werden dich zwar hier vermissen, aber es ist gut, dass du wieder gesund bist.«

Sie legte ihre Hände an meine Schultern, sah erst mich und dann ihn an: »Cai, Seua, ich mag keine Ahnung vom Showbiz haben, aber ich bin trotzdem euer Fan. Nicht als Stars, sondern als Menschen.«

Ihr liebevoller Blick rührte mich, ich konnte die Tränen nicht mehr aufhalten. Ohne sie wäre ich hier eingegangen und wäre wahrscheinlich irgendwann aus dem Fenster gesprungen.

»Das ist total süß von dir, P’Hope«, rang ich nach Worten.

»Ach, ich sage doch nur die Wahrheit. Ihr seid hier jederzeit willkommen, am besten natürlich unverletzt. Wenn ihr Zeit habt, könnt ihr uns immer besuchen.«

Sie wünschte uns noch alles Gute, dann verließ ich mit Seua und mehreren Bodyguards das Krankenhaus. Ich sah noch einmal zurück, wo sie winkend stand. Ich würde ihr die Anerkennung, die sie verdient hatte, zukommen lassen und ich wusste auch schon wie.
 

Wir kamen zunächst im Safe House unter, denn auch wenn wir unsere Manager verärgert hatten, tot sehen wollten sie uns wohl auch nicht. Es lag deutlich abgelegener in der Stadt, unterschied sich von der Einrichtung her aber nicht großartig von Seuas Apartment. Nur den Blick über die Stadt würde ich vermissen, denn das Safe House lag im Keller, ließ daher keine natürliche Beleuchtung zu. Die Security an jedem Ein- oder Ausgang machte es auch nicht gemütlicher. Auch wenn es mir besser ging und ich glücklich war wegen Seua, rief mir diese Tatsache doch wieder schmerzlich in Erinnerung, dass es für uns noch nicht sicher war. Morgen sollten trotzdem die Dreharbeiten weitergehen und ich wollte alles dransetzen, diesen Psycho so gut es ging auszublenden. Ich saß auf dem kleinen hellblauen Sofa, las gerade das Drehbuch, musste wieder in die Serie reinkommen. Wir hatten eine lange Pause und ich versuchte mich wieder auf Wolf einzustellen. Seua kam dazu, er hielt mir sein Handy hin. Ich nahm es entgegen, sah dass er Twitter offen hatte.

»Gerade trendet der Hashtag #savecaiseua auf Twitter und ich habe mir das mal ein bisschen durchgelesen. Durch die Nachrichten und das Statement des Senders wissen die Fans, was uns passiert ist. Sie haben sich zusammengetan, um zu helfen, den Typen zu schnappen«, erklärte er und setzte sich neben mich. Ich scrollte, las mir die Beiträge durch, die größtenteils auf Englisch verfasst waren.
 

Das haben #caiseua nicht verdient. Lasst uns diesen Spinner gemeinsam mit der Polizei schnappen!
 

Ich hoffe es geht @caigress gut. Wenn wir uns alle zusammentun, dann hat der keine Chance!

#revenge
 

#savecaiseua -> Leute, lasst uns hier alle Infos sammeln, die wir kriegen können.
 

Der Support der Fans, sowohl in Thailand als auch international, überwältigte mich. Dass Leute sich solche Mühe nur wegen uns machten, war neu für mich. Ich gab ihm das Handy zurück.

»Danke, P‘. Wir haben megatolle Fans. Am liebsten würde ich mich bei jedem Einzelnem von ihnen bedanken«, sagte ich nachdenklich. Auch nach allem, was passiert war, Thailand hatte mich unheimlich freundlich aufgenommen und unterstützt, sodass es schwierig war, meine Dankbarkeit überhaupt in Worte zu fassen.

»Bei jedem könnte schwierig werden, aber du kannst ihnen trotzdem antworten«, schlug er vor und genau das würde ich tun. Doch über meinen privaten Account und nicht den von »Wolfsherz«, wir hatten P’Star schließlich schon genug verärgert.
 

Liebe Fans,

vielen Dank für euren Support, das bedeutet uns wirklich sehr viel. Auch wir wünschen uns, dass der Täter so schnell wie möglich gefasst und die Dreharbeiten sicher beendet werden können. Wir haben gesehen, dass ihr unter dem Hashtag #savecaiseua fleißig Informationen sammelt und ich bin mir sicher, dass uns dies sehr helfen wird. Macht euch bitte keine Sorgen, uns geht es gut. Wir lieben euch.

Cai & Seua.
 

Ich zeigte es ihm und als er nickte, schickte ich es ab. Ich ließ das Handy sinken, vermisste die Zeit, wo wir unbeschwert unsere Events machen konnten. Auch wenn ich glücklich war, lag diese Sache wie ein grauer Schleier über uns, sodass ich es gar nicht richtig genießen konnte. Oft genug hatte ich mir selbst gesagt, dass ich mich davon nicht unterkriegen lassen sollte, aber die Gedanken kamen immer wieder zurück. Er hatte es zwar nicht geschafft, Seua umzubringen, das hieß aber nicht, dass er es in Zukunft nicht nochmal versuchen würde.

»Ich wünschte das wäre endlich vorbei«, sprach ich meine Gedanken aus.

»Ich auch«, Seua breitete seine Arme aus und ich zögerte keine Sekunde, das Angebot seiner Umarmung anzunehmen. Das war im Moment der einzige Ort, an dem ich mich bedingungslos sicher fühlte. In seinen Armen.

»Wir werden kämpfen, oder Cai?«, flüsterte er.

»Ja«, meinte Stimme war zwar nicht mehr als ein Krächzen, doch ich meinte es ernst.
 

Wieder am Set schlug uns jedoch erst einmal jede Menge Liebe entgegen. Alle aus dem Team umarmten uns, freuten sich darüber, dass wir zurück waren. P’Sawa strahlte uns an: »Endlich ist mein Lieblingsduo wieder zurück!«

Auch ich versuchte ihnen mein bestes Lächeln zu schenken und die Security so gut es ging auszublenden.

»P’Sawa, ich habe es echt vermisst, am Set bei euch allen zu sein«, sagte ich, während ich mich auf den Stuhl setzte. Er begann direkt mit dem Make-Up.

»Ohne euch war das hier auch eine ziemlich traurige Veranstaltung. Die Anderen haben aber auch sehr gute Arbeit geleistet und sie haben alle Nebenszenen ohne euch schon fertig.«

Ich nahm das erfreut zur Kenntnis, dass wenigstens sie arbeiten konnten. Auch wir würden nicht mehr lange brauchen, bis »Wolfsherz« beendet sein würde. Aber ich wollte nicht über das Ende nachdenken. Nicht jetzt. Die heutige Szene könnte schwierig für mich sein, aber ich beschloss mich zusammenzureißen und es zu schaffen. Seua saß auf dem Stuhl neben mir, beobachtete mich besorgt, als hätte er Angst, dass ich jeden Moment zusammenbrechen könnte. P’Sawa schaffte es mal wieder meinem müden Gesicht eine lebhafte Maske aufzusetzen. Wolf war zurück. Endlich. Als Seua und ich auf unseren Einsatz warteten, hatte ich die Arme um ihn gelegt, den Kopf an seiner Brust. Wir wollten uns vor dem Team nicht verstecken, auch wenn es durch unser Verhalten vorher, vielleicht nicht sofort auffallen würde. Die Blicke des Teams ließen mich zumindest ein bisschen schmunzeln, obwohl sie solche Gesten bei uns gewohnt sein müssten. Ich war gespannt, wann die ersten Fragen aufkommen würden. Bevor wir das Set betraten, nickten wir uns zu. Wir würden es schaffen, egal wie.
 

- Wolfsherz – Szene 7-
 

Ich war schon einen Monat mit Nok zusammen und absolut glücklich. Wir hatten unsere Freunde, unsere Kurse und das Leben in Thailand machte mir immer mehr Spaß. Dadurch, dass Nok aufgetaut war, war es auch für ihn leichter, auf sein Ziel hinzuarbeiten. Kurz gesagt, es lief gut und auch mein Thailändisch nahm langsam Form an. Nok und ich schlenderten an diesem milden Sommertag über das Unigelände. Da wir gerade Pause hatten, waren wir auf dem Weg zur Mensa. Ich grinste, als Nok vorsichtig meine Hand nahm. Anfangs war es ihm schwergefallen, sich vor anderen erkenntlich zu zeigen. Doch spätestens seit unsere Freunde und die meisten seiner Schüler es wussten, war es für ihn in Ordnung. Ich fühlte mich in diesem Moment, als könnte mich nichts aufhalten, bis uns eine Gruppe Jungs entgegenkam, deren abschätzige Blicke ich schon meterweit vorher sehen konnte. Sie stellten sich uns in den Weg, ihre Blicke auf unseren Händen. Mir war klar, dass, nur weil wir glücklich waren, uns nicht jeder wohlwollend gegenüberstand. Die Gesellschaft war leider noch nicht weit genug, es als normal anzusehen. Nok versteckte sich halb hinter mir, er spürte wohl auch, dass die Jungs keine guten Absichten hatten. Einer von ihnen sah mich an:

»Na, Schwuchtel? Müsst ihr das hier so öffentlich zur Schau stellen? Das ist widerlich.«

Leider verstand ich dank Noks Nachhilfe, jedes Wort. Er wollte mich wegziehen, doch ich ließ ihn nicht. Stattdessen drückte ich seine Hand fester und trat einen Schritt vor, um die Idioten zu konfrontieren.

»Das ist nicht widerlich, das nennt man Liebe. Scheinbar haben dir deine Eltern das nicht richtig beigebracht«, warf ich ihm entgegen. Ich versuchte Noks ängstlichen Blick so gut es ging zu ignorieren. Ich konnte das auf keinen Fall ohne Weiteres stehen lassen. Als der Typ noch einen Schritt auf mich zuging, hielt ihn ein Anderer aus der Gruppe zurück: »Pass‘ auf, Del. Der küsst dich noch.«

Sie lachten. Ich schüttelte nur den Kopf. Das sollten Studenten sein? Solche Sprüche kannte ich nur aus der Grundschule.

»Keine Sorge, ich küsse keine Idioten«, gab ich grinsend zurück. Del löste sich von seinem Kumpel, packte mich am Kragen. Die tiefbraunen Augen funkelten mich hasserfüllt an. Das Grinsen wich aus meinem Gesicht, langsam spürte ich, dass ich die Kontrolle über die Situation verlieren könnte.

»Du nennst mich einen Idioten? Weißt du eigentlich, mit wem du dich gerade anlegst? Für einen dahergelaufenen Spinner nimmst du dir ganz schon viel raus. Wird Zeit, dass dir mal jemand richtig die Leviten liest.«

Ich wollte Dels unangenehmer Nähe entkommen, doch er drängte mich gegen die Wand des Gebäudes, neben dem wir stehengeblieben waren. Ich hatte keinen Zentimeter, um auszuweichen. Sie zwangen Nok und mich auseinander, hielten ihn fest.

»Dein Lover soll sich ruhig ansehen, wie ich dich zusammenschlage.«

Verdammt, der Wolf hatte wohl den Falschen provoziert. Ich sah seine Faust von oben auf mich herabrauschen…
 

Meine Augen begannen zu flackern, die Faust des Statistendarstellers verwandelte sich plötzlich in ein glitzerndes Messer. Es fühlte sich an, als würde sich das Gras unter meinen Füßen in Beton verwandeln, als würden die Pfeiler der Tiefgarage aus dem Boden schießen. Mir wurde heiß und kalt, meine Augen bewegten sich unruhig hin und her. Der Darsteller vor mir trug plötzlich eine Maske, durch die ich das verkommene Grinsen sehen konnte. Es begann zu blitzen, als würde jemand ganz schnell hintereinander das Licht aus und einschalten. Ich hielt mir schützend die Hand vor das Gesicht, ertrug es nicht. Mein Mund wurde trocken, alles begann sich zu drehen. Das Set war mittlerweile zu einer seltsamen Mischung aus Außenbereich und Tiefgarage verschmolzen. Ich ließ mich an der Wand herabgleiten, doch selbst, wenn ich meine Augen schloss, sah ich alles lebhaft vor mir. Die Person, das Messer, das Blut. Wie aus Reflex griff ich mir an den Bauch, doch dort war nichts. Irgendwo tönten Stimmen, aber sie waren zu weit weg, als dass ich irgendetwas hören konnte. Menschen beugten sich über mich, ich nahm sie nur als flüchtige Schatten wahr. Alles verschwamm, ich erkannte ihre Gesichter nicht. Auch wenn ich wusste, dass das Messer nicht da war, blitzte es immer wieder auf. Schützend legte ich meine Hände auf meinen Bauch, gleich würde er mich verletzen. Doch es stach niemand auf mich ein, stattdessen öffnete ich die Augen und fand mich auf einem Bett in einem weißen Zelt wieder. Seua hielt meine Hand und ein Notarzt sah auf mich herab.

»Wie geht es dir?«, wollte der Notarzt wissen und ich hatte eigentlich darauf gehofft, diese Frage erst mal nicht mehr beantworten zu müssen. Ich blinzelte noch ein paar Mal, aber von der Tiefgarage war nichts mehr zu sehen.

»Ganz okay. Was ist passiert?«, ich konnte mich zwar an die komische Vision erinnern, nicht aber an das, was um mich herum passiert war.

»Du warst am Set geistig abwesend und bist dann zusammengebrochen. Das Team hat mir vom Angriff erzählt und, dass die Szene wohl gewisse Ähnlichkeiten aufwies. Hast du dich an den Angriff erinnert?«, wollte er wissen.

»Ja.«

Er nickte wissend: »Das habe ich vermutet, weil die Symptome gepasst haben. Die Ähnlichkeit mit der Szene hat ein Flashback bei dir ausgelöst.«

Langsam richtete ich mich auf. Flashback? Ich hatte schon oft davon gehört, aber es selbst zu erleben war sehr unangenehm. Ich versuchte in Seuas Blick nach Beruhigung zu suchen, doch es half nicht. Er sah durch mich hindurch, in ihm schien es zu brodeln. Auch wenn er meine Hand hielt, schien er keine Notiz von irgendetwas zu nehmen. Stattdessen starrte er auf sein Handy und murmelte: »Ich bring den um.«

Immer und immer wieder, sodass es wie ein gefährliches Mantra klang. Beunruhigt beobachtete ich ihn, hatte das Gefühl, er würde gleich durch die Decke gehen. Vorsichtig legte ich eine Hand auf seine Schulter: »P‘?«

Er sah mich an und als hätte sich ein Schalter bei ihm umgelegt, blickten seine Augen mich freundlich an.

»Ja?«

»Alles gut?«

»Klar«, gab er zurück, auch wenn ich das nicht wirklich glaubte.

Der Notarzt setzte sich zu uns an das improvisierte Bett: »Khun Cai, ich würde gerne mit dir sprechen. Eigentlich unter vier Augen.«

Scheinbar war er sich unsicher, in welchem Verhältnis wir zueinanderstanden, daher klärte ich ihn auf: »Das ist schon, okay. Seua kann ruhig bleiben, ich vertraue ihm.«

Ich sah ein kurzes Lächeln auf seinem Gesicht.

»Körperlich ist bei dir alles okay, Khun Cai, außer, dass du vielleicht ein bisschen erschöpft bist. Aber du solltest versuchen auslösende Ereignisse so gut es geht zu vermeiden. Ich weiß, dass kann in deinem Job schwierig sein, aber es wird mit der Zeit besser werden.«

»Können Sie mir sagen, wie lange es dauern wird?«, fragte ich und versuchte mir die Verzweiflung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

»Ich bin leider nur Notarzt und nicht psychologisch geschult, daher kann ich das nicht sagen. Außerdem kommt es immer auf den Einzelfall an. Wenn du stark bist und ein gutes Umfeld hast, was dich auffangen kann, wirst du darüber hinwegkommen, aber wie lange es dauert, liegt an dir selbst.«

»Verstehe, vielen Dank. Ich glaube schon, dass ich das schaffen kann.«

Der Notarzt legte mir lächelnd eine Hand auf die Schulter: »Das ist schon mal die richtige Einstellung, Khun Cai. Geh‘ bitte erst wieder ans Set, wenn du dich vollständig dazu in der Lage fühlst.«

Wir verließen das Zelt, bekamen vorsichtige Blicke vom Team zugeworfen. Ganz anders Saran, derjenige, der Del spielte, er kam nahezu auf mich zugestürmt.

»Cai, es tut mir total leid«, die Panik war ihm ins Gesicht geschrieben. »Ich wollte wirklich nicht, dass dir irgendwas passiert!«

Ich wusste nicht viel über ihn, nur dass er noch etwas jünger war als wir und es seine erste Serie war. Lächelnd schüttelte ich den Kopf: »Ganz ruhig, Saran. Du hast nur deinen Job gemacht, da gibt es nichts zu entschuldigen.«

Er stand vor mir, als hätte er sich gerade der Hoheitsbeleidigung schuldig gemacht, ganz anders als sein Charakter Del. Auch wenn wir die Hauptdarsteller waren, wollte ich nicht, dass die anderen uns als etwas Besseres betrachteten. »Wolfsherz« konnte schließlich nur funktionieren, wenn alle Beteiligten ihren Job machten.

»Alles klar, Cai. Dann hoffe ich, dass es dir bald besser geht.«

»Danke.«

Es war für mich schon schlimm genug, nicht richtig arbeiten zu können, da machte es der unruhige Seua neben mir nicht besser. Was war los mit ihm? Er trat von einem Fuß auf den anderen, starrte immer wieder auf sein Handy. Außerdem sah er mich kaum an. Ich versuchte mir nicht zu viele Gedanken darüber zu machen und ging mit ihm zur Teambesprechung. Dort entschieden wir uns, zunächst die Szene, in der Wolf verprügelt werden sollte, mit einem Stuntdouble zu drehen. Sie wollten mich der Szene in meinem Zustand nicht aussetzen. Auch wenn es mich enttäuschte, dass ich es nicht selbst machen konnte, nach den Worten des Arztes blieb mir wohl nichts anderes übrig. Der Rest der Szene war schon abgedreht und ich stimmte zu, danach wieder weiterzumachen. Ich machte dem Team klar, dass sie auf gar keinen Fall zu vorsichtig mit mir umgehen sollten. Wir vertieften uns in Gespräche und als es an der Zeit war, Seua wieder ins Set zu holen, fehlte jede Spur von ihm. In mir gingen sofort alle Alarmglocken an. Wurde er entführt? Würde der Typ ihn jetzt umbringen? Auch das Team war aufgeschreckt, sie begannen das komplette Set abzusuchen. Dadurch, dass wir heute an der Uni drehten, war es auch nicht gerade klein. Ich erinnerte mich an seine Worte, als ich mich damals am Sender in dem kleinen Raum versteckt habe. Aber das machte er doch bestimmt seit Jahren nicht mehr. Seua war niemand, der einfach vom Set verschwand und auch wenn wir es nicht wahrhaben wollten, diesmal schien es der Fall zu sein. In meinem Kopf arbeitete es. Ich lief zum Zelt mit unseren Sachen, griff zitternd nach meinem Handy und wählte seine Nummer. Das erste Handy war aus, das zweite auch. Verdammt. Mir fielen seine Worte und sein komisches Verhalten wieder ein. Dieser Hass, der ständige Blick aufs Handy, das Mantra. Fahrig tippte ich auf dem Display herum, schaffte es gerade eben so, Twitter zu öffnen. Falls sich meine Vermutung bestätigte, war Seua in Lebensgefahr. Mit jeder Handbewegung schlug mein Herz schneller. Dann schlug mir dieser Tweet entgegen.
 

Leute, wir haben den Psycho gefunden! Ich stelle hier den Standort online, damit wir uns versammeln können, um den endlich dingfest zu machen. #savecaiseua.
 

Gepostet vor zehn Minuten. Fuck.

Der Wolf und die Konfrontation

Die letzte, kleine Hoffnung in mir, dass er sich doch noch irgendwo am Set befand, verschwand. Er wusste, wo sich der Typ aufhielt, und würde sich jetzt vermutlich auf genau dieser Mission befinden. Ich winkte Ray zu mir heran, denn, wenn ich auch verschwinden würde, mussten sie es wenigstens wissen.

»Cai?«

»Ich weiß, wo Seua sein könnte. Wir haben keine Zeit, also stell‘ bitte keine Fragen. Ich schicke dir den Standort, schick‘ da bitte Polizei hin. Ach, und versuch‘ nicht, mich aufzuhalten!«, sagte ich hektisch. Ich wartete nicht auf eine Antwort, sondern bahnte mir rennend den Weg aus dem Set. P’Joe stand an seinem Wagen, er hatte wohl nicht mitbekommen, was am Set passiert war. Außer Atem hielt ich ihm mein Handy mit dem Standort hin: »Kannst du mich zu diesem Ort fahren, P’Joe? Schnell? Jetzt?«

Mein Auftreten schien auszureichen, um ihm den Ernst der Lage bewusst zu machen. Wortlos öffnete er die Tür für mich und dann fuhren wir los. Im Auto schickte ich Ray den Standort, alle Versuche mich anzurufen, blockte ich ab. Was auch immer ich für eine Situation vorfinden würde, das Wichtigste war, dass Seua da heile rauskam. Angesichts der Eile bahnte P’Joe sich den Weg durch den Stadtverkehr und er fuhr auch garantiert schneller, als es erlaubt war. Die Anspannung hatte sich auch auf meine Hände übertragen, ich konnte kaum noch das Handy bedienen.

»Kann ich sonst noch was tun, Khun Cai?«, fragte P’Joe und sah mich über den Rückspiegel an.

»Ja, es wäre gut, wenn du auf Standby bleibst. Falls wir abhauen müssen.«

Ich sah, dass er skeptisch die Augenbrauen hochzog, doch dann nickte er.
 

Als wir ankamen, hielt ich kurz den Atem an. Auf dem Vorplatz eines Shoppingcenters hatte sich eine Menschentraube gebildet. Ich sprang aus dem Auto, die Menge machte sofort Platz für mich. Einige riefen mir etwas zu, doch ich verstand es nicht. Dann sah ich sie. Seua und der Täter standen sich in der Mitte gegenüber. Der Täter hatte eine schwarze Cap auf, aber zum ersten Mal konnte ich sein Gesicht sehen. Es war niemand, den ich kannte. Der Anblick ließ mich komplett erstarren, als hätte man mich am Boden festgefroren. Wieder sah ich diesen Hass in Seuas Augen und egal wie oft ich versuchte, es abzustreiten. Es machte mir Angst. Er sprach Thai mit dem Täter, doch jemand neben mir begann zu übersetzen. Nicht, dass die Situation schon absurd genug wäre, Seuas Stimme verzerrt zu hören, machte es nicht besser.

»Bist du jetzt zufrieden? Du hast uns getrennt, ihn fast umgebracht und wegen dir ist er traumatisiert! Niemand, der Cai auch nur ansatzweise mag, hätte ihn so gequält wie du!«

Man musste die Sprache nicht verstehen, um zu merken, wie ernst es war.

»Das war doch nie der Plan! Ich wollte dich umbringen, nicht ihn!«

Seua ging mehrere Schritte auf ihn zu. Ich wollte ihn aufhalten, aber meine Beine ließen mich nicht.

»Wenn Cai wegen dir seinen Job nicht mehr machen kann, den er liebt und jahrelang gelernt hat, dann bist du es, der umgebracht werde sollte! Versuch‘ doch mich umzubringen, los trau‘ dich, Idiot!«

Was machst du denn, Seua? Verzweifelt beobachtete ich die Reaktion des Täters, dessen Augen verengten sich.

»Traust dich was, Seua. Ich bereue es, Cai verletzt zu haben, aber ich werde weiterhin dafür sorgen, ihn für mich allein zu haben«, rief er und zog eine Pistole hervor, die er auf Seua richtete. Alle hielten den Atem an. Mir liefen die Tränen über das Gesicht, als mich wieder diese Hilflosigkeit überkam. Das Messer hatte ich überlebt, aber eine Waffe? Ich spürte, wie mich irgendjemand stützte, als ich wieder kurz davor war, zusammenzubrechen. Doch ich durfte der Tiefgarage keine Chance geben. Nicht jetzt. Nicht hier. Irgendwas musste ich doch tun können! Auch mit dem Risiko im Kopf, dass ich es nicht ertragen könnte, trat ich vor Seua. Ich sah dem Täter in die Augen, hoffte, dass er dadurch seinen Plan überdenken würde. Tatsächlich ließ er die Waffe sinken: »Cai?«

»Ich habe es vorher nicht zugelassen, dass du Seua verletzt, und ich werde es auch jetzt nicht zulassen!«, rief ich ihm entgegen. Alles um mich herum blendete ich einfach aus. Seua legte seine Arme um mich, als ich kurz nach hinten taumelte. Ich konnte nur noch mit seiner Unterstützung stehen. Der Täter wollte zurückweichen, doch die Leute ließen ihn nicht.

»Du kannst es dir überlegen, Cai. Wenn du jetzt zu mir kommst, wird niemandem etwas passieren«, dieser sanfte Tonfall widerte mich an. Nach allem, was er getan hatte, immer noch solche Illusionen zu haben, war einfach nur krank. Und vor so eine Wahl ließ ich mich bestimmt nicht stellen. Was konnte ich tun oder sagen, um es endlich zu beenden? Wieder hob er die Waffe: »Also?«

Zitternd wollte ich zum Sprechen ansetzen, als sich plötzlich eine Lücke in der Masse auftat. Polizisten stürmten auf den Täter zu und überwältigten ihn ohne Mühe. Innerhalb von Sekunden lag er auf dem Boden, die Handschellen klickten. Erstarrt beobachtete ich das Schauspiel, fühlte mich erleichtert aber gleichzeitig auch einfach müde. Es tat einfach nur weh, wenn man ständig um das Leben des Menschen bangen musste, den man liebte. Einer der Polizisten fragte uns, ob alles in Ordnung sei und ich nickte nur. Als de Täter im Polizeiauto verschwand, schloss sich die Menge wieder schützend um uns. Ich verstand endlich, dass es unsere Fans waren. Egal wo ich hinsah, niemand hatte sein Handy in der Hand, niemand filmte. Durch die Fans kamen auch die Medien nicht zu uns durch, obwohl sie es schon versucht hatten. Es war ein Ort, an dem wir sicher waren. Ich drehte mich um, nahm ihn in den Arm und begann einfach zu weinen. Seua strich mir tröstend mit der Hand über den Rücken. Ich hoffte inständig, dass es endlich vorbei war.

»P‘, das war viel zu gefährlich, du hättest sterben können«, murmelte ich. Diesmal hörte ich seine echte Stimme, die viel schöner war, als die des Übersetzers.

»Es tut mir leid, aber als ich gesehen habe, wie schlecht es dir am Set ging, war ich so sauer. Ich konnte nicht anders. Wären die Fans nicht gewesen, hätte ich ihn zusammengeschlagen«, erwiderte er mit einem Zittern in der Stimme. Als ich aufsah, merkte ich, dass er ebenfalls weinte. Ich wischte ihm die Tränen aus dem Gesicht: »P‘, ich verstehe das. Aber du wusstest, welche Absichten er hat.«

»Ja, ich bin ein Idiot. Ich kann dich nicht beschützen, Cai. Stattdessen bist du derjenige, der sich vor mich stellt. Außerdem bist du nicht dumm, ich hätte wissen müssen, dass du hierherkommst. Du hättest hier nicht eine Sekunde stehen dürfen, vor allem nicht, nachdem was der Arzt gesagt hat«, sein entschuldigender Blick und seine Tränen trafen mich. Es brachte nichts, wir drehten uns im Kreis. Nicht nur ich, auch Seua musste endlich damit abschließen. Lächelnd schüttelte ich den Kopf. »Danke, P‘«, sagte ich und hoffte, dass er verstand, dass er der Letzte war, dem ich die Schuld geben würde. Lange blieben wir weinend in dieser Umarmung, beschützt von unseren Fans. Es war ein verletzlicher Moment, doch es fühlte sich gut an. Endlich würden wir damit abschließen können. Niemand würde uns verletzen oder trennen. Ich schniefte, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und wandte mich an die Fans. Wir konnten uns wirklich glücklich schätzen, solche Fans zu haben.

»Vielen Dank, dass ihr uns geholfen, nicht gefilmt, uns beschützt und den Täter gefunden habt. Ihr seid wirklich toll. Ich werde mit dem Management sprechen und hoffe, dass wir noch ein Fan-Event für euch organisieren können.«

Seua übersetzte für mich und die Fans applaudierten. Ich wurde mir bewusst, dass wir wie Wolf und Nok auch Hater haben, aber diese Fans machten alles wieder gut. Der Grat zwischen Bewunderung und Obsession schien ein sehr schmaler zu sein. Wir mussten aufpassen, dass nicht mehr Leute auf komische Ideen kamen. Wir verließen die Menge und gingen direkt zum Auto, wo Ray uns erwartete. Er sah erleichtert aus, uns zu sehen.

»Wenn ihr irgendetwas braucht, ich habe zur Sicherheit auch einen Krankenwagen gerufen«, sagte er und erst jetzt fiel es mir auf. Hinter P’Joes Wagen standen ein Krankenwagen und ein weiterer Polizeiwagen. Ich löste mich von Seua und fiel Ray in die Arme.

»Du hast uns diesmal gerettet, danke. Tut mir leid, dass wir immer so anstrengend sind«, sagte ich entschuldigend. Ganz anders als Seua, erwiderte er die Umarmung sehr zögerlich.

»Als ob das jetzt gerade eine Rolle spielen würde. Klar, ab und zu tanzt ihr uns auf der Nase rum, aber diesmal konntet ihr nichts dafür. Ich bin nur froh, dass es euch gut geht. Alles andere können wir irgendwann später klären. Cai, es war sehr geistesgegenwärtig von dir, mir wegen der Polizei Bescheid zu sagen«, ich hatte das Gefühl Ray war auch ein bisschen durch den Wind, versuchte alles gleichzeitig zu sagen. Er schob mich von sich, lächelte unsicher. Offenbar brachte ihn meine Anhänglichkeit in Verlegenheit.

»Ray, ich möchte mich bei dir entschuldigen. Wir werden euch in Zukunft vermutlich weiterhin Ärger bereiten, aber ihr wisst ja, dass es nichts gegen euch ist«, sagte Seua schmunzelnd. Er wusste einfach, dass wir nicht anders konnten, als den beiden Ärger zu machen.

»Danke für das Heads-up, Seua. Ich weiß. Jetzt ist aber erst mal wichtig, dass ihr euch ausruht. Nichts anderes.«
 

Ein paar Tage später waren wir wieder am Set, um die Szene fertig zu drehen. Da wir keine Notwendigkeit mehr darin sahen, im Safe House zu bleiben, waren wir wieder in einem Hotel untergebracht. P’Star warn außer sich, als er hörte, in welche Gefahr Seua sich gebracht hatte, was dieser sich dann auch ein paar Minuten anhören musste. Doch irgendwann würde P’Star ihm schon verzeihen. Dank‘ der Fans hatten die Medien nicht viel über Seua und mich zu berichten und fokussierten sich daher lieber auf die Festnahme des Täters. Ich versuchte mich wieder ganz auf Wolf zu konzentrieren, mich wieder mit dem zu beschäftigen, was ich liebte. Ohne immer die Hintergedanken haben zu müssen, dass uns jederzeit jemand angreifen könnte. Ich wusste nicht, wann ich endlich wieder komplett sorgenfrei am Set sein konnte, aber ich würde alles dafür geben, es so schnell wie möglich zu schaffen.
 

- Wolfsherz – Szene 7 – Fortsetzung
 

Ungelenk tupfte Nok meine Wunden im Gesicht ab, ich zuckte vor Schmerzen zusammen. Von der Begegnung mit Del hatte ich einiges an blauen Flecken davongetragen, mein Gesicht sah auch nicht besonders gut aus.

»Nok, ich weiß, dass du sowas nicht gut findest, aber ich musste mich nun mal wehren«, erklärte ich. Doch sein abschätziger Blick zeigte mir, dass das nicht reichen würde.

»Ich hätte mir gewünscht, wir wären einfach weitergegangen, P’Wolf«, er legte den Tupfer weg. Wir saßen auf einer Steintreppe außerhalb des Uni-Gebäudes. Nok würde nie den Unterricht schwänzen, aber da er mich nicht allein lassen wollte, hatte er sich vorsorglich beim Dozenten abgemeldet.

»Ich weiß, aber das ging nicht, Nok. Nicht, nachdem was er gesagt hat.«

Heute war Nok besonders schwer von meinen Argumenten zu überzeugen. Seine friedliebende Natur machte ihn aber auch so charmant. Das kriege ich schon hin. Doch er verschränkte die Arme, mied meinen Blick und rutschte auf der Treppe weiter nach unten. Ich rutschte neben ihn, legte ihm meine Arme um die Schulter.

»Ich wollte ihnen nur sagen, was richtig ist, hatte nie die Absicht mich mit jemandem zu schlagen«, versuchte ich es weiter. Doch er zog einen Schmollmund. Soll er ruhig, ich fand es süß.

»Ja, aber du hättest dich einfach nicht darauf einlassen sollen. Du hast gehört, was der Dozent gesagt hat. Was ist, wenn du deswegen von der Uni fliegst?«, in seinem Blick lag Angst. Und seine Sorge war durchaus berechtigt, denn das Gespräch mit dem Dozenten hatte ich schließlich noch vor mir. Trotzdem war ich lange nicht so besorgt wie er. Es wäre schon ein Armutszeugnis, wenn ich deswegen von der Uni fliegen würde. Ich zog Nok noch enger an mich, doch er machte keine Anstalten, es zu erwidern. Seufzend legte ich ihm eine Hand an die Wange, drehte seinen Kopf zu mir. Nok sah mir direkt in die Augen, was mich für einen Moment aus dem Konzept brachte.

»Deswegen fliege ich nicht von der Uni. Schließlich bin ich nicht alleine Schuld«, flüsterte ich und konnte beobachten, wie sich seine Wangen rot färbten.

»I-ich habe einfach Angst, dass du nicht bei mir sein kannst, P’Wolf «, sein besorgter Blick zog mich in seinen Bann.

»Brauchst du nicht«, sagte ich und zog sein Gesicht näher zu mir. Hektisch sah er sich um.

»Aber, P‘…«, er kam nicht mehr dazu, zu Ende zu sprechen, weil ich ihn küsste. Ganz zögerlich erwiderte er den Kuss. Diese Sanftheit von ihm war es, die mich regelmäßig um den Verstand brachte. Nok wollte eigentlich nicht in der Öffentlichkeit geküsst werden, aber ich konnte nun mal nicht anders und wollte auch ein Zeichen setzen. Nok legte seine Arme um mich, wurde ein bisschen mutiger. Noks Nähe war mir durch seine Nachhilfe, die er gab, fast schon ein bisschen zu wenig geworden. Daher genoss ich diesen Moment zwischen uns besonders. Atemlos löste er sich von mir und alles, was ich vorher in seinem Blick gesehen hatte, die Enttäuschung, die Wut und die Besorgnis, waren verschwunden. Übrig blieb nur noch Liebe.

»Wenn du jetzt glaubst, dass ich dir verziehen habe, P’Wolf«, er lächelte mich an. »Dann liegst du richtig.«

Ich wusste doch, dass es nicht schwer war, er konnte schließlich nicht lange sauer auf mich sein. Ich erwiderte sein Lächeln: »Gut, dann zeigen wir denen, dass sie gegen uns keine Chance haben.«

Als ich aufstehen wollte, hielt er mich auf, zog mich in eine Umarmung. Überrascht wusste ich überhaupt nicht, was ich tun sollte. Was war denn los mit ihm?

»Du bleibst bei mir, oder?«, flüsterte er. Angesichts der Tatsache, dass ich nicht mehr ewig bleiben konnte, versetzte mir seine Frage einen Stich. Vorhin konnte ich das noch ganz normal beantworten, aber je öfter er fragen würde, desto schwerer würde mir die Antwort fallen. Keine Ahnung, ob es ihm bewusst war, aber es waren nur noch zwei Monate. Ich schluckte, versuchte mich aufs Hier und Jetzt zu konzentrieren, diesen Gedanken zu vergessen.

»Ja.«
 

Später standen Nok, Del und ich vor dem Dozenten, der wissen wollte, was sich abgespielt hatte. Natürlich waren wir alle alt genug, aber bei Gewalt kannte die Uni kein Pardon.

»Also, Wolf, was hast du gemacht, was Del nicht ertragen konnte?«, fragte er mich direkt. Ich nahm Noks Hand, hielt sie vor den Dozenten: »Das.«

»Mehr nicht?«

Während ich mir sicher war, dass wir das hier ohne Probleme hinkriegen würden, lag Noks Blick die ganze Zeit auf dem Dozenten, als könnte er ihn hypnotisieren.

»Nein, mehr nicht. Ich bin mit meinem Freund über den Campus gelaufen«, erklärte ich und grinste Del triumphierend an. Vielleicht verstand er jetzt, wie dämlich es war.

»Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Del? Für mich klingt das nicht nach einem Grund, jemanden zu schlagen«, sagte der Dozent leicht genervt.

»Es hat mich einfach genervt, okay? Sie müssen es ja nicht raushängen lassen«, zischte er. Wie ich es mir dachte, für sowas gab es meistens keine guten Gründe. Der Dozent verdrehte die Augen, hatte sicher Besseres zu tun, als sich mit solchen Dingen zu beschäftigen.

»Was genau ist dein Problem, Del? Der Campus ist groß genug, aber du musst dich zwei Leuten in den Weg stellen, die friedlich ihrem Alltag nachgehen?«

Doch Del stellte die Gegenfrage: »Sie haben gar nichts dagegen?«

»Wogegen?«, für eine Weile schien es, als wüsste der Dozent nicht, wovon Del sprach. Del stieß einen lauten Seufzer aus, man konnte spüren, dass er sich unwohl mit der ganzen Sache fühlte. Dann fiel dem Dozenten wieder ein, was Dels Problem war: »Dass Wolf und Nok zusammen sind? Wieso sollte ich was dagegen haben?« Plötzlich schlug er die Hände auf den Tisch, sodass wir alle zusammenzuckten.

»Hör zu, Del. Wir sind hier an einer Uni, wo man sich normalerweise mit anderen Dingen beschäftigt. Du entschuldigst dich bei Wolf und Nok, sollten sie deine Entschuldigung annehmen, geht ihr alle ohne Strafe hier raus. Es sei denn, Del, ich höre nochmal, dass du jemanden schlägst oder beleidigst, dann ist das eine andere Sache. Ich lasse die Beiden entscheiden«, schlug er vor. Auch wenn ich mir sehr gewünscht hatte, dass Del seine gerechte Strafe kassiert, Nok und ich hatten uns gerade erst vertragen und ich würde keine Sekunde damit verschwenden, unsere Stimmung wegen solchem Blödsinn zu ruinieren. Was tat man nicht alles für seinen friedliebenden Freund? Del drehte sich zu uns, die Zähne zusammengebissen. Wie schwer konnte es sein, sich zu entschuldigen? Nervös sah der Dozent auf seine Uhr.

»Del, ich muss gleich in meine Vorlesung. Können wir diesen Kindergarten hier bitte endlich beenden?«, hielt er ihn zur Eile an.

Del knetete seine Hände, ich konnte immer noch die Wut in seinen Augen sehen.

»Es tut mir Leid«, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Das war weder eine besonders gute, noch ernstgemeinte Entschuldigung. Aber was solls. Hauptsache wir brachten es schnell hinter uns. Um Noks erwartungsvollen Blick nicht zu enttäuschen, rang ich mir ein: »Entschuldigung angenommen«, ab. Sein Strahlen war es allemal wert. Auch der Dozent war glücklich damit und entließ uns aus dem Zimmer. Del trat schnaubend den Rückzug an, während mir Nok in die Arme fiel.

»P‘, ich bin so froh, dass alles gut ausgegangen ist«, seine Erleichterung übertrug sich auf mich, obwohl ich überhaupt nicht angespannt war. Nachdenklich strich ich ihm über den Rücken. Auch ich war froh, dass diese Sache vorbei war, aber mich ließ der Gedanke an die begrenzte Zeit, die uns noch blieb, einfach nicht los.
 

Als die Szene durch den Direktor schon unterbrochen war, hatte Seua immer noch seine Arme um mich gelegt. Saran kam zurück, er strahlte förmlich. Del war schon wieder aus seinem Ausdruck verschwunden.

»Das war richtig cool. Vor allem die Szene auf der Treppe«, schwärmte er, in seinen Augen glitzerte die Bewunderung. Ich drehte mich zu ihm, sodass Seuas Arm noch auf meiner Schulter blieb.

»Findest du?«, eigentlich sollte ich Bewunderung gewohnt sein, trotzdem brachte es mich in Verlegenheit. Außerdem war es ein Kompliment an uns, was mich sehr freute.

»Ja! Ihr beide seid ein richtig gutes Team. Wenn man es nicht besser wüsste…«

»…würde man meinen, ihr seid wirklich zusammen«, ergänzte P’Amy seinen Satz, die dazugekommen war.

Erstaunt sah Saran sie an: »Oh, P’Amy. Komisch, genau das wollte ich auch sagen.«

Erwartungsvoll betrachteten sie uns, als wären wir ihnen eine Antwort schuldig. Hilfesuchend sah ich Seua an, war mir nicht sicher, ob wir das vor dem Team aussprechen sollten. Verstecken taten wir es zwar nicht, aber wir hatten es auch niemandem erzählt. Wie immer sprang er für mich ein: »Das…überlasse ich eurer Fantasie.«

P’Amy sah heute streng aus, mit der Brille und den zusammengebundenen Haaren. Sie hatte das Drehbuch in der Hand und ich fragte mich, ob ich sie jemals ohne gesehen hatte. P’Amy grinste: »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, Seua. Ich habe eine blühende Fantasie.«

Entweder er wollte es wegen P’Star nicht sagen, oder er plante irgendetwas. Ich vermutete letzteres.

»Und neben meiner Fantasie, auch eine ziemlich gute Menschenkenntnis«, ergänzte sie und richtete ihre Brille. Ihr wissendes Grinsen war nicht zu übersehen und vermutlich dachte sie sich ihren Teil. Doch Seua blieb hartnäckig: »Soll heißen?«

»Dass ich glaube, den Unterschied zwischen Schauspiel und Realität ausmachen zu können. Euer Schauspiel ist mir schon ein bisschen verdächtig.«

Seua zog mich noch näher zu sich und grinste: »Nur ein bisschen?«

Lachend schüttelte sie den Kopf: »Schon verstanden, Es ist ja auch nicht erst seit heute, dass ich euch verdächtige.«

Während wir es verstanden und ich auch kein Problem damit hatte, dass P’Amy es wusste, stand Saran noch ein bisschen auf dem Schlauch: »Das ist nicht gespielt?«

Ich schüttelte leicht den Kopf: »Schon länger nicht mehr.«

Er sah uns mit großen Augen an, daher legte ich mir einen Finger an den Mund: »Aber das wissen noch nicht viele.«

Saran hielt inne, als hätte er gerade etwas realisiert: »Jetzt macht alles Sinn.«
 

Spät am Abend lag ich im Hotelbett, starrte die weiße Decke an. Wolfs Gedanken über einen nahenden Abschied hatten sich auf mich übertragen. Mir wurde schmerzlich bewusst, dass unsere Zeit hier begrenzt war. Ich konnte nur bis zur Premiere denken, danach war alles schwarz und unbekannt. Wie würde es weitergehen? Ich wusste es nicht. Die Zimmerdecke konnte es mir auch nicht beantworten. Stattdessen sah ich Seua über mir, mit nassen Haaren, der meine Gedanken in ganz andere Sphären abdriften ließ. Gab es denn nicht mal einen Moment, in dem er nicht gut aussah?

»Was ist los, Cai?«, fragte er.

»Nichts«, sagte ich, versuchte mich auf seine Augen zu konzentrieren. Noch bevor er mich hypnotisieren konnte, verschwand sein Gesicht über mir und er legte sich neben mich. Seine nassen Haare verschafften mir eine angenehme Abkühlung.

»Kann ich dich was fragen?«, begann er plötzlich und das ließ mich hellhörig werden. Ich drehte mich zu ihm, stützte meinen Kopf auf meinen Arm. Seua spiegelte die Geste.

»Was denn?«, immer wenn ich diesen ernsten Blick sah, erhöhte sich mein Puls. Denn dann war es wichtig.

»Du weißt ja, dass wir in ein paar Tagen eine PK machen werden«, das wusste ich nur zu gut. Denn als P’Star diese Pressekonferenz angekündigt hat, war mir mulmig zumute gewesen. Ich hatte zwar gesagt, dass es in Ordnung war, aber ich wollte nicht mehr über den Angriff sprechen. Trotzdem war mir ebenso klar, dass wir alles restlos aufklären mussten, damit die Medien nicht ihre eigenen Geschichten sponnen. Bei dem Gedanken zog sich mir der Magen zusammen und ich spürte die Tränen, die ich mir schnell wegwischte. Seua sah mich erschrocken an.

»Hey, so schlimm?«, fragte er leise und wischte mir eine Träne aus dem Gesicht. Für einen Moment schloss ich die Augen: »Es geht schon, P‘. Ich wünschte mir, wir würden einfach nicht mehr darüber reden.«

Ich wollte einfach nicht ständig daran erinnert werden, denn es nahm mich immer noch mehr mit, als ich mir eingestehen wollte. Seine sanften Berührungen ließen mich etwas ruhiger werden.

»Ich weiß, wie wir umgehen können, dass du dich dazu äußern musst«, erklärte er und ich sah ihn neugierig an. Seua hielt meine Hand und ich war dankbar für diese Stütze.

»Ja?«

»Ich werde den Medien alles Wichtige erzählen, damit du es nicht musst. Und dann kommst du rein und wir lenken die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das für dich okay ist.«

Sein vorsichtiger Blick ließ mich schon vermuten, dass es sich nur um dieses eine Thema handeln könnte.

»Okay. Was willst du den Leuten denn sagen?«, feststand, dass ich es zuerst von ihm hören wollte, falls ich doch komplett falsch lag. Diesmal wandte er seinen Blick ab: »Ich möchte unsere Fans nicht anlügen. Kurz gesagt: Ich möchte unsere Beziehung öffentlich machen.«

Genau mit diesem Thema hatte ich gerechnet. An sich war es kein Problem für mich, doch ich fand es schwierig, die Reaktion der Fans und nicht zuletzt des Managements abzuschätzen. Ich äußerte meine Zweifel. Seua lag mittlerweile auf dem Rücken, den Blick nach oben gerichtet.

»Man kann sich nie sicher sein, wie die Leute auf so etwas reagieren werden. Aber ich glaube, dass es schlimmer wäre, wenn sie es auf anderen Wegen herausfinden und glauben, dass wir es geheim halten wollen. Das wäre ein schlimmerer Vertrauensbruch, als von Anfang an die Wahrheit zu sagen«, sinnierte er. Natürlich war es einfacher, ehrlichen Leuten zu verzeihen. Aber restlos überzeugt war ich nicht: »Das stimmt, P‘. Aber nach allem, was passiert ist, möchte ich einfach nur, dass »Wolfsherz« sicher seine Premiere feiern kann.«

Wieder sah ich sein Gesicht über mir, er hatte wieder diesen Ausdruck aufgesetzt, der mich schwach werden ließ.

»Ich verspreche dir, dass es das wird.«

»Das kannst du nicht«, sagte ich schmollend. Seua war ein Star, aber auch er konnte nicht kontrollieren, was passierte, sonst wäre es nicht so aus dem Ruder gelaufen.

»Lass‘ uns ein letztes Mal volles Risiko gehen und den Fans vertrauen. Ich weiß, dass das hier dein Traum ist und ich würde ihn gerne mit dir zusammen leben.«

Seine Worte ließen mir einen warmen Schauer über den Rücken laufen. Egal was er mit dieser sanften Stimme sagte, ich würde alles tun. Er ließ sich auf mich sinken, sein Gesicht an meinem Hals. Wie aus Reflex legte ich die Arme um ihn.

»Du hast gesehen, wie uns unsere Fans beschützt haben. Glaubst du wirklich sie würden uns dafür hassen?«

»Würden Sie nicht«, gab ich leise zurück.

Aber wenn wir es tun würden, wäre es das größte Risiko, welches ich jemals in meiner Karriere eingehen werde.
 

Nur eine Woche später stand ich mit Ray am Eingang zum Pressezentrum, sie hatten zugestimmt, dass ich mich nicht zu den Vorfällen äußern musste. Ich beobachtete, wie Seua zusammen mit P’Star vor die Presse trat. Langsam begann ich in meinem Anzug zu schwitzen, wenn ich daran dachte, was uns bevorstehen würde. Sie würden für mich übersetzen, sodass ich zumindest zuhören konnte. Ray beobachtete mich, er schien meine Nervosität auf den Vorfall zu beziehen: »P’Star hat gesagt, dass du nicht hier sein musst, Cai.«

Aber genau das musste und wollte ich. »Ist schon okay, ignorier‘ mich einfach, Ray.«

Die Pressekonferenz startete und sie begannen, ihre Fragen zu stellen.

»Der Täter ist ein extremer Fan von Khun Cai. Gab es im Vorfeld Anzeichen dafür, dass so etwas passieren könnte?«

»Ja, es gab einen Drohbrief. Doch da wir kurz vor unserem Amerikaaufenthalt standen, wollte ich kein großes Aufhebens darum machen«, wie immer antwortete er absolut professionell. Schon mit dieser Antwort war mir klar, heute würde Seua ehrlich sein, komme was wolle.

»Wissen Sie, wie der Täter die Adresse ausfindig machen konnte?«

»Diese Information ist uns nicht bekannt. Aktuell sind die Ermittlungen auch noch nicht vollständig abgeschlossen«, erwiderte P’Star.

»Was wissen Sie über die Motivation des Täters? Stalker sind in diesem Business nicht selten, aber normalerweise sind sie nicht gewalttätig.«

Selbst von hier aus konnte ich erkennen, wie Seua sich immer wieder durch die Haare strich, seinen Blick wandern ließ. Auch ihm schien es nicht leichtzufallen, darüber zu reden.

»Er konnte offenbar nicht damit leben, dass Cai und ich uns gut verstehen. Der Täter wollte mich umbringen, um Cai für sich beanspruchen zu können«, er stockte kurz, behielt jedoch die Fassung.

»Schlussendlich wurde der Aufenthaltsort des Täters durch die Fans bekannt. Es ist erstaunlich, dass die Fangemeinde es eher geschafft hat als die Polizei. Wussten Sie davon?«

»Ja, wir haben gesehen, dass es diese Anstrengungen gab. Dafür sind wir ihnen sehr dankbar. In unserer schwersten Zeit standen unsere Fans mit vollem Einsatz hinter uns und haben uns beschützt.«

Bisher nahmen die Journalisten alles interessiert auf, aber es dauerte nicht lange, bis die entscheidende Frage kam: »Schon vor einiger Zeit gab es Gerüchte, ein paar interessante Fotos und Videos, durch die man den Eindruck bekommt, Sie und Khun Cai seien mehr als Drehpartner. In der Szene ist das prinzipiell nichts Ungewöhnliches, aber machen Sie es nur für die Kameras oder steckt mehr dahinter?«

Nach dieser Frage wurde es komplett still im Saal, alle Augen waren auf Seua gerichtet.

Nachdem was die Fans für uns getan hatten, stand es ihnen nur zu, die Wahrheit zu wissen. Und wenn wir untergehen würden, dann gemeinsam. Es war Zeit für meinen Auftritt. Als ich das Pressezentrum betreten wollte, hielt Ray mich am Arm fest.

»Was hast du vor?«

»Ich werde ehrlich sein, Ray«, gab ich nur zurück und befreite mich aus seinem Griff. Bevor er mich aufhalten konnte, stand ich schon auf dem Podium. Auch Seua stand auf. Jetzt oder Nie. Ganz kurz ging ich in mich, dann nahm ich seine Hand. Nach unserem Gespräch hatte ich lange darüber nachgedacht, doch auch ich wollte mich nicht verstecken. Das war unsere Chance reinen Tisch zu machen und sicherzugehen, dass es jeder mitbekommen würde.

»Es wäre einfach zu sagen, dass alles nur gespielt ist. Aber das ist es nicht. Seua und ich sind zusammen.«

Nach einer kurzen Stille setzte das Klicken der Kameras ein. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, dieses Bild und dieses Video würden wir vermutlich demnächst überall sehen. Trotzdem war ich stolz auf mich, dass ich das durchgezogen hatte. Seua lächelte mich ermutigend an, während P’Star uns mit offenem Mund anstarrte. Die Journalisten verließen ihre Plätze, strömten alle auf einmal mit ihren Fragen auf uns ein, doch P’Star stellte sich schützend vor uns.

»Keine weiteren Fragen bitte.«

Zusammen mit ihm verließen wir den Raum und ich beobachtete ihn ängstlich, als er die Tür hinter uns schloss. Er seufzte schwer: »Es scheint euch echt schwerzufallen, sich einmal an einen Plan zu halten. Ich werde mit Ray die Reaktionen beobachten und sehe euch dann morgen in meinem Büro.«

Besorgt sah ich Seua an. War ich doch zu weit gegangen?

Der Wolf und die Premiere

Nach meinem Statement mussten wir regelrecht von der Öffentlichkeit abgeschirmt werden, denn noch am selben Tag hatten wir etliche Interviewanfragen bekommen. Nach P’Stars Worten hatte ich mich jedoch nicht getraut, ins Handy zu schauen. Jetzt standen wir vor dieser Tür und ich rechnete mit dem Schlimmsten. Was ist, wenn ich durch diese Tür gehe und P’Star sagt mir, meine Karriere ist vorbei? Was ist, wenn… Ich kam nicht dazu, diesen Gedanken weiterzudenken, da öffnete Seua die Tür und zog mich in den Raum. So oft war ich schon hier, aber in diesem Moment fielen mir kleine Details auf. Die kleine Vase am Fenster, eine kleine Figur auf dem Regal, die Pflanze. P’Star saß an seinem Schreibtisch und räusperte sich. Ich hatte das Gefühl, Seua und ich standen vor ihm, wie Bittsteller vor einem König. Vor allem, weil ich seinen Gesichtsausdruck überhaupt nicht deuten konnte. Er atmete laut aus:

»Also Jungs, seid ihr bereit das Ergebnis eurer Aktion zu hören?«

Ich nahm Seuas Arm, war überhaupt nicht bereit dafür. P’Star scrollte auf seinem Tablet:

»Seua, Cai, manchmal würde ich euch gerne auf den Mond schießen, bis mir wieder einfällt, dass ihr meine Hauptdarsteller seid. Und ich würde euch auch gerne sagen, was das für eine dämliche PR-Aktion war…«, mir war das Herz schon in die Hose gerutscht, doch dann sah er auf und lächelte: »Aber ich kann nicht. Die Leute lieben euch. Und wenn ihr eins geschafft habt, dann »Wolfsherz« noch berühmter zu machen und dass vor der Premiere.«

Erstaunt sah ich erst Seua und dann ihn an: »Also können wir weiter machen?«

Er nickte versöhnlich: »Cai, ich glaube du hast dir zu viele Sorgen gemacht. So schnell gebe ich meine Jungs nicht auf. Diese Couple-Aktion kam sehr gut bei den Leuten an.«

Meine Angst war verflogen und wich Erleichterung und Freude. Die Leute würden uns nicht hassen, genauso wie Seua es prophezeit hatte. Ich war froh, dass ich ihm vertraut habe. Nicht nur konnten wir alles zu Ende bringen, wir mussten uns auch nicht mehr verstecken.

Seua lachte: »Ich freue mich, dass es gut aufgenommen wurde. Aber ich weiß nicht, von welcher Aktion zu sprichst. Glaubst du Cai würde seine Karriere riskieren für irgendwelche PR? Es ist echt«, merkte er an. Wo er das sagte, wurde mir klar, dass P’Star noch nicht verstanden hatten, dass es echt war. Kurz hielt er inne, sah uns beide an.

»Oh, okay. Ähm, ja dann, herzlichen Glückwunsch«, es schien, als bräuchte er noch Zeit, um diesen Gedanken zu verinnerlichen.

»Solange es am Set keine Probleme macht, ist das okay. Ich höre allerdings zum ersten Mal, dass du einen Drehpartner datest, Seua«, ergänzte er nachdenklich. Seua zog mich an sich: »Du meinst, dass ich überhaupt jemanden date. Wir wollten es vor niemandem geheim halten und dachten uns, es sei die beste Gelegenheit, es öffentlich zu machen.«

»Verstehe. Aber nächstes Mal wenn ihr irgendwelche Ankündigungen macht, sprecht das mit mir ab, okay? Ich vertrage auch nur ein gewisses Maß an Stress. Gefühlt musste ich Ray auch schon ein paar Mal wiederbeleben«, sagte er lachend.

»Machen wir«, sagten wir im Chor und verließen sein Büro.
 

Ich bekam das Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht. Wir waren gerettet! Seua nahm mein Gesicht in beide Hände, betrachtete mich: »So gefällst du mir besser, Cai.«

Anders als ich, schien er sich keine Sorgen um seine Karriere gemacht zu haben, wie damals bei dem Skandal. Ich war mir sicher, dass es ihm nicht egal war, also musste er unseren Fans wirklich vertraut haben. Ich zwinkerte ihm zu: »Lass‘ uns »Wolfsherz« zu Ende drehen und dann eine richtig gute Premiere feiern, P‘!«

Ich sah das Lächeln in seinen Augen: »Ja. Es wird die Premiere, die »Wolfsherz« verdient hat.«
 

Noch am selben Tag waren wir wieder am Set, wo uns das Team mit einem großen Blumenstrauß empfing. Ich nahm ihn erstaunt entgegen: »Gibt es was zu feiern?«

Sie deuteten auf den Bildschirm, wo das Video meines Geständnisses in Dauerschleife lief. Verlegen sah ich in die Runde, doch sie strahlten mir entgegen. P’Amy trat vor: »Wir hatten alle einen kleinen Herzinfarkt besonders wegen P’Star. Aber ich bewundere deinen Mut, Cai. Und weil viele der BL-Couples tatsächlich nur gespielt sind, feiern sie euch besonders.«

»Es war Seuas Idee, so bekommen es wenigstens alle mit«, erklärte ich. Ich sah dieses Video von mir zum ersten Mal, die Angst war mir anzusehen. Obwohl ich es gewohnt sein musste, mich hinter der Kamera zu sehen, hatte ich das Gefühl es war jemand anderes. Ich nahm die Glückwünsche vom Team gerne entgegen. Ach verdammt, ich werde diese Leute hier alle sehr vermissen. Sie sind einfach meine zweite Familie geworden. Ich ließ meinen Blick schweifen und er blieb bei Ray und Noah hängen, die grinsend etwas abseits standen. Auch Noah lebte in Thailand, das heißt, am Ende des Tages würden sie sich derselben Frage gegenübersehen wie Seua und ich.

»Bereit für die letzte Szene?«, fragte der Regisseur. Alle waren bereits auf Position, es fehlten nur noch wir. Als ich hier ankam, hätte ich nicht gedacht, dass es mir so schwerfallen würde, ein letztes Mal ans Set zu gehen.
 

Das letzte Mal in die Maske bei P’Sawa.
 

Das letzte Mal die Uniform von Wolf tragen.
 

Die letzte Beratung von P’Amy.
 

Die letzten Einstellungen von P’Time und Noah.
 

Die letzte Kamerafahrt von Fay.
 

Die letzten Anweisungen des Regisseurs.
 

Die letzte Szene mit P’Seua.
 

- Wolfsherz – Die letzte Szene
 

Lachend zog ich Nok hinter mir her in den leeren Hörsaal, in dem wir uns damals zum ersten Mal geküsst haben.

»Was machen wir hier, P‘?«, Nok sah sich um.

Gerade waren Ferien und in einer Woche würde meine Abschiedsfeier stattfinden. Ich konnte nicht glauben, dass meine Zeit mit Nok und mein Jahr in Thailand schon vorbei sein sollten. Ich schob diesen Gedanken beiseite, denn ich hatte einen Plan, den ich aber noch bestätigen musste.

»Erinnerst du dich an diesen Raum?«, fragte ich und zog ihn in Richtung Tafel. Er lächelte: »Natürlich, P‘. Hier hatten wir immer die Englisch-Vorlesung.«

Verstehe, so spielst du also. Ich drückte ihn gegen die Tafel, doch diesmal hielt er meinem Blick stand. Länger als zehn Sekunden.

»Der Einfluss des Wolfs hat sich auf dich übertragen, hm? Bist du dir sicher, dass dich dieser Raum an nichts anderes erinnert?«

Er näherte sich mir bis auf wenige Zentimeter und zog grinsend die Augenbrauen hoch: »Sollte er denn?«

Ich liebte es, dass er sich traute mit mir zu spielen. Es machte mich schwach, aber ich durfte nicht nachgeben. Glaub‘ bloß nicht, du hättest gewonnen. Mal sehen, ob dich das nicht aus dem Konzept bringt. Grinsend biss ich mir auf die Lippe, ließ meine Hand unter sein Shirt gleiten. Ich konnte spüren, wie er die Luft anhielt. Während ich sie über seinen Bauch fahren ließ, beobachtete ich seine Reaktion. Ich musste aufpassen, nicht zu übertreiben, denn dafür, dass er fast nur am Schreibtisch saß, war er schon gut gebaut. Er hatte die Augen zusammengekniffen, sah fast ängstlich aus.

»P‘, was…«, brachte er hervor. Ich nahm meine Hand weg und streckte ihm die Zunge raus.

»Damit hast du nicht gerechnet, was?«

Anstatt zu antworten, legte er mir seine Arme um den Hals und küsste mich. Überrascht ließ ich mich darauf ein, ließ ihn die Führung übernehmen. Nok war ganz schon mutig geworden. Das Programm hatte sein Ziel erreicht, in mehr als einer Hinsicht. Wenn mich jemand fragen würde, ob ich jemals richtig glücklich war, dann jetzt. Ich ließ mich vollkommen auf dieses Gefühl ein. Als er sich von mir löste, sah er aber überhaupt nicht glücklich aus.

»P‘, ich will diese Abschiedsfeier nicht«, sagte er und seine Stimme brach. Bei diesem Satz bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Ich hasste es, nichts versprechen zu können.

»Ich weiß, dass es nicht leicht ist, Nok. Aber kannst du bitte trotzdem zur Feier kommen?«

Nok drückte mich an sich, legte seine Stirn auf meine Schulter.

»Ja, aber es wäre schöner, wenn wir sie nicht bräuchten. Was soll ich denn hier ohne dich?«

Das Zittern in seiner Stimme brach mir das Herz. Auch wenn ich nicht der Grund sein wollte, dass er traurig war, ging es in diesem Moment nicht anders. Sein Körper begann zu beben und ich realisierte, dass er weinte. Auch meine Tränen ließen sich nicht länger aufhalten, aber ich gab mich diesem Gefühl nicht hin. Denn das hieß ich hätte aufgegeben und das hatte ich noch lange nicht. Ich fuhr ihm mit der Hand über den Rücken.

»Nok, vertraust du mir?«, fragte ich leise auf Thai. Seine Haltung änderte sich nicht, aber ich hörte ein leises »Ja.«

»Gut, mehr brauchst du auch nicht.«
 

Der Tag der Feier war gekommen. Ying, Yang, Kraisee und Cha halfen mir, mein Zimmer zu dekorieren. Richtig schön kitschig mit Girlanden und Luftballons. Noch wusste niemand von meinem Plan. Während wir Spaß beim Dekorieren hatten, saß Nok stumm in der Ecke. Hätte man das Ganze als Film gedreht, wäre alles bunt, nur um ihn herum wäre eine graue Aura. Er starrte meine Zimmerwand an, hatte die Arme nach unten hängen. Ich ging zu ihm, nahm seinen Arm und zog ihn vom Stuhl hoch. Nok konnte nicht verstecken, was er fühlte. Die Anderen konnten das überspielen, versuchten sich abzulenken, aber er nicht. Noch ein bisschen, dann hast du es geschafft, dachte ich. Er leistete keinen Widerstand, als ich ihn zu den Anderen brachte.

»Nok hat gesagt, er würde gerne helfen«, erklärte ich und er bekam sofort eine Girlande von Cha in die Hand gedrückt. Während Nok sich murrend an die Arbeit machte und ich hoffte, dass ihn das für eine Weile ablenken würde, schloss ich mich mit meinen Unterlagen im Bad ein. Ich hätte es allen gerne sofort gesagt, aber es sollte eine Überraschung sein. Der große Auftritt des Wolfs. Ich musste nur noch einmal schauen, ob meine Unterlagen auch alle passten, doch es sah gut aus. In der Woche vor der Feier war Nok untypisch anhänglich gewesen, er hatte mich oft umarmt, mit mir gekuschelt und mich keine Sekunde aus den Augen gelassen. Er hatte sogar sämtlichen Leuten für die Nachhilfe abgesagt. Ich beschwerte mich nicht, doch es tat mir auch leid ihn in diesem Zustand sehen zu müssen. Trotzdem konnte ich nichts sagen, was nicht endgültig feststand. Doch das würde sich heute ändern. Lächelnd sah ich die Unterlagen an, die meine Zukunft bestimmen würden. Ich grinste mich selbst im Spiegel an, meine blonden Haare waren etwas zerzaust, doch in meinen Augen glitzerte die Vorfreude. Meine Eltern hatten auch nichts dagegen, sie waren sogar stolz auf mich. Aber nicht nur sie, sondern auch ich selbst. Aus Interesse war ich nach Thailand gekommen, um die Sprache zu lernen, um ein fremdes Land zu meinem Lebensmittelpunkt zu machen. Ich war nicht mal ein paar Monate hier gewesen, da hatte ich mich verliebt. In das Land und in ihn, Nok. Auch das war etwas, was ich nie in Betracht gezogen oder beabsichtigt hatte. Es war passiert und ich konnte es nicht verhindern. Und jetzt würde es über meine Zukunft entscheiden. Ein letztes Mal warf ich einen Blick auf die Unterlagen, schloss die Tür auf und ging raus.
 

Später war alles fertig, Snacks und Getränke standen bereit, im Hintergrund lief leise Musik. Es waren auch einige von Noks Schülern gekommen, manche von ihnen kannte ich bereits ziemlich gut. Alle sahen mich an, denn ich stand mit einem Glas in der einen Hand und den Unterlagen hinter meinem Rücken, vor ihnen. Endlich war ich bereit, meinen Plan zu verkünden. Nok stand zwischen Ying und Yang, die tröstend ihre Arme um ihn gelegt hatten. Vermutlich mussten sie das auch, denn er sah nicht gerade aus, als könnte er sich alleine auf den Beinen halten.

»Also Leute, lasst uns erstmal auf ein erfolgreiches Uni-Jahr anstoßen!«, ich hob mein Glas und die anderen taten es mir gleich. »Ich möchte mich bei euch bedanken. Ihr habt mich total lieb aufgenommen und dank‘ euch konnte ich mich ohne Probleme einleben. Ich hatte noch nie vorher so viel Spaß. Kurz gesagt, es war das beste Jahr meines Lebens, bisher. Danke.«

Ich machte eine kurze Pause, sah in die Gesichter, die eine Mischung aus Trauer und Dankbarkeit zeigten. Es wurde Zeit, Nok endlich zu erlösen.

»Und weil es so schön war, habe ich beschlossen, statt einer Abschiedsfeier, eine Willkommensparty zu machen.«

Erstaunt starrten sie mich an. Dann holte ich die Unterlagen hinter meinem Rücken hervor.

»Denn nach den Ferien bin ich offiziell Student an dieser Uni!«, verkündete ich und wartete mit klopfendem Herzen. Nok sah mich an, als hätte ich einen Nobelpreis gewonnen. Er löste sich von den Mädels, ging auf mich zu.

»Das..das ist keine Lüge oder, P’Wolf? Die Unterlagen sind echt, oder?«

Tränen glitzerten in seinen Augen, als ich ihm die Zettel überreichte. In dem Moment als seine Augen über die Zeilen flogen und jedes Wort aufsogen, wurde es still in meinem Zimmer. Als hätten alle die Luft angehalten.

»Ja, das ist alles echt. Ich hätte es gerne eher gesagt, aber ich musste warten, bis es offiziell ist.«

Wie in Trance legte er die Unterlagen auf meinem Schreibtisch ab, sah mich an: »Du wirst hier deinen Abschluss machen?«

Seine Stimme hatte ihre Kraft zurückgewonnen und er sah nicht mehr aus, als würde er jeden Moment zusammenbrechen.

»Ja. Hier. Zusammen mit euch.«

Nok fiel mir in die Arme, was ich lächelnd erwiderte. Unsere Freunde applaudierten.

»Und das ist wirklich okay? Ich meine, was ist mit deiner Familie?«, hörte ich ihn an mein Ohr flüstern. Ich nickte leicht.

»Ja, ist es. Ich habe mir lange genug Gedanken gemacht, Nok. Ich würde es auch nicht ohne dich aushalten. Wer weiß, vielleicht machst du bald ein Auslandsjahr und dann begleite ich dich«, flüsterte ich zurück.

Ich drückte ihn von mir, sah ihm in die Augen: »Außerdem habe ich dir versprochen, dass ich dich nicht allein lassen werde.«

Nok strahlte über das ganze Gesicht, nichts mehr von seinen Zweifeln war zu sehen. Er legte seine Stirn an meine.

»Danke, P’Wolf. Wenn das das beste Jahr deines Lebens war, werde ich dir versprechen, dass die kommenden Jahre noch besser werden. Ich liebe dich«, sagte er plötzlich. In diesem Moment nahm ich noch intensiver wahr als sonst. Diesmal war er es, der mich in Verlegenheit brachte. Um es mir nicht allzu sehr anmerken zu lassen, vergrub ich meinen Kopf an seiner Brust: »Ich liebe dich auch, Nok.«

Das war der Start in mein thailändisches Unileben und mein Leben mit Nok.

- Wolfsherz – Ende -

»Cut! Leute, wir haben es im Kasten!«, hörte ich den Regisseur sagen, während ich weiterhin meinen Kopf in Seuas Hemd vergrub, um die Tränen zu verstecken. Es war eine sehr schöne Szene, Wolf und Nok hatten es geschafft, nicht getrennt werden zu müssen. Das hieß im Umkehrschluss für uns, dass es vorbei war und wir noch vor dieser Entscheidung standen. Ich löste mich von ihm, wischte mir schnell die Tränen weg. Reiß dich zusammen, Cai, mahnte ich mich selbst. Auch wenn es traurig war, sollten wir feiern, dass wir es geschafft hatten. Das Team wollte das Set, welches wir zusammen dekoriert hatten, auch für unsere Abschiedsfeier nutzen. Es passte zum Anlass und wäre auch zu schade, einfach wieder abgerissen zu werden. Das gesamte Team hatte sich in einem Kreis in Wolfs Zimmer versammelt und wir stießen auf einen erfolgreichen Drehschluss an. Sie überreichten allen aus dem Cast einen Blumenstrauß, sagten uns außerdem, dass wir die Uniformen behalten durften. Der Regisseur trat vor, um ein paar Worte zu sagen.

»Lieber Cast, liebes Team, ihr habt alle hervorragende Arbeit geleistet. Trotz der Dinge, die passiert sind, haben wir es geschafft »Wolfsherz« zu seinem verdienten Ende zu bringen. Ihr alle könnt stolz auf euch sein. Cai, ich bin ehrlich, ich war skeptisch, als ich von Star gehört habe, dass er jemanden ohne Casting verpflichten will. Aber dann kamst du ans Set und schon nach der ersten Szene war ich mir sicher, dass es ein Erfolg wird. Ohne es zu wissen, bist du schon längst ein Profi. Außerdem hast du dich immer für jeden aus dem Team interessiert und wir waren alle sehr traurig, als ihr nicht am Set sein konntet«, als ich diese rührenden Worte von ihm hörte, bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Seua hatte mir einen Arm um den Rücken gelegt, er spürte wohl, dass mir das Ganze ziemlich schwerfiel.

»Das Projekt hat mir auch richtig Spaß gemacht und die Tatsache, dass ihr euch verliebt habt, hat es zu etwas ganz Besonderem gemacht. Vielen Dank, dass ich ein Teil davon sein durfte. Ich würde jederzeit wieder mit euch arbeiten«, schloss er und das gab mir den Rest. Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, ging zum Regisseur und umarmte ihn:

»Danke für alles, P’Pao.«

Immer mehr Leute schlossen sich dieser Umarmung an, sodass wir bald alle in einer Traube zusammenstanden. Ich würde viele von ihnen zwar noch bei der Premiere sehen, aber wahrscheinlich würde es das letzte Mal sein, dass wir in dieser Konstellation zusammenkamen. Lange verbrachte ich damit, jeden zu umarmen, denn ich mochte sie alle. Der vorläufige Abschied von Noah, P’Sawa und P’Amy fiel mir besonders schwer. P’Amy legte mir eine Hand auf die Schulter:

»Es hat mich sehr gefreut, Cai. Falls es ein nächstes Mal geben sollte, werdet ihr mich wohl nicht mehr brauchen.«

Es tat mir in der Seele weh, diese Worte zu hören, aber vermutlich hatte sie Recht. Sobald man den Status Rookie abgab, würde man nicht mehr wirklich einen Actingcoach brauchen.

Trotzdem glaubte ich, dass wir uns wiedersehen würden: »Das weißt du nicht. Je nachdem, was kommt, brauchen wir dich bestimmt. Aber, danke für alles. Ohne dich wäre das nicht möglich gewesen.«

Ich fühlte mich wie Nok, als er noch dachte, dass er Wolf nie wiedersehen würde. Ich war einfach nur traurig. Ein Abschied war schon schwer genug, doch es kamen gleich so viele auf mich zu.
 

Wir ließen den Abend ausklingen, erzählten uns gegenseitig Anekdoten vom Set. Ich hörte mir gerne die Stories vom Team an, denn es war sehr viel dabei, was wir nicht mitbekommen hatten. Ich zwang mich, so viel zu Lächeln, wie ich konnte. Für einen kurzen Moment schaffte ich sogar zu vergessen, in welcher Situation wir uns befanden. Es war im Prinzip nichts anderes als eine Party unter Freunden. Auch als wir für das Gruppenfoto rausgingen, war die Stimmung super. Sie wollten das Foto am Ende der letzten Folge zeigen, daher sorgten sie dafür, dass auch wirklich alle vom Team darauf zu sehen waren. Ich bot an, noch beim Aufräumen zu helfen, doch sie ließen mich nicht. Kurz bevor wir das Set endgültig verlassen würden, rief ich noch: »Ich liebe euch!« in die Dunkelheit.
 

Im Hotel stand ich am Fenster, blickte auf mein Spiegelbild. Meine Augen waren geschwollen vom Weinen, die Trauer hatte mich endgültig überwältigt. Alle anderen Gefühle wie Stolz, Vorfreude oder Spaß waren einfach weggeschwemmt worden. Ich fühlte mich nur noch leer und müde. Es wunderte mich aber auch nicht, ich war schließlich noch nie so intensiv in eine Produktion eingebunden, in der ich das ganze Team mochte. Die mich herausforderte und stärker machte. Die Zeit war viel zu schnell vergangen und jetzt musste ich versuchen, damit zu leben, dass es vorbei war. Ich sah in der Reflektion, wie Seua die Blumen und Uniformen auf der Couch ablegte. Das Team hatte uns auch noch eine Karte geschrieben, mit einem kleinen Abschiedsgruß von jedem. Man musste diese wunderbaren Menschen einfach vermissen. Doch derjenige, der mein Herz am schwersten werden ließ, tauchte gerade neben mir auf. Sein Spiegelbild sah auch müde aus, aber nicht so traurig wie meins.

»Wie geht’s dir? Du bist müde, oder?«, sprach er das Offensichtliche an. Die Sanftheit in seiner Stimme ließ mir einen Schauer über den Rücken fahren.

»Ja, bin ich. Müde und traurig. Ich will hier nicht weg. Ich will nicht aufhören, P‘«, erwiderte ich und kämpfte schon wieder mit den Tränen. Es würde nach diesem Tag auch keinen Unterschied mehr machen. Ich spürte, wie er von hinten seine Arme um mich legte, als einzige Stütze, die das Wrack, welches ich darstellte, noch zusammenhielt. Sein Kopf lag auf meiner Schulter, er sah mich über das Fenster an.

»Ich weiß, Cai. Wenn ich könnte, würde ich auch weitermachen. Es war eine tolle Zeit, aber wir können nicht verhindern, dass es vorbei ist«, Seua versuchte es in einem normalen Tonfall zu sagen, doch mittendrin brach seine Stimme. Ihm mochte es leichter fallen, sich von Sets zu verabschieden, weil er es öfter getan hat, aber »Wolfsherz« war wohl auch für ihn eine Ausnahme. Als ich sah, dass sich sein Ausdruck langsam in einen traurigen wandelte, schloss ich die Augen, denn es nahm mich zu sehr mit.

»Leider. Aber was machen wir jetzt?«

Für mich gab es nur eine Option, denn ich wollte nicht, dass Seua das Land verließ, in dem er berühmt geworden war. Doch ohne Job konnte ich nicht bleiben. Ich legte meine Hände auf seine, hörte ihn seufzen: »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Am besten wir warten die Premiere ab.«

Und warten auf ein Wunder. Ich wusste genau, was er meinte, denn diese Premiere war das Letzte, was uns noch blieb.

»Ja, viel anderes wird uns nicht übrigbleiben. Wenn ich keinen Job habe, kann ich nicht bleiben«, sagte ich mehr zu mir selbst. Eigentlich brauchte ich gar nichts zu sagen, denn wir wussten, was auf uns zukam.

»Ich möchte eigentlich nicht wegen etwas traurig sein, was nicht final entschieden ist…«, sagte Seua mit leiser Stimme. Er klang traurig, deswegen öffnete ich die Augen wieder.

»…aber ich kann nicht anders.«

Sein Spiegelbild weinte. Ich löste mich von ihm, zog ihn zum Bett, wo wir uns setzten. Wir nahmen uns fest in den Arm und weinten gemeinsam. Ich wusste nicht, wie lange wir dasaßen, doch es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Ein verletzlicher Moment, in dem wir nichts verstecken mussten.
 

Die restlichen Tage bis zur Premiere verbrachte ich so viel Zeit mit Seua, wie es unsere Termine zuließen. In dieser kurzen Zeit war ich ihm fast näher als in all den Monaten davor. Am Tag der Premiere versuchte ich die Gedanken an den bevorstehenden Abschied auszublenden. Das hier würde unser großer Auftritt werden, für den wir und das Team monatelang alles gegeben hatten. Da wollte ich diesen Gedanken keinen Raum geben. Gerade waren wir mit den anderen aus dem Cast in der Maske, auch Seua hatte ein Lächeln aufgesetzt. P’Sawa, der meine Haare stylte, war heute ungewöhnlich still. Ansonsten erzählte er mir gerne Geschichten aus Japan. Vermutlich lag es einfach am Stress, denn schon seit wir hier waren, ging es zu hektisch zu. Immer wenn ich Ray sah, war er am Telefonieren. Es war früher Nachmittag in ein paar Stunden sollte es losgehen. Bis dahin mussten noch Flughafenabholungen, Fans, Presse, Essen und Technik koordiniert werden. Kein Wunder, dass niemand großartig Zeit oder den Kopf für Smalltalk hatte. Unsere Premiere würde in einer großen Eventhalle mitten in der Stadt stattfinden. Draußen würden wir die Fans begrüßen, drinnen andere Stars und VIPs. Während wir es also verhältnismäßig entspannt angehen lassen konnten, war die Hektik um uns herum deutlich zu spüren. Äußerlich war ich zwar entspannt, innerlich sah es jedoch anders aus. Denn unsere Hektik würde erst noch kommen. All die Arbeit, die in diese Premiere gesteckt wurde, hatte es nicht verdient, dass irgendetwas schiefging. Vor allem sollte man sich nicht auf dem roten Teppich blamieren. Es würde das größte Event sein, dem ich beiwohnen und noch dazu im Mittelpunkt stehen würde. Ich atmete tief aus, versuchte mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Wie auch schon bei dem Fan-Event trugen wir Anzüge. Mittlerweile fand ich sogar, dass es mir auch ganz gut stand. Mein Blick blieb jedoch nicht lange bei mir, sondern fiel auf Seua. Er saß vor dem Spiegel, sein Gesichtsausdruck war entspannt. Meine Augen wanderten an ihm herunter, ich konnte mir einfach nicht helfen. Er sah im Anzug einfach zu gut aus. Seua bemerkte meinen Blick, grinste mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich grinste zurück. Vor einigen Monaten wäre ich vor Scham im Boden versunken, doch jetzt konnte ich es mühelos erwidern. Er stand auf, nahm meine Hand und zog mich mit sich. Ich hatte keine Ahnung, was er machen wollte, doch wir bahnten uns den Weg durch unzählige verschachtelte Gänge, vorbei an all den Menschen, die mitten in den Vorbereitungen für unseren Auftritt steckten. Niemand beachtete uns, weil sie alle zu vertieft waren. Falls Seua mich loslassen würde, würde ich den Weg nicht allein zurückfinden. Konsequent und ohne zu zögern, lief er die verschachtelten Gänge entlang und zog mich mit sich. Irgendwann kamen wir an einer ruhigeren Ecke an, wo er mich in einen kleinen Raum hineinzog.
 

Als er die Tür hinter uns schloss, wurde es stockdunkel. Ich hatte nicht eine Sekunde Zeit, mir über die Dunkelheit Gedanken zu machen, da drückte er mich gegen die Wand und küsste mich. Völlig überrascht davon, blieb mir kaum Zeit zu reagieren. Ziellos ließ ich meine Hände über seinen Körper fahren, erwiderte den Kuss. Seuas Überfall löste ein aufregendes Kribbeln in mir aus. Bisher konnte ich mich meistens mental auf einen Kuss vorbereiten, diesmal hatte ich überhaupt nicht damit gerechnet. Noch dazu kam die Dunkelheit, die mich ihm quasi blind auslieferte. Es fühlte sich an, als hätten wir alle Leute hinter uns gelassen und befanden uns in unserem eigenen Universum. Der Tiger hatte mich in eine Falle gelockt und ich liebte jede Sekunde davon. Spürte seinen Körper, der sich an mich drückte, seine Hand an meiner Hüfte und seine Lippen auf meinen. Ich fuhr mit meinen Händen unter sein Sakko, umschloss seinen Rücken. Ich ließ mich einfach fallen, war mir sicher, in diesem Moment hätte er alles mit mir machen können. Für eine Weile ließen wir uns treiben, genossen diesen intensiven Kuss, bis er keuchend von mir abließ. Auch ich brauchte Zeit, um wieder zu Atem zu kommen.

»P‘…«, brachte ich gerade so zwischen zwei Atemzügen hervor. Ich spürte seine Hand an meinem Gesicht, er fuhr mir mit dem Finger über die Lippen. Seine Berührung ließ mir einen angenehmen Schauer durch den Körper fahren. Ich war froh, dass wir uns in der Eventhalle und nicht im Hotelzimmer befanden.

»Was ist los, Cai?«, ich konnte hören, dass er grinste.

Lachend schüttelte ich den Kopf: »Nichts. Ich muss mich nur von diesem Überfall erholen.«

»Wenn ich zu..«, brachte er Zweifel an, doch ich zog ihn näher zu mir.

»Warst du nicht. Ich mochte es«, gab ich flüsternd zu, dankte der Dunkelheit dafür, dass sie meinen roten Kopf versteckte.

»Gut. Was sollte ich auch machen, als du mich mit diesem lüsternen Blick angesehen hast?«, gab er zurück und ich konnte mir genau vorstellen, was für ein Gesicht er gerade machte. Allein die Vorstellung machte mich verrückt, ich versuchte nicht ohnmächtig zu werden.

»W-was für ein lüsterner Blick? Ich kann doch nichts dafür, dass du so verdammt gut aussiehst.«

Auch er lachte: »Also gibst du zu, dass du mich angestarrt hast?«

»Das ist wohl mein gutes Recht«, gab ich zurück, versuchte mir das Zittern in der Stimme nicht anmerken zu lassen. Es gab mir einen Adrenalin-Kick, so mit ihm zu sprechen, weil ich mich sowas normalerweise nicht traute. Seua schien auch Spaß daran zu haben.

»Kann es sein, dass du auf Anzüge stehst?«, fragte er.

»Unter anderem. Aber in erster Linie stehe ich auf dich«, hauchte ich, tastete nach seinem Gesicht, zog ihn an mich und küsste ihn flüchtig.

»Der Tiger kann mich ruhig öfter entführen«, sagte ich und musste selber über meine kitschige Äußerung lachen. Er stimmte mit ein und wir standen eine Weile nur lachend da.

»Das wird er auch, Cai. Aber ich befürchte wir müssen zurück.«
 

Seua öffnete die Tür langsam, sodass meine Augen Zeit hatten, sich an das grelle Licht zu gewöhnen. Wir verließen den Raum und ich wollte gerade erleichtert aufseufzen, dass es niemand bemerkt hatte, da kam uns eine aufgebrachte Moon entgegen. Skeptisch musterte sie uns, ich konnte mir vorstellen, dass wir nicht mehr ganz so frisch aussahen. Sie zog beide Augenbrauen hoch: »Wisst ihr eigentlich, wie lange ich euch gesucht habe?«

In Moons Stimme schwang ein genervter Unterton mit, aber es machte mir nichts aus. Ich wusste, dass sie mir nie lange böse sein konnte.

»Ich weiß es nicht, aber bei dem Labyrinth hier kann ich es mir vorstellen. Sorry, Moon. Was ist denn?«, versuchte ich sie zu beschwichtigen. Nebenbei versuchte ich einigermaßen unauffällig meine Kleidung zu richten. Ich musste nur Seua ansehen, dann konnte ich mir vorstellen, wie ich selbst aussah. Dass ich mal in so einer Situation sein würde, hätte ich auch nicht gedacht. Moon beobachtete mich, aus ihrem genervten Ausdruck wurde ein Grinsen. Ihre langen schwarzen Haare waren zu einem hohen Zopf gebunden, der mit jeder Bewegung mitschwang. Dazu trug sie ihre Mondohrringe und ein kürzeres, schwarzes Abendkleid, welches glitzerte.

»P’Star hat nach euch gesucht. Was auch immer ihr Spannendes in diesem Raum gemacht habt, es wäre besser, ihr geht zu ihm«, sie grinste wissend.

»Du siehst toll aus«, sagte ich.

Geschmeichelt drehte sie sich, um ihr Outfit zu zeigen, blieb jedoch schnell wieder stehen:

»Vielen Dank, Cai. Aber lenk‘ nicht vom Thema ab. So wir ihr ausseht, solltet ihr vielleicht erst zu P’Sawa.«

Moon hielt mir ihr Handy mit eingeschalteter Frontkamera vors Gesicht und tatsächlich musste man das wohl doch etwas ausbessern. Ich seufzte und sie ließ kopfschüttelnd das Handy sinken.

»Hauptsache ihr hattet Spaß.«

Seua streckte ihr die Zunge raus, legte mir einen Arm über die Schulter: »Hatten wir.«

Das war typisch er. Wenn er einmal in diesem Modus war, konnte er es nicht lassen. Verlegen starrte ich auf eine Wand hinter ihr, versuchte einen erneuten Themenwechsel: »Warum hat P’Star dich geschickt?«

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie mit ihrem Zopf spielte: »Weil er weiß, dass ich euch überall finden würde? Nein, Cai. Du weißt doch, dass wir gerade am meisten Zeit haben. Er wollte Ray vermutlich den Nervenzusammenbruch ersparen.«

Ich fühlte mich ein bisschen schuldig, solche Aktionen zu machen, wenn alle für uns arbeiteten. Aber unsere Arbeit würde auch noch kommen, nur ein bisschen später. Moon hakte sich bei uns unter, zog uns in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Neben Seua war sie mir auch unheimlich wichtig. Anders als ihre Schwester, strahlte sie immer eine totale Ruhe auf mich aus. Ich lächelte bei dem Gedanken, wie gut ihre Spitznamen zu ihnen passten.

»Ach übrigens«, begann sie erneut. »P’Star lässt ausrichten, dass er euch den Rest des Tages nicht ohne Handy sehen will. Wäre schlecht, wenn seine Hauptcharaktere bei der Premiere abhandenkommen.«
 

Einige Stunden später war es so weit. Wir saßen in der Limousine, die uns zum roten Teppich fahren sollte. Selbstverständlich hatte P’Joe diese Aufgabe übernommen. Es war das erste Mal, dass ich mich direkt wie ein Star fühlte. Auch wenn wir ein bisschen schummelten, weil wir nur um die Ecke gefahren waren. Hauptsache es sah so aus, als würden wir ankommen. Neben Seua und mir saßen Dice und Pravat. Moon und Sun saßen uns gegenüber. Auch wenn ich sie anfangs nur anhand der Ohrringe unterscheiden konnte, gelang es mir mittlerweile besser. Ich brauchte nur auf die Sprache und Haltung achten, dann war es nicht mehr schwierig. Sun war immer sehr aufgedreht, Moon war ruhiger. Im Auto war es still, alle hingen ihren eigenen Gedanken nach. Zwischendurch tauschten wir unsichere Blicke, lächelten uns zu. P’Joe drehte sich zu uns um:

»Seid ihr bereit?«

»Ja«, sagten wir fast gleichzeitig, dann fuhren wir los. Als ich die ganzen Fans und die Presse am roten Teppich sah, wurde mir bewusst, dass ich meinen Traum lebte. Noch dazu in Ausmaßen, die ich mir nie zuvor erträumt hatte. Diese Leute waren wegen uns hier und egal was noch passieren würde, ich wusste, dass ich diesen Moment nie vergessen würde. Doch vor allem an dieses unglaubliche Gefühl wollte ich mich so lange erinnern wie möglich. Der Wagen hielt an, ein Mann im Anzug öffnete uns die Tür, genau wie in Hollywood. Ich hatte die Ehre, als Erster aussteigen zu dürfen. Noch bevor ich den Wagen verlassen hatte, hörte ich das Kreischen der Fans und das Klicken der Kameras. Diesmal hatte Ray es geschafft, mich vor dem Blitzlichtgewitter zu bewahren. Hinter mir stiegen auch die Anderen aus, wir winkten den Leuten zu, verteilten uns auf beiden Seiten, um den Fans Autogramme zu geben. Ich konnte nicht einschätzen, wie viele es waren, doch sie drängten sich dicht an dicht vor die Absperrung. Ich unterschrieb alles, Zettel, Fotos, Poster und sogar Handys. Für diesen Moment hatte ich extra geübt, meine Unterschrift schnell und trotzdem schön zu machen. Solange die Zeit es zuließ, machten wir auch Fotos mit den Fans. Ich fühlte mich wie in einem Rausch, tat was von mir verlangt wurde, ohne nachzudenken. Wir wechselten die Seiten, um uns so vielen Fans wie möglich zu zeigen. Wie in Trance unterschrieben meine Hände alles und ich lächelte für die Fans. Es waren schließlich sie, die das alles ermöglicht hatten. Irgendwann machte die Security uns klar, dass wir langsam ins Gebäude mussten. Dort fanden wir uns vor einer Wand an weiteren Kameras wieder, hinter uns das große Banner mit dem Titelbild von »Wolfsherz«. Es erinnerte mich ein bisschen an eine Oscar-Verleihung, denn hier machten sie die Bilder vom roten Teppich, die später auch der Öffentlichkeit gezeigt werden würden. Wir bekamen die unterschiedlichsten Anweisungen, machten Bilder mit dem gesamten Cast, allein oder zu zweit. Alle Konstellationen, die die Fotografen haben wollten. Meine Aufregung hatte sich gelegt, denn alles ging so schnell, dass ich gar keine Zeit hatte über irgendwas nachzudenken.
 

Wir betraten eine Bühne, in einem noch fast leeren Saal, hier würden wir unsere VIPs empfangen. Zusätzlich zu uns hatte sich auch das gesamte Team in diesem Saal versammelt, um der Premiere beiwohnen. Neugierig sah ich mich um, hinter uns ragte die Leinwand auf, vor uns lagen viele leere Plätze, einige davon waren für uns reserviert. Die fast geisterhafte Stille war ein angenehmes Kontrastprogramm zur lauten Kulisse, die wir davor erlebt hatten. Ab und zu sah man jemanden aus dem Organisationsteam vorbeihuschen. Einen Augenblick später schwangen die Saaltüren auf und einige Leute gingen in Richtung Bühne. Wer genau unsere VIPs im Einzelnen waren, wusste ich nicht. P’Star hatte es uns nicht mitgeteilt. Zusammen mit den Anderen begrüßten wir Stars aus der Branche, von denen ich kaum jemand kannte. Bei manchen kannte ich noch den Namen und in welchen Serien sie mitspielten. Die meisten sprachen sehr gutes Englisch und man musste gar nicht wissen, wer sie waren, sie strahlten diese Star-Aura aus. Einer, der gerade meine Hand schüttelte, fiel mir jedoch auf.

»Du bist Tan, oder? Der mit der Lampe am Set?«, fragte ich.

Tans braune Augen strahlten mich an: »Genau, der bin ich. Muss Seuas schlechtes Gedächtnis geschuldet sein, dass er immer die gleiche Geschichte erzählt.«

Seua hatte die Unterhaltung mitbekommen, er schüttelte lachend den Kopf: »Das nennt man Nahtoderfahrung, Tan.«

»Ja, ja.«

Er wandte sich wieder an mich, sah auch etwas erwachsener aus als der, den ich aus dem Drama kannte.

»Freut mich, Cai. Netterweise wurde ich bisher immer auf Seuas Premieren eingeladen, aber auf diese hier habe ich mich besonders gefreut. Ich habe das meiste mitbekommen und bin froh, dass ihr es trotz allem geschafft habt. Aber ich war mir nicht sicher, ob du die krasse Ankündigung direkt vor P’Stars Augen überleben würdest.«

Symbolisch ließ ich die Hände vor meinem Körper heruntergleiten: »Habs überlebt, wie du siehst. Aber es freut mich auch, ich kenne schließlich nicht so viele Stars.«

Er zwinkerte mir zu: »Das wird sich spätestens ab heute ändern.«

Wir lächelten uns an, dann begrüßte ich die Nächsten. Immer wieder schielte ich rüber zu Seua, konnte anhand der Begrüßung sehen, wen er gut kannte und wen nicht. Lange konnte ich mir das nicht ansehen, denn dann stand plötzlich eine Dame vor und ich brauchte einen Moment, um sie zu erkennen.

»P’Hope!«, entfuhr es mir und ich nahm sie in den Arm. »Du bist wirklich gekommen!«

»Bei der netten Einladung. Außerdem wann hat man schon mal die Chance auf einer echten Premiere zu sein?«

Ich ließ von ihr ab, betrachtete sie. Sie trug ein tiefrotes Abendkleid, die sonst zusammengebundenen Haare fielen ihr gewellt über die Schultern.

»Kein Wunder, dass ich gebraucht habe, dich zu erkennen, P’Hope. Du siehst toll aus!«

Es freute mich sehr, dass sie der Einladung gefolgt war, obwohl sie überhaupt nichts mit der Branche zu tun hatte. Ich fand es unglaublich mutig von ihr. Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr: »Vielen Dank. Aber das habe ich nicht selbst gemacht. Wie geht es dir? Bist du aufgeregt?«

Ich schüttelte den Kopf: »Nicht mehr. Ich bin glücklich.«

»Das ist schön. Nach der harten Arbeit habt ihr euch das wirklich verdient.«

»Nicht nur wir, P’Hope. Du hast auch deinen Teil dazu beigetragen.«

Gerührt hielt sie sich die Hände vors Gesicht: »Ach, Cai. Ich habe doch nur meinen Job gemacht.«

Leicht klopfte ich ihr auf die Schulter: »Ja, aber einen verdammt Guten.«

Bevor ich P’Hope noch weiter in Verlegenheit bringen konnte, ging sie runter zu den Anderen.
 

Die nächste Person, die ich begrüßte, war Seuas Oma. Ich hatte nicht mit ihr gerechnet, freute mich aber darüber, dass sie da war. Wir begrüßten uns auf Thai. Ich wandte die paar Floskeln an, die ich doch noch irgendwann gelernt hatte. Sie nahm es erstaunt zur Kenntnis.

»Ich bin stolz auf euch«, sagte sie und es trieb mir fast die Tränen in die Augen.

»Danke«, sagte ich und legte die Hände zum Gruß zusammen. Sie war mit eine der Letzten, als mir drei bekannte Gesichter entgegenkamen. Hatte er etwa? Durch das Scheinwerferlicht geblendet konnte ich erst im letzten Moment erkennen, dass es sich um meine Familie handelte. Ich versuchte mich von dem ganzen Glück nicht überfordern zu lassen. Auch sie waren sehr schick gekleidet, was ich sonst nur selten zu Gesicht bekam. Mom trat vor: »Na, Cai? Mit uns hast du nicht gerechnet, hm?«

Tatsächlich stand ich für einen Moment erstarrt da, mein Gehirn musste es erst einmal verarbeiten. Sie lagen schon in meinen Armen, da fragte ich: »Wie kommt ihr denn nach Thailand?«

»Mit dem Flugzeug«, bemerkte Mitch trocken. Ich gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.

»Das weiß ich auch, du Depp. Ich meine..«

In diesem Moment ergriff Dad das Wort: »Cai, wir gehören zum Cast. Glaubst du da wird man nicht zur Premiere eingeladen?«

»Aber natürlich. Wie lange bleibt ihr?«

»Zwei Wochen. Es muss sich ja auch lohnen, wenn man schon mal da ist. Außerdem bezahlt der Sender alles«, erklärte Mitch grinsend. Das hieß, je nachdem welche Termine nach der Premiere noch anstehen würden, könnte ich noch etwas mit ihnen unternehmen.

»Richtig cool.«

Mom legte mir eine Hand auf die Schulter, sah mich liebevoll an: »Überhaupt, dass wir jetzt hier stehen, Cai. Ich kann es kaum glauben, bei der ersten Premiere meines Sohnes dabei sein zu können. Hoffentlich brauche ich keine Taschentücher.«

»Mom«, ich nahm sie noch mal in den Arm.

»Ihr wisst doch, dass ihr in meiner Story die Hauptcharaktere seid. Wenn du sowas sagst, werde ich derjenige sein, der Taschentücher braucht.«

Wir lachten. Dann gingen sie zu Seua, um ihn zu begrüßen. Er wurde herzlich umarmt, als würde er zur Familie gehören. Mom betrachtete ihn eingehend.

»Irgendwie habe ich mir gedacht, dass ich mit dir als Schwiegersohn rechnen kann, Seua. Aber Cai hätte es uns ja auch sagen können, bevor wir es aus den Nachrichten erfahren«, ihr Seitenblick war unmissverständlich. Ich schmollte gespielt:

»Sorry. Das kann halt passieren, wenn man einen berühmten Sohn hat.«

»Es sei dem berühmten Sohn verziehen.« Sie wandte sich wieder an Seua: »Wie auch immer, danke für alles, Seua.«

Er schüttelte den Kopf: »Das ist nicht nötig, Mom. Ihr habt wegen uns auch genug Arbeit gehabt.«

Die Beiden unterhielten sich noch eine Weile, währenddessen nahm Mitch mich zur Seite, legte mir einen Arm um die Schulter.

»Deine Idioten bei einer Premiere, damit hättest du nicht gerechnet, hm?«

»Nie im Leben. Aber genauso wenig damit, dass ihr mal in meiner Serie mitspielt, oder dass ich in Thailand arbeite, oder..einfach alles hier.«

Sie waren das letzte Puzzleteil, was mir noch zu meinem Glück gefehlt hatte. Wo sie da waren, würde das Puzzle zumindest für eine Weile komplett sein.

»Glaub ich dir. Weißt du eigentlich, dass dein Auftritt auf der PK, bei uns auch ziemlich groß in den Medien war?«, er sah mich grinsend an.

»Echt?«

»Naja, nach dem GMA-Interview nicht unbedingt verwunderlich, oder?«

»Stimmt.«

Mitch und ich hatten uns ein Stück von der Gruppe entfernt, um kurz zu reden. Da meine Familie die letzten VIPs waren, war das kein Problem. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Seua meinen Eltern seiner Oma vorstellte. Ich lehnte mich an eine Wand von der Bühne, ließ diesen Moment auf mich wirken. Mitch stand mit verschränkten Armen vor mir.

»Glückwunsch, übrigens. Scheint, als wäre deine Mission erfolgreich gewesen«, er deutete auf Seua. Nachdenklich nickte ich: »Ja, war sie. Auch wenn mein Geständnis im Fernsehen ziemlich riskant war.«

»Absolut. Aber ich bin froh, dass es geklappt hat. Mit zwei Stars in der Familie müssen wir erstmal auf den Ruhm klarkommen«, er zwinkerte mir zu. Ich sah ihn mit feuchten Augen an:

»Danke.«

Mal wieder wurde mir klar, was für eine tolle Familie ich hatte und dass es keinesfalls selbstverständlich war.

»Nicht dafür, Bruder«, wir schlugen ein. »Wer weiß, vielleicht sind die Leute so begeistert von mir, dass ich auch als Schauspieler anfangen kann.«

Es wäre schon eine verrückte Vorstellung. Aber ich war der festen Überzeugung, dass er in seinem Büro besser aufgehoben war.

»Klar. Träum weiter, Mitch«, ich lief wieder zu den Anderen.

»Hey!«, lachend lief er mir hinterher. »Weiß man doch nicht!«
 

Bevor wir feststellen konnten, ob Mitch auch ein Star werden würde, begann die Premiere der ersten Folge, die alle gespannt verfolgten. Auch ich, da wir bisher nur kleine Ausschnitte, aber nie das bearbeitete Gesamtwerk gesehen hatten. Es erfüllte mich mit Stolz, endlich das fertige Werk zu sehen, an dem so viele Leute gearbeitet haben. Unsere Serie. Ich musste aufpassen, in diesem Moment nicht zu rührselig zu werden.
 

Als die Party der Premiere begann, war es schon recht spät und ich war müde vom vielen Grinsen, bekam es trotzdem nicht aus dem Gesicht. Ich mochte die erste Folge sehr und war mir sicher, dass ich nicht der Einzige war, der das empfand. Gerade stand ich mit meiner Familie, Ray und Moon zusammen. Hörte mir aufgeregt die Meinungen zur Folge an. Mitch war natürlich derjenige, der sich als erster äußerte: »Das war krass. Ich hätte meinen eigenen Bruder gar nicht erkannt, wenn ich es nicht gewusst hätte. Hoffentlich müssen wir jetzt nicht so lange auf die nächste Folge warten.«

»Keine Sorge. P’Star wird euch nicht warten lassen«, lenkte Ray ein. Da sie vom Cast waren, würden sie die Folgen vorab sehen können.

Ich versuchte so gut wie möglich mit jedem der Gäste zu sprechen, lauschte den Stars, wie sie Geschichten von ihren eigenen Sets erzählten. Natürlich war man als Hauptdarsteller sehr gefragt, daher konnte ich mich immer nur kurz bei einzelnen Leuten aufhalten.
 

Irgendwann ging ich raus, um kurz frische Luft zu schnappen. Die Krawatte wurde langsam anstrengend, daher löste ich sie etwas. Die kühlere Luft draußen tat gut, ließ mich wieder ein bisschen wach werden. Ich sah Ray an einer Wand lehnen, er hatte die Augen geschlossen. Das Handy fiel ihm aus der Hand, daher trat ich vor und fing es auf. Dieser Anblick wunderte mich nicht, er war schließlich derjenige, der heute die meiste Arbeit hatte.

Meine Schritte weckten ihn: »Oh. Sorry, Cai.«

Ich gab ihm das Handy zurück, welches er in die Innentasche seines Sakkos steckte.

»Alles gut, Ray.«

Ich bemerkte seinen fragenden Blick: »Was gibt’s?«

»Ich weiß, das hast du heute schon den ganzen Tag gemacht, aber darf ich dich umarmen?«

Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen und drückte ihn an mich. Diesmal war keine Unsicherheit in seiner Umarmung, stattdessen erwiderte er sie.

»Wir haben es geschafft, oder Ray?«

Er klopfte mir freundlich auf den Rücken: »Ja, haben wir.«

»Danke, dass du mich und meine Aktionen immer aushältst. Jeder andere Manager hätte schon längst die Flucht ergriffen«, erklärte ich und ließ von ihm ab. Ich wollte den seltenen Moment nutzen, in dem wir Zeit zum Reden hatten, mich zu bedanken. Denn das tat ich bei ihm viel zu selten. Er grinste: »Deswegen kann auch nur ich dein Manager sein, Cai.«

»Ja. Aber ich glaube es reicht für heute, oder? Du musst ziemlich fertig sein«, besorgt beobachtete ich ihn. Es war nicht Rays Art, sich zurückzuziehen und sein Sekundenschlaf war wohl der beste Beweis dafür.

»Okay, ja. Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich kaum noch auf den Beinen halten.«

»Offensichtlich. Ich habe heute den ganzen Tag nur Schatten von dir gesehen. Ich will gar nicht wissen, wie viel Arbeit das alles war.«

Er lächelte schwach, ließ wieder zu, dass die Müdigkeit ihn einnahm.

»Das ist wohl selbstverständlich. Du hast deine erste, große Premiere gehabt. Glaubst du da kann ich untätig herumsitzen?«

»Dann solltest du wohl eine Gehaltserhöhung verlangen, oder?«

Als er einen Schritt nach vorne machen wollte, strauchelte er und ich schaffte es noch, ihn aufzufangen. Oh verdammt, der hatte sein Limit mehr als erreicht.

»Auf jeden Fall! Ich rufe morgen direkt an und sage ihnen, dass mein bester Freund ein richtiger Star ist.«

Lachend schüttelte ich den Kopf: »Aber vorher sorgt dein bester Freund dafür, dass du nach Hause kommst.«
 

Die nächsten zwei Wochen hatten wir noch Termine, ansonsten verbrachten Seua und ich Zeit mit seiner Oma und meiner Familie. Zwar mussten wir die Security immer mitnehmen, schafften trotzdem ein bisschen Sightseeing. Ich hatte das Gefühl, meine Familie genoss die Aufmerksamkeit, die ihnen zukam, wenn sie mit uns unterwegs waren. Noch bevor die Abreise bevorstand, bat P’Star uns ein letztes Mal in sein Büro. Bei dem Gedanken, dass mir jetzt der nächste Abschied bevorstand, ließ ich die Schultern sinken. Ich legte Seua eine Hand auf den Rücken und diesmal war ich derjenige, der die Tür öffnete. Als wir reinkamen, saß P’Star nicht an seinem Schreibtisch, sondern auf einem Sessel mitten im Raum, vor dem ein kleiner Glastisch stand. Demgegenüber eine Couch.

»Setzt euch«, bat er uns und wir nahmen auf der Couch Platz.

»Warum seht ihr denn so bedrückt aus?«, im Gegensatz zu uns schien er bester Laune zu sein.

»Naja..«, wollte ich beginnen, doch er unterbrach mich mit einer Handbewegung.

»Erst einmal, herzlichen Glückwunsch. Wie ihr sicher wisst, war die Premiere ein voller Erfolg. Die Branche und Fans haben nur Positives zu berichten. Und Cai, du bist jetzt ein Star in Thailand«, erklärte er und mir gelang ein kleines Lächeln.

»Danke.«

Doch P’Star war noch nicht fertig: »Hört zu. Ich habe eine Möglichkeit, euch zumindest vorerst die herzzerreißende Flughafenszene zu ersparen.« Er griff hinter sich: »Die Autorin von »Wolfsherz« ist begeistert von euch. Daher hat sie mir direkt das nächste Skript gegeben.«

Plötzlich hatten wir ein Skript vor uns liegen, auf dem in großen Buchstaben: »Safe Zone« stand. Seua und ich sahen uns erstaunt an: »Das heißt?«

»Ich dachte mir, ich gebe euch noch ein bisschen Zeit, Entscheidungen zu treffen. Wenn ihr euch für »Safe Zone« entscheidet, bleibt erst mal alles wie es ist.«

Mein Herz schien sich kaum noch zu beruhigen. Sagte P’Star uns gerade etwa, dass wir an der nächsten Serie arbeiten konnten?

»Mit dem gleichen Team?«, fragte ich, versuchte mein Zittern zu unterdrücken.

Er nickte: »Ja, oder glaubst du der Sender kann sich so viele Teams leisten?«

Ich konnte es nicht glauben. Das hieß, wir mussten uns nicht verabschieden! Ich nahm P’Stars Hand und strahlte ihn an: »Natürlich machen wir das!«

Ich brauchte Seuas Antwort nicht abzuwarten, denn so wie er lächelnd das Skript ansah, gab es keine andere Möglichkeit. P’Star drehte sich erneut um, um irgendwelche Unterlagen vor mir auf den Tisch zu legen.

»Noch was, Cai.«

»Hm?«, ich war schon drauf und dran mit dem Skript zu verschwinden, um es zu studieren. Doch als ich auf dem Zettel das Senderlogo sah, hielt ich inne.

»Ich habe mir den Verantwortlichen vom Sender gesprochen. Wenn du dich dafür entscheiden solltest, dauerhaft in Thailand zu bleiben, können wir dich unter Vertrag nehmen. Mit Ray als Manager und Seua als festem Drehpartner«, beendete er den Satz und lehnte sich vor.

»Wirklich? Mich?«, das wäre die größte Ehre, die mir überhaupt jemand erweisen würde.

»Natürlich doch. Der Sender nimmt niemanden dauerhaft unter Vertrag, von dem er nicht überzeugt wäre.«

Der letzte Schritt zu meinem Traum lag vor mir und es war ein einziger Zettel. Auch wenn er uns erst noch Zeit geben wollte, diese Entscheidung zu treffen, ich wusste, dass es für mich keinen anderen Weg gab.

»Hast du einen Stift?«

P’Star reichte mir einen Stift und ich unterschrieb den Vertrag sofort. Erstaunt sah er mich an:

»Ganz sicher? Du willst nicht darüber nachdenken?«, versicherte er sich.

»Das habe ich schon, seit ich hier bin. Ich werde mir diese Chance nicht entgehen lassen«, sagte ich mit fester Stimme. P’Star gab mir die Hand: »Na dann. Herzlich Willkommen bei TMM TV. Auf weiterhin gute Zusammenarbeit.«

»Vielen Dank«, brachte ich heiser hervor.

Seua lachte: »Pass‘ auf, P’Star. Du wirst gleich umarmt.«

Ich stand tatsächlich auf, nahm P’Star in den Arm. Schließlich hatte auch er trotz unserer Aktionen immer an uns geglaubt.

»Da habe ich kein Problem mit, Seua«, erwiderte er lachend und klopfte mir auf den Rücken.

»Du brauchst dich nicht zu bedanken, Cai. Das hast du dir selbst erarbeitet.«
 

Ich hütete diesen Zettel wie einen Schatz, war mir sicher, dass ich ihn beizeiten einrahmen würde. Trotz der guten Nachrichten, blieb uns die Flughafenszene jedoch nicht erspart, denn wir mussten meine Familie dort verabschieden. Wir standen in der Abflughalle, ich erzählte ihnen begeistert von meinem Vertrag. Niemand schien sonderlich überrascht zu sein.

»Cai, Schatz. Wir haben schon damit gerechnet. Wir werden dich unterstützen und sind unheimlich stolz«, sagte Mom und wir stellten uns in eine Gruppenumarmung, weinten leise. Auch wenn es nur ein Abschied war und auch kein endgültiger, war es doch einer der schwersten. Mom löste sich, sah Seua an: »Pass‘ bitte gut auf Cai auf. Wenn er Mist baut oder dich nervt, dann ruf‘ mich jederzeit an, okay?«

»Klar, Mom. Mach‘ dir keine Sorgen, ich hab‘ den kleinen Wolf schon im Griff.«

Dann zog sie Seua mit in unsere Umarmung.

Wir sahen den dreien noch nach, blieben noch eine Weile am Flughafen. Seua fuhr mir liebevoll durch die Haare: »Und, Cai? Fühlt es sich trotzdem wie ein Happy End an?«

Ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln: »Ja!«
 

Ich hatte mich gegen die Heimat und für die Arbeit und die Liebe entschieden. Mir war von Anfang an klar, dass es nur mit einem Kompromiss ging. Dass es etwas geben würde, was ich zurücklassen musste. Es war der Tag, an dem ich am traurigsten und glücklichsten gleichzeitig war.
 


 


 

Ein paar Wochen später
 

Aufgeregt sprang ich aus dem Bett, machte mich bereit für den ersten Drehtag von »Safe Zone«. Nicht nur, war ich gespannt darauf Seua als Gangster zu sehen, sondern ich freute mich auch darauf, dass Team wiederzusehen. Alle waren sehr glücklich darüber gewesen, als in einer Pressemitteilung verkündet wurde, dass ich ab jetzt offiziell Teil des Senders war. In weniger als ein paar Minuten war ich fertig, während Seua immer noch selig schlummernd im Bett lag. Immer diese Unprofessionellen. Ich nahm seinen Arm und zog daran: »P‘! Komm schon, wir müssen ans Set!«

Von ihm kam nur ein undeutliches Grummeln. Wieder zog ich an seinem Arm, da packte er mich, zog mich mit einem Ruck nach vorne, sodass ich auf ihm landete.

»Du bist ja doch wach!«, beschwerte ich mich gespielt. Seua legte mir eine Hand in den Nacken und küsste mich: »Ja, bin ich.«

Dann drückte er mich an sich: »Fünf Minuten noch, okay?«

Seufzend ließ ich mich darauf ein, legte meinen Kopf an seine Brust. Es war ähnlich wie bei Wolf. Ich war nach Thailand gekommen, um zu arbeiten, doch bleiben würde ich wegen ihm. Dem Tiger, der gerade wieder drohte, in den Tiefschlaf zu fallen. Ich rappelte mich auf, zog ihn nach oben. Seua setzte sich auf, legte die Arme um mich.

»Das waren keine fünf Minuten«, sagte er verschlafen. Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und befreite mich aus seinem Griff.

»Ich weiß. Aber jetzt komm‘, wir wollen Ray und P’Star nicht schon am ersten Tag ärgern, oder?«, lachend zog ich ihn aus dem Bett.

»Na gut.«

So begannen Seua und ich unseren neuen Alltag als Drehpartner und auch wenn sich nicht viel geändert hatte, fühlte es sich für mich wie ein Neuanfang an.
 


 

-Ende-
 

18.03.2023 ©HalcyTheWolf


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich kann es selbst kaum glauben, aber ich habe es nach Jahren mal wieder geschafft, eine längere Story fertigzustellen <3 "Wolfsherz" zu schreiben hat mir unglaublich viel Spaß gemacht und ich weiß, dass ich meine Jungs sehr vermissen werde T.T Ich denke, dass ich mein Genre jetzt gefunden habe XD

Ich werde noch einiges im Bereich BL schreiben, also bleibt gerne gespannt ~ Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Von:  MaraSoularia
2023-02-27T18:16:24+00:00 27.02.2023 19:16
Wow ich kann nur sagen, diese Geschichte ist der krasse Wahnsinn😍😍😱 Dein schreibstil . Als ich sie angefangen hatte, wa ich nach ein Kapitel schon so gefesselt so in die Geschichte vertieft dass ich alles um mich rum ausgeblendet vergessen hatte😅😎. Und das passiert mir wirklich sehr sehr selten. Ich habe sie gestern erst angefangen abends und habe sogar bis 22:40 Uhr gelesen, es war so mega spannend. Und habe es kaum erwarten können weiterzulesen heute Morgen, und habe fast die Bahn verpasst zum Aussteigen😂. Der Nervenkitzel die Spannung die Fragen wo hast das so fantastisch cool gemacht meine Hochachtung das ist eine Menge Arbeit gewesen man merkt es, als wäre das Buch von einem Profi geschrieben oder bist ein Profi,
.. Der sein Werk mit uns teilt. Außer die fehlenden Abstände die sind ein bisschen anstrengend,weil man keine Kommentare schreiben kann zu dem jeweiligen Situationen und Weil es so lang ist dadurch. Das wiederum hier würde nicht zu Profi passen,aber kein Mensch ist ja perfekt auch ein Profi.

Du hast sie Charakter an sich richtig gut dargestellt😎 😎👍😍❤️❤️😍😍😍😍man kann sich mega gut in ihre Emotion hineinversetzen, deshalb vergisst man auch so richtig seine Umwelt, das um ein herum herum passiert..die Geräusche alles irgendwie. das ist mir erst dreimal oder fünf mal erst passiert in meinem Leben wo ich Bücher gelesen habe, jetzt im Erwachsenen Alter das heißt schon was😁.

Viel Erfolg bei weiteren coolen tollen kreativen Kreationen, die noch kommen mögen. Dass sie genauso cool und toll und ein die Welt um einen herum vergessen lassen dir gelingen.

Antwort von:  HalcyTheWolf
27.02.2023 20:09
Hey Mara^^
Als ich deinen Kommi gelesen habe, bin ich fast geplatzt vor Freude ❤️ Vielen Dank, dass du dir Zeit fürs Lesen genommen hast und offenbar auch sehr vertieft warst ~ so ein Kompliment habe ich bisher noch nie bekommen und es bedeutet mir wirklich viel 😍

Ich werde mich bemühen mehr Abstände einzubauen..leider ist die Darstellung auf animexx jetzt nicht so toll finde ich..aber ich kann verstehen, dass es dadurch anstrengend ist zu lesen..die Kapitel möchte ich ungern splitten^^"

Ich fühle mich sehr geehrt~ vielen Dank ~ und hoffentlich vergisst du bei der weiteren Lektüre wieder die Welt um dich herum ❤️

Ganz viel Liebe ❤️ von einer sehr glücklichen Autorin ~
Antwort von:  MaraSoularia
27.02.2023 22:13
Hi das freut mich sehr 😍, ja splitten musst du die ja nicht, aber das ein bisschen mehr Abstände zwischen den ist was als nächstes kommt weißt du. Im Kapitel selber.

Meinte Absatz reinbauen wo ist rheinpasst, damit nicht gleich so einen ganzen Batzen zu lesen hat. Ich weiß das ist ich wollte einfach mal nur so erwähnen. Solange es keinen anderen gestört hat und keiner was gesagt hat😊, ist es in der Geschichte kein Abbruch wenn es so bleibt. Caio
Antwort von:  HalcyTheWolf
27.02.2023 22:20
Okay, ich werde versuchen demnächst darauf zu achten^^ nee viel sagen tun die Leute hier ohnehin nicht :D aber klar, es ist bestimmt besser zu lesen, wenn mehr absätze drin sind ~ danke für den Hinweis ❤️
Von:  Luiako
2023-02-19T19:11:10+00:00 19.02.2023 20:11
Ich hatte gar nicht mitbekommen das du ein neues Kapitel online gestellt hattest 🙈😱😫
Nun gut dann mal zum Kapitel bzw Kommi;

Da war ja nun einiges passiert, und ich bin echt gespannt was nun noch kommen mag, wer ist wohl der Geheimnisvolle Fremde der bei Cai im Zimmer auftaucht?🤔🤔 Wie es wohl mit den beiden weitergeht und ob Seua auch die Gefühle von Cai erwidert, das bleibt echt abzuwarten und du machst es echt spannend....

Bis zum nächsten Mal
Liebe Grüße

Lu^,~
Von:  Luiako
2023-02-04T23:13:07+00:00 05.02.2023 00:13
Ähm 😱😱😱🙈 Wie zum Teufel schaffst du es immer mich so zu Fesseln.
Natürlich war ich erfreut wie ein kullerkeks das ich ein meines Kapitel in den Händen halten konnte 😁😁😁🤪 aber warum hälst du nur die Spannung so aufrecht.

Mir hat die Szene mit dem Kuss und dem Eingeständnis von Cai ❤️ mehr als nur gut gefallen. Nur kann ich mich nicht entscheiden was für beide besser wäre.
Ich leide richtig mit und ich hoffe das Cai auch den Mut findet Seua seine Liebe zu gestehen und das es auf Gegenseitigkeit beruht. 😍😍😍😅😅😅
Hoffe ich doch Mal.

Aber Mal ehrlich warum musste das mit dem Einbruch denn nun wieder sein 😱😱 Gott du hälst es aber spannend und ich sterbe hier gefühlt tausend Tote...😅😅🤣🤣🤣😎🤪🙈🙈🙈

Aber wie immer Klasse und ich bin schon gespannt auf mehr und warte dann Mal wieder geduldig 😁😁🤗🤗🤗😏😏😏

Ganz liebe Grüße

Lu^,~
Von:  Luiako
2023-01-31T22:13:21+00:00 31.01.2023 23:13
Oh Schreck oh Schreck 😱😱😱😱
Ich habe gerade gemerkt das ich noch nicht auf dein Kapitel geantwortet habe 😅😪🤦

So das hole ich gleich Mal nach.
Ich bin wie immer gefesselt, und Frage mich wirklich warum Seua so leichtfertig mit dem Drohbrief umgeht. Nun gut, ich bin sicher das er es schon gewohnt ist wie du ja schriebst. Aber Mal ehrlich ich wüsste nicht wie ich damit umgehen würde 🙈🙈🙈

Aber das du dann das Set nach Amerika verlegt hast, finde ich gut und zudem mag ich Cai's Familie total 😍😍😍
Und dann am Ende das Seua Cai seine private Nummer gegeben hat und das auch noch zum Geburtstag 😍😍😍 finde ich richtig toll.

Wie immer kann ich es kaum erwarten das ich das nächste Kapitel in die Finger bekommen kann😅😅😅🙈🙈🙈

Ich warte dann brav und lass dir noch Liebe Grüße da...

Lu😘
Antwort von:  HalcyTheWolf
04.02.2023 14:57
Hey Lu,

wie immer hat mich dein Kommi total gefreut und es ist schön, dass du weiterhin Spaß an meiner Story hast ~
es tut mir leid, dass es diesmal solange gedauert hat, aber dafür habe ich jetzt Kapitel 12 direkt nachgeliefert


Liebe Grüße
Halcy
Antwort von:  Luiako
05.02.2023 00:17
Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen. Es kann passieren und ich schrieb ja schon ich kann geduldig warten 🥰
Von:  Luiako
2023-01-16T16:16:52+00:00 16.01.2023 17:16
Hallöchen ^.^

So ich habe zwar gestern schon dein Kapitel gelesen und mich wie immer gefreut, aber ich habe heute erst die Kraft gehabt dir zu Antworten. Und gleich vorneweg, ich habe mich gefreut das du mich in deiner A/N einbezogen hast ❤❤❤🥰🥰🥰🥰

So nun zu deinem Kapitel;
Ich musste so lachen als Cai davongelaufen war, ja, ich glaube das kann er echt gut und das Seua auch etwas von Cai will, bzw, das die beiden es versuchen, damit hast du mir echt meinen Tag versüßt 🥰🥰🥰🥰🥰😘😍

Und dann der Kuss der beiden beim Set, *hach dahingeschmolzen*
Es war einfach nur genial.
Aber ich frage mich gerade ernsthaft was du geplant hast, denn der Schluss der ist echt interessant und auch spannend, aber mal wieder so ein blöder Cliffhänger 😱😱😱😱😱😱
Jetzt heißt es wieder warten ^^"

Sodele ich hoffe du versüßt mir weiterhin meine Tage, wenn ich deine Kapitel lesen kann. ♥

Anbei, du motivierst mich auch gerade das ich an meinen noch nicht beendeten Fanfictions arbeite. *hehe* Nur da geht es gerade nicht so schnell voran wie ich gern hätte 🙈🙈🙈🙈 manche Geschichten warten teilweise schon über Jahre das sie geschrieben werden wollen 🙈🙈🙈🙊🙊🙊


So aber jetzt, bis zum nächsten Mal

ganz liebe Grüße Lu^,~
Antwort von:  HalcyTheWolf
16.01.2023 22:06
Hey Lu^^

Ja natürlich musstest du in die A/N^^ du bist schließlich der Grund, dass ich so schnell weitergeschrieben habe <3

Ich freue mich, dass es dir gefallen hat..ist ja auch ein sehr wichtiges Kapitel :O und ich muss sagen, ich finde die Beiden auch mega süß^^
Cliffhanger sind leider so eine Angewohnheit von mir~ machts ja auch ein bisschen spannender. Ich hoffe, ich lass dich nicht zu lange warten, ich geb mir Mühe :)

Freut mich, dass ich meine Motivation auch auf Dich übertragen habe ^^ ja manchmal ist es eben nicht so leicht voran zukommen, aber ich denke, wenn man sich dransetzt und Spaß hat geht das schon <3

Liebe Grüße
Halcy <3
Von:  Luiako
2023-01-08T11:13:56+00:00 08.01.2023 12:13
So guten Mittag erst Mal ❤️

Ich habe gleich dein Kapitel verschlungen als ich sah das du endlich wieder ein Kapitel online gestellt hattest. Denn ich warte immer sehnsüchtig auf deine Kapitel, und beim letzen Kapitel hatte ich leider keine Zeit und ich war auch noch mit einer fetten Erkältung im Bett 🤧😷🤕🤒 🤗 Aber das neue habe ich sofort gelesen und es hat mir den morgen versüßt... Das dazu...

So nun zu deinem Kapitel...
Wie konntest du nur an dieser Stelle cuten 😱😱😱😱
Oh Gott du folterst mich damit, das ist dir hoffentlich klar 🙈🤣
Ich liebe die beiden und ich hoffe das Cai es zulässt das Seua in küssen darf. 🙈 Oh mein Gott ich hoffe es sehr...

Aber ich liebe deine Schreibweise und ich bin jedes Mal gefesselt wenn ich ein Kapitel lese.

Aber der Kleinkrieg zwischen Dice und Cai ❤️❤️❤️ ich liebe es. Das ist so spannend und dann noch die Sache mit dem ich finde es für dich heraus 😍😍😍 herrlich. Das hat mir den ein oder anderen Lacher beschert...

So nun warte ich wieder gespannt auf dein nächstes Kapitel

Ganz liebe Grüße Lu ^,~
Antwort von:  HalcyTheWolf
08.01.2023 16:56
Lu guten Abend <3

Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich gefreut habe, über deinen Kommentar.
Zu wissen, dass jemand auf meine Kapitel wartet ist einfach toll, das kenne ich gar nicht <3
Tut mir leid, dass es diesmal solange gedauert hat, ich war auch krank T.T

Am allermeisten freut mich natürlich, dass du die beiden magst^^ Hehe, ich habe das Kapiel extra so aufgebaut, dass es genau dort endet..ich weiß das ist fies...aber ich versuche mit dem nächsten nicht allzu lange zu brauchen <3

Ehrlich gesagt, mochte ich den Kommentar von Seua mit dem "Ich finde es für dich heraus" auch ziemlich cool XD Die Szene war relativ spontan, deswegen bin ich ein bisschen stolz darauf..

Auf jeden Fall vielen lieben Dank für deinen Kommi^^ das macht mich sehr glücklich^^

Liebe Grüße
Halcy
Von:  Luiako
2022-12-11T22:22:01+00:00 11.12.2022 23:22
Guten Abend 😏
Was soll ich machen... Bzw wo soll ich anfangen?
Ich habe deine ff bis jetzt verfolgt und muss sagen, du hast mich sofort gefesselt und ich finde es schade das bisher keiner deine Geschichte kommentiert hat.
Also ich find Cai und Seua einfach nur toll und man merkt wie beide wunderbar und perfekt Harmonisieren und sich ergänzen.
An einigen Stellen musste ich sehr schmunzeln und beim letzten Kapitel dachte ich bei der letzten Szene die du beschreibst oder in dem Fall beschrieben, dass es es schon zu spät ist und Cai sich in Seua verliebt, anders kann es nicht sein!?

Natürlich kannst du mich auch sehr überraschen und mich eines besseren belehren. Doch ich bin mir sicher. Wie sollte es anders sein.
Aber auch bei Seua sehe ich da eine Tendenz dazu. Zwar schreibst du das er sich schwer verliebt und auch eine andere Seite haben kann, aber ich bin gespannt was du für ihn vorbereitet hast.
Zudem kann ich es kaum erwarten das ich das nächste Kapitel lesen kann.

Sicherlich lasse ich dir Zeit der Welt und ach noch was, dein Schreibstil gefällt mir sehr gut. Das wollte ich zu Beginn schon loswerden aber hab das voll verpeilt 🙈😱

Daher ich warte gern auf mehr ...

Lass noch liebe Grüße da *trollt sich ins Bett* *müde gähnt*

Luu 🤗😉
Antwort von:  HalcyTheWolf
11.12.2022 23:27
Hey Luu,

ich habe gerade deinen Kommi gelesen und was soll ich sagen, ich bin extrem happy <3 Ich finde es toll, dass du Cai und Seua magst und findest, dass sie gut zusammenpassen ~ über das was da noch so kommt..werde ich mich nicht äußern XD aber ich habe auf jeden Fall noch einiges geplant, lass dich überraschen^^

Ich habe zwar schon öfter auf irgendwelchen Seiten Stories hochgeladen, aber noch nie hat jemand gesagt, dass mein Stil gut ist..das freut mich total :) Ich habe dank dir wieder volle Motivation getankt, das nächste Kapitel rauszuhauen ~ das ist eigentlich auch schon mehr oder weniger fertig^^

Liebe Grüße
Halcy


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