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Wolfsherz

In den Augen des Tigers
von

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Der Wolf und das böse Erwachen

In der nächsten Sekunde konnte auch ich mich aus meiner Starre lösen und rannte hinterher. Ich konnte auf keinen Fall tatenlos zusehen, wie Seua einem Verrückten in die Arme lief. Der letzte Aufzug war bis in die Tiefgarage gefahren, also machte auch ich mich auf den Weg dorthin. Ich sah den Zahlen zu, wie sie sich veränderten. 15…14…13…Tief im Inneren hoffte ich, dass diese Person einfach abgehauen war. 3…2…1…P. Es hatte sich nie länger angefühlt mit dem Aufzug zu fahren.
 

Was ich in der Tiefgarage vorfand, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Seua stand einer vermummten Person gegenüber, die ein Messer auf ihn richtete. Es war das erste Mal, dass ich sowas mit eigenen Augen sah. Die Person ging auf ihn zu, er wich zurück. Wie gelähmt stand ich da, musste dieses makabre Schauspiel mitansehen. Immer wieder wurde Seua von ihm in die Ecke gedrängt. Ich versuchte leise einige Schritte auf sie zuzugehen, musste irgendwie helfen. Seua schien mich bemerkt zu haben, die Person nicht. Was wurde hier gespielt? Mit erhobenen Händen stand Seua an der Wand, links von ihm stand ein Auto, rechts wäre noch Platz, um zu entkommen. Die Angst in mir ließ mich genügend Adrenalin aufbringen, mich weiter zu nähern. Immer wieder viel mein Blick auf das Messer, was in der Hand der Person gefährlich über Seua schwebte. Innerlich flehte ich ihn an, dass er nichts sagen würde. Ich spürte meinen Puls, merkte, wie meine Hände schwitzig wurden. Ich ließ meine Hand in meine Jackentasche gleiten, doch als ich mein Handy rausholen wollte, um die Polizei anzurufen, fiel es auf den Boden. Warum musste das ausgerechnet jetzt passieren? Die Person wandte sich zu mir, sah mir in die Augen. Ihr hasserfüllter Blick wandelte sich in einen freundlichen.

»Cai! Schön, dass du da bist«, säuselte er in gebrochenem Englisch.

Was zum? Er bedrohte Seua mit einem Messer und wenn er mich sieht, ist er glücklich? Ich verstand es nicht. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, beugte ich mich langsam herunter, um das Handy aufzuheben.

»Was hast du damit vor?«, ich konnte hören, wie er grinste. Schnell ließ ich es wieder in meiner Tasche verschwinden. Verdammt.

»Nichts. Willst du das Messer nicht weglegen? Wir können das sicher anders klären«, fragte ich und versuchte so ruhig wie möglich zu klingen. Doch stattdessen ging er weiter auf Seua zu, der völlig verängstigt an der Wand stand.

»Nein. Nicht so lange Seua lebt und dich nicht in Ruhe lässt, Cai.«

»Mich in Ruhe lässt?«, verwirrt legte ich die Stirn in Falten. Was wollte er? Dass er einen Narren an mir gefressen hat, war mir klar, aber was war sein Problem mit Seua? Er ging noch einen Schritt auf ihn zu. In mir schrillten alle Alarmglocken. Ich befürchtete, dass es kein gutes Ende nehmen würde, wenn ich nichts tat.

»Ja, ich kann es einfach nicht leiden, wie Seua an dir klebt, Cai. Seine Zeit mit dir ist um. Ich werde ihn umbringen, um dich für mich allein zu haben.«

In meinem Kopf überschlug sich alles. Hatte er wirklich umbringen gesagt? Offenbar hatte diese Person eine komische Obsession mit mir entwickelt, was ich sehr befremdlich fand. Wir hatten einen Psycho vor uns, der bei einem falschen Wort ausrasten würde. Fuck. Cai, du musst vorsichtig sein. Ich streckte schützend die Hände vor dem Körper aus.

»Kann ich irgendetwas tun, um dich davon abzubringen?«, versuchte ich zu verhandeln. Ich spürte, dass es eine verdammte Gratwanderung sein würde. Seua versuchte sich von seiner Position wegzubewegen, doch der Typ machte noch einen Schritt auf ihn zu: »Du rührst dich nicht vom Fleck, haben wir uns verstanden?«

Er wandte sich wieder an mich: »Ihr habt die Drohung doch bekommen. War das nicht deutlich genug? Hätte er direkt reagiert, hätte ich noch mit mir verhandeln lassen. Aber Seua hat sich nicht daran gehalten und ich bin niemand der leere Drohungen ausspricht.«

Sein ruhiger Tonfall ließ mich schaudern. Er handelte das ab, als würde er sich normal mit mir unterhalten. Noch nie hatte ich mich so hilflos gefühlt. Ich hatte weder die Worte, ihn zu überzeugen, noch die Kraft gegen ihn zu kämpfen. Trotzdem wagte ich es, noch weiter auf ihn zuzugehen. Jedes Wort musste gut überlegt sein.

»Du magst mich, oder?«

»Ja, und?«

»Glaubst du, ich wäre glücklich, wenn Seua tot ist?«, es fiel mir schwer, diese Worte überhaupt auszusprechen. Ich hoffte, dass ihn mein flehender Ton überzeugen konnte. Sein triumphierender Blick sagte allerdings das Gegenteil. Mir lief langsam die Zeit davon.

»Glücklich nicht, aber frei. Wenn du erst mal bei mir bist, wirst du Seua ganz schnell vergessen. Das verkraftest du, Cai.«

Würde ich nicht. Wie verdreht im Kopf musste man sein, um so einen Schwachsinn zu erzählen? Mir stiegen die Tränen in die Augen. Irgendetwas musste ich doch tun können.

»Was soll ich tun? Sag’s mir! Ich mache alles, aber du darfst Seua nichts tun!«, flehte ich. Der Hall der Tiefgarage ließ meine Stimme noch lauter klingen. Ich krallte meine Hände in die Jacke. Bitte. Sag doch was. Irgendwas.

»Siehst du? Das ist das Problem, Cai. Ihr würdet euch einen Plan ausdenken, mich in die Falle locken und dann euer Happy End haben. Aber nicht mit mir. Du magst Seua zu sehr, daher muss er sterben. Und ich werde derjenige sein, der dich rettet.«
 

In der nächsten Sekunde holte er aus, wie in Zeitlupe sah ich, wie sich die Klinge auf Seua zu bewegte. Bevor die Klinge Seua verletzen konnte, trat ich vor ihn.
 

Es war nur ein kurzer Moment, ein Blinzeln.
 

Ein Stich in meinen Bauch.
 

Ein schockierter Blick des Vermummten.
 

Schritte. Stille.
 

Ungläubig sah ich das Messer an, spürte, wie meine Beine unter mir nachgaben. Ich fiel gegen Seua, wir ließen uns zu Boden gleiten.

»Cai!«, hörte ich ihn rufen. Mit letzter Kraft holte ich das Handy aus der Tasche und gab es ihm. Undeutlich nahm ich wahr, wie er mit jemandem auf Thai sprach. Wie in Trance sah ich zu, wie das Blut unter meiner Jacke herlief. Ich traute mich nicht, die Wunde oder das Messer anzufassen. Würde ich wirklich so sterben? In einer Tiefgarage in Seuas Armen? Er legte mich auf dem Boden ab, hielt meine Hand. Ich konnte sein Gesicht nur undeutlich erkennen.

»Sie sind unterwegs und werden dir helfen, okay?«, seine Tränen tropften auf meine Hand.

»Denk‘ an unser Versprechen! Du schaffst das, Cai«, sagte er immer und immer wieder. Wie ein Gebet. Es war schade, dass ich nicht mehr erleben würde, wie »Wolfsherz« seine Premiere feiern und ich endlich ein richtiger Star werden würde. Aber eine Sache konnte ich nicht ungesagt lassen.

»P‘, ich muss dir noch etwas sagen, bevor es zu spät ist«, bei jedem Wort spürte ich den Schmerz, der mich lähmte. Langsam fing mein Bewusstsein an, in unbekannte Sphären abzudriften. Das musste ich noch schaffen. Ich versuchte ruhig zu atmen, um noch ein bisschen wach zu bleiben.

»Ja, sprich‘ mit mir, Cai. Du musst wach bleiben!«, flehte er. Einen kurzen Augenblick schaffte ich es, die Lethargie zu überwinden, klar zu sein in meinem Gedanken und mit meinem Blick. Mein Lächeln muss ziemlich gequält ausgesehen haben:

»Ich liebe dich, P’Seua.«

Als hätte ich die Kraft nur noch dafür gehabt, verlor ich kurz darauf den Kampf gegen die Dunkelheit.
 

Grelles Licht schlug mir entgegen, mein Kopf fühlte sich an, als hätte jemand Steine reingelegt und mein Blick war verschwommen. Ich wollte meine Augen mit der linken Hand vor dem Licht abschirmen, da sah ich den Zugang, den sie mir gelegt hatten. Das war ohne Zweifel ein Krankenhaus. Mein Blick klärte sich, doch als ich mich umsah, war niemand da. Die Erinnerung an den Angriff strömte auf mich ein, die Sekunden in denen es geschehen war, hatte ich lebendig vor Augen. Was war mit Seua? Ich sah vorsichtig an mir herunter, doch es steckte kein Messer mehr in meinem Bauch. Ich hatte überlebt. Eine Krankenschwester betrat den Raum, sie hatte ihre Haare hochgesteckt und ich schätzte sie auf das Alter meiner Eltern. Erstaunt sah sie mich an: »Ein Glück, du bist wach, Khun Cai. Ich bin Hope, deine persönliche Krankenschwester. Wie geht es dir?«

Ihr Englisch war ziemlich gut, was mich hier aber inzwischen nicht mehr überraschte.

»Keine Ahnung, P’Hope. Irgendwas zwischen ich lebe und ich spüre überhaupt nichts«, gab ich zu Protokoll.

Liebevoll strich sie mir über den Arm: »Wir bekommen das hin, Khun Cai. Ich werde dich jetzt in ein normales Zimmer verlegen, dann klären wir den Rest.«

Ich nahm es hin, viel wehren konnte ich mich in diesem Zustand ohnehin nicht. Doch bevor sie das Bett verschieben konnte, fragte ich:

»Weißt du, wo P’Seua ist?«

Für einen Moment schien sie nachzudenken, doch dann schüttelte sie den Kopf: »Das ist dein Drehpartner, oder? Ich kann es dir nicht sagen, weil ich nicht dabei war, als du herkamst.«

Sie schob mich auf ein normales Zimmer, was recht groß und luxuriös war, in Amerika hätte man für so ein Zimmer sein Haus verkaufen müssen.

»Ist meine Verletzung sehr schlimm?«, besorgt sah ich sie an. P’Hope stand neben meinem Bett, goss ein Glas Wasser ein.

»Du hattest sehr viel Glück. Es wurden keine lebenswichtigen Organe getroffen, aber Schnittwunden darf man trotzdem nicht unterschätzen. Du hast sehr viel Blut verloren, bist daher noch etwas schwach. Wir haben dich auf Schmerzmittel gesetzt, deswegen fühlt sich alles ein bisschen taub an. Aber ich denke, wenn du dich schonst, wirst du dich vollständig erholen.«

Es erleichterte mich unheimlich, das zu hören. Schlimm genug im Krankenhaus zu sein, aber zumindest gab es eine Aussicht auf Erholung.

»Danke.«

»Falls irgendetwas sein sollte, kannst du mich jederzeit rufen. Egal wann.«

Hope verließ den Raum und ich wollte mich aufsetzen, doch der Verband hinderte mich daran. Es fühlte sich an, als hätten sie mir einen Stahlträger auf den Bauch gelegt. Neben meiner Verletzung gab es jedoch noch etwas, was mich verrückt machte. Wo war Seua? Die ersten, die kamen, waren jedoch Ray und P’Star. Ich sah einen erleichterten Ausdruck in ihren Gesichtern.

Ray kam auf mich zu: »Endlich bist du wach, Cai. Die letzten zwei Tage waren wie die Hölle für uns. Wie geht’s dir?«

Das würde ich vermutlich noch öfter hören. Moment mal.

»Frag‘ nicht. Zwei Tage?«

»Ja, du warst im Koma. Es war eine Sicherheitsmaßnahme der Ärzte.«

Ich war schockiert darüber, dass ich zwei Tage nichts mitbekommen habe. Bevor ich mich weiter darüber wundern konnte, umarmte Ray mich.

»Willst du mir keine Standpauke halten? Dass ich ein dämlicher Idiot bin, der es immer wieder schafft, in solche Situationen zu geraten?«, fragte ich. Ray ließ von mir ab, schüttelte den Kopf. Es war das erste Mal, dass ich ihn mit Tränen in den Augen sah.

»Nein, das ist alles unwichtig. Du lebst und bist ansprechbar, mehr brauchen wir nicht.«

»Verstehe. Wo ist Seua?«

Wenn es jemand wissen musste, dann sie. Ich wünschte mir, er wäre hier. Doch ich sah noch etwas anderes als Erleichterung in ihren Gesichtern. Sie warfen sich vielsagende Blicke zu, nickten, dann trat P’Star vor.

»Seua steht ein wenig unter Schock, aber sonst geht es ihm gut.«

Ich sah ihn eindringlich an: »Das war nicht meine Frage. Wo ist er?«

Wieso konnten sie mir das nicht einfach sagen? Ich spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. P’Star brauchte eine Weile, atmete noch einmal tief aus, dann sagte er: »Du musst versprechen, dass du bist zum Ende zuhörst, Cai.

Mein Herz schlug schneller und ich musste schlucken. Was kam jetzt?

»Okay.«

»Wir kooperieren aktuell mit der Polizei, um den Angriff vollständig aufzuklären. Sie werden dich später auch noch befragen. Leider kamen sie nicht rechtzeitig und der Täter ist weiterhin auf der Flucht. Der Sender hat in den letzten zwei Tagen weitere Drohungen bekommen, dass diese Person, Seua umbringen wird, wenn er in deiner Nähe ist. Daher müssen wir euch trennen, solange bis die Person gefasst wurde. Seua ist an einem sicheren Ort, den ich dir nicht verraten kann«, seine Stimme brach und er wandte sich ab. Meine Wut gab mir plötzlich die Kraft, mich ein bisschen aufzusetzen.

»Das ist nicht euer Ernst!«, hallte meine Stimme durch das Zimmer.

»Es ist uns auch nicht leichtgefallen, Cai. Aber wir haben keine Wahl. Du hast doch selbst am eigenen Leib erfahren, wozu dieser Typ fähig ist«, mischte sich Ray ein. Wütend funkelte ich ihn an: »Und ihr glaubt, ihr könnt mich daran hindern, ihn zu finden?«

Ray schloss für einen kurzen Moment die Augen: »Können, werden und müssen wir. Es tut mir leid.«

Wie gerne wäre ich aufgestanden und einfach losgerannt, aber meine Beine ließen mich nicht. Die beiden standen vor mir wie begossene Pudel, doch ich weigerte mich, ihren Unsinn zu glauben.

»Wo ist er?«, fragte ich erneut, doch sie blieben mir eine Antwort schuldig. Ich wollte mir den Zugang aus der Hand reißen, doch Ray hielt mich davon ab.

»Es bringt nichts, abzuhauen, Cai. Ruh‘ dich bitte aus.«

»Wieso? Habt ihr mir etwa Security vor die Tür gestellt, oder was?«, sie ließen die Köpfe sinken. Also hatten sie es. Ich biss die Zähne zusammen: »Verschwindet!«

Ich wartete noch, bis sie den Raum verlassen hatten, dann ließ ich mich zurück ins Kissen sinken, die Tränen ließ ich einfach laufen. Sowas dämliches habe ich noch nie gehört! Anstatt ihn zu beschützen, verstecken sie ihn vor mir? Wieso? Meine Tränen verwandelten sich in ein hemmungsloses Schluchzen. Warum kann er nicht hier sein? Wie geht es ihm? Ich drückte mein Gesicht ins Kissen. Nicht nur hatten sie uns getrennt, sie hatten jemand hilfloses wie mich auch noch eingesperrt. Wahrscheinlich hatte Ray, dieser miese Verräter, das alles organisiert! Wären wir einfach nicht zur Wohnung gegangen. Über die Zeit in Amerika hatte ich es vergessen können, doch die Realität hatte uns ganz schnell wieder eingeholt. Zum ersten Mal sah ich richtig an mir herunter: die Hand mit dem Zugang, die hellblaue Krankenhauskleidung. Mein Gesicht wollte ich erst gar nicht sehen. Es war alles so unglaublich frustrierend. Ich wollte ganz weit wegrennen, doch ich konnte mich nicht bewegen.
 

Ray und P‘Star kamen jedoch wieder, diesmal mit einem Polizisten und einer Polizistin im Schlepptau, sodass ich versuchte, mich für den Moment einigermaßen zu beruhigen. Es war wichtig, dass sie alles so genau wie möglich aufnahmen. Je schneller der Penner hinter Gittern war, desto besser. P’Star musste für sie und für mich übersetzen: »Erzähl bitte, wie alles abgelaufen ist.«

Ich holte ein bisschen weiter aus, fing bei dem Drohbrief an, der sich noch im Hotelzimmer befand. Soweit ich mich erinnern konnte, versuchte ich kein Detail, von unserem Gespräch, der komischen Obsession und dem Angriff, auszulassen. Eifrig nahmen sie alles auf.

»In der Tiefgarage gibt es eine Videokamera, wir werden das Material in den kommenden Tagen auswerten. Falls es weitere Erkenntnisse gibt, werden wir Sie selbstverständlich in Kenntnis setzen«, übersetzte er. Die Polizisten gingen, P’Star sagte: »Ich habe deine Familie angerufen, wir wollten nicht, dass sie es aus den Nachrichten erfahren. Um die Medien haben wir uns auch gekümmert. Der Sender hat ein Statement rausgebracht, dass es euch so weit gut geht und wir alle auf dem Laufenden halten werden. Es wird dich also niemand stören.«
 

Ich drehte meinen Kopf zum Fenster. Gerade war niemand da. Langsam wurde es dunkel. Irgendwo da draußen musste er sein und wenn sie dachten, dass ihre dämlichen Maßnahmen mich von irgendetwas abhalten würden, hatten sie sich gewaltig geschnitten. Cai gibt es nicht mehr ohne Seua. Ich fühlte mich leer. Über die Monate war Seua immer da gewesen, auch wenn es mir schlecht ging, doch jetzt war da niemand, der mich in den Arm nahm und mir sagte, dass alles gut werden würde. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich richtig, was es hieß, jemanden zu vermissen. Dieser Psycho hatte sein Ziel erreicht, ich war allein. Aber er hatte mich nicht gerettet, er hatte mich ins Unglück gestürzt. Immer wieder versuchte ich aufzustehen, doch es klappte nicht. Ich war mir selbst ausgeliefert und musste mein Schicksal akzeptieren. Es klopfte.

»Ja?«

»Khun Cai, ich bins Hope.«

Sie kam auf mein Bett zu, doch erst als sie vor mir stand, konnte ich sehen, was sie in der Hand hielt. Eine kleine Lampe.

»P’Star lässt von Seua lässt ausrichten, dass du ohne ein kleines Licht nicht schlafen kannst und weil wir hier nur das große Licht haben, habe ich dir diese Lampe mitgebracht«, sie stellte die Lampe auf meinem Nachttisch ab und schaltete sie ein.

»Danke.«

»Ich hoffe, du kannst ein wenig schlafen, Khun Cai. Das ist sehr wichtig für deine Genesung«, sagte sie noch, bevor sie das Zimmer verließ. Aber auch, wenn ich diese Lampe ansah, konnte ich kaum schlafen. Es war schlimm genug nicht zu wissen, wo er steckte, doch zu allem Überfluss, sah ich jedes Mal ein vermummtes Gesicht mit einem Messer vor mir, wenn ich versuchte, die Augen zu schließen. Statt zu schlafen, starrte ich nur dieses Licht an, als könnte es mir antworten. Mitch hatte gesagt, dass ich durch Wände gehen konnte, also wurde es wohl Zeit für einen Fluchtplan. Solange ich weder aufstehen noch schlafen konnte, waren meine Gedanken das Einzige, was ich ohne Anstrengung bewegen konnte. Ich sollte als erstes versuchen, an mein Handy zu kommen, was verschwunden war. Und dann..ich konnte den Gedanken nicht beenden, da durchfuhr mich ein stechender Schmerz im Bauch. Ich krümmte mich, konnte kaum atmen. Hektisch tastete ich nach dem Notknopf. Ich spürte, wie sich der Schweiß auf meiner Stirn bildete. Hope kam herein, schaltete das Licht ein. Ich sah sie an, konnte aber nicht sprechen. Wie gelähmt, mit rasendem Herzen, sah ich zu, wie sie um mein Bett herumging, etwas einstellte und mir eine Spritze gab. Endlos lange Sekunden zogen vorbei, bis ich endlich merkte, dass der Schmerz nachließ.

»Geht es dir besser?«

»Ja, es geht. Was war das?«, ich verstand nicht, was mich plötzlich überfallen hatte. Ihr freundlicher Blick ließ mich zur Ruhe kommen.

»Deine Schmerzmittel waren zu niedrig dosiert und dann bist du in Panik geraten. Jetzt sollte es besser sein. Kann ich noch etwas für dich tun, Khun Cai?«

Ich versuchte wieder ruhiger zu atmen, wischte mir den Schweiß von der Stirn: »Ich weiß nicht, ob du das darfst, aber kannst du mich in den Arm nehmen?«

Dieser Tag hatte mehr von mir abverlangt, als ich aushielt. Sie setzte sich auf den Rand des Bettes, beugte sich zu mir und nahm mich in den Arm. Ganz vorsichtig, als wäre ich zerbrechlich. Dankend erwiderte ich die Umarmung, ihre Wärme ließ mich wieder hoffen, dass nicht alles verloren war. Sie ließ mir Zeit, wusste wie sehr ich das brauchte. In diesem hilflosen Moment war das meine Rettung. Es war, als würde mich meine Mutter umarmen. P’Hope strich mir über den Rücken: »Khun Cai, es ist am wichtigsten, dass du dich erholst. Ich werde dich dabei unterstützen so gut ich kann. Du brauchst keine Angst haben, wir schaffen das«, flüsterte sie und es berührte mich. Wie konnte man nur so ein guter Mensch sein?

»Ich versuche es. Danke, P’Hope.«

Nach dieser Umarmung konnte ich sogar ein bisschen schlafen.
 

Ab dem nächsten Tag wurde ich darüber informiert, wer zu mir ins Zimmer kommen wollte. Es war keine V.I.P Behandlung, die ich hier ohnehin bekam, sondern eine Schutzmaßnahme, damit ich selbst entscheiden konnte, wen ich aktuell ertragen konnte und wen nicht. Ray stand vor mir, als sie mein Mittagessen abräumten. Ich hatte nur ein paar Stunden geschlafen und das auch nicht besonders gut, dementsprechend ging es mir. Noch war ich auf den Rollstuhl angewiesen, es würde noch dauern, bis ich aufstehen konnte. Ray war nur hier, weil er mir etwas geben wollte. Er steckte die Hand in die Innentasche seines Jacketts, holte etwas heraus und hielt es mir hin. Mein Handy!

»Hier. Damit du weißt, dass wir das nicht machen, weil wir herzlose Monster sind, sondern weil ihr in Gefahr seid.«

Wortlos nahm ich es entgegen. Er konnte sich ruhig einbilden, dass es damit getan war, das war es aber nicht.

»Ich fahre dann zum Sender, damit wir weiter an dem Fall arbeiten können.«

»Mhm.«

Ich wollte nicht mit ihm reden. Mit Dice, Pravat, Moon und Sun eigentlich auch nicht, sie sollten mich nicht in diesem Zustand sehen, aber sie machten sich Sorgen, also ließ ich es zu. Moon trat vor mich, die anderen versammelten sich um das Bett. Das Obst und die Blumen hatten sie vorher auf einem Tisch abgestellt.

»Cai, P’Star hat uns erzählt, was passiert ist. Ihr müsst richtig Angst gehabt haben. Wie geht es dir?«

»Nicht gut, aber ich lebe«, wenn auch mit Kopfschmerzen und anderen Nebenwirkungen.

»Es tut mir wirklich leid, was euch passiert ist«, in ihren Augen sah ich die ehrliche Anteilnahme.

»Braucht es nicht.« Ich sah in die Runde: »Wisst ihr wo Seua ist?«

Ich rechnete mir geringe Chancen aus, denn Ray und P’Star wussten sicher, wo ich meine Infos herbekommen würde. Alle vier schüttelten den Kopf, Pravat antwortete für sie: »Wir haben P’Star mehrmals gefragt, aber er wollte es uns nicht sagen. Sie halten ihn komplett vor der Öffentlichkeit unter Verschluss. Warum habt ihr niemanden von dem Drohbrief erzählt?«

Ich wollte ich meinen Freunden die Wahrheit sagen. Für alles andere war es ohnehin zu spät.

»Seua hat mich gezwungen, es geheim zu halten. Er wollte kein Aufhebens darum machen, weil er das für einen harmlosen Scherz hielt«, erklärte ich. P’Star wusste es vermutlich ohnehin schon längst, sonst hätte auch er danach gefragt.

»Das klingt nach ihm. Ich hoffe einfach, dass sie den Typen schnell dingfest machen.«

Plötzlich standen Pravat, Moon und Sun auf, wollten rausgehen, um sich was zu trinken zu kaufen. Sie ließen mich mit Dice allein und es war ziemlich offensichtlich, dass das Absicht war. Er setzte sich seufzend ans Fußende. Egal was er sagen würde, ich hatte nicht die Kraft zu streiten.

»Cai«, er ließ den Kopf sinken. »Es tut mir leid, ich war wirklich ätzend zu dir.«

Bei diesen Worten horchte ich auf. Eine Entschuldigung? Von ihm? Gut, vielleicht sollten wir das als Chance nutzen.

»Naja, sagen wir einfach, wir sind quitt, okay? Ich war auch nicht gerade nett zu dir«, gab ich zurück. Dice sah mich an, doch zum ersten Mal richtig und ohne Hass.

»Ist das okay? Ich meine..«, doch ich winkte ab.

»Ja, dann können wir endlich als komplettes Team »Wolfsherz« zu Ende drehen«, immerhin einen meiner Wünsche würde man mir in diesem Leben noch erfüllen.

»Gut. Ich habe dich auch nie gehasst, Cai. Ich war einfach eifersüchtig. Aber ich habe beschlossen, Seua aufzugeben.«

Es überraschte mich. Was trieb ihn dazu, plötzlich geläutert vor mir zu stehen? Nachdem er sonst so aggressiv und kämpferisch war.

»Warum?«

»Weil es erstens total kindisch ist, zweitens dir nur in die Karten gespielt hat und drittens, weil ich das, was du für ihn getan hast, nicht toppen kann.«

»Und zwar?«

Er deutete auf meine Verletzung: »Na das. Ich wäre zu feige gewesen, für Seua in die Klinge zu springen.«

Auch wenn ich mich nicht wie ein Held deswegen fühlte, wenn er das sagte, hörte es sich fast so an.

»Aber so heldenhaft wie es vielleicht scheint, war es gar nicht, sondern eher ziemlich dumm«, klar, ich hatte verhindert, dass Seua verletzt wird, aber es hätte bestimmt andere Möglichkeiten gegeben.

Dice reichte mir die Hand: »Vielleicht war es das, aber du wolltest ihm das Leben retten und das ist alles andere als dumm. Freunde?«

Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich ihn richtig lächeln sah. Ich nahm seine Hand entgegen: »Freunde.«

Es fühlte sich an, als hätten wir ein schwieriges Kapitel hinter uns gebracht und die Zahnräder würden sich wieder richtig drehen, sobald Seua wieder da war. Dice tippte etwas in sein Handy und die anderen kamen zurück. Sie setzten sich um mein Bett, damit wir Karten spielen konnten. Ich war froh darüber, weil es mich ein bisschen ablenkte, da ich alleine im Krankenhaus sonst ständig von meinen eigenen Gedanken heimgesucht wurde.

»Was ist mit den Dreharbeiten?«, fragte ich in die Runde, als Dice gerade die Karten verteilte.

»Wir werden die Szenen mit uns, unter erhöhten Sicherheitsmaßnahmen, weiterdrehen. P’Star hat gesagt, dass wir zwar das ursprünglich geplante Release-Datum nicht schaffen werden, aber so können wir noch einiges an Zeit rausholen.«

Wenigstens das konnten sie weitermachen. Wie gerne wäre ich dabei. Wir spielten eine Weile und sie versprachen mir, regelmäßig vorbeizukommen. Ich stellte ihnen noch P’Hope vor. Bei ihr hatte ich schon gemerkt, dass sie nichts mit dem Showbiz zu tun hatte, denn während andere Patienten und Krankenschwestern uns für hohen Besuch hielten, war es für sie normal. Trotzdem freute sie sich, die Anderen kennenzulernen. Aber auch wenn wir scheinbar Spaß hatten, auch wenn es mich ablenkte, ohne ihn war es einfach nicht das Gleiche. Die Anderen strengten sich an, für mich zu Lächeln, doch auch ihnen war die Trauer ins Gesicht geschrieben. Es war alles Fake, damit wir nicht darunter zusammenbrachen.
 

Am Abend in meiner Einsamkeit, kehrte das Bewusstsein über meine miserable Lage in vollem Ausmaß zurück. Denn meine größten Feinde waren wieder da: Dunkelheit und Stille. Ich griff nach dem Handy, war froh, dass ich wieder Kontakt zur Außenwelt hatte. Eine neue Nachricht. Von mir selbst? Ich ging in den Chat und sah eine Sprachnachricht. Neugierig rief ich sie auf:

»Cai, ich bins, Seua«

Es war schön, seine Stimme zu hören, auch wenn er ziemlich fertig klang.

»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich hoffe du siehst die Nachricht. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schuldig ich mich fühle. Wäre ich nicht diesem dämlichen Psycho hinterhergerannt, sondern hätte direkt die Polizei gerufen, hättest du nicht verletzt werden müssen. Gerade fällt es mir schwer, mir selbst zu verzeihen, dich in diese missliche Lage gebracht zu haben.«

Ich pausierte die Nachricht, um mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen: »Das ist doch nicht deine Schuld, P‘.«

»An diesem Tag hatte ich Angst, du würdest einfach in meinen Händen sterben, Cai. Die Retter kamen und es wurde hektisch. Das Einzige, was ich sah, war, dass du bewusstlos warst und voller Blut. Ich konnte nichts tun, außer zuzusehen, wie sie dich abtransportierten«, zwischendurch machte er Pausen, weil er wegen des Schluchzens kaum sprechen konnte.

»P’Star hat mich irgendwo hinbringen lassen, wo mich niemand finden kann und erst Tage später habe ich erfahren, dass du wach bist. Ich hoffe, es geht dir den Umständen entsprechend gut. Da das dein Handy ist, werden sie es dir wiedergeben, daher habe ich diese Nachricht gemacht. Ich befürchte, dass ich hier kein Internet habe, aber du erinnerst dich bestimmt an die Nummer, die ich dir gegeben habe. Von dem Handy wissen sie nichts, das habe ich immer dabei. Ich will dir noch so viel sagen, Cai, aber erst einmal hoffe ich, dass du mir verzeihen kannst..«, die Nachricht brach ab.

Auch ich konnte mein Schluchzen nicht mehr unterdrücken.

»P‘, ich war doch keine Sekunde sauer auf dich«, sagte ich in die Dunkelheit hinein. Er musste sich noch schrecklicher fühlen als ich, überwältigt von Schuldgefühlen, abgeschnitten von allen. Seua konnte immer noch diesem Typen in die Arme laufen, aber trotzdem war es zu extrem. Seine private Nummer kannte ich mittlerweile auswendig, so oft hatte ich mir diesen Zettel angesehen. Außerdem war sie in meinem Kopf am sichersten aufgehoben. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und wählte die Nummer mit zitternden Händen. Das lange Tuten am anderen Ende der Leitung synchronisierte sich mit meinem Herzschlag.

»Cai?«, seine Stimme war kraftlos, es hörte sich an, als müsste er sich zum Sprechen anstrengen.

»P‘! Wo bist du?«

»Ich weiß es nicht. Wie geht’s dir?«

»Es geht schon, irgendwie. Ich möchte nicht, dass du dir die Schuld gibst, okay? Du kannst nichts dafür und ich brauche dir nicht zu verzeihen, weil ich nie wütend war«, erklärte ich nachdrücklich.

»Aber…wenn..«

»Kein Aber! Niemand außer diesem Spinner trägt die Schuld«, normalerweise konnte ich nicht standhaft sein mit Seua, aber diesmal ging es nicht anders. Auch wenn er entmutigt klang, seine Stimme war das, was ich brauchte. Sie gab mir meine Hoffnung zurück.

Doch auch meine Standhaftigkeit, erlöste ihn nicht von seinen Zweifeln: »Ja, aber wenn ich die Drohung ernst genommen hätte, auf dich gehört hätte..«

Ich konnte mir vorstellen, wie er dort saß und sich die ganze Zeit wie ein Häufchen Elend Vorwürfe machte. Das durfte auf keinen Fall so bleiben.

»Das spielt alles keine Rolle mehr, P’Seua. Wir können es nicht ändern, daher bringt es nichts, sich Vorwürfe zu machen. Ich..ich vermisse dich.«

Dein Lächeln, deine Wärme, dein Herzklopfen, deinen Geruch. Alles.

»Ich vermisse dich auch, Cai. In diesem Moment sollte ich derjenige sein, der an deinem Krankenbett sitzt und deine Hand hält. Aber sie sperren mich hier ein und ich werde noch verrückt ohne dich«, ich hörte, dass er schon wieder kurz davor war, zu weinen. Ich versuchte mich nicht zu sehr von den Gefühlen überwältigen zu lassen. Das Sprechen fiel mir schwer, aber wir mussten jede Sekunde nutzen, die wir hatten. Außerdem musste ich noch etwas wissen.

»Du hast gehört, was ich gesagt habe, bevor ich ohnmächtig wurde, oder?«, fragte ich vorsichtig. Die Tränen störten mich nicht mehr, ich hatte mich mit ihnen abgefunden.

»Habe ich, Cai. Ich werde dir auch antworten, aber das möchte ich persönlich machen. War schon hollywoodreif, diese Szene«, er lachte leise.

»Naja, dramatisch ist mein zweiter Vorname, P‘. Ich kann das sogar, ohne zu schauspielern. Aber eigentlich sollte das gar nicht dramatisch werden. Ich hatte Angst, dass ich sonst keine Gelegenheit haben würde, es dir zu sagen.«

Ich hörte ihn schlucken: »Seit wann weißt du es? Kannst du mir das sagen?«

»Ich weiß‘ nicht, aber vermutlich seit unserem Date«, sagte ich leise.

»Okay.«

Eine Weile schwiegen wir uns an.

»Was sollen wir tun? Ich würde gerne abhauen, aber dazu bin ich körperlich nicht in der Lage und sie haben mir Security vor die Tür gestellt.«

Seua seufzte: »Brauchst du auch nicht, du ruhst dich nur aus, Cai. Sie kennen deinen Hang zur Flucht und das werden wir uns zu Nutze machen. Ich werde nicht zulassen, dass du dich in deinem Zustand irgendwohin schleppst. Diesmal werde ich derjenige sein, der abhaut.«

Offenbar hatte er schon einen Plan, doch von Seua zu hören, dass er abhauen wollte, war schon ungewöhnlich. Ich hatte erwartet, dass er sagt, wir warten bis der Typ geschnappt wurde, um uns nicht in irgendwelche halsbrecherischen Abenteuer zu stürzen.

»Sicher?«

»Ja. Ich halte es nicht länger aus, nicht bei dir zu sein, Cai. Ich werde schon einen Weg finden.«

Musste ich etwa diesmal die Stimme der Vernunft sein? Nein, denn das wollte ich auch gar nicht. Ich sog jedes seiner Worte auf und hatte das Gefühl, dass sie mich heilen könnten.

»Okay, ausreden werde ich es dir nicht, weil es gelogen wäre, zu sagen, dass ich es nicht will. Pass‘ bitte auf dich auf. Ich werde hier auch versuchen, es dir so leicht wie möglich zu machen. Bin ja nicht umsonst Schauspieler.«

»Du nutzt deine Schauspielkünste und ich meinen Plan, dann kriegen wir das hin. Sie dürfen aber auf keinen Fall wissen, dass du mit mir gesprochen hast.«

»Werden sie nicht.«

»Warte auf mich, Cai.«

»Ich mache schon die ganze Zeit nichts anderes. Danke für die Lampe«, warf ich ein.

»Ich weiß doch, dass mein Wolf nicht ohne Licht auskommt«, ich konnte fast durchs Handy sehen, dass er schmunzelte. Hatte er gerade »mein Wolf« gesagt? Seua wusste genau, mit welchen Worten er mich zum Schmelzen bringen konnte. Diesmal würde er mein Herzklopfen nicht hören können, aber ich würde auf den Tag warten, an dem er es wieder konnte.

»Cai, ich muss aufhören. Ich kann dir nicht versprechen, dass wir nochmal reden können. Du musst geduldig sein. Schaffst du das?«, er kannte mich mittlerweile gut genug, dass er wusste, Geduld war nicht meine Stärke. Aber wenn der Tiger mich darum bittet, musste es gehen.

»Jetzt auf jeden Fall. Ich werde auf dich und deine Antwort warten, P’Seua.«

Wir verabschiedeten uns und ich ließ lächelnd das Handy sinken. Der Wolf und der Tiger waren zurück. Auch wenn ich nicht abhauen würde, ich würde mir schon etwas ausdenken, um es Seua leichter zu machen. Ich drückte mir das Handy an die Brust. Ich musste ihm vertrauen, dass er es schaffen würde. Irgendwie.

Die nächsten Tage zogen sich hin, viele aus dem Team besuchten mich, brachten mir Blumen und erzählten mir vom Dreh. Mein Zimmer sah fast aus wie ein Blumenladen. Auch wenn ich noch mit Schmerzen zu kämpfen hatte, das Gespräch mit Seua hatte mich zumindest seelisch gerettet. Sorgen machte ich mir trotzdem, denn seit diesem einen Abend konnte ich ihn nicht mehr erreichen. Gerade sah ich mir mit Ray und P’Star die Nachrichten an. Ich verstand zwar nichts, doch war es deutlich, dass sie über den Angriff auf uns berichteten.

»Die Polizei hat die Videoaufnahmen nach der Untersuchung freigegeben, um nach eventuellen Zeugen und dem Täter zu fahnden.«

Ich sah zum ersten Mal die Videoaufnahmen. Ich war es zwar schon gewohnt, mich vor der Kamera zu sehen, aber trotzdem war das etwas surreal. Das Bild war grau und körnig, man sah uns von oben. Den Moment, als ich in das Messer sprang, hatten sie zum Glück zensiert. P’Star schaltete den Fernseher aus.

»Die Fahndung läuft schon einige Zeit, aber bisher gibt es noch keine Anhaltspunkte«, sie wollten sich schnell wieder entfernen, doch ich hielt sie auf.

»Wartet!«

Überrascht hielten sie inne: »Cai?«

»Ihr braucht euch nicht davonschleichen, ich habe euch verziehen«, es stimmte zwar nicht ganz, war aber Teil meines Plans. Auch auf die Gefahr hin, unglaubwürdig zu wirken, musste ich sie so gut wie möglich in Sicherheit wiegen, dass ich mich damit abgefunden hatte. Erstaunt sahen sie sich an, Ray blieb verständlicherweise skeptisch.

»Wirklich? Es ist okay? Du wirst nicht bei der nächsten Gelegenheit die Flucht ergreifen?«

Ich schüttelte den Kopf: »Nein. Seh‘ ich aus, als könnte ich?«

P’Star konnte wohl damit leben, Ray war noch nicht überzeugt und blieb noch.

»Nicht wirklich. Aber ich habe das Gefühl, dass es irgendwie zu gestellt ist«, er verschränkte die Arme.

»Ich werde keinen Fuß aus diesem Krankenhaus setzen, Ray. Versprochen«, es war nicht gelogen, also brauchte ich mich deswegen auch nicht schlecht fühlen.

»Wieso sollte ich dir glauben?«

Ray trat neben das Bett, sah mich eindringlich an. Gut, dann musste ich noch ein bisschen mehr schauspielern. Ich setzte meinen besten Dackelblick auf: »Natürlich vermisse ich Seua, aber du siehst doch, dass ich nichts machen kann. Ihr wollt doch auch nur, dass ich mich erhole und er sicher ist.«

»Ich bin ja schon froh, dass du mir nicht an den Kragen gehst, wenn ich reinkomme, Cai. Aber ich werde dich weiter im Auge behalten. Unterschätz‘ die fünf Jahre nicht, die wir zusammenarbeiten«, sagte er und verließ kopfschüttelnd den Raum. Ich war sicher, dass ich ihn schon irgendwie überzeugen konnte.
 

Noch am selben Abend versuchte ich erneut Seua zu erreichen, doch ohne Erfolg. Weder sein normales Handy noch sein Privates. Wenn ich einsam war, hörte ich mir seine Sprachnachricht an, oder sah mir im Internet Bilder und Videos von ihm an. P’Hope kam gerade rein, um die letzte abendliche Untersuchung zu machen. Zumindest dachte ich das, doch sie hielt etwas hinter ihrem Rücken versteckt.

»Ich habe gesehen, dass es dir seit ein paar Tagen sehr viel besser geht, Khun Cai. Das freut mich wirklich«, sie lächelte mich an. Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen und hielt mir einen Finger vor den Mund: »Ich sag mal so, wir haben einen Plan.«

»Dieser Plan scheint dir gutzutun. Ich denke wir können in ein paar Tagen mit der Reha anfangen.«

Ich nickte: »Aber deswegen bist du nicht hier, oder?«

»Meine Jungs und Mädels sind Fans von euch und als ich ihnen erzählt habe, dass du wegen Seua traurig bist, haben sie mir das hier gegeben.«

Sie holte eine DVD hinter ihrem Rücken hervor und ich nahm sie entgegen. Auf dem Cover sah ich Seua mit einem anderen Typen.

»Ist das?«

P’Hope holte einen Zettel aus ihrer Kitteltasche, setzte ihre Brille auf und las:

»Sie haben mir das aufgeschrieben, weil ich doch keine Ahnung habe. Also hier steht: Das ist ein Drama, welches Seua vor drei Jahren gedreht hat. Sein Debut. Der Titel lässt sich mit: »Der Traum von dir«, übersetzen. Es geht um Dream, er kann seine Träume steuern und in diesen ist er mit seinem Mitschüler Night, gespielt von Seua, zusammen und alles ist perfekt. Die Realität sieht jedoch anders aus, denn Night will nichts von ihm wissen. Dreams Mission ist es, seinen Traum wahr werden zu lassen.«

Sie faltete den Zettel wieder zusammen. Ich hatte mir mal zwar Ausschnitte von Seuas Dramen angeschaut, aber nie ganze Folgen. Und das war auch noch sein Debut! Ich mochte das Konzept, auch wenn es kitschig war.

»Kann ich mir das ansehen?«

»Natürlich, Khun Cai.«

P’Hope legte die DVD ein und half mir, englische Untertitel einzustellen. Natürlich würde ich es nicht mögen, ihn mit jemand anderem zu sehen, aber das nahm ich in Kauf. Sobald er auf dem Fernseher erschien, fühlte es sich an, als würde er neben mir stehen, auch wenn er da noch ein bisschen jünger aussah. Als sie sich verabschieden wollte, fragte ich: »P’Hope, du bist doch meine persönliche Krankenschwester, oder?«

»Ja, warum?«

»Ich möchte dich nicht aufhalten, falls du Feierabend hast oder was anderes machen willst. Aber magst du nicht die Folge mit mir gucken?«, ich deutete auf den leeren Stuhl. Ich wollte P’Hope auf keinen Fall zwingen, aber ich empfand ihre Gesellschaft als sehr angenehm. Es wäre auch die Chance für sie, sich für ein paar Minuten zu entspannen.

»Also Feierabend habe ich ohnehin nicht und ich muss ja auch alle Wünsche von Khun Cai erfüllen«, sagte sie schmunzelnd und setzte sich auf den Stuhl.
 

Es wurde zum abendlichen Ritual von P’Hope und mir, Folgen von Seuas Drama zu schauen, wovon wir beide ziemlich schnell Fans wurden. Auch wenn er damals vielleicht ein Rookie war, sein Talent war nicht zu übersehen. Eine Woche später konnte ich endlich wieder aufstehen und mit der Reha beginnen. Immer wieder dachte ich an unseren Plan, hoffte einfach nur, dass es ihm gut ging. Ich beschloss ihm zu vertrauen und weiterhin an meinem Security-Problem zu arbeiten. Es war gerade Mittag und ich stand an meiner Tür, um mit den Jungs und Mädels von der Security zu reden. P’Hope hatte ich, als Einzige, in unseren Plan eingeweiht, damit sie im Notfall helfen konnte.

»Khun Cai, wir können nicht einfach gehen, das weißt du, oder?«, fragte einer der Jungs.

»Ich weiß. Ihr macht euren Job und der ist auch sehr wichtig.«

»Was immer du vorhast, du wirst Ray und Star erst überzeugen müssen, eher wirst du uns nicht los.«

Das nicht, aber das Team war mittlerweile zumindest schon kleiner geworden. Es waren nur noch vier. P’Star war nicht das Problem, sondern Ray.

»Schon gut.«

Wie aufs Stichwort kam Ray dazu, überrascht sah er mich an: »Du kannst schon aufstehen?«

»Noch nicht allzu lange, aber ja.«

Die Erleichterung, dass ich diese Verletzung ohne Folgeschäden überstehen würde, war ihm anzusehen.

»Ich bin stolz auf dich, Cai, dass du solche Fortschritte machst.«

Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter: »Ich bin zäher als du denkst, Ray. Du hast gesehen, dass ich alles dafür getan habe, damit es besser wird. Das mit der Sicherheit ist ein bisschen übertrieben, oder? Das Krankenhaus beschützt mich schon gut genug«, wagte ich den nächsten Versuch.

»Fragen wir mal anders, Cai. Was stört dich daran?«

Beleidigt verschränkte ich die Arme. Mach‘ dir bloß nichts vor, Ray. Wir ziehen den Plan trotzdem durch. Ich wollte wieder ins Zimmer gehen, da hörte ich:

»Also gut. Du hast nicht versucht abzuhauen, was man dir schon hoch anrechnen muss. Wenn du dich dann besser fühlst, ziehen wir die Security eben ab.«

Zum Glück sah Ray nicht, wie ich triumphierend meine Hand zur Faust ballte. Ich wandte mich noch einmal in seine Richtung, setzte mein bestes Lächeln auf: »Danke.«
 

Ein paar Nächte später wurde ich durch ein Klappern an der Tür aus den Gedanken gerissen. P’Hope konnte es nicht sein, sie war gerade erst gegangen. Ich blinzelte, sah aber nur eine Silhouette. Die Person trat näher, doch im schwachen Lichtkegel der Nachttischlampe, konnte ich nur erkennen, dass sie vermummt war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Luiako
2023-02-19T19:11:10+00:00 19.02.2023 20:11
Ich hatte gar nicht mitbekommen das du ein neues Kapitel online gestellt hattest 🙈😱😫
Nun gut dann mal zum Kapitel bzw Kommi;

Da war ja nun einiges passiert, und ich bin echt gespannt was nun noch kommen mag, wer ist wohl der Geheimnisvolle Fremde der bei Cai im Zimmer auftaucht?🤔🤔 Wie es wohl mit den beiden weitergeht und ob Seua auch die Gefühle von Cai erwidert, das bleibt echt abzuwarten und du machst es echt spannend....

Bis zum nächsten Mal
Liebe Grüße

Lu^,~


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