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Hello!Project Online

von

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Tsunku

Yokoyama Reina lag, mit den Armen hinter dem Kopf verschränkt, in ihrem Bett und blickte nach oben zur schwarzen Decke. Nach allem, was sie heute erlebt hatte, musste sie eigentlich hundemüde sein. Doch stattdessen schossen unzählige Gedanken durch ihren Kopf.

Goto Maki. Das Haven. Die 26. Generation. ANGERME. Die Kenshuusei.

Etwas weiter links von ihr gab Kawamura Ayano einen lauten Schnarcher von sich. Das Rascheln der verschiedenen Bettdecken hinterließ bei Reina ein wohliges, familiäres Gefühl. Unbewusst stahl sich ein Lächeln auf ihr junges Gesicht.

Icchan hatte sie von der Trainingshalle direkt in Richtung der Schlafsäle gelotst. Während sie dabei durch die Korridore gelaufen waren, hatte die Ältere ihnen auf einfachstem Wege erklärt, wie sie den Weg ganz leicht selbst nachvollziehen konnten:
 

„Euch ist es jetzt noch nicht bewusst, aber ihr werdet mitbekommen, dass die Erfahrungswerte, welche euch implementiert wurden, sich dann und wann tatsächlich als äußerst nützlich erweisen. Beispielsweise seid ihr in der Lage, einige allgemeine Morsezeichen zu verstehen und auch selbst von euch zu geben.“
 

Bei dieser Anmerkung zogen einige der Neulinge vor Verblüffung die Augenbrauen nach oben. Icchan hatte, ohne sie zu beachten, fortgesetzt:
 

„Wie ihr sicherlich auch bemerkt habt, sind wir nun des Öfteren an Kreuzungen vorbeigekommen“, hatte sie mit einem Grinsen angedeutet. „Auf dem Weg zwischen unserer Trainingshalle und den Kenshuusei-Schlafsälen befinden sich exakt sechs Kreuzungen. Und bei jeder Einzelnen von ihnen nehmt ihr den kürzesten Gang. Dabei braucht ihr auch keine Angst zu haben, denn in jedem Fall ist es unverkennbar, welcher fortführende Gang nicht so lang ist wie die anderen.“
 

Yuhane hatte verwirrt argumentiert:
 

„Aber was hat das Ganze mit den Morsezeichen zu tun?“
 

Daraufhin wurde Icchans Grinsen nur noch breiter, als sie erwiderte:
 

„Zwischen den ersten und den letzten drei kurzen Gängen liegen noch genau drei weitere Gänge, welche weit länger sind, als die vorigen. Einer führt euch in die Haupthalle mit der großen marmornen Treppe, die ihr heute schon gesehen habt. Der Zweite ist eher metaphorisch gedacht, denn es ist der Gang von einer Tür der Haupthalle zur gegenüberliegenden Tür. Der dritte Gang führt aus der Haupthalle heraus und macht eine starke Linkskurve.“
 

Auch wenn Reina noch immer nicht verstanden hatte, worauf Icchan hinauswollte, schien es langsam zur Auflösung der Eselsbrücke zu kommen. Einer sehr langatmigen Eselsbrücke, wie es ausschaute, dachte sich Reina im Stillen.
 

„Wir haben also drei kurze Gänge, drei lange Gänge und dann wieder drei kurze Gänge. Fällt euch etwas auf?“
 

Yuhane hatte prompt geantwortet:
 

„S.O.S.“
 

Icchan musste bei dieser schnellen Antwort lachen:
 

„Genau! Solltet ihr also zweifeln, wie ihr vom Schlafsaal zur Trainingshalle kommt oder andersherum, dann merkt euch einfach das Morsezeichen für den S.O.S.-Befehl. Drei kurze Gänge. Drei lange Gänge. Drei kurze Gänge. Und wenn ihr euch dann immer noch verlauft, wisst ihr zur Not wenigstens, was ihr schreien müsst, damit euch jemand helfen kommt.“
 

Bei dieser Erinnerung musste Reina unwillkürlich in ihr Kissen grinsen. All die neuen Bekanntschaften wirkten so entschlossen und lebensfroh. Daran wollte sich das junge Mädchen ein Beispiel nehmen.

Ihre Augen wanderten durch die Schwärze des Raumes. Die sanften Atemgeräusche ihrer Generationsmitglieder hallten zu ihr hinüber. Sie alle lagen in Einzelbetten. Die waren nicht besonders breit, doch die Matratze fühlte sich wie eine kuschelige Wolke an. Es war nicht verwunderlich, dass die anderen schon nach wenigen Minuten ins Reich der Träume entschwunden waren.
 

„… Reina? Bist du noch wach?“
 

Shioris flüsternde Stimme drang von einer Ecke zu ihr hinüber. Reina antwortete leise:
 

„Ja. Ich bin viel zu aufgeregt. Was uns wohl morgen alles erwartet?“
 

Das andere Mädchen schwieg einen kurzen Moment. Dann erwiderte sie:
 

„Das Training sah nicht danach aus, als wäre es einfach.“
 

Reina nahm den besorgten Unterton deutlich wahr. Sie versuchte Shiori trotz der Dunkelheit ein Lächeln zu schenken.
 

„Wenn Goto Maki uns unterrichtet, kann es doch nur cool werden, oder? Und Icchan, Kurumi, Momohime und all die anderen werden uns bestimmt tatkräftig unterstützen. Dann werden wir bald so stark sein wie ANGERME.“
 

Shiori lachte heiser.
 

„Wir kennen uns noch nicht wirklich, aber bisher habe ich immer nur positive Worte aus deinem Mund gehört, Reina.“
 

Die Angesprochene lief rot an. Dies konnte Shiori eigentlich nicht sehen, trotzdem flüsterte sie mit einem grinsenden Tonfall:
 

„Ich mag das.“
 

Ohne weitere Worte zu wechseln, drehten sich die beiden Mädchen auf ihre liebste Schlafseite und schlossen die Augen.

Einiges ging Reina noch durch den Kopf, bevor sie nach und nach in den Schlaf glitt. Doch ein letztes Wort gab sie, unterbewusst und schon vollkommen in eine andere Gedankenwelt verflogen, mit einem wohlig warmen Gefühl von sich: Freunde. 
 


 


 


 


 

„…na! …Reina! …REINA!“
 

Das dunkelhaarige Mädchen schreckte aus ihrem Bett hoch. Die Decke flog im hohen Bogen Richtung Raummitte, traf die überraschte Ayano, während diese gerade ein Hemd überzog, und warf sie gnadenlos um.

Marie stand an Reinas Bett und sah sie vorwurfsvoll an.
 

„Du Schlafmütze! Wir wollten uns doch in zehn Minuten mit Icchan in der Haupthalle treffen.“
 

Rasch wandte das Mädchen sich von der Angesprochenen ab und rannte ins Bad nebenan. Inzwischen versuchte Reina sich zu sammeln. Halb schlaftrunken fiel ihr Blick auf die Kuckucksuhr über der Tür. Die Eule, die sekündlich aus dem Holzgebilde schoss und als Wecker diente, schaute das zerzauste Knäuel, bestehend aus Haaren, die in alle Winde zerstreut lagen, mit gerunzelter Stirn an und wies warnend mit einem Finger auf das Ziffernblatt. Zehn vor Sieben.

Reina benötigte ein paar Sekunden, um die Situation zu realisieren. Ayano hatte ihr inzwischen, mit leicht gerötetem Gesicht, die Decke zurückgebracht.

Bruchstückhafte Erinnerungen drangen in den Kopf der Fünfzehnjährigen. Sie hatte geträumt. Es ging um einen Mann in einem weißen Anzug. Er lächelte. Plötzlich fand sie sich auf einem riesigen Schokoladeneisberg wieder. Glücksgefühle schäumten in ihr auf. Elegant surfte sie auf den Wellen aus kalter Speise.

Umso länger sie darüber nachdachte, umso mehr spürte sie den Wunsch in sich aufkommen, in den Traum zurückzukehren.
 

„REIIIIINAAAAA!!!“
 

Yuhane und Marie hatten gleichzeitig ihre Köpfe aus dem Bad gesteckt und blickten genervt zur Träumerin. Diese schreckte ein zweites Mal aus dem Bett und warf, wie sollte es anders sein, erneut die Decke in Richtung Raummitte genau auf die ahnungslose Ayano. Das laute Poltern ihres Falls war im ganzen Schlafsaal zu hören.
 


 


 


 


 

Es war Punkt Sieben Uhr, als die 26. Generation unter Keuchen und Luft schnappen an der gewaltigen, marmornen Treppe in der Haupthalle ankam. Shiori legte ihre Hände auf die Knie und brachte mit quälender Atemnot hervor:
 

„Ich dachte, wir befinden uns hier in einer virtuellen Welt? Warum gibt es dann so etwas wie Seitenstechen und Brustschmerzen? Fühlt sich alles sehr real an.“
 

Vom oberen Ende der Treppe hörten sie ein amüsiertes Lachen. Icchan und Kurumi schritten zu ihnen herunter. Die Anführerin der Kenshuusei antwortete sogleich:
 

„Ihr vergesst, dass das hier eine Therapie simulieren soll. Natürlich müssen dafür auch alle Anstrengungen aus der wirklichen Welt übernommen werden.“
 

Rin motzte nun:
 

„Wenn wir sowieso keine Vorteile haben, warum machen wir die Therapie nicht gleich in der echten Realität?“
 

Daraufhin schenkte ihr Kurumi ein gewitztes Lächeln:
 

„Oh, ihr werdet merken, dass ihr einige Vorteile in dieser Welt genießt, die ihr sonst nicht hättet.“
 

Die Jüngste unter ihnen brummte daraufhin:
 

„Ich will es hoffen.“
 

Ohne weitere Kommentare traten sie den gemeinsamen Gang an. Endlich diese gigantische Treppe empor zu steigen, besaß für Reina etwas Zufriedenstellendes. Es wirkte beinahe so, als hatte diese beeindruckende Gesteinsform auf sie gewartet, ja förmlich nach ihr gerufen.

Doch was als Nächstes folgte, hätte sich Reina niemals auch nur erträumen lassen. Am Ende der Treppe erwartete sie eine riesige Halle, die den Hauptflur beinahe wie eine Besenabstellkammer aussehen ließ. Mindestens die dreifache Größe erstreckte sich direkt vor ihren erstaunten Gesichtern. Das orangene Schimmern der Morgensonne drang in tausend Facetten durch die nicht minder großen Bleigasfenster, die sich an den Seiten entlangzogen. Weiße Marmorsäulen, mindestens 100 Stück, verteilten sich über ihr gesamtes Blickfeld. Mit weit geöffneten Mündern bestaunten die Neulinge das Bauwerk, welches große Ähnlichkeiten mit dem Inneren einer monströsen Kathedrale besaß. Die Decke formte sich zu einer unglaublichen Kuppel, die ebenfalls aus unzähligen Gläsern bestand.

Icchan breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis, während sie freudig rief:
 

„Willkommen im Haven! Unser göttlicher Zufluchtsort!“
 

Reinas Augen begannen zu tränen, so überwältigt war sie von allem um sich herum. Schnell wischte sie sich mit dem Ellbogen das Nass von ihren Wangen. Sie konnte nicht glauben, was sich hier vor ihr erstreckte. Ayano ergriff den Saum von Reinas Ärmel. Diese dachte, dass die Größere ihr etwas sagen wollte, doch als sie zu ihr blickte, erkannte Reina, dass Ayano genauso ergriffen war wie sie selbst, und das Gefühl besaß, als müsste sie sich einfach irgendwo festhalten.

Kurumi streckte ihren Arm aus und wies mit dem Zeigefinger auf das Ende des Havens.
 

„Seht ihr die enorme Flügeltür. Das ist der Eingang zum Thronsaal. Dort wird jeden Morgen, Mittag und Abend gegessen.“
 

Yuhane wurde hellhörig. Dann merkte sie mit ironischem Unterton an:
 

„Thronsaal? Wartet etwa ein König auf uns?“
 

Kurumi lachte.
 

„Nicht ganz.“
 

Ohne genauer darauf eingehen zu wollen, führten die beiden Älteren sie direkt zu der Flügeltür. Sie war einen Spalt breit offen, doch das reichte aus, dass hunderte Leute hindurchpassten. Ein reger Fluss an Gestalten betrat und verließ den sogenannten Thronsaal.

Reina fragte verwundert:
 

„Wer sind all die Menschen?“
 

Icchans Miene verdüsterte sich etwas.
 

„Die meisten von ihnen sind Gefäße.“
 

Shiori stockte.
 

„Gefäße?“
 

Die Kenshuusei-Anführerin nickte.
 

„Wir nennen sie so. Es sind leere Hüllen, lebende Puppen, wenn ihr so wollt, die nichts anderes tun, als ihren täglichen Gepflogenheiten nachzugehen. Das können simple Arbeiten zur Instandhaltung des Schlosses sein“, sie blickte zu einer kleinen Gruppe an Männern und Frauen, die Besen und Wischtücher mit sich trugen, „oder aber große Aufgaben, die einem höheren Wohl dienen.“
 

Yuhane zog die Augenbrauen zusammen.
 

„Was meinst du mit höherem Wohl?“
 

Icchans Lippen formten sich zu einer schmalen Linie ehe sie antwortete:
 

„Ich bin mir nicht sicher. Einige von ihnen tragen Waffen mit sich. Sie verlassen für einige Zeit das Schloss und tauchen nach Wochen wieder auf. Andere bleiben für immer verschwunden. Wenn man sie ausfragt, bekommt man nur dieselben Antworten zu hören, darunter nichts Informatives.“
 

Kurumi übernahm ab hier das Wort.
 

„Unter uns Kenshuusei wird sich erzählt, dass die Gefäße dazu dienen, um in den späteren Rehab Graden voran zu kommen. Doch keine der Gruppierungen hat uns das je bestätigt. Allerdings kann es auch sein, dass sie zum Schweigen verpflichtet sind, um uns nicht abzulenken mit Dingen, die uns noch nicht beschäftigen sollen.“
 

Ihr rundliches Gesicht bildete einen mysteriösen Ausdruck. Scheinbar liebte sie dieses Detektivspiel.

Reina betrachtete die verschiedenen Personen um sich herum. Inzwischen befanden sie sich direkt in der Menschenmasse und ließen sich regelrecht vom Strom treiben. Sie verstand, warum die Kenshuusei diese seltsamen Wesen als Puppen, Hüllen, oder Gefäße bezeichneten. Ihre Bewegungen wirkten emotionslos. Keine Regungen zeigten sich in den Gesichtern. Ihre Schritte folgten einem Rhythmus, den ein normaler Mensch niemals in solch zeitgleicher Perfektion umsetzen könnte. Dann dämmerte es ihr.
 

„Ihnen fehlt eine Seele.“
 

Die Kenshuusei blickten überrascht zu Reina. Sie hatte die Worte nur geflüstert, doch das Ausmaß der Aussage schien wie eine Druckwelle durch die gesamte Halle gepresst zu werden. Sogar einige der Gefäße drehten sich um und starrten die Gruppe für einen Moment an.

Während sie durch die große Flügeltür traten und endlich den Thronsaal erreichten, versuchten Icchan und Kurumi das unangenehme Thema auf freudigere Sachen zu lenken. Deshalb richtete sich ihr Fokus sofort auf die unzähligen Tischreihen und Stühle, die sich im kompletten Saal verteilten. Mindestens 50 Stück zählte Reina, bevor sie letztendlich aufgab.

Auf den jeweiligen Tischen verteilten sich unendlich viele Speisen und Getränkesorten für ein so vielfältiges Frühstück, wie es noch nie jemand erlebt haben konnte.

Die pure Vorfreude elektrisierte die Neuankömmlinge förmlich, sodass sie nicht bemerkten, dass die beiden Älteren bereits an einen der vielen Tische getreten waren. Erst nach mehrfachem Rufen gelang es auch der 26. Generation, zu den bekannten Gesichtern zu treten. Dort saßen nämlich Kiyono Momohime, Dambara Ruru, Kaga Kaede und noch einige Personen, die Reina nicht kannte.

Mit einem breiten Grinsen wies Icchan auf die Neulinge.
 

„Darf ich vorstellen: Die 26. Generation der Kenshuusei!“
 

Die Augen der unbekannten Leute weiteten sich. Staunen und Freude verbreitete sich am Tisch. Einige von ihnen standen sogar auf, ergriffen die Hände der Neulinge und schenkten ihnen eine leichte Verbeugung.
 

„Es ist schön, euch bei uns zu haben.“
 

Die Worte kamen aus dem Mund von Maeda Kokoro, die beinahe durch ihre Nervosität Reinas Hand zerquetscht hätte. Diese schluckte den Schmerzimpuls schnell herunter.

So ging die Vorstellung reihum und sie lernten auch die restlichen Mitglieder der Kenshuusei kennen.

Das waren noch Inoue Hikaru, Kanatsu Mizuki, Noguchi Kurumi, Ono Kotomi, Kodama Sakiko und Yonemura Kirara. Sie alle begrüßten die Neuankömmlinge herzlich, und schnell war es ein harmonisches Miteinander am Frühstückstisch.

Reina hielt sich zuerst aus den Gesprächen heraus und verlor sich in vollkommenem Genuss der frisch gebackenen Brötchen, deren Teig sich so fluffig anfühlte, dass Reina sich am liebsten eine Decke daraus gebastelt hätte. Es gab Marmeladen unterschiedlichster Früchte. Nachdem ihr die Rhabarber-Erdbeer-Holunder-Konfitüre mehr als nur gemundet hatte, probierte sie nun einen Mix aus Quitten-Gelee und Aprikosen-Streich. Als sie dann auch noch Käse als Topping auf das Brötchen legte und das ganze Produkt mit einem breiten Grinsen zum Mund führte, bemerkte sie, dass sie von Ayano entgeistert beobachtet wurde.
 

„Wie kannst du DAS essen?“
 

Der Blick von Ayano war erschrocken auf das Brötchen in Reinas Hand gerichtet. Diese hielt die Mahlzeit verwundert nach oben, um der Verwirrung auf den Grund zu gehen. Nach kurzer Prüfung musste Momohime, die neben Ayano saß und das Geschehen amüsiert bemerkt hatte, lachen. Japsend brachte sie hervor:
 

„Sie meint das Brötchen, du Dummi! Wie kannst du dir nur so viel Zeug gleichzeitig darauf schmieren.“
 

Erleichtert lachte nun auch Reina.
 

„Ach so, das meint ihr.“
 

Und ohne zu zögern biss sie herzhaft in das Marmeladen-Käse-Brötchen. Freudig schmatzend grinste sie die beiden gegenübersitzenden Mädchen an, welche mit vor Ekel verzerrtem Gesicht die Szenerie beobachteten.

Plötzlich richtete Inoue Hikaru das Wort an die Fünfzehnjährige.
 

„Sag mal, Reina, was hast du so für Hobbies?“
 

Sofort folgten alle neugierig dem Gespräch. Reina hingegen, die schnell den großen Bissen ihre Speiseröhre hinunterpresste und sich dabei beinahe verschluckte, war geschockt, dass sie plötzlich im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit stand.
 

„Ähm, ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe gar keine.“
 

Zu ihrer Verwunderung schüttelte Hikaru lachend den Kopf.
 

„Doch, doch, hast du!“
 

Kokoro sprang der verwirrten Reina erklärend zur Seite.
 

„Du musst verstehen, dass wir leider nicht viel aus unserer Vergangenheit wissen. Das wurde euch ja bereits von Goto Maki erklärt, so wie ich das gehört habe“, die Neulinge nickten ihr zu, woraufhin sie weitersprach, „Deshalb haben wir nicht viel, um uns voneinander zu unterscheiden. Lediglich die Persönlichkeiten und unsere Interessensgebiete lassen uns ein Individuum hier sein. Ich beispielsweise liebe es Musik zu hören und mein Karate zu betreiben.“
 

Reina verstand. Sie schloss kurz die Augen und dachte scharf nach. Was mochte sie? Was waren ihre Hobbies? Tief in ihrem Herzen gab es bestimmt eine Antwort.

Dann öffnete sie ihre Augen und ein Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht.
 

„Instrumente. Ich spiele gern Instrumente.“
 

Es gab vereinzelte Wow’s und Ohh’s und die Kenshuusei blickten sie bewundernd an. Reina betrachtete die Decke des alten Gemäuers.
 

„Außerdem mag ich Geschichten. Geschichten aus der Vergangenheit. Ich will alles wissen, was früher einmal geschehen ist. Ich will es mit anderen teilen und hören, was sie darüber denken.“
 

Als Takase Kurumi das hörte, nickte sie Reina verschmitzt zu:
 

„Dann wird dir unsere Bibliothek gefallen.“
 

Mit freudiger Überraschung schaute Reina zu ihrer Kameradin, kam jedoch nicht mehr dazu, etwas zu antworten. Stattdessen bewegte sich plötzlich die riesige Flügeltür. Unter wuchtigen und kratzenden Geräuschen öffnete sie sich fast vollständig. Mit einem Mal standen alle Personen im Saal auf und richteten ihren Blick auf den Eingang. Reina und die anderen Neulinge folgten hastig dem Beispiel, ohne zu wissen, was sie erwartete.

Für einen kurzen Zeitraum war der Thronsaal von einer achtsamen Stille durchzogen. Doch dann hörte Reina Schritte. Schritte die immer lauter wurden. Bis sie sich schließlich zu einer Person manifestierten, die das Zentrum aller Aufmerksamkeit war.

Es war ein Mann. Er war größer als jede Person, die Reina bisher getroffen hatte. Sein Gang besaß etwas Majestätisches. Auch seine Kleidung verriet, dass sein souveränes Auftreten kein Zufall sein konnte. Das schwarze Seidenjackett und die schimmernd schwarze Hose wiesen hochwertige Materialen auf. Vom Alter her schätze Reina ihn auf Mitte 40. Doch das wirklich Beeindruckendste an ihm war die massive Aura, die er ausstrahlte. Sie war noch umwerfender als die von Goto Maki.

Reinas Beine begannen, wie schon damals, zu zittern. Als der Mann direkt an ihrem Tisch vorbeischritt, wurde es für sie beinahe unerträglich. Kurz bevor sie zusammensackte, legte ihr Icchan eine Hand auf die Schulter, um Reina zu beruhigen. Dankend blickte sie in das lieb lächelnde Gesicht und tatsächlich half es ihr.

Als der Mann mit dem wehend nussbraunen Haar vorbeigeschritten war, atmete Reina tief durch. Sie hörte gerade noch das Flüstern von Shiori in ihre Richtung.
 

„Wer war das?“
 

Kurumi flüsterte achtsam zurück.
 

„Das war Tsunku, der Direktor der Rehab Academy und Leiter der internen Observation von Hello!Project Online. Er hat hier das Sagen. Außerdem ist er unser Sprachrohr zur realen Welt.“
 

Reina blickte nun, da Tsunku schon einige Meter entfernt war, dem mächtigen Mann nach. Für einen kurzen Moment herrschte eine eindrucksvolle Stille. Mehrere Sekunden musterte Reina ihn genaustens. Sie verfolgte seinen Gang durch die Menge bis hin zu seinem Platz an der Spitze des Saals. Auf einer Anhöhe gab es einen festlich geschmückten Tisch für die Lehrer, an dessen Front ein großer Stuhl stand, der wiederum große Ähnlichkeiten mit dem Thron eines Königs besaß. Auf eben diesen Thron setzte sich Tsunku.

Yuhane sagte spöttisch:
 

„Daher also Thronsaal. Ich verstehe. Der scheint ja eine Menge von sich zu halten, oder?“
 

Reina hingegen blickte noch immer unentwegt zu dem beeindruckenden Mann. Dieser nickte Goto Maki, die zwei Stühle von ihm entfernt saß, zu und nahm sich ein Brötchen. Scheinbar hatten die beiden ein Gespräch miteinander begonnen.

Ayano brachte leise hervor:
 

„Er ist schon gruselig, oder?“
 

Während die anderen Neulinge ihr zunickten, betrachtete Reina ihn weiterhin, ohne Anstalten zu machen, ihre Augen abzuwenden.

Marie warf ihr einen besorgen Blick zu.
 

„Was hast du Reina? Macht er dir auch Angst?“
 

Bevor die Angesprochene antwortete, verengte sie die Augen zu Schlitzen, um klarer erkennen zu können, was sich am Lehrertisch abspielte. Sie war die Einzige, die noch immer stand. Shiori zog an ihrem Shirt, um sie darauf aufmerksam zu machen.

Doch dann entdeckte sie es. Tsunku hatte sich gerade auf sein Brötchen Quitten-Gelee und Aprikosen-Streich getan. Dann folgte der Käse oben drauf und schließlich das süffisante Grinsen, welches die Vorfreude auf den kommenden Genuss verriet.

Sofort setzte sich Reina, packte sich zufrieden ihr eigenes halb aufgegessenes Brötchen und biss ein weiteres Mal herzhaft hinein.

Shiori, Marie und Ayano beobachteten sie mit maßloser Verwirrung. Ehe sie etwas erfragen konnten, grinste Reina über beide Ohren und sagte schließlich:
 

„Er kann gar nicht böse sein.“



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