Zum Inhalt der Seite

Welt ohne Grenzen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Weiter Geht's (Prompto Argentum)

Scheint, als hätten wir etwas gefunden, was Noct wieder auf die Beine hilft. Naja, noch nicht ganz auf die Beine, aber immerhin ein bisschen mehr in Richtung Gesundheit. Es mag nur ein Versehen gewesen sein beim ersten Mal, aber Ignis hat die Vermutung, dass die ins Badewasser gekippten Äther einen gewissen Anteil an Nocts verbessertem Zustand haben. Es klappt nicht mehr ganz so durchschlagend wie beim ersten Mal, aber Noct ist immerhin ein wenig mobiler, länger wach, und im Stande, auch mit ein bisschen Lärm zurecht zu kommen.
 

Immer öfter sitzen wir jetzt alle vier in seinem Zimmer zusammen. Wir drei zocken Kings Knight – endlich wieder gemeinsam – und Noct kuschelt sich bei einem von uns in die Arme. Gladio kommt verdächtig oft dran, wenn mal einer mitzählen würde, aber der hat als Schild des Königs auch ein gewisses Vorrecht. Noct ist in der Hinsicht ohnehin wie eine große Katze, das größte und wärmste Kissen zum Anlehnen ist gerade gut genug. In Gladios Armen sieht er fast wie ein Kind aus.
 

„So kräftig, wie Noct inzwischen geworden ist, könnten wir langsam die Koffer packen“, überlegt Ignis, „Eine kurze Autofahrt könnte er schon durchhalten, erst recht, wenn Gladio hinten ein wenig aufrückt, um ihn zu stützen.“
 

Noct schlägt müde die Augen auf und blinzelt Ignis über Gladios Arm hinweg an. „Müsste gehen. Im Regalia kann ich ja auch recht bequem schlafen… wenn wir unterwegs jeden Campingplatz mitnehmen schaffen wir es locker bis nach Hause.“
 

Gladio grinst bei der Erwähnung der Campingplätze. Iris hat er natürlich das größere Zelt mitgegeben, aber er hat noch ein zweites für uns, und super bequeme, nagelneue Schlafsäcke.
 

„Luna hat die Runen reaktiviert, oder? Dann können wir auch sicher schlafen“, überlege ich, „Aber bei Regen schauen wir bitte, dass wir in ein Hotel können… oder zumindest in einen Wohnwagen.“
 

„Ach was, das Zelt ist wasserdicht! Und du bist nicht aus Zucker.“
 

„Ich will bei Regen auch lieber ein echtes Dach“, murmelt Noct hilfsbereit und Gladio seufzt ergeben. Ich bin froh, dass Noct hier im Moment die Ansagen macht, und auch Ignis wirkt halbwegs erleichtert. Zelten im Regen macht echt nur Gladio Spaß.
 

„Dann würde ich sagen“, unterbricht Ignis den drohenden Streit, „ich fange einfach schon mal an, zu packen. Reserven für die Fahrt haben wir zum Glück gerade genug, notfalls können wir auch unterwegs neue kaufen. Gladio, du bleibst erstmal hier bei Noct-“
 

„-als ob ich so einfach hier weg könnte-„
 

„- und Prompto, du sagst unten an der Rezeption Bescheid, dass wir morgen früh auschecken. Beide Zimmer. Frag nach, bis wann wir raus müssen, ich würde Noct gerne so lange es geht ausschlafen lassen.“
 

Ich salutiere übertrieben und springe aus dem Zimmer. Das Leville ist ein großartiges Hotel und wir können es uns leisten, aber langsam fällt mir hier doch die Decke auf den Kopf. Dabei ist es jetzt, wo wir wieder alle zu viert Spaß haben können, eigentlich sogar ganz angenehm… aber der Gedanke, endlich weiterzufahren, vielleicht zurück nach Hause, macht mir mehr Freude. Vielleicht machen wir auch einen längeren Stopp in Hammerhead bei Cidney, um das Baby zu sehen… ihr wollte ich ja eigentlich helfen, aber Noct hatte Vorrang. Cidney nimmt es mir nicht übel, sie hatte viel Hilfe von Takka und einigen Gleven und hat die Schwangerschaft gut überstanden. Jetzt gilt es nur noch auf die Ergebnisse zu warten. Dabei sieht es auch ohne Test schon verdammt danach aus, als wäre ich der Vater. Der Gedanke macht mir, ehrlich gesagt, immer noch Angst. Gerade jetzt, nachdem ich schon wieder in einer solchen Basis gelandet bin, zusammengeworfen mit sechzig, siebzig anderen Klonen… das ist wider die Natur. Wie soll ein Kind mit diesen Genen je ein glückliches Leben führen?
 

Etwas rempelt mich von hinten an und ich falle beinahe die letzten Treppenstufen hinunter. Zum Glück bekomme ich den Handlauf zu fassen und schaffe es, mich stolpernd auf die unterste Stufe zu retten, als zwei Kinder wild an mir vorbei toben.
 

„Selfie! Irvine! Passt auf, wo ihr lang lauft!“, ruft eine Stimme den beiden hinterher, und schon hat mich die Frau auch eingeholt. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“, fragt sie außer Atem, „Ist Ihnen etwas passiert?“
 

„Nein, alles gut“, beruhige ich sie schnell, „Hab schon schlimmere Angriffe überlebt.“
 

Selfie und Irwine toben inzwischen wild durch die Hotellobby, verfolgt von einem blonden Mädchen, dass die beiden zur Ordnung aufzurufen versucht. Kraft ihrer Autorität als Älteste, die aber gnadenlos ignoriert wird, bis endlich ein dicker Mann dazu kommt, der die Kinder zur Mäßigung mahnt. Er hat noch einen blonden Jungen an der Hand und zwei weitre Kinder hinter sich, bei ihm steht ein großer Haufen Koffer. Da checkt wohl noch jemand gerade aus…
 

„Sie sind die Gruppe aus Tenebrae, oder?“, fällt mir auf, „Haben sie das Kind gefunden, das ihnen auf dem Markt weggelaufen ist?“
 

„Ja, dank euren Freunden“, berichtet die Frau. Edea, meine ich mich zu erinnern. „Wir sind noch ein paar Tage geblieben, damit Zell sich richtig erholen kann, aber jetzt geht es langsam nach Hause. Wir können ohnehin dankbar sein, dass unser Spender so großzügig war, auch den verlängerten Ausflug zu zahlen… Sonst hätten wir vielleicht ohne Zell abreisen müssen.“
 

Ich kann sehen, dass der Gedanke allein der Frau fast das Herz bricht. Wenn ich in ihrer Situation wäre… ich würde notfalls auf der Straße campen, um Nyx oder Crowe wiederzufinden, wenn eines der Kinder verloren ginge. Edea winkt zum oberen Ende der Treppe hin, von wo gerade noch zwei Kinder kommen. Ich erkenne den kleinen Zell – es ist eines der Kinder aus dem Bunker. Ich war nicht lange mit den anderen auf dem Trainingsplatz, aber er ist mir aufgefallen, weil er als einer der wenigen dort wirklich gekämpft hat. Gegen die Ketten, gegen die MI, gegen die Programmierung. Ein wenig hat er mich an mich selbst erinnert – verängstigt, geschlagen, fast zu schwach zu leben und doch unwillig, aufzugeben. Weil er eine Familie hat, Freunde, an die er sich halten kann. Wie den stillen, braunhaarigen Jungen, der ihn jetzt die Treppe hinunter zu seiner Mutter führt. Die hebt ihn sich auf den Arm, nimmt den anderen Jungen an die Hand und lächelt mich noch einmal dankbar an, bevor sie die ganze Gruppe nach draußen scheucht. Um das Gepäck kümmert sich ihr dicker Mann, aber auch der größere blonde Junge bemüht sich, seiner Mama zu helfen. Vielleicht ist es doch egal, das mit den Genen… Zell scheint es nicht zu stören, wo er herkommt. Vielleicht weiß er es auch gar nicht. In jedem Fall hat er Freunde wie meine. Freunde, denen egal ist, woher man kommt, weil sie wissen, wer man ist, und einen mögen.
 

„Okay, morgen auschecken geht klar“, berichte ich, als ich ins Zimmer zurückkomme, „wir sollen bis zwölf alles geräumt haben, damit die putzen können. Vielleicht können wir sogar noch im Hotelrestaurant zu Mittag essen, bevor wir losfahren?“
 

So fleißig, wie Ignis in meiner kurzen Abwesenheit schon wieder war, wüsste ich allerdings nicht, was die Putzfrau noch groß zu tun hätte, außer neue Bettlaken aufzuziehen. Bis auf das, was wir bis morgen noch dringend brauchen – frische Kleidung, ein paar Badsachen – stehen unsere Koffer schon gepackt in Nocts Zimmer. Noct selbst schläft wieder, eingerollt unter der Decke wie eine große Katze, was Gladio erlaubt, aufzustehen und sich ausgiebig zu strecken.
 

„Mittagessen im Hotel klingt ganz gut“, findet er, „Ignis kocht dann abends vor dem Campen nochmal.“
 

Einmal noch alle durchs Bad gescheucht, Schlafanzüge anziehen, frische Kleidung griffbereit legen und den Rest einpacken. Gladio bringt unsere Taschen schon mal ins Auto, damit wir morgen wirklich bis Mittag schlafen können und dann nur noch die Schlafanzüge in einer Tasche hinterherwerfen müssen. Ich verabschiede mich mental schon mal vom Luxus des Hotels mit seinem Badezimmer, dem warmen Wasser, den wohlriechenden Flüssigseifen und dem Bett zwischen seinen wetterabweisenden Wänden, als ich ein letztes Mal zu Noct unter die warme Decke kriechen darf. Ab morgen gibt es wieder Schlafsäcke… aber immerhin muss dann keiner ins andere Zimmer gehen. Da schlafen wir dann wirklich alle wieder in einem Raum, auch wenn der sehr klein und nur von dünnen Stoffwänden begrenzt ist. Nichts gegen Gladios Luxuszelt, aber ein wenig darf man dem Komfort eines Hotels schon hinterhertrauern, oder?
 

Noct kuschelt sich vertraut an mich, ohne wirklich aufzuwachen. Er ist ganz schön verschmust, jetzt, wo er sich gerade genug bewegen kann um auf einen zuzukriechen und seine Zuneigung zu zeigen. Vielleicht auch etwas, was ich genießen sollte, bis es ihm wieder so gut geht dass ihm sein Stolz im Weg steht. So unnahbar und abweisend Noct oft tut, wenn alles okay ist, sobald es mal ein wenig schwierig wird zeigt er gerne, wie wichtig man ihm ist. Und das war immer schon so, auch wenn es die anderen oft nicht gesehen haben. Wenn man immer nur auf die dunkle Oberfläche eines Sees blickt, sieht man oft nicht, was für Schätze sich auf seinem Grund verbergen… ob das nun eine Truhe voll Gold ist oder ein großer Schwarm glitzernder Fische ist ja im Grunde egal.
 

Ich merke, dass meine Gedanken langsam in Richtung Unsinn abfallen und schließe die Augen. Die ganze Aufbruchsstimmung und die Aufregung vor dem Losfahren machen es nicht leicht, einzuschlafen. Ich bin total zappelig und nervös, egal wie sehr ich versuche, mich Nocts langsamer Atmung anzupassen und mich von seiner Ruhe anstecken zu lassen, ich komme einfach nicht richtig runter. Zitternd nehme ich meinen schlafenden Freund in den Arm und versuche, wirklich nur auf meine Atmung zu achten, wie es der Therapeut empfohlen hat. Dabei habe ich gar keine Angst mehr vor Albtraumen… die Traumfänger sind alle längst in den Koffern im Auto, aber wenn ich Noct im Arm halten kann, fühle ich mich ohnehin sicher. Nein, ich bin nur unruhig, nur zu aufgeregt zum Schlafen. Um mich zu beruhigen streichle ich Nocts Haare, singe leise ein Schlaflied für mich selbst. Es wird schon alles gut werden… morgen sind wir wieder auf der Straße. Nur wir vier und das blöde Zelt, ganz wie früher. Noct geht es wieder halbwegs gut, er erholt sich, wird in Insomnia sicher schnell wieder auf die Beine kommen, wenn Ignis seine Äther-im-Badewasser Idee mit den dortigen Ärzten und Pharmazeuten diskutieren kann. Und das Baby… klar, ich habe immer noch Angst, dass es meins sein könnte, aber jetzt, wo ich den kleinen Zell und seine Freunde gesehen habe… so schlimm wird es schon nicht werden. Nyx und Crowe sind sicher lieb zu dem kleinen Cid, egal wer sein Vater ist. Oder sein Großvater… aber Besithia war ein böser Mensch, weil er sich so entschieden hat, das liegt nicht in den Genen. Das betrifft weder mich noch mein Baby. Außerdem, wenn er schon Cid heißt, kommt er sicher eh mehr nach seinem guten Uropa. Ein wenig stur soll er ja jetzt schon sein, hat Cidney gesagt. Woran man das bei einem so kleinen Baby wohl merkt? Bestimmt schreit er viel… mein Vater, also der Mann, der mich aufgezogen hat, nicht der Idiot, der mich geschaffen hat, hat immer gesagt, ich sei ein stilles Kind gewesen. Nur wenn ich mal geschrien habe, dann gleich richtig. Ich hab ihm und Mama schon manchmal gehörig den Schlaf vermiest… aber das ist okay, weil sie mich trotzdem geliebt haben. Mama, Papa… ich vermisse die beiden. So selten ich sie gesehen habe, ich hab sie trotzdem geliebt. Sie hätten mir bestimmt helfen können, Vertrauen zu fassen, dass ich ein Kind haben kann. Dass es nichts Schlimmes ist.
 

Aber das könnten Noct, Ignis und Gladio sicher auch, wenn ich mich ihnen anvertrauen würde. Noch hab ich ihnen nichts gesagt… nicht mal, dass das Baby schon da ist. Ich weiß einfach nicht wie ich es ansprechen soll, vielleicht habe ich auch Angst, wie sie darauf reagieren. Mit Glückwünschen könnte ich sicher nicht umgehen im Moment.
 

Ich vergrabe mein Gesicht in Nocts Haaren und atme den Seifenduft ein, der darin hängt. Irgendetwas furchtbar feminines, Rosen und Nelken oder so… wir haben einige Badezusätze ausprobiert mit dem Äther zusammen, und generell scheinen es nicht die männlichsten Düfte zu sein, die Noct gerade besonders gut tun. Minze und Limette war wohl noch von allen am besten, glaube ich. Das war das erste, was wir hatten. Aber in jedem Fall tut es Noct auch so schon gut, jeden Tag baden und sich entspannen zu können. Das wird unterwegs sicher auch ausfallen, aber er ist ja jetzt stark genug.
 

Langsam ist es mitten in der Nacht, und ich kann immer noch nicht schlafen. Das Licht der Straßenlaternen flackert vor dem Fenster und auch die Nachtleuchten innerhalb des Raumes wirken weniger hell als sonst. Es ist fast ironisch; bisher ist es mir schwer gefallen, im Hellen zu schlafen, aber jetzt, wo das Licht plötzlich so unstet scheint, bin ich erst recht unruhig. Der Unterschied sind die Siecher. Im Dunkeln können sie agieren… dann sind wir in Gefahr. Aber gerade, als ich aufstehen will, um die Steckdosen zu testen, beruhigt sich das Licht wieder. Ich seufze erleichtert und lasse mich in die Kissen zurücksinken, da gibt es urplötzlich einen lauten Knall und die Tür zu unserem Zimmer landet polternd auf dem Teppich. Ich schrecke auf und starre in die leuchtenden Augen eines unförmigen Roboters. Magitech? Keine Zeit, darüber nachzudenken, da wirft das Ding auch schon einen Kettenarm aus wie eine eiserne Peitsche. Ich schaffe es im letzten Moment so über Noct zu rollen dass ich zwischen ihn und die Tür komme, da habe ich das Ding auch schon im Rücken. Es brennt höllisch, fast fühlt es sich so an, als hätte es mich glatt in zwei Teile gerissen. Aber ich kann meine Beine noch fühlen und mein Körper gehorcht mir, als ich mich aufrapple um Noct besser schützen zu können.
 

„Prompto…“ Ich blicke in Nocts weit aufgerissene Augen und sehe darin blankes Entsetzen.
 

„Mir geht’s gut“, keuche ich, „hast du was abbekommen?“
 

Noct schüttelt langsam den Kopf, seine Augen sind immer noch starr auf mich gerichtet. Er macht sich Sorgen… Sorgen um mich. Weil ihm meine Sicherheit nicht so egal ist, wie sie es sein sollte. Das Magitech-Monster holt zu einem erneuten Schlag aus und ich kneife die Augen zusammen. Der Schlag trifft mich empfindlich, ich kann mir einen lauten Aufschrei nicht verkneifen, als das Metall sich in meine Haut frisst. Da sind Stacheln dran… mir wird schwarz vor Augen. Ich sinke zusammen, spüre Nocts Hände auf meiner Brust als er versucht, mich zu stützen.
 

„Prompto!“ Die panische Stimme ruft mich zurück, ich schüttle den Kopf und reiße mich nochmal zusammen. Ich muss irgendwie an meine Waffe kommen… nein quatsch, ich kann Magie nutzen, ich hab die Waffe praktisch in der Hand. Trotzdem brauche ich irgendeine Ablenkung, um zielen und schießen zu können. In der Zeit hat das Monster längst nochmal ausgeholt. Ich habe es kaum geschafft, mich auf die Unterarme hochzustemmen, da kassiere ich den nächsten Treffer und lande wieder mit dem Gesicht im Kissen. Langsam kann ich kaum noch geradeaus schauen, mir ist beinahe schlecht vor Schmerz. Nocts Worte kommen von weit her als er mich wieder zur Besinnung ruft.
 

Ich reiße mich zusammen und baue mich noch einmal schützend über ihm auf, als ich erneut das Surren der Kettenpeitsche höre. Ich schließe die Augen und beiße die Zähne zusammen, aber der Schlag trifft nicht. Noct hat seine Hände in die Front meines Schlafanzugs gegraben und mich mit in einen Ausweich-Warp gerissen. Mir bleibt fast das Herz stehen vor Schreck. Und natürlich raubt ihm die Anstrengung sofort die wenige Kraft, die er über die letzten Monate gewonnen hat.
 

„Nein“, wimmere ich, als er bewusstlos unter mir zusammensinkt, „Bitte…“
 

Wieder holt das Monster aus. Ich habe nicht die Zeit oder die Kraft, meine Waffe zu heben. Alles, was ich noch tun kann, ist, Noct unter mir zu begraben und mich gerade so weit aufzurichten, dass ich den Angriff von ihm fern halten kann. Aber der Treffer kommt nicht, stattdessen gibt es auf dem Gang einen heftigen Knall. Gladio hat das Monster zu Boden geworfen, ringt mit dem Haufen aus Stahl und Blech wie ein wild gewordener Bär.
 

Ich sammle meine restlichen Kräfte, stemme mich wieder hoch und tätschle Noct die Wange. „Hey… hey! Komm zu dir!“ Noct reagiert kaum, aber seine Augenlider zittern, als wollte er sie öffnen. „Verdammt…“ Dreimal atme ich tief durch und sammle meine verbleibenden Kräfte. Mein Rücken zittert unter der Anstrengung, die Haut brennt, wo die Stacheln meine Haut aufgerissen haben und mein Schlafanzug fühlt sich feucht an. Aber ich kann mich bewegen. Wir müssen hier weg.
 

„Kommt, wir müssen hier raus!“ Ignis steht plötzlich neben dem Bett. Ich habe nicht gesehen, wie er reingekommen ist, aber ich bin froh, dass er da ist. Während ich noch damit beschäftigt bin, mich auf die Beine zu stellen, packt er in einer schnellen Bewegung unsere Kleidung ein, wirft sich die Tasche über die Schulter und hebt Noct auf seine Arme. „Prompto, das Fenster!“
 

Ich strauchle, taumle und schaffe es irgendwie zum Fenster. Einen Moment kämpfe ich mit dem Klebeband an den Hebeln, dann fällt mir ein, dass ich einen dünnen Säbel habe und ich bekomme das Fenster damit auf.
 

„Zum Auto, schnell!“ ruft Ignis mir zu und wirft einen nervösen Blick über die Schulter, vermutlich zu Gladio, der noch immer lautstark mit dem Monster ringt.
 

„Wir sind im dritten Stock!“
 

„Warpen, Prompto!“
 

„Achso, stimmt ja…“ Ich werfe den Säbel in Richtung Boden und warpe mich hinterher. Es ist definitiv ungefährlicher als zu springen, fühlt sich aber genauso miserabel an. Mein Magen übersteht die Tortur nicht. Ich falle auf die Knie und übergebe mich. Spätestens jetzt ist mein Schlafanzug ruiniert, hinten vollgesogen mit Blut, vorne… naja. Aber zum Umziehen bleibt keine Zeit, wir müssen zum Auto. Zitternd komme ich auf die Füße. Das Bild vor meinen Augen ist verschwommen, aber ich kann mich orientieren. Ignis‘ Dolch schlägt neben mir in den Boden und kurze Zeit später landet Ignis genau dort. Er hat den bewusstlosen Noct in den Armen und mir fällt erst dadurch wieder auf, wie groß und kräftig Ignis eigentlich ist. Neben Gladio wirkt er manchmal geradezu zierlich, aber das täuscht.
 

Zusammen eilen wir hinunter zu den Parkplätzen. Der Weg ist weit und wir kommen nur langsam voran, ich, weil ich kaum geradeaus laufen kann, Ignis, weil er Noct tragen muss. Aber wir erreichen das Auto. „Du fährst“, bestimmt Ignis und wirft mir den Schlüssel zu. Er legt Noct vorsichtig auf der Rückbank ab und klettert hinterher, um ihn auf dem mittleren Platz anzuschnallen. Er selbst setzt sich daneben, ebenfalls angeschnallt, und hält Noct fest. „Los jetzt!“
 

„Was ist mit Gladio?“ wende ich ein, lasse mich aber zitternd auf den Fahrersitz sinken und fummle mit dem Schlüssel in der Zündung herum. Meine Hände zittern so sehr, dass ich ihn kaum hineinstecken kann, aber letztlich gelingt es mir sogar, ihn herumzudrehen. Ich fühle mich schwach und zittrig.
 

„Fahr los, er holt uns schon ein.“
 

Ich lege den Gang ein und trete aufs Gas, der Regalia macht sofort einen Ruck rückwärts. Gerade noch rechtzeitig erwische ich die Bremse, bevor ich mit der Mauer kollidiere. Ich winsle gequält, greife nach der Gangschaltung und ruckle daran, bis ich den richtigen Gang finde, dann trete ich nochmal aufs Gas und schieße vorwärts aus der Parklücke. Noch bevor ich ganz auf der Hauptstraße bin holt Gladio uns ein. „Weiterfahren“, brüllt er, packt die hintere Tür und schwingt sich in den Wagen. Das Monster galoppiert laut scheppernd hinter ihm her, erwischt ihn aber nur noch mit dem äußersten Ende seiner Kettenpeitsche, als ich mit durchdrehenden Reifen und brüllendem Motor aus der Stadt rase.
 

Leider verschafft mir das nur einen kleinen Vorsprung, denn auch unser Gegner hat Räder. Aus dicken Rohren bläst er Rauch und Feuer, seine Laseraugen fixieren das Heck unseres Autos. Schießen scheint er nicht zu können, aber die Kettenpeitsche hat eine enorme Reichweite. Gladio kämpft sich mit einiger Schwierigkeit in seinen Sitz, legt den Gurt an und hilft Ignis, Noct aufrecht festzuhalten. Ich schließe das Dach, schalte hoch und trete weiter das Gaspedal durch.
 

Die Stadt liegt schnell hinter uns. Natürlich bin ich zum falschen Ende raus gefahren in der Eile, weiter nach Westen. Richtung Coernix oder Ravathoga… weiter weg von zu Hause. Aber dafür habe ich jetzt keinen Kopf, ich kann mich kaum genug konzentrieren, gerade der Straße zu folgen. Das Bild vor meinen Augen schwimmt, ist abwechselnd unscharf und verzerrt. Auch der Ton kommt wie aus einem kaputten Radio in mein Gehirn. Trotzdem kann ich weitere Motoren hören. Der grelle Lichtschein unserer Scheinwerfer fällt immer öfter auf einzelne Magitech Soldaten oder größere Mechs. Letzteren muss ich ausweichen. Das Lenkrad zittert in meinen Händen, als ich mit jedem Schlenker aufs Neue darum kämpfe, die Kontrolle über den schweren Wagen zu halten. Mehr als einmal ist die Leitplanke alles, was mich noch auf der Straße hält. Aber der Regalia hält stand. Der Motor brüllt wütend, das Metall kreischt, wo immer ich anecke. Leitplanke, Steine, Magitechmechs, auch der ein oder andere Siecher poltern gegen das Auto, rasen viel zu knapp vorbei oder fliegen sogar direkt über das Dach. Ich kann das Lenkrad kaum noch halten.
 

„Weiter, Prompto, das werden immer mehr!“
 

Gladios Warnung kommt nicht unerwartet, ich habe im Rückspiegel schon gesehen, dass das kettenpeitschende Monster aus Lestallum jetzt von zwei ähnlichen Modellen flankiert wird. Die anderen Magitech und Mechs scheinen von der gleichen Partei kontrolliert zu werden, immer mehr habe ich den Eindruck, dass sie zusammenarbeiten, uns hetzen wie ein Rudel Wölfe den fleischigen Hirsch. Immer weiter, immer weiter, bis der Hirsch einen Fehler macht oder kraftlos zusammensinkt.
 

Und das wird bald sein. Ich kann kaum geradeaus schauen, meine Ohren klingeln, mir ist eisig kalt und mein Rücken brennt wie Feuer. Mir ist schwindlig. Plötzlich ertönt ein leises Pling; es dauert einen Moment, bis meine Augen das Armaturenbrett scharf stellen können und bevor ich das Lämpchen erkennen kann, krache ich irgendwo dagegen und muss mich wieder auf die Straße konzentrieren. Der Wagen schlingert gefährlich und eine Herde Anak nimmt eilig Reißaus, als ich quer über die Wiese schlittere bis ich wieder auf die geteerte Straße zurückfinde. Das Licht auf dem Armaturenbrett blinkt jetzt.
 

„Sag mir nicht das ist der Tank…“, höre ich Ignis von hinten und er hat Recht. Es ist der verdammte Tank, und er ist verdammt leer. In mir brodelt die Verzweiflung hoch. Es ist mitten in der Nacht, und selbst wenn die Sonne aufgeht, hätten wir immer noch die Magitech am Hals. Langsam verändert sich das Geräusch des Motors. Es gluckert und stockt, bald können wir nur noch rollen. Wir sind am Arsch. Ich atme tief durch. Ich muss etwas tun.
 

„Ignis, hast du mein Handy?“, frage ich ohne mich umzudrehen.
 

„Lag bei deiner Kleidung, hab ich eingesteckt, ja.“
 

„Kannst du es mit dem Auto verbinden?“
 

Ignis kann, ich höre das angenehme Ping, als der Regalia mein Handy erkennt und akzeptiert.
 

„Telefon“, sage ich, so klar und deutlich ich kann. Ein weiterer Mech stellt sich mir in den Weg, ich weiche aus, wie in Trance. Wie in einem Videospiel… einfach nicht an echte Konsequenzen denken, nur fahren. Ich bin inzwischen fast blind, mir ist schwindlig und meine Ohren dröhnen. Durchhalten…
 

„Telefon aktiviert“, flötet eine mechanische Stimme.
 

„Ruf Nemo an.“ Die Worte kosten mich Überwindung, aber in der Not… in der Not muss man nehmen, was man bekommen kann.
 

„Rufe Nemo an“, wiederholt die Stimme. Es tutet, dann kann ich Nemos knurrige Stimme hören. Es klingt etwas verzerrt über den Lautsprecher, ich kann kaum verstehen, was er sagt. Ist mir auch egal.
 

„Nemo, ich brauch Hilfe“, wimmere ich und hoffe, dass er mich besser verstehen kann als ich ihn, „Wir sind auf der Straße… ich glaub irgendwo Richtung Vulkan, keine Ahnung. Mit dem Regalia. Ich… wir werden verfolgt, und… und der Tank…“ der Motor gibt ein letztes verzweifeltes Stottern von sich, ab jetzt ist es nur noch die Trägkeit der Physik, die den Wagen vorwärts rollen lässt. Lasst die Straße bitte abschüssig sein… bitte, lasst uns noch eine Weile bergab fahren. Oh ihr Götter… „Ich will noch nicht streben.“
 

Ich kann Nemos Stimme über den Lautsprecher hören, lauter jetzt, energisch. Seine Worte verstehe ich nicht, es klingt wie eine fremde Sprache. Hat Niflheim eine eigene Sprache? Einen Dialekt sicher, so viel weiß ich, aber bisher habe ich jeden von dort verstanden. Die Straße verschwimmt vor meinen Augen. Noch immer trete ich wie besessen aufs Gaspedal, aber der Motor ist still. Umso lauter höre ich jetzt das Surren der Magitechkerne, die donnernden Maschinen aus Niflheim, das Wummern eines Luftschiffs, das direkt über uns seine Laderampe öffnet. Metall kracht auf den Boden, kreischt, als es über den Teer scharrt. Vor mir ist Licht… jede Menge Licht und das Aufblitzen schwerer Maschinerie. Kanonen feuern, rechts und links neben uns zerreißen Explosionen die angreifenden Roboter. Der Regalia rollt weiter, so schnell noch dass er es die Laderampe hinauf schafft, wo ihn mehrere Männer mit großen Haken in Empfang nehmen und das Auto im Bauch des Luftschiffes festgurten. Die Luke schließt sich, wir heben ab. Mir wird jetzt erst klar, in welche Lage ich uns gebracht habe.
 

„Nemo…“, wimmere ich.
 

Kapitän Nemo steht in voller Uniform neben den Wagen, sein gutes Auge ist starr auf mich gerichtet, als seine Soldaten uns mit den Waffen im Anschlag in Empfang nehmen. Ich werfe einen ängstlichen Blick in den Rückspiegel. Gladio hat Nocts leblosen Körper eng an sich gezogen, Ignis blickt angespannt aus dem Fenster. Mir ist schlecht, ich muss mich am Lenkrad festhalten, um nicht bewusstlos umzukippen. „Es tut mir Leid“, flüstere ich, „Bitte…“
 

Die Fahrertür wird aufgerissen. Ferrum, wie Spero und ich einer der ältesten Klone, packt mich unter den Armen und hebt mich aus dem Sitz. Er ist einer der Fechter, vielleicht von Natur aus stärker, vielleicht auch einfach besser trainiert als ich, aber in jedem Fall eine imposante Erscheinung. Seine Haare sind militärisch kurzgeschoren, sein Blick ist streng und wie Nemo sieht er eigentlich immer wütend aus. Ich will mich wehren gegen seinen Griff, aber ich bin zu schwach.
 

„Nein, bitte… bitte tut meinen Freunden nichts…“, flehe ich, aber meine Stimme ist schwach. Ein weiterer Soldat kommt dazu und hilft Ferrum, mich vom Wagen wegzuzerren. Ich strample, versuche, mich zu meinen Freunden umzudrehen, kann über meine Schulter gerade so sehen wie Ignis mit erhobenen Händen aussteigt. Seine Lippen bewegen sich, aber ich kann nicht verstehen, was er sagt. „Bitte… bitte tut ihnen nichts…“ Mein Rücken brennt und ich muss mich wieder nach vorne drehen, um dem Schmerz auszuweichen. Erneut rebelliert mein Magen, aber diesmal kommt nicht so viel heraus. Ich kann den Soldat zu meiner Rechten angewidert stöhnen hören, sein Griff lockert sich einen Moment, als das Erbrochene über seine Finger läuft. Eine Chance zu fliehen, aber ich nutze sie nur, um kraftlos zu Boden zu sinken. „Pass doch auf, Mann“, rügt Ferrum und hilft seinem Bruder, mich wieder auf die Beine zu ziehen.
 

Weg vom Regalia. Weg von meinen Freunden.
 

Bitte tut ihnen nichts… ich wollte doch uns alle retten, nicht nur mich selbst. Ich wollte nur einmal etwas richtig machen. Aber ich bin nutzlos. Ein schwacher Bodyguard, ein mieser Autofahrer, und ganz bestimmt kein guter Stratege.
 

Wieso musste ich auch ausgerechnet Nemo rufen? Wieso ausgerechnet einen erklärten Feind? Haben wir denn keine Freunde, die uns hätten helfen können? Hätte ich die Situation nicht irgendwie selbst bewältigen können?
 

Warum… warum nur musste ich uns ausgerechnet ihm in die Hände spielen?
 

Gerade jetzt, wo es Noct wieder schlecht geht. Wo er so hilflos ist…
 

Auch das ist meine Schuld. Weil er mich beschützen wollte hat er wieder Magie eingesetzt. Zu früh, zu viel. Weil ich ihn nicht beschützen konnte.
 

Ich bin so ein Versager.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sargeras
2019-02-26T22:25:54+00:00 26.02.2019 23:25
Hmm... das Mittel schlägt im Anschluss also nicht mehr so sehr an. Das klingt zunächst logisch, nach einem schnellen start ebben Heileffekte oft ab. Oder es war die genaue konstellation in der Wanne. Vielleicht sollten Sie immer Prompto durch die kalte Nacht hetzen und dann mit Noct in die Wanne steigen lassen :P
Aber trotzdem toll das es endlich weiter geht.
Das Treffen mit Edea und Cid finde ich besonders schön, allerdings frage ich mich schon wer der 'Gönner' der Familie ist. Normalerweise würde ich die Sache ja abtun als Fanservice aber vielleicht hängt ja doch noch mehr dahinter. Auch finde ich die Erläuterung schön, das eine Familie einem Kraft gibt zu kämpfen. Hach... wie gerne hätte ich die Hexe Edea erlebt wie sie beim stürmen des Bunkers hilft, gedeckt von ihrem 'Ritter'. Cid mag dicklich sein, aber das ist kein Grund es nicht trotzdem drauf zu haben. Aber gut, weiter im Text...
....
....
WAS?!
Die werden mitten in der Nacht und auch noch mitten in Lestallum angegriffen? Das ist... das ist eine Unverschämtheit! Aber warum ausgerechnet dann? Hat jemand mitbekommen das es Noct langsam wieder besser geht? Gab es einen Spion im Hotel? Ist doch sehr auffällig oder?
Und dann auch noch so einen miesen Machina. Die kann man nicht ohne Ressourcen bauen, dazu benötigt man nicht nur Geld, sondern auch die nötigen Fertigungshallen. Das schreit irgendwie nach den alten Kanzlern, die gehörten doch alle zu den gut betuchten und Industriellen.
Oje mein Puls ist sonstwo beim lesen. Das ist schlimmer wie die Flucht in FF 7 aus dem Shinra Tower mit dem Motorrad. Und schließlich ist es ausgerechnet Nemo der auch noch zur Rettung eilt. Zum Schluss muss ich dennoch den Kopf schütteln. Nemo müsste es eigentlich besser wissen und Prompto nicht vom Rest der Truppe trennen. Er weiß doch wie er darauf reagiert. Na ja, wollen mal sehen was das nächste Kapitel bringt.

Antwort von:  SoraNoRyu
27.02.2019 19:24
Gute Ideen was das Heilmittel angeht, aber ich glaube kaum, dass irgendjemand den Vorschlag wagen würde, Prompto rein auf Verdacht nochmal tiefzukühlen :P Der arme Kerl hat genug durchgemacht und die Ärzte in Insomnia haben sicher bessere Ideen.

Der 'Gönner' des Waisenhauses möchte gerne anonym bleiben - Ich denke, es ist Laguna, der - villeicht oder vielleicht auch nicht - Vater eines der Kinder in Edeas Pflege ist. Persönlicher headcanon *hust*. Leider ist Edea hier keine Hexe, auch wenn mir die Idee gefällt dass sie früher eine Gleve war und Magie ihr zumindest nicht fremd ist. Sie hätte sicher geholfen, den Bunker zu stürmen, in dem Zell gefangen war, aber Cid wäre wohl zurückgeblieben um auf die restlichen Kinder aufzupassen. Sieben Kids um die Zehn Jahre... die lässt man lieber nicht unbeaufsichtigt, sonst fehlen nachher noch mehr.

Es... kann eventuell sein das jemand mitbekommen hat, dass es Noct wieder besser geht, ja. Die Gruppe war nicht mehr sehr vorsichtig und hat nicht mehr daran gedacht, dass jemand Einwände gegen Nocts unerwartete Genesung haben könnte. Oder genug dreistigkeit, mitten im Leville anzugreifen.


Zurück