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Nicht gesucht, aber gefunden

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Feldwache von Afgha


 

๑⊱☆⊰๑
 

Es kam, wie es kommen musste. Auf ihrem beschwerlichen Weg durch die Sahara waren sie alle drei in der Nacht vor Erschöpfung zusammengebrochen. Was keiner der Drei wusste, war, dass Struppi die ganze Zeit nach Hilfe gebellt hatte. Unermüdlich hatte der weiße Fox Terrier an ihrer Seite gewacht und immer wieder hinaus in die kühle, sternenklare Nacht gebellt und gejault.

Fortuna war ihnen hold, denn sie wurden von einem Trupp Soldaten gefunden und zur Feldwache von Afgha gebracht. Dort wurden sie mit Wasser notversorgt und zu ihren Betten in der Krankenstation gebracht, damit sie sich dort erholen konnten.
 

๑⊱☆⊰๑
 

Am zweiten Morgen war Tim schon wieder putzmunter und fühlte sich kräftig genug, um das Bett zu verlassen. Was auch kein Wunder war, denn er hatte den letzten Tag komplett durchgeschlafen. Die ausgiebige Dusche im Anschluss empfand er als mehr als nur wohltuend, da sie nach dem Marsch durch die Sahara nicht nur den Sand wegspülte, sondern auch herrlich kühl war. Freundlicherweise hatte man sich um seine Kleidung gekümmert, die nun wieder frisch und sauber war. Als Übergang hatte man ihm ein Krankenhausleibchen zur Verfügung gestellt, damit er nicht gänzlich nackt war. Großzügig, wie Tim empfand. Die Soldaten und der hiesige Kommandant hatten sich wirklich gut um ihn gekümmert, was keine Selbstverständlichkeit war. Etwas das Tim nur zu genau wusste. Immerhin hatte er schon oft das unangenehme Vergnügen gehabt in Fremdenlegionen aufgenommen und dort schlussendlich, wie Abschaum behandelt worden zu sein.

Seinen treuen Struppi hatte er ebenfalls eine kühle und wohltuende Dusche zugutekommen lassen, denn sein strahlendweises Fell war sehr schmutzig geworden. Nun jedoch strahlte sein Hund und war sichtlich glücklich wieder sauber zu sein.

Schließlich hatte er sich seine frische Kleidung angezogen und das Frühstück verspeist, welches er sich in der Kantine geholt hatte. Suchend hatte er sich während des Frühstücks umgesehen und hoffte Haddock oder dessen Tochter zusehen. Am liebsten Beide, doch er erblickte keinen der Beiden. Er musste gestehen, dass er das Bett verlassen hatte, ohne nach ihr oder ihrem Vater gesehen zu haben, weshalb er eigentlich gar keine Ahnung hatte wie es ihnen ging. Ein egoistischer Zug, der sich durch seine einsamen Reisen, dessen einzige Begleitung Struppi war, bei ihm eingeschlichen hatte. Für diesen er sich in diesem Moment sogar ein bisschen schämte.

Tims Gedanken schweiften ab und er dachte über Haddocks Geschichte nach, wobei er zu hoffen begann, dass es ihm heute ebenfalls schon besser ging. Er musste unbedingt mit dem Kapitän darüber reden und herausfinden, wie die Geschichte von Ritter Franz von Hadoque auf der Einhorn weiterging. Seine Erinnerungen waren der Schlüssel zu dem ganzen Geheimnis und nur mit diesem Wissen würden sie in der Lage sein Sakharine aufzuhalten.
 

๑⊱☆⊰๑
 

Nach dem Frühstück hatte Tim zusammen mit Struppi die Kantine verlassen und machte sich auf den Weg zum Kapitän. Er hoffte, dass dieser bereits wach war und sie über seinen gestrigen Erinnerungsschub sprechen könnten. Plötzlich erschien vor seinem geistigen Auge das Antlitz dessen Tochter und Erinnerungen flackerten in ihm auf, wie sie in der Sahara stand und der heiße Wind lieblich ihr Haar und Kleid wog. Sein Herz begann ein wenig schneller zu schlagen, während die Erinnerungen vom Traum, der letzten Nacht, zu ihm zurückkehrten.

Sie waren verschwommen und nicht klar zu deuten, doch an eines erinnerte er sich sehr genau, als hätte er es tatsächlich erlebt. Im Traum hatte er Christin eng in seinen Armen gehalten, während er von ihren vollen, rötlichen Lippen gekostet hatte. Ein kleines Schmunzeln zierte seine feinen Gesichtszüge, denn er musste sich eingestehen, dass die Vorstellung, ihre Lippen mit Seinen zu verschließen, wirklich schön war.

Tim fühlte wie ihm bei seinen Erinnerungen ein warmer und angenehmer Schauer über den Rücken floss und sein Herz kräftiger in seiner Brust schlug. Es war so eigenartig und vollkommen neu, dies zu fühlen. Nie zuvor hatte es eine Frau geschafft ihn dermaßen fühlen zu lassen und ihm zu imponieren. Christin jedoch schaffte dies ohne Weiteres. Ganz allein durch ihre Anwesenheit, ihrer anmutigen Schönheit und ihrem eigenwilligen, starken Charakter, war es ihr gelungen den Reporter für sich zu gewinnen. Vor allem innerhalb von nicht einmal 72 Stunden.

Schließlich blieb Tim stehen, sah sich auf dem großen Hof um und beobachtete, wie gerade eine Patrouille zurück zur Feldwache kam. Seine blauen Augen glitten suchend über das Feldlager hinweg, da er eine ganz bestimmte Person suchte. Doch anstatt seiner Priorität darauf zu legen Leutnant Delcour zu finden, um ihn zu fragen, wie es dem Kapitän ging, hoffte er vor allem darauf Christin zu entdecken.

Plötzlich bellte Struppi neben ihm auf und rannte davon. Erschrocken drehte Tim sich um und sah seinem Fox Terrier hinterher. Gerade wollte er ihn zur Ordnung rufen, doch schloss er seinen Mund wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Tim entspannte sich wieder, atmete auf und musste schließlich lächeln, als er Christin erblickte. Sie hatte gerade die Schleife ihres Hüftbandes gebunden, als Struppi bei ihr ankam.

Voller Freude und Zuneigung im Gesicht hockte sie sich zu dem fröhlichen, weißen Hund und streichelte liebevoll über seinen Kopf sowie dessen Rücken. Ganz offensichtlich hatte sein Hund sie bereits sehr ins Herz geschlossen und auch sie schien ihn lieb gewonnen zu haben. Ein Anblick, der ihm ganz warm ums Herz werden ließ. Für einige Herzschläge nahm er nichts weiter wahr, außer diese Beiden. Ihr Anblick strahlte so viel Sanftheit, inmitten dieser harten und militärischen Umgebung, aus.

Kurz nach dieser freudigen Begrüßung löste Struppi sich von Haddocks Tochter und rannte freudig bellend zu Tim zurück. Als Christin sich erhob und Tim ins Gesicht sah, schenkte sie ihm ein freundliches Lächeln und kam auf ihn zu. Tim musste dabei feststellen, dass sein Herz erneut begann schneller zu schlagen.

„Guten Morgen, Tim.“, begrüßte sie ihn in einem ungewohnt sanften Ton, blieb vor ihm stehen und strich sich eine ihrer widerspenstigen Strähnen hinters Ohr. Der Reporter erwiderte ihren sanften Gruß, musterte sie kurz von Kopf bis Fuß und fügte hinzu: „Es freut mich zusehen, dass du wieder bei Kräften bist.“ Sie konnte diesen Worten nur zustimmen und diese ebenso aufrichtig zurückgeben, woraufhin Tims Herz einen kleinen Hüpfer machte. Er hatte das Gefühl, dass ihr Verhältnis sich, seit der Flucht von der Karaboudjan, gebessert hatte. Hoffentlich täuschte er sich nicht.

Nun deutete er leicht hinter sich. „Ich war auf dem Weg, um nach Leutnant Delcour zu suchen. Ich hatte gehofft, dass er mir etwas über den Zustand deines Vaters sagen könnte. Möchtest du mitkommen?“ Auf seine Frage hin nickte Christin zustimmend. „Gerne, Papa wirkte heute Morgen sehr wunderlich. Es ist vermutlich nicht verkehrt einmal nachzufragen.“ Dies machte Tim nicht unbedingt Mut, da er eigentlich hoffte, dass Haddock wieder fit war. Dem Blick Haddocks Tochter nach zu urteilen, bereitete sein Zustand ihr jedoch Sorgen. Anschließend sah sie sich nun kurz um und deutete schließlich in eine Richtung. „Dort ist der Leutnant.“

Ohne auf Tim zu warten, lief sie los, bahnte sich einen Weg durch einige Soldatengruppen und erreichte ihn nach wenigen Momenten. Der Reporter war ihr zusammen mit Struppi rasch gefolgt und lief nun neben dem Leutnant her, welcher ziemlich geschäftig wirkte. Der große Mann hatte sich gerade seine Pfeife angezündet, als die Beiden und Struppi bei ihm ankamen. Nach einer kurzen Begrüßung und einem herzlichen Dank für die Rettung der Drei samt Struppi, fragte Tim ihn nun: „Wie geht es meinem Freund? Kapitän Haddock.“

Delcour lachte leise auf und winkte schließlich bei ihrer Danksagung ab. „Das war Ehrensache. Ich bin gerade auf dem Weg zu ihm, um nach ihm zusehen. Vielleicht möchten Sie Beide ja gern mitkommen?“ Wie aus einem Mund hatten Tim und Christin mit ‚Ja‘ geantwortet, woraufhin sie einen kurzen Blick tauschten. Im Anschluss gingen sie über das Gelände zur Krankenstation.

Bevor der Leutnant die Tür jedoch öffnete, klärte er die Beiden darüber auf das Haddock einen verwirrten Eindruck machte und der Arzt, der vor wenigen Minuten bei ihm war, davon ausging das er im Delirium war. Auf diese Auskunft hin hatten Tim und Christin nur einen weiteren, wenn auch weitaus besorgteren, Blick miteinander getauscht. Das klang gar nicht gut. Die Sahara musste Haddock mehr als gedacht zugesetzt haben.

Schlussendlich betrat Delcour mit den zwei Soldaten, die vor der Krankenstation Wache gehalten hatten, eben diese. Delcour sah Haddock fröhlich, geduscht und offensichtlich gut bei Kräften auf dem Bett sitzen und ein Glas mit klarer Flüssigkeit in der Hand haltend.

„Ah, Haddock. Sie sind wieder wach, sehr gut. Ich habe hier Zwei die Sie gerne sehen würden.“, verkündete der Leutnant freudig, paffte an seiner Pfeife und ließ Tim, Christin und auch Struppi in die Krankenstation eintreten. „Hallo Kapitän.“, begrüßte Tim diesen höflich, woraufhin dieser erst ihn, dann Christin und zu guter Letzt den Fox Terrier verwirrt musterte. Im Anschluss schüttelte Haddock bestimmend den Kopf und meinte höflich zu den Beiden: „Oh, ich glaube ihr Zwei habt euch in der Tür geirrt.“

Erneut tauschten Tim und Christin einen alarmierten Blick, ehe sie fragend zu Delcour schauten. Der Leutnant hingegen stand mit ruhigem Gesichtsausdruck daneben, strich sich durch seinen kurzen, kupferfarbenen Bart und zuckte etwas ratlos mit den Schultern.

Es half alles nichts, Tim musste mit ihm reden und versuchen die Wahrheit zu erfahren. Er machte sich dabei auf ein sehr langes Gespräch gefasst. Wobei er hauptsächlich dabei sein würde ihm zu erklären, wer er war und was sie bisher erlebt hatten. Keine rosigen Aussichten, doch da musste der Reporter nun durch. Vielleicht würde Christin ihm dabei eine große Hilfe sein. Immerhin war sie Haddocks Tochter und diese würde er ja wohl kaum vergessen haben, oder?

„Kapitän. Ich bin’s. Tim. Erinnern Sie sich nicht an unseren Flugzeugabsturz in der Sahara?“, erkundigte sich der Reporter ein wenig betrübt, während er zu Haddock ans Bett trat. Struppi, Christin und auch der Leutnant waren nähergetreten, während ihre Blicke auf dem Kapitän ruhten.

„Oh, nein. Nein. Sie müssen mich verwechseln, junger Mann. Ich bin Seemann und reise ausschließlich per Schiff.“, antwortete der Kapitän mit einem Schmunzeln im Gesicht und wandte seinen Blick seiner Tochter zu. Diese stand mit besorgtem Blick und vor den Brüsten verschränkten Armen vor dem Bett. „Und Sie sind… wer?“, wollte er nun höflich von Christin wissen. Tim bemerkte, wie ihr Gesichtsausdruck mürrischer wurde und sie leicht schnauben musste. Eindeutig war in ihrem Gesicht zu lesen, dass ihr die Situation schon jetzt auf die Nerven ging und seine augenscheinliche Amnesie sie sogar verletzte.

„Auch wenn du Tim vergessen hast, aber an mich wirst du dich doch wohl noch erinnern.“ Musternd und den Mund zu einer nachdenklichen Schnute verzogen ließ Haddock seine Iriden über ihr Gesicht und ihren Körper wandern. Kurz darauf lachte er peinlich berührt auf und schüttelte den Kopf. „Hmmm, nein. Tut mir leid, aber Sie kommen mir kein bisschen bekannt vor, Fräulein.“

„Ich bin deine Tochter; Christin. Hagel und Granaten.“ Diese Worte warf sie Haddock relativ schroff an den Kopf, wobei ihre Augenbraue sich gefährlich hob und sie ihn dabei mit erwartungsvollem Blick ansah. Hoffnung stieg in Tim auf, als der Kapitän sie plötzlich ansah, als würde er sich nun doch endlich erinnern. Er öffnete sogar leicht den Mund und schien sich gerade an sein einziges Kind und all die Erlebnisse zu erinnern. „Christin…“, gab er glücklich von sich und entlockte seiner Tochter damit nun ein hoffnungsvolles Lächeln und eifriges Nicken. Selbst ihre angespannte Körperhaltung lockerte sich daraufhin.

„Das ist jedoch völlig unmöglich, meine Dame. Da meine Tochter gerade erst fünf Jahre alt ist.“, korrigierte der Kapitän sie schließlich noch immer schmunzelnd und nahm im Anschluss einen Schluck aus dem Glas. Christin hingegen verlor sichtlich jede Hoffnung und das Lächeln wurde gänzlich aus ihrem Gesicht gewischt. Ihr Blick war starr geworden, während sich Entsetzen auf ihren feinen Gesichtszügen widerspiegelte. Einige Male blinzelte sie ihn wortlos an, ehe ihre Miene nur wenige Atemzüge später wieder puren Missmut ausstrahlte. Entnervt rieb sie sich mit der Hand über eine ihrer Gesichtshälften und murmelte mehr zu sich als zu den anderen: „Tausend jaulende Höllenhunde, ich bekomm noch einen Anfall mit ihm.“

Der Kapitän blendete offensichtlich nun seinen Besuch vollkommen aus, wandte sich stattdessen dem Leutnant zu und erkundigte sich voller Neugier bei ihm: „Sagen Sie, Leutnant. Was ist das für eine merkwürdige Flüssigkeit, so ganz ohne Bouquet und vollkommen transparent?“ Ein leises Lachen verließ des Leutnants Kehle und er antwortete ihm schließlich ein wenig irritiert: „Nun, das ist Wasser.“

„Woah, Sachen gibt’s, die gibt‘s gar nicht.“ Verblüfft sah Haddock auf das Glas in seiner Hand und nahm sofort noch einen Schluck aus diesem. Ein wenig peinlich berührt wandte sich Delcour nun an Tim und Christin und strich sich mit der Hand durch sein kurzes hellbraunes Haar. „Wir vermuten er hat eine Gehirnerschütterung… einen Hitzschlag. Auf jeden Fall ist er im Delirium.“

Wie verabredet sprachen Tim und Christin entnervt im Chor: „Er ist bloß nüchtern.“ Mit dieser Antwort hatte Delcour offenbar nicht gerechnet, denn sein Blick wurde ganz verwundert. Schließlich beäugte er den Kapitän prüfend und paffte ein wenig an seiner Pfeife.

Nun reichte es Tim jedoch. Sie hatten genug Zeit vergeudet und er ging davon aus, dass Sakharine ihnen nicht nur dicht auf den Fersen, sondern kurz vor Bagghar war. So nahm er dem Kapitän das Glas Wasser aus der Hand, stellte es zurück auf das Tablett, welches auf dem Nachtschränkchen stand, nahm sich einen Stuhl und setzte sich dicht zu ihm ans Bett. Mit fragendem Blick betrachtete Haddock den Reporter und schien ihm sogar aufmerksam zuzuhören, als dieser seine warme Stimme anhob. „Als wir in der Wüste, nach unserem Flugzeugabsturz, unterwegs waren, erzählten Sie uns von Ritter Franz. Sie sprachen davon, was damals auf der Einhorn passiert war und-“

Plötzlich unterbrach der Kapitän ihn, sah ein wenig grimmig drein und wiederholte ernst den Namen des Schiffes. Schlagartig änderte sich sein Gesichtsausdruck wieder und er wurde ganz träumerisch. „Einhorn. Das Wesen aus dem Märchenträume entsteht.“

„Nein, das Schiff. Oh, bitte versuchen Sie sich doch zu erinnern, Kapitän. Es sind Leben in Gefahr.“, kam es verzweifelt von Tim, als er versuchte den Kapitän dazu zu bringen sich zu erinnern. Aber offenbar brachte das überhaupt nichts, denn Haddock war in seiner Amnesie vollkommen gefangen. Vielleicht würde es Tage oder Wochen dauern, bis er sein Gedächtnis vollständig zurückhatte. Eine Zeitspanne, die ihnen nicht zur Verfügung stand. Sachte klopfte Christin dem Reporter die Schulter, als wollte sie ihm sagen, dass es auf diesem Wege nichts brachte.

Mit einem Mal griff sich der Kapitän an die Kehle, hustete entsetzlich und stellte eine kleine Flasche mit medizinischem Alkohol auf den Nachtschrank zurück. Tim war ganz erschrocken, erhob sich daraufhin und wollte Haddock irgendwie helfen, als er seinen Hund am Nachtschrank sah. Es dämmerte ihm schlagartig was Struppi getan hatte. Der Fox Terrier schien eine Flasche mit Alkohol und das Wasserglas vertauscht zu haben, indem er ihm diese hinhielt, als der Kapitän blind nach dem Glas greifen wollte.

„Wir sollten jetzt besser den Raum verlassen.“, sagte Christin freundlich lächelnd in die Runde und begann den Leutnant und die Soldaten in Richtung Nebenraum zu scheuchen. Diese blickten nur fragend zu der jungen Frau, doch nahmen sie den Rat von dieser anschließend anstandslos an. Mit Nachdruck pflichtete Tim Haddocks Tochter bei und hob seinen Fox Terrier auf die Arme, als der Kapitän sein Gesicht voller Wut verzerrte und zu schreien begann. In diesem Moment blickten die Soldaten und Delcour entgeistert auf und huschten in den angesteuerten Raum.

Sollte Haddock sich ruhig austoben. Dabei würde keiner zu Schaden kommen, da alle betreffenden Personen sich im Nebenraum eingefunden hatten. Es schien nämlich so, als könnte ihn im Moment absolut nichts beruhigen.

Gerade entließ Tim Struppi aus seinen Armen, als der Kapitän durch die dünne Holztür polterte und nach dem nächstbesten Säbel griff, den er finden konnte. Tim und Christin wurden bei Haddocks Aktion rücksichtslos zu Boden geschubst, wobei sie unsanft auf dem harten Dielenboden aufkamen. Der Reporter richtete sich überrumpelt auf, bot anschließend Christin seine Hand an und half ihr so auf die Beine. Ihre Hand haltend, wobei ihre Finger sich um seine Hand geschlossen hatten, und schockiert zu dem Kapitän blickend, stellte Tim fasziniert fest, dass der Alkohol der Schlüssel war, um seine Erinnerungen zurückzuholen. So etwas hatte er wahrlich noch nie erlebt.

Die beiden Soldaten richteten angespannt ihre Waffen auf ihn, doch Tim und der Leutnant schalteten schnell und hielten sie mit einer Handbewegung davon ab. Kurz tauschten die Zwei einen zweifelnden Blick miteinander und senkten schließlich widerwillig ihre Waffen. Der Kapitän schlug mit dem Säbel hin und her, zerdepperte dabei eine Lampe und schrie, wie ein Wilder: „Zeig dich, wenn du dich traust!“

Noch immer hatte Tim die Hand von Haddocks Tochter gehalten, doch sie zog diese nun langsam zurück. Ein sanftes Streicheln ihres Daumens über seinen Handrücken, diente als Entschuldigung für ihr Entziehen. Sofort sah der Reporter mit geweiteten Augen zu ihr. In ihrem ernsten Blick lag Ruhe und dennoch funkelten ihre rehbraunen Augen vor wilder Entschlossenheit. Verwirrt sah er ihr nach, als sie sich einige Schritte von ihm entfernte. Wortlos beobachtete Tim wie sie sich den Säbel eines der Soldaten bevollmächtigte und auf den Schreibtisch zuging, auf dem ihr Vater mittlerweile in Kampfhaltung stand.

„Hier bin ich.“ Erklang ihre sanfte Stimme, die mit einem Mal hart und unerbittlich klang, woraufhin Tim eine Gänsehaut bekam. Es war beeindruckend zuzusehen, wie sich Haddocks Tochter in eine entschlossene Kämpferin verwandelte und damit in diesem Moment jede Sanftheit ihres Wesens übertünchte.

„Kämpfe.“ Christin hob ihm in gefestigter Kampfhaltung den Säbel entgegen, woraufhin sie den hasserfüllten Blick ihres Vaters erntete. Dieser streckte ihr die Klinge entgegen, verengte die Augen zu Schlitzen und knurrte vernichtend: „Das ist dein Tod, Red Rackham.“ Auf diese Drohung hin deutete Christin eine Verbeugung an, hob währenddessen leicht die Seite ihres Rocksaums und schenkte ihrem Vater ein herausforderndes Lächeln.
 

๑⊱☆⊰๑
 

Es vergingen viele Minuten, welche Tim beinahe wie Stunden vor kamen in denen Vater und Tochter sich ein hitziges Schwertduell lieferten. Bewunderung und Faszination packte den Reporter, als er sah wie anmutig Christin die Schläge parierte und ab und zu selbst zum kräftigen Hieb ausholte. Ihr Rock und Haar peitschte dabei durch die kühle Luft des Raumes, während sie vollkommen konzentriert, darauf war ihn nicht zu verletzen.

Tim bemerkte rasch, dass sie nicht das erste Mal ein Schwertduell ausfochten, und er konnte es sich nur so erklären, dass sie solche Duelle schon früher mit ihrem Vater oft auf spielerischer Basis gehabt hatte. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, jedoch nicht nur aus dem Grund, dass er in Sorge um Christin war sie könnte verletzt werden, sondern weil sie ihn mit all dem, was sie ausmachte so sehr fesselte.

Christin sprang nun elegant einen Schritt nach hinten, da der Kapitän so wild mit dem Säbel, als er wieder auf den Tisch gestiegen war, fuchtelte, dass der Deckenventilator von seiner Halterung getrennt wurde. Dieser stürzte auf ihn nieder und landete zusammen mit Haddock auf den Boden vor dem Schreibtisch.

Durch das Geschrei und Gepolter alarmiert stürmten nun mehrere bewaffnete Soldaten in das Zimmer und richteten, im Kreis um Haddock herum, die Waffen auf ihn. Aus seiner Starre vollkommen erwacht, zusammen mit Christin bahnte sich Tim schnell einen Weg durch die Soldaten.

„Lasst ihn… bitte.“, sagte sie freundlich an die Soldaten gewandt, übergab ihren Säbel an Delcour und hockte sich im Anschluss zu Tim und Haddock. Der Reporter sah aus dem Augenwinkel zu ihr und nahm sich vor sie irgendwann auf diese Szenerie anzusprechen. Er musste herausfinden, wie es dazu kam, dass sie so behände mit dem Schwert war. Nun musste er jedoch erstmal herausfinden welche Erinnerungen der Kapitän zurückerlangt hatte, denn er schien wieder ganz bei sich zu sein.

Ohne, dass Tim oder Christin etwas sagten, blickte der Kapitän Beide zu gleichen Teilen an, lächelte etwas und erzählte ihnen: „Ich kann mich wieder an alles erinnern. An alles, was Großvater mir erzählte. Die Einhorn ist gekapert worden. Die Piraten haben das Kommando übernommen, doch die Crew von Ritter Franz hatte sich nicht ergeben. Sie wurden regelrecht überrannt. Rackham hatte, laut Großvater, Ritter Franz des Königs Hund beschimpft, der die hart erkämpfte Beute zurück zum König bringen sollte.“

Der Kapitän erhob sich, richtete kurz seine Sachen und ging durch das Ärztebüro, während er fortfuhr: „Um seine Crew zu retten würde Ritter Franz alles aufgeben und Preis geben, sogar die geheimgelagerte Beute.“ Endlich erinnerte sich Haddock wieder an alles und erzählte ihnen wie schrecklich und dramatisch die Geschichte verlief.

Der Kapitän erzählte, dass Ritter Franz die Beute offenbarte und Rackham sein Wort brach, die Crew am Leben zu lassen. Ritter Franz würde als nächstes sterben, doch erst am nächsten Morgen, so erzählte Haddock. Der Ritter konnte sich in der Nacht befreien, legte mit einem Fass voller Schwarzpulver durch jedes Deck eine Spur, bis hin zum Schatz. Im Anschluss soll er die Lunte gezündet haben und von Rackham erwischt worden sein.

Beide lieferten sich vom obersten Deck bis hin zu den Unteren einen Kampf auf Leben und Tod, wobei Ritter Franz Rackham niederstach. Er konnte sich gerade noch aus dem Schiff retten, bevor es explodierte. Doch als er auf einem der treibenden Masten saß, hörte er Rackham vor Wut schreien und ihn, seinen Namen sowie seine Nachfahren verfluchen. Angeblich, so hatte sein Großvater erzählt, hatte er ihm geschworen, dass sie sich in einem anderen Leben und einer anderen Zeit wiedersehen würden. Jedes Detail und jedes Wort nahm der Reporter dabei wie ein Schwamm in sich auf, verinnerlichte die Geschichte und versuchte dabei die Puzzlestücke zusammenzufügen.

„Er ist hinter mir her.“, stellte Haddock dabei vollkommen schockiert fest und sah Christin und Tim zu gleichen Teilen mit Entsetzen in den hellblauen Augen an. „Nicht nur das, Kapitän, sondern auch hinter eurem Familienschatz. Diese drei Pergamente sind der Schlüssel dazu, um einen der größten Schätze zu bergen, die jemals in der Geschichte auf den Grund des Meeres sanken.“, schloss Tim am Ende der ganzen Geschichte und hatte somit jedes Puzzlestück zusammengefügt. Endlich ergab alles einen Sinn. Sakharine wollte den Schatz und dabei war es ihm sogar Recht über Leichen zu gehen.

In seinem Kopf ratterte es und er hoffte, dass Sakharine noch nicht in Bagghar angekommen war. Sie mussten um jeden Preis vor ihm da sein und irgendwie das Pergament aus der dritten Einhorn herausholen. Sie würden schon einen Weg finden und selbst wenn es darauf hinauslief, dass sie improvisieren mussten. Wäre für Tim reine Routine zu improvisieren, denn nur in seltenen Fällen legte er sich einen Plan zu Recht.

Schließlich streckte Tim seine Faust dem Kapitän und dessen Tochter entgegen und sah entschlossen zwischen den Beiden hin und her. „Auf nach Bagghar!“ Seine blauen Augen funkelten entschlossen und fingen dabei den Blick und das Lächeln von Christin auf. Diese nickte zustimmend, legte ihre Hand auf seinen Handrücken und sagte feierlich: „Nach Bagghar!“ Ein Grinsen zierte nun Tims Gesicht und sein Blick richtete sich im Anschluss auf Haddock, welcher seine Hand voller Entschlossenheit aufs Christins legte und laut beipflichtete: „Nach Bagghar!“
 

๑⊱☆⊰๑
 



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