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Die Weiße Schlange

von

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Der Kampf beginnt

Unvermittelt flog die Tür zum Speisesaal auf und drei Männer in Samurai-Uniform kamen hereingestürmt.

"Angriff! Yamazaki-san, wir werden am Hafen überfallen! Die Shinsengumi hat uns überrascht!"

Takeos Kopf flog herum. Seine Augen blitzten. Verwirrte und erschrockene Stimmen wurden um sie herum laut. Yasha klatschte in die Hände und sprang auf.

"Ha! Dort unten am Hafenbecken können wir sie wunderbar einkreisen, das Meer im Rücken! Sie können nicht fliehen! Lasst uns gehen, worauf warten wir noch?"

Auch Shido-san und Takeo erhoben sich.

"Sattelt die Pferde! Shido, ruf die Männer zu den Waffen und schicke auch Boten zu den anderen Häusern. Wir dürfen unsere Verbündeten dort unten nicht im Stich lassen!"

Takeo war schon in der Diele. Sämtliche Bewohner des Hauses schienen mit einem Mal auf den Beinen. Alle riefen durcheinander und im Flur herrschte ein heilloses Durcheinander, als sämtliche Krieger ihre Zimmer aufsuchen wollten, um sich Waffen und Rüstungen anzulegen.

"Shido, warte draußen auf mich." Takeo wies mit einer knappen Geste die Treppe hinauf - und sein Freund verstand. Er nickte.

"Sag ihr was los ist. Und überzeuge sie davon, dass sie hier warten muss, wenn ihr nichts passieren soll. Ich werde Akuma für dich satteln."

Takeo stürmte mit großen Sätzen die schmale Treppe hinauf und hätte Madoka um ein Haar einfach umgelaufen, die verwirrt aus seinem Zimmer heraus und auf den Flur getreten war. Er lief an ihr vorbei und holte seine Schwerter aus dem Raum, in dem die zerwühlten Laken ihn augenblicklich - und unpassenderweise - an die wundervolle Nacht mit der jungen Frau erinnerten. Er steckte sich die Schwerter, das Katana und die beiden kleineren Kodachi, in seinen Gürtel und war so schnell

wieder auf dem Flur, wie er ihn verlassen hatte. Er trat auf Madoka zu, die ihm bis zur Tür nachgekommen war, und fasste sie an den Armen, sah ihr fest in die großen, dunklen Augen. Ihr Blick war voller Angst.

"Wir werden angegriffen!", sagte er hastig, noch bevor sie das Wort ergreifen konnte.

"Unten am Hafen. Die Shinsengumi scheint genau zu wissen wer mit den Schiffen hier angekommen ist. Wir werden unseren Verbündeten zu Hilfe eilen."

"Aber...", wollte die junge Frau einwenden, wurde aber sofort wieder unterbrochen.

"Ich habe jetzt keine Zeit, es tut mir Leid, Madoka. Ich werde gehen. Ich KANN nicht kampf- und tatenlos zusehen, wie meine Freunde angegriffen werden. Ich werde kämpfen! Das haben wir doch schon einmal besprochen."

Genaugenommen hatte nur ER gesprochen und die Entscheidung gefällt, BEVOR er sie ihr unterbreitet hatte - Madoka selbst hatte ihn nicht mehr umstimmen können. Sie schüttelte den Kopf und wagte zu sagen: "Ich begleite dich!"

Im selben Moment, in dem sie dies aussprach, merkte sie bereits, dass sie dummes Zeug redete. Sie wäre ihm nur eine zusätzliche Last. Sie wünschte inbrünstig, dass sie noch Zeit gehabt hätte ihren Vorsatz wahr zu machen und Shido oder Takeo zu bitten, sie die Grundlagen des Schwertkampfes oder wenigstens der Selbstverteidigung zu lehren. Jetzt war es zu spät.

"Nein, Madoka. Bleib hier im "Chochin", ich bitte dich. Ich werde mir weniger Sorgen machen wenn ich weiß, dass zumindest du in Sicherheit bist. Versprich mir, dass du hier wartest!"

Madoka zögerte und kämpfte gegen ihre Tränen an - es waren Tränen hilflosen Zorns. Nein, sie war ihm wahrhaftig keine Hilfe...

"VERSPRICH ES MIR!", rief der junge Samurai und schüttelte sie mit schon etwas mehr als sanfter Gewalt.

"Also schön, ich verspreche es. Aber dann musst du mir auch etwas versprechen!"

Takeo ließ sie los, sah sie fragend an. Eine einzelne Träne rann ihre Wange hinunter.

Mit zwei schnellen Schritten war sie an ihn herangetreten, schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn nun mit verzweifelter Inbrunst. Takeo versteifte sich kurz überrascht, dann gab er nach, umfasste sie mit beiden Armen. Beide küssten sich so heftig, dass ihre Zähne aneinanderschlugen.

"Komm zu mir zurück! Bitte! Lass dich nicht umbringen!", sagte sie dann atemlos.

Er umarmte sie, fest und lange. Ihr Haar duftete noch immer nach Lotus.

"Ich werde tun, was ich kann.", antwortete er leise - und zweideutig - nach einer langen Pause, in der sie schon annahm er würde nichts mehr sagen. Dann, ohne ihr noch einmal ins Gesicht zu blicken, drehte er sich herum und stürmte die Treppe wieder hinunter. Madoka sah ihm mit gemischten Gefühlen nach. Es war wie sie gedacht und befürchtet hatte: Er ließ sich nicht davon abbringen zu kämpfen. Auch nicht durch die Person, die ihn liebte...

'Pass auf dich auf, Takeo...', dachte sie und trat langsam in sein Zimmer zurück, wollte sich am liebsten irgendwo einbuddeln und nie wieder hervorkommen.
 

Shido hielt Akuma bereits am Zügel, als Takeo in den Hof trat, der beinahe vor Männern überzuquellen schien. Pferde wieherten und schnaubten. Alle redeten und schrieen durcheinander. Schwerter wurden poliert und scharf geschliffen, doch die meisten Krieger, die zu Pferde hier angekommen waren, saßen bereits im Sattel, warteten auf den Befehl zum Aufbruch. Ein Bote kam herangeeilt und teilte Shido mit, dass die anderen Häuser benachrichtigt worden seien und die Männer sich von dort ebenfalls auf den Weg zum Hafen machten, wo sie sich mit Takeos Trupp vereinen würden.

Der rothaarige Samurai schwang sich auf sein nachtschwarzes Ross. Shido hatte einen Falben, der nicht ganz so groß war wie Akuma. Dadurch sah der junge Mann auf seinem Rücken noch größer aus als er es ohnehin schon tat.

Yasha stand bereits am Tor. Als Takeo nach vorn ritt und neben ihm hielt streckte er die Hand zu ihm

herunter.

"Komm, steig auf. Du kannst bei mir mitreiten."

Yasha trat einen Schritt zurück und fauchte wie eine missgestimmte Katze.

"Niemals! Ich bin zu Fuß sowieso schneller als ihr auf euren Gäulen. Wir sehen uns dann unten am Hafen!"

Und bevor Takeo noch fragen konnte, ob er etwa Angst vor Pferden habe, wurden die Tore von außen geöffnet und Yasha entwischte durch den ersten Spalt hinaus. Er war bereits auf und davon als der Reiter-Tross auf die Straße hinausströmte, wo schon eine weitere Gruppe von Kriegern zu Pferde auf sie wartete. Takeo ließ sein Reittier wenden und sah seine Männer nun an. Auf der breiten Straße vor dem Anwesen hatten sie mehr Platz, als auf dem verhältnismäßig engen Hof des "Aka-Chochin". Der junge Samurai hob die Hand, es wurde still. Alle blickten ihn erwartungsvoll an.

"Wir teilen uns!", ließ sich Takeos Stimme laut vernehmen.

"Die Männer zu Pferde folgen mir. Vor dem Hafen treffen wir auf Verstärkung. Dann greifen wir

sofort an. Die Fuß-Soldaten folgen uns in einigem Abstand."

Er ließ seinen Blick über die stetig anwachsende Gruppe gleiten.

"Sie sollen zunächst glauben, dass sie es nur mit uns zu tun haben. Dann, auf mein Zeichen hin, greift ihr ein. Vielleicht wird sie das noch ein wenig überraschen - obwohl ich glaube, dass das kaum noch etwas ausmachen dürfte. Kämpft! Gebt euer Bestes! Der Kaiser - aber vor allem eure Freunde und Verbündeten, die nun dort unten kämpfen,...", er wies auf die Hafengegend, von wo aus dichter, schwarzer Rauch herüberwehte, "...werden es euch danken. Zeigen wir der Shinsengumi, dass sie der Vergangenheit angehört!"

Die Männer schrieen und brüllten durcheinander, machten sich gegenseitig Mut.

"Dann lasst uns gehen!"

Und Takeo ließ Akuma wenden. Dann ritten sie los, jagten dem Hafen entgegen - und ebenso ihrem Schicksal.
 

~~~oOo~~~
 

Dicht lag mittlerweile der Rauch über dem Hafengelände. Die meisten Menschen hatten inzwischen die Flucht ergriffen, zumal sich der Kampf nun immer mehr ausbreitete und mittlerweile auch schon die Marktzeile erreicht hatte, wo die Händler hastig versuchten, ihre Waren in Sicherheit zu bringen.

Pfeile zischten durch die Luft. Teilweise brannten sie und wurden von den großen Seglern draußen in der Bucht aus abgefeuert, teilweise aber auch vom Land aus. Jetzt waren auch unzählige Beiboote unterwegs, auf denen ebenfalls wild gefochten wurde. Es gab Boote, die eindeutig in Richtung Land flohen, und wieder andere, die direkt den Kampf auf See und an Deck der großen Schiffe ansteuerten.

An Land war das Chaos beinahe noch größer. Hijikata kniff die Augen zusammen und versuchte das Durcheinander an sich windenden und aneinandergeklammerten Leibern zu überblicken. Wo war Saito? Hatte er sich wieder dazu entschlossen lieber seinen eigenen Plänen nachzugehen?

Saito war... schwierig. Selbst Hijikata, Vizekommandeur der Shinsengumi in Kyoto, hatte Schwierigkeiten ihn unter seinem Befehl zu halten. Der "Wolf" tat eben nur das, was ER für richtig hielt. Toshizo trat beinahe spielerisch einen Schritt zurück und wehrte gelassen den Angriff

eines Feindes ab, der ihn von der Seite mit dem Schwert angreifen wollte. Blitzschnell zuckte Hijikatas langes No-Dachi vor und trennte sauber den Kopf vom Rumpf des Kriegers. Toshizo blickte dem fallenden Körper nicht nach.

Er fühlte sich seltsam berauscht. Er war in Hochstimmung. Dies hier war seine Welt: Der Kampf - nein, der KRIEG! Er liebte den Geruch von Blut, Schweiß und Angst beinahe. Und all dies gab es hier nun wahrhaft genug. Er konnte es gar nicht abwarten, bis der "Rote Schatten" mit seinen Männern

hier auftauchte. Er würde für den Aufstand, für die Revolution, die er angezettelt hatte, bezahlen. Sie ALLE würden bezahlen. Und die Shinsengumi würde über sie richten, so wie sie dies IMMER bei Straftätern getan hatte. Denn das waren die Widerständler in Hijikatas Augen: Straftäter. Menschen, die es gewagt hatten, das altehrwürdige Kasten- und Shogunatssystem zu unterwandern. Menschen, die sich mit Ausländern abgaben.

Ein wilder Schrei entrang sich seiner Kehle, als er sich mit seinem gewaltigen Schwert erneut mitten in den Kampf warf.
 

Das dumpfe Grollen, das aus keiner bestimmten Richtung, sondern aus allen zugleich zu kommen schien, hatte sich zu einem Donnern gesteigert und war nun fast heran. Wenn man ganz still stand konnte man den Boden leicht vibrieren fühlen - aber dazu hätte nicht einer der Kämpfenden, unabhängig für welche Seite er focht, den Nerv gehabt. Im Gegenteil - sie bemerkten nicht einmal, dass dort etwas auf sie zukam. Das Donnern wurde nun ohrenbetäubend, und zumindest die Männer in den hinteren Kampfreihen fuhren nun erschrocken zusammen und herum, versuchten den aufgewirbelten Staub mit Blicken zu durchdringen. Aber da war es bereits zu spät für sie, um noch mehr als blankes Entsetzen zu empfinden.

Die Schatten der umgebenden Straßen und die Nebel von Staub und Rauch spieen urplötzlich die dahinjagenden Leiber unzähliger Pferde aus! Als hätte der Rauch zuvor auch sämtliche Geräusche verschluckt konnte man jetzt auch das wilde Geschrei der herankommenden Krieger auf ihren Rücken vernehmen. An der Spitze der Gruppe von mindestens einhundertfünfzig Reitern preschte ein nachtschwarzer Dämon heran, ein wahrhaft riesiges Schlachtross, auf dessen Rücken ein rothaariger, scheinbar zu allem entschlossener Samurai saß und gleich zwei Schwerter schwang! Nicht genug damit, so erkannten die vor Schrecken erstarrten Kämpfer an der Seite dieses Nachtmars einen zweiten, etwas kleineren, jedoch nicht minder erschreckenden Halbdämon mit schneeweißer, langer Mähne! Er sprang so schnell dahin, dass er keine Mühe hatte mit den Pferden mitzuhalten. Beide Hände hatte er erhoben - und scharfe lange Krallen blitzten auf.

Zu mehr als einem flüchtigen Blick auf jene ersten zwei Angreifer hatten die Männer am Kai keine Gelegenheit mehr. Takeos rechter Arm schoss vor.

"Los! Wir greifen sie von hinten an! Treibt sie auseinander!"

Und dann prallten die ersten Pferde mit brutaler Gewalt auf die Linie der blaugewandeten Shinsengumi-Kämpfer. Sie wurden einfach niedergeritten, doch selbstverständlich kam der Vormarsch der Kavallerie nach einigen Dutzend Metern bereits zum Erliegen, denn die Shinsengumi, welche die Gruppe der Reiter nun in ihrer Mitte wähnte, begann sofort die Angreifer einzukreisen.

Takeo hatte dies erwartet - sogar erhofft.

So würde der Angriff der hinter ihnen herannahenden Fußsoldaten umso überraschender und wirkungsvoller ausfallen. Zudem erwartete er die zweite Gruppe der Kavallerie, die von der ganz anderen Seite der Stadt aus auf die Kais stürmen würde.

Takeo kämpfte verbissen, teilte rechts und links wütende, rücksichtslose Schläge mit seinen Schwertern mit verkehrten Klingen aus und brach sich Seite an Seite mit Shido und Yasha rigoros einen Weg zu den Anlegestellen, wo die neu mit den Schiffen angekommenen Soldaten verzweifelt um ihr Leben kämpften.

Soweit es Takeo überblicken konnte handelte es sich um zwei große Gruppen von Angreifern mit jeweils bis zu sechzig bis siebzig Mann unter der jeweiligen Führung von Saito und Hijikata, dazu noch die bereits bekannten schwarzen Ninja-Kämpfer, die Mamoru so gern um sich scharte. Beide Gruppen hatten die Erneuerer in die Zange genommen und drängten sie in erbitterten Gefechten unerbittlich zum Wasser zurück. Der Kai war schwarz von Männern, die dich an dicht verbissen fochten.
 

Und hier vorn erkannte Takeo nun auch Mamorus hellrotes Haar inmitten der Kämpfenden. Aber er war noch zu weit von ihm entfernt, um einen direkten Angriff wagen zu können.

Plötzlich hatte der junge Mann alle Mühe sich im Sattel zu halten, als er gleich von drei Seiten attackiert wurde. Natürlich war der Shinsengumi klar, wer die Erneuerer anführte - und sie versuchten Takeo gezielt anzugreifen. Shido schirmte ihn von rechts, Yasha von links ab.

Yasha kämpfte von ihnen allen wohl am verbissensten. Immer wieder warf er suchende Blicke um sich, versuchte etwas zu finden, von dem Takeo zu wissen glaubte was es war. Aber auch er hatte Aurinia noch nicht gesehen. Warum sollte sie auch hier sein?

Er wehrte einen erneuten Schlag ab, nahm den Treffer einer flachen Klinge am Bein hin. Akuma bäumte sich wiehernd auf, als das Kampfgetümmel sich um die Gruppe mehr und mehr zusammenzog. Die schwarzen Hufe wirbelten durch die Luft und mähten gleich mehrere der Angreifer nieder. Yasha brüllte. Wutschnaubend hatte der Halbdämon einen Krieger an der Kehle gepackt und schrie ihn an: "Wo ist sie! Aurinia, die kleine Yosei! WO?!"

Takeo blickte zu ihm zurück, versuchte Akuma wieder unter Kontrolle zu bringen. Natürlich, Yasha wollte nur seine Freundin retten. Etwas anderes interessierte ihn nicht. Das hatte er ja äußerst wirkungsvoll klar gemacht, wie ihm Shido erzählt hatte. Aber... da war auch mehr als nur Sorge um seine Freundin.

Er und Yasha waren vielleicht noch nicht richtig Freunde - würden es vielleicht niemals werden, so wie in dem Maße, wie es Takeo und Shido-san waren - aber als er kurz vor ihrem Angriff Yasha wartend am Eingang zum Hafenviertel vorgefunden hatte, da wusste er, dass der Halbdämon sie nicht im Stich lassen würde. Nicht die Angst, dass er womöglich sterben könnte, wenn er die Shinsengumi allein angriff, hatte Yasha auf die Reitergruppe Takeos warten lassen, da war sich der junge Samurai sicher. Er wollte primär die Yosei befreien, ja. Aber er würde noch ein paar der Feinde Takeos und Shidos mitnehmen, wenn er seine Krallen schwang und Tod und Vernichtung säte.

Takeo konnte nicht erkennen, ob Yasha mit seinen Drohungen Erfolg hatte, aber das war im Augenblick auch nicht die Frage, die ihn beschäftigen sollte.

Ein jäher Schmerz durchzuckte seinen Körper und erinnerte ihn nachhaltig daran, dass er eigentlich verwundet war und nicht kämpfen sollte. Verbissen ignorierte er das brennende Gefühl, dass sich über seinen Torso ausbreitete und ihm das Atmen erschwerte. Er hatte keine ZEIT für so etwas!

Er drehte sich auf dem Rücken seines Pferdes herum und gab mit seinem hoch erhobenen Schwert das Zeichen für den Angriff der zurückgebliebenen Fußsoldaten und der zweiten Kavallerie-Gruppe.

Doch noch bevor er erkennen konnte ob seinem Befehl Folge geleistet wurde, durchbrach Shidos gellender Schrei seine Gedanken.

"Takeo!"

Als er sich zu seinem Freund umwandte gestikulierte dieser wild mit den Armen in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

"Sie haben Gewehre!"

Takeo fuhr erschrocken zusammen und erkannte, dass Shido Recht hatte. Etwa zwanzig Mann in den blauen Roben der Shinsengumi hatten hinter den Kämpfenden Aufstellung bezogen. Jeder von ihnen trug ein langes Gewehr, das er bereits gehoben und im Anschlag hatte. Sie zielten auf die Gruppe rund um Takeo.

Neben ihnen, hoch aufgerichtet und mit einem äußerst amüsierten Gesichtsausdruck auf den Zügen, stand Hijikata Toshizo.

"Verdammt!", ließ sich nun wieder Yashas Stimme hinter ihnen vernehmen.

"Wenn ich nur Tessaiga hätte!"
 

Hijikata hob ungerührt die Hand. Er genoss die Situation in vollen Zügen. Was die schwarzen Schiffe an Waffen und anderen Wunderwerken vom Festland hierhergebracht hatten, war nichts anderes als nützlich. Vor allem in Kampfsituationen wie diesen. Mochte der große, dunkelhaarige Samurai die Gaijin, die Ausländer, die in zunehmendem Maße ihre Welt beeinflussten, auch noch so verachten, er machte sich seinerseits jedenfalls auch ihre Vorzüge zu Nutze. Und die Gaijin konnten fantastische, effiziente Waffen fertigen, das musste man ihnen lassen. Hijikata war ein Mann des Schwertes. Aber in Situationen wie diesen war es angebracht nach drastischeren Mitteln zu greifen. Die Aufrührer waren wie Heuschrecken, die zertreten werden mussten. Für sie wäre die Ehre durch das Schwert zu sterben Verschwendung und völlig unangemessen.

Und mit vollkommen unbewegter Miene gab Hijikata seinen Männern den Befehl zu feuern.
 

Eine Salve von Gewehrschüssen übertönte laut das restliche Kampfgetümmel, traf jedoch beinahe lautlos ihre Ziele. Takeo hörte etwas dicht an seinem Ohr vorbeizischen, Akuma wieherte voller Angst und stieg erneut auf der Hinterhand. Er hörte Shido neben sich erschrocken keuchen und hoffte

inständig, dass seinem Freund nichts passiert war. Er hatte bereits im Kampf erleben können, was diese schrecklichen, westlichen Waffen mit einem menschlichen Körper anzurichten vermochten - und er hätte viel darum gegeben, es niemals wieder sehen zu müssen. Doch anscheinend wurden seine Gebete diesbezüglich nicht erhört.

Ein heilloses Chaos brach los, in dem das Eingreifen der Fußsoldaten und der berittenen Verstärkung, auf deren Erscheinen Takeos beträchtliche Hoffnungen gelegen hatten, vollkommen unterging.

Die Männer waren da - vergrößerten jedoch das Durcheinander eher nur. Die Pferde, die Gewehrschüsse nicht gewohnt waren, wurden panisch vor Angst und nicht wenige von ihnen gingen mit ihrem Reiter durch, liefen in alle möglichen Richtungen davon, rücksichtslos Freund wie Feind niederreitend. Reiter stürzten aus dem Sattel, Männer schrieen angstvoll oder voll Zorn

durcheinander - aber auch das Geklirr der Schwerter, das beim Auftritt der Artillerie kurz innegehalten hatte, ging weiter.

Takeo sah sich nervös um. Die Männer luden ihre Gewehre wieder nach. Es konnte nur noch Sekunden bis zur zweiten Salve dauern. War Hijikata denn übergeschnappt? Konnte er nicht sehen, dass er so auch seine eigenen Männer gefährdete?

Vielleicht wusste er es. Aber wenn, dann war ihm dieser Umstand mehr als gleichgültig. Einmal mehr verstand Takeo die Einstellung der Shinsengumi nicht.

Hektisch sah er sich um. Yasha war verschwunden - aber er konnte mit Sicherheit gut auf sich selbst aufpassen. Was er nun tun musste war klar: Diese Schützen durften einfach nicht weiter in das Kampfgeschehen eingreifen. Er musste sie aufhalten! Koste es was es wolle!

Neben ihm schien Shido-san genau dasselbe zu denken.

"Machen wir die Schweine fertig, mein Freund!"

Kanzakis Worte standen im krassen Gegensatz zu seinem Zustand. Takeo erkannte mit schreckgeweitetem Blick, dass ihn eine der Gewehrkugeln etwas oberhalb der linken Hüfte getroffen hatte. Sein gesamtes linkes Bein war bereits dunkel von seinem Blut. Takeo sog scharf die Luft ein und wollte protestieren, doch Shido tat etwas vollkommen Verrücktes. Während die gefürchtete zweite Salve über sie hinwegdonnerte und um sie her zahlreiche Opfer forderte, griff sich der hünenhafte Freund Takeos die Zügel von Akuma und jagte auf seinem Pferd, Takeo im Schlepptau, auf die verblüfft dreinschauenden Schützen zu!

Es sah nicht so aus, als wenn er vorhatte anzuhalten.

Kurz bevor Shidos Falbe die Männer einfach über den Haufen reiten konnte wirbelte eine schlanke, große, ganz in Schwarz gekleidete Gestalt heran und schlug zu. Shido wurde von Hijikata mühelos aus dem Sattel gerissen, beide Männer landeten reichlich unsanft am Boden. Doch selbst wenn Shido-san verletzt war, so hatte er dem großen Shinsengumi-Kommandeur jetzt etwas voraus: Hijikata hatte sein Schwert bei dem Sturz aus der Hand verloren. Und Shido war ein Meister im japanischen Faustkampf...

Mit ein, zwei äußerst gezielten Schlägen in den Solarplexus, trieb der junge Mann Hijikata wirkungsvoll die Luft aus den Lungen, verhinderte hierdurch auch, dass er in den nächsten Paar Sekunden wieder welche holen konnte. Als letztes landete er noch einen wuchtigen Schlag unter sein Kinn, was Hijikatas Kopf in den Nacken fliegen und ihn rücklings zu Boden schleudern ließ.
 

Mühsam und ächzend rappelte sich Shido wieder auf. Er erkannte, dass Takeo die Männer mit den Gewehren bereits entwaffnet hatte. Der rothaarige Samurai kämpfte nun mit scharfen Klingen. Er hatte die Männer beim Nachladen überrumpelt und einmal mehr bewiesen, dass japanische Schwerter zu den schärfsten der Welt gehörten - indem er die Gewehrläufe mit beinahe chirurgischer Präzision durchtrennte. Die Schützen waren in panischer Angst geflohen. Diejenigen, die erschrocken nach ihren Schwertern greifen wollten, hatte er mit ein paar sehr genauen Schlägen mit der stumpfen Seite seiner Kodachi in die Bewusstlosigkeit befördert.

Hijikata war ebenfalls momentan ohne Bewusstsein, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder erheben würde. Shido ging hinter seinem ehemaligen Kommandeur in die Knie und packte den Kopf mit dem langen, schwarzen Haar, bereit, ihm das Genick zu brechen - aber Takeo winkte ab.

"Lass gut sein. Du solltest so schnell wie möglich von hier verschwinden - du bist verletzt! Ich werde Mamoru suchen. Aus diesem Grund bin ich hier."

"ER würde nicht zögern uns zu töten!", protestierte Kanzaki wütend.

"Deine Zurückhaltung in allen Ehren - aber hier hört sie allemal auf! Auge um Auge, Takeo! Er muss sterben!"

"Ich sage NEIN!", schrie Takeo zurück. In seinem Gesicht arbeitete es.

"Wenn du einmal Blut an den Händen kleben hast, wirst du dieses Gefühl, diese Schuld, niemals wieder los! Ich weiß wovon ich spreche! Hast du schon einmal gemordet, Shido-kun?"

Shido war es Leid darüber zu diskutieren. In dieser Hinsicht war Takeo manchmal allzu halsstarrig, beinahe memmenhaft. Voll Zorn funkelte er den Freund an und in diesem Augenblick kochte auch all der Frust wieder in ihm empor, der sich über die letzten Wochen in ihm aufgebaut hatte. Die Wut

darüber, dass er den Freund nicht daran hatte hindern können in diesen irrsinnigen Kampf einzugreifen, obwohl er dadurch sein Leben gefährdete, brodelte immer noch in ihm. Und - völlig deplaziert und unnötig - auch die Eifersucht auf seine Liebe zu Madoka...

"Das ist MEIN Leben! Wage es nicht mir Vorschriften zu machen, Takeo! Du wirst mir eines Tages danken, dass ich den Mistkerl getötet habe!", giftete er wütend.

Takeo trat vor ihn hin, sah ihm fest in die Augen.

"Bitte, Shido. Geh. Geh zurück zum "Chochin". Du bist verletzt. Wenn schon nicht, um dich behandeln zu lassen, dann geh wenigstens zurück und bleib bei Madoka bis alles vorbei ist. Versprich mir das."

Shidos Blick flackerte.

"Du musst gerade reden! Wer hier wohl zuerst stirbt - allein dadurch dass er überhaupt kämpft, obwohl ihm gesagt wurde er solle es lassen! Du musst hierzu nicht einmal erneut verletzt werden. DU solltest zurückgehen, Idiot!"

Takeo wollte antworten - und sah dann mit trotzig zusammengepressten Lippen weg.

Sie hatten BEIDE Recht. Und das wussten sie auch beide...

Auch Shido kam sich - vor allem angesichts der momentanen Gesamtsituation - wieder einmal reichlich albern vor. Um ihn herum starben Menschen! Und er hatte nichts besseres zu tun als seinem besten Freund Vorwürfe zu machen - vielleicht sogar aus EIFERSUCHT! Und das hatte nun wirklich nichts mit dem Kampf zu tun...

"Pass auf!", gellte Takeos Schrei durch die rauchdurchwirkte Luft und Shido sprang in einer einzigen, fließenden Bewegung auf und wirbelte herum. Dennoch kam seine Reaktion um eine Winzigkeit zu spät.

Mit Wucht ließ Hijikata, der sich soeben unbeachtet hinter ihnen erhoben hatte, seine gefalteten Hände auf Shido-sans Nacken niedersausen. Wie vom Blitz gefällt fiel der junge Mann nach vorn, fing sich geistesgegenwärtig mit den Händen ab und rollte stöhnend zur Seite. Hijikata wollte sich ohne Umschweife auf ihn stürzen.

"Wir sind noch nicht miteinander fertig, Kanzaki! Wir von der Shinsengumi sind recht nachtragend, wenn es um Desertation geht!"

Toshizos langes Gesicht war wutverzerrt. Takeo kam heran und fiel ihm in die Arme. Er wurde einfach überrannt. Mit einem dumpfen Schmerzlaut ging der junge Samurai ebenfalls zu Boden.

Hijikata strauchelte, blieb aber auf den Beinen. Mit einem wilden Knurren riss er Takeo eines der Schwerter aus der Hand und wollte es umgehend in dessen Brust stoßen, doch der immer noch am Boden liegende Shido ergriff eines seiner Beine, riss daran und brachte den großen Mann nun doch aus dem Gleichgewicht. Die Klinge schrammte mit einem widerlichen Geräusch dicht neben Takeos Kopf über den Boden und schlug Funken. Beinahe in Zeitlupe kippte Hijikata zur Seite und fiel. Shido war augenblicklich über ihm. Wild begann er auf ihn einzuprügeln - die Ähnlichkeit mit Yasha, wenn dieser mit seinen Krallen einen Feind bearbeitete, war beinahe beängstigend.
 

Und dieses mal BRACH er ihm das Genick.

Er umfasste den Kopf Hijikatas und drehte ihn mit einem Ruck zur Seite. Das Knacken, mit dem die Wirbel heraussprangen, vermeinte Takeo noch über den Kampflärm hinweg zu hören - für Shido war es ungleich deutlicher zu spüren.

Takeo hatte Recht gehabt. Dieses Geräusch, das was er soeben getan hatte, würde ihn noch lange

verfolgen...

Shido stöhnte und hielt sich zusammengekrümmt die Seite. Takeo half seinem Freund kommentarlos auf die Füße und steuerte das nächstbeste, reiterlose Pferd an. Keiner von ihnen blickte zu der Leiche des Shinsengumi-Kommandanten zurück.

Noch immer ohne auch nur ein Wort zu sagen half Takeo Shido auf das Tier zu steigen. Vergessen war ihr Streit - und auch der Tod Hijikatas drang noch nicht wirklich bis in sein Bewusstsein vor. Alles was er spürte war die unmittelbare Angst um seinen besten Freund. Er gab dem Pferd einen leichten Schlag mit der flachen Hand, und während es sich in leichtem Trab entfernte rief er Shido nach:

"Und wehe, ich sehe dich nachher nicht im "Chochin" deine Wunden pflegen! Hörst du?"

Shido hatte nicht einmal mehr die Kraft zu antworten. Er war über den Hals seines Reittieres nach vorn gesunken und hatte die Augen geschlossen.

Er war mit einem Mal so müde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Schalmali
2007-03-19T18:37:03+00:00 19.03.2007 19:37
Hui wirklich spannend. Takeo bleibt stur bei seinem Entschluss aber es wundert mich doch etwas dass er nicht schon längst tot ist xD Inuyasha war gut als Takeo ihn auf seinem Pferd mitnehmen wollte... lahme Gäule *grins* Stimmt ja aber für einen Halbdämon wie Inuyasha ^^ Der Kampf puh... wirklich gut. Und Inuyasha kommt jetzt endlich nach seiner Gefährtin zu suche und ich will dass er Tessaiga wiederbekommt und alles niedermäht ^^ Naja muss er erstmal diesen "Wolf" finden der sicher irgendwo herumstreunt lol. Und nun hat Shido das erste Mal getötet? Hätte ehrlich gesagt dass hätte der schon zu hauf gemacht aber so wie sich Takeo anstellte verständlich dass es nicht passiert ist hihi. Armer Shido.
Von:  Rogue37
2006-12-11T15:29:02+00:00 11.12.2006 16:29
Uff, was für ein Kapitel. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen sollte. Ich glaube ich habe das nicht mal wirklich gelesen bin einfach über die Worte hinweggeflogen, bei guten Geschichten ist das ja bekanntlich so. Und das hier. Mei, ein Meisterwerk, ganz ehrlich. Der Kampf ... Ich weiß nicht wie man einen kampf, einen Krieg so beschreiben kann. Diese Präzision, die von Nöten ist, die Grausamkeit mit wenigen Bildern festzuhalten, die Freude, die manche Menschen dabei durchfließt. Da war ja einfach alles drin. Im ersten Moment muss ich sagen, das ist echt hart. ich symphatisiere mit der Shinsengumi, obwohl sie grausam sind (schon klar), aber irgendwie ich weiß nicht, es hat mich shcon ein wenig geschmerzt, dass Takeo und Co praktisch über sie hinweggeritten sind. Und dann kamen da diese Gewehre. Hijikata ist so ein <grummel> Ehrlich, das hat doch nichts mehr mit Ehre zu tun, aber es passt irgendwie zu ihm. Du hast dieses Böse an ihm echt gut festgehalten. Und dann dieser persönliche Kampf mit Shido. Mei, echt arg. Da diskutieren die noch darüber, dass er nicht töten soll (was in einer Schlacht echt ein purer Witz ist) und im Grunde führt genau das dazu, dass er jemanden tötet. Ironie des Schicksals oder? Takeo möchte nicht, dass Shido zum Mörder wird und ist doch irgendwie der Grund dafür. man, du bringst Sachen. So viel Tiefgang in einer einzigen Szene. Ich würd fast alles dafür geben, so schreiben zu können. Wie kann man nur einen schlachtplan selbst entwerfen? <kopfschüttel>

Lustig (paradoxerweise natürlich) fand ich schon irgendwie Takeo als er meinte er hätte jetzt keine Zeit für so was (wie Atemnot wegen seiner Wunde). So ein Holzkopf ehrlich. Ich verspüre den Wunsch ihm eins mit nem hammer über zu ziehen (Animelike halt)

Ehrlich, der Part hatte es wirklich in sich. Mir graut vor dem weiteren ... Ach was, ich kanns kaum erwarten weiter zu lesen, so spannend. Oh aber eine Gedenkminute muss ich doch für Hijikata-san einlegen.


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