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Dunkle Nächte

Wenn das Schicksal zuschlägt...
von

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Einsamkeit

Kapitel 26

Einsamkeit
 

Mokuba sprang auf, als sich die Tür öffnete und Joey endlich beim Frühstück erschien. Es war schon fünf nach sieben und der 17 Jährige wartete seit einer gefühlten Ewigkeit auf seinen Freund. Lachend und laut „Guten Morgen!“ rufend lief er auf Joey zu, um sich dann um dessen Hals zu werfen. Der Blonde war leicht in die Knie gegangen, fing ihn auf und musste kurz die Zähne zusammenbeißen. Seine Rippe schmerzte und so schluckte er leicht. „Du siehst verwegen aus mit der Wunde auf der Wange.“ Meinte Mokuba nun und musterte die Wunde, die langsam verheilt war. „Ja, ich vermute schon, dass ich diese Verwegenheit nicht mehr los werde. Wahrscheinlich behalte ich davon eine Narbe.“ Schmunzelte er und richtete sich vorsichtig wieder auf. Ein leichter Stich zog sich durch seine Brust.

„Warum fragst du mich danach, wann du hier sein sollst, wenn du nicht pünktlich bist?“ Erklang eine kühle Stimme und Joey blickte hinüber zum Tisch. „Dir auch einen schönen guten Morgen! Ich bin nicht davon ausgegangen, dass ich dich hier finde und war drüben im Speisezimmer.“ Konterte der 19 Jährige gelassen und kam nun auf den Tisch zu. Er trug ein weißes, ordentlich gebügeltes Hemd, die dunkelgrüne Krawatte war passend gebunden und der schwarze Gürtel wirkte neu. Misstrauisch musterte Seto seinen Sekretär, der heute so anders wirkte. Er war sich sicher, dass er weder diesen Gürtel noch diese Hose je bei ihm gesehen hatte. Sonst trug der junge Mann immer nur schwarze Jeanshosen, aber diese hier war aus Stoff und von verdammt guter Qualität.
 

„Außerdem wollte ich dir noch einmal die Möglichkeit geben, dass du an mir herum nörgeln kannst.“ Grinste Joey nun, dessen blonde Haare immer noch wirr und wild wirkten. Es war das erste Mal, das Seto über die Wunden seines Gegenübers nachdachte. Die Handinnenflächen und die Knie hatte sich Joey in dieser einen Nacht aufgescheuert und die Schnittwunde war noch immer deutlich zu sehen. Seinen Händen schien es wieder gut zu gehen und bisher waren ihm nur sehr wenige Situationen aufgefallen, in denen die angebrochene Rippe Probleme zu machen schien.

„Ich muss los, ich wünsche euch beiden noch einen guten Flug und stellt mir beide nichts an!“ Meinte Mokuba, der seine Schuluniform schon trug. Seine wilden Haare hatte er mit einem dunkelroten Band leicht zusammengenommen, damit sie ihm nicht ständig ins Gesicht fielen. Er stellte sich etwas auf die Zehenspitzen, obwohl er noch deutlich gewachsen war, kam der 17 Jährige nicht annähernd an die Größe seines Bruders heran. Joey zog den Jüngeren noch einmal in die Arme und drückte ihn sanft. „Ich geb mein Bestes. Aber ich kann nicht dafür garantieren, dass er wieder mit zurückkommt. Wenn er wieder so einen Scheiß wie mit der Pressekonferenz abzieht, setzte ich ihn einfach in Dubai an der Straße aus. Oder ich hänge ihm ein Schild um den Hals auf dem „zu verschenken“ steht und lasse ihn am Flughafen zurück!“ Neckte er Mokuba und dieser kicherte freudig. „Klar, logisch Joey, pass lieber auf, dass du nicht so endest!“ Verteidigte er nun seinen großen Bruder und hörte Joey lachen. „Keine Sorge, er würde mich nicht verschenken, er würde dafür noch Geld verlangen.“ Mit einem Grinsen sah er zu dem Brünetten, der mit überschlagenen Beinen am Esstisch saß. Er hielt seinen Becher in Händen und hatte seine rechte Augenbraue in die Höhe gehoben.
 

Zuerst begriff es Mokuba nicht, als Joey ihn leicht in die Richtung schob und erst bei einem Blick in die braunen Augen wurde ihm diese Geste bewusst. „Keine Sorge, wir haben dich lieb!“ Meinte er nun zu seinem großen Bruder und ging um den Tisch herum. Es war ein seltsames Gefühl, als er seinen Bruder in den Arm nahm, alte Erinnerungen von Vertrautheit und Geborgenheit kehrten zurück, die Mokuba nicht als seine empfand. Es wirkte beinahe so, als würde dieses Gefühl einer anderen Person gehören. Dennoch drückte Seto ihn leicht an sich, schloss für einen kurzen Moment die Augen und Mokuba wusste, dass es richtig war. „Mach du mir lieber keine Schande, mein Kleiner. Du wirst der einzige Kaiba in Japan sein und diese ganze Villa wird dir allein gehören!“

Mit einem schiefen Grinsen sah er zu dem Brünetten und gab frech von sich. „Na, dann muss ich ja aufpassen, dass die Presse nicht bemerkt, dass wir Kaibas auch nett sein können.“ Schmunzelte er und löste sich ganz von seinem Bruder, er griff nach seiner Schultasche, die über einem Stuhl hing, und machte sich auf den Weg. An der Tür drehte er sich noch einmal um und lächelte den beiden zu, dann verließ er die Küche, in der Seto und Joey nun alleine waren.
 

„Du weißt, dass er und Aiko die nächsten Tage hier wild feiern werden?“ Fragte Joey mit ernstem Gesichtsausdruck, den er bei dem auftauchenden Entsetzen in Setos Gesicht nicht lange halten konnte. „Oh Himmel, trink lieber deinen Kaffee zu Ende, du glaubst den Mist doch nicht etwa oder?“ Er setzte sich an den freien Platz, an dem die Schüssel noch unbenutzt war. Sein Blick fiel über die vielen kleinen Schalen und sein Herz ging auf. Es war ein traditionelles japanisches Frühstück und der Duft der Miso Suppe drang nun in seine Nase. Er hatte es eben gar nicht bemerkt, als Mokuba seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. „Greif ruhig zu, du verhungernder Hund.“ Schmunzelte Seto, als er den Blick des 19 Jährigen erkannte. Kurz sah dieser auf und wollte schon etwas sagen, griff dann aber einfach nach der Schale und füllte diese mit Suppe.

„Mhhhmmm… die ist richtig frisch zubereitet…“ Gab er mit geschlossenen Augen von sich, als er den ersten Löffel probiert hatte. „Wie ich dich beneide, dass kannst du jeden Morgen essen?“ Fragte er und wartete erst gar nicht auf die Antwort. „Du solltest wirklich anfangen morgens etwas zu essen!“ Gab er zwischen zwei weiteren Löffeln Suppe von sich und sah kurz zu dem Brünetten, der weiter seinen Kaffee trank.
 

Die Zeit verstrich und nachdem Joey auch noch Reis und den Rest des vorhandenen Fisches verdrückt hatte, die Schälchen mit dem Gemüse geleert, bemerkte er den erstaunten Gesichtsausdruck des Kaffeetrinkers neben sich. „Du wirkst wirklich, als wärest du verhungert.“ Meinte er ruhig, seiner Stimme fehlte der übliche Hohn. Ein „Ähm…“ war alles, was der Blonde von sich gab und Seto konnte die Rötung der sonnengebräunten Wangen beobachten. „Ach ja… ich wollte noch wissen… also… weil wir gerade beim Essen sind…“ Er blickte auf seine leere Reisschale und ließ die Essstäbchen sinken. „Gestern… also…“

„Ja, es hat mir geschmeckt.“ Diese Antwort kam so unerwartet, dass die braunen Augen erstaunt zu ihm aufsahen und ein leises Schmunzeln legte sich auf die schmalen Lippen des brünetten Mannes. „Ich verstehe nur nicht so ganz, wie jemand auf solch eine verrückte Idee kommen kann.“ Meinte Seto mit einem fragenden und wirklich verwunderten Blick.

Da war es wieder! Dachte Joey, als er die sanfte Beugung der schmalen Lippen erkannte. Es war nicht ganz das Lächeln, nachdem es ihn sehnte, aber auch dieses hier war so ehrlich, so ungetrübt und so wunderschön. Mut, Wärme und Hoffnung durchflossen Joey mit einem Mal und er musste breit grinsen, während er mit sicherer Stimme sprach. „Du wirktest so, als ob du einen Freund gebrauchen kannst. Außerdem dachte ich mir, dass du wahrscheinlich wieder nichts gegessen hast und da dein Deal lautete, dass du nur dann etwas isst, wenn ich etwas esse und ich mich schon das Wochenende hier durchgefuttert hatte, sah ich es nur als gerecht an, dass du auch etwas isst.“ Diese Erklärung wirkte so wahnsinnig und unlogisch, dass Seto Kopfschüttelnd die Augen schloss, nicht ohne aus seinem kleinen Lächeln ein breites werden zu lassen. Er entschloss sich lieber dazu, nicht weiter über die Tatsache nachzudenken, dass Joey ernsthaft gesagt hatte, er würde einen Freund brauchen.
 

Irgendwie wirkte der 22 Jährige heute nicht so finster, böse und offensichtlich schien er keine Rachepläne gegen ihn zu hegen. Joey hatte schon mit einer Predigt, einem bösen, sehr bösen Kommentar oder einer anderen Anfuhr gerechnet. Spätestens bei der Aussage, dass er der Meinung war, dass Seto gestern einen Freund gebraucht hätte, wäre eine Gegenwehr zu erwarten gewesen. Ob die noch kam? Ob er sich heimlich einen Plan zurechtlegte um ihn in Dubai so richtig vorzuführen?

Nachdenklich griff er nach einem Apfel, der mit einigen anderen in einer großen Holzschale lag. Daneben befand sich ein sauberes, scharfes Messer, welches er zum Schneiden nutzte. Vielleicht hatte er aber auch einfach Recht damit und Seto brauchte einen Freund, der eben genau solche verrückten Sachen machte. Musternd fiel sein Blick zu dem Brünetten, der aus dem Fester sah den Becher in den Händen. „Was war denn gestern los? Als ich dir das alles vor die Tür gestellt habe, hast du dich mit irgendwem so laut gestritten, dass ich es durch die Tür hören konnte.“ Fragte Joey nun und steckte sich eines der geschnittenen Apfelstückchen in den Mund. Langsam, verwundert wanderten die blauen Augen vom dunklen Himmel draußen vor dem Fenster hinüber zu dem sonnengebräunten Gesicht, doch eine Antwort gab er nicht. „Komm, ich werde es sicher nicht weitererzählen und davon abgesehen, wer würde mir schon glauben?“ Das schien ein Argument zu sein, kurz regte sich etwas in den eisblauen Augen, die Lippen öffneten sich leicht, doch dann hob Seto nur den Becher, um etwas zu trinken. In dem Becher musste doch jetzt kaum noch etwas drin sein, das war doch nur ein Ablenkungsmanöver! „Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass es eine Frau war!“ Meinte Joey nun provozierend.
 

Die blauen Augen starrten ihn einen Moment an und dann seufzte er. Dieser unglaublich seltsame und verdammt verrückte Kerl! Als ob es ihn wirklich interessieren würde, warum er sich gestern gestritten hatte. „Ja, es war eine Frau!“ Knurrte er nun leicht verstimmt und erhob sich mürrisch. „Um genauer zu sein, es war die Frau, bei der ich dieses Wochenende war.“ Meinte er und schritt hinüber zur Kaffeemaschine, unter die er seinen Becher stellte. Seine Gedanken schweiften zu dem vorletzten Abend, er dachte an die seltsamen Nachrichten, die er mit Joey getauscht hatte. Kurz warf er einen musternden Blick zu dem Blonden, der ihn weiterhin auffordernd ansah.

Seto wartete, bis er das Geräusch des fließenden Kaffees hören konnte und begann von neuem. „Die kürzeste Variante lautet, dass sie eifersüchtig auf dich ist, weil ich ihr nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte und stattdessen mit dir gechattet habe. Ich habe sie diesbezüglich belogen und sie hat deswegen mein Handy durchsucht und den Nachrichtenverlauf gelesen.“ Joey ließ entsetzt das Messer sinken und sein Mund blieb etwas offen stehen. Er wusste noch nicht, ob er Aufgrund der Ehrlichkeit des Brünetten so reagierte oder wegen dem Inhalt der Geschichte. Sie war auf ihn, auf Joey Wheeler, eifersüchtig? So viel hatten sie doch gar nicht geschrieben… oder gechattet, wie es wohl genannt wurde. „Und warum hast du ihr nicht einfach gesagt, dass du mit deinem Sekretär schreibst? Warum sollte sie das nicht wissen?“
 

Der Brünette griff nach dem vollen Becher, kam zu seinem Platz zurück und fragte nun seinerseits. „Warum muss sie es wissen?“ Die eisblauen Augen beobachteten, wie sich der Mund des Blonden öffnete und sich wieder schloss. „Du bist immerhin das Wochenende zu ihr geflogen oder?“ Versuchte er einen Anfang und bemerkte, wie sich die Augenbraue des 22 Jährigen in die Höhe schob. „Na ja, was wolltest du denn bei ihr? Ich bin jetzt mal ehrlich und gehe davon aus, dass du nicht wegen eines Vertrages dorthin geflogen bist. Du streitest dich nicht mitten in der Nacht mit Vertragspartnern. Also wolltest ihr zwei doch ganz offensichtlich die Zeit zusammen verbringen und euer privates Vergnügen daraus machen.“ Die Augenbraue wanderte weiter in die Höhe. „Sprich ruhig weiter!“ Forderte ihn Seto auf und der Blonde schluckte. Warum hatte er das Gefühl in einem dunklen, tiefen Wald zu stehen und gleich von einer Horde Wölfe gefressen zu werden?

„Ich meine ja nur, du… also… warum hast du eigentlich mit mir geschrieben?“ Fragte er als Ablenkungsmanöver und bemerkte, wie Seto den Becher sinken ließ, den er gerade zum Trinken gehoben hatte. Langsam beugte er sich vor und die eisblauen Augen hatten einen so seltsam überheblich grausamen Ton. „Du warst es, der mich angeschrieben hat! Erinnerst du dich noch?“ Blut schoss erneut in die sonnengebräunten Wangen und Joey versuchte sich so weit zurückzulehnen, wie es ging. „Willst du mir jetzt sagen, dass ich nicht hätte antworten müssen?“ Fragte Seto provozierend und hörte das deutliche Schlucken des 19 Jährigen, sein Lächeln bekam einen fiesen Zug.
 

Wie kam er denn jetzt bitte in diese Situation? Irgendwie hatte er sich das anders vorgestellt. Nicht zurückweichen, dachte er sich noch und versuchte einen ernsten Gesichtsausdruck aufzusetzen. „Aber wir haben ja nicht so viel geschrieben, dass sie eifersüchtig sein könnte oder?“ Fragte er hoffungsvoll und ein anderer Gedanke kam ihm in den Sinn. Nachdenklich griff er nach einem neuen Apfel und begann diesen zu teilen. „Wie ist sie so?“ Fragte er mit einem Mal und sah dann wieder aus seinen braunen Augen zu dem 22 jährigen Firmenführer auf. „Ich meine, sie streitet sich mit dir, sie ist offensichtlich eine Frau, die du als so lohnenswert ansiehst, dass du extra das Wochenende um die halbe Welt fliegst, um sie zu besuchen. Sie muss ja schon etwas Besonderes sein oder?“

Diese Frage warf den Brünetten aus seinem Konzept und er dachte wirklich darüber nach. Schweigend lehnte er sich wieder zurück, nahm einen Schluck seines Kaffes und in dem Moment griff Joey nach einigen Apfelstücken, die er in die saubere Schüssel vor Seto fallen ließ, ohne dass dieser es bemerkte. „Geboren ist sie in Irland vor 23 Jahren. Sie ist temperamentvoll, wild, sie hat feuerrote Haare, einen verdammt starken Charakter und einen unglaublichen Dickkopf. Sie kann es auf den Tod nicht leiden, wenn sie nicht bekommt, was sie will. Sie ist besitzergreifend und hat einen sehr ausgefallenen Geschmack. Sie lieb ihre Arbeit…“ Seto überlegte, ob ihm noch etwas einfiel. „… sie ist sehr eigen im Bett.“
 

Er konnte spüren, wie der letzte Satz seine Wangen dunkelrot färbte und so konzentrierte sich Joey lieber wieder auf das Entkernen des Apfels. „Das klingt ja so, als ob du sie magst. Und sie scheint zu dir zu passen.“ Antwortete er so verlegen und Seto blickte ihn schweigend an. „Vielleicht passt sie zu gut zu dir.“ Diese Worte kamen nach einer geschätzten Ewigkeit und der Brünette wirkte ehrlich überrascht. „Das wirst du mir erklären müssen.“ Meinte er fordernd und ließ seinen Becher wieder sinken, um nun seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Blonden widmen zu können. „Du wirst dich nicht bei ihr entschuldigen oder?“ Begann Joey seine Erklärung und sah nur kurz zu Seto, um dessen eisigen Blick zu erhaschen. „Warum sollte ich? Sie hat meine Sachen durchsucht!“
 

„Weil sie genauso denkt wie du! Ich versuche dir zu helfen, ich versuche die eisige Tiefkühlschicht zwischen dir und Mokuba endlich abzutauen, verhelfe dir zu einem wirklich guten Wochenende mit deinem Bruder, von dem er mir die letzten Tage immer noch vorgeschwärmt hat und als Dank dafür demütigst du mich vor der ganzen Welt.“ Er sah auf, hielt im Schneiden der entkernten Apfelstücke inne. „Das ist die gleiche, dumme Logik, die hinter ihrer Aktion steckt. Weil du ihr nicht all deine Aufmerksamkeit geschenkt hast, durchsucht sie dein Handy. Wenn ich raten müsste, wird sie sich nicht bei dir entschuldigen und ihr beide werdet euren Dickkopf darin ausleben, dass sie dich provoziert und sich den nächstbesten Kerl schnappt, den sie finden kann. Auch auf die Gefahr hin, dass du mich gleich einen Kopf kürzer machst, aber der Kerl wird garantiert nicht mehr glücklich werden. Wahrscheinlich sogst du dafür, dass er wegen einer Lappalie die nächsten fünf Jahre im Knast landet oder du nimmst ihm sein Geld, sein Vermögen, seinen Ruf… sein gesamtes Leben! Aber du würdest ihr niemals sagen, dass du eifersüchtig bist. Also willst du sie ärgern und dazu bewegen, dass sie wieder zu dir kommt. Du suchst dir jemanden, dem dann… oh wie unerwartet, das gleiche passiert, wie dem armen Kerl, der sich mit ihr eingelassen hat. Wegen falsch Parkens drei Jahre Gefängnis?“ Joey sah den Brünetten direkt an und führte seine Überlegungen weiter. „Das wird bei euch immer weiter gehen bis ihr euch wieder gegenübersteht und nach dem dann auftretenden Massaker wird aus eurem Zorn Leidenschaft und… du kannst dir sicher vorstellen, was dann passiert!“ Er war nun dunkelrot angelaufen und konnte den Blick nicht mehr heben.
 

Das war passend! Für einen Moment konnte Seto nichts sagen, nicht einmal denken. Joey hatte sehr treffend beschrieben, wie es zwischen ihm und Viktoria weiter gehen würde. So war es immer! Hatte sich je einer bei dem anderen entschuldigt? „Und was schlägst du vor?“ Diese Worte waren die einzige Reaktion, die ihm jetzt einfiel. Es lag so viel Wahrheit in Joeys Aussage, dass sein Herz innerlich gefror. Er liebte diese Frau doch! Oder? Er wollte sie heiraten und mit ihr den Rest seines Lebens verbringen! Immerhin hatte er immer das Gefühl gehabt, dass sie die einzige war, die er als gleichgesinnt, als gleichwertig ansehen konnte.

„Du solltest sie nie wieder sehen!“ Diese Worte brachen nach einer Ewigkeit in den Raum ein, der sich mit kalter Stille gefüllt hatte. Joey sah ihn nicht an, er hatte die Hände sinken lassen, in denen er das Messer und einen viertel Apfel hielt. Seto starrte ihn schweigend an und versuchte den Schmerz zu verstehen, der da eben in seinem Herz explodiert war. „Ich meine, wenn du sie nicht liebst. Außerdem bin ich gar nicht dazu fähig, eine wirkliche Meinung abzugeben. Ich kenne sie ja nicht und vielleicht schätze ich sie ganz falsch ein. Ich hatte ja auch nicht erwartet, dass du so… nette Seiten hast! Nur… wenn ich recht habe,… dann tut sie dir nicht gut. Wenn man jemanden mag, dann sollte man ein angenehmes Gefühl haben, wenn man an denjenigen denkt. Es sollte schön sein, freudig und warm und man sollte sie vermissen, wenn man die Person lange nicht gesehen hat. Ich habe Mai wirklich geliebt, aber keiner von uns war bereit auf den anderen zuzugehen, wir haben es nicht geschafft Kompromisse zu akzeptieren und uns war unser eigener Dickkopf immer wichtiger als der andere. Irgendwann hat sie ihre Sachen gepackt und war einfach weg. Sie ging ohne sich zu verabschieden, ohne eine Nachricht und ich Trottel habe sogar noch auf sie gewartet.“ Ein trauriges Lächeln lag auf den Lippen des Blonden.
 

„Tea hat mich damals gefragt, wie ich mir die Frau meiner Träume vorstelle.“ Meinte er plötzlich und lächelte schüchtern. „Ich glaube, mir ist es einfach nur wichtig, dass ich ihr vertrauen kann. Ich will mir sicher sein, dass es gleich ist, was auch immer passiert, sie wird bleiben. Ich will, dass sie weiß, dass ich für sie bis ans andere Ende der Welt reisen würde, um sie wieder zu finden. Ich will an sie denken und mein Herz soll wild schlagen vor Freude und jede Sekunde, die ich nicht bei ihr bin, kann nicht die schönste meines Lebens sein.“ Die braunen Augen leuchteten und Seto nahm noch einen Schluck Kaffee. Vertrauen? Vertraute er ihr? Weder Ehrlichkeit noch Vertrauen waren in dieser Beziehung bisher interessant gewesen. Sie existierten eigentlich nicht. „Wenn du endlich zu Ende gefrühstückt hast, hol deine Sachen!“ Das war der einzige Kommentar und Joey spürte, dass dieses Gespräch beendet war. Seto schien ihm den Kopf für seine Worte nicht abreißen zu wollen und was auch immer er dachte, er würde es dem Blonden nicht sagen, da war sich Joey sicher. Kurz blickte er den 22 Jährigen an und dann nickte er. „Gut, ich… wir treffen uns dann gleich unten am Eingang?“ Fragte er noch und erhob sich. Sein Blick fiel auf den nur teils geschnittenen Apfel. Egal, das machte jetzt eh keinen Sinn, er hatte ihn ja nicht für sich selbst gemacht.
 

Als Joey die Küche verlassen hatte, blieb ein Mann mit unendlichen Zweifeln zurück. Hatte Joey Recht? Sollte er sie nie wieder sehen? Die Frau, mit der er sein Leben teilen wollte? Nein, der Kerl hatte sie perfekt beschrieben, genauso würde es ablaufen und wahrscheinlich hatte sie gestern Abend schon überlegt, wie sie ihn am besten demütigen und bestrafen konnte. Unsicher kaute er auf seiner Unterlippe herum und sein Blick bemerkte die kleinen Apfelstücke in seiner Schale. Joey musste sie dort hingelegt haben. Bei allen verfluchten Göttern, er war ja nicht besser. Die boshafte Freude, die sich bei der Vorstellung ihres entsetzten Gesichtes einstellte, konnte er doch jetzt schon spüren. Er wäre in einigen Stunden in Dubai und natürlich würde er die Nacht nicht alleine verbringen. Natürlich hatte er nichts dagegen, das so offensichtlich zu gestalten, dass es am nächsten Morgen in der Zeitung stand! Sie waren wie Wölfe, die umeinander herumstrichen und nach der Schwäche des anderen suchten. Sie liebten es, sich gegenseitig zu quälen und plötzlich fragte sich der Brünette, ob das wirklich Liebe war. Nachdenklich griff er nach einem kleinen Apfelstück und saß es.

Joey hatte ja schon Recht, wenn er an seinen Bruder dachte, dann war das meistens ein schönes Gefühl. Besonders in den letzten Tagen, die leuchtenden Augen seines kleinen Bruders, seine aufgedrehte Art… ja, er war sich sicher, dass war eine Art der Liebe, die er auch empfand. Aber konnte man die Liebe zwischen Geschwistern mit „der Liebe“ vergleichen? Während er auch das letzte Stück der geschnittenen Äpfel aß, fragte er sich bedrückt, ob er je wirklich über dieses Thema nachgedacht hatte. Klar, als er sich entschied ihr einen Antrag zu machen, da hatte er sich darüber Gedanken gemacht. Aber früher… als Kind? Als heranwachsender junger Mann? Es gab die Schule, die Firma, seinen Bruder und… Duell Monster, das war alles. Er begann irgendwann mit Frauen zu schlafen, fand Interesse an Intimitäten mit Männern, aber eine Beziehung, Liebe… darüber hatte er nie nachgedacht, es war immer nur Sex gewesen.
 

Verwirrt und ein wenig sauer zog er die anderen Apfelstücke heran, die bei Joey lagen. Er hatte Hunger! Er brauchte jetzt Zucker! Warum schaffte es dieser Köter plötzlich alles in Frage zu stellen, was ihm bisher so sicher erschien? Das war doch nicht fair! Entschied er wütend und erhob sich. Jetzt machte er sich über so etwas Überflüssiges wie Liebe Gedanken! Das war ja schrecklich! Vertrauen! Wer benötigte schon Liebe und Vertrauen? Damit griff er nach dem letzten Viertel Apfel und nahm seinen Becher Kaffee. Er würde jetzt seine Sachen holen und dieses Thema lassen. Joey hatte Recht, er kannte Viktoria nicht und er kannte ihn ebenso wenig! Woher wollte er schon wissen, ob er diese Frau wieder sehen sollte oder nicht? Er hatte es ja nicht einmal lang genug mit Mai ausgehalten! Joey war sicher niemand, den er nach Beziehungstipps fragen sollte.

Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken und er blieb in der Küchentür stehen. Mit bleichem Gesicht drehte er sich um, starrte auf den leeren Tisch und eine Erkenntnis traf ihn, die ihm an diesem Morgen den Boden unter den Füßen weg ziehen wollte. Er hatte niemanden! Es gab niemandem in seinem Leben, den er danach fragen konnte. Es gab niemanden, denn er wegen der Probleme mit seinem Bruder fragen konnte… es gab eigentlich kein privates Problem, mit dem er bei irgendjemandem in seinem Leben nach Rat fragen konnte. Das grausame Gefühl der Einsamkeit schwappte über ihn, umspülte ihn und raubte ihm für einen Moment den Atmen. Aber sollte die Frau, die er liebte, die er für den Rest seines Lebens an seiner Seite wollte, nicht genau diese Hilfe geben? Sollte sie nicht an seiner Seite stehen und ihm helfen, so wie er ihr helfen sollte? Selbst sein bester Freund Patrick war nicht besser. Im Grunde gab es nichts Privates, das sie verband. Wenn ihre gemeinsame Grausamkeit nicht wäre und der verdammt gute Sex, gab es keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen!
 

Er war allein! Er war völlig allein! Selbst Mokuba hatte er beinahe verloren! Diese Erkenntnis traf ihn im zweiten Zuge wie ein Schlag. Wankend hielt er sich an der Wand fest, machte sich langsam auf den Weg in sein Zimmer. Alles, das bis eben noch Bestand hatte, löste sich vor seinen Augen auf. Verzweifelt versuchte er sich zu sagen, dass er all das nicht brauchte. Er brauchte niemanden, den er um Rat fragen musste! Er war Seto Kaiba! Ein Kaiba fragte nicht um Rat! Er wusste, was er zu tun hatte und wenn er es nicht wusste, dann…

Verzweifelt zog er die Tür hinter sich zu, lehnte sich mit dem Rücken an diese. Genau das war der Grund, warum er Mokuba beinahe verloren hatte! Noch immer war er sich unsicher, wie er mit seinem eigenen Bruder umgehen sollte. Er drehte den Kopf, starrte aus leeren Augen zu dem weißen Drachen mit eiskaltem Blick. Er dachte an die geschriebenen Worte von Pegasus, die er ihm zu diesem Bild geschickt hatte. Er war wie der Drache; starsinnig, einsam und viel zu stolz, um sich das einzugestehen. Nein… nein! Was sollte das werden? Nur weil dieser Dummkopf von Vertrauen und Wärme sprach, hieß das noch lange nicht, dass seine eigene Welt in Zweifel geraten musste. Er hatte sich entschieden, er liebte diese Frau, er wollte sie heiraten! Wer außer ihr sollte ihm je gewachsen sein? Erschöpft und innerlich zerfressen setzte er schwer einen Fuß vor den anderen, ließ sich auf das Bettende sinken und umklammerte den Becher mit beiden Händen.

Wann würde dieses Gefühl wieder gehen? Er dachte an Guzaburus Worte, seine Stimme hallte in der Luft wider und sein Lachen erfüllte jeden Gedanken. ‚Freunde, Liebe, Vertrauen? Was denkst du, wer du bist? Du hast mich dazu gezwungen, dich und deinen erbärmlichen Bruder zu adoptieren, nun lebe mit den Konsequenzen deiner Tat. Oder willst du mir sagen, dass du aus Liebe und Güte gehandelt hast, als du mich zum Schachspiel herausgefordert hast? Dir ging es doch nur um mein Geld, um die Möglichkeiten, die dir mit dem Namen Kaiba offen stehen! Du bist genauso wie ich, nichts weiter als ein kaltblütiges Monster! Du nimmst dir, was du als dein ansiehst, also wage es nie wieder mir so einen Schwachsinn zu erzählen! Und wehe, deine nächsten Noten sind schlechter geworden!‘
 


 

Das Klopfen an der Tür ließ ihn zusammenfahren. „WAS?“ Donnerte seine gereizte Stimme durch den Raum und dennoch öffnete sich die Tür. Joey stand dort, den schwarzen Mantel geöffnet und den Schal in der Hand. „Na ja, ich warte da unten jetzt seit 20 Minuten auf dich und normalerweise ist das andersherum. Ich wollte nur sicher gehen, dass ich nicht träume.“ Die honigbraunen Augen musterten den 22 Jährigen, der noch immer auf dem Bett saß und erwartete nun keine Antwort mehr. Da war es wieder, da war wieder dieser Ausdruck in den blauen Augen, den er schon gestern gesehen hatte. Nur dieses Mal schien die Schicht Eis nicht so stark, nicht so dick zu sein wie am Abend zuvor.

Ob das, was er nun tat, gut war, bezweifelte er ehrlich, aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Mit einer Bewegung zog er die Tür hinter sich zu, den Mantel aus und legte diesen über den Stuhl des Schreibtisches. Ohne zu zögern ging er auf Seto zu, ließ sich vor ihm in die Hocke sinken und als der Brünette die Arme zurück zog, lehnte sich Joey mit den Ellbogen auf dessen Knie. Die honigbraunen Augen sahen direkt zu dem 22 jährigen Firmenführer auf und er grinste verdammt breit. „Ich kenne diesen Blick, auch wenn ich ihn bei dir nicht erwartet habe. Normalerweise sind eher solche Kindsköpfe wie Yugi dafür anfällig. Also, wir haben jetzt drei Möglichkeiten. 1. Du erzählst mir, was los ist und ich erkläre dir, warum das völliger Schwachsinn ist. Zumindest kann ich das bei Yugi immer, der sich völlig umsonst Sorgen macht. Ich gehe mal nicht davon aus, dass es auch nur ein einziges Universum gibt, in dem du mir jemals erzählen würdest, was los ist. Kommen wir also gleich zu Variante zwei! 2. Du freust dich darüber, dass du mich drei Tage lang ärgern, demütigen und quälen kannst, schnappst deinen Koffer und wir machen uns auf den Weg oder 3. Du sagst mir, wen ich anrufen muss, um ihnen mit meinem grauenhaft schrecklichem Englisch zu erklären, dass du mit einer schweren Grippe im Bett liegst, Fieber hast und wir den Termin leider verschieben müssen!“ Die braunen Augen leuchteten ihn an, das Grinsen blieb und Joey versuchte krampfhaft keinen Gedanken zu haben, denn alles in ihm schrie panisch, dass das hier das Dümmste war, dass er je getan hatte.
 

Seto schien das ebenso zu sehen. Er starrte den Blonden einfach nur an, unfähig zu reagieren. Da hockte wirklich Joseph Wheeler vor ihm, die Arme auf seine Knie gestützt und grinste ihn bei solchen Worten an? Er drehte sich um, starrte kurz auf das Bett, dann wieder zu Joey. „Also, wenn das ein Traum ist, träumen wir beide den gleichen!“ Joeys Stimme klang noch immer verdammt selbstsicher und der Druck auf Setos Knien schien mit einem Mal wie ein Anker, der ihn im Hier und Jetzt festhalten wollte. „Was ist mit der vierten Möglichkeit, dass ich dich einfach quäle, demütige und foltere ohne daran Freude zu haben?“ Dass er diese Worte wirklich sagte, konnte er erst fassen, als seine eigene Stimme in seinen Ohren widerklang. „Nö!“ Entgegnete der Blonde. „Warum?“ Fragte Seto, noch immer nichts denkend. „Ich lasse mich nur von dir demütigen, wenn du Spaß daran hast!“

Ein Blinzeln, Seto versuchte diese Worte zu verstehen. „Das macht keinen Sinn!“ Entgegnete er mit einer unerwarteten Entrüstung und Leben schien wieder mit einem Schlag in seinen Körper und seinen Verstand zurückgekehrt zu sein. „Ich weiß!“ Grinste ihn der Blonde noch immer an und nun noch breiter. Der Brünette wollte etwas sagen, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Du redest Schwachsinn!“ Schimpfte Seto nun und in die blauen Eisaugen trat ein Gefühl, das zwischen Entrüstung und Wut lag. „Ich weiß!“ Antwortete Joey wieder und Seto war noch immer wie vor den Kopf gestoßen. „Warum?“ Fragte er nun direkt und versuchte seine aufgewühlten Gedanken zu verstehen.
 

Doch Joey lachte nur, ließ sich auf seinen Hinter fallen und setzte sich im Schneidersitzt auf den Boden. „Tja, kannst du dir aussuchen. Entweder, weil ich ein Wheeler bin oder weil ich in deinen Augen ein dummer Straßenköter bin oder weil ich vor habe, dich gleich niederzuschlagen, raus zu gehen und so zu tun, als hättest du das alles nur geträumt!“

Es waren die letzten Worte, die das erste Schmunzeln auf die schmalen Lippen zauberten. Joey konnte sehen, wie der Brünette zuerst darüber nachdachte, die Augenbrauen zusammenzog und dann, nach einer schieren Unendlichkeit ein leichtes Lächeln auf die schmalen Lippen trat. „Du willst mich niederschlagen und so tun, als wäre nichts geschehen?“ Seto schwankte zwischen Belustigung und Erstaunen, begriff nur nebenher, dass das Grinsen auf Joeys Gesicht noch breiter wurde. „Klar, Schlafmittel konnte ich ja nicht mehr in deinen Kaffee rühren. Also MUSS ich dich niederschlagen!“ Das Schmunzeln wurde breiter, Seto schloss die Augen, als konnte er damit das Gesagt ungeschehen machen. Doch dabei entkam ihm dieses leise, ehrliche Lachen, welches nur langsam deutlicher, lauter wurde.
 

Dieses Lachen war so schön! Offensichtlich hatte er endlich erreicht, was er wollte. Seto hatte wirklich begonnen zu lachen. Es war wieder dieses ehrliche, offene Lachen, nur dieses Mal etwas zurückhaltender und deutlich leiser. Siegessicher hob Joey die Faust in die Luft und meinte freudig. „Mission erfüllt!“ Nach einem Räuspern tat er so, als hielte er etwas in der Hand, seine Stimme hatte einen gekünstelten, hohen Ton. „Memo an mich selbst: Gemeinsamkeit zwischen Yugi Moto und Seto Kaiba gefunden. Übermäßiges quatschen von völligem Schwachsinn bringt sie zum Lachen! Memo an mich selbst 2: Niemals irgendjemandem davon erzählen!“ Er schielte zu dem Brünetten, der nun verwirrt schien. „Was? Du kennst nicht die Zeichentrickserie zu „101 Dalmatiner“?“ Fragte er entsetzt und Seto schüttelte den Kopf. „Ah, das war Cruella De Vil mit ihrer berühmten „Memo an mich selbst“, die sie immer in ihr kleines Diktiergerät spricht.“ Ein Kopfschütteln. „Echt? Du enttäuscht mich! Aber den Film von Disney kennst du oder?“ Ein Kopfnicken. „Die Serie spielt danach, die beiden haben sich eine Farm gekauft, auf der sie mit ihren 101 Dalmatinern leben und Cruella will immer noch die Hunde kaufen und die Farm, die zufällig direkt neben ihrer Villa liegt. Oder sie versucht die Farm bankrott zu machen, damit sie die Hunde verkaufen müssen! Das gelingt ihr natürlich nie, weil die kleinen Hunde das verhindern und sie steht dann immer mit ihrem Diktiergerät da und meint. Memo an mich selbst: Neuen Pelz kaufen, weil ich den Schlamm nie wieder aus diesem Mantel bekomme! Oder so etwas in der Art.“ Erklärte Joey und konnte beobachten, wie sich die Augenbrauen des anderen zusammen zogen und er wirklich verwundert wirkte.
 

„Eine der wenigen Serien, die mir gefallen haben. Ich musste dank meiner kleinen Schwester alle, wirklich alle Disney Filme sehen. Angefangen von Ariel, die Meerjungfrau, über Schneewittchen, die Schöne und das Biest, Dornröschen, bis hin zu den neuartigen „Küss den Frosch“ Filmen. Bei „Verzaubert“ bin ich zum Glück eingeschlafen und allen lieben Göttern sei gedankt, Fluch der Karibik gehört auch mit zu Walt Disney!“ Erzählte Joey ausschweifend, untermalte dieses mit wilden Gesten.

Nachdenklich beobachtete der Brünette ihn und schwieg. Er wusste nicht, was Joey da tat und schon gar nicht, warum er es tat! Seine Nähe war angenehm, er verscheuchte das brennende Gefühl der Einsamkeit, welches ihm vorhin den Atem geraubt hatte. Seine freudigen Erzählungen übertöten die Stimme seines Adoptivvaters und der Blödsinn, den er von sich gab, ließ irgendwie all die Sorgen verklingen. Es schien wie ein Zauber, der das ganze Zimmer erfüllte und all die schlimmen Gefühle verbannte. Aus diesem Gedanken heraus kam es zu der Kurzschlussreaktion, die eine weitere Mauer zwischen ihnen einreißen sollte. „Meinst du, dass ich das mit Mokuba wieder hinbekomme?“ Es war das erste Mal, das eine offensichtliche Unsicherheit in seiner Stimme mitklang und inständig hoffte der Brünette, dass Joey sich nicht allzu viel Zeit mit einer Antwort ließ. Schon jetzt hasste er sich für diese Frage, warum musste er sie ausgerechnet Joey stellen?
 

Doch die braunen Augen sahen ihn nur an und nun waren es die blonden Augenbrauen des 19 Jährigen, die sich zusammenzogen. Er öffnete kurz den Mund, wollte etwas sagen, schwieg aber schlussendlich doch. „Darüber machst du dir Gedanken?“ Eine Antwort konnte er nur in den blauen Augen lesen, sie wirkten so aufgewühlt und Joey hatte das Gefühl in einen wilden Ozean zu blicken. Nun lehnte sich der Blonde vor, stützte sich mit den Ellenbogen auf seinen eigenen Knien ab und sah den 22 jährigen Mann ernst an. „Es gibt nichts, dass du wieder hinbekommen musst, du Dummkopf!“

Er hätte Seto wahrscheinlich auch mit einem Stück Holz vor den Kopf schlagen können, der Ausdruck in den blauen Augen wäre nicht anders gewesen. Allein sein Gesicht versuchte regungslos zu bleiben und angespannt pressten sich die schmalen Lippen aufeinander. „Du liebst ihn und er liebt dich! Das ist das einzige, dass ihr zwei wissen müsst. Er ist dein kleiner Bruder, nur ist er keine 12 Jähre mehr alt. Mokuba hat sich weiterentwickelt, er hat neue Interessen, er hat ein eigenes Leben, er interessiert sich mittlerweile für Frauen! Natürlich klebt ihr zwei nicht mehr aneinander wie Kaugummi und eure Streitereien entstehen, weil er den gleichen dummen Sturkopf hat wie du und weil er gerade mitten in der Pubertät steckt. Ihr zwei müsst einfach nur wieder mehr Zeit miteinander verbringen, ihr müsst euch einfach wieder aufmerksamer gegenüber sein.“
 

Natürlich bemerkte er die Erleichterung, die sich in die blauen Augen schlich, sah, wie sich die schmalen Lippen entspannten und sich nicht mehr gewaltvoll aufeinander pressten. „Bei meiner Schwester und mir war es auch nicht gleich so perfekt. Wir haben uns gestritten, sie war plötzlich wieder hier in Japan, weg von ihren Freundinnen in Amerika und ihre Mutter war tot. Ich habe versucht sie zu verstehen, aber diese Frau ist mit meiner kleinen Schwester vor Jahren verschwunden und hat mich bei einem Vater zurückgelassen, mit dem ich mich nie verstanden habe. Ich war wütend auf sie, irgendwie auch froh, dass sie nicht mehr da war, aber für Serenity war es ihre geliebte Mutter, bei der sie aufgewachsen ist. Sie ist ein Mädchen, sie mag Mädchen Sachen, von denen ich keine Ahnung habe und teilweise auch nicht will! Ich muss mich mit „Mädchenabenden“, „Kosmetiktreffen“, Ohrlöchern und Antibabypillen auseinandersetzen. Ich wusste nicht einmal, dass Frauen zwei Mal im Jahr zum Frauenarzt gehen und ich kann weiß Gott darauf verzichten! Sieh mich nicht so an!“
 

Die Wangen des Blonden hatten ordentlich an Farbe zugelegt und er hob abwehrend die Hände. „Das sind alles Dinge, mit denen du dich niemals herumschlagen musst.“ Kurz hielt Joey inne. „Außer du heiratest und bekommst eine Tochter! Obwohl, dann hast du eine Frau, die sich darum kümmern kann!“ Er seufzte und ließ die Schultern und die Arme hängen. „Wir beiden haben uns gestritten, angeschrien und ich habe feststellen dürfen, dass Frauen klasse darin sind Fehler zu machen und dafür zu sorgen, dass du dich schuldig fühlst. Die Kunst ist dabei einfach nur den anderen zu verstehen, zu kennen. Wenn du wieder mehr Zeit mit Mokuba verbringst, werden dir die ganzen Kleinigkeiten von alleine auffallen. Was er mag, was er nicht mag, womit du ihm eine Freude machen kannst. Wenn du ein wenig aufmerksam bist, musst du schon eher aufpassen, dass du ihn wieder los wirst. Ihr zwei habt so viel gemeinsam durchgestanden, da ist nichts kaputt zwischen euch, ihr müsst nur wieder miteinander reden.“ Er lächelte aufmunternd und stellte fest, dass auch Seto leicht die Mundwinkel hob. „Schau mit ihm den nächsten Teil von „Die Tribute von Panem“ darauf freut er sich das ganze Wochenende schon.“
 

Er wartete noch einen Moment und nachdem der Brünette nichts mehr dazu sage, löste er die Verschränkung seiner Beine und stand mit einer kräftigen Bewegung wieder auf. „Na komm, trink deinen Kaffee aus und schnapp dir deinen Koffer damit wir los kommen. So bequem dein Fußboden auch ist, diese Klamotten sind es nicht. Meine Güte, wie ich meine ausgefransten Jeans und meine alten Pullover vermisse. Und den Geruch von gehobelten Spänen, das Geräusch von Hammerschlägen, ja, ich vermisse sogar die dummen Bemerkungen unseres Gesellen.“ Joey hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und blickte zum Fenster hinaus.
 

Sein Herz hatte in diesem Moment etwas verstanden, dass sein Bewusstsein noch leugnete. Joeys Worte von gestern stimmten, er brauchte einfach nur einen Freund. Der Gedanke, dass Mokuba gar nicht mehr so weit von ihm entfernt war, dass ihre wacklige Beziehung bald wieder auf festem Boden fußen konnte, erfüllte ihn mit Hoffnung und Wärme. „Das ist gar kein Problem. Ein Wort von dir und du kannst Morgen wieder in deiner alten Jeans herumlaufen. Ich bin sogar so großzügig und bezahle dich bis zum Ende des Monats. Nur eine Frage, bist du derjenige, der deine Aufgabe bekannt gibt oder überlässt du mir diese Freude?“ Fragte Seto nun, während er sich erhob. In die blauen Augen war wieder die übliche Stärke getreten und seine Haltung sprach von Provokanz und Selbstsicherheit.

Da war er wieder, der Seto Kaiba, der für alles einen dummen Spruch parat hatte. Joey war sich nicht sicher, ob die Sache mit Mokuba allein der Grund für dieses unerwartete Stimmungstief war. Wenn etwas Seto Kaiba aus der Bahn warf, musste es verdammt mächtig sein. Ob seine Worte vorhin in der Küche dafür verantwortlich waren? „Vergiss es! Als ob ich mir entgehen lasse, dass du mich in aller Öffentlichkeit loben und beglückwünschen musst! Da verzichte ich sehr gerne auf meine Jeans. Warte… gibt es eigentlich eine Kleiderordnung im Büro?“ Fragte er nun, griff nach seinem Mantel, den er überwarf. „Nein, niemand, der bei der Kaiba Corporation arbeitet, käme auf die Idee unangebracht gekleidet zur Arbeit zu erscheinen!“ Meinte Seto streng und ein wenig fassungslos, weil er ahnte, was nun kommen würde. Er musste nur noch nach seinem Koffer greifen und als er sich zu Joey umdrehte, seufzte er.
 

Der Blonde stand schon draußen im Flur und grinste bis über beide Ohren. „Es gibt also keine offizielle Kleiderordnung? Was würde denn mit einem Mitarbeiter geschehen, der sich falsch kleidet?“ Auf dem gesamten Weg versuchte Joey eine Lösung für sein Problem zu finden. Er machte immer wieder Vorschläge, die der Brünette jedoch in der Luft zerriss. Sie fuhren mit der schwarzen Limousine direkt von der Villa zum Flughafen in Domino.

„Ach komm, ich…“ Wollte Joey sagen, der gerade seine Tasche aus dem Kofferraum nahm und dabei Roland einfach ignorierte, der sich um das Gepäck kümmern wollte. Sie waren mit der großen Limousine auf das Rollfeld gefahren und vor ihnen stand der lange, silberfarbene Privatjet Seto Kaibas. „Ich dulde ja schon, dass du deine unpassenden, hässlichen und mit keiner Kleiderordnung vereinbaren Turnschuhe und die Jeans trägst! Also nein! Aus, Wheeler!“ Fuhr der Brünette ihn nun an und mit einem mürrischen, aber sehr leisen Brummen streifte er sich den Riemen seiner großen Tasche über. Er betrachtete den großen Jet, der an den Flügeln mit filigranen, blauen Streifen versehen war. „Wie, da steht nicht groß dein Name drauf?“ Fragte er provozierend und bemerkte den kalten, aber überheblichen Ausdruck in den blauen Augen. „Wenn diese Maschine irgendwo auf der Welt landet, weiß jeder, der es wissen muss, wem sie gehört!“ Seine Stimme hatte einen süffisanten Ton. „Und jetzt beweg deinen Hintern da rein oder muss ich dich wirklich noch anleinen und hochzerren?“ Joey zog noch eine Grimasse, natürlich hinter dem Rücken des anderen und machte sich auf den Weg. Klasse, nun war er wirklich nervös. Er mochte fliegen nicht!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  bulmamaus
2016-08-04T05:18:07+00:00 04.08.2016 07:18
Guten morgen,
Jetzt komme ich endlich dir zu schreiben, aber keine Sorge gelesen habe ich es natürlich gleich ;)

Du hast recht, das ist ja mal eine ganz andere Seite an Seto. Aber es macht ihn Menschlich und du hast es sehr gut rüber gebracht. Ich fand die Stelle passend, das es authentisch wirkt. Und seto nicht von gleich auf jetzt eine super Wandlung durch macht. Da habe ich natürlich die Hoffnung, daß ich noch viel zu lesen bekomme :)
Joey Art ist wirklich einzigartig und wie er Seto aufmuntert oder überrascht. Einfach toll. Ich musste schmunzeln als er Cruealle nachgemacht hat.

Ich bin gespannt wie die Reise bei den zwei verläuft und was da alles passieren wird.

Ich hoffe bald wieder von dir zu hören.

Lg
Deine Bulmamaus
Antwort von:  Traumfaengero_-
04.08.2016 22:30
Liebe Bulmamaus,

herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar! Es freut mich, dass dir auch dieses Kapitel gefallen hat.

Ich mag Joeys Erkenntnis in einem der vorigen Kapitel, dass Seto nicht zu wenig, sondern zu viele Gefühle zu verarbeiten hat, jene, die er unter einer tiefen Schicht Eis zu verbergen versucht. Meiner Meinung nach ist Seto sehr stark von seinem Stiefvater geprägt worden und muss nun mit sehr gegensätzlichen Gefühlen zurechtkommen.
Wenn dann diese verrückte Seite von Joey auf Setos Chaos trifft, wird der Gute einfach aus der Bahn geworfen und weiß nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Das wird Joey aber auch noch ein paar Mal machen. ^.~

Ich kann mir das Grinsen immer noch nicht verkneifen, wenn ich mir die beiden so vorstelle. Memo an mich selbst: Öfter Disney Filme einbauen!

Auf ein hoffentlich baldiges Wiederhören!
Liebe Grüße
Deine Traimfänger


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