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Safe Zone

von

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Zone 7 - Ehrliche Tränen

Niran
 

»Halten Sie den besser fest, ich glaube der kann nicht mehr selbst stehen«, hörte ich den Verkäufer sagen. Das war nicht nötig, denn Thawat hielt sich auch so an mir fest. Diese ungewohnte Nähe zu ihm, machte es schwer, mich zu konzentrieren. Ich musste das sofort beenden. Daher hockte ich mich hin, lehnte ihn vor ein Regal, doch er wollte nicht loslassen. Mühsam löste ich seine Arme von mir, die schlaff an seinem Körper herunterhingen. Je nachdem, wie viel er getrunken hatte, konnte es gefährlich werden. Ich forderte vorsichtshalber einen Krankenwagen an, dann wandte ich mich wieder an den Verkäufer: »Was ist denn passiert?«

Er machte einen sehr entspannten Eindruck. Vermutlich lag es daran, dass der Laden den ganzen Tag geöffnet war und er öfter mit Betrunkenen zu tun hatte.

»Naja, erst hat er normal bei mir eingekauft und sich wohl vor dem Laden betrunken. Dann kam er rein, weil er wahrscheinlich nichts mehr hatte. Weil ein paar Flaschen aus dem Regal gefallen sind, habe ich ihm mit der Polizei gedroht. Und er redet plötzlich davon, dass er mit Cap sprechen will. Also mir ist schon viel passiert, aber in dreißig Jahren, die ich hier arbeite, gab es noch nie jemanden, der unbedingt die Polizei vor Ort haben wollte«, erklärte er und kratzte sich am Kopf. Das habe ich auch nicht verstanden, aber es musste wohl der Alkohol sein.

»Noch etwas?«

Sein Blick wanderte zur halb ausgetrunkenen Flasche auf dem Boden, doch dann schüttelte er den Kopf.

»Ich denke, jetzt wo sein Cap da ist, wird er keine Schwierigkeiten machen. Nehmen Sie ihn einfach mit und wir bleiben dabei«, schmunzelnd machte er sich wieder auf den Weg hinter seine Theke. Sein Cap? Das klang befremdlich für mich. Diesmal hatte Thawat Glück gehabt, weil der Verkäufer ihn scheinbar nicht kannte und amüsiert war. In diesem Moment traf der Rettungswagen ein, zwei Sanitäter knieten sich neben ihn. Sie maßen seine Werte und sprachen mit ihm. Ich beobachtete es so lange, bis sich einer der Sanitäter zu mir umdrehte:

»Wir würden den Patienten zur Beobachtung gerne mitnehmen.«

»Alles klar. Fahren Sie, ich komme hinterher.«

Sie deckten Thawat zu, hoben ihn auf die Beine und brachten ihn zum Krankenwagen. Er war bei Bewusstsein und konnte laufen, drehte seinen Kopf aber immer wieder in meine Richtung. Das war unter anderem ein Grund, warum ich mich dafür entschied, mit ins Krankenhaus zu fahren. Betrunken oder nicht, das wäre die Chance mit ihm zu reden. Er hatte in diesem Zustand zumindest eingesehen, dass er Hilfe braucht. Vielleicht konnte ich da noch mehr rausholen.
 

Diesmal wäre es auch kein Problem, länger von der Station wegzubleiben, da es deutlich ruhiger geworden war. Wir kamen gut mit der Arbeit hinterher, darüber brauchte ich mir keine Sorgen machen. Über den Typen, der vor mir im Krankenwagen herfuhr, allerdings schon. Dieser hilfesuchende Blick ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Gehörte er zu den Leuten, die betrunken ehrlich waren und wollte er wirklich, dass ihm jemand half? Meine Gedanken kreisten, als ich auf den Parkplatz des Krankenhauses fuhr. Ich stieg aus und ging auf den Haupteingang zu. Letztes Mal war ich hier, als ich Nawin besucht hatte. Ich mochte die Atmosphäre von Krankenhäusern nicht, denn als ich klein war, war ich viel zu oft dort. Die Gerüche waren schrecklich und der Gedanke daran, um wie viele Schicksale hier jeden Tag gekämpft wurde ließ mich nie los. Die große Empfangshalle erstreckte sich vor mir, ich wurde von jedem gegrüßt, der mich sah. Nachdem ich an der Information gefragt hatte, wurde ich in einen größeren Saal gebracht. Dort standen sehr viele Betten, die lediglich mit weißen Vorhängen voneinander abgetrennt waren. Es war nicht unüblich, wurde für leichtere Fälle gebraucht, Patienten, die nicht lange blieben. Mit einem unruhigen Gefühl schob ich den Vorhang beiseite. Thawat lag im Bett, sie hatten ihm einen Zugang für eine Infusion gelegt. Seine Augen waren gerötet und mir fielen erst in diesem Moment die Verletzungen in seinem Gesicht auf. Er musste sich also auch noch geprügelt haben. Doch dieser Anblick verstärkte meine Unruhe nur. Ich kannte sonst nur dieses freche Grinsen, an das ich mich schon gewöhnt hatte. Als er mich sah, hellte sich sein Blick auf und für eine Sekunde musste ich an Thana denken. Die Beiden sahen sich wirklich ähnlich.

»Cap, ich dachte schon, du lässt mich allein!«, rief er und ich setzte mich auf den weißen Plastikstuhl neben dem Bett. Ganz ruhig, Captain. Thawat ist betrunken, es ist normal, dass er sich komisch aufführt, musste ich mir selbst einreden. Als er jedoch auch noch meine Hand nahm, war es endgültig vorbei mit mir. Seine Berührung ließ mir einen Blitz durch den Körper fahren. Doch wie auch schon vorhin, zog ich mich nicht zurück. Wenn es das war, was er in diesem Moment brauchte, würde ich auch das zulassen. Dieses eine Mal. Wenn ich Glück hatte, würde er sich danach nicht mehr daran erinnern.

»Wie geht es dir?«, schickte ich voraus, um nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.

Ich wusste zwar nicht, wie viel er intus hatte, aber vermutlich würde es eine Weile dauern, bis er ausgenüchtert war.

»Es geht schon, Cap«, seine Augen waren so traurig, dass ich ihn nicht lange ansehen konnte.

»Verstehe. Thawat, du hast gesagt, dass du einen Fehler gemacht hast. Was meintest du damit?«

Ich war mir erst nicht sicher, ob er sich erinnerte, aber als ich sah, wie sich Tränen in seinen Augen bildeten, war die Sache klar.

»Ich habe Angst, Captain«, sagte er und drückte meine Hand leicht. Ich erwiderte den Händedruck, war erstaunt über seine Ehrlichkeit. Auch wenn vermutlich nur der Alkohol aus ihm sprach.

»Du kannst mir alles sagen, Thawat. «

Ich durfte mir diese Chance auf keinen Fall entgehen lassen, endlich zu hören, was ihn umtrieb. Doch schon bei dem Gedanken, was er gleich sagen könnte, wurde mir mulmig zumute. Er schloss die Augen, Tränen flossen an seinen Wangen herunter.

»Ich habe Alpha auf meinen Bruder angesetzt«, er öffnete die Augen wieder, sah mich ernst an. »Ich habe es zwar nicht gesagt, aber ich habe Angst, dass er ihn umbringen könnte.«

Für einen Moment starrte ich ihn erschrocken an. Alpha? Dieser Name löste ein unangenehmes Gefühl in mir aus. War das nicht genau der, vor dem sein Bruder mich gewarnt hatte? Ich musste ruhig bleiben, noch wussten wir gar nichts.

»Thawat, wo war Alpha zuletzt, als du ihm den Befehl gegeben hast?«

Er fasste sich an den Kopf, schien ernsthaft zu überlegen. »Das muss vor dem Laden gewesen sein, als Rho festgenommen wurde.«

In meinem Kopf arbeitete es, ich versuchte die Stunden zurückzurechnen, die verstrichen waren. Je nachdem ob oder wann Alpha die Mission umgesetzt hat, konnte es durchaus schon zu spät sein.

»Hast du die Nummer von deinem Bruder?«, zu meinem Entsetzen schüttelte er den Kopf. Naja, damit hätte ich rechnen müssen. Ohne meine Hand loszulassen, reichte er mir sein Handy.

»Hier sind ein paar Nummern, eine davon ist auch von meinem Vater, aber ich weiß nicht welche. Vielleicht hilft das ja.«

Das war auch eine Möglichkeit, aber zuerst gab es etwas, was ich unbedingt tun musste. »Weißt du wie Alpha richtig heißt, Thawat?« Auch nur ein Kopfschütteln. Gut, dann musste es eben so gehen. Ich funkte die Station an: »Cho?«

»Captain. Was ist los?«

Ich sah auf das Bild von Alpha auf meinem Handy: »Gebt bitte eine Großfahndung raus. Der Mann nennt sich Alpha, ist circa 20 Jahre alt, braune Haare und braune Augen. Es ist möglich, dass er Khun Thana verletzt hat oder noch verletzen wird. Stuft es bitte auf höchste Dringlichkeit ein.«

Ich leitete Cho das Bild weiter. Die Fahndung würde über alle Bezirke laufen und war das, was mir am sinnvollsten erschien. Irgendwie musste Khun Thana zu finden sein. Ich versuchte ein paar Mal die Nummern aus Thawats Handy, doch es ging immer nur die Mailbox dran. Nur die Fahndung rauszugeben konnte noch nicht alles sein, was ich tun konnte. Falls Alpha in der Villa Saengsuwan sein würde, wäre es gefährlich Teams hinzuschicken, aber ich konnte Thawat hier nicht allein lassen. Ich befürchtete, er würde auf komische Ideen kommen. Es nützte nichts, daher rief ich Kasem an: »Kasem, wir haben eine Bedrohung für Khun Thana vorliegen. Ich kann hier nicht weg, könnt ihr jemanden bei der Villa vorbeischicken? Am besten nehmt ihr so viele Leute mit wie geht. Ich schätze die Bedrohung als sehr hoch ein«, ich versuchte nicht so abgehetzt zu klingen, wie ich mich fühlte. Thawat hatte es nur ausgesprochen und es reichte, um mich komplett zu stressen.

»Ja, können wir machen. Was ist denn passiert? Ist alles okay bei dir, Niran?«, seine Stimme war ruhig, aber ich konnte trotzdem die Sorge raushören. Doch dafür war keine Zeit.

»Alles gut, keine Sorge. Thawat hat Alpha auf seinen Bruder angesetzt, genau der, vor dem wir gewarnt wurden.«

»Verdammt. Aber die Fahndung hast du schon rausgegeben?«

»Hab‘ ich, die wird euch gleich erreichen.«

»Alles klar. Wir fahren zur Villa. Wir bleiben in Kontakt.«

Je mehr Zeit verstrich, desto schlechter ging es mir. Ich durfte einfach nicht über das was wäre wenn, nachdenken. Alles, was passiert war, konnten wir ohnehin nicht mehr ändern. Solange wir keinen der Beiden finden konnten, war auch nichts zu machen.

»Weißt du, wo dein Bruder sonst sein könnte, außer zuhause?«

»Nein, ich rede seit zwei Jahren nicht mehr mit ihm«, erklärte er leise. Diese Familie würde mich noch in den Wahnsinn treiben. Mir fiel jedoch einer ein, der es wissen könnte. Jira. Ich hoffte darauf, dass er seine Nummer nicht geändert hatte und ranging. Egal was ich tat, Thawats Blick war immer auf mich gerichtet, als hätte er Angst ich könnte gehen. Erst ging Jira nicht ans Handy und ich konnte einen Fluch nicht mehr unterdrücken. Dieses Tuten begann mich zu nerven. Auch wenn es angesichts der Uhrzeit nicht ungewöhnlich war, konnte ich das in diesem Moment nicht gebrauchen. Bange Sekunden verstrichen, bis ich endlich ein Klicken in der Leitung vernahm.

»Ja?«

»Jira, ich weiß nicht, ob du mir helfen willst oder kannst, aber es ist ein Notfall. Weißt du zufällig, wo sich Khun Thana aufhält, wenn er nicht auf der Arbeit oder zuhause ist?«

Jira stockte kurz: »Ähm, er ist viel mir Freunden unterwegs, aber so spät ist er eigentlich nicht mehr draußen.«

Er nannte mir Clubs und Bars, wo er sich normalerweise verabredete. Das war ein Ansatz, der uns vielleicht helfen konnte. Ich bedankte mich und ließ das Handy sinken.

»Cap, kann ich denn gar nichts tun?«, Thawat hatte sich in das Kissen sinken lassen, starrte die Decke an. Doch, auch er konnte etwas tun. Ich gab ihm sein Handy zurück: »Ruf‘ Alpha an. Vielleicht kannst du es noch verhindern.«

Thawat tat wie geheißen, stellte das Handy auf laut. Ich war überrascht, wie geistesgegenwärtig er angesichts der Situation und des Alkohols handelte. Sofern Alpha den Anruf entgegennehmen würde, könnte man ihn auch orten.

»Boss?«

»Alpha, wo bist du und was machst du?«

»Gib‘ mir noch ein bisschen Zeit, dann werde ich die Mission beenden. Versuch‘ bloß nicht, mich aufzuhalten. Du weißt, wie lange ich darauf gewartet habe.«

Alpha ließ ihn gar nicht zu Wort kommen, das Handy lag tutend auf seinem Schoß. Thawat starrte in die Ferne: »Er wird es durchziehen.«

Er ließ meine Hand los und für einen kurzen Moment dachte ich, er wäre wieder klar. Doch es war unmöglich, nach einem starken Rausch so schnell aufzuklären. Als er sich die Infusion aus der Hand reißen wollte, hielt ich ihn auf.

»Was hast du vor? In deinem Zustand wirst du nicht viel machen können. Wir haben die Fahndungen laufen und ich habe Leute zur Villa geschickt, mehr geht im Moment nicht«, versuchte ich beschwichtigend auf ihn einzureden. Es war weiterhin unübersichtlich, weil wir nicht mehr wussten als vorher. Es kam noch ein Kollege vorbei, der Thawats Handy mitnahm, um Alpha zu orten. Doch ab diesem Moment blieb uns nichts anderes übrig, als zu warten. Warten darauf, von irgendeiner Seite eine irgendwie geartete Nachricht zu bekommen. Thawat schloss die Augen, es schien, als würde er langsam von der Müdigkeit übermannt werden.
 

Thawat
 

Als ich aufwachte, wurde ich vom grellen Licht geblendet. Mein Kopf fühlte sich schwer an und pochte. Bruchstückhaft konnte ich mich daran erinnern, was passiert war. Aber nichts davon hätte in diesem Universum passieren sollen. Cap..war auch noch da. Er schlief auf dem Plastikstuhl. Mein betrunkenes Ich hatte ihm einen vorgeheult und seine Hand gehalten, peinlicher ging es nicht. Die Sache mit Alpha konnte ich abhaken. Er würde Thana schon nicht umbringen. Das hieß, mir blieb nur noch die Flucht, bevor Cap aufwachen würde. Ich zuckte zusammen, als ich mir die Infusion aus der Hand zog. Ja, ich war verzweifelt gewesen, weil sich nichts richtig angefühlt hatte. Aber meine Gefühle waren egal. Ich sah auf Caps Hände, dort lagen unsere Handys. Ich überlegte kurz, meins an mich zu bringen, doch dann erklang ein markerschütternd lauter Ton, der eine neue Nachricht ankündigte. Cap wachte auf, sah auf mein Handy und riss die Augen auf. Im gleichen Augenblick sprang er auf, gab mir das Handy in die Hand und ich las: »Tii, willst du dir mein Werk ansehen? Ist auch ganz frisch.«

Wie gelähmt starrte ich auf die Adresse, der er mitgeschickt hatte. Cap räusperte sich: »Wir sollten sofort hinfahren!«

Egal was ich gesagt hatte, das war alles im Delirium geschehen und spielte jetzt keine Rolle mehr. Daher schwang ich mich aus dem Bett und verschwand hinter dem Vorhang. Cap folgte mir, doch ich speiste ihn mit einem genervten: »Was sollen wir da?«, ab. Ich wollte mich entfernen, doch er hielt mich am Arm fest. Ich blieb stehen, aber drehte mich nicht um.

»Tii!«

Als ich diesen Namen von ihm hörte, drehte ich mich um. Cap sah mich eindringlich an.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass alles was du mir in deinem betrunkenen Zustand erzählt hast, wahr ist. Du willst das alles eigentlich gar nicht, hast dich in deiner Wut auf deine Familie in etwas verrannt, richtig?«

Jedes seiner Worte fühlte sich an wie ein Messerstich. Ich spürte Gefühle in mir aufsteigen, die ich jahrelang zurückhalten wollte.

»Du wolltest deinen Bruder nicht umbringen. Du hast Mitleid mit allen, die du ins Unglück gestürzt hast, oder?«, er ließ seine Worte weiter auf mich einprasseln. Es trieb mir die Tränen in die Augen und ich entzog mich seinem Griff.

»Hör auf!«, rief ich verzweifelt. Wusste nicht mehr, was ich tun sollte.

»Tii, du weißt verdammt genau, dass ich Recht habe!«, sagte er und wurde lauter. Ich fühlte mich hilflos, wollte mir nicht schon wieder die Blöße geben, vor ihm zusammenzubrechen.

»Was weißt du schon?«, rief ich zurück, konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Cap löste den Blickkontakt nicht für eine Sekunde.

»Dass du verzweifelst versuchst, ein schlechter Mensch zu sein, Tii. Aber damit ist niemandem geholfen. Weder deiner Familie noch deinen Freunden und schon gar nicht dir!«

»Was ist so schlimm daran?«, das Weiß der Krankenhauslobby verschwamm vor meinem Blick. Langsam begann meine Verteidigung zu bröckeln, doch ich stemmte mich mit aller Kraft dagegen. Bohrte meine Finger so fest in meine Hand, dass es wehtat. Alles, was ich nie von mir zeigen wollte. Alles, was niemand wissen sollte. Das alles überkam mich in diesem Moment.

»Du redest dir etwas ein, was du überhaupt nicht nötig hast«, Cap sprach wieder etwas ruhiger. Der Kloß in meinem Hals machte es schwer, zu sprechen.

»Du hast mit meiner Familie gesprochen und dir mein besoffenes Gelaber angehört, ja. Aber das heißt gar nichts!«, herrschte ich ihn an. Ich wollte einfach nur weg. Irgendwohin wo mich niemand kannte. Doch meine Beine wollten sich nicht bewegen,

»Mag‘ sein. Gut, sagen wir ich weiß gar nichts. Aber wenn ich nicht teilweise recht hätte, würdest du dann so vor mir stehen?«

Das schlug voll bei mir ein. Ich wollte gerade zum Sprechen ansetzen, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen.

»Reiß‘ dich zusammen, Tii. Ich gebe dir hier und jetzt eine Chance. Du musst selbst entscheiden, was du daraus machst. Wenn du mitkommst, werde ich dir helfen. Wir werden als Team arbeiten und versuchen das beste aus diesen Trümmern zu machen. Du musst wissen was dir wichtiger ist, dein Ruf oder das Leben deines Bruders! Wenn du gehst, wird es niemand geben, der dir helfen wird!«

Caps leidenschaftliche Worte lösten etwas in mir aus. Etwas, was ich seit zwei Jahren nicht gespürt hatte. Hoffnung, dass es doch noch irgendwie eine Lösung geben würde.

»Leg‘ diesen verdammten Stolz beiseite, Tii. Und jetzt komm‘, wir haben keine Zeit hier Seifenopern aufzuführen!«

Cap wartete meine Antwort nicht ab, sondern zog mich einfach mit sich. Ich wusste nicht, wie wir es anstellen sollten, aber die Aussicht, dass sich etwas ändern könnte, legte sich über die Verzweiflung. In diesem Moment traf ich eine Entscheidung. Egal wie kurios es wirkte, ich würde mit Cap als Team zusammenarbeiten. Es war das Letzte, was mir noch blieb.
 

Ehe ich mich versah, saßen wir in seinem Auto. Ich bekam mit, dass er telefonierte. »…vermute ich einen höheren Gefährdungsfall. Schickt mir ein paar Leute raus, wir wissen nicht, ob er noch vor Ort ist.«

Das Blaulicht hielt die Straße frei und Cap fuhr dementsprechend schnell. Ich fühlte mich schwach und immer noch leicht benebelt. Außerdem war die Situation so surreal, dass ich erst einmal überhaupt klarkommen musste. Mein Herz raste und ich war mir nicht sicher, ob es eine Nebenwirkung vom Alkohol war oder die Angst, was mich erwarten würde. Wieso wollte Cap mir helfen? Ich konnte nicht leugnen, dass ich seinen Einsatz faszinierend fand. Anstatt zu fliehen, trat er voller Selbstbewusstsein auf ein sinkendes Schiff. Er war sich sicher, es retten zu können, obwohl es schon längst zu spät war. Niemand anderes hätte sich jemals darum geschert was mit mir passiert oder versucht, irgendetwas über mich zu erfahren.
 

Plötzlich wurde ich von dem ganzen Blaulicht geblendet, als wir an einer Seitenstraße ankamen. Ein Krankenwagen und mehrere Polizeiwagen waren vor Ort. In meinem Kopf nahmen die schlimmsten Szenarien Form an. Kaum hielt Cap an, sprang ich aus dem Auto, lief auf den Krankenwagen zu. Doch die umstehenden Leute waren so hektisch, dass ich gar keine Chance hatte, mich zu nähern. Ich sah nur eine Trage, die in den Krankenwagen geschoben wurde, konnte kurz das Gesicht meines Bruders sehen. Worte wie Blutverlust und Reanimation rauschten an mir vorbei. Sie schlugen mir die Türen vor der Nase zu, fuhren mit eingeschaltetem Blaulicht und Sirene los. Der fehlende Krankenwagen gab den Blick auf die Seitengasse frei. Sie war von der Polizei ausgeleuchtet worden, war voller Blut. Die Konsequenz meiner Tat drohte mich unmittelbar zu erschlagen. Die Lichter blendeten mich, ich begann zu schwitzen, Stimmen und Geräusche vermischten sich zu etwas unverständlichem. Ich sah nicht mehr klar, nur noch Schatten und Silhouetten. Meine Beine gaben unter mir nach, eine Hand in meinem Rücken verhinderte, dass ich umfiel.

»Tii?«

Ich spürte, wie mich jemand sanft an den Schultern packte und mich irgendwo absetzte. Ich saß schräg im Auto, lehnte mich an die Säule. Ich wusste nicht einmal, wer mich in das Auto gesetzt hatte, oder welches Auto das war. Das kühle Metall tat gut auf der Haut, aber es half nicht meine grausamen Gedanken zu vertreiben. Ich ließ die Schultern sinken und saß einfach nur da. Thana war nicht tot, oder? Er würde es schaffen, oder? Ich konnte niemanden fragen, denn ihre Stimmen kamen nicht mehr bei mir an.



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