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Letzte Wiederkehr

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Langsam, aber mit pochendem Herzen erhob sich Seto und machte dem jungen Mann mit dem schwarzen Haar und den warmen, braunen Augen Platz, der sofort routiniert begann, Atem in die Augen zu leuchten und ihm einige Fragen zu stellen. „Tut das weh?“, erkundigte er sich, während er Druck auf Atems Brustkorb ausübte. „Ein wenig“, antwortete Atem wahrheitsgemäß.
 

Der junge Sanitäter war sehr einfühlsam und gab sich alle Mühe, dass sich der Pharao nicht unwohl fühlte. Seto wusste, dass das zu seinem Job gehörte und er diesen sicherlich tadellos ausübte. Dennoch konnte er nicht umhin, einen Stich der Eifersucht in seiner Brust zu spüren, als er Atem so ungezwungen berührte, einen belanglosen Scherz machte und Atem damit zum Kichern brachte. Mit geballter Faust stand der Chef der KaibCorp am Fenster und ließ den Blick über die Ländereien schweifen, um dieses Gefühl von sich zu drängen. Der Mond war bereits verschwunden, die Dämmerung hatte eingesetzt und der Himmel spannte sich über die Burg wie ein fahles, blassblaues Tuch.
 

Seto begriff nicht, was da eben passiert war und was ihn bewegt hatte. In seinem Kopf rasten die Gedanken und er fühlte so viele verschiedene Dinge, dass sie sich alle gegenseitig aufhoben und er sich erschöpft und ausgesaugt vorkam. Die Gründe, die ihn dazu gebraucht hatten, Atem so nahe zu kommen, hatten bisher stets so tief unter der Oberfläche seiner Gedanken geschlummert, dass er sie nicht hatte erreichen können. Dass er sich nicht mal wirklich gewagt hatte, zu ihnen vorzudringen und nach ihnen zu greifen. Jetzt plötzlich lag das alles offen und dennoch wusste er nicht, was er nun damit anfangen sollte.
 

All das passte nicht zu seinem Leben. Passte nicht zu seiner Agenda. Aber wenn er ehrlich zu sich war, hatte auch der Wunsch nicht hineingepasst, Atem aus dem Totenreich zurückzuholen. Trotzdem war der Drang danach so groß, so präsent gewesen, dass er keine andere Möglichkeit mehr gesehen hatte. Er hatte es als seine bisher größte Herausforderung betrachtet, die nur ein Vorspiel zu der eigentlichen Herausforderung hatte sein sollen, der er sich hatte stellen wollen. Doch das Duell mit dem Pharao war in den letzten Stunden in den Hintergrund gerückt. Für den Bruchteil einer Sekunde fragte er sich sogar, ob es ihm wirklich jemals etwas bedeutet hatte, diesen Titel wiederzuerringen. Alles war verkehrt und es kam ihm vor, als würde er den Halt verlieren. Atems Frage konnte er nach wie vor nicht in Worten beantworten. Er hatte lediglich gewusst, dass er den Pharao einfach hatte zurückholen wollen. Es war eine Gewissheit, wie es sie selten im Leben gab.
 

So wie jetzt gerade hatte er sich schon einmal gefühlt. An dem Tag, an dem Atem ihn zum ersten Mal geschlagen und seine Seele in tausend Stücke zerschmettert hatte. Schon damals war ihm der Pharao durch Mark und Bein gegangen und Seto hätte nicht sagen können, ob er für das, was er in ihm angerichtet hatte, Magie genutzt hatte oder ob er es nur mit seinen Worten und Gesten getan hatte. Die Jahre, die darauffolgten, waren turbulent und verwirrend gewesen. Und der Pharao war immer ein Teil von alldem, war immer in seiner Nähe gewesen. Bis Seto sich an seine Anwesenheit gewöhnt hatte, bis sie zu einem festen Bestandteil seines Alltags geworden war. Genau wie dieses Gefühl, dass er mit ihm verband.
 

Und obwohl sich der Atem, der sich nun mit ihm hier im Raum befand, nicht an all das erinnern konnte, obwohl er all diese Dinge noch nicht getan hatte, fühlte Seto sich wohl in seiner Gegenwart, fühlte sich auf seltsame Weise zu Hause. So sehr, dass er es nicht mehr hatte mit ansehen wollen, dass Atem sich selbst für Unbedeutsamkeiten die Schuld gab, die von all den guten Dingen, die er erreicht hatte, doch längst in den Schatten gestellt worden waren. Von all seinen richtigen Entscheidungen und seinem so intelligenten und angenehmen Wesen. Er hatte ihm diese Schwere auf seinem Gemüt nehmen wollen, hatte dem Pharao zeigen wollen, dass ein solcher Fehltritt in dieser Welt lediglich eine Lappalie war. Dass niemand immer so handeln konnte, wie andere es erwarteten. Und dass er ihm dennoch nah sein wollte. Und dann war alles in seinem Kopf verschwommen und ein unbegreifliches, neues Gefühl hatte sich seiner bemächtigt. Er hatte sich … leicht gefühlt, aufgehoben, aber schwerelos.
 

„So, das war’s auch schon. Ihnen fehlt nichts außer ein paar geprellten Rippen“, holte ihn die Stimme des Sanitäters aus seinen Gedanken, der jetzt aufstand und zufrieden seine Instrumente wegräumte. „Vielen Dank für Ihre Mühe“, sagte Atem freundlich. „Ach, gerne doch. Ich bin froh, dass es Ihnen soweit gutgeht. Sie sollten sich jetzt aber etwas ausruhen. Soll ich Ihnen noch ein Schmerzmittel für die Nacht geben?“ „Ich denke, das wird nicht nötig sein. So schlimm ist es wirklich nicht“, schüttelte Atem den Kopf. „Wie Sie meinen. Dann schlafen Sie sich aus. Gute Nacht.“ „Was ist mit Pegasus?“, wollte Seto jetzt wissen, „wann können wir mit ihm sprechen?“ „Vermutlich erst morgen im Laufe des Tages“, der junge Mann wandte seine Aufmerksamkeit nun ihm zu, „er schläft jetzt und hat ein starkes Beruhigungsmittel bekommen. Sie können versuchen, ihn anzusprechen, sobald er aufwacht, aber ich denke, es wird seine Zeit brauchen, bis er wieder ganz klar ist.“ Seto nickte verstehend. „Gut, dann war es das“, sagte er kühl. Plötzlich fühlte er sich sehr müde. Ein Blick auf Atem verriet ihm, dass es ihm ebenso ging.
 

Nachdem der Sanitäter den Raum verlassen hatte, räusperte er sich verhalten. „Ich denke, du solltest dich wirklich etwas ausruhen. Ich werde auch versuchen, noch ein bisschen Schlaf zu bekommen.“ Er hatte nicht wirklich vor, zu schlafen, aber er wollte Atem nicht das Gefühl geben, dass es jetzt unangemessen war, sich auszukurieren. „In Ordnung“, Atem lächelte ihm dankbar zu. „Dann bis morgen.“
 

***

Nach dem Frühstück, das sie fünf Stunden später zu sich nahmen und das für Seto nur aus drei Tassen Kaffee bestand, wollten sie sofort ihr Glück versuchen und mit dem Burgherrn sprechen. Croquet hatte ihnen gesagt, dass Mr. Pegasus bereits aufgewacht war, und führte sie jetzt in den Krankenflügel.
 

Der silberhaarige Mann drehte leicht den Kopf zu ihnen, als sie eintraten, und seine Augenlider flatterten kurz, bevor sich die rotbraunen Augen auf Atem und Seto richteten. Der Burgherr war noch an zahlreiche Schläuche angeschlossen und sah erschöpft und blass aus. „Pegasus“, begann Seto ernst, „wir müssen unbedingt wissen …“, doch er fing sich einen strengen Blick von Seiten Atems ein und verstummte sofort. „Wie geht es Ihnen? Wir waren sehr besorgt um Sie“, übernahm der Pharao jetzt etwas diplomatischer die Gesprächsführung.
 

Auf Pegasus Lippen zeichnete sich ein verklärtes Lächeln ab. Für einige Sekunden sah er Atem und Seto verträumt an, dann flötete er: „Blendend, blendend, alles ist so wattig in meinem Kopf! Und ihr … ihr beide … ihr seid so ein hübsches Paar! Traumhaft! Ich könnte mir gut vorstellen, auf meiner Burg für euch eine Hochzeitsfeier auszurichten! Das wäre ein Ereignis! Wie würde euch das gefallen?“ Er kicherte leise. Atem und Seto blickten sich ratlos an. Dann trat Seto näher an das Bett heran. „Pegasus, bitte versuch dich zu konzentrieren! Kannst du uns etwas darüber sagen, was gestern Nacht passiert ist?!“ „Gestern?“, fragte Pegasus verwirrt, „ja! Es gab ein großes Feuerwerk! So eins könnte ich für die Party auch organisieren!“
 

Seto war sichtlich frustriert und wollte weiter auf Pegasus eindringen, aber Atem griff entschlossen nach seinem Arm und zog ihn vom Bett weg. „Das hat jetzt keinen Sinn“, stellte er beschwichtigend fest, „lass uns einfach später nochmal wiederkommen.“ Seto seufzte. „Wir verschwenden hier nur unsere Zeit!“, fluchte er verärgert. Atem schüttelte amüsiert den Kopf. „Das sehe ich aber ganz anders!“ Seto wandte sich zu ihm um. „Wie meinst du das?“ „Naja, ich weiß bereits einen netten Zeitvertreib für uns beide, bis Pegasus wieder bei klarem Verstand ist.“ Seto blinzelte ihn perplex an.
 

***

30 Minuten später saßen die beiden um den kleinen Tisch in Setos Gästezimmer und blickten konzentriert auf die Spielmatte zwischen ihnen, auf der bereits einige Karten ihren Platz gefunden hatten. „Aber warum darf ich dich denn nicht angreifen?“, fragte Atem konzentriert. „Weil wir in der ersten Runde sind. Es wäre nicht gerade fair, wenn du mich angreifst, wenn ich noch nicht einmal die Möglichkeit hatte, ein Monster zu beschwören, oder?“, erklärte der Firmenchef geduldig. Ein wenig nervös war Atem nun doch. Seto schien zwar zufrieden mit seinem Fortschritt in Duel Monsters zu sein, aber er schien auch große Ansprüche an ihn zu stellen. Offensichtlich war sein späteres Ich ein echtes Ass in diesem Spiel. Andererseits: Wenn er sich sicher sein konnte, dass er es irgendwann so gut beherrschen würde, dann musste er sich wohl jetzt keinen Druck machen, wenn er etwas nicht sofort verstand. „Und diese Schriftzeichen in der rechten oberen Ecke“, erkundigte er sich weiter, „was hat es mit denen auf sich?“ „Sie geben den Monstertyp an“, antwortete Seto, „das wird wichtig bei Ausrüstungs- und anderen Zauberkarten oder Effekten, die nur bestimmte Typen betreffen.“ Atem gab sich Mühe, sich alles zu merken.
 

„Genug des Vorgeplänkels“, schloss Seto schließlich, „wie wäre es denn, wenn wir jetzt einfach mal ein Match wagen? Learning by doing ist noch immer die beste Methode.“ „Ehrlich? Jetzt schon?“, Atem sah verdutzt von seinem Blatt auf, „du setzt ja ganz schön viel Vertrauen in mich“, stellte er etwas kleinlaut fest. „Natürlich, was sonst? Wärst du es andernfalls wert, dich zu schlagen?“ Seto grinste herausfordernd und Atem musste immer wieder feststellen, dass sein Gastgeber tatsächlich Humor besaß, zumindest wenn er sich wohlzufühlen schien. „Also gut, Kaiba, gehen wir's an! Stell dich auf eine weitere Niederlage ein!“, Atem grinste verschmitzt. In Setos Gesicht leuchteten nun ein Ausdruck der Genugtuung und ein schwer zu beschreibendes Feuer. Atem konnte es schwer festmachen, aber er schien jetzt ein anderer zu sein und ihm gefiel der Kampfgeist des Älteren. Er übte eine Anziehung auf Atem aus, die sowohl ein Kribbeln in seinem Bauch verursachte als auch dafür sorgte, dass er sich sehr wohlfühlte. An Seth hatte er eine solche Ausstrahlung zuvor nie wahrgenommen.
 

Seto mischte geübt seine Karten und reichte sie Atem vorschriftsgemäß zum Abheben. Dabei berührten sich ihre Hände für einen Moment und Atem traf es wie ein elektrischer Impuls. Sein Blick richtete sich auf und fing Setos ein und für einen Moment versanken sie in den Augen des jeweils anderen. „Danke“, sagte Atem dann unvermittelt, ohne Seto sein Deck aus der Hand zu nehmen. „Für was?“, wollte Seto wissen. Er biss sich leicht nervös auf die Lippe. „Dass du mir zugehört hast und mich nicht verurteilst“, erklärte Atem. „Auch ich bin nicht auf alles stolz, was ich getan habe", lenkte Seto ein, „auch in Bezug auf dich und deine Freunde. Wenn du davon wüsstest, würdest du mir nicht für so etwas danken.“
 

Atem legte den Kopf schief. „Naja … das liegt in der Zukunft. In meiner zumindest. Ich sehe keinen Sinn darin, über ungelegte Eier zu sprechen.“ „Aber es liegt auch in meiner Vergangenheit. Und vielleicht ist es Zeit, einiges davon wiedergutzumachen.“ „Oder vielleicht sollten wir Zeit nicht so linear betrachten, sondern ganz einfach das Beste aus dem Hier und Jetzt machen“, schlug Atem ermutigend vor. „Das habe ich immer versucht“, nickte Seto bestätigend, „und du solltest das auch tun. Du solltest vergessen, was mit Bakura war, und stattdessen dafür sorgen, dass diese Schriftrolle keinen weiteren Schaden anrichtet.“ Atem nickte. „Wirst du mir denn dabei helfen?“, fragte er. Seto schien kurz mit sich zu hadern. Anderen zu helfen gehörte offensichtlich nicht zu seinen leichtesten Übungen. „Ach … zur Hölle, ja. Ich mach’s!“, knurrte er schließlich entschlossen.
 

Atem lächelte ihn zufrieden an. Dann, einem plötzlichen Impuls folgend, umrundete er den Tisch, bis er vor Setos Stuhl stand. Seto sah verblüfft zu ihm auf, als der Pharao dessen Gesicht behutsam in seine Hände nahm, sich zu ihm herabbeugte und ihn erneut küsste. Er spürte Setos kraftvolle Lippen, die sich auf seine eigenen pressten, und fragte sich gleichzeitig, was er hier eigentlich tat. Das hier war nicht sein Leben, das hier war nur eine Zwischenstation für ihn, bis alles wieder seinen gewohnten Gang gehen würde. Nichts weiter als ein Traum, aus dem er irgendwann würde erwachen müssen. Ein gefährlicher Traum, der ihn süchtig machen konnte. Ein Traum von Freiheit und von einem Leben, das alles war, von was er nie zu träumen gewagt hätte, aber dennoch ein Traum. Er durfte hier nicht auf falsche Ideen kommen, nicht zu viel von dieser berauschenden Atmosphäre in sich aufnehmen, denn dann würde es ihm noch schwerer fallen, all das hier wieder hinter sich zu lassen.
 

Er spürte, wie Seto ihn jetzt fordernder küsste und ihn enger an sich zog. Mit seiner Hand spielte er mit einer von Atems blonden Strähnen, die ihm ins Gesicht fielen. Panik stieg mit einem Mal in Atem auf und all das, was ihn in seinem alten Leben stets zu erdrücken drohte, fiel in seinen Magen wie ein schwerer Stein. Er fürchtete, wenn er sich noch weiter in dieses überwältigende Gefühl fallen ließ, dass er sich selbst verlieren könnte, dass er vergessen könnte, als wer er geboren war. Mit pochendem Herzen brach er den Kuss ab und zog sich abrupt von Seto zurück. Für einen Augenblick ließ er seine Hand jedoch auf dessen Wange ruhen und zögerte, ihn gehen zu lassen. Dann sah er ihn entschuldigend an, bevor er sich langsam entfernte und zum Fenster ging. „Entschuldige bitte“, sagte er leise und mit gepresster Stimme, während er sich fahrig mit der Hand durch sein Haar fuhr. „Es muss dir nicht leid tun“, sagte Seto, den das alles nicht weniger zu überfordern schien.
 

Es klopfte und Croquet trat ein. „Bitte entschuldigen Sie die Störung“, sagte er, „aber Mr. Pegasus ist nun ansprechbar und er hat nach Ihnen beiden verlangt. Er möchte Sie unverzüglich sehen.“ Atem wandte sich um und suchte Setos Blick. „Alles klar, holen wir uns ein paar Antworten!“, schlug dieser entschlossen vor.


 


 


 


 


 


 



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