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Der Geruch nach Gänseblümchen und Löwenzahn

Die Liebe des Menschen ist vergänglich
von

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Ein Meer aus Beton

Ein Meer aus Beton. Riesige Gebäude, die den Himmel verdeckten. Nur gelegentlich konnte man unterhalb der riesigen Türme ein paar Sonnenstrahlen erhaschen. Doch auch die letzten Strahlen drohten geraubt zu werden, damit der Mensch mehr Platz zum Leben hatte. Die Großstadt platzte förmlich aus allen Nähten. Niemand genau wusste wohin mit sich.

Am Fuße dieser kalten Gebäude, lebten die, die sie zurückgelassen hatten. Eins geliebt und nun vergessen…

Filias war einer dieser “Grundbewohnter” oder besser gesagt, er lebte in den Kluften, zwischen diesen Riesen. Auf Samtpfoten strich er durch die Gassen, die er als sein Revier ansah. Das grelle Licht der Reklametafeln spiegelte sich in den Pfützen der dreckigen Stadt, während er im Schatten auf die Jagd ging.

In seinem Revier war Filias bekannt, doch niemand scherte sich um den herrenlosen Kater. Was umgekehrt genauso war. Er hatte die Nase voll von Menschen, duldete sie jedoch in seiner Nähe. Er hatte genug Gründe den Menschen aus dem Weg zu gehen. In seinen bisherigen sechs Leben hatte er kaum gute Erfahrungen mit ihnen gemacht und auch im siebten hatte sich der Mensch nicht geändert.
 

Filias balancierte geschickt über den schmalen Überstand, die die Buden in den Gassen häufig hatten. Leichtfüßig, wie eine Katze nun mal war, war er auf dem Weg zu seiner Mahlzeit.

Er kam an dem einer der vielen bunt leuchtenden Reklamehaften vorbei, die die Dunkelheit erhellte, um auf sich aufmerksam zu machen. Doch die Aufmerksamkeit fiel nicht auf das was die Tafel anpries, sondern auf den Kater, denn Filias hörte das Plärren eines Menschenkindes. Es zeigte mit seinen gierigen Fingern auf ihn, während es versuchte eine Reaktion von seiner Mutter zu bekommen. Doch diese achtete gar nicht darauf was ihr Sohn von ihr wollte. Viel zu sehr war sie damit beschäftigt der Person, die als kleines Hologramm vor ihr in der Luft schwebte, ihre eigenen alltäglichen Probleme darzustellen.

Sie verschwanden in ein Gebäude, dessen Schaufenster mit allerlei Tand und Kram geschmückt war. Es leuchtete und blinkte auf eine penetrante weise, doch die Menschen schienen es zu lieben. Vor allem zu dieser Jahreszeit - das hieß, wenn es Jahreszeiten noch geben würde. Der Mensch hatte die Erde bereits soweit ausgebeutet und für seine Zwecke missbraucht, dass das ganze System zusammengebrochen war. Klimakatastrophen waren das Ergins seiner Gier. Wenn man sich selbst nicht ändern wollte und die Ursache vermied, so musste man sich um die Auswirkungen kümmern. Mittlerweile sorgten Umwelt-Stabilisatoren und Filteranlagen dafür, dass es Luft zum Atmen gab und die Temperatur zwischen 0 und 24°C geregelt werden konnte, anstatt auf -40°C zu rutschen und alles leben unter eine dicke Eisschicht zu bedecken.

Gerade war es 5°C warm. Angenehm, wenn man ein Fell wie Filias hatte.

Kurz putzte er seine Pfote, ehe ihm scheinbar wieder einfiel, warum er sich an diesem Tag auf den Weg gemacht hatte. Nicht weit von seinem Standpunkt aus, gab es einen Ort, der immer gute Beute versprach. Geschickt wand sich Filias seinen Weg an den Betonmauern und Pfeilern entlang, bis er schließlich beim All-You-Can-Eat-Sushi-Laden ankam. Nicht, dass er hoffte, dass irgendjemand Mitleid mit ihm hatte und ihm etwas zu fressen spendierte. Nein, er brauchte gar nicht zu warten. In dem Müllcontainer war bereits genug leckerer Abfall, von dem er sogar vier Mal satt werden würde.

Leider war der Container geschlossen. Den schweren Deckel hatte man vorsichtshalber dicht gemacht, damit keine Tiere angelockt wurden. Doch das stoppte Filias mit Sicherheit nicht. Seine Nase schrie förmlich, dass er sich diese Leckerbissen nicht entgehen lassen soll.

Vor einiger Zeit war eines der schwebenden Autos, die weit oben an den Wolkenkratzern herum sausten, von seinem Weg abgekommen und war direkt auf den Container gefallen. Letzteres hatte es fast unbeschadet überstanden, das fliegende Auto samt Insassen nicht. Zurück blieben ein paar Kratzer und ein kleiner unauffälliger Riss in der Wand der riesigen Futterbox. Filias strich um den Container herum, bis er die kleine Öffnung fand, die in der dunklen Ecke der Gasse gar nicht auffiel. Der Kater zwängte seinen Kopf hindurch und zog seinen restlichen Körper nach. Endlich. Er genoss die Leckerbissen, auch wenn man sich sicher sein konnte, dass dieser “Fisch” niemals das Meer gesehen hatte. Genauer gesagt hatte dieser Fisch noch nie etwas gesehen. Es war auf einer Petrischale gezüchtet worden, erschaffen in Laboren. Denn wenn etwas aus dem Meer gekommen wäre, wäre es sicherlich nicht mehr essbar gewesen. Auch diesen hatte der Mensch vollkommen zerstört. Aber selbst, wenn Filias gewusst hätte, dass der Fisch nicht echt war, hätte er sich dennoch weiter den Bauch vollgeschlagen. Nicht nur er.

Kaum hatte er sich ein kleines Stück Aal geschnappt, hörte er aus einer der Ecken ein Fauchen. Er war nicht der Einzige, der von diesem Buffet wusste.

Das Licht im inneren war fluoreszierender Müll. Zurzeit waren selbstleuchtende Dinge für den Menschen wieder im Trend, so dass man sie überall fand, vor allem im Müll.

Viel erkennen konnte er aber nicht, dafür war das Licht zu schwach, dennoch sträubte sich sein rot getigertes Fell. Auch er fing an zu fauchen, zog sich aber langsam Richtung Ausgang zurück. Zwar konnte er kaum etwas sehen, dafür hatte ihn aber seine Nase verraten, mit wem er sich hier die Ehre gab. Nein, er hatte definitiv kein Interesse daran, sich mit diesem Kater zu messen. Es handelte sich dabei um einen riesigen und schweren Kater, der in der Gegend als “Panther” bekannt. Er roch nach Ärger. Klein beigeben würde der nicht.

Filias hatte den Ausgang noch nicht erreicht, da sauste ihm eine krallenbesetzte Pfote ums Gesicht. Er konnte sich gerade noch ducken, um schlimmeres zu vermeiden.

Panther hatte nicht vor seinen reich gedeckten Tisch zu verlassen, somit war Filias erst einmal sicher, als er durch den Riss wieder nach draußen gelangte. Leider musste er feststellen, dass er nicht ganz unbeschadet aus der Sache herausgekommen war. Sein linkes Ohr schmerzte. Er nahm es gelassen. Ein Kratzer, mehr war es nicht. Dennoch war es ihm eine Lehre. Die Gassen waren gefährlich, das durfte er nicht vergessen. Er hätte sich von seinen Instinkten und nicht von seinem Magen führen lassen dürfen. Den Fehler würde er so schnell nicht wieder begehen.

Im Schutze einer herabgefallenen und defekten Werbetafel, säuberte Filias sein Fell und seine Wunde, so gut es ging. Nachdem der Schreck nur noch eine entfernte Erinnerung war, wollte er etwas gegen den Hunger tun, der sich wieder bemerkbar gemacht hatte.
 

Ohne Eile streifte der rote Kater durch die Straßen.

Die Lichter der Hologramm-Projektoren und der Werbetafeln erhellten die Straßen und alles was sich zwischen den Gerippen der Betonriesen befand auf unnatürliche weise. Es war schwer zu sagen welche Tageszeit gerade aktuell war, denn es war sonst immer dunkel am Fuße der Wolkenkratzer. Doch bei der Menge an Menschen, die unterwegs, und der Läden, die geöffnet waren, sollte es früher Nachmittag sein.

Genau die richtige Zeit.

Filias beschleunigte den Schritt und kam bald an einer Mauer an, hinter der sich ein Basketballplatz versteckte.

Das Mauerwerk war mit Graffitis beschmiert. Der Stahlträger hatte schon vor langer Zeit den Ring samt Netz verloren. Müll hat sich in jeder Ecke angesammelt. Es roch nach Urin und dem ungewaschenen Kerl, der unter einer Plane am Ende des Platzes pennte.

In der Stadt gab es viele solcher Obdachlose. Sie passten nicht ins System und wurden hinausgeworfen. Vielleicht waren sie nicht gut genug, vielleicht hatten sie aber auch nur, genau wie Filias, die Nase voll von diesen Menschen und suchten sich ihren eigenen Weg. Weg von der Gesellschaft, die mittlerweile nicht mehr nur aus dem Homo Sepien bestand.

Seit einigen Jahren war der Mensch nicht mehr allein. Er hatte sich ein Abbild geschaffen, um sich selbst zu verwirklichen oder um Gott zu spielen. Er hatte etwas gebaut, dass er Androide nannte. Eine Maschine, die genau so aussah wie er und die tat, was man ihr befahl. Ein Sklave, über den der Mensch herrschen konnte.

Filias hockte auf der Mauer und beschäftigte sich ausgiebig mit seiner Fellpflege, um die Wartezeit sinnvoll zu nutzen.

Es dauerte eine Weile, dann sollte sich Filias Warten ausgezahlt haben. Sein Kopf ging plötzlich hoch, als er eine bekannte Stimme hörte.

“Pumpkin”.

Dem Androiden war klar, dass dies bestimmt nicht Filias richtiger Name war. Der Kater war zu schweigsam und hatte ihm bisher nicht seinen wahren Namen verraten, weshalb man kurzerhand sich einen passenden ausgedacht hatte. Filias war damit einverstanden gewesen. Eigentlich machte er sich nicht viel aus Namen, er hatte in seinen Leben bereits viele gehabt. Nun reichte es ihm, wenn er wusste, dass er gemeint war. Was er sehr gern war, wenn das bedeutete, dass etwas zu essen für ihn heraussprang.

Das Geräusch einer Dose, die geöffnet wurde, ließ Filias das Wasser im Maul zusammenlaufen. Er sprang von seiner Erhöhung und gleich auf sein Fressen zu, das man liebevoll auf einen Plastikteller serviert hatte. Collin, so hatte sich der blonde Androide einst vorgestellt, strich ihm während er fraß über den Kopf.

“Wieder mal nichts Ordentliches zu fressen bekommen.”, stellte der Androide fest. Auch blieb ihm der Kratzer an Filias Ohr auf. “Ein anstrengender Tag gewesen?”

Collin hockte neben dem Kater und sah zu wie dieser hungrig sein Fressen herunterschlang.

“Wenn ich könnte, würde ich dir ein ordentliches Zuhause geben, indem du dich nicht mehr um die nächste Mahlzeit streiten musst.”

Die blauen Augen des Androiden beobachteten interessiert Filias Fressverhalten, während er ruhig weitersprach.

“Alles was ich dir geben kann ist Aufmerksamkeit und ein bisschen Essen. Bisher hat meine Familie nicht gemerkt, dass ich gelegentlich ein Dose Katzenfutter vom Einkaufen mitbringe. Ich frage mich, ob sich ihr Vertrauen dadurch missbrauche. Aber dann denke ich, dass es für einen guten Zweck ist.”

Das leise Schnurren, das vom Kater aus ging, brachte den Androiden ein Lächeln ins Gesicht, das so perfekt war, dass es schon unreal wirkte. Eine Maschine, die als Abbild des Menschen geschaffen wurde und ihn in manchen Punkten weit übertraf.

Viele Menschen nutzten Androiden im Haushalt. Es gab weitaus mehr Androiden, die in der Industrie eingesetzt wurden. Sie waren überall und gar nicht mehr weg zu denken. Sie waren nützlich und gehorsame Arbeiter. Dies hatte dazu geführt, dass in vielen Berufen Jobs mit Androiden besetzt wurden, um die Kosten zu senken und die Produktivität zu steigern. Das Ergebnis davon war ein Anstieg der Arbeitslosigkeit. Natürlich waren die Menschen, die wegen den Androiden keinen Job mehr hatten, ihnen gegenüber feindlich gesinnt.

Auch Collin hatte in seiner Vergangenheit mit einen von ihnen zu tun gehabt und hatte das Ausmaß menschlicher Grausamkeit zu spüren bekommen.

Es waren genau drei Jahre vier Monate zwei Tage drei Stunden fünf Minuten und drei Sekunden her, als Collin die unliebsame Begegnung mit einem Schläger hatte.

Ein Mann, der davon überzeugt gewesen war, dass die Welt ohne Androiden besser ist. Collin war nicht sein einziges Opfer gewesen. Der Mann hatte Erfahrung, wusste wie man diese Maschinen überlistete. Androiden wehrten sich nicht, wenn dies bedeutete einen Menschen zu schaden. Sie konnten sich bei Gefahr aber sehr schnell in Sicherheit bringen.

Auf dem Weg vom Einkauf zurück zu seiner Familie, sprach ihn der Mann freundlich an und bat um Hilfe, seine Beinprothese war ausgefallen und nun brauchte er eine Überbrückung, um sie wieder ans Laufen zu bekommen. Es war keine große Sache, denn bei den medizinischen Möglichkeiten in diesen Tagen, war es nahezu möglich jedes Körperteil durch Mechanik ersetzen und verbessern zu lassen. Bei den älteren Modellen kam es jedoch hin und wieder zu ausfällen. Hilfsbereit wie Collin war, kam er auf den Mann zu, der sich an einer Wand lehnte, um sich zu stützen. Allerdings musste der Androide feststellen, dass der Mann etwas hinter seinem Rücken verbarg, doch die Erkenntnis kam zu spät.

Ein Stromstoß hatte Collins System kurzzeitig lahmgelegt, so dass er weder fliehen noch sich bewegen konnte. Danach drosch man mit dem Baseballschläger mehrmals auf ihn ein, bis man davon überzeugt war, dass dieser Androide nie wieder auch nur eine Tasse Tee servieren würde.

Fast wäre es so weit gekommen.

Der Mann hatte die Maschine in einen der nahen Müllcontainer geworfen. Die Müllpresse sollte das übrige tun. Danach wäre der Androide nicht größer als ein Würfel.

Doch er hatte nicht mit einem neugierigen kleinen Kater gerechnet, der hungrig von Container zu Container zog.

Filias hatte den Androiden im Müll gefunden. Dessen Kopf war eingedellt, Arme und Beine befanden sich nicht mehr am Körper. Nur die Augen hatten sich bewegt. Es musste wohl dieser hilflose flehende Blick gewesen sein, die den Kater überzeugt hatten nicht einfach wieder zu verschwinden.

Wenn jemand weiß, wie er Aufmerksamkeit erregte, dann war es Filias. Er maunzte laut, sprang Menschen und Androiden vor die Füße und strich immer wieder um diesen Container herum, bis sich schließlich jemand herabließ, um nachzusehen was los war. Man fand den kaputten Androiden und befreite ihn. Dass Collins Speicher dabei unversehrt geblieben war, grenzte an Glück. Um herauszufinden wer der Täter war, hatte man diesen ausgelesen und so wurde Collins Peiniger schnell überführt.

Die anfallende Reparatur hatte der Täter zahlen müssen und bald war Collin wieder auf den Beinen gewesen. Allerdings hatte es so einiges in seinem Leben verändert. Die Erschütterung - ob nun durch die Einschläge oder durch die Grausamkeit des Menschen - hatten die Wahrnehmung der Maschine verändert. Er dachte anders, wenn auch nur ein bisschen. Es reichte aus, um ihn selbstständiger zu machen.
 

“Es ist zwar das fünftausenddreihundertste Mal, dass ich dir dafür danke, was du für mich getan hast.” Noch einmal fuhr er Filias über das Fell, dann richtete sich Collin wieder auf.

Zum Abschied schlich der Kater um dessen Beine, schmiegte sich an die makellose Hose, ehe er seinen Androiden nach Hause gehen ließ.

Collin ging den Weg weiter, vorbei an Müllsäcken, an den beschmierten Mauern und den dreckigen Pfützen. Er liebte die Stadt, auch wenn es hier unten schmutzig war. Er wusste, dass es Orte gab, an den es viel schlimmer sein konnte.

Noch mehr als die Stadt, liebte er seine Familie. Phylipp Jones, Mally Jones und Luccy Jones. Sie alle gehörten zu seiner kleinen Welt. Luccy war die Tochter seiner Besitzer, die er kannte, seitdem sie auf der Welt war. Damals hatte er für sie alles gemacht. Sie gefüttert, sie gewickelt und nachts war er bei ihr gewesen, wenn sie geweint hatte. Mittlerweile war sie fast erwachsen und brauchte ihn nicht mehr.

Auch wenn er es nicht fühlen sollte, - denn Androiden waren dazu gemacht zu gehorchen und nicht zu fühlen - fühlte er sich traurig, da sie sich so sehr auseinander gelebt hatten. Er war nichts mehr als ein Haushaltsgegenstand, den man nicht mehr brauchte.

Man beachtete ihn kaum noch. Er war das Geräusch im Hintergrund, dass zwar zu hören war, man aber ausblendete.

Collin räumte in der kleinen Wohnung auf, während Phylipp und Mally regungslos auf dem Sofa lagen. Beide trugen einen Helm, mit dessen Hilfe sie in die virtuelle Realität abtauchen konnten. Ihre Körper waren im hier und jetzt doch ihr Geist war weit weg. Gelegentlich überwachte Collin ihre Vitalfunktionen, um sicher zu gehen, dass es ihnen gut ging, doch nicht mal das bekamen die beiden mit.

Der Androide räumte einige Hologrammtablets zur Seite. Seine Sensoren registrieren die Art der Werbung, doch verarbeitete sein Speicher die Information nicht wie ein menschliches Gehirn. Für ihn war es nur ein leerer Rahmen, für seine Besitzer waren es Broschüren und Angebote für verschiedene Typen von Androiden, die es zurzeit auf dem Markt gab.

Collin liebte seine Familie und er war sich sicher, dass sie ihn auch liebten. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass man ihn austauschen würde. Er war stets zuverlässig.

Eine interne Warnung seines Systems wurde von ihm registriert. Er beendete den Abwasch frühzeitig, ließ das restliche dreckige Geschirr stehen und setzte sich auf seinen Platz. Auf den ungepolsterten Stuhl in der Ecke der Küche zog er einen Stecker aus seinem Nacken hervor und stöpselte sich in die Steckdose.

Seine Batterie war nicht mehr das was sie mal war. Sie musste häufiger und länger laden als normal, da sie nicht mehr ganz volllud und zu schnell wieder Energie verlor.

Bevor er sich auf Standby schaltete, um zu laden, stellte er eine Erinnerung ein: „Phylipp Jones an Batterietausch erinnern“.
 

Weihnachten kam, Weihnachten ging.

Nicht, dass Filias viel von Feiertagen hielt, aber der Abfall in diesen Tagen, den die Menschen in den Müll warfen, waren immer sehr üppig. Es fanden sich immer die ein oder andere Köstlichkeit in den Containern. Leider zog dies immer mehr hungrige Mäuler an.

Man durfte sich an eine gute Mahlzeit nicht gewöhnen. Zwar fand man in einer Großstadt wie dieser immer etwas und wenn man lang genug lebte, wusste man wo und wann man zu sein hatte, um etwas essbares zu bekommen. Doch auf die Gutmütigkeit der Menschen konnte Filias nicht trauen. In einem Moment vergötterten sie ihn, in einem anderen ließen sie ihn allein. Ihre Liebe war vergänglich, das hatte Filias in seinen sieben Leben auf die harte Tour feststellen müssen.

Aus diesem Grund zog es ihn auch nicht zu den Menschen, in ihren warmen vier Wänden. Auch wenn dies Fressen und weitere Vorzüge versprach. Ein weiteres Mal wollte er sich sein Herz brechen lassen.
 

Die Tage zogen ins Land. Es wurde Frühling, auch wenn man in der Stadt nichts davon bemerkte. Der Beton hatte alles Grün verdrängt. Alles was wachsen konnte, hatte weichen müssen, um dem Menschen mehr Platz zum Leben geben zu können.

Manchmal, wenn es der Wind durch die Winkel der Stadt drückte, konnte die Nase des Katers den entfernten Geruch von Gänseblümchen und Löwenzahn riechen. Doch bisher hatte er nie herausgefunden, woher dieser Geruch herkam.

Der Kater setzte sich in Bewegung und erkundete aufs Neue seine Stadt.

Wieder einmal trieb es ihn an eine bekannte Stelle. Filias hockte auf der Mauer, die zu ihrem typischen Treffpunkt geworden war. Wieder einmal wartete er auf seinen Freund. Die Zeit verstrich und Filias musste feststellen, dass auch diesmal sein Freund nicht auftauchen würde. Wieder einmal würde er nicht auf Collin treffen.

Doch so einfach wollte er nicht aufgeben. Vielleicht hatte sich nur etwas in Collins Tagesablauf verändert und er kam zu einer ganz anderen Zeit hier vorbei. Etwas länger würde er also noch auf seinen Freund warten.

Es verstrichen Augenblicke und wurden zu einer Weile. Auch an diesem Tag fehlte von Collin jede Spur.

Dann hob Filias den Kopf. Seine Nase fing einen Geruch, der ihn jemand erinnerte. Wobei, es nicht derselbe Geruch war. Aber nahe genug dran, dass das Interesse der Fellnase weckte.

Da! Der Kater erhob sich von seinem Platz und sprang seinem Ziel direkt vor die Füße. Gekonnt wich dieses aus, schenkte dem aber keinen Moment der Aufmerksamkeit. Die Einkaufstasche, die er trug, lag sicher in seinen Armen. Alles darin blieb an seinen Platz. Es fiel nichts für Filias hinunter. Aber darauf hatte er es auch gar nicht abgesehen. Dieser Androide, der da einfach an ihm vorbeilief, ohne ihn wirklich zu bemerken, haftete derselbe Geruch an, wie es immer bei Collin war.

Filias brauchte nicht lange überlegen. Er wusste nun was mit Collin passiert war.

Unschlüssig peitschte Filias Schweif hin und her. Er könnte diesen Androiden nun folgen und selbst nach Collin sehen. Doch sein Herz wusste, dass er seinen Freund dort nicht finden würde. Betrübt über diese Erkenntnis verließ er den Ort und ließ sich nicht mehr dort blicken.
 

Weitere Tage vergingen und das Leben ging weiter.

Es hätte so ein ruhiges Leben in den Gassen sein können. Hätte, wenn es nicht die gab, die ihn ans Fell wollen. Die Regierung hatte veranlasst die Zahl der herrenlosen Tiere und Schädlinge zu senken. Es gab zu viele Katzen und Hunde in den Gassen, die zum Problem wurden. Die Umwelt-Stabilisatoren liefen auf Hochtouren, der Sauerstoff drohte knapp zu werden. Somit wollte man sich derjenigen entledigen, die unerwünscht waren und die knappen Ressourcen verschwendeten, die für den Menschen vorbehalten waren.

Filias rannte durch die Gassen und versuchte seinen Verfolger abzuschütteln. Bog mal links um eine Ecke, mal rechts. Wo genauer hin wollte, wusste er selbst nicht, würde es seinen Verfolgern aber ebenfalls schwieriger machen ihm den Weg abzuschneiden.

Menschen oder Androiden, Filias war sich nicht ganz sicher welche Zweibeiner ihn nun einfangen wollten, wie den Rest der Straßenkatzen, die er seit Tagen nicht mehr gesehen hatte und er wusste, dass er auch sie nie wieder sehen würde.

Fast hatten sie den roten Kater schon, die Fangschlinge lag schon um seinen Hals, hätte er nicht noch stoppen und sich wenden können, so wäre sein Miauen wohl auch für immer verstummt. Man versuchte ihn in eine bestimmte Richtung zu treiben, dort wo sie ihre Fahrzeuge mit den schweren Käfigen parkten, um ihn einzusperren und zu verschleppen. Doch da machte der schlaue Kater nicht mit. Immer wieder entwischte er ihnen, schlüpfte durch ihr Netz.

Der Kater rannte von der Angst gepackt immer weiter, auch dann noch, als er keine Schritte mehr hörte. Der Lärm der Stadt um ihn herum nahm ab und auch die Lichter wurden immer weniger. Bald hatte er das westliche Ende der Stadt erreicht. Die Gebäude waren hier nicht mehr so riesig und auch die Luft war besser.

Filias schlüpfte durch ein kleines Loch in einem Zaun und fand sich auf dem Schrottplatz wieder. Er suchte Deckung unter den Resten eines alten Autos. Modelle mit Reifen gab es heutzutage nicht mehr, doch der Kater kannte sie noch vage aus einem alten Leben.

Langsam beruhigte sich das Tier, sein Herz wurde langsamer, während er sein Fell säuberte. Er horchte, niemand war hier. Entfernt konnte er das Zwitschern eines Vögelchens hören und auch Sonnenstrahlen drangen hier bis zum Boden, vorausgesetzt man befand sich nicht zwischen den Türmen aus Schrott, die man hier entsorgt hatte. Doch zwischen all den Gestank nach Öl und Müll konnte er den Geruch von Löwenzahn und Gänseblümchen wahrnehmen. Sie mussten sich hier irgendwo ihren Platz erkämpft haben, um zwischen den Schrott zu bestehen. Doch zu sehen war davon noch nichts, denn alles war überwuchert mit Müll.

Der Mensch warf Dinge weg und dachte nicht ein zweites Mal darüber nach.

Hierhin hatte es den Kater bisher noch nie verschlagen. Von Weiten konnte er die Kräne und den Rauch der Verwertungseinheiten erkennen.

Der Kran war wie eine mächtige Hand, die den Schrott aufnahm und in den Schlund der Verwertungsanlage schob. Die gefährlichen Kiefer der Anlage zermalmte alles was ihr dazwischen kam.

Der Boden unter Filias Pfoten fing auf einmal an zu vibrieren, bevor sich alles unter ihnen zu bewegen begann. Alarmiert sprang der Kater aus seinem Versteck, keinen Moment zu früh. Denn im nächsten sah er, wie das gewaltige Maul eines weiteren Krans das Auto und weiteren Schrott aufgenommen hatte und wegtransportierte. Zwar hatte sich Filias durch seinen Sprung in Sicherheit bringen können, doch der Krank hatte den Boden in Bewegung gebracht. Ein Loch war zurückgeblieben und der Umliegende Schrott fand keinen Halt mehr und so füllte dieser einen Teil wieder auf. Filias musste den entgegenkommenden Teilen ausweichen, wurde aber mitgerissen und fand sich in dem Krater wieder.

Er schüttelte sich Metallspäne und Glassplitter aus dem Fell, ehe er sich einen Weg suchte, um wieder herauszukommen. Er sah bereits, wie das gierige Maul des Krans wieder auf ihn zu kam. Wenn er ihn diesmal erwischte, würde er ihm nicht wieder so einfach entkommen können.

Sein kleines Herz pochte, als er über die Schrottteile sprang und am Kraterrand nach oben kletterte. Die Schwierigkeit darin lag, zu erkenne welche Teile sich lösen würde, sobald er sie für seinen Aufstieg benutzen würde. Viel Zeit konnte er sich dafür nicht geben.

Fast war er oben angekommen, er musste noch einmal auf ein Rohr springen, welches aus dem Müll herausragte. Allerding war es nicht so fest verankert, wie der Kater vermutet hatte. Unter seinem Gewicht löste sich das Rohr und hatte vor sich ebenfalls in den Krater zu stürzen. Der Kater hatte Glück, dass er sich auf einen kleinen Kasten daneben springen konnte und nicht mit in die Tiefe rutschte. Noch einmal spannte er seinen Körper an und sprang rauf. Wieder hatte er Boden unter den Pfoten, der nicht drohte ihn unter sich zu begraben. Filias wartete nicht, dass noch etwas geschah, er rannte los. Weg von dieser Todesfalle.
 

Der verängstigte Kater suchte einen Weg, der ihn so schnell wie möglich von hier wegführte. Der Schreck steckte ihm noch in den Knochen. Er wollte nichts anderes mehr als von hier zu verschwinden.

Ein Flüstern lag im Wind. Der Kater wurde langsamer.

War da was gewesen oder spielen ihm seine Ohren einen Streich? Er lauschte, blieb aber vorsichtig. Heute war er oft genug dem Tod von der Schippe gesprungen.

Da! Diesmal konnte er es genau hören. Eine bekannte Stimme.

“Pumpkin.”

Filias zögerte. Konnte das sein? Es war der Name, mit dem sein Freund ihn immer angesprochen hatte.

Die Instinkte des Katers rieten ihm, diesen schrecklichen Ort so schnell wie es nur ging, zu verlassen, doch seine Neugier war größer.

Seine Ohren drehten sich hin und her, als er versuchte herauszufinden aus welcher Richtung die Stimme kam. Unsicher ging er los, seine Augen suchten die Umgebung ab.

“Da bist du ja.” Sichtlich verwirrt blieb der Kater stehen, es hörte sich so an, als würde der Androide direkt neben ihm stehen. Er umrundete ein Konglomerat aus Schrott, bis er merkte, dass die Stimme direkt dort rauskam.

Der Zustand seines Freundes war katastrophal. Das was noch von ihm übrig war, lag begraben unter einem Haufen Metallteile und Plastik. Viel gab es von ihm nicht mehr. Die Beine fehlten, sein Inneres war so gut wie ausgeschlachtet. Alles was man noch anderweitig gebrauchen konnte, hatte man ihm genommen. Lediglich der linke Arm und der Kopf lagen noch frei. Wobei das Gesicht nur noch halb zu erkennen war. Ein blaues Auge fehlte und der Kiefer war verzogen. Die synthetische Haut war verschwunden, das Blech darunter zerkratzt. Ein leises Klicken aus seinem inneren war zu hören. Es war ein Wunder, dass Filias darin noch seinen Freund sah.

“I-i-ich weiß n-n-nicht was los ist. Ich kann mich nicht mehr mit dem Netzwerk verbinden-n-n. M-m-Mein letzter stand ist der 24 Dezember 2135. Ich bin-bin mir nicht sicher, ob dies stimmt.” Seine Stimme klang blechern und verzerrt. Doch auch wenn Filias ihn verstanden hätte, hätte der Kater ihm nicht geantwortet, um ihn nicht noch mehr zu verunsichern.

Der Dezember war schon längst vergangen und Collin nicht mehr als eine Erinnerung. An Weihnachten entsorgt und ersetzt. Doch auch wenn seine Menschen ihn so einfach loswerden konnte, so hing der Androide noch immer an seiner Familie.

Collins Hand fing an zu zittern. Sie schien noch mit dem Androiden verbunden zu sein.

“Ich kann mich an alles erinnern… Ich weiß wie ich Luccy zum ersten Mal in meinen Armen gehalten habe, wie ich zusammen mit meiner Familie in diese Stadt gezogen bin, wie wir und das erste Mal begegnet sind - sind. Aber auch an die Zeit vor meiner Familie kann ich mich erinnern. … Damal… Damals habe ich einer Fabrik gearbeitet, bis sie geschlossen wurde und man uns Androiden für andere Zwecke verkauft hat. Ich - Ich hatte wohl Glück, dass man mir nur den Speicher gelöscht hat und ich bei meiner Familie unterkommen bin. Es ist schön dort bei ihnen. Ich nehme dich beim nächsten Mal mit und stelle dich ihnen vor.

Collins Monolog verstummte. Der Kater sah dessen Überreste an, als würde er auf etwas warten.

Genau so plötzlich wie er gestoppt hatte, so fing der Androide wieder an zu reden.

“Sie werden kommen und sie werden mich - mich holen. Sie werden mich holen und mich reparieren. Familie lässt man nicht im Stich, Familie gehört zusammen-.”

Wieder war es still. Tröstend rieb Filias seinen Kopf an die metallische Wange.

Der Kater wusste nur zu genau wie wankelmütig Menschen sein konnten. Doch auch diesmal blieb er stumm. Die Illusion, in der sich Collin befand, mochte er nicht zerstören.

In all seinen Leben hatte Filias es nicht verstanden, hatte den Menschen immer wieder eine Chance gegeben, bis ihm letzten Endes wieder das Herz gebrochen worden war und er sich dazu entschlossen hatte, sich nie wieder auf sie einzulassen.
 

Für Collin war es zu spät. Hier würde niemand mehr herkommen, um ihn zu holen. Man hatte ihn hier bewusst abgeladen, denn man hatte keine Verwendung mehr für ihn gehabt. Der Androide, den Filias vor Tagen begegnet war, hatte Collins Geruch an sich gehabt. Den Geruch, den sein Androide anhaftete, da sie aus derselben Wohnung kamen. Man hatte seinen Freund ersetzt. Er war überflüssig für seine geliebte Familie geworden.

“A-Als mein Prozessor das erste Mal zu laufen begann….”

Während Collin aus seiner Vergangenheit erzählte, machte es sich Filias neben ihm bequem. Er leistete ihm Gesellschaft und lauschte seinen Worten, auch wenn er nicht so ganz verstand, was der Androide erzählte.

Irgendwann war es wieder kurz still. Dann fing Collin von vorn an.

“Pumpkin. Da bist du ja. I-i-ich weiß n-n-nicht was los ist. Ich kann mich nicht mehr mit dem Netzwerk verbinden-n-n. M-m-Mein letzter stand ist der 24 Dezember 2135. Ich bin-bin mir nicht sicher, ob dies stimmt.”

Ein kurzer Aussetzer und Collin hatte vergessen, dass der Kater schon lange bei ihm gelegen hatte. Für ihn war es so, als wären sie sich gerade erst wieder begegnet. Deshalb wiederholte er alles was er zuvor schon gesagt hatte.

Dem Kater schien das nicht zu stören, dieser hörte seinem Freund dennoch geduldig zu.

...

Der Schrottplatz lag bereits in nächtlicher Dunkelheit. Die Lichtverschmutzung verhinderte auch noch hier, dass man die Sterne am Himmel sehen konnte.

Es sind bereits Stunden vergangen seit dem Collin seinen letzten Satz gesagt hatte. Nichts rührte sich mehr. Selbst das leise Klicken aus seinem inneren hatte lange schon aufgehört.

Die Stille lag wie eine schwere Decke über ihnen.

Filias erhob sich und rieb ein letztes Mal seinen Kopf an dem seines Freundes.

Er Maunzte leise, während er vergebens auf eine Reaktion wartete.

Weitere Augenblicke verstrichen, dann wandte er sich um, um diesen Friedhof zu verlassen.
 

Lebwohl.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Charly89
2021-12-07T10:22:17+00:00 07.12.2021 11:22
Was für eine großartige Geschichte.

Habe reingelesen und konnte nicht mehr aufhören ^-^

Ich mag, wie du Stück für Stück die Welt zum Leben erweckst und sie auch ganz allmählich erklärst, ohne dich darin zu verlieren.
Was mir sehr gut gefallen hat, ist, dass alles ohne Wertung geschieht.
Du schreibst aus Sicht des Katers und da erwarte ich das auch irgendwie. Ich denke nicht, dass sich ein Tier, das Tag für Tag ums Überleben kämpft, sich tiefgreifende Gedanken um die Lage der Welt und die Gründe dafür macht.
Trotzdem kommt es nicht herzlos rüber, sondern eben neutral. Er sieht die Dinge wie sie eben sind.

Die Verbindung zum Androiden und auch seine Geschichte mochte ich. Es bringt einem die Welt und deren Bewohner noch etwas näher. Auch hier erwarte ich keine Wertung, weil es sich immerhin um eine Maschine handelt, und auch hier ist die Erzählung eher neutral gehalten.

Die "Säuberung" der Stadt hingegen liest sich schon anders. Sie betrifft unseren Kater direkt und das merkt man. Auch das Aufeinandertreffen auf dem Schrottplatz ist wesentlich emotionaler, ohne, dass es übertrieben wirkt.

Was mir auch gut gefallen hat sind die typischen Verhaltensweisen einer Katze die mit einbringst. Egal ob es das Putzen ist, das Beobachten von etwas oder die Art und Weise wie er sich durch die Stadt bewegt.

Ich persönlich hätte das ganze wahrscheinlich eher in zwei Kapitel aufgeteilt, des Lesekomforts wegen, aber das ist Geschmackssache.

Ein schöner OS der mir sehr gefallen hat und den ich gern gelesen habe :3

LG
Charly ^-^/


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