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Erdbeeren im Winter

Jokertürchen Nr. 2 des Fanfiction-Adventskalenders 2021
von

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«Schau nur! Sie haben sogar schon einen Baum aufgestellt», rief Ann und deutete auf einen Traum aus hellblauen LED und weißem Kunstschnee, der im kalten Licht des Kaufhauses erstrahlte. Makoto erlaubte sich ein Lächeln. Sie hätte erwartet, dass Yusuke über Lichtkompositionen in Verzückung geriet, nicht unbedingt Ann.

Diese hob gerade den Kopf, um den Stern ganz oben an der Spitze des Baumes zu mustern. Es war ein großes, glänzendes Exemplar, das nur wenige Meter unter dem Dachfenster hing, durch das zu dieser Stunde höchstens noch das Mondlicht fiel. «Es war eine tolle Idee, hierher zu kommen», lobte sie.

Makoto hätte das Kompliment gerne angenommen, doch wenn sie ehrlich war, war ihr Grund, das Einkaufszentrum aufzusuchen, so profan, wie er nur sein konnte. Ihr Lieblingsfüller hatte nach jahrelangem, treuen Dienst den Geist aufgegeben und so hatte sie Ann auf dem Heimweg gefragt, ob sie nicht Lust hätte, einen kleinen Umweg zu machen.

Hätte sie geahnt, dass Ann die Dekoration so viel Freude bereitete, sie hätte sie sicher schon ein paar Tage früher zu so einem Ausflug eingeladen.

 

«Der Schreibwarenladen ist in dieser Richtung», erklärte sie und deutete vage in Richtung der Läden, die hinter dem Baum verborgen lagen.

Ann nickte artig. «Vielleicht können wir danach ja noch in ein Café gehen», schlug sie vor. «Ich habe gehört, die machen hier einen tollen Christmas Strawberry Cake Frappuccino mit Sahne, Nüssen und ganz viel Erdbeersirup.»

Aus den Augenwinkeln sah Makoto, wie ihre Freundin sich über die Lippen leckte, plötzlich eine Sekunde dabei innehielt und die Bewegung dann prompt wiederholte, als ihr auffiel, dass ihr neuer Lipgloss ebenfalls Erdbeeraroma hatte. «Ich kann ihn schon fast schmecken», scherzte sie und brachte Makoto dazu, skeptisch die Augenbrauen hochzuziehen.

«Nur fast?», entgegnete sie, «Klingt als müsstest du dringend deinen Lipgloss nachziehen.»

Jetzt wandte sich Ann zu ihr um. «Muss ich?», fragte sie und spitzte prompt die Lippen, damit es ihr leichter fiel, ein entsprechendes Urteil zu fällen.

Makoto winkte ab. «Du siehst gut aus, egal ob mit oder ohne dieses Zeug», beruhigte sie sie. «Außerdem -» Sie stockte. «Kann es sein, dass du auch ein neues Parfum aufgelegt hast?»

Ann legte den Kopf schief. «Parfum?», wiederholte sie.

Makoto nickte und schnüffelte vorsichtig in ihre Richtung. Nein, sie konnte den süßen, fruchtigen Geruch zwar immer noch wahrnehmen, aber der kam sicher nicht von Ann, sonst hätte sie das gewiss schon früher bemerkt.

Ann warf ihre blonden Haare zurück und schnüffelte nun ihrerseits.

«Ehrlich gesagt hatte ich gedacht, das käme vielleicht von dir», gestand sie und streckte die Hand nach Makotos Haaren aus.

Diese hielt etwas ratlos inne, während Ann eine braune Strähne durch ihre Finger gleiten ließ und sich schließlich nach vorne beugte, um an ihr zu schnüffeln. Warum um alles in der Welt sollte sie plötzlich anders riechen? Sie trug den gleichen rot-blauen Rock wie immer und auch ihre Bluse und die Weste hatte sie nicht anders als sonst behandelt. Selbst ihre Haarwäsche war die gleiche wie in den letzten Monaten.

«Vanille», bestätigte ihre Freundin und sie beeilte sich zu nickten.

«Vanille. So wie immer.»

«Nun, wenn ich es nicht bin und du es nicht bist, muss der Geruch wohl aus einem der Läden kommen», schlussfolgerte Ann. Makoto stimmte dem zu.

Den RVCA links von ihnen schloss sie aus und an die Schuld des Jeans-Stores daneben wollte sie auch nicht so wirklich glauben. Aber vielleicht ...

Makoto zeigte auf ein kleines, grünes Schild dahinter. «Ist das», begann sie zu fragen, doch Ann griff bereits mit glänzenden Augen nach ihrer Hand und zog sie an den bunten Schaufenstern vorbei, auf das vermeintliche Ziel zu.

 

«Wie schön», entfuhr es ihr kaum, dass sie das Schaufenster der kleinen Boutique erreicht hatten. Dort stand auf einer schneeweißen Säule ein einziges rot-weißes Kästchen mit zwölf knallroten Erdbeeren darin. «Amaou» prangte auf der Visitenkarte daneben, zusammen mit einem leider vierstelligen Preisschild.

Ann leckte sich ein weiteres Mal die Lippen. «Die sehen wirklich fantastisch aus», schnurrte sie. Makoto konnte ihr nur zustimmen. Die satte Farbe, die Größe, die hübsche Verpackung. Sie hätte nicht «Nein» gesagt, hätte man ihr jetzt einen Karton voll angeboten. Aber 7000 Yen? Die hatte sie nicht, selbst wenn sie auf den neuen Füller verzichtete.

«Die sind bestimmt ganz süß und saftig», hörte sie Ann schwärmen, die blauen Augen nach wie vor auf die Auslage gerichtet. Makoto seufzte tonlos. Nach diesem Anblick würden vermutlich selbst zwei XXL-Christmas Strawberry Cake Frappuccinos nicht ausreichen, um den Gedanken an die roten Früchte aus dem Kopf ihrer Freundin zu vertreiben. Instinktiv glitt ihre Hand in ihre Schultasche, um dort nach ihrem Portemonnaie zu suchen. 7000 Yen würde sie darin nicht finden, das wusste sie. Aber sicherlich ...

 

Makoto lächelte, als sie aus der Boutique trat. Eine hübsche Frau in einem teuren, dunkelgrünen Kostüm verneigte sich hinter ihr und eine kleine, ebenfalls grüne Tüte knisterte zwischen ihrem Fingern. Ann erwartete sie mit neugierigem Blick.

«Hast du wirklich etwas gekauft?», wollte sie wissen, während Makoto auf die nächste Bank zu hielt.

«Nur eine Kleinigkeit», versicherte sie, während sie sich setzte. Mehr als eine Kleinigkeit hätte sie auch kaum bezahlen können, denn die Früchte drinnen, waren nur noch teurer gewesen. Dafür hatte sie jetzt wieder diesen Geruch in der Nase. Fein, süß und fruchtig erinnerte er sie an den Inhalt ihrer Tüte und brachte sie dazu, fast genauso aufgeregt auf sie herabzublicken, wie Ann.

Vorsichtig steckte sie die Hand hinein und beförderte eine einzelne kleine Pappschachtel hervor, die sie ihrer Freundin entgegenhielt.

«Die ist für dich», erklärte sie überflüssigerweise und beobachtete, wie Anns Augen vor Freude zu leuchten begannen. «Makoto», begann sie, doch die winkte ab.

«Mach es zumindest erst mal auf», forderte sie.

Vorsichtig nahm Ann ihr die Pappschachtel aus der Hand und machte sich daran, den Deckel zu lösen. Hätte Makoto nicht noch die Tüte in der Hand gehabt, man hätte auch glauben können, sie wären gerade aus dem Juwelier gegenüber gekommen. Neugierig schob Ann feinstes Seidenpapier zur Seite und hielt schließlich mit großen Augen inne.

«Vielen Dank», murmelte sie, den Blick auf eine einzelne, perfekte Erdbeere geheftet, «Das ist wirklich wahnsinnig lieb von dir.»

Makoto schenkte ihr ein Lächeln. Vielleicht würde sie eines Tages in der Lage sein, ihrer Freundin eine ganze Packung voller Erdbeeren zu schenken. Und bis dahin musste es halt eine Einzelne tun. Eine, die mit extra viel Aufmerksamkeit ausgewählt worden war, damit sie genauso süß wie Ann Takamaki war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  SarahSunshine
2021-12-29T13:58:58+00:00 29.12.2021 14:58
Eine sehr schöne kleine Geschichte! Ich mochte die kleinen Interaktionen zwischen den beiden. Und bei Erdbeeren und Ann muss ich sofort daran denken, wie sie einen Crep oder ein Stück Kuchen mit extra viel Sahne und Erdbeeren verputzt :D
Antwort von:  _Delacroix_
29.12.2021 15:00
Aww, danke^^
Von:  lula-chan
2021-12-02T18:58:49+00:00 02.12.2021 19:58
Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Sehr süß und fluffig.
Woah. 55€ für 12 Erdbeeren ist echt viel. Wer bezahlt so was? Im Winter schmecken Erdbeeren ja noch nicht mal gut und kommen von sonst woher. aber gut.
Ich habe aber noch nicht so wirklich verstanden, was das für ein Laden ist, wo sie die Erdbeere gekauft hat. Den Begriff "Boutique" bringe ich nicht unbedingt mit Lebendmitteln in Zusammenhang.

LG
Antwort von:  _Delacroix_
02.12.2021 20:11
Danke, ich freue mich, dass dir der OS gefallen hat. ^^

In Japan gibt es tatsächlich Boutiquen, in denen man Obst kaufen kann. Das sind natürlich nicht solche Früchte, wie die, die es bei uns im Supermarkt gibt, sondern sorgsam im Gewächshaus zusammengezüchtete Sonderkreationen. Wo eine Melone dann schon mal rechteckig ist und eine Erdbeere weiß und was weiß ich. Die kann man da für stolze Preise kaufen.
In der Regel macht das aber keiner, der einfach nur Bock auf nen Obstsalat hat. Der kauft lieber günstigere Importfrüchte. Die Boutique-Dinger werden zumeist als Geschenk erworben. So ähnlich wie bei uns ne teure Flasche Wein oder ein Kasten mit Pralinen.^^


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