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Stichflamme

Der Aufstieg des Phönix
von

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Betrogen

»Was?« Elphinstones verwunderter Ausruf hallte in der kleinen Arrestzelle wieder. »Ella, warum soll ich verhindern, dass dein Mann eine Kaution hinterlegt? Was hat Gideon dir angetan?«

»Warte, bis ich die Geschichte erzählt habe, Elph. Bitte.«

»Aber ich weiß nicht, wie ich dir diese Sicherheit geben soll, wenn ich aufgrund deiner Taten keine Macht mehr habe, dir zu helfen!« Er rieb sich die Stirn. »Ich will trotz allem, dass du in Sicherheit bist, nur ...«

»Du hast vielleicht nicht mehr die Möglichkeit, aber ich kenne jemanden, der genau das bewirken könnte«, warf Minerva bedacht ein. »Doch bevor ich Versprechen abgebe, will ich die ganze Geschichte hören. Meinetwegen auch ohne Fragen bis zum Ende.« Sie lehnte sich mit verschränkten Armen an die nackte Wand gegenüber von der Pritsche, auf der Elladora und Elphinstone saßen.

Die älteste Urquart-Schwester strich sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr, dann räusperte sie sich. »Offenbar weißt du bereits einiges über mich und vermutlich auch über meinen Mann, Gideon.« Sie sah Minerva aus grauen Augen an, die denen Elphinstones erschreckend ähnlich waren und doch einen Teil seiner Wärme vermissten. »Tut mir leid, aber angesichts der Situation können wir die Höflichkeitsformeln gleich sein lassen, denke ich.«

Minerva wedelte mit der Hand, um zu zeigen, dass ihr die Anrede egal war. »Tatsächlich durfte ich neulich erst bewundern, wie dein Mann seine Parolen verliest. Da habe ich einen gewissen Eindruck gewonnen. Abgesehen davon kenne ich deinen Bruder allerdings seit dreizehn Jahren und weiß, dass er davon nichts hält.« Sie dachte an Albus’ Erinnerung, in der Elladora nicht nur für Elphinstone, sondern auch dessen muggelgeborenen Ravenclaw-Freund eingetreten war. »Ich bin jedoch nicht sicher, auf welcher Seite du stehst. Ob ich dir trauen soll. Überzeuge mich.«

»Das ist fair.« Elladora drückte den Rücken durch wie eine Balletttänzerin. »Lasst mich einige Dinge klarstellen – alles hängt an meinem bescheidenen Entschluss, Gideon Rosier zu heiraten. Ohne ihn wäre ich wohl nie in diese Lage gekommen. Doch ich war neunzehn und unbedarft, als ich jene Entscheidung getroffen habe. Im Nachhinein wäre mancher Weg besser unbeschritten geblieben.« Geistesabwesend knibbelte Elladora mit den perfekt manikürten Fingernägeln an ihrer Strumpfhose. »Diese Ehe ist schon lange nicht mehr der Traum, den ich mir einst ausgemalt habe. Vermutlich war sie es nie. Ich bin nicht stolz darauf, aber in meiner Unzufriedenheit hatte ich hin und wieder Affären mit anderen Zauberern.«

Elphinstone sah mit großen Augen auf und Elladora senkte die Lider. Ihre Erzählung unterbrach sie dennoch nicht.

»Vor mehreren Monaten habe ich Gideon mit einem alten Bekannten betrogen. Das führt direkt zu meinen heutigen ‚Verfehlungen‘ – denn ich habe dem Falschen vertraut. Ihr seid meinem Zellennachbar Caius ja bereits begegnet, wie ich von Alston gehört habe. Ich gestehe, ich bin froh, dass Caius keine Erinnerungen mehr hat. Geschieht ihm recht. Er hat mich lange genug erpresst, nachdem ich unsere Affäre vor einigen Wochen beendet habe.« Sie lachte bitter auf. »Aus den Fängen einer Acromantula in die eines Drachen, könnte man sagen. Caius hat mir angedroht, dass er alles verrät, wenn ich ihm nicht helfe, an gewisse verbotene Pflanzenteile zu gelangen.«

Unweigerlich drängte sich Minerva das Bild des gehässigen Entführers zusammen mit der adretten Elladora auf. Sie konnte sich nicht einmal vorstellen, warum sie ausgerechnet mit einem wie ihm eine Affäre angefangen hatte. Die Hexe verzog den Mund, als sie Minervas Blick auffing.

»Wahrscheinlich wäre es mir egal gewesen, wenn ...«, Elladora holte tief Luft, die Hände vor dem Bauch verkrampft, »wenn Gideon nicht so rachsüchtig wäre. Er ist längst nicht mehr der Junge, in den ich mich im letzten Schuljahr verliebt habe. Die Flugblätter sind harmlos. Ich weiß, wie weit er wirklich gehen wird, um seinen Willen durchzusetzen – und wenn es diese Welt in Brand versetzt. Ich habe seine Gewaltbereitschaft oft genug erlebt.«

Noch immer hielt Elladora das Kinn hoch erhoben, doch ihre Augen schimmerten feucht. Sie hatte ihre Hände so fest ineinandergekrallt, dass ihre Fingernägel tiefe Abdrücke in der hellen Haut hinterließen. Elphinstone sagte nichts, sondern legte zögerlich einen Arm um ihre schmalen Schultern. Elladora blieb kerzengerade sitzen. Die Worte kamen ihr zusehends schneller über die Lippen, als wolle sie es nur zu Ende bringen.

»Gideon war schon seit jeher bedacht darauf, mich daran zu erinnern, dass ich ihm dankbar sein darf, weil er mich geheiratet hat. Schließlich gehören die Rosiers zu den unantastbaren Achtundzwanzig, nicht so wie unsere Familie. Das hat er mir immer vorgehalten, aber im letzten Jahr sind seine ... Drohungen gegenüber den Menschen, die mir etwas bedeuten, konkreter geworden. Lasst mich einfach nur sagen, dass die unverzeihlichen Flüche noch harmlos sind, gegen das, was er und einige andere bereit sind, für den Schutz ihrer Position zu tun.«

Von Elphinstone kam ein frustriertes Geräusch. »Dieser ...! Ich hätte ihn einsperren –«

Elladora schüttelte den Kopf und schnitt ihm damit die Worte ab. Sie zog den linken Ärmel ihres Umhangs zurück und rollte die Bluse darunter hoch. Verwundert musterte Minerva sie. In Gedanken stellte sie sich alles Mögliche vor – Verletzungen durch einen rachsüchtigen Ehemann schienen ihr nicht abwegig –, doch sobald Elladora ihren Unterarm vorstreckte, blickte sie auf ein Rätsel. Die dunkle Tätowierung hob sich deutlich von der blassen Haut ab. Schon das passte kein Stück zu der vornehmen Frau und noch weniger das Motiv. Totenschädel und Schlange hätten vielleicht einer düsteren Zeitgenossin gestanden, doch an Elladora wirkte es so fremd wie ein Riese zwischen Hauselfen.

Elphinstone umfasste ihren Unterarm und starrte das Tattoo an. »Was hast du getan, Elladora?« Er sah zu ihr auf, als befürchte er, dass die Schlange unter ihrer Haut zubeißen könnte.

»Mich von meinen Ambitionen leiten lassen. Aber anders als dich, hat mich das nur in eine schwierige Lage gebracht. Du kennst Gideons Freundeskreis, Elphinstone. Du weißt, was die Ritter der Walpurgis während unserer Schulzeit für eine Stärke hatten. Gegen ihre jetzige Macht verblasst das. Glaub mir. An Stelle der Walpurgisritter steht heute etwas viel Größeres.«

Minerva hatte sich bisher wie versprochen zurückgehalten, doch jetzt reichte es ihr, nichts zu verstehen. »Was hat das zu bedeuten? Dieses Symbol?«

Anstelle von Elladora antwortete Elphinstone. »Es bedeutet, dass Elladora einem gewissen, selbsternannten Lord – für mich immer noch Riddle – und seiner fanatischen Gruppierung die Treue geschworen hat, genauso wie Gideon. Auf Lebenszeit. Oder liege ich falsch?«

Seine Schwester entzog ihm den Arm und verbarg das grässliche Tattoo wieder unter ihrer Bluse. »Er hat recht. Ich habe nicht bloß Gideon geheiratet, ich bin ihm auch in seinen Überzeugungen gefolgt. Immerhin hat T- er uns Perspektiven gegeben, einen Glauben daran, diese Welt besser zu machen.«

»Indem sie sich über die Muggel erheben?«, rutschte es Minerva unwirsch heraus. »Hass und Hetze säen?«

»Nein, indem wir uns vor den Nichtmagischen und ihrem Zerstörungswillen schützen. Wir können uns nicht von der Angst, entdeckt zu werden, regieren lassen.«

Eine von Minervas Augenbrauen wanderte bereits Richtung Haaransatz, doch es war der Anblick von Elphinstone, der seinen Kopf in die Hände stützte und aus feuchten Augen gen Boden sah, der sie schweigen ließ. Die Überzeugungen seiner Schwester waren vorerst egal, solange sie zu ihren Informationen kamen. Es war schwer genug für ihn, ohne dass Minerva Vorwürfe äußerte.

»Ich wollte nicht nur zusehen, sondern ein Teil der Veränderung sein«, fuhr Elladora fort. »Allerdings habe ich unterschätzt, wie viel Aggression dieser Umbruch in manchen hervorruft. Ich habe neue Seiten an Gideon kennengelernt – habe ihn fürchten gelernt. Ich möchte lieber nicht ausführen, warum ich nicht riskieren kann, dass Gideon erfährt, wie ich ihn mit einem anderen Mann, noch dazu einem Halbblut, betrogen habe.«

»Ich glaube, ich möchte es ohnehin nicht wissen«, sagte Elphinstone heiser. »Ich habe schon zu Schulzeiten genug von dieser ... Bewegung gesehen.«

»Ja. Deshalb habe ich getan, was Caius verlangt hat. Auch wenn es wahrscheinlich weit vorher angefangen hat, dass er mich für den Zugang zu gewissen Kräutern ausgenutzt hat. Er hat mir immer von den Tränken erzählt, an denen er experimentiert. Während er mich mit Aufmerksamkeit überschüttet hat, habe ich ihm hier und da ein paar Dinge zugeschoben. Nachdem ich mich nicht mehr treffen wollte, hat er mich einfach mit unserer Affäre erpresst, um weiterhin zu bekommen, was er braucht. Am Ende war ich ihm wahrscheinlich immer egal.«

»Und was hat er alles verlangt?«, fragte Elphinstone tonlos.

»Eine Menge. Finsternisschoten, damit fing alles an. Aber schnell wurde es mehr, noch gefährlichere Materialien. Als ich schließlich genug hatte, drohte er, dass er dich mit hineinzieht. Nur noch eine Sache, schwor er mir, dann wäre meine ‚Schuld‘ beglichen. Ich bin nicht naiv. Ich wusste, dass er bis zum Hals im Drachenmist steckt. Aber ich habe mir gesagt – solange er nur wieder einem verrückten Experiment nachhängt, ist es egal. Hauptsache, er kann weder mich, noch dich oder jemand anderen aus der Familie verletzen. Auch wenn ich gerade jetzt wünschte, dass ich ihn doch in einen Nachttopf verwandelt hätte.«

Zitternd streckte sie ihre Hand vor sich aus und drehte den einsamen goldenen Ring an ihrem Zeigefinger. Schließlich stützte sie den Kopf seufzend gegen ihre Fingerknöchel. Von ihrer stolzen Haltung blieb kaum etwas nach. Trotzdem wusste Minerva, dass sie die Wahrheit aussprechen musste. Es würde Elladora nichts nützen, sie vor den Konsequenzen ihres Handelns zu schützen.

»Nun – das hat nicht funktioniert. Dieser Mann und seine Komplizen haben einen meiner muggelgeborenen Erstklässler samt Familie entführt. Dank der Ignoranz seitens der Ministerin hat Elphinstone sich der Sache unter der Hand mit mir angenommen. Wir sind den Entführern seit Tagen auf der Spur, bevor überhaupt jemand von deiner Verwicklung geahnt hat. Inzwischen haben wir uns zweimal mit diesen Leuten duelliert. Ich sage es nicht gerne, aber – dein Bruder ist sogar getroffen worden. Heute war es nur ein Schockzauber, aber ...« Die Worte hingen in Minervas Kehle fest, als wären sie mit Widerhaken besetzt. »Es hätte weitaus Schlimmeres sein können. Den Todesfluch nutzen sie oft genug.«

Langsam hob Elladora den Kopf und ihr Blick traf auf Minervas. Mindestens ebenso unglücklich wie ihr Gegenüber biss diese sich auf die Unterlippe. Konnte Elladora die Sorge um Elphinstone in ihrer Stimme spüren? Rasch sah Minerva wieder an die graue Wand.

»Elph, warum bist du nur so ... so schrecklich gutmütig und –«, Elladora stöhnte. »Warum kannst du die Dinge nie auf sich beruhen lassen? Das war schon mit Archie damals so. Denk doch einmal an dich! Ist das wirklich dein Leben wert? Ein Muggelgeborener?«

»Mag sein, dass es manchmal einen hohen Preis hat, Unrecht zu beseitigen, aber ich werde nicht zusehen, wenn so etwas passiert, Elladora. Hättest du einmal mit mir geredet –« Er streichelte über ihren Rücken, als sie erneut aufstöhnte. »Ich hätte nie zugelassen, dass diese Dinge passieren. Wir sind keine Kinder mehr, du musst mich nicht länger beschützen, wie damals vor den Kelpies. Ausnahmsweise hätte ich dir helfen können. Weißt du, mein Job ist – war – mehr als nur ein netter Titel. Ich hätte alles getan, um dir zu helfen. Es gibt immer einen anderen Weg, das habe ich dir oft genug gesagt.«

»Dafür ist es endgültig zu spät«, seufzte Elladora.

»Es ist allerdings nicht zu spät, jetzt deinem Bruder zu helfen, damit wir dieser Sache ein Ende bereiten können.« Minerva zog ihren Zauberstab und beschwor Pergament und Feder herauf. »Wir brauchen sämtliche Details über diesen Caius und seine Verbündeten; welche Mittel sie zur Verfügung haben – einfach alles, was du über sie weißt. Nur dann können wir uns vernünftig vorbereiten, um ihre Machenschaften ein für alle Male zu beenden. Damit rettest du Elphinstone, genauso wie unschuldige Leben.«

»Bitte, Elladora«, setzte Elphinstone nach. »Wenn das vorbei ist, finden wir für alles andere auch noch eine Lösung. Du hast immer noch eine Chance, dich für einen ... anderen Weg zu entscheiden.«

Elladora rieb sich über den linken Unterarm, doch als sie wieder aufsah, sprach Entschlossenheit aus ihrem Blick. »Ich fürchte, ich kann höchstens etwas zu den Gewächsen sagen, die ich für Caius beschafft habe, aber wenig zu seinen Plänen damit. Ich weiß nur, dass er in den letzten Monaten öfters das Haus gewechselt hat. Anfangs haben wir uns noch in seiner Wohnung zur Übergabe getroffen, doch zuletzt war es erst irgendein altes Herrenhaus und dann diese miefende Muggelbude. Er hat mir nur die Kaminadressen genannt, die ich nutzen soll.«

»Weißt du, wie viele außer ihm dort sind?«

Sie schüttelte den Kopf. »Er hat acht gegeben, dass ich niemandem – abgesehen von diesem Jungen letztes Mal – begegne. Manchmal habe ich Stimmen im Nachbarzimmer gehört. Wenn ich schätzen müsste – dann vielleicht fünf? Sechs? Mindestens. Caius muss der Älteste sein, denn einmal hat er sich beschwert, dass er so einen Kindergarten nicht länger erträgt.«

»Gab es Schutzzauber, die du bemerkt hast? Ungewöhnliche Vorkehrungen?«

»Oh, Schutzzauber nutzt Caius reichlich. Schon seine eigene Wohnung war von einer Vielzahl geschützt. Der übliche Apparierschutz, den so gut wie jeder magische Haushalt hat, aber auch diverse seltene Grenzzauber, die auf menschliche – und tierische – Anwesenheit reagieren. Um sein Labor zu betreten, musste man den richtigen Trank getrunken haben, andernfalls wurde man in einem Immobilis-Bann gefangen. Außerdem hatte er einen Zauber auf die Eingangstür gelegt, der jegliche Äußerlichkeitszauber und oberflächliche Verwandlungen entfernt. Das habe ich bemerkt, als meine Kosmetikzauber sich einfach verabschiedet haben.«

Fleißig notierte Minerva die einzelnen Punkte. »Und die Gewächse? Wie viel und was hast du ihm mitgebracht?«

»Einen ganzes Säckchen voller Finsternisschoten, ebenso von den Blutblasenschoten. Von dem Feuerschlingenkraut habe ich drei Bündel mitgebracht. Abgesehen davon noch Blüten sowie Samen einer Tentacula und mehrere Tütchen mit pulverisierter Steppenalraune. Von der einen Melionwurz wisst ihr bereits. Das war die letzte Lieferung.«

»Das alles zusammen ergibt ... überhaupt gar nichts«, murmelte Elphinstone, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. »Das ist zumindest kein Trank, der mir geläufig ist.«

»Für mich ergibt es auch keine Sinn«, erwiderte Elladora. »Jedes für sich genommen ist eine wirkungsvolle Ingredienz, aber die Wirkweisen passen nicht zueinander. Deshalb habe ich angenommen, dass Caius mal wieder versucht, einen Trank zu erfinden, der ihm am Ende um die Ohren fliegt.«

»Nun, zumindest von den Finsternisschoten und dem Melionwurz wissen wir, dass sie als Ablenkung und Schutz eingesetzt werden«, gab Minerva zu bedenken.

Trotzdem sahen die Geschwister vor ihr keinen Deut schlauer aus. »Minerva, vielleicht ergibt alles mehr Sinn, wenn Robbie uns verrät, was die Entführer heute in Gringotts gestohlen haben. Auch wenn es jetzt noch mehr Rätsel aufwirft, sind wir einen Schritt weiter, würde ich sagen.« Elphinstone lächelte seiner Schwester schwach zu. »Du hast heute etwas wirklich Gutes getan, Ella. Danke für deine Ehrlichkeit.«

Doch Elladora sah nur auf ihre Schuhspitzen hinab. »Die Muggel sind mir egal. Ich tue das nur für dich, Elph. Bitte lass mich das nicht bereuen. Gideon – oder schlimmer noch, er – werden nicht so viel Nachsicht walten lassen, wenn diese Sache bekannt wird.«

»Was das angeht, werde ich Albus bitten, dass er beim Gamot eine Haftprüfung anregt. Wenn sie weitere Untersuchungen verordnen, haben wir eine Gnadenfrist, um zu überlegen, was ... aus dem anderen Problem wird.«

Minerva rollte das Pergament mit ihren Notizen zusammen, belegte es mit einem Schutzzauber und schob es in ihren Mantel. Elphinstone und seine Schwester sahen sie an, als wäre ihr unerwartet ein zweites Paar Arme gewachsen.

»Albus ... Dumbledore?«, fragte Elladora mit geweiteten Augen.

»Ja. Eine bessere Lösung fällt mir nicht ein. Seine Position im Gamot erlaubt es ihm immerhin, gewissen Einfluss auszuüben.«

»Du kennst ihn?«

»Ich würde ihn zu meinen engsten Freunden zählen. Abgesehen davon bin ich seine Stellvertreterin in der Schule.«

»Oh.« Tatsächlich mühten Elladoras Mundwinkel sich zu einem schmalen Lächeln hoch. »Das ... ist mehr, als ich mir erhofft habe. Danke.«

 

Für den Abschied ließ Minerva die beiden Geschwister alleine in der Zelle zurück. An diesem Abend hatte sie genug von Elladora Rosier gehört. Mindestens die Informationen zu den Schutzzaubern würden sich hilfreich erweisen können, wenn sie in den Angriff übergingen. Zusammen mit der Adresse hatten sie endlich, das Wichtigste beisammen.

Als Elphinstone schließlich den Weg zu ihr ins Atrium fand, hatte er so etwas wie grimmige Entschlossenheit im Gesicht. Über das leise Plätschern des Brunnens, das sonst im Stimmengewirr unterging, hörte sie schon von Weitem, wie er tief Luft holte. »Also, was ist unser nächster Schritt?«

»Zu dir? Ich habe Robbie gebeten, dort vorbeizusehen, sobald Mulciber ihn gehen lässt. Ich hoffe, das war in Ordnung. Aber nach Hogwarts kann ich ihn schlecht bitten.«

Er nickte. »Natürlich. Dann – bis gleich. Du kennst die Adresse ja.«

Nur ein Kamin war noch in Betrieb zu dieser späten Nachtstunde und mit einem grünen Auflodern verschwand Elphinstone darin. Erschöpft warf Minerva einen Blick auf die goldenen Statuen im Brunnen, allen voran den Kobold mit dem entrückten Gesichtsausdruck. Er sah drein wie ihr Opfer unter dem Imperius. Diese ganzen überschrittenen Grenzen mussten einfach zur Rettung des Jungen führen.

Dann trat auch sie in den schwarzen Kamin und kurz darauf nahm Elphinstones Wohnzimmer Gestalt vor ihr an. Er wartete hinter dem Kamingitter auf sie, befreit von dem rußigen Jackett und der Anzugweste, die er nachlässig über einen Sessel geworfen hatte. Sobald er sie erspähte, streckte er ihr eine helfende Hand entgegen und es zog in ihrer Brust, als sie danach griff.

Aus dem Nichts stieg die Vorstellung eines Lebens in ihr auf, wo er sie anschließend in seine Arme ziehen und zuhause willkommen heißen würde – geradezu absurd in Anbetracht der jüngsten Ereignisse. Mit einem irritierten Kopfschütteln angesichts ihrer wilden Fantasie trat Minerva zu ihm in den Raum.

Fragend legte Elphinstone den Kopf schief. Doch anstelle des glücklichen Lächelns in ihrer Vorstellung trug er eine steile Falte auf der Stirn. Seine Augen funkelten nicht und statt sanfter Willkommensworte seufzte er erneut kaum vernehmlich. »Hey, warum siehst du mich so an? Ist es ... wegen Elladora?«

Die weiche Sorge in seiner Stimme schnürte ihr die Luft ab. Verlegen sah sie an ihm vorbei und schüttelte erneut den Kopf. Sie konnte kaum erzählen, dass sein Anblick genügte, um ihre Gedanken auf verschlungene Pfade zu schicken, die dasselbe Gefühl auslösten wie ein Sturzflug auf dem Besen, die Fingerspitzen nur Millimeter vom goldenen Schnatz entfernt. Insbesondere, wenn der Imperius und Elladoras Geständnis als dunkle Wolke zwischen ihnen hingen, jetzt, wo sie alleine waren.

»Nein, es bleibt dabei – ich vertraue dir. Von deiner Schwester kann ich das nicht sagen, aber das muss ich auch nicht. Sie hat uns geholfen, das reicht.«

Die Andeutung eines traurigen Lächelns schlich sich auf seine Züge, doch ihre Hand hielt er weiter fest. Einen Augenblick schien er mit sich zu ringen, Worte zu finden, bevor er sie sanft zu sich zog. »Fühlst du dich wohl damit, wenn ich dich einfach eine Weile in den Armen halte?«, fragte er leise.

Stumm nickte sie. Den Kopf an seiner Schulter auszuruhen erschien nur allzu verlockend. Federleicht schloss Elphinstone sie in eine Umarmung, als hätte er Angst, dass zu viel Druck sie brechen könnte. Dabei war es nicht bloß in Ordnung, sondern ... schön. Seine Gegenwart war wunderbar warm. Kein bisschen wie der Brand in Gringotts, eher sacht, von der Sorte eines Kaminfeuers an einem kalten Winterabend.

Jetzt, wo der Kampf und alle Diskussionen vorbei waren, zitterten Minervas Glieder ohne Adrenalin und Aufregung. Sie fühlte sich ausgelaugt. Das Feuer in ihr war niedergebrannt, anders als jenes im Verlies Nr. 232. Sie lehnte kraftlos die Stirn gegen Elphinstones Schulter, ihre eigenen Hände hinter seinem Rücken verschränkt. »Ich bin so müde«, murmelte sie.

»Ich auch. Abgesehen davon ... wie fühlst du dich?«

»Furchtbar.« Da gab es nichts zu beschönigen. Ein Mann war gestorben und sie hatte einen Fluch gesprochen, der nicht umsonst unverzeihlich galt. Jetzt wusste sie auch, warum. »Wie ist es bei dir?«

»Ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, was ich alles fühle. Verwirrung. Sorge. Verrat. Wut.« Er drückte sie mit jedem Wort fester an sich. »Von allem etwas. Und Angst. Angst, dass du dich doch von mir abwendest. Was keinen Sinn ergibt, wo ich dich gerade umarme, aber dennoch ...«

»Die Entscheidungen deiner Schwester haben keinen Einfluss darauf, wie ich dich sehe, Phin. Nie.«

»Es ist schön, dass du das sagst. Und trotzdem ist sie meine Schwester, die ich nicht einfach aus meinem Leben streichen kann; der ich vergeben möchte, auch wenn sie so harte Dinge sagt und noch viel schlimmere Entscheidungen trifft.«

»Mit meinen Brüdern würde es mir genauso gehen. Ich mache dir keinen Vorwurf. Nur eine Frage muss ich doch stellen, Phin – was sind die Walpurgisritter, von denen sie geredet hat?«

Elphinstone versteifte sich. »Das ist der erste Name, den Riddle seiner Gefolgschaft gegeben hat. Damals, in der Schulzeit. Elladora hat diese Gruppe stets bewundert, aber dass sie sich ihnen wirklich anschließt, hätte ich nie erwartet. Du hast das Mal auf ihrem Arm gesehen. Das ist keine Mitgliedschaft in einem Koboldsteinclub, die man jederzeit aufkündigen kann. Das ist eine Verpflichtung für alle Zeiten. Ich habe nur eine Ahnung, was Riddles Anhänger in seinem Namen tun, aber die dreht mir den Magen um.«

»Zumindest können wir wohl ausschließen, dass Elladora – oder gar Riddle selber – etwas mit der Entführung zu tun haben, nicht wahr? Wenn sie keine Ahnung von Caius’ Plänen hat, dann sind er und seine Komplizen vermutlich kein Teil ihres Kreises.«

»Vermutlich hast du recht. Andererseits hat Riddle es in der Vergangenheit immer geschafft, uns einen Schritt voraus zu sein. Ganz zu schweigen von den Dingen, die überall dort passiert sind, wo er und seine Freunde waren. Egal wie ich es drehe und wende, das schlechte Gefühl will nicht vergehen. Und dass Elladora das alles einfach billig in Kauf genommen hat –«

Ihm brach die Stimme und Minerva fühlte, wie seine Hände an ihrem Rücken zitterten. In Ermangelung von Worten, die seinen Schmerz vertreiben konnten, drückte sie ihn enger an sich. Er hatte diesen Verrat nicht verdient. Ihn so niedergeschlagen zu erleben, tat auch ihr weh. Umso schlimmer war die Befürchtung, dass sie ihn heute ebenfalls enttäuscht hatte.

Eine lange Zeit sagte keiner von ihnen ein Wort, nur Elphinstones Atem strich über Minervas Haar. Seine Anspannung schwand langsam und er lehnte den Kopf gegen ihren, während er mit der Hand sacht ihren Rücken streichelte. So unpassend es inmitten des Chaos erschien, sie wünschte sich, dass dieser Moment nie enden würde. In dieser Umarmung konnte sie sich einreden, dass wirklich alles wieder in Ordnung käme, solange sie nicht alleine waren. Das Einzige, was an ihren Kampf erinnerte, war der Geruch von Rauch, der die zarten Noten aus Pflanzengrün übertünchte, die Elphinstone sonst anhafteten.

Er machte keine Anstalten, seine Arme zurückzuziehen. Im Gegenteil, als er nach einer Weile wieder sprach, drückte er sie noch enger an sich, so fest wie nie zuvor. »Ich bewundere deine Stärke, weißt du das?« Er klang ungewohnt heiser. »Bei Merlin, es tut mir so leid, was du heute durchleben musstest. Ich weiß nicht, ob ich an deiner Stelle das Nötige hätte tun können, um deinen Bruder zu retten. Aber du gehst immer hoch erhobenen Kopfes voran.«

»Ich schäme mich einfach nur«, flüsterte sie. »Ich hätte diesen Fluch nicht können dürfen, egal für welchen Zweck. Das war keine Stärke, sondern Schwäche.«

»Es war falsch – und trotzdem richtig. Für mich ist es Stärke, sich das eingestehen zu können.«

In der Stille des Raumes waren seine Worte unendlich laut, obwohl er sie nur leise an ihrem Ohr murmelte. Die Vergebung darin ließ sie die Arme fester um ihn schlingen. Ihre Finger gruben sich haltsuchend in sein Hemd.

»Aber so bin ich nicht besser als unsere Gegner. Ausgerechnet ich mache deiner Schwester Vorhaltungen! Dabei hätte ich genauso auf dich hören sollen. Es gibt immer einen anderen Weg und Gewalt ist nie der Richtige.«

»Minerva ... ich weiß, dass ich das gesagt habe. In dem Moment habe ich es auch gemeint. Aber du – du hast es nicht freiwillig getan oder gar, um jemandem zu schaden. Nicht einmal, weil es dir egal war. Und das macht einen Unterschied. Glaub mir.«

Sie biss sich auf die Unterlippe. »Trotzdem habe ich mir geschworen, dass ich besser sein will als das. Ich hätte einen anderen Weg sehen oder zumindest danach suchen müssen.«

»Vielleicht hätte es einen Weg gegeben, das will ich nicht verneinen. Aber ich bewundere dich deshalb kein Stück weniger. Das sollst du wissen.«

»Phin ...« Sie schloss die Lider und ballte die Hände an seinem Rücken zusammen. »Danke.«

»Ist schon in Ordnung.« Seine Fingerspitzen beschrieben kleine Kreise zwischen ihren Schulterblättern. »Heute Abend ist alles außer Kontrolle geraten und ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wohin uns das noch führen wird ... Was mir zugegeben Angst macht. Aber dann denke ich an dich. Deine Stärke. Und dann weiß ich, dass auch ich mich dem stellen kann.« Der Druck seiner Hände verstärkte sich erneut sanft. »... dass wir, gemeinsam, das überwinden.«

Im letzten Teil klang eine unausgesprochene Frage – und Hoffnung – mit, die das Gefühl einer rasanten Schnatzverfolgung zurück in Minervas Brust und Bauch brachte. Es half nicht, als sie tief einatmete und unter dem Verbrannten die bekannte Mischung aus Pflanzengrün und Pergament erahnte. Auch Elphinstones klopfendes Herz an ihrem ließ die Worte nicht leichter wirken.

»Dabei ist es eigentlich umgekehrt«, seufzte sie leise. »Ich sehe dich und bin beeindruckt, wie entschlossen und bedacht du handelst. Mit welcher Ruhe du Elladoras Offenbarungen ertragen hast. Oder wie dein erster Gedanke stets dem Schutz anderer gilt – das bewundere ich an dir.«

Er hielt einen Moment inne, ehe seine Fingerspitzen mit ihren Kreisbewegungen fortfuhren. »Dann schaffen wir das erst recht. Du hast den Mut und ich ...«

»... die Besonnenheit?«, schlug sie vor.

»Gefällt mir.«

»Ich bin so froh, dass du heute Abend dabei warst, Phin. Ich weiß nicht, ob ich mir selber den Fluch vergeben kann, aber ich bin erleichtert, dass du mich dafür nicht ... hasst.«

»Als wenn ich das je könnte. Ich bin doch genauso froh, dass du mich nicht alleine gelassen hast mit Elladora.« Ein kleines Lächeln schwang in seiner Stimme mit. »Ich weiß, dass du eine verdammt gute, wundervolle Person bist. Wenn ich das nicht wüsste, hätte ich dir nie die Frage aller Fragen gestellt. Abgesehen davon hast du mich ganz ohne Magie verzaubert.«

Das entlockte ihr ein unfreiwilliges Schnauben. »Wirklich, Elphinstone? Das ist kitschig, selbst für deine Verhältnisse.«

Jetzt lachte er ganz offen. »Hey, dann funktioniert es wenigstens, wenn du dich wieder über mich aufregen kannst. So mag ich dich am liebsten.«

Sie versetzte ihm einen sanften Klaps auf den Oberarm. »Du bist unmöglich«, murmelte sie gegen seine Schulter.

»Unmöglich charmant?«

»Einfach nur unmöglich.«

Ihre Mundwinkel zuckten, als sie sich mit einem Seufzen langsam aus der Wärme seiner Umarmung löste, bevor der richtige Moment dafür verstrich. Es hinterließ ein Ziehen in ihrer Brust, ihn danach anzusehen, diese Mischung aus Sorge und Humor auf seinen Zügen. Wenn es nach dieser eigenwilligen Sehnsucht, die seit neuestem in ihrem Herzen lebte, gegangen wäre, hätte sie lieber in seinen Armen verweilt.

»Wir sollten wohl ein paar Vorbereitungen treffen«, sagte sie stattdessen. »Und Robbie kommt hoffentlich bald.«

Er nickte. »Aber zuerst will ich wenigstens meine Kündigung lesen.« Ein bemüht ironisches Lächeln im Gesicht wedelte er mit einem dicken, roten Umschlag. »Den muss wohl eine Eule in meiner Abwesenheit durch den Kamin eingeworfen haben.« Ein leises Seufzen strich über seine Lippen.

»Vielleicht braucht Pomona ja noch einen Assistenten? Du weißt schon, der gutaussehende Slytherin-Professor und die Hauslehrerin von Gryffindor ...«,versuchte sie ihn mit einem Lächeln aufzumuntern. Aber sie konnte nicht verbergen, dass ihren Worten die Leichtigkeit fehlte.

»Es ist schon komisch. Neulich noch war ich unzufrieden und jetzt ...« Elphinstone sah auf die Pergamentblätter hinab, die er aus dem Umschlag gezogen hatte. »Jetzt erinnere ich mich wieder daran, warum ich immer das Gefühl hatte, dass diese Arbeit meine Berufung ist. Warum ich das seit Jahren mache. Gemacht habe. Und das ist jetzt der Dank.«

»Wie schlimm ist es?«

»Eine Untersuchungskommission aus Mitgliedern des Gamots wird mich in zwei Wochen zu den Vorwürfen befragen, ehe sie eine endgültige Entscheidung treffen. Bis dahin bin ich vorübergehend dem Dienst enthoben.«

Er schloss kurz seine Lider. Dann trat er hinüber zum Kamin, wo nach dem Verlöschen des Flohpulvers ein gewöhnliches Feuer prasselte, und warf die Seiten hinein.

»Phin ... wir kriegen das wieder hin. Und wenn ich Albus höchstpersönlich darum bitten muss, ein gutes Wort für dich einzulegen!«

»Ist schon in Ordnung. Wenn es das ist, was aus dem Ministerium geworden ist, dann kann ich wohl froh sein. Nun hält mich wenigstens nichts mehr zurück, diese Sache mit dir anständig zu beenden.«

Minerva seufzte. »Aber dann lass mich wenigstens für dich aussagen, wenn es so weit ist. Wegen mir wirst du nicht deine Arbeit verlieren. Schließlich beginnt Veränderung immer im Inneren. Das Ministerium braucht dich. Auch wenn ich wirklich nichts dagegen hätte, wenn du mehr Zeit mit deinen Pflanzen verbringen könntest.«

Sein Blick war in die Flammen gerichtet, doch er nickte, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. »Eine Sache nach der anderen. Lass mich dir zeigen, was ich in der Zwischenzeit gebraut habe. Und was ich zum Glück vor meiner Beurlaubung aus dem Ministerium – sagen wir, ausgeliehen habe.«



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