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Der letzte Krieg

1. Auf einer Reise
von

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6. Wahr oder gelogen

Es fühlte sich an wie der Tod. Zumindest kam es Po so vor. Die Luft war wie abgestorben. Kein Wort, kein Laut, nichts um ihn herum schien zu atmen. Er wagte nur einen einzigen Laut: „Hä?“

Wie gebannt beobachtete er die zwei Vögel, welche weder sich bewegten noch sprachen. Sie standen da wie zwei steinerde Statuen. Xia wie erstarrt, und Shen – Po hatte keine Ahnung – als habe er nichts verstanden. Der Panda wagte keine Fragen zu stellen, bis die Wärme im Raum irgendwie das eisige Schweigen auftaute.

Shen begann die Schabellippen zu bewegen. Po dachte, er würde etwas sagen, doch stattdessen, begann der Lord heiser zu kichern.

„Das ist ein Scherz, oder?“

Po blieb der Mund komplett offen. Eigentlich hatte er erwartet der Lord würde fragen, wie und warum. War der Meister der sagenumwobenen Kampfkunst so verwirrt, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte?

Aber der Panda war nicht in der Lage etwas zu sagen und wandte seine ganze Aufmerksamkeit nun Xia zu. Doch auch die Pfauenhenne brachte kein Wort mehr heraus. Sie stand immer noch da, bewegungslos wie Stein, ohne den Augenkontakt zum Lord zu unterbrechen.

Mittlerweile schmunzelte Shen leise. „Nein, oder?“

Xia starrte ihn unentwegt an.

„Nicht dein Ernst, oder?“

Po bemerkte, wie der Herrscher mehr und mehr an Selbstsicherheit verlor. Shen machte ein paar Schritte auf sie zu, ständig forschend auf der Suche nach einem Zweifel in ihrem Blick zu finden. Doch ihre Augen lachten nicht. Schließlich hielt der Lord an. Sein Sinn für Humor war ihm gründlich vergangen.

Nein, sie meinte es ernst.

Für einen Moment dachte Po, er würde nachgeben, doch dann fand der weiße Lord seine Würde zurück. In einer Sekunde nahm er wieder Haltung an und hob majestätisch den Kopf.

„Nett, aber tut mir leid dich enttäuschen zu müssen. Das könnte jeder behaupten. Und das ist ein sehr schlechter Scherz.“

„Nein, du bist mein Vater!“, beharrte sie.

Po bekam es mit der Angst zu tun. Der Gesichtsausdruck des Lords nahm verärgerte Züge an und aus der Erfahrung, die er mit Shen gemacht hatte, wusste er nur zu gut, dass das kein gutes Zeichen war. Doch der weiße Pfau schaffte es die Ruhe zu bewahren. Er schloss und öffnete die Augen mehrere Male sehr langsam, bevor er mit fester Stimme fortfuhr.

„Du kannst froh sein, dass ich heute so gute Laune habe. Aus diesem Grund, werde ich nochmal darüber hinwegsehen und dich bitten jetzt mein Haus zu verlassen - wenn es dir nichts ausmachen würde. Verstanden?“

Po schrak zusammen. Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen. Der Panda nahm all seinen Mut zusammen und stellte sich zwischen die beiden.

„Nur keine Sorge“, raunte er ihr zu und berührte ihren Flügel. „Ich bin sicher, dass sich alles aufklären wird.“

„Panda?!“

Po erstarrte, während Shen eine Fingerfeder warnend auf ihn gerichtet hielt. „Könnte ich dich bitte mal kurz einen sehr, sehr kurzen Moment sprechen?!“

Po schluckte. Die Stimme des Lords klang nicht gerade freundlich.

„Äh, natürlich.“

Po zwang sich zu einem Lächeln und winkte Xia zu.

„Entschuldige uns.“

Damit folgte er dem Lord in eine Ecke der Halle.

„Bist du völlig verrückt?“, fauchte Shen ihn leise zu. „Bist du wahnsinnig jeden Beliebigen zu mir zu bringen, der dir über den Weg läuft?“

Po reagierte mit einer etwas gereizten Antwort.

„Entschuldige mal, ich konnte doch nicht ahnen, dass sie deine Tochter ist.“

„Sie ist nicht meine Tochter!“

„Woher willst du das wissen?“

„Ich weiß es! Sogar besser als du!“

„Oh, wirklich?“ Po verschränket die Arme. „Denk doch mal nach. War da mal jemand in deinem Leben gewesen?“

„Nein!“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich!“

„Bist du sicher?“

„Ja, bin ich!”

Po verengte die Augen. „Wirklich? Wirklich?“

Der weiße Ex-Herrscher war kurz davor die Beherrschung zu verlieren, konnte sich aber noch im letzten Moment wieder fangen, sodass er stattdessen seinen Zorn in einem lauten Fauchen die Zügel gab, doch er behielt sein bösartiges Lächeln. „Sei vorsichtig, Panda! Du scheinst zu vergessen, wo du dich befindest. Ich sagte, dass ich meine Waffen ruhen lassen würde, doch von Zeit zu Zeit, juckt es mich in den Federn das hier auf dich zu werfen.“

Po zuckte zusammen, als der Lord eines seiner Federmesser aus seinem Flügel zuckte.

„Ähm, trägst du diese Dinger immer noch mit dir herum? Sind die scharf? Autsch!“

Der Panda wedelte schmerzerfüllt mit der Tatze, nachdem er mit dem Finger die Spitze der Feder-Klinge berührt hatte.

Shen grinste. „Sehr scharf.“

Po schluckte, fand aber seinen Mut wieder. „Und du scheinst zu vergessen, was du getan hast. Du bist dir also sicher, dass sie nicht deine Tochter ist?“

„Ja!“

„Doch warum sucht sie dich auf? Warum sollte sie mitten im Winter die lange Reise auf sich nehmen? Glaub mir, draußen ist es sehr kalt.“

Dieses Argument konnte Shen nicht überzeugen und wies dies mit einem abfälligen Schnauben ab. „Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand sich als ein verlorenes Familienmitglied ausgibt. Glaub mir. Das kommt in royalen Kreisen öfter als genug vor.“

Po rieb sich nervös den Kopf. Er konnte einfach nicht glauben, dass sie eine Schwindlerin war.

„Nun. Mal Hand aufs Herz. Wenn doch. Wenn du wirklich recht hast. Aber könnte da nicht jemand sein, der so ein Spiel mit dir treiben würde? Vielleicht hast du ja mal jemanden getroffen und sie will dir glauben machen, dass du Kinder hättest. Erinnere dich. War da mal eine bestimmte Person gewesen? Denk genau nach.“

Die beiden Konkurrenten starrten sich an. Shen vor Wut, Po mit traurigem Ärger.

Schließlich gab der Pfau nach, doch sein Zorn blieb ihm ins Gesicht geschrieben.

„Nun, vielleicht. Einmal… Aber das war gar nichts!“

„Gar nichts?“ Pos Tadel scheffelte erneut Öl ins Feuer. „Das sieht mir aber anders aus. Ich meine, das spricht doch für sich.“

„Das könnte jeder behaupten!“, fauchte Shen.

Po verengte die Augen. „Ich kann nicht glauben, dass sie lügt.“

Der Lord zog scharf die Luft ein. „Naivität kann sehr gefährlich werden.“

Po seufzte. „Damit erzählst du mir nichts Neues. Aber Shen, bevor du einen Fehler machst, gib ihr doch wenigstens eine Chance ihre Behauptung zu beweisen. Nur dann hast du wenigstens Gewissheit.“

Shen war nicht gerade von diesem Vorschlag begeistert.

Po rieb sich übers Kinn. „Mm, sag, wann war denn dieses „Einmal“ gewesen?“

Der Lord verengte die Augen voller Verachtung. Er schielte zu Xia rüber, dann wanderte sein Blick zurück auf den Panda.

„Vor über 10 Jahren“, grummelte er durch den fast geschlossenen Schnabel. Die nächsten Worte waren sogar kaum zu hören. „17 Jahre und zwei Monate genauer.“

Po drehte sich zu Xia um. „Sag, wie alt bist du?“

„17*.“

Sein Blick fiel zurück auf Shen. „Das würde passen.“

„Purer Zufall. Das ist noch lange kein Beweis.“

Po war enttäuscht. Doch dann zog sich über Shen ein gemeines Lächeln.

„Nun denn, vielleicht etwas anderes.“

Damit schritt er am Panda vorbei und ging zur Pfauenhenne rüber. Diese zog ein wenig den Kopf ein, als der Lord näherkam.

„Nun, wenn du wirklich meine Tochter bist wie du behauptest“, Shens Stimme hallte unheilvoll durch den Raum. „Dann verrate mir doch mal den Namen von deiner Mutter.“

Xia sah zu Po rüber. Dieser nickte ihr aufmunternd zu. Die Pfauenhenne zögerte einen Moment, bevor sie antwortete.

„Yin-Yu.“

„Ha!“ Shens spöttisches Lachen ließ den Panda zusammenzucken. „Die, die ich kannte, hatte einen ganz anderen Namen!“

Enttäuscht ließ Po den Kopf hängen. Wie schade. Im Gegensatz zu Shen, der sich als Gewinner sah und sich nicht um das verzweifelte Mädchen vor ihm kümmerte.

„Tut mir leid, aber das war eine Verwechslung. Vielleicht wäre es das Beste für dich, nach jemand anderen Ausschau zu halten.“

Damit wandte sich der Lord ab, doch Xia hielt ihn zurück.

„Warte!“

Verärgerte drehte sich der Herrscher zu ihr um. Mittlerweile hatte das Mädchen etwas aus ihrem Flügel herausgenommen.

„Schau. Diese hatte sie immer bei sich getragen.“

Po trat näher heran und erkannte eine weiße Feder mit einem roten Kreis und einem schwarzen Fleck in der Mitte in ihrem Flügel. Es war eindeutig eine Feder von Shen.

„Das ist unmöglich!“ rief der Lord heiser. „Du…“

Er fühlte Pos Blick, den Shen mit einem aggressiven erwiderte.

„Sie muss sie irgendwo draußen gefunden haben! Das ist immer noch lange kein Beweis!“

Po bewegte zögernd den Mund. „Leidest du etwa unter Federausfall?“

Ein strenger Blick und Po zog den Kopf ein.

„Tut mir leid. Aber es muss doch etwas geben, um dir…“

„Du hast es doch gehört, Panda! Ich hab niemals jemanden mit diesem Namen getroffen. Wie war der nochmal?“

„Yin-Yu.“

„Nein, ihr Name war Fang…“

Er hielt inne.

Schnell wich Po erneut seinem Blick aus.

„Keine weiteren Fragen, Panda, verstanden?“

„Okay.“

„Aber du musst mein Vater sein!“

Po bekam die Befürchtung, dass Shen nun vollständig die Selbstbeherrschung verlieren könnte und versuchte zu retten, was zu retten war.

„Hey!“ Po schnippte mit den Fingern. „Könntest du sie uns nicht beschreiben? Vielleicht könnte uns das weiterhelfen. Was meinst du?“

Er sah Shen flehentlich an und diesmal gab es da kein Problem.

„Na gut“, stimmte der Lord zu. „Doch nur um diese Komödie ein für alle Mal zu beenden. Ling?“

Im nächsten Moment tauchte das kleine Schaf neben ihm auf. „Ja, Meister Shen?”

„Bring mir Chun-Chen. Sofort!“

„Ja, Meister Shen.“

Po wusste nichts mit den Namen anzufangen. „Wer ist Chun-Chen?“

„Chun-Chen ist der beste Maler und Künstler der ganzen Province“, erklärte der Lord. „Gib ihm eine Beschreibung und er wird es dir zeichnen.“

Er warf Xia einen warnenden Blick zu. „Doch sollte es mir nicht bekannt vorkommen…“ Er trat näher an sie heran. „Dann verlässt du mein Haus auf der Stelle, verstanden?“

Sie nickte.

„Gut.“

Als ob er um die Ecke gewartet hätte, schaute Chun-Chen, eine alte Ziege, in den Saal.

„Ihr habt mich rufen lassen, Meister Shen?“

„Diese Dame wird dir jetzt eine Beschreibung einer Person geben“, kam der Lord sofort auf den Punkt. „Frag sie jedes Detail und mache deine Arbeit gut. Ich erwarte viel von dir.“

Chun-Chen nickte. „Ganz wie Ihr wünscht, Meister Shen.“
 

Shen hatte sich in den hintersten Teil der Halle zurückgezogen. Po stand in der Nähe und ging unruhig auf und ab. Am anderen Ende der Halle konnten er hören wie Xia sich mit der alten Ziege unterhielt. Von Zeit zu Zeit schnappte Po Worte wie 'Federfarbe' und 'Augenfarbe' usw. auf.

Mit jeder Minute wurde er immer nervöser. Was wird der Lord sagen, wenn er das Bild sieht, was Xia in ihrem Kopf von ihrer Mutter hatte?

Er beobachtete den Lord, doch dieser machte einen gelassenen Eindruck. Hatte er recht und der falsche Name der Frau war eine andere Person? War das alles ein Missverständnis?

Po strich sich über den Kopf. Das war so nervenaufreibend.

Endlich entstand eine Bewegung in der Ecke. Po hielt den Atem an. Die Ziege kam zu ihnen rüber, mit einem großen Blatt Papier in den Hufen.

„Meister, es ist vollendet.“

Mit gesenktem Kopf händigte er das Papier an den weißen Lord. Po reckte den Hals, um einen Blick darauf zu erhaschen. Angespannt biss er sich auf die Unterlippe, während der Lord die Zeichnung betrachtete.

Zuerst herrschte nur völlige Ausdruckslosigkeit auf seinem Gesicht. Doch dann krümmten sich seine Fingerfedern um das Papier. Plötzlich zerknüllte er es. Po wich zwei Schritte von ihm weg. Da war Wut auf dem Gesicht, die er seit ihrer letzten finalen Schlacht in Gongmen noch nie zuvor gesehen hatte. Po befürchtete schon, der Lord würde ihn schlagen. Doch dann schleuderte der weiße Vogel die Zeichnung zu Boden und trat mit dem Fuß drauf, dass sich seine scharfen Krallen reingruben. Dann drehte er sich blitzschnell um und rannte davon.

Po wusste nicht, was er davon halten sollte und hob das teilweise beschädigte Papier auf.

„Oh.“

Fasziniert besah er sich das darauf gemalte Gesicht. Er musste zugeben, dass die Pfauenhenne sehr schön aussah. Ihre Federn und ihr Hals waren fast dunkelbraun, doch mit einzelnen weißen silbernen Federn bestückt und ergaben ein harmonisches Muster. Ihre Augen schienen wie Silber zu funkeln und ihr grauer Schnabel, es war kein trostloses Grau, war teilweise vermischt mit einem goldenen Schimmer.

Pos Blick wanderte zu Xia. Das Mädchen schaute mehr traurig als ängstlich drein.

Tief beeindruckt beugte sich der Panda zu Chun-Chen rüber.

„Wow, du bist ja ein richtiges Zeichentalent. Meine Hochachtung.“

Er schaute in die Richtung, in die Shen zuvor verschwunden war.

„Entschuldigt mich kurz.“
 

Mit einem lauten Krachen schwang der Lord die Zimmertür seiner Privaträume auf, stieß einen wütenden Schrei aus und trat mit aller Kraft gegen einen Stuhl, der gegen die Wand zerschellte. Po stand im Korridor and hörte das laute Gepolter im Zimmer. Er wartete mehr als zwei Minuten, bis der Lärm nachließ.

Vorsichtig lugte der Panda in den Raum. Der Lord lag keuchend auf dem Boden, sein Oberkörper gestützt auf seinen Flügeln und starrte nach unten.

Langsam trat der Panda näher an ihn heran. „Und? Ist sie es?“

Der Pfau rang immer noch nach Luft, doch dann nickte er mit zittrigen Bewegungen.

„Ich habe ihr Gesicht nie vergessen.“

Noch einmal besah Po sich das Bild in seinen Tatzen, das er mitgenommen hatte.

„Vielleicht gibt es eine Erklärung dafür.“

„Erklärung?“ Der Lord lachte heiser. „Was für eine Erklärung könnte es dafür geben?“

Po zuckte die Achseln. „Oh, ich kenne viele Leute, die außergewöhnliche Erklärungen hatten für irgendwelche Dinge.“

Stille trat ein, bis der Lord aufstand und zum Fenster rüberging. Po folgte ihm im sicheren Abstand und beobachtete ihn.

„Du hast gesagt, dass da ein Tag gewesen war. Aber was passierte an diesem Tag?“

Der Lord starrte durchs Fenster.

„Ein Tag“, flüsterte der Lord, etwas ruhiger, aber Schwere lag in seiner Stimme. „Dieser Tag, es war ein verschneiter Tag wie heute. Aber ein stürmischer Tag. Ein stürmischer Tag hoch oben in den Bergen.“
 

Vor 17 Jahren…
 

Tief in Gedanken versunken saß der Lord in seinem Quartier, gebeugt über Papiere und Zeichnungen. Seine Fabrik war fast fertig. Aber der Schneesturm war so schwer, dass die Arbeiten vorerst unterbrochen werden mussten. Mit einem tiefen Seufzen sah sich der verbannte weiße Prinz um. Das war nicht gerade ein annehmlicher Ort für jemanden seiner Herkunft. Es war eine große Höhle. Tief verborgen in den Bergen. Aber das würde sich bald ändern. Sogar schon sehr bald. Und nicht mehr lange und er konnte sich wieder wie ein Lord in einem Königreich fühlen.

„Meister Shen.“

Der Lord blickte auf. Wölfe kamen herein.

„Wir fanden dieses Individuum in der Näher der Baustellen deiner Fabrik-Anlage.“

Die Wächter warfen etwas auf den Boden, umhüllt in brauen, alten Kleidern. Da war ein schluchzender Laut. Der Lord brauchte nicht lange, um zu bemerkten, dass es sich um eine Frau handelte. Dennoch holte er sein Messer hervor, als er an die vermummte Gestalt herantrat. Die Frau verbarg ihr Gesicht unter einem alten Umhang. Vorsichtig hob der Pfau den Zipfel mit der Klinge an. Die Frau zuckte zusammen und wich von ihm zurück, aber die Wölfe schubsten sie einfach wieder nach vorne. Dabei stolperte sie und fiel genau gegen den Pfau.

Schnell stieß er sie von sich und sie sank zu Boden. Mit einem bösen Zischen deutete er mit dem Messer auf sie.

„Wie kannst du es wagen in mein Territorium einzudringen?!“, fauchte er sie an. Dann wanderte sein Blick zu den Wachleuten. „Ich dachte, eure Männer bewachen das Gebiet!“

„Der Sturm ist zu stark“, erklärte einer der Wölfe. „Wir mussten die Wachstunden verkürzen.“

Der Lord knurrte. „Niemand, ich erlaube niemanden, auch nur einen Fuß in mein Land zu setzen! Sonst passiert sowas wie das hier!“

Er schwang das Messer. Ein großer Schnitt zerriss die braune Kleidung an einer Stelle.

„Zu welchem Zweck spionierst du meine Häuser aus?!“

Die Frau vor ihm begann zu zittern.

„Ich wusste nicht, dass hier jemand wohnt“, flüsterte sie heiser. „Der Sturm verbarg mir die Sicht, dies zu erkennen.“

Der Lord schnaubte. „Denk dir besser eine andere Ausrede aus, bevor ich dich exekutieren lasse.“

Die unbekannte Figur sank tiefer zu Boden, als der Lord sich zu ihr runterbeugte. „Glaub mir“, flüsterte er gefährlich. „Ich habe keine Hemmungen eine Frau zu töten. Spione und Verräter haben kein Recht die Luft dieser Welt einzuatmen.“

Er führte das Messer weiter vor und hob die Kapuze an. Da war eine Bewegung und zwei silberne, ängstliche Augen blickten zu ihm auf.

Der weiße Prinz senkte das Messer ein wenig und starrte sie an. Noch nie in seinem Leben hatte er eine Pfauenhenne wie sie gesehen. Sie senkte den Blick wieder und legte sich auf den Boden.

„Wenn es so ist, dann tut es“, sagte sie erschöpft. „Ich habe niemanden, der sich um meinen Tod schert.“

Der weiße Vogel erhob sich und sah auf sie herab. Er brauchte mehr als fünf Sekunden bis er seine Sprache wiederfand.

„So, dich hat also niemand geschickt?“

„Niemand. Ich hab nur nach einem Platz gesucht, um mich vor der Kälte zu schützen.“

Er verengte die Augen. „Woher kommst du?“

„Von sehr weit weg. Ich besitze keinen festen Wohnsitz.“

„Ganz schön verdächtig.”

„Dann tötet mich.“

Er rieb sich über den Schnabel. „Mm. Ich werde dich hierbehalten, um sicher zu gehen, dass du mich nicht ausspionierten willst.“

Sie hob den Kopf. Ihre Augen trafen sich erneut. Doch Shen änderte nichts an seinem Gesichtsausdruck sondern fragte nur: „Wie heißt du?“

„Fang.“

Er hob die Nase etwas höher. „Na schön, Fang. Wenn du nur gekommen bist, um nach einer Unterkunft zu suchen, dann kannst du hier bleiben bis das Unwetter vorbei ist.“
 

„Wieso hast du sie verschont, wenn du dachtest, sie wäre eine Spionin?“, unterbrach ihn Po.

Shen warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Ich weiß es nicht.“

Er stieß ein erschöpftes Schnauben aus und murmelte sehr, sehr leise: „Was würdest du tun, wenn du so etwas Schönes in einem Ödland finden würdest?“

Po hatte das gar nicht mitbekommen. „Was?“

„Gar nichts!“ Der Pfau räusperte sich, dann fuhr er fort: „Aus einem Tag wurde über eine Woche. Sie verstand mich mehr als dass es jemand jemals zuvorgetan hätte. Ich zeigte ihr alles. Meine Anlagen, meine Pläne. Wir teilten viele Dinge.“

„Ich dachte, du dachtest, sie wäre ein Spion.“

Ein lautes Fauchen und der Panda verstummte.

„Du hast ja keine Ahnung über so viele Dinge.“ Ein kleines, sanftes Lächeln überzog Shens Schnabel. „Und nach dem achten Tag…“ Der Lord unterbrach sich selber. „Nun, ich war jung. Den Rest kannst du dir ja vorstellen.“

Po legte den Kopf schief. „Äh, nein.“

Shen warf ihm einen „wie-dumm-bist du“-Blick zu.

Po dachte einen Moment nach. „OH, das meinst du, okay.“

„Jedenfalls, nach der achten Nacht, verbrachten wir auch den nächsten Morgen zusammen. Der Schneesturm hatte sich gelegt. Es war ein schöner Spaziergang im Schnee. Bis… bis sie unterwegs sagte, sie müsste für einen kurzen Moment weg. Und dann…“

Po wartete darauf, dass er weitererzählte.

„Sie kam nie mehr zurück.“

„Äh, was, warum nicht?“, fragte Po.

Doch Shen ging nicht auf seine Frage ein. „Meine Soldaten durchkämmten die ganzen Berge. Doch sie blieb unauffindbar.“

Schweigend sah Po ihn an. Zum ersten Mal sah der Lord sehr traurig aus.

Prüfend betrachtete der Panda das Portrait erneut. „Aber jetzt hast du nach so langer Zeit eine neue Spur.“

Shen schnaubte und blickte mit Abscheu auf die Zeichnung. „Das beweist doch nur… dass sie mich angelogen hat!“

Er schlug dem Panda das Papier aus der Tatze.

„Seitdem weiß ich, dass sie mich nur zu ihrem Vergnügen benutzt hat!“

Po hob schützend seine Tatzen vor sein Gesicht. „Das meinst du doch nicht so, oder?“

„DOCH! Ich meine so! Sowohl damals, als auch heute! Sie hat mich fallen gelassen, nachdem sie ihren Spaß mit mir gehabt hatte!“

Po wich zurück. „Äh, Shen?“, begann er vorsichtig. „Vielleicht hatte sie ja einen Unfall gehabt. Vielleicht hat sie ihr Gedächtnis verloren.“

„Aha.“ Shen lachte. „Einen so großer Fall von Gedächtnisverlust, dass sie sich daran erinnern konnte, dass ich eine Tochter habe?“

Beschämt senkte Po den Blick. „Shen. Während sie dich geliebt hatte – du weißt schon, ähm, hattest du da den Eindruck gehabt, dass sie dich nicht von Herzen lieben würde?“

Der Lord wich seinem Blick aus. Der Panda durfte sich darauf keine Antwort erhoffen.

Doch Po nahm einen erneuten tiefen Atemzug. „Shen, jetzt spreche ich zu dir als Drachenkrieger. Wäre es nicht ein guter Schritt von ihr zu hören, was sich an diesem Tag ereignet hatte? Nur zuhören. Dann kannst du immer noch entscheiden, was du glauben willst.“

Schweigend dachte der Lord nach.

Plötzlich drehte er sich um und stierte düster gegen die Wand. „Ich habe mir geschworen nie wieder etwas von ihr zu hören. Nie mehr an sie zu denken. Niemals mehr einen Gedanken an sie zu verschwenden. NEIN!“

Po erschrak.

„Schaff sie weg! Ich will sie nie wiedersehen!“

Po tippet die Fingerspitzen aneinander. „Ähm..“

Er schloss sofort seinen Mund wieder, als Shen warnend seinen Flügel hob. Und der Kung-Fu-Krieger wusste, er war an dem Punkt gelangt, wo Shen absolut nichts mehr hören wollte.

Niedergeschlagen ließ der Panda die Hände sinken. „Na schön. Ich werde es ihr sagen.“
 

Noch immer stand Xia im farbenfrohen Korridor und ging ziellos auf und ab. Sie hielt erst inne, als sie Po auf sich zukommen sah.

„Und? Was hat er gesagt?“, fragte sie.

Der Panda seufzte tief und versuchte zu lächeln. „Nun, ich denke, dass es das Beste wäre, ihm einen Brief zu schreiben.“

Sie starrte ihn geschockt an. „Nein, er muss zuhören. Er muss mir zuhören!“

„Aber…“

Doch die Pfauenhenne achtete nicht auf ihn. Sie rannte an ihm vorbei und lief durch den Korridor zu den Privaträumen.

„Nein!“

Po rannte ihr hinterher. Das würde ein Fehler sein.

Shen stand immer noch in seinem Zimmer und starrte an die Wand. Er hob den Kopf, als er schnelle Schritte auf sich zu rennen hörte. Im nächsten Moment tauchte Xia im Türrahmen auf und sah ihn flehendlich an.

„Bitte, hör mir zu!“

Shen stieß einen wuterfüllten Schrei aus. „Wache!“

In diesem Augenblick betrat auch Po den Raum, inklusive zwei große Steinböcke.

„Oh, hi Kumpel“, grüßte Po.

„Werft diese Person raus!“, befahl Shen.

Po bekam es bei diesem Verhalten mit der Angst zu tun. Doch der Lord war so in Rage, dass er es nicht wagte einzugreifen.

Die Wachen verschwendeten keine Zeit und packten das Mädchen.

„Nein!“, schrie sie. „Bitte, das kannst du nicht tun!“

Doch Shen ignorierte sie und machte sich daran sich zu entfernen, während die großen Ziegenböcke sie wegzerrten.

„Nein! Bitte! Wenn du mir schon nicht helfen willst, bitte, dann komm wenigstens und sieh deinen Sohn bevor er stirbt!“

Shen hielt inne. Nur Po bekam große Augen. „Was?“

Jetzt drehte sich der Pfau um. Die Ziegenböcke waren stehen geblieben, als der Blick des Lords sie traf.

„Ich habe einen Sohn?“

Xia nickte hastig. „Ja, er ist schwer verletzt nach dem Kampf mit Hunnen. Vielleicht stirbt er!“

Po verstand gar nichts mehr. „Hunnen? Sohn? Kampf?“

In diesem Moment erklang ein klapperndes Geräusch von Hufen und einem Gehstock neben ihm. Langsam drehte der Drachenkrieger den Kopf nach links, wo ihn ein bekanntes Gesicht entgegenblickte.

Der Lord starrte sie an. Neben ihr stand ihr Großneffe Ling.

„Shen.“ Die Ziege schenkte ihm einen bittenden Blick. „Bitte, mäßige deinen Zorn und höre zuerst zu, bevor du ein Urteil fällst.“

Die Wahrsagerin nickte dem Panda zu. Und Po hob die Tatze. „Hi. Ja, genau das hab ich ihm auch schon die ganze Zeit gesagt.“

Alle Augen richteten sich auf den weißen Feldherrn, der mit sich selbst am kämpfen war.

Noch einmal rang er schnaubend nach Luft, dann gab er nach.

„Wie du willst.“ Doch er behielt seinen Sarkasmus. „Na schön. Dann erzähl mal deine Geschichte.“
 


 

Laut "Kung Fu Panda 2" sollte Shen 30 Jahre auf den Moment seiner Eroberung gewartet haben. In "Kung Fu Panda 3" hingegen ist Po ca. 21 Jahre alt. Es ist anzunehmen, dass Shens Verbannung knappe 20 Jahre gedauert hatte. In dieser Geschichte hat er Yin-Yu getroffen, nachdem er schon 4 Jahre im Exil lebte.
 

* Die Brutdauer von Pfaueneiern beträgt fast nur 1 Monat.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  CharlieBlade1901
2020-06-12T21:01:12+00:00 12.06.2020 23:01
Charlie: „Shen du alter Hund.“
Shen: „Vorsicht Löwe. Ich kann auch anders.“
Charlie: „Ja das hab ich gemerkt. Miau.“
Po: „Hör lieber auf ihn zu reitzen, bevor er ernst macht.“
Charlie: „Ok ok ich hör ja schon auf.“
Antwort von:  BuchTraumFaenger
12.06.2020 23:50
Ich: "XD Könnte für den Hintergrund dieses Kapitels gut passen. :D Es werden im Laufe der Geschichte noch weitere Rückblenden mit Shen und Yin-Yu auftauchen. Nächste Kapitel ist in Arbeit. ;-) Grüße B."


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